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Steve ist sechzehn, und der Zauber der Weihnacht ist für ihn längst erloschen. Das jährliche Fotoshooting mit seinen Eltern für die Grußkarten ist nur ein lästiger Pflichttermin in dieser Zeit. Doch in diesem Jahr ist der Besitzer des Fotostudios krank. Er wird von David vertreten - einem Kunststudenten, der hinter der Kamera in eine eigene Welt einzutauchen scheint. Steve ist fasziniert von der Art, wie der junge Fotograf an seine Art herangeht. Als David ihn auffordert, vor der Kamera ganz er selbst zu sein, berühren sich ihre Welten für einen kurzen Augenblick. Danach geht David Steve nicht mehr aus dem Kopf, und er hat Glück: Nur wenige Tage später treffen sie sich erneut. Eine liebevolle Weihnachtsgeschichte über zwei Herzen, die sich nach einem Hauch winterlichen Zaubers sehnen.
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Seitenzahl: 80
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Wie die Eltern das wohl ihren Kindern erklären, dachte Steve, als er den dritten Santa Claus innerhalb weniger Minuten vor einem Geschäft im Stadtkern entdeckte.
Er lehnte seinen Kopf gegen die Nackenstütze. Die bunten Lichter der Weihnachtsdekorationen in den Straßen tauchten die helle Decke des Wagens in ein Meer aus Farben. In diesem Jahr hatten die Händler wirklich alles aus ihren Lagern herausgeholt, was leuchten, blinken oder anderweitige Effekte erzeugen konnte, um die Kunden auf ihre Läden aufmerksam zu machen.
Steve empfand diese Massen als zu viel. Mit sechzehn Jahren hatte Weihnachten seinen Zauber größtenteils verloren. Der Glaube an Santa Claus war längst erloschen, und der letzte Funken Magie, den der Dezember noch innehatte, wurde jedes Jahr von Steves Lehrern zerstört – mit etlichen Tests, die unbedingt vor Jahresende geschrieben werden mussten.
Sein Vater bog in die Tiefgarage der Shopping Mall von Port Cliff ab. Statt des bunten Schimmers erhellten nun grelle, weiße Leuchtstoffröhren die Umgebung. Steve lehnte sich vor und beobachtete die Automassen, die dicht an dicht in den Parkboxen standen.
Ein älterer Mann schaute sich suchend um, eine Frau lud Taschen in den Kofferraum, während sie mit der freien Hand den Kinderwagen neben sich schaukelte.
»Das wird jedes Jahr voller. Nächstes Mal gehen wir früher«, sagte Steves Mutter.
»Das hast du in den letzten Jahren auch schon gesagt, und am Ende wird es immer Dezember.« Sein Vater lachte, dann bremste er ab, um einen Wagen ausparken zu lassen. »Die Lücke ist eng, steigt ihr schon mal aus.«
Steve öffnete die Tür. Weihnachtsmusik aus furchtbar blechern klingenden Lautsprechern schallte ihm entgegen. Er wich ein paar Schritte zur Seite, damit sein Vater einparken konnte.
Ein kleines Mädchen an der Hand ihrer Mutter kam auf ihn zu. Sie trug eine Spielzeugkrone im Haar und blieb vor Steve stehen.
»Warum hast du einen Anzug an?«, fragte sie.
Die Mutter warf Steve einen entschuldigenden Blick zu. »Sprich nicht einfach Leute an, das ist unhöflich«, sagte sie zu ihrer Tochter und versuchte, sie mit einem sanften Zug mit sich zu ziehen.
Steve ging in die Hocke. »Wir lassen Fotos für Weihnachtskarten drucken«, antwortete er auf die Frage des Mädchens und zwinkerte ihr zu. »Du weißt ja, wie Erwachsene sind – die wollen immer, dass man besonders anständig aussieht.«
Die Kleine grinste und nickte wissend. »Du siehst schön aus.«
»Danke für das Kompliment, Prinzessin.«
Das Mädchen strahlte ihn an, löste sich von der Hand ihrer Mutter und machte einen Knicks, wie sie es wahrscheinlich von den Prinzessesinnen aus den Disney-Filmen kannte.
»Ich wusste gar nicht, dass du gut mit Kindern kannst«, sagte Steves Vater, der den Wagen in die Parkbox eingefädelt hatte.
»Kommt auf das Kind an«, erwiderte Steve. »Die Kleine war einfach nur neugierig gewesen.«
»Wo bleibt ihr denn? Wir sind knapp dran!«, rief seine Mutter, die schon auf dem Weg zum Fahrstuhl war.
Alle voll im Stress, dachte Steve, als er in die Gesichter der Mitfahrenden im Aufzug sah. Ihre Blicke gingen angestrengt ins Leere, aber hinter ihren Stirnen konnte Steve es deutlich arbeiten sehen.
Die Kabine stoppte, die Türen glitten zur Seite und öffneten den Weg in ein Wintermärchenhorrorland. Eine Welt aus sich überlagernder Musik der verschiedenen Läden sowie Deko, die von dezent und liebevoll bis furchtbar kitschig reichte. Die Menschen hatten hier entweder alle Zeit der Welt oder drängten sich abgehetzt durch die Menge.
Auf ihrem Weg zum Fotostudio kamen sie an einem Spielzeugladen vorbei. Ein älteres Paar stand mit zwei kleinen Kindern davor, die auf die ausgestellten Puppen, Actionfiguren und Plüschtiere zeigten.
Das würde Sarah sicher gefallen, dachte Steve und speicherte es gedanklich als Weihnachtsgeschenk für seine beste Freundin ab. Seit er sie kannte, spielte sie jedes neue Pokémon-Spiel direkt am Erscheinungstag. Steve hatte selbst nie Zugang zum Gaming gefunden, aber er hörte Sarah gerne zu, wenn sie von neuen Spielen schwärmte, und sie war froh, ihre Begeisterung jemandem mitteilen zu können.
Der Fotograf hatte sein Geschäft im letzten Eck der Mall. Hier ging es deutlich ruhiger zu. Neben dem Fotogeschäft gab es hier ein Reisebüro, das sich erfolgreich gegen den Onlinemarkt behauptete, einen Immobilienmakler, bei dem Steve noch nie einen Kunden gesehen hatte und einen Übersetzungsservice, der gefühlt immer geschlossen war.
Die Tür des Studios stand offen.
»Guten Tag«, rief Steves Vater in den leeren Vorraum.
»Bin sofort da!«, kam es von einer jungen, männlichen Stimme aus dem abgedunkelten hinteren Abschnitt des Ladens.
Steves Eltern sahen sich verwundert an. Der Inhaber war ein älterer Mann, ein paar Jahre vor dem Ruhestand. Bisher hatte er immer alleine gearbeitet.
Das hing da letztes Jahr aber noch nicht. Steve betrachtete das großformatige Foto auf Leinwand, das neben dem Tresen hing. Er war sich sicher, dass es von der Bushaltestelle auf den namensgebenden Klippen der Stadt aus aufgenommen worden war. Die ersten Sonnenstrahlen fielen zum Zeitpunkt der Aufnahme ins Tal und berührten den Wasserturm des verlassenen Industriegebietes. Es entstand der Eindruck, er sei ein Wächter, der über die Gebäude wachte, die der Mensch dem Verfall überlassen hatte.
Steve betrachtete es genauer und staunte über die Details, die man bei näherem Hinsehen entdeckte. Das Offensichtlichste fiel ihm jedoch erst auf, als er etwas zurücktrat. Das neue Port Cliff, das nach der wirtschaftlichen Krise auf der Nordseite des Flusses entstanden war, befand sich im Schatten. Der Fokus lag auf dem ursprünglichen Teil der Stadt – dem Industriegebiet und den »alten Vierteln« auf der Südseite des Flusses, die sich in den letzten Jahren zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt hatten.
Das Bild entsprach definitiv nicht dem, wie die Verantwortlichen die Stadt gerne nach außen hin präsentieren wollten.
»Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten.«
Ein junger Mann kam aus dem hinteren Teil des Ladens. Steve schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Er trug eine Sweatshirt-Jacke mit dem Schriftzug der Universität von Port Cliff.
»Familie Carter, wir kommen für die jährlichen Weihnachtsfotos«, antwortete Steves Vater.
»Ah! Schön, dass Sie da sind. Mein Name ist David Hanson. Der Chef ist seit Anfang der Woche erkrankt und er hat mich gebeten, ihn zu vertreten. Kommen Sie bitte mit nach …«
»Haben Sie dafür denn die entsprechende Erfahrung?«, fragte Steves Mutter und betrachtete David skeptisch von den blauen Haarspitzen bis zu den etwas abgenutzten Turnschuhen.
Wie peinlich! Steve hielt sich kurz die Hand vor das Gesicht und sah anschließend David entschuldigend an, wie es die Mutter des kleinen Mädchens bei ihm getan hatte.
»Sie können sich gerne zuvor ein Bild von meinen Arbeiten machen«, bot David freundlich an.
Wie kann er da so ruhig bleiben? Nichts an dem jungen Fotografen deutete darauf hin, dass er sich von Steves Mutter angegriffen fühlte. Entweder kannte er es schon, dass ihm, offenbar aufgrund seiner Optik und seines Alters, die Kompetenzen abgesprochen wurden, oder er hatte ein Selbstbewusstsein, von dem Steve gerne etwas abhaben wollte.
»Wenn Mr. Greene in Ihre Fähigkeiten Vertrauen hat, dann haben wir es auch«, griff Steves Vater ein. »Ich hoffe, er ist nicht ernsthaft erkrankt.«
»Nein, er wird ab Montag wieder hier sein.«
David hielt Steves Eltern den schwarzen Vorhang beiseite und ließ sie in den Fotobereich eintreten.
»Ich habe mir die Fotos vom letzten Jahr angesehen. Möchten Sie wieder etwas in der Art oder …«
»Natürlich, wie jedes Jahr«, fiel Steves Mutter David sofort ins Wort.
»Was würden Sie denn vorschlagen?«
Steve verkniff sich ein Grinsen, als seine Mutter die Lippen zusammenpresste und sein Vater sich offen an David wandte. Er empfand eine gewisse Genugtuung dem jungen Fotografen gegenüber.
»Ich zeige ihnen gerne ein paar Beispiele.« David ging zu dem schmalen Tisch, auf dem ein Laptop stand. »Wir hätten folgende Möglichkeiten.« Er rief einige Vorlagen auf und drehte den Laptop in den Raum hinein.
Aufmerksam betrachtete Steves Vater die Musterkarten. »Was hältst du davon?« Er zeigte auf ein Beispiel mit einem großen Foto in der Mitte und jeweils kleinen Porträts am Rand.
Seine Frau stand mit angespannter Haltung einen Schritt hinter ihm und schüttelte den Kopf. »Das ist zu persönlich für die Firma. Wir sollten es so machen wie immer«, antwortete sie bestimmend.
Steves Vater lächelte beschwichtigend. »Ja, und wie es meine Eltern schon getan haben und mein Großvater. Seien wir mal ehrlich, die Karten könnten wir in Schwarz-Weiß drucken lassen und man würde kaum einen Unterschied erkennen.« Er sah kurz zu David und nickte ihm zu. »Geben wir Mr. Hanson die Chance, ein bisschen frischen Wind in die Sache bringen.«
»Wäre es nur für die Familie, könnte ich mich ja damit anfreunden, aber für unsere Mitarbeiter?«, fragte Steves Mutter skeptisch.
»Wenn Ihnen das Sorgen macht, erstelle ich Ihnen gerne zwei verschiedene Karten.«
»Ein bisschen Trennung zwischen privat und geschäftlich ist sicher nicht verkehrt.« Nachdenklich legte Steves Vater den Finger ans Kinn und nickte. »Ja, wir machen das so.«
Die Nasenflügel von Mrs. Carter blähten sich auf, als sie tief einatmete. »Also gut, dann zwei Karten«, stimmte sie ihrem Mann widerwillig zu.
»Dann bereite ich alles vor, wenn Sie möchten, können Sie sich dort hinten noch einmal frisch machen.« David deutete in Richtung eines mannshohen Spiegels.
»Kämm dich«, wies Steves Mutter ihren Sohn an. »Deine Haare liegen schon wieder, als wärst du gerade erst aufgestanden.« Sie holte eine aufklappbare Bürste aus ihrer Handtasche heraus und drückte sie ihm in die Hand.