E-Book 61 -70 - Cornelia Waller - E-Book

E-Book 61 -70 E-Book

Cornelia Waller

0,0
25,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! E-Book 61: Die Mutter ließ sie alles vergessen E-Book 62: Mein adoptiertes Glück E-Book 63: Meine süße kleine Fee E-Book 64: Meine süße kleine Fee E-Book 65: Die Stieftochter des Stars E-Book 66 : Folg´ nur deinem Herzen E-Book 67: Das Vermächtnis E-Book 68: Dein Glück ist mein Glück E-Book 69: Lieber Papi, komm doch wieder! E-Book 70: Wir beide schaffen es allein E-Book 1: Die Mutter ließ sie alles vergessen E-Book 2: Mein adoptiertes Glück E-Book 3: Meine süße kleine Fee E-Book 4: Meine süße kleine Fee E-Book 5: Die Stieftochter des Stars E-Book 6: Folg' nur deinem Herzen E-Book 7: Das Vermächtnis E-Book 8: Dein Glück ist mein Glück E-Book 9: Lieber Papi, komm doch wieder! E-Book 10: Wir beide schaffen es allein

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1419

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

E-Book 61 -70

Die Mutter ließ sie alles vergessen

Mein adoptiertes Glück

Meine süße kleine Fee

Meine süße kleine Fee

Die Stieftochter des Stars

Folg' nur deinem Herzen

Das Vermächtnis

Dein Glück ist mein Glück

Lieber Papi, komm doch wieder!

Wir beide schaffen es allein

Mami Bestseller – Staffel 7 –

E-Book 61 -70

Cornelia Waller Birke-May Bergen Leni Behrendt Inge Borg Gisela Heimburg Claudia Torwegge Christiane von Torris

Die Mutter ließ sie alles vergessen

Roman von Waller, Cornelia

»Du bist verrückt, Julia, total verrückt!« Viktoria Fabian sah die Freundin kopfschüttelnd an.

Julia Correll streckte die schlanken Glieder in dem eleganten grünseidenen Hausanzug.

»Das mag dir auf den ersten Blick so scheinen, Vicky. Ich nehme es dir nicht übel, daß du an meinem Verstand zweifelst, aber ich werde meinen Plan durchführen.«

»Julia, ich bitte dich! Du willst ein Kind, aber keinen Ehemann, das ist… nun, du machst es dir zu einfach. So etwas geht doch nicht. Außerdem braucht ein Kind beide Eltern, und es ist egoistisch von dir, nicht zu bedenken, was du so einem kleinen Wesen vorenthalten willst!« Vicky ereiferte sich.

»Quatsch«, sagte Julia, griff zu ihren Zigaretten und zündete sich eine an. »Schau dir doch die Kinder an, die in kaputten Ehen aufwachsen. Es gibt nicht wenige, wie du weißt. Meinst du nicht, daß es da manches Kind mit nur einem Elternteil einfach besser hat? Wenn ich ein Kind habe, das seinen Vater nie kennenlernen wird, dann kann es ihn schließlich auch nicht vermissen.«

»Das ist ein Irrtum!« widersprach Vicky nachdrücklich. »Das wird ihm seine Umwelt sehr bald bewußt machen. Im Kindergarten oder spätestens in der Schule wird es dann feststellen, daß seine Spielkameraden Väter haben, und es wird dich fragen, warum es selbst keinen hat. Was willst du ihm dann antworten?«

»Die Wahrheit«, sagte Julia bestimmt. »Ich würde ihm sagen, daß ich nicht hätte heiraten wollen, weil ich glaubte, daß eine Ehe mich nicht glücklich machte, daß ich aber auf ein Kind nicht hätte verzichten wollen.«

»Und du glaubst, daß ein kleines Kind das verstehen wird?«

»Warum nicht? Kinder sind nicht so dumm, wie man immer meint. Wenn man ihnen die Dinge offen erklärt, begreifen sie sie schon.«

»Willst du nicht doch versuchen, einen Mann zu finden, den du wirklich liebst und mit dem du auch leben möchtest? Schau, wenn dir einer gut genug ist, der Vater deines Kindes zu werden, so muß er doch so viele Vorzüge besitzen, daß du es wagen könntest. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß du einen x-beliebigen Mann zum Vater deines Kindes machen wolltest.«

»Natürlich nicht«, erklärte Julia bestimmt. »Im Gegenteil, ich würde sehr genau wählen, und er müßte ganz bestimmte innere und äußere Vorzüge besitzen.«

»Ich finde es ekelhaft, wie du darüber so – so kühl reden kannst, als handele es sich um die Auswahl eines guten… na, ich sage lieber nicht, was ich meine, du verstehst es wohl auch so.«

»Allerdings«, sagte Julia und lächelte überlegen. »Genauso ist es. Ich will in diesen Mann keine Gefühle investieren, aber ihn achten können und wissen, daß er als Mensch wertvoll ist, daß mein Kind von ihm gute Erbanlagen mit auf die Welt bekäme.«

»Du redest wie ein Biologe, wie ein Vererbungsforscher, gräßlich! Wenn ich dich nicht lange genug kennen würde, liebe Julia, du wärest mir direkt unsympathisch.«

»Tue deinen Gefühlen keinen Zwang an«, entgegnete Julia nun merklich kühler. Und sie dachte, daß sie wohl besser daran getan hätte, Viktoria nicht in ihre Pläne einzuweihen.

»Sei nicht eingeschnappt«, sagte Vicky versöhnlich. »Schau, ich bin deine Freundin und werde es bleiben, aber du kannst deshalb nicht verlangen, daß ich immer alles billige, was du tust. Mit einer, die dir nach dem Mund redet, ist dir schließlich auch nicht gedient, oder? Na, siehst du. Wenn dein Entschluß feststeht, will ich jetzt meinen Protest zurückhalten und gern mit dir über die Verwirklichung sprechen, denn das wolltest du doch, nicht?«

Julia nickte.

»Wie du weißt, bin ich durch die Erbschaft meiner Großmutter nun eine vermögende Frau, frei in meinen Entscheidungen und vor allem frei von jedem beruflichen Zwang.«

»Stimmt, du könntest einem Kind eine finanziell gesicherte Zukunft bieten. Manche Eltern können das immerhin nicht, und es ist für ein Kind natürlich schon ein Plus«, gab Vicky zu. »Ich dachte allerdings, du liebtest deinen Beruf so sehr, daß du ihn nie aufgeben wolltest? Schließlich bist du eine sehr beschäftigte Schauspielerin und…«

»Vollbeschäftigt stimmt zwar«, fiel Julia ihr ins Wort, »aber keine der ersten Garnitur. Und das wünscht sich eigentlich jede in meinem Beruf. Ich habe meine Theaterengagements, mache Hörspiele im Radio und liefere Synchronstimmen für Film und Fernsehen. Man kennt meine Stimme vielleicht, mich selbst aber höchstens in ein paar Provinzstädten. Ich verzichte nicht auf großen Ruhm, wenn ich das alles aufgebe. Hundert andere springen nur zu gern für mich ein, unersetzlich bin ich also nicht. Soll ich so weitermachen, bis ich unter den komischen Alten rangiere, wo ich es doch finanziell nicht mehr nötig habe? Soll ich heiraten, um meines Geldes wegen geheiratet zu werden?«

»So wie du aussiehst, wird dich jedermann um deiner selbst wollen«, sagte Vicky neidlos und schaute

die Freundin an. Julia war eine wirkliche Schönheit! Sie war mittelgroß, besaß eine ausgezeichnete Figur und ein wunderschönes, ausdrucksvolles Gesicht mit schmaler gerader Nase, mandelförmigen dunklen Augen und einem vollen, gutgeschnittenen Mund. Aschblondes, leicht gelocktes Haar kontrastierte ganz eigenartig zu den dunklen Augen und einem auch im Winter stets leicht gebräunten Teint. »Hast ja schließlich auch vor deiner Erbschaft etliche Männer gekannt, die dich vom Fleck weg geheiratet hätten, oder?«

»Du weißt, Vicky, daß gutes Aussehen nicht immer ein Vorzug ist. Man gerät an Männer, die sich mit einem schmücken wollen wie… na, wie mit einem schicken Auto beispielsweise. Schauspielerin dazu, auch das reizt. Du hast ja teilweise meine Enttäuschungen miterlebt. Nicht jede Frau hat solch ein Glück wie du mit deinem Peter.«

»Stimmt.« Vicky nickte überzeugt, und ihr zumeist freundliches Gesicht strahlte von innen heraus. Sie war seit vier Jahren mit einem Zahnarzt verheiratet und sehr glücklich mit ihm. Peter Fabian war der Typ des ruhigen, gutmütigen Mannes, der im häuslichen Alltag seiner Frau die Führung überließ, sich und seine Aktivitäten auf den Beruf konzentrierte. Sie hatten einen kleinen Buben von drei Jahren, ein reizendes Kerlchen, keine finanziellen Sorgen, ein hübsches Haus – nichts fehlte zu ihrem Glück. Vicky war eine reizende Frau, nicht eigentlich hübsch, aber sehr sympathisch und eine aufrichtige Freundin dazu, wie Julia in den langen Jahren, da sie sich kannten, immer wieder festgestellt hatte.

»Muß es unbedingt ein eigenes Kind sein?« fragte Vicky nach einer Weile. »Es gibt doch so viele bedauernswerte Würmchen, die in Waisenhäusern ein liebearmes Leben führen. Wenn du dir nun dort ein Kind aussuchtest und zunächst in Pflege nimmst, das wäre doch auch eine Möglichkeit, findest du nicht?«

»Ich hatte es gelegentlich auch erwogen«, erwiderte Julia überraschend. »Aber dann sagte ich mir, daß ich doch eine gesunde Frau bin, die ein eigenes Kind haben könnte, und ich kam wieder davon ab.«

»Aber für dich, in deiner Lage, wäre es doch viel einfacher, zu einem Kind zu kommen, meinst du nicht auch?« beharrte Vicky.

»Deinen Thomas, den nähme ich jedenfalls sofort!« Julia lächelte.

»Siehst du, also müßte es vielleicht gar kein eigenes sein!«

»Ach, ich weiß nicht recht. Man weiß doch gar nicht, woher so ein Kind kommt. Es mag süß und hübsch sein, aber – um wieder wie ein Biologe zu sprechen, wie du vorhin so kritisiert hast – über seine Anlagen weiß man doch wenig und…«

»Aber man kann es doch erfahren. Den Jugendämtern ist doch die Herkunft eines jeden Kindes bekannt«, warf Vicky ein.

Julia sagte nichts, schaute jedoch skeptisch vor sich hin.

»Soll ich uns mal bei dem Heim anmelden, das mir bekannt ist?« Vicky ließ nicht locker.

»Ich glaube, man gibt Kinder immer nur Elternpaaren«, meinte Julia daraufhin. »Eine Adoption ist auch schwierig für Alleinstehende. Vergiß nicht, eine Schauspielerin wird oftmals noch mit einer unsoliden Person gleichgestellt, und man wird mich am Ende nicht für seriös genug befinden.«

»Na, das bliebe noch abzuwarten. Du wirkst nicht wie so ein Sexfilmsternchen, du bist eine großartige und ernsthafte Schauspielerin, eine gescheite und gewissenhafte Person, die etwas, was sie sich vorgenommen hat, auch nach besten Kräften durchführen wird.«

»Danke für die Blumen, Vickylein. Ich könnte dich direkt zu meiner Fürsprecherin machen.«

»Klar, wenn du mal eine brauchst, Peter und ich sind zur Stelle.«

Anschließend lenkte Vicky das Thema in andere Bahnen. Sie dachte, daß Julia das alles noch einmal durchdenken sollte und nicht zu etwas gedrängt werden durfte, was sie nicht wirklich wollte.

*

Die hübsche kleine Villa, die Julia in einem vornehmen, aber älteren Stadtteil bewohnte, hatte sie von ihrer Großmutter geerbt. Die alte Dame war zu ihren Lebzeiten ziemlich knauserig gewesen. Julias Berufswahl hatte sie nie gebilligt. Eine Schauspielerin galt für sie als unsolide. Da jedoch keine anderen Erben vorhanden waren, hatte sie ihr Testament schließlich doch zu Julias Gunsten verfaßt. Diese hatte das nie zu hoffen gewagt, denn die Kontakte zwischen der verschrobenen alten Frau und Julia waren weder besonders eng noch herzlich gewesen.

Doch nun gehörte ihr das schöne alte Haus, das in einem herrlichen, parkähnlichen Garten lag, dazu ein stattliches Vermögen, allerlei Beteiligungen und Aktienpakete.

Julia setzte sich in einen der modernen Sessel, die sie vor dem Fenster zu einer gemütlichen Sitzgruppe zusätzlich erworben hatte. Sie schaute hinaus in den Garten mit seinen schönen alten Bäumen, dem hoch aufgeschossenen, verwilderten Rasen. Sie rekapitulierte das Gespräch mit der Freundin und fragte sich, ob es für sie eine Lösung bedeutete, wenn sie deren Vorschlag befolgen und ein fremdes Kind zu sich nehmen würde.

Es fanden sich Für und Wider, und sie sah sich außerstande, zu einem Entschluß zu kommen. Schließlich griff sie zu einem Rollenbuch, um einen neuen Text zu lernen.

»Du willst wirklich mit mir ein Kinderheim aufsuchen?« sagte Vicky erfreut. »Prima, Julia, daß du dich dazu entschlossen hast. Es ist ein Versuch, und wir werden ja sehen, wie du hinterher denkst. Ich werde mich in dem mir bekannten Heim sofort um einen Termin bemühen. Wann paßt es dir denn am besten? Gleich in den nächsten Tagen nachmittags? Gut, ich melde uns an.«

Und dann war es soweit. Beide Frauen waren etwas nervös, als sie schließlich vor der Tür des Heimes standen und auf Einlaß warteten. Sie wurden in das Büro der Heimleiterin geführt und machten sich bekannt. Frau Beier, so hieß die Dame, war eine sympathische Endvierzigerin, graumeliert und mütterlich-rundlich.

»Sie wünschen ein Kind zu adoptieren?« fragte sie, nachdem man Platz genommen hatte, und schaute unwillkürlich Vicky an.

»Nein, ich«, sagte Julia und bekam einen erstaunten Blick, der an ihrem eleganten Kleid, das aus einer exquisiten Boutique stammte, herunterging.

»Aha. Und Ihr Gatte wäre einverstanden?« fragte sie dann.

Julia und Vicky wechselten einen Blick.

»Ich bin nicht verheiratet«, erklärte Julia wahrheitsgemäß.

Frau Beiers Gesicht bekam sogleich einen ablehnenden Zug.

»Ja, so… also wissen Sie, wir sehen so, im allgemeinen lieber, wenn unsere Kinder in kompletten Familien oder jedenfalls bei Ehepartnern unterkommen. Es ist ja elterliche Liebe, die ihnen fehlte, die sollten sie durch eine Adoption möglichst bekommen. Einzelpersonen – ganz gleich ob Mann oder Frau – bekommen sehr schwer die Genehmigung zur Adoption. Ich will sagen, bei ihnen wird doppelt kritisch geprüft, ob sie fähig und in der Lage sind, ein Kind mit allen Verantwortungen aufzuziehen. Darf ich fragen, was für einen Beruf Sie haben?«

»Ich bin Schauspielerin«, antwortete Julia, und ihre Stimme klang ein wenig aggressiv, weil sie die Reaktion der Heimleiterin schon voraussah. Und richtig, deren Miene wurde gleich noch um einiges bedenklicher.

»Schauspielerin – oh – aber – da sind Sie doch viel fort und können sich gar nicht so um ein Kind kümmern«, wandte sie ein.

Siehst du, stand in Julias Blick zu lesen, mit dem sie Vicky anschaute, siehst du, man will mich ja gar nicht!

»Meine Freundin wird ihren Beruf aufgeben, wenn sie ein Kind finden würde, das sie zu sich nehmen möchte«, sagte Vicky schnell und fügte auch hinzu, daß Julia in besten Verhältnissen und in einem schönen Haus lebte und einem Kind alles bieten könnte, was es zu seinem Wohlbefinden und für seinen späteren Ausbildungsweg benötigte.

Julia fand, daß Vicky zu ausführlich wurde und sie geradezu anpries. War das denn nötig? Konnten die es sich hier leisten, voreingenommen zu sein, wenn sie so viele Kinder hatten, die in Heimen verkümmerten? Julia dachte nicht daran, daß sie ungerecht urteilte. Man mußte schließlich bestrebt sein, jedes Risiko für die Kinder auszuschalten, denn eine Sache, die schiefging, ging ja immer zu Lasten der bedauernswerten Kinder.

Julia setzte zum Reden an, aber Vicky gab ihr einen kleinen Stubs mit dem Fuß. Zu offen war in ihrem Blick zu lesen, was kommen mußte.

»Könnten wir uns wohl einmal hier umsehen, damit meine Freundin erst einmal eine Vorstellung von den Kindern bekommt, die hier bei Ihnen leben?« fragte Vicky.

Frau Beier nickte. »Sicher, das können Sie natürlich gern.« Und sie dachte bei sich, daß die elegante Schauspielerin dann vielleicht ohnehin von ihren Plänen absehen würde. Es war einfach, sich vorzustellen, daß man ein Kind zu sich nahm, aber wenn dann Vorstellungen zu Personen wurden und alles sehr greifbar, schreckten manche doch zurück.

Die drei Frauen erhoben sich.

»Wir haben jetzt Freizeit«, erklärte Frau Beier, während sie den beiden anderen voran den Flur entlangging. »Da finden Sie die Kinder bei ihren Lieblingsbeschäftigungen im Haus und Garten.«

Sie öffnete eine Tür.

»Hier ist das Lesezimmer für unsere kleinen Leseratten«, sagte sie und ließ Julia und Vicky eintreten.

Die kleine Bibliothek wies wohlgefüllte Regale an den Wänden auf, und in der Mitte des Raumes war eine Sitzgruppe, wo einige Kinder saßen. Sie erwiderten den Gruß der beiden Damen und schauten sie neugierig an. Sie waren es gewohnt, daß hin und wieder Besucher kamen, aber immer wieder bemächtigte sich ihrer eine große Spannung. Es handelte sich ja meistens um Adoptionswillige, und jedes der Kinder fragte sich erwartungsvoll, ob jemand von ihnen und wer dann ausgewählt werden würde. Die Mehrzahl aller Heimkinder wünschte sich, adoptiert zu werden, sie träumten von Eltern, die sie liebten, und ihnen die fehlende Nestwärme gaben.

Frau Beier stellte die Kinder vor.

»Das ist unsere Marina«, sie wies auf das zunächst sitzende, etwa zwölfjährige Mädchen, das nun aufstand, bis über beide Ohren rot werdend. »Sie ist ein lesewütiges Mädchen, nicht wahr, Marina, bald hast du alle unsere Bücher ausgelesen?« Sie strich dem blonden Mädchen mit den kurzen Haaren und den blauen Augen über den Schopf.

Marina nickte schüchtern.

»Und da ist Robby, unser Wildfang!« Sie zeigte auf einen Zehnjährigen mit frechem Lausbubengesicht, der nun sein Buch beiseite legte.

»Ist das jemand, der ein Adoptionskind sucht?« fragte er und schaute Julia mit großen Augen an. War die aber mal hübsch! Und so schick! Mensch, mit solcher Mutter könnte man aber die anderen schön neidisch machen! Ein hungriger Ausdruck trat in seine Augen, und seine Keßheit, die für ihn ein Schutzpanzer war, schwand dahin. So eine nahm ihn ja doch nicht! Die suchten immer blondgelockte kleine Mädchen von zwei bis vier Jahren, die sie verwöhnen konnten wie kleine Prinzessinnen.

»Hier sind bloß Große«, erklärte Robby altklug. »Die kleinen niedlichen Kinder sind unten im Sandkasten.«

Julia als Schauspielerin hatte ein feines Ohr für menschliche Zwischentöne, und sie empfand die Resignation des Jungen, die aus seinen Worten sprach. Die Hoffnungslosigkeit, hier je herauszukommen.

Julia lächelte ihn an.

»Na, so schrecklich alt ist man mit Zehn ja wohl auch noch nicht, finde ich.«

»Aber die meisten suchen Kleine, nicht wahr, Frau Beier?« wandte er sich an die Heimleiterin.

Die lächelte auch bedauernd.

»So ist es leider. Diese Erfahrung können wir unseren größeren Kindern leider nicht ersparen.«

»Die denken, wir sind frecher«, warf Robby ein und zog sich tiefsinnig am Ohrläppchen.

»Was leider manchmal auch stimmt, sei ehrlich«, Frau Beier lächelte. »Und nun wollen wir noch zu den anderen hinuntergehen«, sagte Frau Beier und öffnete die Tür.

Während Julia hinausging, schaute sie sich noch einmal um, und ihr Blick traf den von Robby. Nun geht sie wieder, ich hatte ja recht, so glaubte sie deutlich darin zu lesen. Irgendwie gab es ihr einen Stich.

Sie sahen noch ungefähr vierzig Kinder, kleine und größere. Reizende Kinder waren dabei, besonders bei den Zwei- bis Fünfjährigen.

»Schau dir die an«, flüsterte Vicky Julia bei einer süßen Dreijährigen zu. »Ist die nicht zum Fressen?«

Julia nickte zwar, aber es war ganz sonderbar, sie mußte an den kleinen Lausbuben im Lesezimmer denken und wie er seine Meinung wieder bestätigt sehen würde, wenn auch sie, wie anscheinend die meisten, sich solch einen hübsch anzusehenden Fratz heraussuchen würde.

»So, nun haben Sie alle gesehen«, sagte Frau Beier, als sie zuletzt noch im Werkraum gewesen waren, wo die Kinder malten und bastelten. »Sie sehen, wir haben hier einen Querschnitt durch alle Altersklassen.«

»Sind alle zur Adoption freigegeben?« fragte Vicky sachlich.

»Nein, natürlich nicht. Es sind die sogenannten Scheidungswaisen darunter, die natürlich noch Eltern haben und nur wegen gewisser Umstände hier sein müssen. Und es gibt auch Mütter, die sich zwar niemals um ihre Kinder kümmern, dennoch keine Adoptionserlaubnis erteilen.«

»Und der kleine Robby vom Lesesaal?« fragte Julia. »Was ist mit dem?«

Erstaunt schaute Frau Beier sie an. Gerade von ihr hatte sie gemeint, wenn sie sich überhaupt für ein Kind interessierte, dann gewiß für eines der niedlichen kleinen Mädchen.

»Robby ist freigegeben. Seine Mutter hat ihn bereits unmittelbar nach der Geburt fortgegeben.«

»Seine Mutter?«

»Robby ist ein uneheliches Kind. Seine Mutter ist…« Frau Beier unterbrach sich. »Ja, interessieren Sie sich denn ernsthaft für ihn, Frau Correll?«

Während sie nickte, wurde es Julia erst klar bewußt.

»Ja«, sagte sie mit fester Stimme.

Auch Vicky sah sie verwundert von der Seite an, da sie ähnlich wie Frau Beier vermutet hatte.

»Dann wollen wir noch einmal in mein Büro gehen«, bat Frau Beier, und ihre Stimme klang plötzlich viel freundlicher.

Als sie dort wieder Platz genommen hatten, holte Frau Beier eine Akte hervor.

»Also, Robert ist der Sohn einer Tochter aus sogenanntem ›guten Hause‹. Eine Studentenliebelei, die nicht ohne Folgen blieb. Es war schon allerhand, daß dieses Mädchen nicht den üblichen Weg beschritt und eine Abtreibung einleitete, sondern das Kind bekam. Dann bestanden ihre Eltern darauf, daß sie es gleich nach der Geburt zur Adoption freigab. Die Schande, die vertuscht werden mußte, Sie verstehen? Seitdem ist Robby in zwei Heimen gewesen und seit einem Jahr bei uns. Zuvor war er schwierig, denn es waren große Heime, und man konnte den einzelnen Kindern dort natürlich weniger gerecht werden. Seit er bei uns ist, ist es viel besser mit ihm geworden. Er hat hier Kontaktpersonen, die ihm näherstehen als in einem Massenbetrieb, und das hat ihm sehr geholfen. Robby ist sehr liebebedürftig und versteckt dieses Gefühl oft unter Ruppigkeit und Ungezogenheit. Ich würde ihn nur jemandem geben, der ihm viel Wärme und Geborgenheit vermitteln könnte und vielleicht auch pädagogische Erfahrungen hat. Es ist für jedes Kind ein Schock, wenn es nach der Probezeit, die wir Adoptiveltern und Kindern zunächst geben, wieder ins Heim zurück muß, weil es halt nicht geklappt hat. Aber dem innerlich so empfindsamen Robby möchte ich das nicht zumuten.«

»Er wünscht sich sehr, adoptiert zu werden, nicht?« fragte Julia.

»Ja, mehr als alle wohl. Er hofft jedesmal aufs neue, wenn Leute kommen, und weiß doch schon aus der Erfahrung seines Heimlebens, daß nur wenige eine Chance haben und ältere Kinder wie er jetzt kaum noch.«

Julia sah die Heimleiterin offen an.

»Ich war skeptisch, als ich hierherkam, ich gebe es offen zu. Meine Freundin…«, sie schaute zu Vicky hin, »hat mich mehr oder weniger dazu überredet. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es ein Kind geben würde, von dem ich mich auf den ersten Blick angesprochen fühlte. Ich bin selbst überrascht, daß es so ist, aber Robby… er gefällt mir.«

»Frau Correll, das ist mehr, als ich erwartet habe, viel mehr, um auch offen zu sein. Aber…« Frau Beier zögerte, »Robby ist auch mir ans Herz gewachsen, verstehen Sie? Trotz seiner Schwierigkeiten, gerade deswegen möchte ich, daß mit ihm nicht experimentiert wird, daß gerade er sich nicht falschen Hoffnungen hingibt.«

»Ich verstehe Sie«, sagte Julia spontan. »Als ich hinausging und mir war, als läse ich bereits Enttäuschung in seinen Augen, da… da wurde mir ganz eigenartig. Ich empfand deutlich, daß man den Jungen einfach nicht enttäuschen dürfte.«

»Sehen Sie. Und deshalb möchte ich Sie bitten, das alles noch einmal gründlich zu überschlafen. Wenn Sie nach ein paar Tagen noch immer der Meinung sind, daß Sie mit dem Jungen Kontakt aufnehmen wollen, dann rufen Sie mich an und wir können es erst einmal einrichten, daß Sie sich kennenlernen. Im allgemeinen halten wir es so, daß die interessierten Eltern die Kinder mal über das Wochenende zu sich einladen oder auch mehrmals, daß dann, wenn sich das als positiv erweist, eine Übernahme des Kindes in Pflege vereinbart wird. Nach oder während dieser Zeit können dann die Adoptivanträge gestellt werden.«

Julia nickte. Das war ein akzeptabler Vorschlag.

»Gut«, sagte sie und erhob sich, »das ist mir recht. Dann darf ich Ihnen einstweilen für Ihre Mühe danken?«

Sie verabschiedeten sich, und Vicky und Julia verließen das Haus.

»Ich bin sprachlos«, sagte Vicky, als sie wieder in Julias Wagen stiegen. »Ehrlich, Julia, ich hätte nicht gedacht, daß du dich überhaupt für ein Kind erwärmen könntest, voreingenommen wie du schließlich warst. Und nun noch dazu für diesen vorlauten kleinen Jungen.«

»Ich versteh’s selbst nicht so ganz«, sagte Julia nachdenklich und vergaß ganz, den Zündschlüssel einzustecken. »Aber der Blick des Jungen geht mir nicht aus dem Sinn. So hoffnungsvoll und resigniert zugleich – ich fühlte mich so angesprochen davon.«

Als Julia an diesem Abend auf der Bühne stand, fühlte sie, daß sie nicht gut war, und nur ihre Routine half ihr, einigermaßen über die Runden zu kommen.

*

Drei Tage später war sich Julia darüber klargeworden, daß sie das Experiment wagen und Robby zu sich nehmen wollte. Sie zögerte nicht, ihren Entschluß in die Tat umzusetzen, indem sie wieder zum Heim fuhr, diesmal aber allein.

Frau Beier zeigte sich überrascht. Sie hatte geglaubt, daß Julia sich nicht mehr melden würde, daß das Ganze die Laune einer etwas exaltierten Schauspielerin gewesen war.

»Gut«, erklärte sie jedoch freundlich, nachdem sie Julias Begründung für ihren Entschluß angehört hatte, »dann würde ich vorschlagen, daß Sie den Jungen an diesem Wochenende einmal zu sich holen, so wie wir es hier im allgemeinen ja handhaben.«

»Das ist mir recht.« Julia nickte. »Darf ich es dem Kleinen sagen? Ich meine, würden Sie erlauben, daß ich ihn selbst einlade?«

»Aber natürlich!« Frau Beier griff zum Haustelefon und bat, daß man ihr Robert Hansen herüberschickte.

Wenig später klopfte es an der Tür. Recht zaghaft, wie es Julia schien. Und ebenso zaghaft öffnete sich nach Frau Beiers »Herein!« dann die Tür.

»Jetzt hat er sicher ein schlechtes Gewissen«, raunte Frau Beier Julia lächelnd zu. »Meistens bedeutet es, daß er irgend etwas ausgefressen hat, wenn ich ihn allein zu mir rufe. Sie wissen ja, er ist nun mal ein Lausbub.«

Julia nickte und schaute dem Jungen, der nun eintrat, mit großen Augen entgegen. Robby entdeckte sie nicht gleich.

»Ich sollte kommen?« fragte er kleinlaut und sah Frau Beier mit so unverkennbar schlechtem Gewissen an, daß Julia unwillkürlich leise lachen mußte und damit ihre Anwesenheit verriet.

Der Junge fuhr herum, und nun war es an ihm, mit runden Augen auf die fremde junge Frau zu schauen, die ihm sogleich bekannt vorkam.

»Robby, das ist Frau Correll«, stellte Frau Beier vor, »würdest du sie bitte begrüßen?«

Robby marschierte auf Julia zu und machte eine zackige Verbeugung, die ein wenig vom Drill des Heimes erkennen ließ.

»Guten Tag«, sagte er, und sein sommersprossiges Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

»Frau Correll ist deinetwegen hier, Robby«, erklärte Frau Beier.

Robby, der sonst so helle war, konnte sich einfach nicht vorstellen, daß das, was er in seinem kleinen Herzen so heiß ersehnte, wirklich eingetreten war: nämlich, daß es tatsächlich einen Menschen gab, der an ihm Interesse nahm!

»Wollen Sie mich etwa adoptieren?« fragte er, das Wort, das Heimkindern so geläufig ist, ohne Stocken herausbringend.

»So weit wollen wir noch nicht gehen, Robby«, schaltete sich Frau Beier in seine in ihren Augen schon zu weit gespannte Erwartung. »Du weißt ja, daß man das nicht gleich so sagen kann, hast es an anderen Kindern erlebt, daß es nicht immer zur Adoption kommen kann, wenn die Leute, die wegen eines Kindes zu uns kommen, und die Kinder keinen Kontakt bekommen. Das ist…«

»Ich weiß, dann ist es wie bei Andreas, den haben sie wieder fortgeschickt«, unterbrach Robby sie altklug.

Es gab Julia einen Stich, wie der kleine Junge das aussprach. Was für Erfahrungen mußten diese bedauernswerten Kinder sammeln! Nicht nur durch eigene Erlebnisse, sondern auch durch die der Schicksalsgefährten. Wenn eines von ihnen wieder zurückgeschickt wurde, weil es aus irgendwelchen Gründen nicht mit den Pflegeeltern zurechtkam, so war das im Grunde wohl für alle anderen wieder eine negative Erkenntnis! Und Julia schwor sich in dieser Minute, alles zu tun, damit dieser kleine Junge in seinen Erwartungen nicht enttäuscht wurde!

»Du weißt ja, daß wir deswegen erst einmal Besuche zum Kennenlernen verabreden und dann eine Probezeit. Letztere gilt nicht nur für die künftigen Eltern, sondern auch für die Kinder, wie du weißt. Auch die Kinder sollen das Gefühl haben, daß sie die Eltern liebgewinnen können. Man muß zusammenpassen, nicht wahr? Wenn man jemanden auf den ersten Blick gern zu haben glaubt, so muß das noch nicht heißen, daß man gut miteinander auskommt. Würdest du Frau Correll denn gern besuchen?«

Robby, der Julia unentwegt gemustert hatte, nickte zaghaft. Die fremde junge Frau gefiel ihm sehr gut, er war auch schon ein ganz klein wenig Mann, auf den Frauenschönheit nicht ohne Wirkung blieb. Aber sie war sehr fein, und er war nicht sicher, ob sie nicht furchtbar etepetete sein würde. Womöglich liebte sie Kinder, die immer fein angezogen sein mußten, sich nie schmutzig machten und in der Schule zu den Klassenbesten gehören mußten. Besonders das letztere war bei Robby nicht der Fall. Er war zwar von natürlicher Intelligenz, aber das Heimleben hatte seine Spuren hinterlassen. Wie alle lag er hinter denen, die aus einer intakten Familie kamen, an Leistung zurück.

Julia war ein wenig enttäuscht. Sie hatte mehr Begeisterung erwartet, sie konnte ja nicht wissen, was in Robby vorging.

»Ich hole dich am Wochenende, und wir werden es uns richtig gemütlich machen, ja?« sagte sie trotzdem herzlich und lächelte ihn aufmunternd an.

Richtig gemütlich machen, das bedeutete für viele auch nicht das gleiche, wie Robby bereits erfahren hatte. Und so ließ er jetzt auch nur ein vorsichtiges »Hm« hören.

»Gut, Robby, dann kannst du jetzt wieder gehen«, sagte Frau Beier, für die seine Haltung nicht ungewöhnlich war.

»Am Samstag habt ihr ja keine Schule, und Frau Correll holt dich schon morgens ab.«

Robby schob zur Tür.

»Willst du nicht auf Wiedersehen sagen?« fragte Julia etwas betreten.

Er machte kehrt, kam zu ihr und gab ihr seine Hand.

»Also auf Wiedersehen«, sagte er, und da fiel ihm plötzlich etwas ein. »Erlaubt denn Ihr Mann auch, daß ich komme?« Meistens kamen ja die Ehepaare zusammen hierher, um sich ihre künftigen Kinder auszusuchen. Er war zunächst so überrascht und von Julias Aussehen so beeindruckt gewesen, daß er es fast vergessen hatte.

»Ich – ich habe keinen Mann, Robby«, gestand Julia fast ein wenig verlegen.

»Nein?« fragte er äußerst verwundert und schaute Frau Beier an. »Ich dachte immer…«

»Ja, im allgemeinen kommen Eltern zu uns«, beantwortete diese seine Frage, »aber es gibt auch Ausnahmen, da möchte jemand ein Kind haben, ohne verheiratet zu sein. So ist das bei Frau Correll.«

»Stört es dich, daß ich keinen – keinen zukünftigen Vater aufzuweisen habe«, versuchte Julia es ins Scherzhafte zu ziehen.

Robby überlegte ernsthaft und zog seine runde Kinderstirn in angestrengte Dackelfalten. Ein Vater gehörte natürlich zu seinem Elternbild, zu seinen geheimen Wünschen. Manchmal war der ganz praktisch, er wußte es von seinen Schulkameraden. Der spielte mit einem Fußball und wenn einen einer mal verhauen wollte und man konnte mit seinem Vater drohen, wie zum Beispiel der schwächliche Christoph in seiner Klasse, der einen hünenhaften Vater hatte, und bei dem selbst die größten Rowdies vorsichtig waren. Und dann hatten sie meistens Autos, diese Väter.

»Na ja«, sagte er etwas gönnerhaft, »Sie können ja auch nichts dafür, wenn Sie keiner gewollt hat, nicht? Und vielleicht finden wir ja auch noch einen.«

Julia und Frau Beier konnten nicht anders, sie mußten herzlich lachen.

»Ich… danke dir für dein Verständnis«, brachte Julia schließlich heraus. »Und wenn du mir sogar suchen hilfst, wenn wir zwei uns gut verstehen, dann… also, dann bin ich sehr froh.«

»Ich mag ihn, er ist ein drolliges Kerlchen«, sagte Julia spontan.

»Das ist er«, bestätigte Frau Beier es. »Aber bedenken Sie, daß Robby eben trotzdem sein Leben lang in Heimen war und zu vielen Dingen kein reales Verhältnis haben kann. Er ist auch oft verschlossen und nicht immer leicht durchschaubar.«

»Warum sollte er keine Fehler haben«, entgegnete Julia ruhig. »Die haben wir schließlich alle, und ich weiß ja von vornherein, warum manche bei ihm vielleicht stärker auftreten als bei Kindern aus normalen Familien. Ich werde mein Bestes tun, Frau Beier, bitte, glauben Sie mir.«

Diese lächelte. »Sind Sie eigentlich an diesem Wochenende spielfrei, Frau Correll?« fragte sie dann wie beiläufig.

»Selbstverständlich«, nickte Julia, schnell begreifend, worum es ihr ging. »Ich bin ganz für Robby da. Ich habe ja meine Tätigkeit schon stark eingeschränkt und bin nicht mehr fest engagiert. Sollte ich Robby zu mir nehmen, dann höre ich wahrscheinlich ganz mit dem Theaterspielen auf, ich bin ja nicht darauf angewiesen, wie Sie wissen.«

»Ja, schon. Finanziell brauchen Sie es nicht. Aber würden Sie denn für immer auf Ruhm und Beifall verzichten können?« fragte Frau Beier zweifelnd. »Es mag Ihnen jetzt ernst sein mit Ihrem Entschluß, aber oft genug hört man, daß sich Schauspieler zurückziehen, zum Beispiel, wenn eine Frau heiratet oder aus sonstigen Gründen, und nach einiger Zeit vermissen sie das alles mehr, als sie gemeint hatten. Es wäre nicht gut für ein Kind, dann so am Rand zu leben. Deswegen wird es nicht leicht für Sie sein, eine Adoption durchzubringen, weil viele Leute so denken wie ich.«

»Aber das kann doch in jeder anderen Familie auch ähnlich sein«, widersprach Julia heftiger als sie wollte. »Anfangs kümmert man sich um das Kind, und dann zieht man wieder andere Interessen oder Berufliches vor. Warum glaubt man immer, wir Schauspieler sind allesamt leichtlebig und locker und man kann ihnen nicht trauen?«

»Weil dieses Leben eben ein unbeständigeres Leben mit sich bringt und Versuchungen und Gefahren, denen normale Sterbliche weniger ausgesetzt sind«, sagte Frau Beier gelassen. »Sie müssen meine Einwände nicht persönlich nehmen, Frau Correll. Irgend etwas habe ich übrigens bei allen Adoptivwilligen auszusetzen«, lächelte sie dann. »Wir müssen kritisch sein und auf alles hinweisen, verstehen Sie doch. Es geht um die Kinder, aber auch um die Eltern.«

»Sie haben recht«, gab Julia zu und seufzte ein wenig. »Aber ich werde Sie schon überzeugen.«

»Es sollte mich in Robbys und Ihrem Interesse herzlich freuen«, sagte die Heimleiterin und erhob sich.

Julia stand auf.

»Am Samstagmorgen komme ich also. Ist zehn Uhr recht?«

»Ja. Robby wird fertig sein.«

Sie verabschiedeten sich voneinander, und Julia spürte, daß Frau Beier schon wesentlich aufgeschlossener war. Froh, im Herzen die besten Vorsätze, fuhr sie nach Hause.

*

Robby war an diesem Samstagmorgen der Mittelpunkt unter seinen Freunden im Heim. Sie umstanden ihn, wie er abholbereit in der großen Diele neben seiner Plastiktasche stand, in der sich Nachtzeug und Zahnbürste befanden.

»Vielleicht kommt sie gar nicht, deine Schauspielerin«, orakelte Michael, ein rundlicher Zwölfjähriger, und eine Spur Schadenfreude lag in seinem Ton.

»Klar, die kommt bestimmt!« versicherte Robby laut, und ein wenig mußte er damit seine eigenen leisen Zweifel übertönen. So konnte er es ja selbst noch nicht glauben, daß er zu den Auserwählten gehören sollte. Und noch dazu von einer so außergewöhnlichen Frau!

Robby zog aufgeregt an seinem neuen Pullover herum und starrte auf die Tür, die sich eine Minute später öffnete. Es war wirklich Julia, die eintrat, ihn gleich entdeckte und fröhlich zuwinkte.

Dann begrüßte sie als erste Frau Beier, bevor sie Robby die Hand gab. »Bist du fertig?« Gerührt bemerkte sie, wie fein man den Kleinen gemacht hatte. Jedenfalls für Heimbegriffe. Julia selbst wußte schon, daß sie den kleinen Buben ganz anders kleiden würde und daß sein schönes dunkles Haar ganz gewiß nicht zu einer schmalzigen Wassertolle gekämmt werden durfte. Aber soweit waren sie ja noch nicht.

»Wann soll Robby wieder hier sein?« fragte sie Frau Beier.

»Morgen abend um sieben, bitte«, erklärte diese lächelnd. »Damit ihm noch ein bißchen Zeit bleibt, den anderen zu berichten«, fügte sie hinzu. Denn gewöhnlich hatten die kleinen Ausflügler so viel zu erzählen, daß die Nachtruhe in Gefahr geriet.

Julia und Robby verabschiedeten sich und verließen das Heim. Stumm trottete Robby neben Julia her, als sie durch den Garten gingen, und erst auf der Straße, wo Julia der Einfachheit halber geparkt hatte, erkundigte er sich, wo sie denn wohnte.

Julia blieb neben ihrem orangefarbenen Sportwagen stehen und lächelte. »Es ist ein weiter Weg, ich wohne am anderen Ende der Stadt, aber wir müssen ja nicht laufen.«

»Ist – ist das etwa Ihr Auto?« fragte Robby verblüfft.

»Ja. Gefällt es dir wenigstens?«

»Mensch! Ist das ein Schlitten! Und ich dachte immer, so was fahren bloß Männer.«

»Tja«, lachte Julia, »du siehst, da hast du dich gewaltig geirrt. Komm, steig ein und überzeuge dich selbst, ob ich meinen Flitzer fahren kann!«

Sie schloß die Tür zum Beifahrersitz auf, und Robby ließ sich ihre Aufforderung nicht zweimal sagen. Innen schaute er neugierig um sich und konstatierte als erstes, nachdem Julia neben ihm saß: »Zweihundert Stundenkilometer fährt der, ist das ’ne Wucht!«

»So steht es jedenfalls auf dem Tachometer«, sagte Julia, »aber da darfst du ein paar Abstriche machen. Hundertachtzig ist auch schon ganz schön schnell, meinst du nicht?«

»Klar, das reicht auch«, erwiderte Robby, und Julia amüsierte sich über seinen fast tröstenden Ton.

Als sie Robby anschnallen wollte, murrte er ein bißchen.

»Das sieht so ängstlich aus«, meinte er.

»Quatsch!« erklärte Julia energisch. »Dumm ist es einfach, wenn man bei einer harten Bremsung seinen Kopf mit der Scheibe Bekanntschaft machen läßt. Meiner ist mir jedenfalls dafür zu schade. Weißt du, es gibt leider viele leichtsinnige Autofahrer, die daran schuld sind, daß unsereiner ganz plötzlich bremsen muß, und schon ist das Unglück passiert. Die Dummen in jedem Fall sind die, die sich nicht angeschnallt haben.«

Und Robbys Antwort freute sie sehr, sagte sie ihr doch, daß man – wenn man einem Kind eine vernünftige Erklärung gab, auch mit seinem Verständnis rechnen konnte. Das war ein Prinzip, das sie sich weiterhin zu eigen machen wollte!

»Na ja, da haben Sie wohl recht«, meinte er altklug und ließ sich zeigen, wie man den Haltegurt vorschriftsmäßig anlegte. Auf der Fahrt durch die verkehrsreichen Großstadtstraßen beobachtete sie ihren kleinen Beifahrer gelegentlich verstohlen. Wie gespannt er dasaß und wie stolz! Heimkinder haben nun einmal selten Gelegenheit zum Autofahren, und dann mit solch einem Auto! Sie konnte sich nicht vorstellen, daß er sich wie ein kleiner König fühlte. Aber dann dachte sie daran, daß so etwas seine Gefühle zu ihr beeinflussen könnte, und sie fragte sich, ob das gut war. Am Ende, dachte sie, würde er sie nur um ihres schönen Wagens wegen mögen? Doch dann verwarf sie das rasch wieder. Es half ihr vielleicht, seine Zuneigung schneller zu gewinnen, aber am Ende blieb doch nur Echtes ausschlaggebend, und das würde sie schon fühlen.

»Müssen wir schon zu Ihnen nach Hause fahren?« erkundigte er sich nach einer Weile, und sein Wunsch, noch mit dem schönen Auto herumzufahren, sprach nur zu deutlich aus dieser Frage.

»Nun gut, wir können noch einen kleinen Abstecher auf die Autobahn machen, wenn du willst«, lächelte Julia.

Und ob Robby wollte!

So bog Julia ab und folgte den Schildern, die zur Autobahn wiesen. Als sie schließlich auf das breite graue Band eingerollt waren und mit höherer Geschwindigkeit dahinbrausten, war Robby hell begeistert.

»Das ist toll!« sagte er aus tiefstem Herzensgrund, und man hatte den Eindruck, daß er am liebsten bis ans Ende der Welt gefahren wäre.

»So, genug, jetzt fahren wir zu mir«, sagte Julia nach einer halben Stunde, und es kam auch kein Widerspruch, was sie Robby hoch anrechnete.

»Wohnen Sie in einem Hochhaus?« wollte Robby wissen, als sie durch die Wohnstraße eines neuen Viertels fuhren.

»Nein, so hoch hinaus komme ich nicht. Ich habe von meiner Großmutter ein schönes älteres Haus geerbt, das ich nun bewohne.«

»Ganz allein?« staunte Robby.

»Ja. Ich habe nur eine Haushälterin, das ist die Frau Schütterle, die du gleich kennenlernen wirst, die wohnt noch bei mir. Sie hatte zuletzt meine Großmutter versorgt, und ich habe sie nach deren Tod mit übernommen. Das ist ganz praktisch, denn so ein großes Haus mit einem großen Garten macht viel Arbeit, und ich hatte ja immer noch meine Arbeit nebenbei.«

Robby schwieg, bis sie wenig später vor der vornehmen alten Villa in der Uhlandallee 17 hielten.

»So, hier ist es. Komm, steigen wir mal aus«, sagte Julia.

»Ist das ein großes Haus, fast so wie unser Heim«, stellte Robby fest.

Seine wachen Augen nahmen auch innen alles auf. Unaufhörlich gingen sie herum und schienen alles zu erfassen: die elegante, wenn auch zum Teil altmodische Einrichtung mit den dicken Teppichen, die vielen Blumen überall, den festlich gedeckten Tisch im Eßzimmer.

»Hat einer Geburtstag?« fragte er, als Julia mit ihm eintrat.

»Du, wenn du so willst«, sagte Julia. »Es ist doch dein erster Tag in diesem Haus, und ich wünsche mir und dir, daß du oft und gern herkommen wirst in der nächsten Zeit.« Es klang ein bißchen feierlich, und sie wollte ja keine unnatürliche Stimmung aufkommen lassen. »Und nun laß sehen, ob dir schmeckt, was Frau Schütterle Gutes gekocht hat.«

Frau Schütterle brachte gebratenes Hähnchen und Pommes frites, Salat und Gemüse.

»So, junger Mann«, sagte sie, als sie die Platten auf dem Tisch niedergesetzt hatte, »habe ich wohl deinen Geschmack getroffen? Fräulein Correll hat allerdings bestimmt, was ich kochen sollte.«

»Mein Lieblingsgericht!« sagte Robby, und seine Zunge glitt begehrlich über die Lippen.

Julia und Frau Schütterle lachten.

»Sehen Sie, ich dachte es mir«, sagte Julia. »Alle Kinder mögen das gern. Na, dann greif mal zu, Robby.«

Er war nicht zimperlich, sondern häufte sich seinen Teller ordentlich voll, als befürchtete er, jemand könne ihm etwas wegessen.

»Schaffst du das auch?« erkundigte sich Julia erheitert.

Er brachte seine Riesenportion wirklich hinunter, auch wenn es zuletzt langsamer ging. Julia selbst hatte nur wenig gegessen, sie achtete streng auf ihre Linie.

»Sind Sie denn auch satt?« fragte Robby verwundert, als sie ihr Besteck zur Seite legte.

»Ja, ich esse nicht so viel, ich muß schlank bleiben, weißt du.«

»Ich finde, Sie sind viel zu dünn«, meinte Robby unbekümmert. »Vielleicht finden Sie deshalb keinen Mann?«

»Dieser Junge«, kicherte Frau Schütterle, die immer mit Julia zusammen aß, so auch heute.

Julia lachte. »Das glaube ich nicht, Robby, die meisten von ihnen mögen schlanke Frauen viel lieber.«

Aber Robby schaute sie zweifelnd an.

»Sonst sind Sie aber sehr hübsch«, meinte er gedankenvoll nach einer Weile, während er seinen Nachtisch noch genüßlich in sich hineinlöffelte.

»Danke, das ist ein schönes Kompliment«, lächelte Julia.

Nach dem Essen zeigte sie ihm das Haus und das Gästezimmer, das sie ihm von Frau Schütterle hatte richten lassen.

»Mensch, ganz für mich allein?« Er staunte und strich mit seiner rauhen Bubenhand unwillkürlich über das Bett.

»Hier sind genug Zimmer, da kann jeder allein schlafen.«

Robby schaltete die Nachttischlampe ein und aus. »Und wann muß ich die abends ausmachen?«

»Nun, wenn du müde bist, würde ich sagen.«

Robby grinste. »Oooch, müde bin ich eigentlich nie.«

»Heute werde ich dich schon müde bekommen, verlaß dich drauf. Das Buch, das du da siehst, habe ich dir hingelegt, da darfst du noch drin lesen, wenn du magst.«

Freudig griff Robby nach dem Band von Karl May. »Au, prima, das kenne ich noch nicht!«

»Liest du viel?«

»Ja, aber wir haben nicht so eine große Bücherei im Heim, und Karl May dürfen eigentlich bloß die Älteren lesen«, verriet er.

»Was wollen wir jetzt machen, was meinst du?« fragte Julia, als sie den Rundgang durch das Haus, das Robby weidlich bewunderte, beendet hatten. »Magst du gern Tischtennis spielen? Ich habe im Garten eine Platte. Wir können aber auch in den Zoo und anschließend vielleicht zum Flughafen fahren und ein wenig gucken, das ist auch sehr interessant.«

Robby überlegte. Es war so wunderbar, sich etwas aussuchen zu können, fand er. Im Heim gab es zwangsläufig selten Alternativen.

»Am liebsten würde ich…« Er zögerte.

»Na? Sag schon«, ermunterte ihn Julia.

»Am liebsten würde ich alles machen«, gestand er mit roten Ohren.

Julia lachte. »Das ist ein Wort. Also probieren wir jetzt erst einmal ein Tischtennismatch, und dann fahren wir zum Zoo.«

Auch im Heim gab es ein Tischtennisspiel, und Julia merkte sofort, daß ihr kleiner Gegenspieler nicht ungeübt war. Sie mußte sich regelrecht anstrengen, um ihm und seiner Behändigkeit gewachsen zu sein. Am Ende stand es drei zu drei, und Robby war stolz über seine Siege.

Dann fuhren sie zum Zoo. Hier kannte sich Robby aus, aber er war lange nicht dagewesen und genoß es sehr, die Tiere in ihren Käfigen zu beobachten. Wie allen Kindern machten ihm die Affen am meisten Spaß, er war kaum wegzubekommen.

»Ich hab’ auch ein Tier im Heim«, berichtete er, als sie anschließend zum Flughafen fuhren. »Einen Hamster aber bloß. Soll ich ihn mal mitbringen?«

Für ihn stand also fest, daß er wiederkommen würde, und Julia freute sich, daß es ihr nach so kurzer Zeit gelungen war, seine Zuneigung zu gewinnen. Oder war es am Ende nur das Vergnügen, das sie ihm bot? Nun, was es auch sein mochte, es war doch ein gutes Zeichen.

Auf dem Flughafen zeigte sich Robby hell begeistert, als sie von der Aussichtsterrasse die Düsenriesen landen und aufsteigen sahen.

»Au, das ist toll, da möchte ich, wenn ich groß bin, auch mal mitfliegen!« rief er so laut, daß die Umstehenden zu ihnen hinsahen. Etwas verwundert, denn die elegante Frau sah doch so aus, als ob ein Flug für sie und ihre Familie nichts Besonderes mehr war.

»Sind Sie schon geflogen?« wollte Robby von Julia wissen, und sie nickte. »Schon oft, Robby.«

»Ich glaube, ich werde doch lieber Pilot als Rennfahrer«, verkündete er gedankenvoll.

»Hast ja noch lange Zeit, dir das zu überlegen«, meinte Julia und strich ihm über den dunklen Schopf. »Und nun sollten wir wohl wieder nach Hause fahren, was?«

»Ins Heim?« kam es enttäuscht.

»Aber nein, morgen am Sonntag bist du doch auch noch bei mir. Da machen wir es uns im Haus gemütlich, einverstanden?«

Robby nickte.

»Klar. Haben Sie einen Fernseher?«

»Ja, hast du den übersehen? Sogar einen Farbfernseher.«

»Das ist prima, dann bleibe ich gern drin«, nickte er.

Oh, diese Kinder, dachte Julia, da waren sie wohl alle gleich. Schon Vickys kleiner Bub war mit seinen vier Jahren ein begeisterter Fernseher.

Bevor sie heimfuhren, spendierte Julia ihrem kleinen Begleiter noch ein Eis, das er im Nu verputzt hatte. Und zum Abendessen war sein Appetit bereits wieder groß, und er vertilgte eine große Portion Kartoffelsalat mit Würstchen.

»Willst du baden?« fragte Julia ihn, da sie sah, daß seine Augen wieder kleiner wurden.

»Eigentlich habe ich erst heute morgen geduscht«, erwiderte er zögernd, aber dann fiel ihm das wunderschöne weinrot gekachelte Bad ein, das er bei seiner Gastgeberin gesehen hatte, und er bekam doch Lust, in der großen Wanne herumzuplanschen. »Aber es kann ja nicht schaden, wenn ich noch mal bade«, setzte er deswegen rasch hinzu, und Julia mußte wieder einmal ein Lächeln unterdrücken.

»Gut, dann lasse ich dir Wasser ein, und du kannst dich derweil ausziehen.«

»Ganz?« fragte Robby erschrocken, und seine Hände gingen unwillkürlich dahin, wo man sie auf alten Bildern gelegentlich als Feigenblatt gemalt sah.

»Nein, nicht ganz, wenn du dich genierst«, sagte Julia möglichst gleichmütigen Tones.

»Aber – aber dann wird meine Unterhose ja naß«, wandte er verlegen ein.

»Na und? Dann trocknen wir sie über Nacht wieder«, lachte Julia.

Sie ließ Wasser ein und tat duftenden Badeschaum hinein, und Robby, dem solch ein Luxus ungewohnt war, ließ sich mit Wonne und Schaum und warmem Wasser umschmeicheln.

»Gell, das ist schön?« lächelte Julia.

»Hm«, machte Robby und blies Löcher in die umwogende Schaummasse.

Widerspruchslos ließ er sich dann ins Bett bringen. Julia deckte ihn zu, der in dem großen Bett doch noch sehr klein wirkte. Sie empfand es gerührt und hätte den kleinen Kerl am liebsten in die Arme genommen und herzhaft abgeküßt. Er weckte mütterliche Gefühle in ihr, und sie war glücklich darüber. Aber man mußte wohl vorsichtig sein und durfte ihn nicht gleich mit Zuneigung überfallen. So streichelte sie seine Wange und sagte ihm freundlich gute Nacht.

»Gute Nacht«, murmelte er schon halb schlafend mit ganz kleinen Augen.

»Ein liebes Kerlchen«, sagte Frau Schütterle, die Julia noch in der Küche aufsuchte, weil sie einfach mit jemandem sprechen mußte. Und Frau Schütterle war natürlich von ihren Absichten informiert.

»Ja, das finde ich auch«, nickte Julia und ließ sich auf einem Hocker nieder, zündete sich eine Zigarette an. »Er hat mir ja auch auf Anhieb gefallen seinerzeit. Die Heimleiterin sprach zwar von gewissen Schwierigkeiten mit ihm, daß er verschlossen wäre zeitweise und nicht immer leicht durchschaubar, aber ich finde das nicht. Für ein Kind, das immer nur in Heimen gelebt hat, finde ich ihn sehr normal und vergnügt. Sie hätten sehen sollen, wie er alles genossen hat heute!«

»Ich war skeptisch«, bekannte Frau Schütterle. »Sie haben es vielleicht bemerkt. Aber dieser Junge gefällt mir richtig. Wenn Sie sich für ihn entscheiden sollten, so werden Sie sicher viel Freude an ihm haben.«

»Ich mache mir keine Illusionen, schließlich machen auch eigene Kinder Sorgen, das gehört einfach dazu«, erwiderte Julia ernsthaft. »Aber wenn ich mich für ein Kind entscheide, dann für Robby, das steht fest.«

»Und heiraten wollen Sie nicht?« wagte Frau Schütterle die Frage, obwohl sie Julias Einstellung schon kannte.

»Man soll niemals nie sagen.« Julia lächelte. »Aber im Augenblick mag ich nicht, das steht fest.«

»Aber ob so ein kleiner Junge nicht auch einen Vater braucht?«

»Hat er jetzt einen? Da ist eine Mutter für ihn doch schon sehr

viel. Überhaupt eine Person die ausschließlich ihn liebt und die er lieben kann.«

»Sicher, da haben Sie natürlich recht«, antwortete Frau Schütterle, aber sie dachte, daß es doch schade sei, daß diese hübsche und liebenswerte junge Frau nicht ganz normal einen netten Mann und eigene Kinder haben sollte.

Julia legte sich – mit dem Ergebnis dieses Tages höchst zufrieden – auch früh schlafen, und sie träumte von Robby, der mit ausgebreiteten Armen auf sie zugelaufen kam.

*

In der nächsten Zeit verging kein Wochenende, an dem Robby nicht in der alten Villa in der Uhlandallee zu Gast war. Er und Julia wurden immer vertrauter miteinander. Es gab keinerlei Schwierigkeiten, und sogar Frau Beier zeigte sich überrascht, wie sehr Robby bereits seine Gefühle auf Julia konzentrierte.

»Er hat Sie schon sehr ins Herz geschlossen«, sagte sie, als Julia ihn eines Samstags wieder abholen wollte. »Er wartet eigentlich nur noch auf die Wochenenden und ist in Gedanken oft bei Ihnen.«

Julia nickte. »Ich weiß, er macht auch mir gegenüber immer weniger ein Hehl daraus, und ich bin sehr glücklich darüber. Ich finde deshalb, es wäre doch an der Zeit, daß ich die Pflegschaft beantrage, meinen Sie nicht? Würden Sie es unterstützen?«

»Ja, das würde ich«, sagte Frau Beier sofort. »Wenn Sie wollen, kann ich es für Sie in die Wege leiten. Es wird eine Fürsorgerin zu Ihnen kommen, man wird überhaupt Ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse prüfen, und das dauert ja auch eine gewisse Zeit.«

»Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte Julia dankbar. »Dann darf ich Robby also fragen, ob er einverstanden ist? Und was meinen Sie, sollte ich auch gleich von der geplanten Adoption sprechen?«

Frau Beier überlegte. »Doch, das können Sie ruhig«, meinte sie dann. »Nur verhehlen Sie ihm bitte nicht die Schwierigkeiten, die man Ihnen machen könnte, weil Sie eben unverheiratet und auch noch ziemlich jung sind. Damit er nicht zu enttäuscht ist, wenn es nicht klappt oder man noch warten möchte, bevor man die Genehmigung erteilt. Sie wissen ja, man soll einem Kind nie etwas vormachen. Robby ist in einem Alter, da er Hemmnisse und Schwierigkeiten durchaus schon begreift.«

»Ich weiß«, nickte Julia, »und ich habe schon selbst erfahren, daß er recht verständig sein kann.«

Sie besprachen noch die notwendigen Formalitäten, und dann holte Julia sich ihren künftigen kleinen Pflegesohn, der freudig auf sie zustürzte.

»Ich habe schon gewartet!« rief er mit einem winzigen Vorwurf in der Stimme.

»Ich war erst noch bei Frau Beier«, erklärte ihm Julia und nahm seine Hand. »Aber nun komm!«

Heute nahm ihn Julia mit ins Arbeitszimmer.

»Wir zwei müssen etwas besprechen«, erklärte sie und machte ein geheimnisvolles Gesicht.

»Ja?« Robby sagte es plötzlich mit ganz dünner Stimme. Er hoffte natürlich, daß Julia ihn für immer zu sich zu nehmen wünschte, aber gesagt hatte sie es in diesen Wochen nie, und so war er nicht sicher, was kommen würde. Nur seinen kleinen Kameraden gegenüber hatte er sich dessen schon gebrüstet, als sei es eine beschlossene Sache. Nun begann sein Herz jedoch zu klopfen.

Julia setzte sich auf die Couch in der Sitzecke und zog ihn neben sich.

»Wir kennen uns doch nun schon recht gut, nicht, Robby?« begann sie.

Dieser nickte bloß.

»Gefällt es dir bei mir? Ich meine, du kommst doch gern her – oder?«

»Ja.« Mehr brachte Robby nicht heraus.

»Würdest du für immer bei mir bleiben wollen, Robby?« fragte Julia, und ihre Stimme schwankte nun auch ein bißchen vor Erregung.

Robby nickte, sah sie aber nicht an.

»Weißt du, du mußt ganz ehrlich sein, Robby, das ist wichtig«, fuhr Julia eindringlich fort. »Sieh mal, es ist ein Unterschied, ob man jemanden hin und wieder gern besucht oder ob man bei ihm leben will. Zum Beispiel, ich besuche meine Freundin Vicky, die du ja auch kennengelernt hast, sehr gern, sie ist ein sehr lieber Mensch und meine beste Freundin. Trotzdem möchte ich nicht bei ihr in ihrer Familie leben. Auch wenn sie mich darum bitten würde, müßte ich ihr das ganz offen sagen. Und genauso ehrlich sollst du sein, ich würde es dir keineswegs übelnehmen.«

»Aber ich will wirklich«, sagte Robby und sah nun auf, und sie las in seinen Augen, daß er nichts anderes wünschte.

Eine Rührung ohnegleichen bemächtigte sich Julias, aber sie nahm sich zusammen.

»Und du meinst, du würdest alle deine Kameraden aus dem Heim nicht vermissen? Hier bist du allein, bedenke es. Natürlich gehst du in die Schule und wirst neue Freunde finden, mit denen du ja auch nachmittags zusammensein kannst. Trotzdem wird alles sehr neu und ungewohnt für dich sein, darüber mußt du dir im klaren sein. Ich will schließlich nicht, daß du enttäuscht bist und am Ende lieber zum Heim zurück möchtest, weißt du. Meinen Beruf übe ich nur noch nebenbei aus, und ich habe auch viel Zeit für dich, aber eben nicht immer wie die Tanten in eurem Heim.«

»Wollen Sie mich denn richtig haben?« fragte Robby, ohne auf das Gesagte einzugehen.

Julia legte den Arm um seine Schultern und zog ihn nahe zu sich heran. »Ja, Robby, das möchte ich! Ich möchte auch versuchen, dich zu adoptieren, obwohl Frau Beier mir erklärt hat, daß es schwierig werden würde. Ich bin unverheiratet und auch noch ziemlich jung. Aber wir wollen alles versuchen, denn – denn ich mag dich sehr gern, Robby. Ich bin außerdem auch allein, und wenn wir zwei zusammen…« Sie kam ins Stocken, weil ihre Gefühle sie nun doch übermannten.

»Wenn man die Adoption erlaubt, sind Sie dann meine… Mutter?« fragte Robby.

Es klang einfach drollig, und Julia mußte lachen.

»Ja, du Lausbub, das wäre ich dann!« rief sie und zog ihn plötzlich in ihre Arme und küßte ihn herzhaft auf beide Wangen.

Bei dieser ersten und noch dazu recht stürmischen Zärtlichkeit stand Robby zunächst steif wie ein Stock. Julia glaubte schon, sie sei zu voreilig gewesen. Doch dann legte er die Arme um ihren Hals und verbarg sein Gesicht an ihrer Brust.

»So eine hübsche Mutter hat dann keiner auf der ganzen Welt«, murmelte er undeutlich. Aber Julia verstand ihn dennoch und umschlang ihn ganz fest. In dieser Minute schwor sie sich, daß sie immer ihr Bestes tun und geben wollte, um dieses Kind zu einem glücklichen Menschen zu machen!

*

Einen Monat später hielt Robert Hansen – der kleine Robby – seinen Einzug in der Villa in der Uhlandallee. Es war alles erheblich schneller und reibungsloser vonstatten gegangen, als Julia und Frau Beier erwartet hatten. Nun war Julia also Robbys Pflegemutter, und die Aussichten für eine Adoption standen nicht einmal schlecht, wenn die Probezeit gut verlief. Natürlich war alles nach Vorschrift gegangen. Die Auskünfte, die die Fürsorgerin eingeholt hatte, waren wohl sehr günstig ausgefallen.

»Du bist mein schönstes Geburtstagsgeschenk«, sagte Julia zu Robby, als er zwei Tage vor ihrem dreißigsten Geburtstag zu ihr kommen durfte.

Robby strahlte. Wann hatte jemals ein Mensch sich über sein Vorhandensein gefreut!

»Feiern wir auch?«

»Ein bißchen schon. Tante Vicky und ihre Familie müssen wir einladen, denn sie war es schließlich, die mich auf die Idee brachte, zu euch ins Heim zu gehen.«

»Sie ist nett«, meinte Robby.

Glücklich nahm er dann von seinem neuen Reich Besitz, das Julia ihm in dem Gästezimmer, das er schon bei seinen Besuchen bewohnt hatte, eingerichtet hatte. Nun waren Regalschränke und ein Schreibtisch hinzugekommen und die Spielsachen, die Julia ihm im Laufe der vergangenen Wochen schon geschenkt hatte, fanden ihren Platz.

»Toll!« sagte er schließlich, vor dem Regal stehend, in dem Bücher und kleinere Gegenstände ihren Platz gefunden hatten. »Gucken Sie mal, wieviel ich habe!«

»Du, Robby, ich muß dich etwas fragen.«

»Ja?« Gespannt sah er sie an.

»Weißt du, ich habe mich gefragt, wie du mich eigentlich jetzt anreden könntest. Frau Correll, wie klingt denn das, wo du schließlich mein Pflegesohn bist. Tante Julia gefällt mir allerdings auch nicht, aber deine Mutter bin ich noch nicht. Was machen wir denn da bloß? Weißt du nicht, was für eine Lösung wir finden können?« Erwartungsvoll schaute Julia ihren Schützling an.

»Ich finde Tante Julia auch doof, das erinnert mich so an eine Heimtante«, sagte Robby wie aus der Pistole geschossen. »Und Mutti oder Mama darf ich noch nicht sagen, wie Sie meinen. Und ich… ich bin es ja auch gar nicht gewohnt… das zu sagen«, setzte er verlegen hinzu.

»Wie wäre es, wenn du einfach Julia und du sagen würdest?« Julia lächelte. »So alt bin ich ja schließlich noch nicht, das getraust du dich doch sicher?«

Robby nickte. »Hm, ja.«

»Also abgemacht? Wollen wir Brüderschaft trinken wie die Erwachsenen, wenn sie sich duzen wollen? Komm!« Sie zog ihn mit sich, und unten im Wohnzimmer holte sie aus ihrer Hausbar eine Flasche, schenkte aus ihr etwas in zwei Gläser.

»Trinken wir denn jetzt richtig Schnaps?« fragte Robby beeindruckt.

»Nein, es ist Fruchtsekt, und von dem darf sogar ein kleiner Junge wie du ausnahmsweise schon mal ein paar Schlückchen sich genehmigen.« Julia lächelte und reichte ihm das Glas. »So, du mußt mich einhaken und alles austrinken. Prost, mein Kleiner!«

»Prost… Julia!« sagte Robby noch ein bißchen zögernd, aber sein Glas ließ er kräftig gegen das ihre klingen, und den prickelnden Inhalt trank er ohne abzusetzen in einem Zug aus.

»Schmeckt gut«, erklärte er und kam sich ungeheuer erwachsen vor.

»So, und nun gibt man sich einen Kuß, und dann ist es ganz vorschriftsmäßig.« Julia küßte Robby herzhaft auf die Wange, und er machte es ihr nach.

»Soll ich mich mit Frau Schütterle auch duzen?« fragte er, anscheinend auf den Geschmack gekommen.

»Ach nein, die ist schon zu alt und würdig. Ich sage ja auch Frau Schütterle zu ihr.«

Das sah Robby ein. Aber er vertraute sich der freundlichen Frau am nächsten Tag mit seiner ersten Sorge an.

»Die Frau… die Julia«, verbesserte er sich schnell, »hat doch morgen Geburtstag, und ich habe gar nichts zum Schenken«, sagte er, als er ihr in der Küche einen Besuch abstattete. »Mein Taschengeld, das ich noch im Heim bekommen habe, ist leider alle, weil… na ja, es war ja auch nicht viel«, überging er dann großzügig den Grund für die Ebbe in seiner Kasse.

»Weißt du was, ich leihe dir etwas«, bot ihm die freundliche Wirtschafterin an. Sie hätte ihm zwar gern Geld geschenkt, aber sein erstes Geschenk für seine junge Pflegemutter würde er bestimmt aus eigenen Mitteln erwerben wollen, so gut glaubte sie ihn schon zu kennen.

»Au, das wäre aber nett«, sagte er strahlend, doch dann wurde sein Gesicht gleich wieder ernst. »Aber was kaufe ich ihr denn?«

»Na, überlege mal.«

»Vielleicht Blumen.«

»Die sind natürlich nie verkehrt.«

»Vielleicht Bonbons oder Schokolade?«

Frau Schütterle lachte.

»Weil du die selbst gern magst, was, du Schlingel? Du weißt doch, die Frau Correll achtet auf ihre schlanke Linie. Weißt du was, ich nehme dich nachher mit zum Einkaufen, und da schaust du dich mal um. Frage nur gleich, ob du mitdarfst.«

Da war Robby natürlich einverstanden, und Julia erlaubte es ihm lächelnd, als er ihr den Grund sagte.

Zum ersten Mal durfte Robby in seinem Leben ein Geschenk ganz selbständig aussuchen, und er tat es mit Feuereifer. Tausend schöne Dinge fielen ihm während eines Rundganges durch ein Kaufhaus ins Auge, und Frau Schütterle mußte ihn immer wieder an seine geringen Mittel erinnern, weil ihm nichts gut genug war. Schließlich fanden sie ein wunderhübsches Pillendöschen für die Handtasche, mit dem auch Frau Schütterle einverstanden war. Daß sie heimlich der Verkäuferin noch zum Kaufpreis dazugab, merkte Robby zum Glück nicht.

Als Robby Julia das Päckchen überreichte und sie in sein gespanntes Gesicht sah, da hätte sie auch über das unnützeste Ding noch Freude empfinden müssen, aber das brauchte sie gar nicht, denn das hübsche Döschen gefiel ihr wirklich

sehr.

»Aber das muß doch teuer gewesen sein«, sagte sie erstaunt, nachdem sie sich zuerst einmal freudig bedankt hatte. »Hattest du denn so viel Geld?«

»Frau Schütterle hat es mir geborgt«, gestand Robby mit rotem Kopf. Und seine Ehrlichkeit freute Julia fast noch mehr als sein Geschenk.

Am Nachmittag kamen die Fabians mit Thomas, der Robby gleich mit Beschlag belegte.

»Na, zufrieden, frischgebackene Mutti?« fragte Peter Fabian schmunzelnd, als die Kinder in Robbys Zimmer verschwunden waren.

»Ich bin glücklich!« bekannte

Julia überschwenglich. »Wirklich, Vicky, ich muß es immer wieder sagen: dein Rat war der beste, den du mir geben konntest! Sicher, ein eigenes Baby wäre auch schön, aber es wäre zu kompliziert gewesen, und außerdem ist es schön, ein Kind zu haben, mit dem man schon reden kann und das glücklich ist, hier zu sein.«

»Tja, dieser Robby ist wohl auch ein Glücksfall«, meinte Vicky. »Er ist wirklich ein liebes Kerlchen, das muß ich zugeben, obwohl ich damals etwas skeptisch war. Wird die Adoption nun durchkommen?«

»Ich habe allen Grund, hoffnungsvoll zu sein.«

»Und das Theater hast du schon aufgegeben?« fragte Peter.

»Ja. Mein letzter Vertrag war ohnehin abgelaufen. Nun synchronisiere ich gelegentlich noch im Studio, um nicht ganz ohne Beschäftigung zu sein. Das heißt, ein Kind füllt natürlich auch aus«, fügte sie rasch hinzu.

»Heiraten solltest du trotzdem«, meinte Peter gedankenvoll. »Auch Robby könnte einen Vater gebrauchen, glaube mir. Es ist nun mal das Natürlichste, daß ein Kind Vater und Mutter hat.«

»Ihr Männer glaubt immer, ohne euch ginge es nicht«, scherzte Julia, und alle lachten.

Sie tranken Kaffee und aßen den leckeren Kuchen, den Frau Schütterle selbst gebacken hatte, wobei Robby wieder zeigte, welch ein unglaubliches Fassungsvermögen solch ein Jungenmagen besitzt.

*

Die Monate gingen dahin. Robby hatte sich vollkommen eingelebt, und Julia und ihn verband wirkliche Liebe. Sie hatte keinerlei Schwierigkeiten mit dem kleinen Jungen. Natürlich war er nicht immer musterhaft brav, aber das erwartete sie ja auch nicht von ihm. Jedes normale Kind hatte seine kleinen Unarten, so sah sie es, wenn er schon mal trotzig, unordentlich oder verspätet war. Durch die strenge Zucht im Heim konnte er die Freiheit, die er bei ihr doch genoß, halt nicht immer ganz abschätzen und schlug gelegentlich über die Stränge. Als er aber schließlich sah, wie groß die Sorgen waren, die Julia sich dann jedesmal machte, passierte es immer seltener. Er war aus Liebe zu ihr von rührender Einsicht.