Herr Porz denkt einen ganzen Tag über die Freiheit nach - Markus Sprehe - E-Book

Herr Porz denkt einen ganzen Tag über die Freiheit nach E-Book

Markus Sprehe

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Beschreibung

Der kauzige Rheinländer Ottmar Porz nimmt die Tortur einer Schifffahrt auf sich, um ein lukratives letztes Geschäft abzuschließen. Doch darum soll es gar nicht gehen. Der Titel sagt, worum es geht. Hinzu kommen eine Hand voll Randfiguren, eine atemberaubende Landschaft und eine ebensolche Frau; eine heilige Weise.

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Seitenzahl: 60

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Buch

Der Titel sagt alles. Hinzu kommt nur noch eine Landschaft und eine Frau; eine weise Heilige.

Autor

Markus Sprehe wurde 1960 in Lechtingen, einer kleinen Gemeinde nahe bei Osnabrück geboren. Er lebt heute mit seiner Frau, dem Kater Janosch und zwei erwachsenen Kindern in der Stadt Bramsche.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

-1-

Er kam nicht als Tourist. Herr Porz hatte einen geschäftlichen Termin. Dabei war es sein Verhandlungspartner gewesen, der auf diesen ungewöhnlichen Ort insistierte. Und weil es um viel Geld ging, ja, man könnte meinen, dass sich dieses Zusammentreffen für Herrn Porz‘ Zukunft als richtungweisend entpuppen konnte, hatte er keine Einwände erhoben.

Er nahm die siebzig Kilometer weite Überfahrt von Cuxhaven in Kauf. Für einen Rheinländer ein durchaus mutiges Unterfangen. Zwei Stunden schändlicher Übelkeit lagen hinter ihm; wie entschädigend war aber der sich bereits aus der Ferne bietende Anblick: Ein roter Felsgigant, verwaist im schlickigen Meer; aus ihm steil aufragend, sich gebärdend wie ein Gigolo, gefeiert von den tanzenden Wogen der See.

Das Rauschen des Südwestwinds und das schrille Geschrei der gierigen Möwen durchdrangen Herrn Porz‘ Gehör. Im Südhafen ging er an Land und unterbrach seinen Gang nach wenigen Schritten auf der Kaje. Den Reisekoffer stellte er neben sich ab, um sein beigebraunes, kariertes Jackett zu richten. Dann sah er sich um und starrte noch einmal aufs Meer hinaus. Er schüttelte den Kopf, damit der leichte Schwindel, der ihn überkam, verschwinden würde.

Hätte er seinen Termin nur zehn Tage früher wahrnehmen müssen, so wäre das Seebäderschiff nicht in den Hafen direkt eingelaufen, sondern hätte außerhalb auf Reede gehen müssen. Während der Wintersaison von Oktober bis März verkehrte nur ein Seebäderschiff mit geringem Tiefgang, die Knud Knudsen. Sie fuhr den Südhafen direkt an. Das ersparte Herrn Porz das Ausbooten.

‚Das hätte ich nicht überlebt‘, dachte sich Herr Porz. In einem Gefühl der Erleichterung, aber auch, weil die Sonne noch kräftig wärmte, wischte er sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Hier stand er also auf der geschichtsträchtigen Insel Helgoland.

Beeindruckt, jedoch auch ungläubig stellte er für sich fest: ‚Auf einen solchen Ort für eine Geschäftsverhandlung kann auch nur ein Engländer kommen.‘

In der Tat hatte Herr Porz die Strapazen der Überfahrt wegen eines Mister Brannagh auf sich genommen, der, genau betrachtet, aus Wales stammte, was Herr Porz aber nicht über gewichten wollte. Für ihn waren die Menschen von der Insel ausnahmslos Engländer. Sie sprachen eine Sprache, die sie in der Schule neben ihrem häuslichen Kauderwelsch beigebracht bekamen. Was sollte man da unterscheiden zwischen Engländern und Walisern (oder Schotten)?

Linker Hand sichtete er vor Anker liegende Boote und Segelschiffe, vor sich den kalkweißen Südstrand, der in einer leichten, gezogenen Kurve nach Westen verlief. Dahinter machte er die Promenade aus, gesäumt von Hotels, und in deren Rücken nach Norden baute sich die steile Scholle des Oberlandes auf, prächtig und imposant zugleich.

Dies also waren die ersten Eindrücke, die Herr Porz gewann, als er sich fragte, ob Mister Brannagh vielleicht vorher bereits einmal hier gewesen war: „Ein schönes Fleckchen Erde, fürwahr“, nuschelte er, und kaum, dass er es ausgesprochen hatte, huschte ein bescheidenes Lächeln über sein Gesicht, „wie dumm von mir“, gestand er sich ein, „ein Felsmassiv diesen Ausmaßes mit Erde zu umschreiben.“

Herr Porz legte nun einmal Wert auf Feinheiten. Er selbst wollte sich so verstanden wissen. Jeglicher Verdacht von Oberflächlichkeit, sofern er gegen ihn gerichtet sei, wäre ihm unangenehm gewesen. Dass er hingegen so unkompliziert alle Bewohner der britischen Insel zu Engländern machte, stellte für ihn keine Oberflächlichkeit, als vielmehr eine Richtigstellung dar. So war er, Herr Porz, er wusste nun einmal eine ganze Menge; war ein emotionaler Mensch, der am liebsten logisch dachte.

-2-

Sankt Nicolai läutete zur Mittagsstunde, als Herr Porz das Foyer des Hotel Stadt Hamburg betrat, das an der Promenade gelegen war. Nach kurzer Orientierung bewegte er sich auf den Empfang zu, wo er von einem groß gewachsenen Concierge mit einem roten, hochgezwirbelten Schnurrbart begrüßt wurde, der auffällig blass im Gesicht, aber penibel glatt rasiert und überdies adrett gekleidet war. Einem Herrn Porz, der Oberflächlichkeit nicht leiden mochte, konnte nicht entgehen, wenn sich Jemand auf gepflegte Garderobe verstand. Der hagere Concierge, den Herr Porz auf etwa Fünfzig taxierte, hatte seine königsblaue Krawatte zu einem formvollendeten Victoria-Knoten gebunden.

Deshalb zog Herr Porz ein wenig die Mundwinkel hoch, wodurch sich ein Grübchen auf seiner rechten Wange bildete -ein untrügliches Zeichen für Anerkennung- bevor er dem Concierge seinen Namen nannte: „Porz. Ottmar Porz“, sagte er.

Der Empfangschef musterte ihn daraufhin, hob fast unmerklich eine seiner roten Brauen und sah dann in sein Buch, als wollte er das Gesicht mit einem Foto abgleichen. Herr Porz schielte über den Tresen, erhaschte einen Blick in das aufgeschlagene Buch, erkannte dort jedoch keine Fotografien, nur Namen und nahm wieder Haltung an.

„Ah, Herr Porz“, bestätigte der Concierge. Dabei zeigte er mit dem Zeigefinger auf eine Stelle in seinem Buch: „Ja, selbstverständlich, Herr Porz. Zwei Übernachtungen. Ist das richtig?“

So hatte es Herr Porz gebucht und gab dies zu verstehen. Den Concierge interessierte nun, ob Herr Porz bereits zuvor einmal Gast im Hotel Stadt Hamburg gewesen sei.

„Gott bewahre!“, entfuhr es Herrn Porz, was ihm einen verwirrten Blick des Concierge einbrachte, woraufhin Herr Porz entschuldigend mit den Händen wedelte und sich auf seine rheinische, hemmungslose Art über die ihm eigene Neigung zur Seekrankheit in ausgeprägter Form äußerte.

Der Concierge nickte kommentarlos und ließ Herrn Porz den Anmeldezettel ausfüllen. Während dieser Prozedur erklärte er die Gepflogenheiten des Hauses. Dann überreichte er Herrn Porz den Zimmerschlüssel, erklärte den Weg und verabschiedete sich vorerst mit den Worten: „Falls Sie Fragen haben, oder für den Fall, dass es etwas zu beanstanden gibt, stehe ich gern zur Verfügung. Mein Name ist Hansen. Nun, Herr Porz, wünsche ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt auf unserer Insel. Das Wetter soll sich halten.“

Herr Porz legte zum Gruß zwei Finger an die Schläfe: „Ay Ay“, sagte er schelmisch und sah auf das Namenschild am Jackett des Concierge. Emil Hansen stand dort in schwarzen Lettern auf Messing. Ein alter nordischer Name, den er sich einprägen wollte.

Wie er vor dem Spiegel stand, um sein volles, links-gescheiteltes, vom zurrenden Wind auf der Kaje etwas angegriffenes Haar zu richten, verharrte er für einen etwas ausführlicheren Blick auf sich selbst. Kurz streckte er die Zunge heraus: Lebendig rot. Kein Belag. Die Zähne glatt. ‚Das kann sich sehen lassen‘, mutmaßte Herr Porz und schrieb dem dezenten Gelbstich eine heimelige Noblesse zu. ‚Die Partie zwischen der Nasenwurzel und der Oberlippe ist kürzer als gewöhnlich‘, sagte er sich zum tausendsten Mal und erklärte sich mit den buschigen Augenbrauen einverstanden, die seine strahlenden grau-blauen Augen beschatteten. Glückselig stellte er fest, dass seine Gesichtsfarbe -und besonders nun durch den Einfluss der salzigen Luft- die Frische des Lebens bezeugte und nicht annähernd das leichenhafte Aussehen des Concierge Emil Hansen hatte, den er plötzlich ein wenig bedauerte, dann aber den Gedanken schnell vertrieb. ‚Das kann sich sehen lassen‘, konstatierte Herr Porz noch einmal. Er fand sich mit seinen achtundfünfzig Jahren durchweg annehmbar und bestaunte nun das kleine Grübchen auf der rechten Wange: ‚Das hat mir die Mutter hinterlassen‘.