Herzrasen kann man nicht mähen - Johannes Hinrich von Borstel - E-Book

Herzrasen kann man nicht mähen E-Book

Johannes Hinrich von Borstel

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Beschreibung

Johannes Hinrich von Borstel studiert Medizin und hat sich auf das Herz spezialisiert. Nebenbei ist er aber auch einer der besten Science-Slammer Deutschlands. Er kann Herzerkrankungen tanzen und uns im Rhythmus von »Highway to Hell« die perfekte Reanimation präsentieren. Parallel zu seiner Dissertation arbeitet er als Rettungssanitäter – ein Großteil seiner Einsätze sind wahre Herzensangelegenheiten. Anhand vieler Geschichten aus der Praxis vermittelt er uns in diesem Buch seine Begeisterung für das Wunderwerk des Herz-Kreislauf-Systems. Er beschreibt, wie wir unserem Herzen etwas Gutes tun und uns damit fit und gesund halten können, erzählt vom "Broken-Heart-Syndrom" – von Menschen, die tatsächlich an einem gebrochenen Herzen sterben – und erklärt, wie Sex uns vor Arteriosklerose schützen kann.

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Das Buch

Johannes Hinrich von Borstel studiert Medizin und hat sich auf das Herz spezialisiert. Nebenbei ist er aber auch einer der besten Science-Slammer Deutschlands. Er kann Herzerkrankungen tanzen und uns im Rhythmus von »Highway to Hell« die perfekte Reanimation präsentieren. Parallel zu seiner Dissertation arbeitet er als Rettungssanitäter – ein Großteil seiner Einsätze sind wahre Herzensangelegenheiten. Unser Herz-Kreislauf-System, seine Entwicklung, seine Funktionen (und Fehlfunktionen) verdienen unsere gesamte Aufmerksamkeit. Dieses Buch ist die unterhaltsamste Einführung, die man sich dafür vorstellen kann.

Der Autor

Johannes Hinrich von Borstel, geb. 1988, forscht für seine molekularkardiologische Dissertation. Er studiert Humanmedizin in Marburg, arbeitet als Rettungssanitäter und steht seit 2013 regelmäßig mit großem Erfolg auf deutschen Science-Slam-Bühnen.

Johannes Hinrich von Borstel

Herzrasen kann man nicht mähen

Alles über unser wichtigstes Organ

ULLSTEIN

Die Ratschläge in diesem Buch sind vom Autor und vom Verlag sorgfältig geprüft worden. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat. Alle Angaben in diesem Buch erfolgen daher ohne jegliche Gewährleistung oder Garantie seitens des Verlags oder des Autors. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Zum Schutz der Personen wurden Namen, Biographien und Orte zum Teil verändert und Handlungen, Ereignisse und Situationen an manchen Stellen abgewandelt.

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ISBN: 978-3-8437-1185-2

© 2015 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinUmschlaggestaltung: sempersmile, MünchenUmschlagmotiv: © sempersmile/privat

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Für Michi

Inhalt

Über das Buch und den Autor

Titelseite

Impressum

Widmung

EINLEITUNG

DIE SCHLEIFE IM HERZEN

DAS LÄNGSTE THEATERSTÜCK DER WELT

Erster Akt – Das ungeborene Herz

Zweiter Akt – Das neugeborene Herz

Dritter Akt – Das starke Herz

Vierter Akt – Das kranke Herz

Fünfter Akt – Das (k)alte Herz

HERZKLAPPENPOKER

DIE KÖRPERAUTOBAHN

DIE KARDIALE ROHRVERSTOPFUNG

DAS ERSTE MAL

DAS BOOT HAT SCHLAGSEITE

RUSSISCHES ROULETTE MIT HERZ

EINE TEERSTRASSE IN RICHTUNG HERZ

HERRENGEDECK FÜR DAS HERZ

KAFFEESATZLESEN VOM FUSSBODEN

STAU IM HERZEN

VOLLSPERRUNG

ES WIRD ENG

EIN GROSSES HERZ

NACH HERZENSLUST SCHLEMMEN

DAS HERZ KRIEGT SEIN FETT WEG

ISS DICH FIT

SOLLTE DER OSTERHASE VEGAN LEBEN?

VON NATUR AUS SÜSS

HERZRASEN KANN MAN NICHT MÄHEN

PRESSLUFTHAMMER IN DER BRUST

WENN DER URLAUB ZUR ZITTERPARTIE AN DEN ATRIEN WIRD

NATÜRLICH INTEGRIERTER HERZSCHRITTMACHER

SIEHST DU DEN KIRCHTURM, IST DER FRIEDHOF NICHT WEIT

QUIT PLAYING GAMES WITH MY HEART

MOTORSCHADEN

BETTSPORT FÜRS HERZ

DER SÜNDIGE WEG ZUM GESÜNDEREN HERZEN

Oxytocin – das Kuschelhormon

Dopamin – die Belohnungsdroge

Adrenalin – der Aufputscher

Serotonin – der Glücklichmacher

Testosteron – die Kraftquelle

Endorphin – der Schmerzstiller

Östrogen – das Lusthormon

DIE (FAST) UNSCHLAGBARE KÖRPERARMEE

Angeborene Immunabwehr

Erworbene Immunabwehr

EIN KLEINER PIKS

ROTE KARTE FÜR DAS HERZ

RHYTHMISCHE HERZGYMNASTIK

HÜPF HERZ, HÜPF

DER FIGHT-OR-FLIGHT- RAKETENANTRIEB

ICH SEH’ ROT!

ROTE BLUTKÖRPERCHEN IM GELBEN TRIKOT

OHNE DRUCK LÄUFT NICHTS

DRUCK AUF DEM KESSEL

FLASCHEN AUF DER LIEGEWIESE

HERZSCHLAG FÜR ZWEI

DORNRÖSCHENS HERZ

DAS HERZ KANN NICHT EINSCHLAFEN

LIEBESKRANKES HERZ

TICTAC HEILT ALLE WUNDEN

DAS LÖCHRIGE HERZ

SCHLUSS

NACHBEMERKUNG

DANK

QUELLENVERZEICHNIS

1. Die Schleife im Herzen

2. Die kardiale Rohrverstopfung

3. Russisches Roulette mit Herz

4.Stau im Herzen

5. Nach Herzenslust schlemmen

6. Herzrasen kann man nicht mähen

7. Bettsport fürs Herz

8. Rhythmische Hergymnastik

9. Ohne Druck läuft nichts

10. Dornröschens Herz

Anmerkungen

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

EINLEITUNG

Jeder hat eine ungefähre Vorstellung davon, was ein Herzinfarkt ist. Er ist ziemlich ungesund, verursacht meist Schmerzen in der Brust und man bekommt schlecht Luft. Nicht selten sorgt er sogar dafür, dass unser Herz, dessen Aufgabe es ist, Blut durch unsere Adern zu pumpen, seinen Dienst komplett quittiert. Gar nicht gut. Schließlich sorgt dieser Muskel dafür, dass jeder noch so entlegene Winkel unseres Körpers, von der Kopfhaut bis zum kleinen Zeh, mit nähr- und vor allem sauerstoffreichem Blut versorgt wird. Das ist, ganz klar, überlebenswichtig für uns Menschen.

Unterbräche man etwa den Blutstrom vom Herzen zum Gehirn nur für wenige Sekunden, so wäre das, als hätten wir einen mit dem Knüppel auf den Schädel bekommen: Wir würden bewusstlos zusammenklappen und ob unser Denkzentrum danach noch mehr als Wackelpudding ist, wäre zumindest zweifelhaft. Denn unser Gehirn verträgt Sauerstoffmangel überhaupt nicht gut. Deshalb schlägt das Herz – zwar mal schneller und mal langsamer, und manchmal scheint es sogar kurz innezuhalten – durchschnittlich 100000 Mal am Tag. Dabei bewegt es jedes Mal, wenn es sich zusammenzieht, ungefähr 85 ml Blut, also etwa 8500 Liter pro Tag. Wir bräuchten einen Tanklaster, um solch eine Menge Flüssigkeit durch die Gegend zu bewegen. Eine beeindruckende Leistung!

Ein Herzinfarkt war der Grund dafür, dass ich meinen Opa Hinrich nie kennenlernen durfte. Über ein Jahrzehnt vor meiner Geburt starb er, nachdem er unter Schmerzen in der Brust und mit Atemnot zusammengebrochen war. Jedes Mal, wenn ich sein großes Schwarzweißbild im großmütterlichen Wohnzimmer sah, fragte ich mich, wie es wohl gewesen wäre, ihn kennenzulernen. Dabei sah er auf den Bildern im Familienalbum doch so stark aus!

Ich verstand nicht, wie eine so kleine Sache solch einen Mann umhauen konnte. Deshalb verschlang ich schon früh alle Bücher und Bildbände, die ich in die Finger bekam, in denen etwas über das menschliche Herz und sein Versagen stand. Mein Interesse wurde von meinen Eltern mit weiterem Lesestoff belohnt, und allmählich entwickelte sich bei mir für die Vorgänge im menschlichen Körper eine echte Faszination. Damals entschied ich, dass ich mich als Erwachsener mit Natur und Medizin beschäftigen wollte. Ich wollte unbedingt Forscher oder vielleicht Arzt werden (Plan B: Straßenmusiker). Deshalb las ich nicht nur Bücher, sondern sammelte vom Mäuseskelett bis zum Schildkrötenpanzer alles, was mir ein genaueres Bild vom Körper lieferte.

Mit 15 wollte ich meine Schulferien nutzen, die Bücher beiseitelegen und ein Praktikum in einer Tierklinik machen. Aufgeregt wählte ich die Nummer. Es tutete am anderen Ende. Vier Mal, fünf Mal. Mit jeder Sekunde Wartezeit wuchs meine Anspannung. Sieben Mal, acht Mal. Als ich schon nicht mehr daran glaubte, wurde der Hörer doch noch abgenommen. Eine Frauenstimme begrüßte mich geschäftsmäßig monoton.

»H-Hallo …?«, stammelte ich. »Bin i-ich richtig in der Tierklinik?«

»Ja. Was ist denn?«

Ich fand mein Selbstbewusstsein wieder und erwiderte: »Mein Name ist Johannes von Borstel. Ich bin auf der Suche nach einem Praktikumsplatz für die Schulferien und …«

Ich wurde unterbrochen: »In welche Klasse gehst du denn?«

»Ich bin gerade fünfzehn geworden und gehe in die neunte Klasse.«

Ein tiefer Seufzer am anderen Ende. »Ich sag dir gleich, deine Chancen auf ein Praktikum bei uns stehen nicht gut. In unserer Klinik wird im Notfall auch mal ruck, zuck ein Hund aufgeschnitten. Du bist noch zu jung, um bei so was dabei zu sein.«

Zu jung? Wohl eher nicht. Zu blutig? Vielleicht. Das musste ich ja gerade herausfinden. Genau so etwas wollte ich miterleben, wollte Einblick in das bekommen, was unter der Haut passiert und mit eigenen Augen sehen, was in uns Säugetieren so alles vor sich geht. Wie sollte ich eine solche Möglichkeit nur bekommen? Es blieb nur die Flucht nach vorn: Ich bewarb mich weiter, unter anderem in meinem Heimatkrankenhaus, in der Unfallchirurgie. Schon zwei Tage später bekam ich den heißersehnten Brief. Eine Zusage! Und ich konnte es kaum glauben – auch noch für die Notaufnahme! Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, was dieses Blatt Papier für mich bedeuten würde. Es war nicht weniger als meine Eintrittskarte in den bis dahin spannendsten Abschnitt meines Lebens.

In der Nacht vor meinem ersten Tag als Praktikant konnte ich nicht schlafen, mir schossen einfach zu viele Gedanken durch den Kopf. Bilder von hektischen Notfallversorgungen, Göttern in Weiß, die unerschrocken jede Krankheit heilen, blutig klaffenden Wunden und ich mittendrin. Ich war unheimlich aufgeregt. Was würden morgen wohl für Fälle reinkommen? Was würden meine Aufgaben sein? Was würde passieren, wenn ich einen Fehler machte? Könnte mir schon am ersten Tag ein Missgeschick widerfahren, so gravierend, dass jemand meinetwegen sterben würde? Ich hatte ja keine Ahnung von den Abläufen in einer Notaufnahme. Meine einzige Vorbereitung war ein Erste-Hilfe-Kurs.

»JOHANNES!!! UMGOTTESWILLEN! KOMMSOFORTHER! WARUMHASTDUNICHTAUFGEPASST?!«, donnerte es quer durch die Notaufnahme.

Oh nein, dachte ich. Ich hatte es versaut. Und das gleich am ersten Tag. Dem Ruf folgend, hastete ich über den Flur, betrat den Raum, in dem ich die unheilverheißende Stimme vermutete, und betrachtete das tragische Stillleben. Ein Arzt und eine Helferin standen wutschnaubend vor mir und blickten mich vorwurfsvoll an. Sich der unaufhaltsamen Kraft der Gravitation beugend, fielen Tropfen auf den Boden und bildeten eine unübersehbare Lache.

»DUHASTDASHIERKOMPLETTVERBOCKT! JETZTISTERHIN! DAKÖNNENWIRNICHTSMEHRRETTEN!«

Ich nickte schuldbewusst und wendete meinen Blick beschämt ab. Ich hatte mir zu viel zugetraut. Staccatoähnliche Anweisungen des Arztes: »Sauerei wegmachen. Der Chef kommt gleich. Muss das nicht sehen. Wird nicht erfreut sein!« Die Arzthelferin nickte zustimmend und beide verließen den Raum. Ich zog mir Handschuhe an, griff eine Küchenrolle und riss einige Zuschnitte ab, um sie auf die Unglücksstelle zu werfen. Nachdem die Rolle aufgebraucht und ein Ende der Flut noch nicht in Sicht war, packte ich noch ein Handtuch obendrauf.

Ich wollte gerade das stark riechende Bündel in den Mülleimer werfen, als plötzlich der Chefarzt neben mir auftauchte. »Johannes?! Gibt es Kaffee?« Er grinste, als er das triefende Bündel in meinen Händen sah.

»In 15 Minuten …«, stammelte ich. »Ich muss ihn neu aufsetzen.«

Der erste Fehler meiner Karriere: durch das falsche Befüllen einer Kaffeemaschine selbige in einen unaufhörlich kaffeesatzspeienden Gargoyle zu verwandeln. Fatal, denn es war die einzige Kaffeemaschine auf diesem Flur.

Der Einstand ist ja super gelungen, dachte ich. Was sage ich bloß den Leuten im Pausenraum, um den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen?

»Dann müsst ihr jetzt halt mal ohne Kaffee Pause machen. Ist doch nicht schlimm und dazu auch noch viel gesünder«, trompetete ich einige Minuten später aufmunternd und lächelte erwartungsvoll in die Runde. Schließlich war ich ja in einem Krankenhaus, alle sollten diese Begründung eigentlich nachvollziehen können.

Was habe ich an diesem Tag gelernt? Die einfachste Methode, auch die freundlichsten Krankenhausangestellten in einen fackelschwingenden Mob zu verwandeln, ist es, ihnen den Kaffee vorzuenthalten. Sich dann auch noch klugscheißerisch aufzuspielen war der zweite große Fehler an meinem ersten Tag. Kein Wunder, dass ich vom Praktikanten zum Staatsfeind Nr. 1 aufstieg. Als Wiedergutmachung habe ich dann Marmorkuchen gebacken.

Dass mir in meiner Zeit als Praktikant nie ein schwerwiegender Fehler mit einem Patienten unterlaufen ist, liegt vor allem daran, dass ich langsam und mit guter Vorbereitung an meine Aufgaben herangeführt wurde. Es ging nämlich nicht gleich darum, klaffende Wunden zu versorgen, Strahlblutungen zu stillen oder andere schwere Notfälle zu behandeln. Bevor ich bei solchen Aktionen mitmachen durfte, durchlief ich ein lern- und vor allem erfahrungsintensives Programm.

Mit dem Chefarzt mitgehen, Verbandtechniken lernen, Blutdruck messen und Puls zählen, an Kollegen üben, am Computer dokumentieren und bei kleinen bis mittleren Wundversorgungen assistieren – so sah mein Praktikantenalltag aus. Zusätzlich gab es nach jedem Tag eine kleine Unterrichtsstunde vom Chef, der mir genau die Patientenversorgungen des Tages und die Behandlungsstrategien erklärte. Er hatte ein Talent, auch komplizierte Dinge so zu erklären, dass ich sie damals, ohne Medizinstudium, verstand.

Bald lernte ich auch, Wunden zu nähen. Na gut, ich fing mit Bananen an. Vor allem lernte ich aber, dass Wunden nicht immer blutig sein müssen. Und was vielleicht das Wichtigste war: Ich begriff, dass eine einfühlsame Betreuung und eine gute Behandlung untrennbar miteinander verbunden sind. Der Chef verstand es, unglückliche Patienten zu erkennen und ihnen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Dabei war er auch Ratgeber, weit über medizinische Fragen hinaus.

Mit viel Geduld erklärte er mir den Aufbau des menschlichen Körpers, von der Haut bis zu den inneren Organen. Und dabei begegnete mir wieder meine große (medizinische) Liebe, das Herz. Voller Ehrfurcht lauschte ich seinen Erklärungen zum Herzmuskel und zum Aufbau der vier Kammern. Er erzählte von seiner Zeit als Notarzt, von Herzinfarkten und wie man kranke Herzen richtig behandelt. Und je mehr ich lernte, desto mehr beeindruckte mich dieses faustgroße Kraftbündel in unserer Brust. Ab diesem Zeitpunkt war es um mich geschehen: Mein Herz schlug nur noch für das Herz.

In diesem Buch nehme ich dich mit auf eine Reise zum Herzen. Zuerst schauen wir uns an, wie das Herz entsteht und wächst und was das mit Theater, Schleifen und Ohren zu tun hat. Ich möchte dir zeigen, dass unser Blutgefäßsystem sich ähnlich verhält wie die deutschen Autobahnen – von maroden Straßen bis zum Stau. Du wirst sehen, wie streng unser Herz organisiert ist und wie Vorgänge an Herzvorhöfen und -kammern aus dem Ruder laufen können. Außerdem erfährst du, was genau mit unserer Pumpe passiert, wenn wir wie ein Schornstein qualmen, Stammkunden bei McDonald’s sind und regelmäßig ein paar Tässchen Korn trinken. Und ich erzähle, warum man in der Notfallmedizin nicht mit Esoterik arbeitet, aber dennoch aus dem Kaffeesatz lesen muss.

Du erfährst, welche Krankheiten unser Herz schwächen und du bekommst ein paar Tipps rund um die herzgesunde Ernährung. Wir klären, ob der Osterhase ein gesünderes Herz hätte, wenn er vegan leben würde, warum mittelalterliche Apotheker gerne mal Patientenurin probierten und warum die Jacob Sisters nicht das einzige tödliche Quartett sind.

Danach fahren wir zusammen in den Urlaub, doch es wird eine Zitterpartie. Tatort: die Herzvorhöfe – denn manch ein junges Urlauberherz ist nach den Ferien weniger erholt als vorher. Wir klären, was genau unseren gesunden Herzrhythmus bedingt, was ihn beeinflusst und wie man in der Medizin gegen Rhythmusstörungen vorgehen kann. Dabei gucken wir uns auch die drastischste Methode an, die unser Herz wieder in Schwung bringen kann: die Reanimation.

Die brauchen Menschen mit einem Herzstillstand und damit dir das nicht passiert, schauen wir uns ein super Mittel zur Vorbeugung an: Sex, der den Körper und das Immunsystem, unsere Körperarmee, kräftigt und unterstützt. Wir gucken uns die kleinen Kämpfer unserer Abwehr ganz genau an und warum Sport doch kein Mord ist. Nebenbei drehen wir noch eine Runde durch das Blut und seine Bestandteile und setzen uns mit dem Blutdruck auseinander.

Danach wird es noch mal richtig spannend: Wir lernen, dass auch unsere Psyche und die Schmetterlinge im Bauch Einfluss auf unser Herz haben. Kann man an gebrochenem Herzen sterben? Auf jeden Fall sollten wir unsere Selbstheilungskräfte nicht unterschätzen, aber auch die moderne Medizin hält einiges bereit, um ein kaputtes Herz zu reparieren, vom Teiletausch bis zu einem komplett neuen Motor.

Das sind die Stationen unserer Herzreise – eine spannender als die andere. Und jetzt geht die Fahrt auch schon los!

DIE SCHLEIFE IM HERZEN

WIE UNSER HERZ ENTSTEHT, WIE ES AUFGEBAUT IST UND WIE SEINE TRANSPORTWEGE FUNKTIONIEREN

DAS LÄNGSTE THEATERSTÜCK DER WELT

Bu-Bumm, Bu-Bumm, Bu-Bumm, Bu-Bumm, Bu-Bumm. Das Geräusch eines schlagenden Herzens. Kraftvoll leistet es Tag für Tag seinen lebensnotwendigen Dienst. Es schlägt pausenlos, egal, ob wir wach sind oder schlafen, es schlägt ab dem ersten Tag unseres Lebens bis zu unserem allerletzten Atemzug. Aber was passiert in der Zwischenzeit, also während unseres Lebens, mit unserer Pumpe? Das ist eigentlich gar nicht so kompliziert.

Ich gehe leidenschaftlich gern ins Theater und dabei ist mir aufgefallen, dass das, was ein Herz in seinen durchschnittlich 80 Jahren erlebt, dem klassischen Drama mit seinen fünf Akten gleicht. Der erste Akt ist die Einleitung, ab dem zweiten steigert sich die Handlung. In der Mitte des Dramas, im dritten Akt, erreicht diese ihren Höhepunkt. Von da an geht es tragischerweise nur noch bergab. Und nach dem vierten Akt, in dem alles schlimmer wird, schließt sich im fünften die unausweichliche Katastrophe an, die das Stück beendet.

Aber was fasele ich hier herum? Vorhang auf für ein echtes Herzensdrama.

Erster Akt – Das ungeborene Herz

Im Theater beginnt im ersten Akt meist die Vorstellung der Charaktere. Darf ich vorstellen: die embryonale Herzanlage. Nicht mehr als ein Zellklumpen. Schon kurze Zeit nach der Befruchtung der Eizelle, von der an die ziemlich komplizierte Entwicklung des Embryos beginnt, wird auch der Grundstein für ein funktionierendes Herz gelegt. Allerdings hat das, was man nach knapp drei Wochen sehen kann, noch nicht viel mit einem funktionierenden Herzen zu tun. Man findet nämlich erst mal nur eine ziemlich unauffällige Ansammlung von Zellen: die sogenannte »kardiogene Platte«.1 Die bildet zwei Stränge, die sich zu Schläuchen weiterentwickeln.

Gleichzeitig formt sich schon der Herzbeutel aus, in dem sich die Herzanlage weiterentwickelt. Der umgibt später auch das erwachsene Herz. In seinem Inneren wachsen die nebeneinander verlaufenden Schläuche zusammen und bilden einen großen Herzschlauch. Der verlängert sich und krümmt sich schließlich. Und obwohl das, was sich dabei entwickelt, ganz anders aussieht als das, was man vom Binden der Schuhe her kennt, nennt man diesen Prozess Schleifenbildung.

Damit ist die Herzentwicklung aber noch lange nicht abgeschlossen. Denn danach bekommt unser Herz Ohren – mit denen es allerdings nicht hören kann. Eine Attrappe, wie die plüschigen Bunny-Ohren, die bei Junggesellinnenabschieden so beliebt sind. Die genaue Funktion dieser Herzohren, die nichts anderes sind als Ausstülpungen der Herzvorhöfe, ist ungeklärt. Was man allerdings weiß, ist, dass sie für die Ausschüttung eines Hormons zuständig sind, das später die Urinausscheidung fördert. Unser Herz pumpt also nicht nur Blut, sondern hilft uns auch beim Pinkeln.

Mittlerweile ist seit der Befruchtung fast ein Monat vergangen, und man kann die Herzanlage jetzt in einen Vorhof- und einen Kammerbereich unterteilen. Es bilden sich Vorstufen der Herzklappen und der Scheidewand, die die rechte und linke Herzhälfte voneinander trennt. Die ist jedoch beim Embryo bis wenige Tage nach der Geburt noch nicht komplett geschlossen. Vielmehr gibt es zwischen rechtem und linkem Vorhof eine Öffnung, das ovale Loch oder »Foramen ovale«. Durch diese Öffnung strömt Blut vom rechten in den linken Vorhof und weiter in den Körper des Embryos. Warum das? Der Grund ist einfach: Ein Embryo kann noch nicht selbständig atmen. Daher würde es keinen Sinn machen, das Blut umständlich durch die Lunge zu leiten. Die Abkürzung ist vollkommen ausreichend. Das, was am Ende dieser Entwicklung steht, ist muskelbepackt und innen hohl (und ähnelt damit irgendwie einem ehemaligen Gouverneur von Kalifornien).

Zweiter Akt – Das neugeborene Herz

Das Herz eines neugeborenen Kindes unterscheidet sich deutlich von dem eines Erwachsenen. Es hat etwa die Größe einer Walnuss und arbeitet erheblich schneller. Es schlägt bis zu 150 Mal pro Minute und das ohne Sport, einfach so. Das ist etwa doppelt so flott wie bei einem Erwachsenen. Der Grund: Das Herz ist jetzt noch sehr klein und fördert bei jedem Zusammenziehen nur wenig Blut. Weil es aber mittlerweile komplett selbständig funktioniert, verschließt sich in den Tagen nach der Geburt das Foramen ovale. Folge: Die rechte Herzhälfte pumpt das Blut in den Lungenkreislauf und die linke in den Körper des Neugeborenen.

Im Theater zeichnet sich an dieser Stelle meist schon der erste Konflikt ab. So auch beim Herzen. Denn ist bei dessen Entwicklung etwas krass schiefgelaufen, fällt es spätestens jetzt auf. Zwar ist die vorgeburtliche Diagnostik in unseren Breitengraden sehr gut, aber leider nicht perfekt. Hört ein Arzt ein krankes Kinderherz ab, so sind oft Geräusche wahrnehmbar, die auf einen Herzfehler hinweisen.

Der häufigste ist der sogenannte Ventrikel-Septum-Defekt, bei dem die Trennwand zwischen den beiden Herzkammern ein Loch hat.2 Im schlimmsten Fall beginnt ein Kinderleben dann direkt mit einer Herzoperation. Doch das hängt davon ab, wie groß die Öffnung ist. Kleinere Defekte können sogar komplett ohne Therapie zuwachsen, und solange das Neugeborene vital und lebensfrisch ist, besteht meist keine akute Lebensgefahr. Entscheidend ist, ob die kindlichen Organe genügend Sauerstoff bekommen. Ist das der Fall, kann man selbst, aber vor allem der kleine Knirps, erst mal einigermaßen beruhigt durchatmen.

Dritter Akt – Das starke Herz

Das gesunde Herz eines ausgewachsenen, 20 Jahre alten Menschen zieht sich zwischen 60 und 80 Mal in der Minute zusammen. Ist es gut trainiert, kann es in Ruhe aber auch deutlich langsamer schlagen. Dabei strotzt dieses Muskelbündel nur so vor Energie. Wie es in seinem Inneren aussieht, versteht man am besten, wenn man es aufschneidet und hineinschaut. Eine Erfahrung, die für mich in der medizinischen Anatomie total spannend war, die aber sicher nichts für jeden ist.

Schauen wir uns die Sache einmal aus der Sicht eines roten Blutkörperchens an. Das nennt sich im Fachjargon Erythrozyt und gehört zu den vielen gleichartigen Zellen unseres Blutes, die den roten Farbstoff Hämoglobin enthalten. Seine Hauptaufgabe ist es, Sauerstoff aus der Lunge in unseren Körper und im Gegenzug Kohlendioxid zur Lunge zurückzutransportieren.

So sieht das menschliche Herz von innen aus

Also, du bist jetzt ein Ery (so nennen Mediziner diese Teile flapsig). Stell dir vor, du bist gerade dabei, Kohlendioxid – gebunden an das Hämoglobin – aus einem Organ des Körpers, etwa dem Gehirn, durch ein Blutgefäß in Richtung Herz zu befördern. Dann befindest du dich in einer Vene. Denn alle Adern, die Blut zum Herzen hin transportieren, heißen Venen, alle, die umgekehrt Blut vom Herzen weg in den restlichen Körper befördern, Arterien. Nach einigen Abzweigungen kommst du in der oberen Hohlvene an, einem Gefäß, das direkt ins Herz mündet. Dorthinein wirst du kohlendioxidbeladen gespült und befindest dich nun im rechten Vorhof. Von dort geht’s weiter in die rechte Herzkammer. Nicht trödeln, das hier ist kein Stadtbummel, wir haben eine Mission!

Zwischen rechtem Vorhof und rechter Kammer passierst du eine Herzklappe, genauer gesagt eine Segelklappe, die von Medizinern Triskuspidalklappe genannt wird, weil sie aus drei Segeln besteht (das lateinische Wort »cuspis« bedeutet »Spitze« oder »Segel«). Hast du den rechten Vorhof über diese Klappe verlassen, gibt es beim gesunden Herzen kein Zurück mehr. Denn alle Herzklappen arbeiten wie ein Ventil, das heißt, sie öffnen sich nur in eine Richtung. So verhindern sie zuverlässig, dass dich der Blutstrom aus der rechten Kammer in den Vorhof zurückspült. Blut fließt also im gesunden Herzen immer nur in eine Richtung und schwappt nicht etwa zwischen Kammer und Vorhof hin und her.

Anschließend verlässt du die rechte Kammer über eine weitere Herzklappe, die Pulmonalklappe, in Richtung Lunge.3 Nach dem Passieren dieser Klappe befindest du dich in der Pulmonal- oder Lungenarterie. Womit klar ist, dass der oft gehörte Satz »Arterien transportieren sauerstoffreiches Blut und Venen sauerstoffarmes« Unsinn ist. Denn du hast ja immer noch dein Kohlendioxid bei dir, bist also »sauerstoffarm«. Trotzdem schwimmst du gerade in einer Arterie. Daher noch einmal: Arterien befördern Blut vom Herzen weg und Venen zum Herzen hin (wobei es allerdings auch von dieser Regel kleine Ausnahmen, beispielsweise im Bereich der Leber, gibt).4

In der Lunge angekommen, erfüllst du deine erste Mission als Ery, gibst dein Kohlendioxid ab und tankst stattdessen Sauerstoff, um damit beladen über die Pulmonalvene (!) die Rückreise zum Herzen anzutreten. Dort fließt du mit deinen Artgenossen in den linken Vorhof und dann weiter über eine dritte Herzklappe in die linke und letzte Herzkammer der Reise. Die Klappe zwischen linkem Vorhof und linker Kammer heißt Bikuspidal-5 oder auch Mitralklappe, da ihre Form an die Bischofsmütze, die Mitra, erinnert.

Die linke Herzkammer ist der Bodybuilder in der Welt der Herzhöhlen, ihre Muskelwand ist mit Abstand die dickste. Schließlich muss sie eine Menge Druck aufbauen, um das Blut in ständiger Bewegung zu halten und bis in den hintersten Winkel unseres Körpers zu pumpen. Weiter geht’s durch die letzte Klappe, die Aortenklappe, in die Hauptschlagader, die Aorta. Die macht um das Herz einen schwungvollen Bogen, von dem aus Äste für den Kopf und die Arme abgehen. Dann zieht sie weiter in den Bauchraum, wo sie sich in immer kleinere Äste verzweigt und sämtliche Organe und Gewebe, bis hinab in die Zehenspitzen, mit frischem Blut versorgt.

Damit befinden wir uns auf dem Höhepunkt des Herzensdramas. Alles funktioniert, das Herz und die Blutgefäße scheinen ein unkaputtbares System zu sein. Doch eine tragische Kehrtwende bahnt sich an.

Vierter Akt – Das kranke Herz

Schon nach 25 Jahren beginnen sich erste »Verkalkungen« an den Wänden der Herzkranzgefäße (das sind die Arterien, die den Herzmuskel selbst mit Blut versorgen) abzulagern. Das ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht dramatisch, aber hier wird schon der Grundstein für eine folgenschwere Erkrankung gelegt: die Arteriosklerose, besser bekannt als »Gefäßverkalkung«. Sie ist die Ursache Nummer eins für die beiden häufigsten Todesursachen weltweit, den Herzinfarkt und den Schlaganfall. Die Ablagerungen in der Gefäßwand werden mit der Zeit nämlich immer dicker und verschließen die Adern erst teilweise und im schlimmsten Fall irgendwann vollständig (wie eine verkalkte Wasserleitung).

Im Fall der Herzkranzgefäße werden so mehr oder minder große Abschnitte des Herzmuskels nicht mehr ausreichend mit Nahrung und Sauerstoff versorgt und verändern sich. Das ist der berühmt-berüchtigte Herzinfarkt. Minderversorgte Bereiche werden in eine Art Narbengewebe umgewandelt, das sich nicht mehr aktiv am Herzschlag beteiligt. Und ein Team ist bekanntlich immer nur so gut wie sein schwächstes Glied. Die Folge: Das Herz büßt an Kraft und Ausdauer ein.

Im Theater spricht man an dieser Stelle vom retardierenden Moment, also dem Augenblick der Verlangsamung vor dem großen Finale. Im Fall des Herzinfarktes übernimmt die Rolle der Verlangsamung die Medizin. Um die unausweichliche Katastrophe hinauszuzögern oder, besser noch, zu verhindern, kann man zum Beispiel Medikamente verabreichen, Herzkatheter-Behandlungen (mittels eines dünnen, direkt in die Kranzgefäße vorgeschobenen Schlauches) durchführen und zudem versuchen, die Lebensumstände des Betroffenen so zu verändern, dass das Herz entlastet und das Risiko eines weiteren Infarktes möglichst gering gehalten wird.

Fünfter Akt – Das (k)alte Herz

Schmerzen in der Brust. Das Herz ist aus dem Takt. Horcht man mit dem Stethoskop den Brustkorb ab, hört man nicht mehr Bu-Bumm, Bu-Bumm, Bu-Bumm. Vielmehr klingt es eher wie Bu-…….Bumm, Bu-Bu-Bumm, Bumm, Bu-Bumm. Atemnot und Kraftlosigkeit stellen sich ein. Nach fast einem Jahrhundert ununterbrochenen Schlagens ist das Herz merklich schwächer geworden und hat eine Menge mitgemacht. Gerade erlebt es seinen dritten Herzinfarkt. Es pumpt immer kraftloser, in einem letzten Aufbegehren versucht es noch einmal, alles aus sich rauszuholen, indem es schneller arbeitet. Doch am Ende ist alles vergebens. Das Herz funktioniert nicht mehr richtig, zuckt nur noch kurz und unkoordiniert und bleibt schließlich stehen. Das war’s dann.

Das ist das unabwendbare Ende des Dramas. Vorhersehbar, aber dennoch tragisch. Obwohl wir den Herzstillstand natürlich alle einmal erleben werden. Doch die Zeit, bis es so weit ist, muss nicht dramatisch sein. Ganz im Gegenteil: Ein herzensgutes Leben ähnelt eher einer Komödie. Am Ende bleibt die Pumpe zwar auch stehen, aber vorher hat man wenigstens viel gelacht und eine erfüllte Zeit gehabt.

Denn das Gute ist: Jeder kann Vorkehrungen treffen, um den Herzstillstand so spät wie möglich zu erleben. Und im besten Fall geschieht das, ohne dass Herz- und Gefäßprobleme einem das Dasein vermiesen.

Der erste Schritt in die richtige Richtung ist Humor. Ab und zu ist das Leben zwar eine bitterernste Angelegenheit, aber mit einem Lächeln auf den Lippen ist alles leichter. Versuch es mal mit Lachyoga. Oder gib »Quadruplet Babies Laughing« bei YouTube ein.

Nicht nur Hypochonder neigen dazu, in unbedeutende Symptome todbringende Krankheiten hineinzuinterpretieren. Von dieser lähmenden Angewohnheit bist du, bin ich, sind wir alle nicht frei. Das Tolle ist allerdings: In der Regel ist der Mensch erst einmal gesund. Was zum Glück auch für das Herz gilt. Denn wenn sich in unserem Körper etwas merkwürdig anfühlt, ist es meist nicht die seltene Krankheit, die uns in wenigen Stunden dahinraffen wird, sondern etwas ganz und gar Harmloses. Getreu meinem Lieblingsspruch: »Wenn man vor dem Fenster Hufgetrappel hört, ist es meist kein Zebra.« Dem persönlichen Glück und der körperlichen Unversehrtheit steht also gar nicht so viel im Wege. Trotzdem macht es mir hin und wieder Freude, genau auf mein eigenes Herz zu hören.

HERZKLAPPENPOKER

Ich liege im Bett und höre meinem eigenen Herzen beim Arbeiten zu. Es schlägt etwas kräftiger als sonst, denn ich bin vor dem Schlafengehen noch einige Bahnen geschwommen. Ich schaue auf meinen Wecker und zähle in 15 Sekunden 19 Schläge. Ich rechne: 4 mal 19, das ist 19 mal 2 mal 2. Oder 2 mal 38, also 76 Schläge in der Minute. Ich schaue an mir herunter und sehe, wie sich mein Brustkorb mit jedem Herzschlag mitbewegt.

Als angehender Mediziner habe ich ein Stethoskop griffbereit in der Nähe und höre mich ab. Bu-Bumm, Bu-Bumm, Bu-Bumm, Bu-Bumm, Bu-Bumm. Ich bin gerade 25 Jahre alt geworden. Etwa 900 Millionen Mal hat mein Herz schon so geschlagen. Voller Pflichtbewusstsein und unbeirrt seiner Aufgabe folgend, mich am Leben zu halten. Danke, liebes Herz, dass du diese monotone Arbeit für mich erledigst.

Doch lauscht man genauer, fällt etwas auf: So monoton ist die Arbeit des Herzens gar nicht. Es macht schließlich nicht einfach nur wie der Bass aus dem Lautsprecher Bumm, Bumm, Bumm, Bumm. Im Gegenteil: Es scheint, als sei da noch eine Art Echo zu hören. Bu-Bumm, Bu-Bumm, Bu-Bumm. Ein Herzschlag besteht nämlich nicht nur aus dem Zusammenziehen des gesamten Herzens, sondern aus einem zeitlich abgestimmten Zusammenspiel von Vorhof- und Kammermuskulatur sowie dem Öffnen und Schließen der Herzklappen.

Zuerst ziehen sich die Vorhöfe zusammen und drücken Blut in die Kammern. Diesen Vorgang kann man mit dem Stethoskop normalerweise nicht belauschen. Kurze Zeit danach, im Normalfall etwa 150 Millisekunden später, ziehen sich die Kammern zusammen und befördern das Blut weiter in die Lunge und schließlich in den Körper. Das Zusammenziehen der Kammermuskulatur verursacht das »Bu«. Das darauffolgende »Bumm« wird jedoch nicht vom Herzmuskel selbst, sondern vom Schluss der Taschenklappen an der Aorta und der Lungenarterie verursacht. Ich setze das Stethoskop an einen anderen Punkt meines Brustkorbes. Der Ton verändert sich. Etwas weiter oben ist er wieder anders. Ich könnte Stunden damit zubringen, meinem Herzen zuzuhören.

Das, was mich an diesem Abend besonders begeistert, sind vor allem die Töne, die von meinen Herzklappen ausgehen. Die sorgen ja dafür, dass sich das Blut auf der Reise durch unser Herz immer nur in eine Richtung bewegt und nicht plötzlich den Rückweg antritt. Wie wir gesehen haben, unterscheidet man vier Klappen, von denen zwei Segel- und zwei Taschenklappen sind. Immer im Wechsel öffnen und schließen sie sich. So entstehen Geräusche, die sich je nach Herzklappe unterscheiden. In der Medizin unterscheidet man vier Herztöne, von denen wir mit dem Stethoskop allerdings nur zwei hören kann.

Der erste tiefere Herzton entsteht durch das Zusammenziehen der Muskulatur der Herzkammer. Daher nennt man ihn auch den »Muskelanspannungston«. Der zweite, höhere Ton dauert nicht ganz so lang wie der erste, ist etwas lauter und heller. Man bezeichnet ihn auch als Klappenschlusston, denn er entsteht durch das Verschließen der beiden Taschenklappen. Während des Einatmens kann dieser Ton seinen Klang verändern und sich aufspalten. Die Aortenklappe schlägt hierbei etwas früher zu als die Pulmonalklappe.

Kinder und Jugendliche tönen mehr rum als Erwachsene – ihr Herz tut es ihnen gleich. Denn weder den dritten noch den vierten Ton kann man bei einem gesunden Erwachsenen mit dem Stethoskop wahrnehmen, gelegentlich aber bei Jugendlichen. Den dritten Ton hört man, wenn sich die linke Herzkammer füllt. Das ist vor dem Erwachsenenalter ganz normal. Ist der dritte Ton bei einem Erwachsenen zu hören, kann das auf Probleme hindeuten. Genauer gesagt auf Probleme mit der Bikuspidalklappe zwischen linkem Vorhof und linker Kammer,6 auf eine krankhafte Aufblähung der Herzkammer7 oder auf eine Herzinsuffizienz (unzureichende Herzarbeit). Und wenn die Restmenge Blut in der Kammer beim erneuten Volllaufen zu groß ist, schwappt das einfließende Blut gegen diesen Rest, und das erzeugt ebenfalls einen Ton.

Der vierte Ton wird durch die Anspannung der Vorhöfe erzeugt. Tritt er bei Erwachsenen auf, kann er auf Bluthochdruck, eine Vergrößerung der Muskelwanddicke oder eine Stauung im Ausflusstrakt der linken Herzkammer oder – seltener – eine Verengung der Aortenklappe, eine sogenannte Stenose, hinweisen. In der Regel folgt ihm direkt der erste Herzton.

Das alles mit dem Stethoskop zu hören ist jedoch eine echte Kunst. Es gibt Mediziner, die ein derart geschultes Gehör haben, dass sie damit nicht nur die kleinsten Veränderungen am Herzen erkennen, sondern sogar kleine Mikrotumoren in der Lunge. Dazu setzt man das Stethoskop auf den Brustkorb und beginnt an bestimmten Stellen zu klopfen. Anhand des Echos soll es möglich sein, solche Tumore zu identifizieren. Mir ist so eine beeindruckende Leistung allerdings noch nie gelungen, aber auch hier macht wohl ständige Übung den Meister.

Das Stethoskop ist mir dennoch immer eine große Hilfe, nicht nur um das Herz, sondern auch den Rest des Körpers abzuhören. Ich bin im Harz aufgewachsen, in einer Gegend, die im Sommer bei Motorradfahrern sehr beliebt ist. Da passieren in der Saison häufig schwere Unfälle, und nicht selten sind die Folgen solcher Horror-Crashs üble Verletzungen. Komme ich dann als Rettungssanitäter an den Unfallort, höre ich zuerst die Lungenflügel und den Bauchraum ab. Denn immer wieder hört man bei solchen Patienten trotz vorhandener Atmung auf einer Brustkorbseite keine Atemgeräusche.

Die Ursache für diesen scheinbaren Widerspruch ist meist ein zusammengefallener Lungenflügel (Pneumothorax) auf dieser Brustkorbseite, manchmal auch eine Blutansammlung im Brustraum (Hämatothorax) oder schlimmstenfalls die Kombination aus beidem (Hämatopneumothorax). Klopft man zusätzlich beim Abhören auf den Brustkorb (in der Medizin nennt man das »perkutieren«), kann man anhand des Schalls Luft und Blutansammlung unterscheiden. Eine Luftansammlung klingt eher wie ein Trommelschlag, während eine Flüssigkeitsansammlung den Klopfschall etwa so dämpft, als würde man auf eine wassergefüllte Pauke hauen. Wenn der Patient jetzt noch singen und Gitarre spielen würde, wäre er fast reif für die Bühne, müsste er nicht noch weiter behandelt oder untersucht werden.

Bei einer normalen Untersuchung wird oft der Bauch abgehört, um die Darmfunktion zu überprüfen. Nach einem Motorradunfall hört man den Bauch dagegen klopfenderweise ab, um auch hier Flüssigkeitsansammlungen und Blutungen auszuschließen oder zu bestätigen. Du siehst: Das Stethoskop ist alltäglicher und nützlicher Begleiter in der Medizin und bei Behandlungen, vor allem am Herzen, nicht wegzudenken.

Doch es hat wie alles seine Grenzen. Zwar gibt es Kardiologenstethoskope, mit denen man fast die Regenwürmer kriechen hört, doch alles kann man auch damit nicht erkennen. Zum Beispiel den dritten und vierten Herzton. Dann ist eine spezielle Ultraschalluntersuchung des Herzens, ein sogenanntes Herz-Echogramm (Echokardiogramm), angebracht. Auf diese Weise kann man beispielsweise die Größe des Herzens, der Kammern und Vorhöfe, die Dicke der Wände, die Beweglichkeit des ganzen Herzens, seiner Klappen und fehlerhafte Blutströme feststellen. Oft bekommt der Arzt so Hinweise auf eine krankhafte Herzveränderung, seien es Klappenfehler oder Engstellen in herznahen Blutgefäßen.

Während des Studiums habe ich einen Merksatz gelesen, der mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht: »Anton pokert mit Tom um 22:54«. Das klingt erst mal nach allem anderen als einer medizinisch relevanten Information. Es sei denn, man will sich die Punkte merken, an denen das Stethoskop zur Kontrolle der Herzklappen aufgesetzt wird.

Das Einzige, was man sich neben dem Satz und der Kombination rechts-links-links-rechts einprägen muss, ist nämlich, dass die Uhrzeit für die Zwischenrippenräume 2, 4 und 5 steht und die Anfangsbuchstaben des Merksatzes identisch mit denen der Klappen (Aorten-, Pulmonal-, Mitral- und Trikuspidalklappe) sind. Weiß man das, kann man recht genau seinen eigenen Herzklappentönen und, falls vorhanden, -geräuschen zuhören. Doch die Beurteilung ist kompliziert und sollte erfahrenen Kardiologen überlassen bleiben, denn die haarfeinen Unterschiede zu erkennen ist ohne jahrzehntelange Praxis kaum möglich.

Anton pokert mit Tom um 22:54 – an diesen Punkten setzt man das Stethoskop auf.

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