Herzen heilen – Klinik der Gefühle - Jana Velbrück - E-Book

Herzen heilen – Klinik der Gefühle E-Book

Jana Velbrück

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Beschreibung

Stell dir vor, du betrittst die hektische Welt einer Großstadtklink, wo medizinische Notfälle und menschliche Schicksale das Leben der Mitarbeiter bestimmen. Im Zentrum steht Anna, eine junge, ehrgeizige Assistenzärztin, die zwischen ihrem unerschütterlichen Berufsethos und der unerwarteten Nähe zu Christian, dem verschlossenen und charismatischen Chefarzt, hin- und hergerissen ist. Was als zaghafte Annäherung beginnt, entwickelt sich zu einer intensiven Verbindung – doch sowohl die Schatten ihrer Vergangenheit als auch die Herausforderungen der Klinik drohen, alles auseinanderzureißen.

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Seitenzahl: 205

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Vorwort

Stell dir vor, du betrittst die hektische Welt einer Großstadtklink, wo medizinische Notfälle und menschliche Schicksale das Leben der Mitarbeiter bestimmen.

Im Zentrum steht Anna, eine junge, ehrgeizige Assistenzärztin, die zwischen ihrem unerschütterlichen Berufsethos und der unerwarteten Nähe zu Christian, dem verschlossenen und charismatischen Chefarzt, hin- und hergerissen ist. Was als zaghafte Annäherung beginnt, entwickelt sich zu einer intensiven Verbindung – doch sowohl die Schatten ihrer Vergangenheit als auch die Herausforderungen der Klinik drohen, alles auseinanderzureißen.

Ein Leben hängt an einem seidenen Faden, und inmitten von Gerüchten, beruflichem Druck und den Unsicherheiten der Liebe wird Anna vor Entscheidungen gestellt, die alles verändern könnten.

Eine emotionale Geschichte über Liebe, Mut und die Zerbrechlichkeit von Vertrauen – mitten in der pulsierenden Welt eines Krankenhauses.

Über die Autorin:

Die Autorin Jana Velbrück wuchs in einer kleinen Stadt auf, wo Bücher und Geschichten schon früh zu ihrem Rückzugsort wurden. Inspiriert von den alltäglichen Momenten und der komplexen Dynamik menschlicher Beziehungen, begann sie, ihre eigenen Geschichten zu schreiben. Ihre Leidenschaft liegt darin, Figuren zu erschaffen, die mit ihren Stärken und Schwächen tief im Herzen ihrer Leser bleiben.

In ihrer Freizeit liebt Jana es, durch die Straßen größerer Städte zu schlendern, die Gespräche der Menschen aufzuschnappen und die leisen Dramen des Lebens zu beobachten. Diese Eindrücke fließen oft in ihre Werke ein und verleihen ihnen eine unverwechselbare Nähe zur Realität. Heute lebt sie in einer kleinen Wohnung mit Blick auf das geschäftige Treiben einer Stadt, die ihr immer neue Inspiration liefert.

Titel: "Herzen heilen – Klinik der Gefühle"

Kapitel 1: Die erste Nacht

Der Regen trommelte gegen die großen Glasfenster der St. Marien-Klinik, als Anna Becker mit klopfendem Herzen die Korridore entlanglief. Die Neonlichter warfen ein kaltes, flackerndes Licht auf die Wände, und der Geruch von Desinfektionsmittel drang ihr unangenehm in die Nase. Es war ihr erster Tag als Assistenzärztin in der Notaufnahme, und die Anspannung in ihr war beinahe greifbar. Die weiße Kitteltasche, in der sie ihr neues Stethoskop verstaut hatte, fühlte sich schwerer an, als sie es erwartet hatte. Jeder Schritt hallte auf dem sterilen Boden wider, und obwohl der Flur voller Menschen war, fühlte sie sich, als stünde sie allein im Mittelpunkt.

Anna straffte die Schultern und atmete tief durch. Das ist es, wofür du all die Jahre gearbeitet hast, sagte sie sich. Die Notaufnahme war der Ort, an dem sie sein wollte, wo sie Leben retten und beweisen konnte, dass sie all die langen Nächte und harten Prüfungen wert gewesen war. Dennoch spürte sie ein Kribbeln der Unsicherheit in ihrem Magen, ein leises Flüstern, das ihr sagte, dass dies eine Welt war, die sie noch nicht ganz verstand.

Die automatischen Türen zur Notaufnahme öffneten sich mit einem mechanischen Zischen, und das Chaos prallte auf sie ein. Stimmen überlagerten sich, Monitore piepten in verschiedenen Tönen, und die Dringlichkeit in der Luft war beinahe greifbar. Ein älterer Mann mit einer Atemmaske wurde auf einer Trage vorbeigeschoben, während eine Krankenschwester hektisch Anweisungen in ihr Funkgerät rief. Ein Kind weinte irgendwo in der Ecke, und eine Frau hielt es zitternd im Arm. Anna fühlte, wie ihr Herzschlag schneller wurde.

„Becker!“ Die Stimme war laut und durchdringend, und als sie sich umdrehte, sah sie einen großen Mann mit kantigem Gesicht auf sie zukommen. Seine dunklen Haare waren kurz geschnitten, und seine Augen musterten sie mit einer Mischung aus Neugier und Dringlichkeit. „Dr. Felix Braun, Oberarzt. Sie sind neu hier, oder?“

Anna nickte schnell. „Ja, ich bin Anna Becker. Assistenzärztin.“

„Gut, dann kommen Sie sofort mit. Wir haben einen Verkehrsunfall reinbekommen. Schwerverletzter, multipler Trauma-Alarm. Handschuhe an und los!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte er sich um und marschierte in Richtung eines Behandlungsraums. Anna beeilte sich, ihm zu folgen, ihre Gedanken rasten. Es war, als wäre sie in einen Strudel aus Bewegung und Lärm geraten, aus dem es kein Entrinnen gab.

Im Behandlungsraum lag ein Mann mittleren Alters auf der Trage. Seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig, und Blut durchtränkte sein zerfetztes Hemd. Seine Beine waren unnatürlich verdreht, und seine Augen waren halb geschlossen. Das medizinische Team bewegte sich um ihn herum wie ein gut eingespieltes Uhrwerk. Dr. Braun rief Anweisungen, während Krankenschwestern Infusionen legten und Geräte bereitstellten. Anna blieb kurz stehen, um das alles in sich aufzunehmen, dann zwang sie sich, sich zu bewegen.

„Thoraxdrainage“, rief Dr. Braun und blickte zu Anna. „Frau Becker, übernehmen Sie.“

Ihr Herz schlug bis zum Hals. Eine Thoraxdrainage. Das hatte sie schon oft geübt – an Puppen, an Modellen – aber jetzt war es ein echter Mensch. Blut. Schmerzen. Leben und Tod. Sie schluckte schwer und zog sich Handschuhe über. Ihre Finger zitterten leicht, als sie das sterile Instrument aufhob, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben.

„Keine Zeit zum Nachdenken, Frau Becker“, sagte Dr. Braun. Seine Stimme war streng, aber nicht unfreundlich. „Los jetzt.“

Anna atmete tief durch, bevor sie das Skalpell ansetzte. Der Schnitt fühlte sich viel realer an, als sie erwartet hatte, und das warme Blut, das aus der Wunde trat, ließ ihren Magen kurz rebellieren. Doch sie verdrängte den Gedanken und arbeitete konzentriert. Sie führte den Schlauch ein, und als das Zischen von Luft erklang, wusste sie, dass sie es richtig gemacht hatte. Der Brustkorb des Patienten begann sich wieder regelmäßiger zu heben und zu senken.

„Gut gemacht“, murmelte Dr. Braun, während er die nächsten Anweisungen gab. Doch bevor Anna sich entspannen konnte, erklang eine weitere Stimme, die den Raum zu füllen schien.

„Wie ist der Zustand des Patienten?“ Die tiefe, ruhige Stimme kam von der Tür, und als Anna aufsah, blieb ihr fast das Herz stehen.

Dr. Christian Wild. Der Chefarzt. Seine Anwesenheit war ebenso beeindruckend wie einschüchternd. Groß, schlank, mit einem perfekt sitzenden weißen Kittel und durchdringenden braunen Augen, die jeden im Raum zu durchbohren schienen. Er war bekannt für seine Brillanz, aber auch für seine unerbittliche Strenge. Anna hatte Geschichten über ihn gehört, über seinen Erfolg und seine distanzierte Art. Doch nichts hatte sie darauf vorbereitet, wie es sich anfühlte, ihn in Person zu erleben.

„Der Patient stabilisiert sich, aber er hat schwere Frakturen und braucht dringend eine Operation“, antwortete Dr. Braun.

„Gut.“ Dr. Wilds Blick fiel auf Anna, und für einen Moment fühlte sie sich, als würde er jede Unsicherheit, jede Angst in ihr erkennen. „Frau Becker, Sie haben die Drainage gelegt?“

„Ja, Herr Doktor.“ Ihre Stimme war leise, aber fest.

„Das war akzeptabel.“ Es war keine überschwängliche Anerkennung, aber sie spürte dennoch einen Hauch von Stolz in sich aufsteigen. Doch ebenso schnell war er wieder verschwunden. Dr. Wild wandte sich ab und verließ den Raum, ohne ein weiteres Wort.

Später, als der Patient in den OP gebracht wurde und der Raum wieder stiller wurde, blieb Anna einen Moment stehen. Sie lehnte sich gegen die Wand und atmete tief durch. Die Anspannung ließ nach, und sie spürte, wie die Erschöpfung sie übermannte. Es war erst ihr erster Tag, und doch hatte sie das Gefühl, mitten in einen Sturm geraten zu sein.

„Nicht schlecht für den Anfang.“ Die Stimme von Dr. Wild ließ sie zusammenzucken. Er stand plötzlich wieder neben ihr, die Hände in den Taschen seines Kittels. „Aber denken Sie daran, Frau Becker, dies ist kein Sprint. Sie müssen Ihre Energie einteilen.“

Anna drehte sich zu ihm um. Sein Blick war schwer zu deuten – kühl, aber nicht abweisend. Sie nickte langsam. „Danke. Ich werde es versuchen.“

Er nickte ebenfalls, knapp, fast mechanisch, und verschwand dann so schnell, wie er gekommen war.

Als Anna später durch den Regen nach Hause lief, konnte sie ihn nicht aus ihren Gedanken vertreiben. Warum hatte er so eine Wirkung auf sie? Und was verbarg sich hinter dieser distanzierten Fassade? Sie wusste nur eines sicher: Dies war erst der Anfang. Nicht nur für ihre Karriere, sondern auch für etwas, das sie noch nicht ganz greifen konnte.

Kapitel 2: Zwischen zwei Welten

Die Nacht war still, als Anna durch die dunklen Straßen nach Hause ging. Die Regentropfen, die an ihrem Schirm abperlten, wirkten wie kleine Kristalle im Schein der Straßenlaternen. Ihr Kopf war voller Gedanken, die sie nicht abschütteln konnte. Das Gesicht von Dr. Christian Wild hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Die Intensität seines Blicks, die kühle Autorität in seiner Stimme – all das schien sie wie ein Netz gefangen zu halten. Sie wusste, dass es unprofessionell war, sich von ihrem Chef derart beeindrucken zu lassen, doch es war, als würde sie ein unsichtbarer Faden zu ihm hinziehen.

Als sie endlich ihre kleine Wohnung betrat, fühlte sie sich wie in einer anderen Welt. Der vertraute Geruch von Vanillekerzen und die weichen Kissen auf ihrem Sofa boten einen scharfen Kontrast zum hektischen, sterilen Chaos der Klinik. Anna ließ sich erschöpft auf das Sofa fallen und zog ihre Beine an. Der Tag war körperlich und emotional herausfordernd gewesen, und doch verspürte sie einen Hauch von Stolz. Sie hatte ihre erste Thoraxdrainage gelegt, einen Patienten stabilisiert, und sie hatte das Gefühl, zumindest einen kleinen Eindruck bei ihrem Team hinterlassen zu haben.

Doch dann war da Dr. Wild. Sie konnte nicht genau sagen, warum er sie so beschäftigte. Vielleicht war es seine selbstbewusste Art, die sie sowohl einschüchterte als auch faszinierte. Vielleicht war es die Tatsache, dass er trotz seiner kühlen Fassade etwas in ihr auslöste, das sie nicht einordnen konnte. Oder vielleicht war es einfach die Tatsache, dass er ihr Chef war – unerreichbar, unergründlich, und gerade deshalb so reizvoll.

Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden, und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Doch selbst als sie später im Bett lag, hörte sie immer wieder seine Stimme in ihrem Kopf: Dies ist kein Sprint, Frau Becker. Es war fast so, als wäre er noch immer in ihrer Nähe, wie ein Schatten, der sie nicht losließ.

Am nächsten Morgen klingelte ihr Wecker viel zu früh. Die Müdigkeit lag schwer auf ihr, aber sie wusste, dass es keine Ausreden gab. Ein weiterer Tag in der Klinik wartete auf sie, und sie musste sich beweisen. Mit einem heißen Kaffee in der Hand und entschlossenen Gedanken machte sie sich auf den Weg.

In der Klinik herrschte wie immer geschäftiges Treiben. Patienten wurden eingeliefert, Ärzte eilten durch die Korridore, und das Piepen der Monitore bildete eine ständige Hintergrundmelodie. Anna hatte kaum Zeit, ihre Jacke in der Umkleide abzulegen, als sie von einer Schwester gerufen wurde.

„Assistenzärztin Becker? Sie werden in Behandlungsraum 3 gebraucht. Notfall mit unklarer Ursache.“

Anna nickte, schnappte sich ihr Stethoskop und eilte los. Im Behandlungsraum wartete bereits Dr. Braun, der eine Patientenakte durchblätterte. Auf der Liege saß eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig, die vor Schmerzen das Gesicht verzog. Ihr Atem ging flach, und sie hielt sich die rechte Seite ihres Bauchs.

„Blinddarmentzündung?“, fragte Anna, während sie sich die Handschuhe überzog und auf die Patientin zuging.

„Vielleicht“, murmelte Dr. Braun, ohne von der Akte aufzusehen. „Oder eine geplatzte Zyste. Sie machen die Erstuntersuchung, Becker.“

Anna nickte und begann, die Patientin zu untersuchen. Die junge Frau war blass, und ihr Puls war schwach, aber sie hielt tapfer still, während Anna ihren Bauch abtastete. Plötzlich verzog die Patientin vor Schmerz das Gesicht und krümmte sich zusammen.

„Ab in die Radiologie“, ordnete Dr. Braun an, und das Team setzte sich sofort in Bewegung. Anna blieb einen Moment zurück, den Blick auf die Patientin gerichtet, die nun von den Krankenschwestern begleitet wurde. Etwas in ihrem Zustand fühlte sich falsch an, als würde sie mehr verbergen, als sie zeigte. Anna konnte den Gedanken nicht abschütteln, doch sie wusste, dass sie der Erfahrung von Dr. Braun vertrauen musste.

Als sie später die Ergebnisse der Untersuchung durchgingen, trat Dr. Wild in den Raum. Sein Auftauchen war wie ein plötzlicher Stromstoß – die Atmosphäre veränderte sich, und Anna spürte, wie die Anspannung im Raum wuchs.

„Was haben wir?“, fragte er, ohne eine Begrüßung.

„Ein komplizierter Fall“, antwortete Dr. Braun. „Eine geplatzte Zyste, aber es gibt innere Blutungen, die wir uns nicht erklären können.“

Dr. Wild nickte knapp und studierte die Ergebnisse. Seine Augen huschten über die Bilder, und er schien die Situation mit einem einzigen Blick zu erfassen. „Bereiten Sie den OP vor. Frau Becker, Sie assistieren.“

Anna spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Es war eine Sache, in der Notaufnahme zu arbeiten, aber im OP neben Dr. Wild zu stehen, war eine ganz andere Herausforderung. Sie wollte sich beweisen, wollte ihm zeigen, dass sie das Zeug dazu hatte, in seinem Team zu bestehen. Doch sie konnte auch die leise Nervosität nicht ignorieren, die in ihr aufstieg.

Der OP-Saal war hell erleuchtet, und die sterile Atmosphäre verstärkte die Spannung. Anna zog sich die Maske über und stellte sich an die Seite von Dr. Wild. Er war konzentriert, seine Bewegungen präzise, seine Stimme ruhig und bestimmt. Während der Operation gab er Anweisungen, die Anna schnell und effizient umsetzte. Doch jedes Mal, wenn ihre Hände sich zufällig berührten, spürte sie eine elektrische Spannung, die sie ablenkte.

„Fokus, Frau Becker“, sagte er plötzlich, ohne sie anzusehen. Es war keine Kritik, sondern eine Erinnerung, und doch ließ es sie erröten. Sie atmete tief durch und zwang sich, ihre Gedanken zu ordnen.

Nach stundenlanger Arbeit war die Operation erfolgreich abgeschlossen. Die Patientin war stabil, und das Team begann, den OP zu verlassen. Anna blieb zurück, um ihre Gedanken zu sammeln. Sie spürte, wie die Erschöpfung in jede Faser ihres Körpers sickerte, doch sie war auch erfüllt von einem leisen Stolz.

„Nicht schlecht, Frau Becker“, sagte Dr. Wild, als er an ihr vorbeiging. Seine Stimme war ruhig, fast sanft, und zum ersten Mal glaubte Anna, einen Hauch von Anerkennung in seinen Augen zu sehen.

Als sie später allein in der Umkleide saß, konnte sie die Mischung aus Erleichterung und Erschöpfung kaum in Worte fassen. Doch inmitten all dessen blieb eine Frage, die sie nicht losließ: Was war es an Dr. Wild, das sie so sehr bewegte? Und was würde noch auf sie zukommen, in dieser Klinik, die ihr Leben auf so viele Arten veränderte?

Kapitel 3: Eine brüchige Fassade

Die Nacht schien endlos, als Anna das Krankenhaus verließ. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Tage in der Klinik immer länger wurden, und doch war da etwas, das sie immer wieder zurückzog. Die schweren Türen der St. Marien-Klinik schlossen sich hinter ihr, aber das leise Dröhnen der Notaufnahme hallte noch in ihren Ohren nach. Der Regen hatte aufgehört, doch die Straßen waren nass und spiegelten die funkelnden Lichter der Stadt. Anna zog ihren Mantel enger um sich, doch die Kälte kam diesmal nicht nur von außen.

Ihre Gedanken kreisten immer wieder um dieselben Szenen. Die Operation. Die stahlharte Ruhe von Dr. Wild, die sie gleichermaßen beruhigt wie aus dem Konzept gebracht hatte. Und dann sein Blick am Ende. Es war nur ein kurzer Moment gewesen, doch er hatte etwas in ihr ausgelöst, das sie nicht einordnen konnte. Sie hatte etwas hinter seinen sonst so undurchdringlichen Augen gesehen – etwas, das sich wie ein Hauch von Einsamkeit anfühlte. Oder bildete sie sich das nur ein? Vielleicht war es bloß ihr Wunsch, mehr in ihm zu sehen, als er tatsächlich preisgab.

Zu Hause angekommen, ließ sie ihre Tasche achtlos auf den Boden fallen und zog die schweren Schuhe aus, die ihre Füße seit Stunden eingeengt hatten. Ihr Körper schmerzte, und doch war es ihr Geist, der sie wach hielt. Sie schaltete die kleine Stehlampe ein, deren warmes Licht den Raum in eine gemütliche Atmosphäre tauchte, und setzte sich mit einer Tasse Tee ans Fenster. Von hier aus konnte sie die Lichter der Stadt sehen, das pulsierende Leben, das nie zur Ruhe kam. Es war ein seltsamer Kontrast zu der Welt, die sie tagsüber in der Klinik erlebte. Dort ging es um Leben und Tod, um Sekunden, die alles veränderten. Hier draußen schien das Leben einfach weiterzugehen, als ob nichts davon wirklich zählte.

Anna nahm einen Schluck Tee und legte ihren Kopf gegen die kalte Fensterscheibe. Sie fragte sich, ob Dr. Wild wohl auch jetzt noch in der Klinik war. Er schien jemand zu sein, der sein ganzes Leben der Arbeit widmete, der keine Zeit für Schwäche oder Ablenkungen hatte. Aber wie musste es sich anfühlen, so zu leben? War er wirklich so unnahbar, wie er schien, oder verbarg sich hinter seiner perfekten Fassade ein Mensch mit Rissen, wie jeder andere auch?

In den nächsten Tagen wurde Anna immer mehr Teil des Teams. Sie lernte die Schwestern und Pfleger besser kennen, erfuhr, wer die besten Tipps für den Umgang mit schwierigen Patienten hatte, und wer sich bei den Kaffeeautomaten am meisten Zeit ließ. Dennoch war es immer Dr. Wild, der ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Er war nicht oft da, doch wenn er auftauchte, veränderte sich die Atmosphäre im Raum. Die Gespräche verstummten, und jeder schien sich auf eine unsichtbare Prüfung vorzubereiten. Seine Präsenz war wie eine unsichtbare Macht, die alles beherrschte.

Es war an einem späten Nachmittag, als Anna ihn wiedertraf. Sie war gerade dabei, einen Patientenbericht zu schreiben, als seine tiefe Stimme sie aus ihren Gedanken riss.

„Frau Becker, ein Wort.“

Anna blickte auf und sah ihn im Türrahmen stehen. Er sah aus wie immer – makellos, kontrolliert, fast unnahbar. Doch etwas in seiner Haltung war anders. Er wirkte angespannter als sonst, seine Schultern waren leicht nach vorne geneigt, und seine Augen hatten einen seltsamen Glanz, den sie nicht deuten konnte. Sie legte den Bericht zur Seite und folgte ihm in sein Büro.

Der Raum war genau so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte – minimalistisch, ordentlich, und doch irgendwie persönlich. Auf dem Schreibtisch stand ein Bild in einem silbernen Rahmen, das eine Frau mit einem kleinen Jungen zeigte. Anna hatte es nur für einen kurzen Moment gesehen, doch es ließ sie innehalten. Sie wusste nichts über Dr. Wilds Privatleben, und das Bild war wie ein kleiner Einblick in eine Welt, die er sonst sorgfältig verbarg.

„Setzen Sie sich.“ Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und sie ließ sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch sinken. Er setzte sich ebenfalls, verschränkte die Hände vor sich und musterte sie mit einem Blick, der sowohl analytisch als auch durchdringend war.

„Wie kommen Sie zurecht?“, fragte er schließlich, und seine Frage überraschte sie. Sie hatte mit Kritik oder einer neuen Aufgabe gerechnet, nicht mit einer persönlichen Nachfrage.

„Gut, denke ich“, antwortete sie ehrlich. „Es ist anstrengend, aber ich lerne jeden Tag dazu.“

Er nickte langsam, als würde er ihre Worte abwägen. „Das merkt man. Sie machen Fortschritte.“

Die Anerkennung ließ ihr Herz schneller schlagen, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. „Danke, Herr Doktor.“

Er lehnte sich zurück, und für einen Moment dachte sie, das Gespräch sei vorbei. Doch dann sprach er weiter, und seine Worte überraschten sie erneut. „In diesem Beruf geht es nicht nur um medizinisches Wissen. Es geht darum, mit Menschen umzugehen – mit Patienten, mit Kollegen, und manchmal auch mit sich selbst.“

Anna nickte, obwohl sie nicht sicher war, worauf er hinauswollte. „Ich verstehe.“

„Das hoffe ich“, sagte er, und zum ersten Mal sah sie einen Hauch von Weichheit in seinem Blick. „Denn wenn Sie das nicht verstehen, wird dieser Beruf Sie zerbrechen.“

Die Worte trafen sie unerwartet hart, und sie spürte, wie sich eine seltsame Mischung aus Respekt und Mitleid in ihr breit machte. Wer war dieser Mann wirklich, der so viel Stärke ausstrahlte und doch solche Dinge sagte? Sie wollte mehr wissen, wollte verstehen, was ihn antrieb, was ihn bewegte. Doch sie wusste, dass dies nicht der Moment war, um zu fragen.

„Ich werde es mir merken“, sagte sie leise, und er nickte erneut, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte.

Als Anna das Büro verließ, fühlte sie sich, als hätte sie etwas gesehen, das nicht für ihre Augen bestimmt war. Es war, als hätte er für einen kurzen Moment seine Fassade fallen lassen, und sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen oder davor zurückschrecken sollte. Doch eines war klar: Dr. Christian Wild war mehr als nur ein brillanter Arzt. Und sie war entschlossen, herauszufinden, wer er wirklich war.

Kapitel 4: Schattenseiten

Der Tag war in ein sanftes Grau gehüllt, als Anna auf dem Weg zur Klinik war. Die Stadt schien sich in einem Nebelschleier zu verstecken, und der kühle Wind trug den Duft von nassem Asphalt mit sich. Es war der perfekte Morgen für Nachdenklichkeit, und Anna ließ ihren Gedanken freien Lauf. Die Worte von Dr. Wild, die er gestern in seinem Büro gesprochen hatte, hallten noch immer in ihr nach. „Wenn Sie das nicht verstehen, wird dieser Beruf Sie zerbrechen.“ Warum hatte er das gesagt? Es war nicht nur eine Warnung, sondern fast eine Art Beichte gewesen. Ein Einblick in einen Mann, der sonst so kontrolliert war, dass man glauben könnte, er sei aus Stein gemeißelt.

Als sie die Klinik betrat, wurde sie sofort von der hektischen Routine in Beschlag genommen. Die Notaufnahme war voller Menschen, und das Personal arbeitete mit der gewohnten Effizienz. Anna hatte kaum Zeit, ihre Jacke auszuziehen, als eine Schwester auf sie zukam.

„Frau Becker, wir brauchen Sie in Behandlungsraum 5. Ein Kind mit Verdacht auf eine schwere Infektion.“

Anna nickte, griff nach ihrem Stethoskop und eilte los. Der Raum war bereits voll, als sie eintrat. Die Eltern des Kindes, ein junges Paar, standen mit ängstlichen Gesichtern in der Ecke, während eine Krankenschwester dabei war, die Vitalzeichen des kleinen Mädchens zu messen. Das Kind, nicht älter als fünf Jahre, lag still auf der Liege, die Augen halb geschlossen, die Wangen glühend rot vor Fieber.

„Was haben wir?“, fragte Anna, während sie sich die Handschuhe überzog.

„Hohe Temperatur, über 40 Grad, und starke Atemnot“, antwortete die Krankenschwester. „Wir haben bereits einen Zugang gelegt, aber sie wird immer schwächer.“

Anna nickte und trat näher an das Kind heran. Sie spürte, wie ihr Herz sich zusammenzog, als sie die kleinen Hände sah, die schlaff auf der Liege lagen. Es war immer schwer, ein krankes Kind zu sehen, doch sie wusste, dass sie jetzt nicht nachgeben durfte. Mit ruhigen, geübten Bewegungen begann sie, das Mädchen zu untersuchen. Das leise Keuchen, das von ihrer Brust ausging, ließ Anna sofort an eine Lungenentzündung denken, aber sie wollte sicher sein.

„Wir brauchen ein Röntgenbild und einen Bluttest“, sagte sie, und die Krankenschwester eilte davon, um die nötigen Schritte einzuleiten.

Die Mutter des Kindes trat zögernd näher. Ihre Augen waren gerötet, und ihre Stimme zitterte, als sie sprach. „Wird sie wieder gesund? Bitte sagen Sie mir, dass sie wieder gesund wird.“

Anna hielt inne und sah die Frau an. Der Schmerz in ihrem Gesicht war so greifbar, dass es Anna beinahe die Kehle zuschnürte. Sie wollte etwas Beruhigendes sagen, doch die Wahrheit war, dass sie es nicht wusste. Stattdessen legte sie eine Hand auf den Arm der Frau und sprach mit so viel Zuversicht, wie sie aufbringen konnte. „Wir tun alles, was wir können. Ihre Tochter ist in guten Händen.“

Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Das Team arbeitete unermüdlich daran, das Kind zu stabilisieren, und Anna fand sich mitten im Sturm wieder. Die Diagnose wurde schließlich bestätigt: eine schwere Lungenentzündung, die fast zu spät erkannt worden war. Doch dank der schnellen Reaktion des Teams und der richtigen Behandlung begann sich der Zustand des Kindes langsam zu verbessern. Als Anna später die Station verließ, fühlte sie sich erschöpft, aber auch erleichtert. Es war ein guter Tag gewesen – zumindest beruflich.

Doch kaum hatte sie die Notaufnahme verlassen, stieß sie auf Dr. Wild. Er stand an der Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete die hektische Betriebsamkeit um sich herum. Als er sie sah, richtete er sich auf und kam auf sie zu.

„Frau Becker“, begann er mit seiner gewohnt ruhigen Stimme. „Ich habe von dem Fall mit dem Kind gehört. Gute Arbeit.“

Die Worte sollten sie stolz machen, und doch spürte Anna etwas anderes. Etwas an seinem Blick war seltsam, fast düster. Sie zögerte kurz, bevor sie sprach. „Danke, Herr Doktor. Es war ein Teameffort.“

„Natürlich.“ Er nickte langsam, doch sein Blick blieb auf ihr ruhen, als ob er noch etwas sagen wollte. Nach einem Moment der Stille fügte er hinzu: „Sie haben eine Fähigkeit, sich in die Menschen einzufühlen. Das ist eine Stärke. Aber es kann auch eine Schwäche sein, wenn Sie nicht aufpassen.“

Anna runzelte die Stirn. „Wie meinen Sie das?“

Er hielt kurz inne, als würde er nach den richtigen Worten suchen. „Dieser Beruf verlangt von uns, dass wir Entscheidungen treffen, die nicht immer gerecht erscheinen. Dass wir manchmal Menschen enttäuschen, weil wir nicht alles tun können. Es ist leicht, sich in der Schuld zu verlieren, wenn man zu viel fühlt.“

Seine Worte trafen sie wie ein Schlag. Es war, als ob er ihre größte Angst ausgesprochen hätte – die Angst, dass sie eines Tages versagen könnte, dass sie nicht genug tun könnte, um jemanden zu retten. Doch es war auch etwas anderes in seinen Worten. Etwas, das ihn selbst betraf.