Herzklopfen zum Frühstück - Nicole S. Valentin - E-Book
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Herzklopfen zum Frühstück E-Book

Nicole S. Valentin

5,0

Beschreibung

Klara Möllenbrink hegt schon lange den Wunsch nach einer eigenen Frühstückspension. Als sie ein altes unbewohntes Gutshaus entdeckt, kann sie ihr Glück kaum fassen und setzt alles daran, den Eigentümer zu ermitteln. Doch als sie erfährt, wer der jetzige Eigentümer des Hauses ist, will sie es nicht glauben. Ausgerechnet Martin Zimmermann, ein elitärer, arroganter Geldsack, soll der Schlüssel zu ihrem Glück sein? Schlimm genug, dass er ihr neuerdings ständig über den Weg läuft und ihr mit seiner selbstgefälligen Art gehörig auf die Nerven geht. Als Martin erfährt, was Klara mit seinem Haus vorhat, knüpft er den Verkauf an eine Bedingung. Und Klara ist sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob ihr Herz das unbeschadet überstehen wird.

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PetraB

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Eine tolle Geschichte Klasse geschrieben
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HERZKLOPFEN ZUM FRÜHSTÜCK

NICOLE S. VALENTIN

INHALT

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Epilog

Über OBO e-Books

IMPRESSUM

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2023 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

M. Kluger

Fort Chambray 

Apartment 20c

Gozo, Mgarr

GSM 2290

[email protected]

PROLOG

„Niklas, ich will dieses Haus, hörst du? Es ist genau das, wonach ich ewig gesucht habe.“ Aufgeregt knabbere ich an meinem Daumennagel, während ich das Telefon gegen mein Ohr presse und versuche, meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Sicher, es ginge auch mit weniger Dramatik, aber es geht immerhin um mein Leben!

Ja genau, um mein Leben.

Denn wenn ich dieses Haus nicht bekomme, werde ich sterben. Zumindest mein Traum von einer eigenen Frühstückspension muss das. Und das ist definitiv keine Option. Niemals wieder werde ich so etwas Wundervolles finden, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Ich kann es regelrecht hören – das Augenrollen meines Cousins am anderen Ende der Leitung – und tippe leicht entnervt mit den Schuhspitzen auf den Boden. Doch als ich einen erneuten Blick auf das Objekt meiner Begierde werfe, entspannen sich meine Gesichtszüge augenblicklich. Es könnte sein, dass man die Herzchen in meinem Blick erkennen kann.

„Klara, du rufst mich an einem Sonntag an. Was, bitte, könnte ich heute für dich in Erfahrung bringen? Du weißt ja noch nicht mal, ob es zum Verkauf steht.“

„Niklas, es sieht unbewohnt aus.“ Damit müsste doch auch ihm einleuchten, dass ich einfach schnell handeln muss. Womöglich ist der Besitzer ja verstorben, Gott sei seiner Seele gnädig, und die Erben wissen nicht so recht, was sie mit diesem Goldstück an Gutshaus anfangen sollen. Oh, was haben sie für ein Glück, dass ich schon ganz genaue Vorstellungen davon habe, was ich damit anfangen werde.

„Niklas, bitte.“ Ich muss an meiner Stimmlage arbeiten, also unterlege ich sie mit ein bisschen Flehen und einem leichten Zittern. „Nikki, bitte, bitte, bitte. Lass mich nicht hängen. Es ist so wunderschööööön.“ Ich klimpere sogar anständig mit den Wimpern, selbst wenn er es nicht sehen kann.

Ich höre ihn tief einatmen. Sehr gut, er kapituliert.

„In Ordnung, schick mir die Adresse. Ich mach mich auf den Weg.“

Mein euphorisches Aufkreischen muss seinem Gehörgang geschadet haben, doch ich kann auf solche Nebensächlichkeiten wirklich keine Rücksicht nehmen. Mit zitternden Fingern tippe ich die Adresse in mein Handy.

Wenn mich nicht alles täuscht, wird er etwa eine halbe Stunde brauchen, also kann ich ungestört ein weiteres Mal um dieses Haus laufen, das vielleicht schon bald mir gehört.

Lieber Gott, ich werde auch immer artig sein. Ich verspreche es dir!

Das Tor zum weitläufigen, ziemlich verwilderten Garten hängt nur noch an einem Scharnier, sodass es ein Leichtes ist, zum Treppenaufsatz des zweigeschossigen Natursteinhauses zu gelangen. Das klassizistische Eingangsportal mit zwei eingezogenen dorischen Säulen trägt einen Balkon.

Das Dach sieht alles andere als vertrauenswürdig aus, aber die entzückenden Erkerfenster mit ihren Holzläden machen alles wieder wett. Ich schätze, es hat mindestens 10 Schlafzimmer.

Wenn ich doch nur hineinkönnte, um es von innen zu sehen. Die Sprossenfenster sind wirklich ausgesprochen dreckig und gestatten mir leider nur einen äußerst unbefriedigenden Einblick. Zumindest lässt sich die Größe der Räume erahnen.

Hinter dem Haus befindet sich eine erhöhte Terrasse, mit Blick in das angrenzende Waldgebiet. Mein Herz schlägt schneller, allein bei der Möglichkeit, dass ich meinen Gästen hier das Frühstück kredenzen könnte. Ein Wintergarten wäre bezaubernd. Die bodentiefen Frontscheiben sind mit schmuddelig-beigen Vorhängen zugezogen, sodass auch hier keine Chance besteht, einen Blick ins Innere zu werfen.

Der Balkon zieht sich um das gesamte erste Geschoss. Sehr gut, ich habe also meine Deluxe-Zimmer bereits gefunden.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Klara!“

Ein Blick über meine Schulter zeigt einen fassungslos wirkenden Niklas, der sich einen Weg durch den Gartendschungel bahnt, um zu mir zu gelangen.

Ich klatsche vergnügt in die Hände. „Du machst dir keine Vorstellung davon, wie ernst es mir ist. Es ist einfach ein Traum.“

Skeptisch sieht er an der Fassade entlang und kratzt sich den Hinterkopf. „Wohl eher ein Albtraum. Klärchen, selbst wenn du es günstig erstehen kannst, es wird Unmengen an Geld verschlingen, diese Bruchbude wieder auf Vordermann zu bringen.“

Ich sehe ihn herausfordernd an. „Das ist mir egal. Ich habe Geld gespart und du bist doch Architekt. Was soll man mit Vitamin B, wenn es einem doch nichts nützt?“ Vorwurfsvoll verschränke ich die Arme vor der Brust.

Er schüttelt den Kopf, hält meinem Blick stand. „Ich kann aber nicht dein Dach decken. Und wenn ich eine Prognose abgeben dürfte … Die Elektrik müsste wahrscheinlich ebenfalls überholt werden. Von den sanitären Anlagen möchte ich erst gar nicht anfangen.“

Ich winke ab. „Wie gut, dass ich dich nicht nach einer Prognose gefragt habe. Nikki, sieh dich doch um. Es ist einfach traumhaft. Direkt am Wald. In der Nähe gibt es einen Badesee. Das Haus hat bestimmt 10 Schlafzimmer. Diese Terrasse allein ist schon Gold wert.“ Ich drehe mich einmal um meine eigene Achse, schließe die Augen und halte mein Gesicht in die Sonne. „Einfach perfekt.“

Niklas lässt seine Lippen ploppen und knibbelt mit dem Fingernagel etwas Kitt aus einem Fensterrahmen, betrachtet ihn eingehend. „Sicher, einfach perfekt.“

„Du bist ein Stinkstiefel, Niklas Baringhaus. Was Isa an dir findet, ist mir noch immer ein Rätsel.“ Ich verlasse die Terrasse, enttäuscht darüber, dass er meine Euphorie nicht teilen kann.

Mein Cousin schließt zu mir auf und verstellt mir den Weg. „Klara, wir müssen zuerst herausfinden, ob das Haus überhaupt zum Verkauf steht. Unter Umständen kannst du dir ja ein Vorkaufsrecht eintragen lassen, wenn der Besitzer damit einverstanden ist. Aber verrenne dich nicht in die Idee, dass es schon in der kommenden Woche dir gehören wird.“ Sein Blick wandert durch den Garten. „Dieses Haus ist eine Lebensaufgabe, darüber musst du dir im Klaren sein, doch ich kann erst Näheres sagen, wenn sich ein Bauingenieur von der Statik des Hauses überzeugt hat. Du wirst einiges umbauen müssen, sollte tatsächlich dieses Haus deine Pension werden.“ Er legt erneut eine Hand in den Nacken und fügt seufzend hinzu: „Du solltest dir unbedingt Freunde bei der finanzierenden Bank machen.“

Das Grinsen in meinem Gesicht wird breiter. Ich bin ausgesprochen nett. Das dürfte wirklich kein Problem sein.

1

„Klara, denk an die Tische im Foyer und es fehlen noch Servietten. Einige Gläser haben Fingerabdrücke, bitte austauschen.“

„Ich habe nur zwei Hände, Mama. Warum ist Jutta denn wieder krank? Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass sie Magen-Darm gern an Tagen wie diesen bekommt.“

Meine Mutter eilt mit hochgezogenen Schultern an mir vorbei. „Ich kann es doch nicht ändern, Kind. Aber ich bin die glücklichste Mutter der Welt, dass du keine Magen-Darm-Verstimmung hast.“ Sie wirft mir eine flüchtige Kusshand zu und verschwindet in der Küche. Tja, und ich stehe im Speiseraum und frage mich nicht zum ersten Mal in meinem Leben, warum sie sich das noch immer antut. Sie könnte genauso gut hinschmeißen und sich ein schönes Restleben machen. Aber meine Mutter braucht den Stress wie die Luft zum Atmen.

In weniger als vier Stunden wird eine fast hundertfünfzigköpfige Hochzeitsgesellschaft das Restaurant des Schloßhotels stürmen und sich über das Menü meiner Mutter hermachen. Niemand wird es dann mehr zu schätzen wissen, dass die Servietten kunstvoll gefaltet und die Gläser einwandfrei glänzend vor jedem Teller stehen.

Doch meine Mutter legt Wert auf diesen Firlefanz, denn dieser Firlefanz ist schließlich der Grund, warum das Restaurant einen besonderen Ruf genießt. Das behauptet sie jedenfalls.

Ich denke ja, es liegt an der hervorragenden Küche. Man muss mich nur ansehen, um zu verstehen, was ich meine. Meine Rundungen ergeben eine gut gefüllte Größe 40, manchmal sogar eine Größe 42, und das kommt schließlich nicht von ungefähr.

Aber wer bin ich schon, dass ich meine Mutter und ihren Firlefanz infrage stelle?

Ich nehme den Stapel Stoffservietten und mache mich an die Arbeit. Ich bin damit aufgewachsen, beherrsche das kunstvolle Gestalten selbst im Schlaf.

„Klärchen, brauchst du noch Hilfe?“ Der alte Gustav steckt seinen Kopf durch die Tür und sieht mich fragend an. Lächelnd schüttele ich den Kopf. „Nein, Gustav, aber lieb, dass du fragst. Ich bin fast fertig. Ruh dich lieber aus, ehe der Sturm losbricht.“

Er nickt und ich höre ihn durch den Speisesaal schlurfen. Mit seinen zweiundachtzig Jahren gehört Gustav zum Inventar des Schlosses. Ich gehe davon aus, dass er irgendwann als Gespenst durch die Gänge spuken wird, einfach weil er hierhergehört. Sogar heute hat er es sich nicht nehmen lassen, sich um die Garderobe der Gesellschaft kümmern zu dürfen.

Ich kenne ihn bereits mein gesamtes Leben, denn meine Eltern führen das Restaurant bereits in der zweiten Generation.

Als kleines Mädchen habe ich auf seinem Schoß gesessen, den süßlichen Geruch seines Pfeifentabaks genossen und den spannenden Geschichten gelauscht, die er zu erzählen hatte.

Heute sitze ich selbstverständlich nicht mehr auf seinem Schoß, der arme Kerl würde unter meinem Gewicht zusammenbrechen. Doch seinen Geschichten lausche ich noch immer gern, wenn auch nicht mehr so häufig. Wenn er in einer ruhigen Minute sein Pfeifchen stopft, schleiche ich manchmal hinter ihm her, um noch einmal für einen klitzekleinen Augenblick Kind sein zu dürfen.

Die monotone Fingerarbeit an den Servietten lässt es zu, dass meine Gedanken abschweifen. Mit einem Lächeln im Gesicht denke ich an die Villa im Wald. Leider konnte Nikki noch immer nicht herausfinden, wem sie gehört und ob sie zum Verkauf steht. Auch ansonsten hält er sich ziemlich zurück, wenn es darum geht, mich mit Informationen zu füttern. Es ist zum Verrücktwerden. Ist es denn wirklich so schwer für einen Architekten, seine Beziehungen spielen zu lassen? Womöglich hat er nur Angst davor, dass ich mich hoffnungslos verschulde. Es war ja nicht zu überhören, was er von meinem Wunsch hält, dieses Haus zu kaufen. Sein blödes Gehabe ist mit Sicherheit nur eine Hinhaltetaktik, in der Hoffnung, ich könnte es mir noch einmal anders überlegen. Aber nichts da!

Ich spüre Ärger in mir aufsteigen. Leider hat mein Cousin noch immer nicht begriffen, dass ich erwachsen bin und ihn nicht um Erlaubnis fragen muss.

Irgendwie scheint die Evolution an Niklas vorbeigerauscht zu sein. Schon als kleiner Junge hat er sich in den Kopf gesetzt, für mich verantwortlich zu sein. Das ist ja auch ganz entzückend von ihm, aber beizeiten möchte ich ihm wirklich den Hals umdrehen.

Ich wäre überaus dankbar, wenn er seinen ausgeprägten Beschützerinstinkt auch weiterhin an Isabell Holzer ausleben würde. Ich gehe jedoch davon aus, dass sie ihm diesen Zahn bereits gezogen hat, die Gute.

Spätestens nach seiner Ich-rette-Isa-vor-der-bösen-Welt-Hilfsaktion im letzten Jahr. Ohne Isas Einverständnis oder Wissen hat er aus ihrer 08/15-Schrauberei eine „Autowerkstatt von Frau zu Frau“ gemacht.

Sicher, rückwirkend betrachtet, hat es Isas Werkstatt gerettet und ihr eine Schar erfreuter Kundinnen beschert, die ihr Fahrzeug lieber vertrauensvoll in die Hände einer KFZ-Mechanikerin geben, als von einem Mann im gleichen Blaumann übervorteilt zu werden, nur weil dieser denkt, eine Frau hat von so was keine Ahnung.

Doch ich meine mich zu erinnern, dass Isa zu Anfang wenig begeistert über Niklas‘ eigenmächtiges Handeln war. Er musste mächtig um Vergebung bitten.

Letztlich hat er es sogar geschafft, ihr Herz zu gewinnen.

Tja, und somit komme wieder ich ins Spiel. Die fast dreißigjährige, noch immer mannlose kleine Cousine, die außerdem noch bei ihren Eltern wohnt. Wenn die keinen starken Beschützer braucht, wer denn bitte dann?

Und ausgerechnet in dieser einen Sache, in der ich ohne seine Hilfe nicht weiterkomme, wirft er mit Ausflüchten nur so um sich. Klärchen, ich hab so viel zu tun … Entschuldige, mir ist ein wichtiger Termin dazwischengekommen … Als wenn ich das nicht durchschauen würde.

Mir entfleucht ein dramatischer Seufzer.

„Eule, ist alles in Ordnung mit dir?“

Ich habe nicht gehört, dass mein Vater den Saal betreten hat, und fahre ertappt zusammen. „Selbstverständlich. Mama hat mich nur wieder strafversetzt.“ Mit einem Grinsen, das ihn hoffentlich beruhigt, hebe ich eine Stoffserviette in die Höhe, die unverzüglich ihre von mir kunstvoll geknickten Schwanenflügel verliert. Mein Vater verzieht mitleidig sein Gesicht, während er das großzügige Weinsortiment für die Hochzeitsgesellschaft bereitstellt. „Es ist die letzte Hochzeit in diesem Monat, die Mama angenommen hat. Es tut mir leid, dass es so viele Gäste sein werden.“

Ich zucke gleichmütig mit den Schultern. „Das Endresultat zählt, Papa. Wenn sich 150 Leute mit diesem vorzüglichen Wein volllaufen lassen, klingelt die Kasse, oder nicht?“

Mein Vater lacht auf. „Da hast du sicher recht, aber es ist eine Schande und grenzt an Blasphemie.“ Er dreht die Flasche Rothschild auf der Bar mit dem Etikett nach vorn.

Der feinen Gesellschaft waren unsere Hausweine nicht exklusiv genug, sodass die extra für diese Hochzeit georderten Weine gestern Morgen bereits im Möllenbrinks angeliefert wurden. Kistenweise.

Ich wage zu behaupten, dass eine Flasche nicht unter 200,00 EUR über den Ladentisch geht. Auch wenn Wein eher in das Metier meines Vaters fällt, kann ich eine Cuvée von einem mono-cépage, also einem sortenreinen Wein, unterscheiden.

Aber der Rothschild grenzt an Dekadenz – zumindest in der sich hier befindlichen Menge.

Jetzt ist es an mir, mitleidig zu gucken. „Wir beide könnten uns ja für den späteren Abend im Weinkeller verabreden? Was meinst du?“ Ich zwinkere meinem Vater zu, der freudig nickt.

„Das ist eine wunderbare Idee, Eule. Der Spätburgunder ist eine Gaumenfreude. 15 Monate in Barriquefässern gereift, pikant-würzig, kräftig mit langem Nachhall.“

Da ist er ja wieder, mein Lieblingssommelier.

„Das hört sich wunderbar an. Wirklich, wer trinkt schon Lafite-Rothschild, wenn er so etwas Vorzügliches im Weinkeller hat?“

Vielleicht bleibt ein Fläschchen übrig, das ich mir später mit in mein Zimmer nehmen kann. Selbstverständlich nur, um zu probieren.

Lächelnd widme ich mich wieder meiner äußerst undankbaren Aufgabe des Serviettenfaltens und höre meinen Vater leise vor sich hin pfeifen, während er mit seiner Inventur fortfährt.

Meinen Eltern wird es schwerfallen, mich ziehen zu lassen. Wahrscheinlich gehen sie davon aus, dass ich bis an mein Lebensende mit ihnen unter einem Dach wohnen werde. Wer könnte es ihnen verübeln? Immerhin werde ich bald dreißig und lebe noch immer hier mit ihnen im Hotel. Doch ich habe nicht dreieinhalb Jahre Hotelmanagement studiert, um weiterhin Schwäne zu falten.

2

Ich habe auch nicht studiert, um im schwarzen Anzug und weißem Hemd mit vollbeladenen Tabletts durch einen Pulk an wunderschön und vor allen Dingen teuer gekleideten Menschen zu stelzen, die die Wörter Danke und Bitte wahrscheinlich noch niemals gehört haben.

In diesen Kreisen scheint man der Meinung zu sein, dass Geld die Grundlagen der Höflichkeit aufhebt. Eventuell hat man auch nie gelernt, höflich zu sein, schließlich hat man ja Geld.

Und genau das ist der Grund, warum ich so schnell wie möglich mein eigenes kleines Hotel eröffnen möchte.

Für die weniger betuchten und damit auch natürlicheren Menschen, die die Arbeit anderer noch zu schätzen wissen.

Das Schloßhotel ist eine Fünf-Sterne-Residenz mit exzellentem Ruf. Das Möllenbrinks steht seit zwei Jahren im Guide Michelin, was den Besitzer des Schloßhotels, unseren Verpächter, ziemlich freut, immerhin kann er auch noch mit einer guten Küche bei seinen eigenen Hotelgästen punkten. Dass mein Vater zudem als Sommelier zur Verfügung steht, ist dabei auch nicht zu verachten.

Pah, ich könnte kotzen! Vorzugsweise in den Dom Pérignon auf meinem Tablett. Denn zum Empfang des Brautpaars gibt es selbstverständlich Champagner.

Ich hatte mir nach der letzten Gesellschaft fest vorgenommen, nicht mehr als Bedienung auszuhelfen, sollte eine der Angestellten krank werden und ausfallen. Tja, aber das sind dann wohl die Pflichten einer Tochter. Also beiße ich mal wieder in den sauren Apfel, tackere mir ein aufgesetztes Lächeln ins Gesicht und gebe mir wirklich die größte Mühe, keiner der hier anwesenden Damen auf das Kleid zu treten oder über meine eigenen Füße zu stolpern. Leider beinhaltet meine Arbeitskluft auch das Tragen hochhackiger Schuhe, um das Schönheitsempfinden der anwesenden Gäste nicht empfindlich zu stören.

Als wenn auch nur eine dieser kunstvoll operierten, blasierten Nachtschattengewächse eine ungefähre Ahnung davon hätte, was es für eine Bedienung bedeutet, ihnen eine komplette Nacht in 6 cm Absätzen jeden Wunsch von den Augen ablesen zu müssen. Den Männern unter ihnen wäre es sicherlich ab dem zweiten Drink völlig egal, ob wir in Pumps, Turnschuhen oder Doc Martens servieren würden.

Eine knorrige Hand fischt sich ohne Vorankündigung eines der großzügig gefüllten Stielgläser von meinem Tablett und ich kann es nur mit Mühe ausbalancieren. Jedoch schwappt der Champagner über die Ränder einiger Gläser und das glattgebügelte Gesicht der offensichtlich verärgerten Dame in den Fünfzigern verändert sich binnen Millisekunden von erhaben gelangweilt in arrogantes Entsetzen. „Können Sie nicht aufpassen? Wirklich, gutes Personal ist wohl Glücksache.“

Noch ehe ich den Sinn ihrer Worte für mich begriffen habe, hat sich diese Nebelkrähe bereits umgedreht. Für einen klitzekleinen Augenblick vergehe ich regelrecht in dem Wunsch, ihr mein Tablett einfach hinterherzuwerfen. Doch stattdessen knirsche ich mit den Zähnen und hole tief Luft.

„Dass solltest du lieber bleiben lassen. Sie ist ein richtiges Miststück.“ Die geflüsterten Worte einer mir nur zu bekannten Stimme lassen einen Schauer über meinen Rücken rieseln und mein Tablett gerät erneut ins Trudeln. Was, bitteschön, macht der denn hier?

„Klara, Klara, wenn das so weitergeht, verschüttest du noch den kompletten Schampus.“ Niemand anderer als Martin Zimmermann legt eine Hand stützend unter mein Tablett und schüttelt anmaßend den Kopf.

„Was wirklich schade um deinen Smoking wäre, Zimmermann.“ Zischend drehe ich meine kostbare Fracht von seinen Händen und versuche, meinen Puls wieder zu beruhigen. Dieser Kerl hat etwas an sich, was mich im Nullkommanichts auf hundertachtzig bringt.

„Oha, da hat aber jemand schlecht geschlafen. Dabei solltest du mir dankbar sein, dass ich zur Stelle war, um Schlimmeres zu verhindern.“ Mit einem süffisanten Grinsen nimmt er eines der Gläser, prostet einer langbeinigen Schönheit in Gucci, Armani oder was weiß ich zu, ehe er sich mir wieder zuwendet. „Stell dir nur mal vor, wie viel Aufsehen du damit erregt hättest, wäre er zu Boden gegangen. Das stelle ich mir ziemlich peinlich vor.“ Er zieht eine Augenbraue in die Stirn und ich komme nicht umhin, zuzugeben, dass er die schönsten blauen Augen hat, die ich jemals gesehen habe. Ernsthaft, Klara?

Ich beuge mich ein wenig vor und mustere angelegentlich sein Gesicht. Mit gerunzelter Stirn flüstere ich halblaut: „Du hast da was zwischen den Zähnen, Martin.“ Ich nehme meinen Zeigefinger und deute auf die ungefähre Stelle an meinem eigenen Gebiss, ehe ich ihm ein weiteres Glas anreiche. „Du solltest lieber spülen. Peinlich wäre es, wenn du den gesamten Abend so herumlaufen würdest. Man muss ständig darauf starren, während du sprichst.“

Überraschung macht sich in seinen Zügen breit, während er mir tatsächlich das Glas abnimmt. Damit lasse ich ihn einfach stehen. Sicher hätten die anderen Gäste auch gern ein Gläschen Schampus.

~oOo~

Da steht er nun mit zwei Gläsern Champagner in den Händen, vorgeführt von Klara Möllenbrink, die hocherhobenen Hauptes zwischen den anderen Gästen verschwindet. Martin leert eines der Gläser sofort, ertappt sich dabei, wie er die Flüssigkeit tatsächlich durch die Zähne zieht und ein Grinsen macht sich auf seinem Gesicht breit. So ein freches Weib. Seit seine beste Freundin Isabell mit Klaras Cousin ein Techtelmechtel begonnen hat, kreuzen sich ihre Wege immer öfter. Dass sie dabei regelmäßig aneinandergeraten, findet er ungemein verlockend.

Mit ziemlicher Sicherheit liegt es daran, dass sie ihn unausstehlich findet. Neben seiner besten Freundin Isabell ist Klara die einzige Frau, die ihm ihre Meinung unverblümt ins Gesicht sagt. Das kann wirklich erfrischend sein.

Vielleicht fühlt er sich deshalb ausgerechnet von ihr angezogen.

Doch er sollte dem nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Denn er liebt seine Frauen in der Regel gertenschlank und blond. Ein Bild, in das sich Klara Möllenbrink mit ihren drallen Rundungen und dem bronzefarbenen Haar so gar nicht einfügen lässt.

Niklas, Isas Freund, würde ihm wohl auch den Hals umdrehen, wenn er dessen Cousine aus den falschen Gründen zu Nahe käme. Also gibt er sich damit zufrieden, sie bis aufs Blut zu reizen und damit aus der Reserve zu locken. Dass sie so herrlich schlagfertig ist, stachelt ihn dabei nur noch mehr an.

Martin lässt seinen Blick über die Hochzeitsgesellschaft schweifen und bleibt erneut an Klaras Gestalt hängen. Auf ihrem hübschen Gesicht liegt ein Lächeln, von dem er wetten würde, dass es ebenso unecht ist, wie neunzig Prozent der Titten in diesem Raum.

Routiniert sammelt sie leere Gläser von den Tischen, um anschließend ein völlig überfülltes Tablett gekonnt durch eine Schwingtür zu balancieren, die augenscheinlich in die angrenzende Küche führt.

Er wusste bereits, dass ihre Eltern das Restaurant im Schloßhotel führen, also ist es keine allzu große Überraschung, Klara hier anzutreffen.

„Martin, wo bleibst du denn? Das Brautpaar wird gleich eintreffen und ich habe keine Lust, in der letzten Reihe zu stehen, wenn der Royce auf den Parkplatz fährt!“ Der eingeschnappte Unterton in Silkes Stimme lässt ihn innerlich aufstöhnen. Was waren das doch für schöne Zeiten, als Isa ihn noch zu solchen Events begleitet hat. Seitdem sie sich jedoch auf diesen Architekten eingelassen hat, muss er regelmäßig auf sein Barbiebuch zurückgreifen.

Er hätte besser über seine heutige Wahl nachdenken sollen. Silke ist wirklich nur ein schönes Accessoire, anregende Gespräche mit ihr sollte er lieber nicht erwarten. Tatsächlich ist ihm sogar die Lust vergangen, eine anregende Nacht mit ihr zu verbringen. Er beugt sich jedoch seinem Schicksal, reicht Silke seinen Arm und gemeinsam machen sie sich auf den Weg zum Parkplatz, um das Brautpaar angemessen zu begrüßen.

3

„Aaaaargh.“ Etwas gereizt schiebe ich das Tablett auf den Tisch, damit die heutige Spülkraft sich der Gläser annehmen kann.

„Klara, bitte mäßige dich, das Kristall geht noch zu Bruch.“ Meine Mutter wirft mir einen mahnenden Blick zu, obwohl sie ihre Konzentration lieber der Soßenreduktion in einem ihrer unzähligen Töpfe schenken sollte. Sie ist meine Mutter und kann einfach nicht aus ihrer Haut.

„Sei lieber froh, dass ich heute überhaupt eingesprungen bin!“ Mein Blick steht dem ihren in nichts nach, doch sie hält ihm stand. Schiebt ihre Fäuste in die Hüften.

Eine der unzähligen Küchenhilfen übernimmt ohne zu Fragen ihre Stellung am Herd. „Himmelherrgott, es ist doch nur noch diese eine Hochzeit.“

Sie sieht mich entschuldigend an und ich gebe klein bei. „Ja, ich weiß, ich bin zickig.“ Etwas versöhnlicher gebe ich zu: „Mein Tag ist mies und ich habe mich nur über einen Gast so geärgert. Ist schon wieder gut.“

Meine Mutter lächelt dieses Alles-ist-dir-verziehen-Lächeln, das wirklich nur Mütter draufhaben, um dein schlechtes Gewissen nur noch mehr anzuheizen. „Danke für deine Hilfe, Schatz. Ohne dich hätten die anderen sechs Mädchen sich überschlagen müssen.“ Mit diesen Worten widmet sie sich wieder dem Essen zu.

Meine Schürze beginnt zu vibrieren und ich gestatte mir die Pause, die ich dringend nötig habe. Verschwinde durch den Dienstboteneingang über die Treppe auf den Hof, um das Gespräch an meinem Handy entgegenzunehmen.

„Niklas, du hättest dir keinen besseren Augenblick aussuchen können, um mir die wunderschöne Nachricht zu überbringen, dass ich schon bald die Besitzerin eines Gutshauses sein werde.“

„Dir auch einen schönen Abend, Klärchen.“

Ich muss lachen. „Entschuldige, aber ich bin etwas ungeduldig und du bietest mir eine gelungene Abwechslung zu dieser überkandidelten Hochzeit im Schloss.“

Jetzt ist es an ihm zu lachen. „Ich verstehe. Tante Molly hat dich in die Livree gezwängt und du stöckelst mal wieder mit Sekt durch den Speisesaal.“

„Mit Schampus, Nikki. Nur das Teuerste für die Bonzen dieser Welt.“

Ich höre ihn atmen. „Apropos Bonzen …“

Als er nicht weiterspricht, formuliere ich ein interessiertes: „Jaaahaaa?“

Gottchen, was hat er denn nur?

„Das Gutshaus …“

„Was ist mit dem Gutshaus?“

„Nun, es gestaltet sich als noch komplizierter, an dieses Haus zu kommen, als ich sowieso schon gedacht habe.“

Meine Ungeduld kennt keine Grenzen. „Niklas Baringhaus, muss ich dir jedes Wort aus der Nase ziehen? Spuck´s schon aus, so schlimm kann es gar nicht sein.“

„Es ist sogar noch schlimmer.“ Ich höre Schluckgeräusche. Wenn er sich schon Mut antrinken muss, um mir die Wahrheit zu sagen, bedeutet das wohl wirklich nichts Gutes.

„Das Haus gehört den Zimmermanns, Klara.“

Plötzlich habe ich das dringende Bedürfnis, mich zu setzen, lasse mich schwerfällig auf die Stufen plumpsen. „Sag das noch mal.“

„Martin Zimmermann ist als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Es tut mir so leid. Ich hätte mir so für dich gewünscht, dass dein Traum von der passenden Immobilie endlich in Erfüllung geht. Aber weißt du was? Ich höre mich einfach weiter für dich um. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen …“

Ich höre ihm nicht mehr zu, lasse das Handy sinken.

Das ist doch ein Scherz, oder? Selbstverständlich ist es das! Irgendwo springt gleich jemand aus dem Gebüsch und schreit April, April, selbst wenn es bereits Mitte Juli ist. Und dann lache ich lauthals, klopfe dem kleinen Witzbold auf die Schulter und wir gönnen uns eine Flasche Dom Pérignon auf Kosten des Brautpaars.

„Klara? Klara, bist du noch dran?“ Ich höre Niklas dumpfe Stimme wie durch ein Kissen, bis mir bewusst wird, dass ich das Handy gegen meine Weste presse. Ich reibe mit der Handinnenfläche über meine Stirn und nehme das Gespräch wieder auf. „Ja, ich bin noch dran. Danke für deine Hilfe.“

„Es tut mir leid. Soll ich mit Isa sprechen? Sie könnte mit Martin …?“

Ich unterbinde jeden weiteren Gedanken, den er in diese Richtung haben könnte. „Untersteh dich! Ich finde schon ein anderes Objekt.“ Auch wenn ich dieses eine so unbedingt habe besitzen wollen. Aber nichts liegt mir ferner, als Martin Zimmermann irgendetwas schuldig zu sein.

„Okay, wie du meinst. Aber ich würde es tun, solltest du es dir überlegen.“

Ich lächle schwach. „Das weiß ich zu schätzen. Langsam muss ich wieder rein, sonst zieht mich meine Mutter noch an den Ohren ins Restaurant zurück.“

„Kopf hoch, Klärchen.“

* * *

Meine Enttäuschung ist riesig und ich gebe mein Möglichstes, es mir nicht anmerken zu lassen.

Ich werde eben weitersuchen müssen, dabei hatte ich es mir bereits wunderschön ausgemalt, dieses Haus zu renovieren und nach meinen Wünschen umzugestalten.

Es ist aber auch zum Verrücktwerden.

Noch schlechter gelaunt, als ich es sowieso schon gewesen bin, mache ich mich auf den Weg in die Küche, belade mein Tablett mit frischen Getränken und hoffe, dass der Abend so schnell wie möglich ein Ende findet.

Immer wieder bleibt mein Blick auf Martin hängen und ich kann es nicht fassen, dass er der Schlüssel zu meinem Glück sein soll.

Da steht er, viel zu schön für diese Welt. Am Arm seine nicht minder schöne Begleitung, unterhält sich angeregt mit all den anderen geldschweren, aufgepimpten Menschen dieser High Society-Hochzeit. Allesamt Rechtsanwälte, Anlageberater oder Ärzte. Wenn ich mich umsehe, wahrscheinlich Schönheitschirurgen, die ihre Reklamepüppchen direkt mitgebracht haben. Aufgespritzte Lippen, Silikonbrüste, ausdruckslose Botox-Gesichter. Sicher kann man ihnen abends sogar die Luft rauslassen und sie platzsparend zusammenfalten.

Isa hat mir erzählt, dass Martins Vater selbst ein namhafter Operateur sein soll. Man bleibt also unter seinesgleichen.

Wie gern würde ich dieser Welt endlich den Rücken kehren. Es ist ermüdend, Tag um Tag von so viel Reichtum und Ignoranz umgeben zu sein. Sicher, auch in diesen Kreisen gibt es Ausnahmen, aber die sind eher selten und bestätigen in keinem Fall die Regel. Ich bewundere meine Eltern, dass sie sich freiwillig damit umgeben.

In einem Restaurant, wie dem unseren, finden sich keine Familien mit kleinen Kindern, die nach einem Sonntagsspaziergang einkehren, um eine Kleinigkeit zu essen. Nein, denn hier kostet ein Menü bereits das Kindergeld des ganzen Monats. Das Hotel ist ein Schloss mit Spa, angrenzendem Golfplatz und einer eigenen Tennisanlage. Das Restaurant hat sich anzupassen.

Hoppla, seit wann bin ich denn so bitter? Das Telefonat mit Niklas hat mich aus der Bahn geworfen. Ich sollte nicht vergessen, dass mein gesamtes Können darauf basiert, dass ich hier groß geworden bin.

In einem Alter, in dem die meisten Mädchen Tierärztin oder Schauspielerin werden wollen, war mir bereits klar, dass ich eines Tages mein eigenes Hotel haben werde.

Als meine Großeltern noch lebten, bin ich regelmäßig mit ihnen an die See gefahren. Wir haben immer in einer kleinen Pension am Strand gewohnt. Es war so unglaublich familiär und gemütlich und mit nichts zu vergleichen, dass ich von zu Hause her kannte. Als Kind hätte ich mir keinen schöneren Ort vorstellen können, an dem ich meine Ferien verbringen könnte. Das lag auch an den beiden Hunden, die in der Pension zu Hause waren. Ich habe mir immer einen Hund gewünscht, doch ich durfte niemals ein Haustier haben. Nicht auszudenken, wenn der Hund die Gäste des Schloßhotels belästigt oder sich in der Küche herumtreiben würde.

Ich hatte eine schöne Kindheit, das darf man nicht falsch verstehen, aber meine Eltern waren einfach oft beschäftigt mit dem Restaurant und der damit einhergehenden Verpflichtung, in die auch ich rasch mit eingebunden wurde. Herr von Sandern, der Besitzer des Schloßhotels, hat mich ebenfalls unter seine Fittiche genommen, so konnte ich mein Wissen während des Studiums vertiefen. Ich hatte wirklich ausgezeichnete Lehrer und dieses Wissen verkümmert langsam, aber sicher.

Die Flasche Wein in meiner Hand ist bereits geleert, sodass ich sie an der Bar gegen eine neue austausche. Meine Füße beginnen zu schmerzen und ich unterdrücke ein Gähnen, was meinem Vater nicht verborgen bleibt. „Mach doch Feierabend für heute. Wir schaffen den Rest auch allein.“ Er schenkt mir ein Lächeln, während er die Flasche Rothschild für mich öffnet.

„Ach was, das stehe ich schon durch. Außerdem schuldest du mir noch den Spätburgunder.“ Ich zwinkere ihm zu und lege den Damast um den Flaschenhals, der verhindern soll, dass der Wein tropft, während ich ihn in die Gläser fülle. Ein Tumult hinter mir lässt mich den Wein jedoch vergessen.

Sylvie, eine unserer Kellnerinnen, hockt leichenblass vor einem der Tische und sammelt Scherben auf. Niemand andere als ausgerechnet Martin Zimmermanns Begleitung steht wutschnaubend neben ihr, versucht, einen riesigen Weinfleck von ihrem Kleid zu wischen, der sich unschön in ihrem Schoß ausgebreitet hat. Ich greife nach weiteren Stoffservietten und bahne mir einen Weg, um Sylvie helfen zu können.

„So etwas Unfähiges habe ich ja schon lange nicht mehr erlebt. Können Sie denn nicht aufpassen? Sehen Sie sich nur mein Kleid an, völlig ruiniert …“

Mein Blick streift Sylvies, deren Augen vor Tränen glänzen. Sie flüstert eine Entschuldigung, doch Martins Freundin scheint noch nicht mal gewillt, ihr zuzuhören, sondern steigert sich in ihre Schimpftiraden hinein. Ich gebe Sylvie ein Zeichen, das ich übernehme und erleichtert verschwindet sie mit den aufgesammelten Scherben in der Küche.

„Brauchen Sie noch Servietten?“ Ich halte der Dame meine Tücher hin, doch sie wirft mir lediglich einen wütenden Blick zu.

„Ich brauche ein neues Kleid! Sie können sich Ihre Tücher sparen.“

„Wir kommen selbstverständlich für die Reinigungskosten auf.“

„Das ist auch das Mindeste, was ich verlangen kann. Wissen Sie eigentlich, wie teuer dieses Kleid war?“

Nein, aber ich gehe davon aus, dass es Sylvies Monatsgehalt verschluckt und vielleicht auch noch das der nächsten drei Monate.