Laubfärbung - Markus Sprehe - E-Book

Laubfärbung E-Book

Markus Sprehe

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Beschreibung

Herr K. leidet seit einiger Zeit unter dem Erfolgsdruck, nachdem die Firma, für die er als Handelsreisender tätig ist, kosten sparende Maßnahmen ergriffen hat, die insbesondere in Herrn K.’s Verkaufsgebiet zu starken Umsatzverlusten geführt haben. Herr K. sitzt in seinem Wagen und erinnert sich an die letzte Tagung der Außendienstmitarbeiter, während der ihm arg zugesetzt worden ist. Allen Mut zusammennehmend, verteidigt sich Herr K. in einer beherzten Stellungnahme. Seine Befreiung ist von kurzer Dauer, da er erkennen muss, dass die aalglatten Vorgesetzten selbst keine Fehler eingestehen und die Schuldfrage weiterhin im Raum steht. K. fühlt sich allein gelassen und seine Krise verschärft sich. Gegenüber seinen Kunden ist er ohne Selbstbewusstsein und eines Abends auf dem Heimweg erliegt er am Straßenrand einem Herzinfarkt. Herr Thrum unterdessen arbeitet an seiner Karriere und verschafft sich rücksichtslos persönliche Vorteile. Herr Veruggio, Herrn K.’s oberster Vorgesetzter, nimmt stellvertretend für die Firma an der Begräbnisfeier teil. Durch den Priester erfährt er einiges aus K.’s Leben, was ihn nachdenklich stimmt. Er zeigt seine menschliche Seite und Schuldgefühle. Als er, bevor er sich auf den Heimweg macht, nochmals zum Grab zurückkehrt, trifft er auf den Friedhofsgärtner, der sich als guter Freund des Verstorbenen zu erkennen gibt, ohne selbst zu wissen, dass er Herrn K.’s Vorgesetztem gegenüber steht. Herr Veruggio erlangt weitere Erkenntnisse, die sein Gewissen nochmals belasten. Obwohl er sein Verhalten in Frage stellt, steht für ihn fest, dass er die Verantwortung für die Firma übernommen hat. Im Geschäftsleben ist Menschlichkeit sekundär. Das stimmt ihn traurig, dass nur die Starken auf Dauer bestehen.

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Buch

Herr K. leidet seit einiger Zeit unter dem Erfolgsdruck, nachdem die Firma, für die er als Handelsreisender tätig ist, Kosten sparende Maßnahmen ergriffen hat, die insbesondere in Herrn K.’s Verkaufsgebiet zu starken Umsatzverlusten geführt haben.

Er sitzt in seinem Wagen und erinnert sich an die letzte Tagung der Außendienstmitarbeiter, während der ihm arg zugesetzt worden ist. Allen Mut zusammennehmend, verteidigt sich Herr K. in einer beherzten Stellungnahme. Seine Befreiung ist von kurzer Dauer, da er erkennen muss, dass die aalglatten Vorgesetzten selbst keine Fehler eingestehen und die Schuldfrage weiterhin im Raum steht. K. fühlt sich allein gelassen und seine Krise verschärft sich. Gegenüber seinen Kunden ist er ohne Selbstbewusstsein. Dann ereignet sich etwas, was der Eine nicht gewollt, der Andere nicht geahnt hat.

Autor

Markus Sprehe wurde 1960 in Lechtingen, einer kleinen Gemeinde nahe bei Osnabrück geboren. Er arbeitete viele Jahre als Werbegrafiker, bevor er nun seinen ersten Kurzroman veröffentlichte. Er lebt heute mit seiner Frau und einer gemeinsamen Tochter in der Stadt Bramsche.

Die in diesem Roman erwähnten Personen sind frei erfunden. Jedwede Ähnlichkeit mit existierenden Menschen wäre rein zufällig. Auch die Handlung ist rein fiktiv.

Gewidmet Jürgen P.…

Mein ist Dein

Dein ist Mein

Euch ist Uns

Uns ist Euch

Lasst uns Brüder sein

Lasst uns teilen

Lasst uns auch Schwestern sein

Einander lieben

Wie einst der uns liebte,

Jesus,

dem wir folgen sollten

Beseitigen wir Neid

Beseitigen wir Zorn

Beseitigen wir Hass,

der unsere Seele zerfrisst

Gemeinsam sind wir stark

Stark genug

Für den Frieden

Für die Ewigkeit

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

- 1 -

Der silbergraue Combi stand am Straßenrand. Herr K. saß auf dem Fahrersitz und löffelte einen Joghurt. Sein Blick verirrte sich in einem Maisfeld, das vor ihm lag und vor dem die schmale Straße in eine Linkskurve flüchtete.

Eine Fliege setzte sich auf seine Augenbraue. Herr K. pustete sie mit vorgestreckter Unterlippe beiseite. Radio machte ihn seit Monaten nervös, deshalb war es stumm.

Als er rülpste, roch es säuerlich, und Herr K. ließ die Fensterscheibe herunterfahren. Die Fliege strömte mit dem Geruch ins Freie.

Ein Traktor, der durch die Kurve tuckerte als gleichzeitig sein Mobiltelefon in der Freisprecheinrichtung klingelte, ließ ihn aufschrecken.

"Oh, nein", stöhnte er. Mit zitternder Hand betätigte er den Fensterheber. Der Bauer auf dem Traktor beäugte ihn neugierig und drehte sich noch einmal um, als er an dem silbergrauen Wagen vorbei war.

Herr K. erkannte die Nummer im Display als die Greiners. Mit vorgetäuschtem Selbstbewusstsein nahm er ab und meldete sich:

"Tag, Herr Greiner, wie geht es Ihnen? Was machen die Geschäfte?"

"Sagen Sie mal, K.", schallte es durch das Wageninnere, "wollen wir noch weiter Geschäfte machen, oder nicht?"

"Wieso, Herr Greiner, was ist geschehen?"

"Was geschehen ist? Das will ich Ihnen sagen: Ich habe Ihrer Dame im Innendienst, ich weiß nicht mehr, wie die heißt… Na, ja, auf jeden Fall habe ich gesagt, dass das Banner nicht so wichtig sei, aber die Papierrollen bräuchte ich unbedingt heute. Auch Ihnen habe ich das doch gestern am Telefon gesagt, stimmt's?"

"Ja", bestätigte Herr K. kleinlaut.

"Ja sagt er. Nun K., dann sagen Sie mir mal, wo ist denn nun meine Ware?"

"Ich verstehe das nicht, Herr Greiner, die Sachen sind gestern raus gegangen. Das hat mir Frau Kolbe bestätigt. Rausgeschickt mit unserer Hausspedition."

Herr K. spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Das Maisfeld verschwamm für Sekunden vor seinen Augen.

Herr Greiner wirkte trotz seiner Wut verzweifelt, und K.'s Hilflosigkeit war ihm zuwider.

"Was ist mit Ihnen, K., ich höre nichts mehr", fauchte Greiner spöttisch, "ich brauche die Rollen für den Auftrag eines Großkunden. Wissen Sie, was das bedeutet, K.?", fragte er.

"Ja", glaubte Herr K. zu wissen.

"Ach was, nichts wissen Sie", belehrte ihn Greiner, "aber lassen wir das. Sie sind der Ältere von uns Beiden, sonst hätte ich Sie jetzt durchs Telefon gezogen", sagte Greiner nun etwas gelassener. "Sehen Sie zu, dass ich noch heute meine Ware bekomme, dann können wir Freunde sein."

Und da machte Herr K. etwas, was ihn anwiderte: Er gab Zusagen, von denen er nicht wusste, ob er sie würde einhalten können. Welche Möglichkeiten hatte er schon - hier unterwegs. Er grübelte, bedauerte sich, beneidete andere, selbst den Bauern auf dem Traktor, und er legte so gar nicht Wert darauf, Greiners Freund zu werden.

Herr K. klebte auf seinem Sitz, stierte durch die Frontscheibe: Er hasste diese Mächtigen, diese skrupellos Unterdrückenden, obwohl er gern selbst mächtig gewesen wäre, das dachte er, aber nur, um der Unterdrückung entfliehen zu können, um aus dieser ganzen Scheiße raus zukommen.

Und wieder, wie so oft in letzter Zeit, verhedderte sich Herr K. in Tagträumen. Wieder fühlte er sich jung.

Nein, das geht nicht, dachte er, die Zeit ist längst vorbei. Das bringt doch alles nichts. Ich will ja raus aus dem Schlamassel. Ich brauche eine Möglichkeit für jetzt und heute. Ja…ja. Wie kann ich unabhängig werden. Ich kann doch nicht mehr jünger werden.

Herr K. begann, ohne dass er es selbst bemerkte, zu mogeln. Er verjüngte sich um nur wenige Jahre, in seinen Träumen war das möglich, und er bildete sich ein, dass alles, was er sah, Wirklichkeit sei. Er musste sich jünger machen, weil niemand in seinem Alter Karriere machen konnte. Eigentlich wusste Herr K., dass seine Chance vor Jahren dahin geschmolzen war, wie Eis etwa, das in der Sonne zu Wasser wird. Die Zeit hatte das Wasser fort gespült und es an anderer Stelle wieder zu Eis erstarren lassen. Die Chance für jemand anderen. Herr K. wollte das nicht wahr haben. Wie trist würde das Leben fortan sein, gäbe es nicht mehr das Licht, dem er sich zu nähern versuchte.

Karl-Heinz Schnellinger, dieser ausgebuffte Fußballprofi, der hat es richtig gemacht, dachte Herr K. und presste seinen leeren Joghurtbecher zusammen, oder Helmut Haller, auch der: Geh'n die nach Italien, sehr mutig. Fremde Sprache, fremde Menschen, alles fremd, aber die haben abkassiert, jawohl. Danach konnten die Leute sie gern haben. Nichts habe ich mehr von denen gehört. Was machen die überhaupt heute? Leben! Ja, wahrscheinlich nur leben. Ich hatte ja keinen Mumm. Mir war ja Öffentlichkeit immer suspekt, dachte Herr K.

Er kratzte sich am Kinn und wusste im selben Moment, das er deshalb auch nicht Musiker geworden war, oder Schauspieler. Das waren seine Wunschberufe in jungen Jahren gewesen. Die Tragik aber war, dass er immer das zu sein anstrebte, was er unmöglich sein konnte.

Ach, seufzte er, ich habe keinen Mumm. Mehr als drei Menschen um mich herum sind schon zu viel. Ach ja,…vielleicht schreibe ich mal ein Buch. Das kann ich verkaufen, ohne begafft zu werden, dachte er. Ein Buch schreiben kann man immer, auch jenseits der fünfzig.

Herr K. betrachtete sich im Rückspiegel. Er fand an seinem lichten krausen Haar nichts zu beanstanden. Die blauen Augen aber hatten einen müden Glanz und die Haut schimmerte fahl. Ich muss die Nasenhaare rasieren, dachte er.

Dann goss er sich aus der Thermoskanne Kaffee ein. Er wollte sich noch keine Gedanken über Greiners Ware machen.

Das Telefon klingelte. Meisel stand auf dem Display. Oh, Gott, entfuhr es Herrn K., nicht auch noch der. Er spülte seinen Kaffee herunter und nahm ab.

"Na, K., liegen Sie am See?", rief Herr Meisel. Er rief von unterwegs an, das hörte K. an den Fahrgeräuschen im Hintergrund.

"Nein, Herr Meisel", antwortete er gequält, "ich stehe am Straßenrand und habe gerade ein paar Telefonate erledigt. Ich bekomme gar keine…"

"Ja, ja, schon gut, obwohl,…ich meine im Hintergrund Wasser plätschern zu hören."

"Nein, nein." Herr K. entspannte sich.

"Wie auch immer", fuhr Herr Meisel fort, "sagen Sie mal, K., können Sie mir zu morgen noch zwei Rollen liefern? Ich habe gerade einen Auftrag geholt und bin auf dem Weg in meine Firma. Etwas Material habe ich noch, dann kann ich schon anfangen."

"Ja, Herr Meisel, das müsste sich machen lassen."

"Müsste? K., muss! Kommen Sie mir nicht mit müsste. Ja oder nein, sonst order ich das Zeug bei der Konkurrenz."

"Welches Material benötigen Sie denn, Herr Meisel, das muss ich schon wissen", verteidigte sich Herr K.

Herr Meisel überlegte einige Sekunden, bis er seine Unsicherheit überwunden hatte:

"Das, was ich letzte Woche bestellt habe, welches erst nach drei Tagen kam. Sollte auch am nächsten Tag da sein. Also, K., ja oder nein, morgen, definitiv?"

"Ja, Herr Meisel, ich schicke es per Express."

"Ihr Wort in Gottes Ohr." Herr K. wollte sich noch für die Bestellung bedanken, aber Meisel hatte bereits aufgelegt.

Herr K. wählte die Nummer vom Innendienst. Ein Tornado-Tiefflieger schoss derweil über das Maisfeld hinweg und übertönte das Tuten in der Freisprecheinrichtung. Eine Gruppe krächzender Stare stob verschreckt auseinander. Der Anschluss war besetzt. Jürgen K. trank einen Schluck Kaffee. Dann stieg er aus dem Wagen und zündete sich eine Zigarette an. Hastig sog er mit zusammengekniffenen Augen den Rauch ein. Er ging auf und ab, warf die Kippe weg und trat an das Maisfeld heran. Zielstrebig brach er sich einen reifen Kolben ab, schälte ihn und biss hinein. Aus dem Wageninneren hörte er das Klingeln seines Mobiltelefons, kümmerte sich aber nicht darum. Er nagte seinen Maiskolben kahl und urinierte anschließend an eine knorrige Eiche, die am Straßenrand emporragte. Die Schritte zum Wagen fielen ihm schwer. Die Gegend war menschenleer. Er war völlig allein, und so fühlte er sich auch. Allein gelassen mit seinen Herzstichen, die ihn seit Monaten quälten, verlassen von Gott; aber war das so? Hätte er nur an ihn gedacht, wie er es sonst tat.

Im Display stand ein Anruf in Abwesenheit. Herr K. sah nach: Hellerbach, ein Kunde, den er mochte, der ihm aber seine Zeit raubte. Hellerbach erzählte gern aus seinem Leben und jedes Mal endete die Geschichte in der Werkstatt in Allenstein, in der er während des Krieges die Wehrmachtsfahrzeuge warten musste. Herr K. hatte inzwischen das Interesse an der Lebensgeschichte Hellerbachs verloren. Was gingen ihn auch die Erlebnisse in der fernen Werkstatt während eines Krieges an, von dem er nichts wusste.

Das eine will man, das andere muss man, dachte Herr K. Solange er bestellt, muss ich das ertragen. Außerdem zahlt er pünktlich. Er drückte die Kurzwahltaste für Frau Kolbe im Innendienst. Kurz darauf meldete sich eine mädchenhafte Stimme:

"Kolbe. Hallo, Herr K. Ich glaube, heute hatte ich alle Außendienstler schon mal am Telefon. Wie geht es Ihnen?" Frau Kolbe lachte kurz und beherzt auf.

Albern, dachte K. "Na, ja", nuschelte er, "geht so." Aber es ging gar nicht. Im Bauch hatte er Steine und in Erwartung schlechter Nach-richten auf seine folgende Frage war die Stirn schweißnass.

- 2 -

Herr K. war nicht immer von dieser inzwischen andauernden pessimistischen Grundeinstellung beherrscht gewesen. Er fühlte sich verfolgt und gehetzt und verwundbar. Herr K. war angeschlagen, ein in die Ecke getriebenes Tier. Und instinktiv bäumte er sich gegen sein bedrohliches Schicksal auf, so wie ein Tier es getan hätte. Jedenfalls hatte er sich aufgebäumt, einmal, darüber war nur eine Woche vergangen.

Plötzlich war ihm alles egal gewesen. Er hatte einen Satz begonnen, den er beenden musste, weil alle Anwesenden ihn anstarrten.

- 3 -

Laubinger, ein Mitte-Dreißiger mit vorstehendem Kinn, betrat mit verwaschenen Jeans und ungepflegtem Sakko das Foyer des Tagungshotels. Unter dem Arm trug er eine berstende Mappe. Hektisch sah er auf seine Uhr: Acht Uhr fünfzig.

"Tach, alle zusammen", rief er, als er auf seine Außendienstkollegen zuschritt. "Ist das schon wieder ein viertel Jahr her, dass ich eure Missgestalten sehen musste? Das darf doch nicht war sein, was?"