Heinrich V. - Gerhard Lubich - E-Book

Heinrich V. E-Book

Gerhard Lubich

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Beschreibung

Den eigenen Vater, den Kaiser, warf er in den Kerker, mit Papst und Fürsten fand er immer wieder Einigungen im Kampf um die Macht. Wer war dieser Herrscher, der in einer unruhigen Zeit regierte und nach Jahrzehnten des Konflikts das Reich wieder in ein ruhiges Fahrwasser zu bringen versuchte, was waren seine Ziele, wie dachte und handelte er? Heinrich V. war der vierte und letzte Kaiser aus der salischen Dynastie. Das Geschichtsbewusstsein der Deutschen verbindet ihn mit dem "Wormser Konkordat", einer Zäsur im sogenannten Investiturstreit, der Rivalität zwischen Papsttum und Kaisertum um die Vorherrschaft - doch zeigt sein Leben die Spuren einer noch weiter greifenden Wendezeit. Gerhard Lubich schreibt die erste Biografie des letzten Salierkaisers.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Gerhard Lubich

Heinrich V.

Der letzte Salierkaiser

wbg Theiss ist ein Imprint der Verlag Herder GmbH

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Lektorat: Daphne Schadewaldt, Wiesbaden

Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang, Aachen, unter Verwendung

eines Ausschnitts aus: Evangeliar aus St. Emmeram in Regensburg,

Krakau, Bibliothek des Domkapitels, Cod. 208, fol. 1r.

Foto: © mauritius images/Historic Images/Alamy/Alamy Stock Photos

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau

ISBN Print: 978-3-534-61015-0

ISBN E-Book (EPUB): 978-3-534-61020-4

ISBN E-Book (PDF): 978-3-534-61019-8

Inhalt

Zum Geleit

I. Bilder

II. Anfänge: Taten und Kontext

III. Weichenstellung: Der Aufstand

IV. Das erste Jahr

V. An den Grenzen und darüber hinaus

VI. Das römische Rätsel

VII. Der kurze Sommer

VIII. Abwärts

IX. Das zweite Reich

X. Komplexe Konflikte

XI. Schwanengesang

XII. Der Untote und die Bilder

Nachbemerkung: Das »Ich« in »Heinrich«

Karten

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abbildungsnachweis

Über den Autor

Zum Geleit

Der im Evangeliar von St. Emmeran/Regensburg (frühes 12. Jahrhundert) abgebildete Herrscher ist nach Auffassung der Forschung der junge Heinrich V.

Als ich vor einem Jahrzehnt die Beiträge zu einer Bochumer Tagung zu Heinrich V. herausgeben durfte, vermerkte ich im Vorwort, dass man sich mit dem letzten Salierkaiser bislang nicht allzu sehr beschäftigt habe. Es fehlten, so meine Bestandsaufnahme, die Edition der Urkunden, Regesten – und eine Biographie. Zu diesem Zeitpunkt war nicht absehbar, dass das Unternehmen der Regesta Imperii weiter im Akademieprogramm bleiben und ich mit der Teilprojektleitung ausgerechnet der Regesten Heinrichs V. beauftragt werden würde. Auch zur Abfassung dieser Lebensbeschreibung bedurfte es eines Anstoßes von außen, den mein ehemaliger Bochumer Kollege Nikolas Jaspert gab, der auch den Kontakt zur Wissenschaftlichen Buchgesellschaft vermittelte. Dass ich durch diese beiden Impulse in die Lage versetzt wurde, das von mir angemahnte Defizit zur Hälfte selbst beseitigen zu müssen, mag man als Ironie der Geschichte (oder Geschichtswissenschaft) betrachten; zumindest aber sollte es allen als Mahnung dienen, die auf Forschungslücken hinweisen – man kann sich damit viel Arbeit aufhalsen.

Tatsächlich steckt in diesem Buch eine Menge Arbeit, die vor allem aus dem mühseligen Prozess bestand, einen geeigneten Zugang zu finden. Aufgegeben hatte ich einer Biographie Heinrichs im Vorwort des erwähnten Tagungsbandes, sie solle eine »Parabel über die Spannung zwischen Erneuerungswillen und Macht der Struktur« sein, eine ambitionierte Zielsetzung, die dem vorliegenden Buch nach wie vor unterliegt. Bei den verschiedenen Anläufen, des Stoffes Herr zu werden und ihm eine dem Vorhaben angemessene Struktur zu verleihen, stellte sich jedoch immer wieder heraus, dass andere Formen als eine Lebensbeschreibung zunächst einmal schlichtweg daran scheiterten, dass mir die bisherigen Erklärungen zu Heinrich, seinem Leben, seinem Verhalten, seinen Maximen nicht immer einleuchteten. Es lag daher nahe, nicht den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun und sich in erster Linie auf eine Beschreibung zu konzentrieren, die aber bereits die angedachten Spannungspunkte berücksichtigte. Das Ergebnis liegt mit diesem Buch vor, eine Art politische Biographie, ein Ausdruck gewählt im Wissen darum, dass für den heutigen Betrachter so säuberlich geschiedene Felder wie »Politik« und »Religiosität« in der behandelten Zeit ebenso wenig getrennt waren wie »Amtsführung« und »Charakter« oder »Öffentliches« und »Privates«.

Glücklicherweise war ich mit dieser Arbeit nicht allein, und dieses Buch hätte nicht geschrieben werden können ohne die Hilfe vieler Menschen. Ein erster Dank geht an das Bochumer Team: Jun.-Prof. Dr. Matthias Weber hat mir mit seinen gerade beendeten Arbeiten an dem ersten Faszikel der Regesten Heinrichs eine unschätzbare Grundlage dieses Buches zur Verfügung gestellt. Julia Andree M.Ed., Dr. Dirk Jäckel, Jan Lemmer M.A. und Katharina Wirth B.A. haben unermüdlich Entwürfe gelesen, recherchiert und diskutiert; das Register fertigten Florian Bramkamp und Helena Geitmann. Unter den zu Freunden gewordenen Kollegen möchte ich Caspar Ehlers, Florian Hartmann, Jochen Johrendt, Karl Ubl, Björn Weiler und Daniel Ziemann erwähnen, die mir mit bewundernswerter Geduld immer wieder für Gespräche zur Verfügung standen und mir die Möglichkeit gaben, meine Arbeiten in einem größeren Rahmen vorzustellen. Wenn ich Jürgen Dendorfer nicht in dieser Reihe genannt habe, dann nur, weil seine hervorragenden Arbeiten zu Heinrich V. und dem deutschen Adel, denen dieses Buch viel schuldet, einer besonderen Erwähnung bedürfen. Liesbeth van Houts, der ich für die Vollendung der Biographie Mathildes, der Gattin Heinrichs V., alles erdenklich Gute wünsche, danke ich für einen inspirierenden Austausch, wie ihn wohl nur zwei spezialisierte »Freunde der Familie« Heinrichs haben können. Ihr verdanke ich auch die Überlassung eines ungedruckten Manuskripts, ebenso Gerold Bönnen, Étienne Doublier, Jan Lemmer und Matthias Weber, deren Erkenntnisse ich zu berücksichtigen versucht habe. Ein besonderer Dank geht an das Deutsche Historische Institut in Paris, das mir vermittels der beispielhaften Einrichtung des Karl-Ferdinand-Werner-Fellowships die Möglichkeit eröffnet hat, in den Handschriften der Bibliothèque Mazarine nach neuen Überlieferungsspuren zum Frankreichzug Heinrichs zu suchen. Rolf Große möchte ich in diesem Zusammenhang für die jahrelange Verbundenheit und Gastfreundschaft danken, die jeden Besuch am Institut bereichert hat. Im Zuge dessen darf ich auch meinem Bochumer Kollegen Klaus Oschema bei der kürzlich übernommenen Verantwortung der Leitung des DHI eine glückliche Hand wünschen. Auch in meinem außerakademischen Umfeld stieß ich auf offene Ohren und Engelsgeduld, etwa bei Thomas Barth, Nadia Rinaldi, Gabriela Wachenhausen und den Holundergeistern (Ihr wisst, wer ihr seid).

Fast schon zum Topos am Ende solcher Einleitungen geworden ist der Dank an die Familie: Der Autor, der doch seine Kollegen vorangestellt hat, weiß um seine Dankesschuld für die von seinen Lieben in Kauf genommenen Abwesenheiten (zeitlich, örtlich, geistig), die er – gerne last not least – mit demonstrativ schlechtem Gewissen formuliert, um dadurch unausgesprochen (und unausgesprochen aussichtslos) Besserung zu geloben. Aber was soll man machen, wenn es so ist? Auch Topoi haben berechtigte Gründe. Also: Meinen Eltern, meiner Schwester Monika, meiner Frau und Freundin Irene, meinen Kindern Lewin und Selma – danke!

Dieses Buch ist meiner Mutter gewidmet, die kurz vor dessen Erscheinen verstorben ist.

Köln, Juli 2024 Gerhard Lubich

II. Anfänge: Taten und Kontext

Es mag wie ein Omen anmuten, dass gleich die Nachricht über Heinrichs Geburt mit großen Unsicherheiten behaftet ist. Ein Text vermeldet seine Geburt zum Jahr 1081, und diese Angabe wird in der Folgezeit von einer ganzen Reihe von Annalenwerken übernommen, die offenbar nicht über eigene Nachrichten verfügten. Mehrere Indizien weisen jedoch in das Jahr 1086, und die Forschung ist zum größten Teil diesen Hinweisen gefolgt.1 Die Geburt von Königskindern war kein Thema höchster Priorität in den oftmals im klösterlichen Umfeld entstehenden Geschichtswerken, die in erster Linie das Wirken Gottes in der Welt festhalten sollten. Überdies war Heinrich wohl nicht für die Nachfolge seines Vaters vorgesehen. Sein Bruder Konrad hatte schon 1074 das Licht der Welt erblickt,2 und man hatte ihn bereits als sehr junges Kind in die Reichsgeschäfte einbezogen: Bereits 1075 war es dem Vater gelungen, den Fürsten das Versprechen abzunehmen, Konrad zu seinem Nachfolger zu wählen.3 Im Jahr darauf erhob er ihn zum nominellen Herzog von Niederlothringen,4 und sogar an der gefährlichen winterlichen Alpenüberquerung zum berühmten Akt von Canossa nahm der knapp Dreijährige teil.5 Auch wenn Konrad die nächsten Jahre zumeist in Italien verbrachte, so war seine Person doch wiederholt Gegenstand der Reichspolitik. So bot sein Vater etwa an, ihn zur Aussöhnung mit den immer wieder aufständischen Sachsen in ein allein auf Sachsen begrenztes Königsamt einzusetzen.6 Hierzu kam es allerdings ebenso wenig wie zu der Ehe, die mit einer Tochter des normannischen Herrschers von Süditalien angebahnt werden sollte.7 Im Jahre 1087, im Jahr nach Heinrichs Geburt, kehrte Konrad dann in den nordalpinen Reichsteil zurück, wo man ihn am 30. Mai zum König wählte,8 was ihn zum »Mitkönig«, also zum Co-Regenten machte.

Trugbild einer harmonischen Dynastie: Heinrich IV. zwischen seinen Söhnen Heinrich V. und Konrad im Evangeliar von St. Emmeran/Regensburg

Die Jahre 1086 und 1087 waren, obwohl keine spektakulären Ereignisse zu verzeichnen sind, zwei bedeutende Jahre der Neuorientierung, zunächst einmal für die Königsfamilie. Die Geburt eines zweiten Sohnes, einer »genealogischen Reserve« für den Ausfall des vorgesehenen Thronfolgers, sorgte für mehr Gewissheit, was die Zukunft der Dynastie anging. Die Krönung Konrads gab dieser Aussicht eine konkrete Form. Es erscheint wie eine folgerichtige plakative Inszenierung, dass die Familie im Anschluss an die Krönung Konrads eine Urkunde in Speyer ausstellte, in der Konrad – nach den Eltern – erstmals mit dem Königstitel aufgeführt wird; Heinrich wird in diesem Diplom nicht erwähnt.9 Die Urkunde sollte die letzte sein, in der Königin Bertha Erwähnung fand, die bald darauf Ende 1087 starb.10 Ebenfalls in die Jahre 1086/1087 fiel wohl die Hochzeit der Agnes, der Tochter Heinrichs IV. und Berthas, mit dem Schwabenherzog Friedrich I. aus der Familie der Staufer. Diese Ehe hatte man aus recht handfesten politisch-militärischen Gründen schon deutlich früher vereinbart, nämlich als Heinrich IV. in den späten 1070er Jahren in schwere Bedrängnis geraten war, und schon damals den Staufer mit der jungen Salierin verlobt, was bereits als verbindliches Versprechen und damit als belastbare Bündnisgrundlage galt. Das heiratsfähige Alter hat Agnes jedoch wohl erst in der Mitte der 1080er Jahre erreicht.11

Die Abhängigkeit der Familienkonstellation von der politischen Lage tritt damit deutlich zutage: Mit Heinrich wurde ein weiterer Sohn geboren, ebenso nach einem herrscherlichen Vorfahren benannt wie sein älterer Bruder Konrad, der kurz danach zum Mitkönig gekrönt wurde, während man zur selben Zeit beider ebenfalls noch kindliche Schwester an einen Unterstützer des Vaters verheiratete. Konrad und Agnes kamen somit konkrete Funktionen als bereits amtierender Nachfolger beziehungsweise als Garantin für ein bedeutendes Bündnis zu. Die Rolle des neugeborenen Heinrich, dem nach dem Tod der Mutter keine familiäre Bezugsperson blieb, erscheint demgegenüber undefiniert. Eine gängige Praxis hierfür hatte sich nicht etabliert, aus dem schlichten Grund, dass es seit mehr als einem Jahrhundert nur einmal mehr als einen Königssohn gegeben hatte. Belegt ist lediglich Konrad, ein Bruder Heinrichs IV., der jedoch im Kleinkindalter verstarb, wobei man ihn bereits zum Herzog von Bayern eingesetzt hatte.12 Eine derartige Einbeziehung in die Herrschaftsstrukturen ist für Heinrich nicht belegt, und so bleibt vollkommen unklar, welche Rolle man ihm zuweisen wollte.

Dies mag damit zusammenhängen, dass die Position des deutschen Herrschers gerade in der Mitte der 1080er Jahre in mancherlei Hinsicht eigenartig, ja geradezu paradox war. Historiker, deren Distanz zum Geschehen und seinen Folgen sie mitunter klarer blicken lässt als die Zeitgenossen, sind sich darüber einig, dass das Reich den Höhepunkt seiner Macht bereits überschritten hatte. Noch an der Jahrtausendwende und in den Jahrzehnten danach beherrschte der deutsche König ein Gebiet von der Ostsee bis nach Süditalien, gegliedert in die drei Reiche Deutschland, Italien (ab 951/954) und Burgund (ab 1033); aus der Herrschaft über die Stadt Rom leitete sich zudem die Schutzgewalt über den Bischof der Stadt, den Papst, und damit auch über die römische Kirche ab, was im Kaisertum als Schutzmacht der Universalkirche seinen Ausdruck fand. Äußere Bedrohungen kannte das Reich kaum. Die Angriffe der Ungarn und Normannen, die noch im 10. Jahrhundert destabilisierend gewirkt hatten, hatte man nachhaltig abzuwehren verstanden, und die benachbarten Reiche konnten sich an militärischer Kraft kaum mit Deutschland messen, zumal sie oftmals mit internen Konflikten beschäftigt waren.

Paradoxerweise war es ebendiese mitteleuropäische Hegemonialstellung, die mittelbar zu einer Krise des Königtums führte. Aus zwei Richtungen heraus setzten unabhängig voneinander Entwicklungen ein, die schließlich den Bestand des Systems infrage stellen sollten. Einen ersten Bereich stellt ein rapider sozialer Wandel dar, der aus einem ökonomischen Umbruch resultierte. Der relative Frieden und der Wohlstand, den die Konstellation im Reich an der Jahrtausendwende bot, hatten sich recht schnell in einen Aufbruch auf vielen Ebenen übersetzt. Die Landwirtschaft erneuerte sich, die Bevölkerung wuchs und die (seit der Römerzeit) ersten neuen Städte nördlich der Alpen entstanden, mit ihnen das Bürgertum als neuer Sozialtypus. Zugleich veränderte sich die Herrschaft des Adels. Familien, die bereits seit Generationen unter Zuhilfenahme weitläufiger Verwandtenverbände geherrscht hatten, intensivierten und konzentrierten nunmehr ihre Herrschaftsausübung, indem sie die beherrschten Gebiete straffer organisierten und die Herrschaftsgestaltung zugleich stärker auf die engere Kernfamilie ausrichteten, sodass allmählich eine Vorform der dynastischen Landesherrschaft entstand. Plastischer Ausdruck dieses Wandels war die Anlage weithin sichtbarer Höhenburgen, mit denen zugleich die familiäre Identität dieser »Adelshäuser« zusammenhing: Man benannte sich nach den Burgen, zeigte zugleich den Abstand zum »niederen« Volk, und man richtete geistliche Gemeinschaften ein, die eine Grablege für die Mitglieder des Hauses vorhielten und für das Andenken (memoria) der Familie sorgten. Diese Selbsterhöhung des Adels strahlte wiederum auf weitere Felder aus. So reichte etwa die Zahl dieser durchaus selbstbewussten »Adelshäuser« nicht aus, die angewachsene Bevölkerung zu regieren; mit den »Ministerialen« formierte sich eine neue Schicht unterhalb des alten Adels, wobei nunmehr Könige, aber auch Bischöfe und Adlige diese Dienstleute mit der Wahrnehmung von Herrschaftsrechten betrauten. Eine neue Schicht schob sich so zwischen die traditionell als die »Arbeitenden« betrachteten Bauern und die adligen »Kämpfer«, Ersteren durch Herkunft, Letzteren durch Funktion verbunden. Zugleich strebte der Adel jetzt stärker nach politischer Mitbestimmung. Dies war keineswegs ein Novum, zumal der Charakter des Königtums als (gewiss dynastisch verschränktes) Wahlkönigtum ohnehin eine Mitwirkung garantierte und eher Versammlungen (die schwierig auseinanderzuhaltenden »Reichstage« oder »Hoftage«) denn einsame herrscherliche Entscheidungen den Gang der Politik bestimmten. Doch wird seit der Mitte des 11. Jahrhunderts spürbar, dass Fürstengruppen, oftmals in regionalen Zusammenschlüssen, eigene Positionen formulierten und nicht mehr bereit waren, in allen Bereichen einen königlichen Vorrang hinzunehmen. Es galt, politische Lösungen zu finden, die König und Adel die jeweiligen Vorrechte (honores) beließen, zugleich aber aufeinander abgestimmtes Handeln im Interesse der Gemeinschaft ermöglichten. Diese Grundkonstellation, die seit der Karolingerzeit gegeben war, änderte sich nun merklich: Der selbstbewusster gewordene Adel emanzipierte sich aus der Position, Befehlsempfänger eines Autokraten zu sein, und wurde zum akzeptierten Handlungspartner im Rahmen einer immer wieder neu auszuhandelnden Herrschaft, trat also neben den König, der damit nicht mehr als einzige Instanz das Reich verkörperte.

Die andere bedeutende Entwicklung der Zeit betrifft eine neue Form der christlichen Religiosität, Ausläufer einer Kirchenreform, die im Reich seit der Jahrtausendwende spürbar wurde. Zunächst auf der Ebene der Klöster, später aber auch in der Weltkirche hatte eine rigoristische Tendenz Einzug gehalten, die unter dem Schlagwort der Freiheit der Kirche (libertas ecclesiae) eine reine, von der Welt unberührte Ausübung der religiösen Praxis einforderte, die man strikt regulierte. Im Laufe der Zeit wuchsen Sendungsbewusstsein und Einfluss dieser Reform. Zunächst forderte man neue, den formulierten Ansprüchen von moralischer Integrität und spiritueller Reinheit gerecht werdende Priester in den Dorfgemeinden, doch dauerte es nicht lange, bis dieselben Ansprüche an Bischöfe gestellt wurden, bis schließlich Reformer auf die cathedra Petri gelangten. Gerade durch die deutlich formulierte kategorische Trennung zwischen sakraler, der Kirche vorbehaltener Sphäre und weltlichem Bereich gerieten im Zuge dieses Prozesses jahrhundertealte Praktiken in die Diskussion. Dies betraf in besonderem Maße die Machtausübung der deutschen Herrscher, als Kaiser Schutzherren der römischen Kirche, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Insgesamt hatte sich im Verlauf der Zeit eine Art (früher gern als politisch konzipiertes System betrachtete) Kirchenhoheit der Könige etabliert, die nun ins Wanken geriet. Deutlich wird dies etwa an der Frage der Besetzung der Bischofsstühle, die der König bislang eher nach eigenem Gutdünken in personalpolitischem Interesse, aber nicht unbedingt unter Beachtung der kanonischen Regeln vorgenommen hatte – und das nicht nur in Bezug auf die weltlichen, sondern auch die geistlichen Rechte, die ein Bischof innehatte. Nachdem fraglich geworden war, ob der Herrscher nicht als Laie zu betrachten sei, der mit der Einsetzung, der »Investitur«, die ihm zustehenden Befugnisse überschritt, regte sich seit den 1070er Jahren zunehmend Widerstand, der allerdings erst in der Zeit um 1100 in eine konkrete theologische Debatte mündete. Hinzu trat ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion eher selten benannt wird. Die Bistümer dienten nicht nur als Ämter, mit denen politische Anhänger in die Königsherrschaft eingebunden werden konnten, sondern die Bischofsstädte stellten auch die Aufenthalts- und Regierungsorte der Herrscher dar, die keine feste Residenz hatten und ihr »Reisekönigtum« im Umherziehen ausübten. Diese vormaligen Ausgangspunkte königlicher Herrschaft wurden nun immer häufiger zu problematischen Orten, zumal nicht nur die Auswahl der Bischofskandidaten heikel werden konnte. Darüber hinaus war das wahlberechtigte Domkapitel ebenso zu berücksichtigen wie die wachsende und nach eigener politischer Stimme suchende Stadtbevölkerung. Hinzu kam das sich wandelnde bischöfliche Amts- und Selbstverständnis, das deutlicher die ordnungsstiftende, auf die Diözese selbst bezogene Funktion der Prälaten in den Mittelpunkt stellte.

Schon früh, nämlich in den 1070er Jahren, hatten sich beide Linien, also der soziale, besonders der auf der Ebene des Adels zu verzeichnende Wandel auf der einen, die kirchliche Reformbewegung auf der anderen Seite, in einer für das Königtum durchaus kritischen Heftigkeit vereint. Als Heinrich V. zur Welt kam, hatte sein Vater bereits Konflikte hinter sich gebracht, die aus dieser Verschränkung herrührten und den Bestand seiner Herrschaft grundsätzlich bedrohten, dabei aber erstaunliche »Nehmerqualitäten« an den Tag gelegt. Als Kind, das früh den Vater verloren hatte, war er von einer Fürstengruppe entführt worden. Als junger Herrscher hatte sein Versuch, Herrschaftsgrundlagen in Sachsen zurückzugewinnen, zu einem Bürgerkrieg geführt, dem, kaum beendet, die Auseinandersetzung mit dem Reformpapsttum folgte. Exkommuniziert leistete er in Canossa Buße, ganz so, wie es die Fürsten gefordert hatten, doch nur, um sich einem Gegenkönig gegenüberzusehen. Auch diesen überwand er, ebenso vertrieb er den Papst aus Rom, doch gewann er damit letztlich nur Schlachten, nicht aber unangefochtene, nachhaltige Autorität. Gerade in Sachsen, das er kaum mehr betrat, akzeptierten ihn die Fürsten so wenig wie ein Großteil der Christenheit die von ihm aufgestellten Gegenpäpste. Die Jahrzehnte vor der Geburt Heinrichs V. waren also gekennzeichnet von dramatischen Veränderungen, und in eine Phase der politischen Stagnation, die den großen Konflikten in den späten 1080er Jahren folgte, fällt dann die Neuordnung der Herrscherfamilie, die zu Beginn dieses Kapitel geschildert wurde: Der Thronfolger Konrad, der älteste Sohn Heinrichs IV., kehrte aus Italien ins nordalpine Reich zurück, um sich zum König wählen zu lassen. Was wie der Versuch einer politischen Konsolidierung wirkt, stand am Beginn der Auflösung der Herrscherfamilie. Konrad verblieb nur kurz im Norden. Bald nach seiner Rückreise im Herbst 1087 verstarb seine Mutter Bertha,13 was den jüngsten Sohn Heinrich, ein Kind noch, dessen Bedeutung ohnehin begrenzt zu sein schien, zu einer Halbwaise machte. Erwähnung fand er erst, als Heinrich IV. im Jahre 1091 das Angedenken an Bertha regelte. Die Urkunde zu dieser Schenkung wurde (wie eine weitere Schenkungsurkunde auch) ausdrücklich pro dilectione, aus Wertschätzung also, für den jüngsten Sohn ausgestellt,14 eine formelhafte Wendung, die allerdings nicht weiter Verwendung fand. Konkrete Perspektiven für Heinrich lassen sich daraus nicht ablesen.

Die Schenkung selbst war in Italien getätigt worden, wohin Heinrich IV. und sein gleichnamiger Sohn Konrad gezogen waren. Dort hatte sich eine neue Situation ergeben, die das Eingreifen Heinrichs IV. erforderte. Die Markgrafenwitwe Mathilde von Tuszien, deren immenser Grundbesitz sie zum wohl bedeutendsten adligen Faktor in Norditalien machte, hatte wieder geheiratet. Als alte Weggefährtin des Reformpapsttums – Canossa war eine ihrer Burgen – hatte sie Welf V. geheiratet, den mehr als 25 Jahre jüngeren Sohn des Bayernherzogs Welf, einen in der Zwischenzeit exilierten Anhänger des Gegenkönigs.15 Durch diese Verbindung zeichnete sich eine mögliche Koalition zwischen der süddeutschen und der norditalienischen Opposition ab. Dies erklärt den Italienzug Heinrichs IV., der dabei aber im selben Raum agierte wie sein designierter Nachfolger Konrad, der seit seiner Rückkehr nach Italien 1087 zunehmend eigenständig tätig geworden war. Im Jahre 1093 kam es zum offenen Bruch zwischen Vater und Sohn, ein schnell eskalierender, dann jedoch recht geräuschlos endender Konflikt. Er begann mit der Inhaftierung Konrads, dessen Flucht und eiliger Krönung zum König von Italien. Konrad verstand es zwar, schnell eine Anhängerschaft um sich zu sammeln, darunter selbst einige wenige Oppositionelle aus dem Reich, in erster Linie aber italienische Gegner des Vaters wie der erste Städtebund Norditaliens. Doch gelang es ihm nicht, diesen Anfangsschwung in eine effiziente Königsherrschaft zu übersetzen. Im Laufe der Jahre distanzierten sich immer mehr Gefolgsleute, Konrad fand sich zunehmend isoliert und ohne Einfluss. Er starb schließlich im Jahre 1101, nicht mehr als eine Randfigur in einem großen Spiel, das von Mächtigeren bestimmt wurde.16

Heinrich IV. war in dieser Zeit wieder im Reich und überließ den Sohn seinem Schicksal. Von Angeboten an Konrad, sich zu unterwerfen wie frühere aufständische Königssöhne, ist zumindest nichts überliefert. Heinrich IV. kümmerte sich zunächst darum, die Lage im Reich zu stabilisieren. Hierzu zählte, einen Ausgleich mit Welf I. von Bayern zu finden, was wohl dadurch erleichtert wurde, dass die Ehe zwischen Mathilde und dessen Sohn Welf nicht mehr existent war. Es folgte die Aussöhnung Heinrichs mit Welfs anderen Söhnen; Welf V. sollte mit Billigung des Herrschers seinem Vater bald als Welf II. im Bayernherzogtum folgen.17 Hinsichtlich Schwabens gelang es ihm, den status quo herrschaftlicher Zersplitterung zumindest in einen von ihm gebilligten Zustand zu überführen.18 Erst jetzt, an der Jahreswende 1097/1098, vier Jahre nach dem offenen Aufstand Konrads, lässt eine wenig konkret formulierte Nachricht der Hildesheimer Annalen die Tendenz erkennen, dass Heinrich IV. von seinem rebellischen Sohn Konrad abzurücken und seinen jüngeren Sohn Heinrich einzubeziehen bereit war.19 Im Februar 1098 folgte dann eine beachtenswerte urkundliche Erwähnung Heinrichs V., der sich als Intervenient für eine Schenkung Heinrichs IV. an Aachen verwandte, wobei ihm in dieser Funktion der eigentlich Konrad zustehende Königstitel zugeschrieben wurde,20 ohne dass er bereits durch die Fürsten gewählt und dadurch »offiziell« zum König erhoben worden wäre.