Heuschrecken und wilder Honig - Erwin Möde - E-Book

Heuschrecken und wilder Honig E-Book

Erwin Möde

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Beschreibung

Johannes, der in engster Verbindung mit Jesus aus Nazaret steht, der sein Vorläufer genannt wird und der ihn taufte, ein Heiliger, dessen Geburtstag die Kirche mit einem Hochfest feiert – dieser Johannes soll eine tragische Gestalt sein? Wer dem Autor auf seinen anthropologisch-theologischen Erkundungen folgt, wird die tiefgründige Wahrheit dieser Behauptung rasch begreifen. Erwin Möde, Theologe und Psychologe, enttabuisiert den rigorosen Asketen vom Jordan, den schonungslosen Pragmatiker in seinem Ruf nach Umkehr. Das Leben des Täufers weitet sich zum Beziehungsdrama zwischen Jesus und Johannes und wechselt zur Tragik des Täufers: seines Zweifels, seiner Gefangenschaft und Ermordung. Dass sich aber gerade in dieser überraschenden Wende der Sinn der Sendung des Johannes zeigt, ist das spannende Ergebnis der Spurensuche des Autors.

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Erwin Möde

Heuschrecken und wilder Honig

Johannes der Täufer – eine tragische Heilsgeschichte

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2024 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg

Tel. 0941/920220 | [email protected]

ISBN 978-3-7917-3490-3

Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de

Umschlagbild: El Greco, Johannes der Täufer (Ausschnitt), 1600–1610,

Museo des Prado, Madrid ( https://commons.wikimedia.org – public domain)

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2024

eISBN 978-3-7917-6259-3 (epub)

Unser gesamtes Programm finden Sie unter

www.verlag-pustet.de

Inhalt

Einleitung

Jenseits des „Wissens“ – Dem Ewigen auf der Spur

1Herkunft und Hinkunft:Von Johannes zum „Täufer“

Johannes, Prophet in heilsgeschichtlicher Wendezeit:Um-Kehr zum Wahrnehmen des Ankünftigen

Wer ist Johannes der Täufer?Zur Vorgeschichte seiner Namensbestimmung

„Johannes“, ein Name, der Wahres sagt:„Gott hat Gnade erwiesen“

Johannes’ Antwort auf projektive Fragen:„Stimme eines Rufenden in der Wüste“ (Joh 1,23)

„Warum taufst du?“ (Joh 1,25):Johannes’ Verweis auf die Geisttaufe

Seitenblicke zur Eigenlogik des Schicksals:Eine Kurzgeschichte mit überraschender Wendung

Sinn-Wendungen:Zur (Vor-)Geschichte der Begegnung Johannes – Jesus

2Johannes, der schwer vergleichliche Prophet

Augen-Blick, der verwandelt:„Siehe, das Lamm Gottes!“ (Joh 1,29)

Johannes’ Auftrag am Jordan:Zeugnisgabe für den „Sohn Gottes“

„Rufer“ an der Grenze zum Absoluten:Vergegenwärtigung des Heils in Jesus

Unterscheidung der Geister:(Fehl-)Verheißung, Skepsis – und Glaube

Vom „Sehen“ zum Propheten-„Spruch“:Sehen – erkennen – glauben – bezeugen

Johannes als Asket:Zwischen Logos und Leiblichkeit

„Heuschrecken haben keinen König“ (Spr 30,27):Johannes, der andere Prophet

Heuschrecken und Wüste:Zur Identität des „Rufers“

Ein „Mensch, von Gott gesandt“ (Joh 1,6):Johannes „gegenüber“ von Israel

Ausnahme im Outback:Johannes, „Mund der Wahrheit“

Im „Dazwischen“:Der Platz des Täufers

„Rufen“, das heraufführt und wandelt:Verkündigung als Vergegenwärtigung von Heil

Das „Wort Gottes“ als Zäsur:Wendepunkt für den „Sohn des Zacharias“

3Die Begegnung der „Zwei“: Johannes und Jesus

Kairos der Begegnung:(An-)Erkennen Jesu als Messias statt mythischem Verkennen

Wer ist der Messias?Johannes, vom Geist geführt, authentisch im Bezeugen

„Brüchige Prophetie“:„Erlösung“ zwischen Gesetz und Gnade

Johannes’ skeptische Nachfrage:„Du kommst zu mir?“ (Mt 3,14)

„Lass los, jetzt!“ (Mt 3,15):Von der Krise der Begegnung zur Um-Kehr des Johannes

Johannes’ Metanoia:Einsamkeit – Krise und (Selbst-)Transzendenz

Die (Geist-)Taufe Jesu:Reinigungsritus und Zeugnis „aus den Himmeln“ (Mt 3,16)

„… die ganze Gerechtigkeit zu erfüllen“ (Mt 3,15b):Jenseits von Recht und Ritus

4Der „Riss“: Zweifel, Gefangennahme und Enthauptung

Der Glaube ist (zunächst) einfach:Johannes zwischen Bekenntnis und Zweifel

„Bist du es, der kommen soll …?“ (Mt 11,3):Johannes, gefangen im Zweifel

Der Zweifel:„Riss“ zwischen Vorstellung und Wahrheit

Jesu Antwort an Johannes:„und selig ist, wer nicht Anstoß nimmt an mir“ (Lk 7,23)

„Und alles Fleisch soll Gottes Heil schauen.“ (Lk 3,6)Johannes als Gefangener – Jesus als „Ärgernis“

Jesu Antwort an das Volk:Johannes, der „Bote vor deinem Angesicht“ (Lk 7,27)

Johannes:Vielleicht doch der „kommende Elija“? (Mt 11,14)

Der Irrtum in der Verkündigung des Täufers:„… mit unauslöschlichem Feuer verbrennen“ (Mt 3,11; Lk 3,17)

Die polyphone „Stimme“ des Johannes:Drohrede und Bußpredigt – Zeugnisgabe und Standespredigt

„Was sollen wir tun?“ (Lk 3,10)Die Weisheit des Lehrers Johannes

Herodes der Große:„Edler“ von Roms Gnaden und Mörder

Herodes Antipas:Mörderischer Sohn des „großen“ Herodes

5Johannes, das tragische „Lamm Gottes“

„Was wohl wird das Kind sein?“ (Lk 1,66):Zur einsamen Tragik des Johannes

Johannes:Das andere „Lamm Gottes“ (Ex 29,38 f.)

Nachwort

Zum Ende der Spurensuche

EinleitungJenseits des „Wissens“ – Dem Ewigen auf der Spur

Dieses Buch beansprucht nicht, „wissenschaftlich“ zu sein. Es ist anders. Wie? Das wird sich den Lesenden zeigen. Die Seiten dieses Buches sind wie „Pfade“, die auf den Johannes der Evangelien, nämlich den „Täufer“, zuführen, um weiterzuleiten: den Wort-Zeichen, Leerstellen und Verbindungen der Texte (in interlinearer, d. h. Wort-für-Wort-Übersetzung) folgend. So ergeben sich Sinn-„Spuren“, die gleichsam als Wendungen zur biblischen Wahrheit in den Horizont jüdisch-christlicher Offenbarung einführen.

Ohne Fußnoten und nicht bepackt mit wissenschaftlichem Apparat geht es sich freier und leichter. Sinn-Biegungen können überraschen auf dem Pilgerpfad in die biblische Sprache, die sich Zug um Zug im Erzählen und Hören in das Offenbarende lichtet, ohne dabei objektiv begreifbar zu werden.

Noch ein Wort dazu, warum dieses Buch unmöglich „wissenschaftlich“ sein kann, aber hoffentlich hilfreich für ein alternatives Verstehen von Lebenswirklichkeit im Horizont sprechender Offenbarung. Spätestens seit der Aufklärung, über deren Beginn und Zielqualitäten sich fortgesetzt streiten ließe, gilt der lapidare Anspruch an das „Betreiben“ von Wissenschaft: „Etsi deus non daretur“, d. h. „als ob es Gott nicht gäbe“. Vermeintlich kann nur so Wissenschaft daraus werden und nicht anders. Solcher „Wissenschaftlichkeit“, gegebenenfalls auch Theo-Logik, liegt ein gewalttätiger Verzicht auf all das zugrunde, was mit der wirkmächtigen Wirklichkeit Gottes auch nur annähernd zusammenhängt oder an sie erinnert. Bereits Friedrich Nietzsche schrieb (1886) vom „Tod Gottes“ im Zusammenhang mit einer neuen, „Fröhlichen Wissenschaft“, von der allerdings Theodor W. Adorno gleich einleitend zu seinen „Minima Moralia“ (1951) bekennt, dass sie „traurige Wissenschaft“ sei. Weil aber jede Zeile dieses Buches davon ausgeht, dass Gott wirk- und sprachmächtig ist, deshalb ist es wissenschaftlich untauglich. Dazu bekennt sich dieses Buch, sodass es kritiklos übergangen werden kann, insbesondere wenn man davon ausgehen sollte, dass der Zugang zur (biblisch vermittelten) Lebenswirklichkeit ein primär wissenschaftlich-atheistischer sein müsse.

Mit anderen Worten: Die Texte, die Sie hier lesen können, sprechen von Anfang an auf einer anderen Grundlage als der wissenschaftlicher Konformität. Ihr Anspruch ist nicht ausgerichtet auf Passform, sondern auf Sensibilisierung für die biblische Offenbarungssprache, thematisch zentriert auf Johannes den „Täufer“.

Die Bibel in all ihren über 30 Büchern und 22 Briefen ist ein Kunstwerk. Wie aufmerksam, inspiriert und dem Wort gefolgsam, müssen ihre Kompositeure wohl an den Texten gewoben haben! Wie mutig waren die Propheten gegenüber der öffentlichen Meinung, durch die sie regelmäßig verurteilt wurden! Wie geduldig im Schreiben und wie fest in ihrem Glauben an den einen und einzigen Gott waren die Chronisten im Alten und die Evangelisten im Neuen Testament! Zwar waren sie gebildete Männer (mit Frauen im Hintergrund), aber sie waren keine Wissenschaftler und auch keine Philosophen. Ihnen allen gemeinsam ist nicht ihr „Wissen“ um den lebendigen Gott, sondern ihre innere Gewissheit, „Ihm“ auf der (Sprach-)Spur zu sein.

Die Bibel selbst ist Sprache, dem Ewigen auf der Spur. Davon, vom ewigen und lebendigen Gott, spricht sie, ursprünglich in Textrollen mit Lücken, ohne Punkt und ohne Komma. Ihr Sprechen betrifft die Menschen und trifft die Lebenswirklichkeit, um sie ins „wahre Aussagen“ (Jacques Lacan) zu überführen; um Gott in seiner Schöpfung vernehmbar werden zu lassen in Zeichen, Wort, Sinn und Tat. Das Sprechen der Bibel ist ein fortwährend sich aufbauendes Bekenntnis zur Gottes-Wirklichkeit allen Seins und Lebens.

Die Bibel, das sind ansprechende Texte, die aus dem Schweigen kommen und Schweigen bewirken können. Die Bibel ist in ihrem „wahren Sagen“ rücksichtslos: Ihre Sprache „will“ weder überreden noch kompromissreich die Weltbilder, Vorurteile und Rationalitäten der Rezipienten bedienen. Ihr Dienst an der Wahrheit der Gottes-, Schöpfungs- und Heilswirklichkeit ist zugleich ihr Dienen am Menschen. Wer sich von den biblischen Texten ansprechen und führen lässt, dem kann das zustoßen, was Ijob schließlich so bekennt: „Auch mich führte er aus dem Rachen der Angst in das Weite seiner Freiheit“ (Ijob 36,16). Der Gott, mit dem Ijob existenziell haderte und ihm schließlich umso mehr vertraut, ist einerseits der „verborgene Gott“, andererseits der „Deus semper maior“, also der „je größere Gott“: Stets bleibt er geheimnisvoll immer noch anders und „größer“ als der Mensch ihn und sein Wirken sich vorstellt. Nicht auf dem „Altar der Vernunft“, sondern im Hinhören und Mitvollziehen der Bibelsprache gilt es, die Gottesbilder, diese heimlichen „Götzen“ (d. h. „kleinen Götter“) eigener Vernunft, zu opfern. Solches Opfer, zu dem bereits die kleinen und großen Propheten des Alten Testamentes aufrufen, befreit zum Größeren, zum Menschlichen wie zum Spirituellen, ermöglicht es doch, dass Gott als „Deus maior“ unkontrollierbar wirksam werden kann in Herz, Verstand und Lebensgefühl.

In der Wendezeit vom Alten ins Neue Testament, an der Grenze jüdischer Prophetie, taucht plötzlich ein letzter großer Prophet auf: Johannes, später genannt der „Täufer“. In seiner Persönlichkeit und seinem Wirken verleiblicht sich, wie in einem Gleichnis, all das an authentischer Eigenart, wahrem Sprech-Handeln und rücksichtslosem Bekenntnis, was die Bibel selbst ist. Und sie ist es, indem sie spricht und bezeugt: Die Bibel ist Sprache, die den anspricht, der sie hört. Das haben die Bibel und Johannes gemeinsam.

1 Herkunft und Hinkunft: Von Johannes zum „Täufer“

Johannes, Prophet in heilsgeschichtlicher Wendezeit: Um-Kehr zum Wahrnehmen des Ankünftigen

Johannes ist der große, exemplarische Prophet der heilsgeschichtlichen Wendezeit zwischen dem jüdischen Thora-Glauben mit seinen mosaischen Rechtspraktiken und dem schon angebrochenen Charisma des Neuen, nämlich dem Wirken Jesu als Christus (= „Gesalbter“). So jedenfalls stellen es alle vier Evangelien dar, indem sie Johannes den Zeugen sein lassen für die Gottessohnschaft Jesu, das „Lamm Gottes“ (Joh 1,29). Johannes wird am symbolstarken Grenzfluss Jordan Jesus taufen und über ihn bekennen:

„Dieser ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich.“ (Joh 1,30)

Dieses johanneische Bekenntniswort fällt insofern aus der Zeit, als es die Zeitenfolge umkehrt: Eine Zeiten-Wende also, in der der spätere zum ersteren wird, nämlich zu dem, der schon eher war. Die Logik des Chronologischen wird hier abgelöst durch eine hintergründige andere Ordnung, der eine andere Wahrheit zugrunde liegt als die Logik der natürlichen Reihenfolge. Johannes predigt nicht nur „Umkehr“ im moralischen Sinn, sondern Metanoia (Umkehr) prägt sein Erkenntnis- und Denkvermögen: Er denkt „andersherum“, in Umkehrung und paradoxal vom Anderen her. Das griechische Wort für Umkehr ist „metanoia“ und meint, wörtlich verstanden, „hinter“ (meta) das übliche Denken (noia) des Hausverstandes hinausgehen, und zwar ohne zu fantasieren. Dann kann sich eine andere Dimension von Erkenntnis und Verstehen ergeben, die man schon zu Platons Zeit Pistis (Glaube) nannte. Solches geschieht dem Erkennenden plötzlich, ohne lange logische Ableitung, dafür aber überzeugend, d. h. glaub-würdig.

Folgt man dem Johannesevangelium, so kommt der Begegnung Johannes – Jesus etwas Unvermitteltes, Überraschendes zu (vgl. Joh 1,29). Ein Zeitfenster öffnet sich: Aus der geistigen Haltung der Meta-noia heraus sieht, erkennt und bezeugt Johannes die Gottessohnschaft Jesu (Joh 1,34) als „Gottes Lamm“: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ (Joh 1,36). Auch diese nicht weiter vom Täufer begründete Verbindung von „Gottes Sohn“ und „Lamm Gottes“ ist einzigartig paradoxal. Im Alten Testament findet diese Kombination kein Vorbild. Sie ist neu kreiert und überspannt kontrastreich – bereits zu Beginn der Evangelien – das Wirken und Leiden, die Herkunft und den Erlösungsauftrag des Jesus-Messias. Zwischen „Gottes Sohn“ und „Gottes Lamm“ wird sich die opfervolle Heilsdramatik in allen vier Evangelien entwickeln. Bis heute geht sie nachträglich in keiner glatten Heilslogik auf. Sie bleibt enigmatisch, ohne restlose Abklärung. Sie verbleibt rätselhaft wie ein antiker Orakelspruch, der sich um die zweipolige Achse (Gottes Sohn – Gottes Lamm) des großen Dramas um Jesus Christus aufbaut und ausrichtet.

Johannes ist es, der so spricht und aus dieser eigenwilligen Logos-Sprache seine Zeugnisgabe und Identität bezieht. Wer also ist Johannes, dessen Zeugenschaft Jesus die identitätsstarken, irreversiblen Prädikate der Gottessohnschaft und des Gotteslammes zuspricht? Wer ist Johannes, von dem alle vier Evangelien Zeugnis geben?

Wer ist Johannes der Täufer? Zur Vorgeschichte seiner Namensbestimmung

Johannes, dem alle Evangelien viel Sprach-Raum widmen, wer ist das? – Freilich, er wirkt in der Komposition aller Evangelisten unüberbietbar als der mächtige Wegbereiter, Täufer und Zeuge für Jesus, den verheißenen „Christus“-Messias. Johannes hatte Gefolgsmänner (vgl. Joh 1,35.3,35; Lk 11,1) um sich und lebte – zumindest eine Zeit lang – von „Heuschrecken und wildem Honig“ (Mk 1,6c). Er selbst war wohl so etwas wie ein junger „wilder Mann“, der sogar dem jüdischen Herodes (Antipas) die Stirn bot; der die Feindschaft der Herodias auf sich zog, die von dem verliebten Herodes im Handumdrehen den Kopf des Outsiders forderte. Dass sie ihn regelrecht „auf einem Tablett“ (Mt 14,11) serviert bekam, inspiriert seither die bildenden Künste in „grauen-vollen“ Gemälden. Der Mord an Johannes blieb unvergessen in der jüdischen Bevölkerung, was Herodes zu schaffen machte. Stimmen werden laut (vgl. Mt 14,2), dass der Geist des toten Täufers auf Jesus übergegangen wäre, dass er Johannes sei, predigt er doch unter heiltätigen Wunderzeichen vom nahenden „Reich Gottes“. Doch diese eher gespenstischen Mutmaßungen enden bald spurlos im Neuen Testament. Jesus ist nicht der „zweite“ Johannes.

Wer aber ist der gemordete und nicht mehr auferstandene Johannes? Hängen nicht die Persönlichkeit des Zeugnisgebers, dessen Zeugnis und Glaubwürdigkeit eng miteinander zusammen? Während die irdische Herkunft Jesu Christi vom Evangelisten Matthäus 42 Generationen lang über David bis auf Abraham zurückverfolgt wird (Mt 1,1 f.), lesen sich die lukanischen Angaben über Johannes’ Herkunft und Berufung schließlich verdichtet in zwei Versen (Lk 3,1–2). Die Evangelisten Johannes (1,19–37) wie Markus (vgl. Mk 1,1–11) setzen sofort mit dem Wirken des Täufers ein (vgl. Mk 1,2–3), ohne auf seine Herkunft überhaupt einzugehen. Immerhin berichtet Lukas ausführlich davon, dass Johannes der Sohn von Elisabeth und Zacharias sei, blutsverwandt mit Maria, der Mutter Jesu (Lk 1,39–80).

Mehr noch: Johannes’ Vater Zacharias, der der Priesterklasse Abijas angehört, gibt bei der Beschneidung und Namensgebung seines Sohnes ein geistinspiriertes Zeugnis, wer „Johannes“ sei, nämlich ein „Prophet des Höchsten“ und ein Wegbereiter des „Herrn“:

„Und du aber, Kind, wirst Prophet des Höchsten genannt werden, denn du wirst vorausgehen, dem Herrn zu bereiten seinen Weg […].“ (Lk 1,76)

Beide Eltern, zuerst Elisabeth (Lk 1,60), sodann Zacharias, bestehen auf dem Namen „Johannes“, und zwar gegenläufig zu dem hartnäckigen Willen der anwesenden Familienmitglieder (vgl. Lk 1,59–61), die den neugeborenen Sohn unbedingt nach dem Vater (wieder) „Zacharias“ nennen wollen. Erst als der stumme Zacharias den Namen „Johannes“ in eine Wachstafel einschreibt, kann sich dieser Legitimierung niemand mehr widersetzen:

„Geöffnet wurde sein [= Zacharias’] Mund sofort und er redete, preisend Gott.“ (Lk 1,64)

„Johannes“, ein Name, der Wahres sagt: „Gott hat Gnade erwiesen“

Das also ist in geraffter Nacherzählung fast schon die Vorgeschichte von Johannes’ späterem Wirken als Prophet, als Wegbereiter Jesu und Täufer auf der anderen, östlichen Seite des Jordan. Eine wesentliche, biblische Bemerkung fehlt noch:

„Aber das Kind wuchs und wurde stark dem Geist, und er war in den einsamen Gegenden bis zu dem Tag seines öffentlichen Auftretens vor Israel.“ (Lk 1,80)

Die Namensgebung war also kontrovers (ob „Zacharias“ oder „Johannes“) und offen bis zu dem ultimativen Moment, als Zacharias zum Erstaunen aller festschrieb: „Johannes ist sein Name“ (Lk 1,63b). „Johannes“ besagt im Hebräischen: „Jah(we) hat Gnade erwiesen“. Somit ist der Name Johannes seiner hebräischen Lesart nach ein Zeugnis und eine bezeugende Erinnerung an den „gnädigen Gott (Jahwe)“, der seinem Volk Gnade erwiesen hat und weiterhin erweisen kann. Hierin treffen der Sohn- und der Vater-Name aufeinander, meint doch „Zacharias“ im Hebräischen „Jah(we) gedenkt“. Dass Gott gnädig seines Volkes eingedenk bleibt, darum bitten und davon künden Psalmen und Propheten; daran erinnert der prophetische Lobpreis des Priesters Zacharias:

„Und Zacharias, sein Vater, wurde erfüllt mit heiligem Geist, und er redete prophetisch, sagend: Gepriesen der Herr, der Gott Israels. Denn er hat besucht (sein Volk) und gewirkt Erlösung seinem Volk.“ (Lk 1,68)

Gleitend, mit Vers um Vers sich verschiebender Bedeutungsgabe, verankert sich die prophetische Sinnaussage dann doch plötzlich im „Kind“ Johannes. Sie konkretisiert und vereinmaligt sich in ihm als dem „Propheten des Höchsten“, dem Wegbereiter des „Herrn“:

„Und du auch, Kind, ein Prophet des Höchsten wirst genannt werden; denn du wirst vorhergehen vor dem Herrn, zu bereiten seine Wege.“ (Lk 1,76)

Das ist Johannes’ Auftrag. Ihm ist er vorbestimmt durch den Engel Gabriel. Und zwar von seinem Namen her, der nicht zufällig gegeben wird, sondern sich gegen allen Widerstand der Familientradition durchsetzt. In seinem Namen also liegt bereits die Sinn- und Jahwebindung des Menschen Johannes, noch vor seiner Geburt. Johannes’ sprach- und wirkmächtige Identität, sein Selbstsein vor Gott, seine Wegbereitung für den ankünftigen Messias, sie alle sind in seinem Namen symbolisiert, d. h. vorhergesagt und zusammengefasst. Dieser Name wird sein Leben und seine Täuferaktivität sowohl begleiten als auch interpretieren.

Wer also ist Johannes? Sein Stammbaum ist respektabel. Über seinen Vater Zacharias leitet er sich weit zurück bis in die Priesterklasse des Abija, ein Name der (hebräisch) besagt: „Mein Vater ist Jahwe“. Auch Elisabeth, die in ihrem Namen (hebr.: Elischaba: „Mein Gott ist Fülle“) den Wortbezug zur Gnade Gottes trägt, ist aus dem (Priester-)Geschlecht Aarons, verwandt mit Maria, der Mutter Jesu. Die Herkunft des Johannes führt durch beide Elternteile tief hinein in das genealogische Fundament Israels, seiner Berufung und Priesterschaft, die Zacharias’ Opferdienst im Jerusalemer Tempel fortführt. Die Vorfahren des Johannes waren – aus der Perspektive des Evangeliums – Weggefährten des einzigartigen Mose, des Erzpropheten, der sein Volk 40 Jahre lang über 42 Stationen bis an das Ostufer des Jordan führt, also an einen Symbolort, an dem Jahrhunderte später Johannes als Täufer wirken wird.

Mose (hebr.: „Der [aus dem Wasser] Herausgezogene“) wird niemals den Grenzfluss Jordan überschreiten, der deshalb der „Herabsteigende“ heißt, weil er vom Hochland Galiläa aus südwärts hinabfließt ins Tote Meer. Mose wird den Berg Nebo hinaufsteigen, der 19 km östlich des Jordan zu imposanten 883 Höhenmetern aufsteigt. Von dort wird er über den Fluss hinweg in das „Gelobte Land“ schauen, die zwölf Stämme Israels (mit einem für jeden Stamm speziellen Segen) segnen und dann sterben. „Und niemand kennt sein Grab bis auf den heutigen Tag.“ (Dtn 34,6)

Kurz nachgefragt: Weshalb sollte niemand Moses Grab kennen? Weil das Begräbnis des Mose so einmalig geschah, wie der Mann Mose war: Gott selbst begrub ihn „im Tal der Moabiter, gegenüber von Beth Pegor“ (Dtn 34,6). Und weil der sprechende Gott auch schweigen kann, sind das Begräbnis wie das Grab des Mose dem menschlichen Wissen und Wollen entzogen. Exakt „30 Tage lang“ wird Israel Mose, den 120-Jährigen, betrauern. Dann bricht eine neue Führung an: Jehoschuah, der Sohn Nuns (Dtn 34,9 f.), wird das Volk über den Jordan führen.

Johannes ist also der, der dort einsetzt, nämlich im Osten des Jordan, wo Mose endete. Bis dorthin war Mose gekommen. Einer der 70 Gottesnamen jüdischer Frömmigkeit ist „Schadai“. Er besagt: „Grenze“, „genug“. – Unter Jehoschuah, dem Mose kurz vor seinem Tod „die Hände [segnend] aufgelegt hatte“ (Dtn 34,9), geht die Wegführung Israels anders weiter. Jehoschuah (bzw. Joshua) heißt: „Der Herr hilft“. Die latinisierende Übersetzung dafür ist in römischer (Besatzungs-)Zeit: Jesus.

Mose und Jehoschuah, Johannes und Jesus bilden Paare im biblischen Sinn von Begleitung, von Nachfolger und Vorläufer. Johannes ist der „vor-läufige“ Wegbereiter Jesu, des anderen Jehoschuah, der über Thora und Tenach hinaus in das „Neue Testament“, also in ein „Neues Zeugnis“, einführen wird. Es ist das erneuerte, umfassende Zeugnis von Gott und Mensch, von (Gottes-)Wirklichkeit und (Menschen-)Leben; ein „ahnungs“-volles Zeugnis, das bis zu Mose und Aaron in die Tiefe der Thora führt, bis hin zum Jordan und darüber hinaus.

Wer also ist Johannes? Er ist der, dessen (familiäre) Spuren „thora- weit“ verfolgbar sind und dessen eigene Fußspuren in die östliche Wüste und an den Jordan führen. Er ist der, der dort Jesus erwartet (vgl. Joh 1,28) und Zeuge wird für dessen Gottessohnschaft als „Lamm Gottes“ (Joh 1,36). Johannes der „Täufer“ ist der Verkünder und Zeugnisgeber dafür, dass, durch wen und wie „Gott Gnade erweist“ (vgl. Joh 1,27–36). Johannes ist der geistbegabte Seher, der allein das Zeichen „sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube und blieb auf ihm [= Jesus]“ (Joh 1,32b).

Johannes, das ist auch der, der den „Priestern und Leviten“ (Joh 1,19) Antwort gibt, die immerhin den Weg von Jerusalem zum anderen Jordanrufer auf sich nahmen. Dort werden sie überrascht von der bis dahin nie so gehörten, rätselhaften Antwort des Propheten, die „Stimme eines Rufenden“ zu sein (nicht zu haben!).

Johannes’ Antwort auf projektive Fragen: „Stimme eines Rufenden in der Wüste“ (Joh 1,23)

Je einfacher manche Fragen(den) daherkommen, desto mehr Bewusstsein, Konzentration und Selbstbegrenzung brauchen die Antworten. Man erinnere sich nur an den bescheidenen, umweltfreundlichen Philosophen Diogenes. Angeblich lebte er selbstgenügsam in einer Tonne in mediterranen Gefilden. Alexander der Große klopfte ihn bei gutem Wetter aus seinem Gehäuse, um ihn zu fragen, was er sich von ihm wünsche. Eine völlig überraschende, nicht mehr wiederkehrende Chance, so denkt man sich als normal Sterblicher. Und Diogenes nützt die Chance ohne langes Nachdenken, was für einen Philosophen eine praktisch-asketische Leistung ist. Angeblich antwortete er dem großen Alexander: „Geh mir aus der Sonne!“ Ein Wunsch, der ihm immerhin sofort erfüllt werden konnte und ihm auf Dauer einen Platz in der Philosophiegeschichte einbrachte.

Diogenes und Johannes gemeinsam ist wohl die Enttäuschung, die sie dem bzw. den von weit her Angereisten mit ihren Antworten bescherten. Ihre Antworten sind nämlich anspruchslos. Gemeinsam ist beiden auch die kurze, einfache Klarheit ihrer Antworten, ohne Wenn und Aber. Sie sind präzisen Pfeilschüssen vergleichbar, nicht langatmigen Erklärungen. Die folgende Perikope aus dem Anfang des Johannesevangeliums gibt gegliedert und gerafft den Dialog des Täufers mit denen wieder, die ihn zunächst prüfend, schnell aber projektiv befragen:

„Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als sandten zu ihm die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten, damit sie fragten ihn: Du, wer bist du?

Und er bekannte, und nicht leugnete er, und zwar bekannte er: Ich bin nicht der Gesalbte. Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elija?

Und er sagte: Nicht bin ich (es). Der Prophet bist du? Und er antwortete: Nein.

Da sagten sie zu ihm: Wer bist du? Damit Antwort wir geben den geschickt Habenden uns. Was sagst du über dich selbst?

Er sagte: Ich (bin) Stimme eines Rufenden in der Wüste: Richtet gerade den Weg des Herrn, wie gesagt hat Jesaja, der Prophet.“(Joh 1,19–24)

Alle vier Antworten des Täufers zusammen formen sein (Selbst-) Zeugnis, das, aus ihm gesprochen, weit über ihn hinausweist auf den Anderen. Er umschreibt ihn (in Joh 1,27) als den, „der nach mir kommen wird, der vor mir gewesen ist …“ Das griechische Wort für solch ein wahres „Zeugnis“ lautet übrigens quer durch das Neue Testament: martyria. Gemeint ist ein „Zeugnis“, das existenziell ist und deshalb wirkungsstark.

Das „Zeugnis des Johannes“ (Joh 1,19–24), also sein Selbstzeugnis und des Weiteren sein Bezeugen der Zuwendung Gottes (Joh 1,29 f.) in Jesus, dem Christus (Gesalbten), wirkt fort über Äonen, wo auch immer die „Frohbotschaft“ gelesen und gehört wird. Die „Martyria“ seines Selbstzeugnisses, die Johannes in vier konsequent aufbauenden Antworten den Pharisäern (vgl. Joh 1,24) übermittelt, ist es wert, im Einzelnen nachempfunden, analysiert und schließlich insgesamt gewürdigt zu werden. Derart lässt sich die Leitfrage „Wer ist Johannes der Täufer?“ in eine erweiterte Dimension von Antwort überführen. Das Verhalten des Täufers bringt einen jedenfalls auf die Spur einer Antwort zu der umfassenden, nicht nur theologischen Frage, wer er sei.

Das Experiment lohnt sich übrigens, sich selbst, allein für sich, zu fragen: Wer bin ich? Zunächst und gefühltermaßen scheint es so einfach, der Frage die Antwort aufzusetzen wie einer Kleiderpuppe den Hut. Bin ich mein Name; das Produkt meiner Herkunft; bin ich mein Leib; bin ich mein Denken, meine psycho-moralische Haltung? Wer bin ich bzw. zu wem werde ich in Verhaltensweisen, in denen ich mich selbst nicht mehr wiedererkenne? Wer bin ich, wenn ich bewusstlos schlafe, und wer werde ich sein in dem Moment, in dem „ich“ sterbe? – Vorstellungen, Erinnerungen, Identifikationen, (Körper-)Bilder und immer wieder Gedanken, in denen der Frager sich selbst zu begreifen sucht, um sich dabei unversehens – je intensiver das Nachfragen, desto mehr – zu spalten: in ein Ich – Mich, Beobachter – Objekt, Erkennender – (Nicht-)Erkanntes.

Freilich kann man die Wer-Frage weniger grundsätzlich stellen, und zwar dadurch, dass man sie auf Relationen und Verhältnisse bezieht, so wie das beispielsweise in Sprach- bzw. Intelligenztests praktiziert wird. Kurzum, die scheinbar so simple Frage „Wer bin ich?“ wird eigendynamisch zum Labyrinth, in dem man sich verlieren kann. Allerdings ist ein Labyrinth etwas anderes als eine Falle. Sogar das Labyrinth des Minotaurus barg die Chance eines Auswegs aus der Wirrnis. Im Mythos ist es die kluge Ariadne, die Athens König Theseus das Fadenknäuel mitgibt. Mithilfe des Ariadnefadens findet er nicht nur im Innersten des Labyrinths das Untier und tötet es. Er findet auch wieder heraus aus dem nicht ganz ausweglosen Gehäuse des Palastes, in dem der „Schreckliche“ sich verbarg.

„Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elija? Und er sagte: Nicht bin ich es. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein.“ (Joh 1,21)

Der Verstext belegt: Die Abfolge der insistierenden, projektiven Fragestellungen (Elija, Prophet) beschleunigt sich. Ebenso die verneinenden Kurzantworten des Johannes. Längst schon sind aus der anfänglichen Wer-Frage Unterstellungen geworden, inhaltlich gefüllt mit den damals im Palästinajüdischen kursierenden Vorstellungen wiederkehrender Prophetengestalten aus alttestamentlichen Zeiten. Auf Jesus selbst werden wiederholt Elija und Elischa als prophetische Retter projiziert (vgl. Mt 14,16; Mk 8,28; Lk 9,19; Mt 27,47–49; Mk 15,35 f.). Nicht nur die schnellen Nachfragen wirken bedrängend und unterstellend. Die „Priester und Leviten“ (Joh 1,19) erweisen sich schließlich als bloße Handlanger der Pharisäer. Von ihnen vorgeschickt, sind sie entfremdete Frager. Nicht um die wahre Antwort geht es ihnen, sondern darum, ihren Auftrag pflichtgemäß abzuschließen:

„Da sprachen sie zu ihm: Wer bist du? Damit wir Antwort geben denen, die uns geschickt haben. Was sagst du über dich selbst?“ (Joh 1,22)

Indem Johannes alle Unterstellungen konsequent verneint, wird endlich ein Wendepunkt erreicht. Nach erfolglosem Umweg sind die „Priester und Leviten“ wieder am Ausgangspunkt angekommen (vgl. 1,19), nämlich der noch immer offenen Frage: „Wer bist du? […]. Was sagst du über dich selbst?“ (1,22). Jetzt erst, nach den vereinnahmenden und gescheiterten Projektionen, gewinnt Johannes die schmale Chance, gehört zu werden. Ein enger Korridor aus dem Labyrinth der Projektionen – nur einen Vers (1,23) lang – tut sich auf für die eigenständige Antwort des Täufers, dessen Ariadnefaden sein wahres Sprechen ist:

„Ich (bin die) Stimme (eines) Rufenden in der Wüste […].“ (Joh 1,23)

Um dem Besonderen und Wahren der Täufer-Antwort nachzuspüren, sollen hier die ursprünglichen (sechs) griechischen Worte seines Aussagens wortgetreu gelten: „Ich Stimme Rufenden in der Wüste“. Eine Übersetzung in geläufiges Deutsch ist hier nur möglich um den Preis einer gewissen Verfälschung. Diese geschieht zwangsläufig dadurch, dass das schwebende Aussagen des Textes zu einer flüssig lesbaren und gut verstehbaren Aussage gepresst wird: Übersetzt wirkt der Text lückenlos, was er keineswegs ist.

Die Antwort des Johannes ist selbst wie ein Rufen, das nicht eingefangen und verdinglicht werden kann. In seiner Antwort verfällt Johannes nicht in das Bildhafte und Dingliche, nicht in Konkretisierung und soziale Rollenzuweisung. Was er „über sich“ aussagt, ist weder visualisierbar noch relational fassbar und schon gar nicht widerlegbar. Es ist hart an der Grenze einer verstehbaren, verbindlichen, d. h. kommunikativen Aussage. Sie entzieht sich der Zuordnung, sprich die Ohren und das Hören an, nicht die Augen, nicht den Blick und die imaginäre Vorstellung.

Die Antwort des Johannes abstrahiert den Sprechenden in das fast Leiblose-Akustische zeitloser Weite („Wüste“), enthebt ihn dem, was man landläufig „Objektbeziehung“ nennt: Zu wem, für wen spricht das „Rufen“, dessen Stimme von Johannes kommt? – Darf man es wagen zu behaupten, dass die „Stimme“ die Stimme des Johannes ist ? Das klänge so, als ob Johannes über „seine“ Stimme und „das“ Rufen verfügen könnte. Das würde den grammatikalischen Anschein erwecken, als ob es Johannes autonom, an sich und für sich wirklich gäbe. Ein solches „autonomes Ich“ mit selbstgeleiteter Sprach- und Handlungskompetenz, sollte das die Identität des Täufers sein? Als willensstarker „Rebell“ mit fatalem Durchsetzungsvermögen, so wird Johannes wiederkehrend in Meisterwerken bildender Kunst porträtiert. Aber ist das Johannes? – Nein, das ist er nicht. Wenige, wie der hellsichtige Maler El Greco verstanden das.

Johannes, der Sohn von Elischaba und Zacharias, ist (ein) sprechendes Rufen und rufendes Sprechen mit imperativischer Botschaft vom großen Anderen her:

„Gerade richtet den Weg des Herrn, wie gesagt hat Jesaja, der Prophet.“(Joh 19,23)

In seinem Rufen tönt, wie von Ferne her, der Aufruf Jesajas nach. Dem folgt Johannes in seinem Rufen und Tun für den „Sohn Gottes“. Johannes’ Identität ist verwoben mit dem Vorher der Prophetenzeit und dem Nachher des messianischen Äons, mit Jesaja und Jesus.

„Warum taufst du?“ (Joh 1,25): Johannes’ Verweis auf die Geisttaufe