Heute nicht, ich hab Migräne - Ute Woltron - E-Book

Heute nicht, ich hab Migräne E-Book

Ute Woltron

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Beschreibung

Was ist Migräne? Wege zu einer ganz individuellen Therapie Die Auslöser von Migräne können vielfältig sein. Mal heißt es "Einfach keine Schokolade essen, denn Histamin ist die Ursache." Eine andere Theorie besagt, dass die Kopfschmerzen nach dem ersten Kind wieder verschwinden. Auch die Autorin Ute Woltron erhielt diese und unzählige andere Ratschläge, nachdem sie im Alter von neunzehn Jahren ihren ersten Migräneanfall hatte. Sie lebt seit vierzig Jahren mit Migräne und hat in dieser Zeit allerlei schulmedizinische und alternative Behandlungsmethoden ausprobiert. In diesem Ratgeber teilt sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen darüber, wie ein Leben mit Migräne gelingen kann. Denn das ist der springende Punkt bei dieser immer noch vorurteilsbehafteten Krankheit: Jede Migräne ist ein bisschen anders – und Betroffene müssen ihren ganz eigenen Weg finden, um damit umzugehen. - Was ist Migräne? Ein Selbsthilfe-Buch über die Krankheit und den aktuellen Stand der Behandlungsmöglichkeiten - Eine Erkrankung, viele Unterschiede: Migräne-Symptome bei Frauen und Männern - Therapien gegen Migräne: Wie können chronische Kopfschmerzen, starke Geräusch- und Lichtempfindlichkeit gelindert werden? - Migräneanfälle und ihre Symptome: Die Bedeutung von Migräne-Tagebüchern in der Behandlung - Tipps einer Betroffenen: Ute Wotron berichtet in ihrem Gesundheits-Ratgeber, welche Migräne-Mittel Linderung bringen können Chronische Kopfschmerzen, Übelkeit, Aura: Migräne-Symptome und ihre Ursachen Ist Migräne heilbar? – Die Antwort lautet: Nein. Aber die Medizin hat gerade in den letzten Jahren riesige Sprünge in der Behandlung dieser unsichtbaren Krankheit gemacht. Ute Wotron stellt die neuesten Erkenntnisse und Migräne-Mittel vor und gibt wertvolle Tipps für alle, die noch auf der Suche nach der bestmöglichen medizinischen Versorgung sind. Sie spricht über die Vorurteile und gut gemeinte Ratschläge, die Betroffene auch heute noch zu hören bekommen und macht Mut.  

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Seitenzahl: 193

Veröffentlichungsjahr: 2025

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HEUTE NICHT, ICH HAB MIGRÄNE

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HEUTE NICHT, ICH HAB MIGRÄNE

Wie man lernt, mit dem Monster zu leben, und was zu guter Letzt wirklich hilft

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr.

Eine Haftung der Autoren beziehungsweise Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2025 ecoWing Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – Wien, einer Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15; 5071 Wals bei Salzburg, Österreich

[email protected]

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Canela, Ayer

Umschlagmotiv: © Romilda Bozzetti/123RF

Umschlaggestaltung: fuhrer visuelle gestaltung

Autorenillustration: Claudia Meitert/carolineseidler.com

Lektorat: Elisabeth Skardarasy

Korrektorat: Petra Hannert, Monika Hasleder

ISBN: 978-3-7110-0371-3

eISBN: 978-3-7110-5389-3

Gewidmet meinem Sohn Moritz – für seine Geduld, wenn seine Migräne-Mutter in anderen Sphären war.

INHALT

VORBEMERKUNG – EIN PAAR TAUSEND JAHRE VORURTEILE

ZAHLEN, DATEN, FAKTEN – VOLKSKRANKHEIT MIGRÄNE

WENN DIE MIGRÄNE ZUM ERSTEN MAL ZUSCHLÄGT

Begegnungen mit dem Kobold

Die unsichtbare Krankheit

WIE WIRD MIGRÄNE DIAGNOSTIZIERT?

VERLOREN IM MIGRÄNE-DSCHUNGEL

Ursache und Wirkung

Erhellende Aufzeichnungen

Apotheken und Medikamente

ERGOTAMIN – UMSTRITTENES MIGRÄNEMITTEL

BEGEGNUNGEN MIT NEUROLOGEN

Die Jagd nach Tabletten

Panflötenklänge und Psychotherapie

Frühstücken Sie?

TRIPTANE – NEUE WIRKSTOFFE IN DER MIGRÄNETHERAPIE

EINE KURZE GESCHICHTE DER MEDIKATION

STRESS – DER SCHLIMMSTE FEIND DES MIGRÄNEPATIENTEN

MIGRÄNE-VERANLAGUNG – PECH IN DER GENETISCHEN LOTTERIE

Die erste Nummer 10

Eine Stunde im Nirwana

Freigesprochen, aber nicht erlöst

MIGRÄNE – EINE »ECHTE« ERKRANKUNG

MIGRÄNE UND GESCHLECHT

Migräne bei Frauen

Migräne bei Männern

Wir sind nicht allein

AUF DER SUCHE NACH HILFE

Chinesische Nadeln und Magentropfen

Arbeiten mit labbrigem Gehirn

AURA UND ALICE IM WUNDERLAND

Prominente Migränepatienten aus der Welt der Kunst

Die komischen Augen

CHRONISCHE MIGRÄNE

Dämmerzustand der Verzweiflung

Den Körper lieben lernen – eine Abrechnung mit der Psychosomatik

Somatopsychische Vernachlässigung – wenn Dauerschmerz an der Seele nagt

Kraft und Geschmeidigkeit – weil Körper und Geist eins sind

Ab ins Krankenhaus

MEDIKAMENTÖSE PROPHYLAXE

TRIGGER – DIE RÄTSELHAFTEN AUSLÖSER DER MIGRÄNE

Jedem seine eigenen

Trigger-Mythen

Verspannung

Hormone

Stress

Alkohol

Koffein

Schlaf

Umwelteinflüsse

Trigger-Apps

VON DER KÜRZE ODER LÄNGE DES LEBENS

ERST IN DIE IRRE, DANN IN DIE RICHTIGE RICHTUNG

Alles spielt eine Rolle

Selbstanalyse – was mir geholfen hat

Körper und/oder Geist

Das Wetter als Trigger – atmosphärische Rätsel

Cannabis – Herrin der Heilmittel

Ernährung – keine Punschkrapfen mehr

Nahrungsergänzungsmittel – manche tun gut

Raumluft – CO2 senken

Zeitmanagement mit Migräne

HOLEN SIE SICH HILFE

FAZIT – 1985 BIS 2025

DANKSAGUNG

LITERATUR

ANMERKUNGEN

VORBEMERKUNG – EIN PAAR TAUSEND JAHRE VORURTEILE

1985. Ein ungewöhnlich warmer Herbstnachmittag. Ich saß in der Straßenbahn und fuhr von der Uni heim in meine Studentenbude. Eine lange, aber schöne Fahrt. Von der Wiener Staatsoper über die Ringstraße hinaus nach Neuwaldegg. Links und rechts die Baumriesen. Alte Alleen. Herbstgold in der schrägen Sonne. Dahinter die Prachtfassaden der Jahrhunderte. Ich kam von einer Prüfung an der Technischen Universität Wien, erleichtert und froh. Ich wusste, ich hatte sie bestanden. Festigkeitslehre. Querkräfte und Biegemomente und so weiter. Ein paar Stunden Rechnerei. Aber ich war gut vorbereitet gewesen und hatte lange dafür gelernt. Draußen zogen die Fassaden vorbei, Karyatiden, Gesimse, Balkone. Ich überlegte zum Spaß, wie wohl die Kräfte in den Auskragungen und Stützen verliefen.

Wenn man kopfüber in ein Thema springt und sich für längere Zeit intensiv damit befasst, weil man alles bis ins letzte Detail verstehen will, vielleicht sogar darüber hinaus, dann kann es passieren, dass es einen verschlingt und geradezu überwältigt. Dann beherrscht das Thema den Blickwinkel, und eine Zeit lang ist man versucht, die Welt hauptsächlich durch diese eine Lupe zu betrachten. Das kann ungeheuer Spaß machen, und es kann zu revolutionären neuen Erkenntnissen führen.

Es gibt aber auch Themen, in die verbeißt man sich, bis sie zur ungesunden Obsession werden. Dann ist nicht mehr klar, wer wen verfolgt, denn die Suche selbst beginnt dich zu verfolgen. Das wird tückisch, wenn es sich um ein Rätsel handelt, das man lösen will, ohne zu wissen, dass man das nicht kann. Weil es nicht zu lösen ist. Jedenfalls noch nicht jetzt. Noch nicht zu deiner Zeit.

In dieser Straßenbahn, an diesem Nachmittag, irgendwo auf der Ringstraße begegnete ich zum ersten Mal in meinem damals 19-jährigen Leben dem Mysterium, das zu einem solchen Thema werden sollte. Zu einem Rätsel, das jahrzehntelang weder zu begreifen noch zu lösen war, das immer größer und quälender wurde und sich schließlich zu einem Moloch entwickelte, der mich zeitweilig verschlingen und oft erst nach Monaten andauernder Pein wieder ausspeien sollte: meiner Migräne.

Ich schreibe bewusst »meine« Migräne, denn jeder davon betroffene Mensch hat seine eigene. Obwohl es die charakteristischen Übereinstimmungen gibt, den Schmerz, den Schwindel, die Übelkeit, so wird keine je ganz und gar einer anderen gleichen. Die Migränen sind so ungleich wie wir selbst, wie unsere Gehirne, unsere Körper, unsere Leben. Sie sind ein Teil von uns, und uns gibt es schließlich auch nur ein einziges Mal. Wenn man verstanden hat, dass man Migräne nicht hat, sondern die Migräne ist, kann man mit dem inneren Zwilling so etwas wie Frieden finden.

Ich hoffe, Ihnen gelingt das schneller als mir.

Ich hatte bis zu diesem Tag noch nie Kopfschmerzen gehabt, nicht einmal einen Hauch von Kopfweh. Ich kannte zwar das bösartige Stechen und Pochen der Mittelohrentzündung, aber darüber hinaus hatte ich noch nicht erlebt, dass man das Innere seines Kopfes tatsächlich spüren kann. Doch mit einem Mal war mein Schädel auf einer Seite irritierend präsent: Es begann da drinnen erstaunlich weh zu tun. Wie verwirrend, einen erheblichen Schmerz dort zu spüren, wo man ihn weder ertasten noch genauer lokalisieren kann. Das bis dahin unbekannte Kopfweh bohrte und stach bei jeder Bewegung. Es war schlagartig gekommen, und es steigerte sich mit jeder Straßenbahnstation. Als wir direkt vor einer Apotheke hielten, sprang ich spontan hinaus. Der Schmerz war so befremdlich, vielleicht wussten die Leute da drinnen Rat, oder sie würden gleich die Rettung verständigen.

Ein abgeklärter alter Apotheker nickte wissend, als ich sagte, ich hätte so unglaublich Kopfweh, dass ich gar nicht mehr gerade schauen könne. »Der Föhn«, meinte er und zeigte mit seinem weiß gekleideten Apothekerarm hinaus in die wirbelnden Herbstblätter. »Kopfwehwetter. Sie sind nicht die Erste heute.« Er kramte in einer dieser schönen Holzvitrinen, wie es sie nur in uralten Apotheken gibt, und zog aus einer Lade ein Papierbriefchen, gefüllt mit dem sogenannten »Mischpulver«, hervor. »Mund aufmachen« – und er schüttete es mir kurzerhand direkt in den Schlund.

Diese bittere Schmerzarznei in Pulverform wurde seinerzeit noch von den Apothekern im Hinterzimmer abgemischt und in zu Hüllen gefalteten Papierchen um ein paar Groschen verkauft. Vielleicht gibt es sie auch heute noch irgendwo. Der Begriff hat sich jedenfalls erhalten. Wer Schmerzen hat, nimmt ein »Pulverl«, wie man in Österreich Tabletten zu nennen pflegt. Ich glaube, das war das erste Schmerzpulverl meines Lebens. Der freundliche Mann reichte mir auch gleich ein Glas Wasser dazu, ordnete an, es auszutrinken, und da mein von pharmakologischen Produkten noch unbelasteter Organismus großzügig und rasch reagierte, war der Spuk noch vor der Endstation vorbei, der Kopf wieder schmerzfrei und die Episode fast schon vergessen.

Doch nur für ein paar Tage. Denn die Migräne war aufgewacht. Sie hatte 19 Jahre lang gnädig und unbemerkt in mir geschlummert und mich in Ruhe gelassen. Nun hatte sie ihr Medusenhaupt erhoben. Von einem Moment zum anderen war sie putzmunter – und sie schickte sich an, mich zu quälen. Sie fraß sich durch mein Gehirn, durch meinen Körper und schließlich auch durch meine Seele.

Ich wünschte, ich hätte damals schon alles gewusst, was man heute über diese schwierige Krankheit weiß. Ich wünschte, jemand auf dem Letztstand des heutigen Wissens zum Thema Migräne wäre aus der Zukunft in das Jahr 1985 gereist, hätte sich zu mir gesetzt, mich bei der Hand genommen und gesagt: Mein liebes Kind, es tut mir leid, aber mit deiner Migräne wirst du ab sofort leben müssen. Ob du willst oder nicht, spielt keine Rolle, denn sie gehört untrennbar zu dir. Ein paar wichtige Ratschläge gebe ich dir jedoch mit auf den Weg, und zwar folgende:

Erstens: Du wirst dieses Mysterium nie zur Gänze ergründen, und du trägst nicht, wie dir alle einreden wollen, selbst Schuld daran. Denn du bist mit der Migräne geboren und du wirst damit in die Grube sinken, auch wenn sie möglicherweise zwischendurch wieder einschläft oder ganz verschwindet.

Zweitens: Aber, und das ist die wichtigste Botschaft, du kannst lernen, das Monster zu zähmen und zumindest in Schach zu halten. Du kannst dich in gewisser Weise sogar mit ihm anfreunden. Es ist ein Teil von dir. Es ist deine ganz persönliche Migräne, und sie ist wie keine andere. Lerne sie genau kennen, um sie zu domestizieren.

Drittens: Such dir sofort medizinische Hilfe, gleich zu Beginn. Das ist wichtig! Denn die Migräne neigt dazu, bei manchen Pechvögeln ein Eigenleben zu entwickeln, wenn man sie gewähren lässt. Nicht bei jedem, aber doch bei vielen. Wenn du sie nicht rechtzeitig an die Kandare nimmst, kann es passieren, dass sie durchgeht und dich so durch dein Leben schleift, dass du streckenweise die Kontrolle darüber verlierst. In solchen Fällen verschwindet sie nicht mehr und wird zur Dauermigräne, und das musst du unbedingt verhindern.

Viertens: Vermeide alle Ärzte und Neurologen, die sich nicht explizit mit Migräne befassen. Such dir lieber von Beginn an einen Vollprofi, am besten einen ausgewiesenen Migränespezialisten. Die wissen, was zu tun ist, und sie haben auch die Geduld und das Durchhaltevermögen, mit dir gemeinsam die richtige Prophylaxe zu finden, denn das kann ein holpriger Weg werden. Aber gehen musst du ihn.

Wie viele Irrwege hätte ich mir erspart! Wie viele unsinnige Dialoge mit besserwisserischen Laiendiagnostikern hätte ich anders geführt.

»Bist du sicher, dass es Migräne ist?« Ja.

»Bist du nicht einfach verspannt?« Nein.

»Du trinkst zu wenig.« Sicher nicht.

»Ist wahrscheinlich eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, hast du dich schon testen lassen?« Ja.

»Na dann liegt es sicher an Histamin.«

Nein.

Du denkst zu viel. Du bist zu perfektionistisch, zu ehrgeizig, zu angestrengt. Du solltest mehr an die frische Luft gehen. Betreibst du Ausdauersport? Der Atlaswirbel könnte schuld sein. Unbedingt Fischölkapseln versuchen, das hat einer Freundin so geholfen, die war von einem Tag auf den anderen geheilt. Warst du schon beim Augenarzt, bei der Akupunktur, beim Homöopathen, bei einem Irisdiagnostiker? Du weißt hoffentlich, dass du keine Schokolade essen solltest. Krieg ein Kind! Nach dem ersten Kind ist das vorbei.

Jeder Migränemensch kennt diese gut gemeinten, aber nervtötenden Ratschläge. Man bekommt sie praktisch von jedem zu hören, unaufgefordert und immer wieder.

Aber auch vor den Meistern der Zunft, von denen man annimmt, sie wären da, um zu helfen, vor Ärzten und Neurologen, wäre ich selbstbewusster aufgetreten. Nein, Migräne ist nicht der »Orgasmus im Kopf«, wie ein Gynäkologe behauptete. Übrigens einer der dümmsten Sprüche, die migränegeplagte Frauen auch heute noch zu hören kriegen. Und nochmals nein, ich brauche keine Psychotherapie, weil »in meiner Kindheit Schreckliches passiert sein muss«. Die ewige Psychologisiererei, die wir ungewollt und unaufgefordert ständig über uns ergehen lassen müssen, ist fast so mühsam wie die Migräne selbst.

Die schwierigsten Dialoge waren allerdings diejenigen, die ich im Stillen mit mir selbst führte. Immer und immer wieder über viel zu viele Jahre. Denn die alles bestimmende Frage, der ich ewig nachlief und die mich fast in den Wahnsinn trieb, lautete: Warum hab ich das? Warum ausgerechnet ich? Womit hab ich das verdient? Vor allem aber: Was mache ich falsch, um mit ständigem Schädelweh bestraft zu werden, mit durchkotzten Nächten und peinlichen Momenten im Arbeits- und Alltagsleben? Monatelange pausenlose Schmerzen. In erträglichen Phasen wenigstens nur dreimal pro Woche, in fantastischen nur einmal. Warum?

Mit gelegentlichen Migräneattacken kann der Mensch lernen umzugehen. Doch wenn sich das Monster zur chronischen Migräne entwickelt, wird die Welt recht kalt, düster, einsam, tot. Meine längsten Migränephasen erstreckten sich jeweils über mehr als drei Monate und waren grauenhaft. Als ich mich selbst dabei beobachtete, wie ich in Gedanken Abschiedsbriefe an mein Kind zu formulieren begann, weil ich so nicht mehr leben wollte und alles ausweglos schien, raffte ich mich doch noch einmal auf und begab mich nach vielen gescheiterten Versuchen auf die Suche nach professioneller Hilfe.

Eigentlich hatte ich genug von allen Ärzten, vor allem von Neurologen, ihren klopfenden Hämmerchen an Ellenbogen und Knien, von ihren Zeigefingern, denen ich mit den Augen folgen sollte, von den ewig gleichen Fragen, die ich alle schon so oft beantwortet hatte, und von der Enttäuschung, weil sie mir doch wieder nicht helfen konnten. Na gut, einmal probiere ich es noch, dachte ich. Doch dieses Mal hielt ich sehr sorgfältig nach einem anerkannten Kopfwehspezialisten Ausschau, und das sollte sich nach Jahrzehnten und unendlich vielen Irrwegen endlich als segensreich erweisen.

Denn auch wenn seit diesem Herbsttag des Jahres 1985 und dem Erwachen meiner Peinigerin für uns Zeitgenossen viel Zeit verstrichen zu sein scheint, so waren diese Jahre nur ein Wimpernschlag in der jahrtausendealten Geschichte der Geißel Migräne. Das rätselhafte »Kopfweh« plagt die Menschheit seit Anbeginn, das ist nachzulesen, seit die Schrift erfunden wurde. Doch für die Entschlüsselung dieser bislang unergründlichen Zustände, die im Kopf ihren Ausgang nehmen und den gesamten Organismus versklaven, waren gerade die vergangenen Jahrzehnte entscheidend.

Dank wissenschaftlicher Forschung, Pharmaindustrie und einer nächsten Generation von Ärztinnen und Medizinern hat sich das Leben für uns Migränegeplagte seit Mitte der 1990er-Jahre außerordentlich verbessert. Diverse neurologische Mechanismen, die sich in unseren Köpfen abspielen und Migräneattacken auslösen, konnten entschlüsselt werden. Mit Triptanen und anderen Medikamenten stehen auch endlich wirksame Hilfsmittel für den Akutfall zur Verfügung, an weiteren verheißungsvollen Medikamenten wird gearbeitet, und auch in der Prophylaxe beginnt man nun, ganz neue Wege zu beschreiten.

Aber der alles entscheidende Meilenstein wurde um die Jahrtausendwende erreicht, und dieser Moment kann nicht hoch genug gepriesen und bejubelt werden. Es war dies der wissenschaftliche Nachweis, dass es sich bei Migräne weder um ein hysterisches Frauenleiden handelt noch um einen Zustand, den ehrgeizige, zwänglerische, zum Perfektionismus neigende »Migränepersönlichkeiten« selbst verschulden. Die Migräne wurde als neurologische Krankheit erkannt und ist als solche auch längst anerkannt. Doch wir leben immer noch in der Zeitenwende, und jahrtausendealte Vorurteile sind nicht so schnell überwunden. Die Migräne bleibt derweil in den Köpfen derer, die sich nicht damit herumplagen, ein Frauenleiden, eine Ausrede, eine Art von starkem Kopfweh. Gesellschaftlich krankt es nach wie vor am mangelnden Wissen und folglich am Verständnis für die unsichtbare Krankheit, unter der so viele Menschen leiden, viel mehr, als man gemeinhin annimmt.

Vielleicht sind wir zum Teil selbst schuld daran. Vielleicht sagen wir sicherheitshalber zu oft, wir hätten Kopfweh, statt von Migräne zu sprechen, das ungeliebte und vorurteilsbelastete Kind bei seinem Namen zu nennen und uns damit gewissermaßen zu »outen«. Man scheut davor zurück, weil Migräne einfach so unsexy ist, weil man sie nicht wirklich ernst nimmt, weil man ständig gute Ratschläge zu hören bekommt, weil man seine Schwäche nicht zeigen will, weil man meistens ohnehin auf Unverständnis stößt. Wer sich die Bänder im Knie bei einer Skitour reißt, findet jedenfalls gewöhnlich mehr Zuspruch. Aber – »Kopfweh«?! Ein paar Schmerztabletten werden wohl helfen. Entspann dich. Das geht vorbei. An Kopfweh ist noch keiner gestorben.

Bedauerlicherweise kann man auch nicht davon ausgehen, dass alle Ärztinnen und Ärzte auf dem Letztstand des Wissens angekommen sind, offenbar braucht Veränderung auch hier ihre Zeit. Wer Hilfe sucht, muss das wissen und beachten, denn anhand der Fragen, die von Seiten der Mediziner gestellt werden, der Dialoge, die man führt, lässt sich Kompetenz von Inkompetenz rasch unterscheiden. Mit Letzterer will man seine Lebenszeit jedenfalls nicht verplempern. Ich spreche aus reicher Erfahrung, allerdings ist die Chance, dieser Tage auf wohlinformierte Ärzte zu treffen, unendlich viel größer als noch vor wenigen Jahren.

Aus all diesen Gründen schreibe ich dieses Buch. Es ist nicht als wissenschaftlich-medizinischer Ratgeber für Menschen mit Migräne zu verstehen, denn dafür sind Berufenere zuständig. Ein paar entsprechende Vorschläge für Fachliteratur finden Sie im anschließenden Literaturteil und in den ergänzenden Fußnoten. Mit der Schilderung meiner ganz alltäglichen, aber eben deshalb repräsentativen Geschichte, die in einer völlig anderen, weniger aufgeklärten Zeit beginnt und sich gewissermaßen parallel zu den alten Migränemärchen, den Forschungserfolgen, neuen Therapien und Erkenntnissen entspinnt, will es vielmehr ein Mutgeber für Migränegeplagte sein. Deshalb folgt der Text chronologisch meinen Erfahrungen über vier Jahrzehnte – mit Ärzten, Neurologen, mit Alternativmedizin und Selbstversuchen. Parallel dazu habe ich mich bemüht, in besonders ausgewiesenen Kapiteln immer wieder auf wesentliche Themen wie die Geschichte der Migräne, deren Behandlung, deren historische und zeitgenössische Rezeption bis hin zur modernen Medikation einzugehen. Zum Schluss versuche ich zu vermitteln, welche Maßnahmen mir letztlich geholfen haben, das Monster Migräne zu bändigen und zumindest in seine Schranken zu weisen. Erst mit genauer Beobachtung, Identifikation und nach Möglichkeit Vermeidung der Faktoren, die die persönliche Migräne triggern, bekommt man sie in den Griff.

Also verzweifelt nicht. Verliert auf keinen Fall den Lebensmut. Sucht Hilfe, lernt die Krankheit und damit euch selbst ganz genau kennen. Es ist heute auch dank des inzwischen selbstverständlich gewordenen Internets und der wissenschaftlichen Literatur wesentlich einfacher als vor 40 Jahren, sich zu informieren und auf dem Laufenden zu halten.

Wir waren den Urteilen der Götter in Weiß und den Vorurteilen unserer Mitmenschen ausgeliefert. Ich bin davon überzeugt, dass meine sogenannte »Migränekarriere« den langgedienten Migränepatienten unter Ihnen in großen Teilen bekannt vorkommen wird und Sie ähnliche Dürrestrecken hinter sich gebracht haben. Ich finde, wir dürfen uns beglückwünschen, da halbwegs heil durchgekommen zu sein.

Zu den Jüngeren, die in die neue Zeit der Erkenntnis und der verbesserten Medikamente hineingeboren sind: Wenn euch eine gutmeinende Person wieder einmal psychologisieren will, klärt sie einfach geduldig auf. Migräne, das darf man in solchen Momenten endlich sachlich erwidern, ist eine höchstwahrscheinlich genetisch bedingte neurologische Krankheit, kein selbstverschuldeter Zustand und sicher keine Ausrede. Leider, heute geht gar nichts, heute bin ich krank, denn ich hab Migräne.

Es würde mich freuen, wenn das Buch vielleicht auch erhellend und unterstützend wäre für Angehörige, Freunde, Chefs, Kollegen, für alle, die naturgemäß keine Ahnung haben können, wie das so ist für uns, mit Migräne zu leben, in welch absonderliche und grausame Zustände uns die unsichtbare innere Medusa auch heute noch befördert, wenn sie gerade wieder einmal ihr Schlangenhaupt erhebt und die Reißzähne auspackt. Denn wegzaubern kann man sie noch nicht. Man kann sich ihr aber stellen.

Das Buch ist auch gedacht, um den uralten Vorurteilen und Stigmata zu begegnen, die allesamt keine Berechtigung haben: Nein, wir haben nicht Kopfweh. Wir haben eine neurologische Erkrankung. Nein, danke, auch die angebotene Kopfwehtablette nützt jetzt gar nichts. Und ja, Kaffee mit Zitrone haben wir schon versucht. Mag bei anderen helfen, bei mir nicht.

Wir brauchen anstatt gut gemeinter Ratschläge nur eines: euer Verständnis. Ihr müsst wissen, dass wir weder wehleidige Neurotiker sind noch Stellvertreter der typischen »Migränepersönlichkeit«. Denn die ist eine Erfindung. Es gibt sie nicht. Wir sind vielmehr mit einer komplizierten, außerordentlich weit verbreiteten Erkrankung geboren, die bei dem einen nur gelegentlich zuschlägt, bei der anderen häufig und sehr heftig, und wir haben ein paar tausend Jahre Vorurteile hinter uns. Deshalb reden wir nur sehr ungern darüber, und das muss sich schleunigst ändern.

ZAHLEN, DATEN, FAKTEN – VOLKSKRANKHEIT MIGRÄNE

Zum Einstieg ein Überblick. Wie viele Menschen leiden unter Migräne? Die Zahlen, Daten, Fakten sprechen für sich, um die Wucht der globalen Plage zu veranschaulichen. Die Krankheit betrifft mehr Menschen als Epilepsie, Asthma und Diabetes zusammen. Migräne ist eine Erkrankung, deren wahres Ausmaß die längste Zeit unterschätzt wurde: Laut der aktuellen Global Burden of Disease Study (GBD)1, veröffentlicht 2024, leiden weltweit etwa 1,16 Milliarden Menschen an Migräne, also fast jeder Siebte. 14 von 100 Menschen erleben innerhalb eines Jahres mindestens eine Migräneattacke. Diese Schätzung ergibt sich aus einer Analyse von über 350 Studien weltweit und gilt als die genaueste Momentaufnahme der globalen Migränesituation.

In der EU liegt die Prävalenz – das ist der Anteil der Betroffenen an der Gesamtpopulation – bei 14,9 Prozent, was etwa 111 Millionen Menschen entspricht, während Nordamerika mit 15,3 Prozent leicht darüber liegt. Asien, Afrika und Lateinamerika scheinen jeweils etwas darunter zu liegen, was aber von mangelnder Diagnosehäufigkeit und geringerer Datenerhebung beeinflusst sein kann.

Frauen sind mit etwa 16 Prozent deutlich öfter betroffen als Männer mit etwa neun Prozent. Besonders groß ist der Anteil bei Frauen im Alter von 25 bis 45 Jahren, dort erreicht die Prävalenz 24,5 Prozent. Das heißt, fast jede vierte Frau in dieser Altersgruppe hat Migräne, dreimal so viele wie Männer. Auch Kinder leiden bereits unter der Krankheit. Eine Meta-Analyse im Journal of Headache and Pain2 (2023) geht davon aus, dass 7,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 20 Jahren weltweit Migräne haben.

Zur Definition der Migräne hier ein Zitat aus der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, erarbeitet und herausgegeben von der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS)3:

»Die Migräne ist eine häufige, stark behindernde primäre Kopfschmerzerkrankung. Etliche epidemiologische Studien belegen ihre hohe Prävalenz und die immensen sozioökonomischen und persönlichen Auswirkungen. In einer Studie zur globalen Krankheitslast wurde diese als das weltweit dritthäufigste Krankheitsbild eingestuft. In der Global Burden of Disease Study von 2015 wurde ihr weltweit bei Männern wie auch bei Frauen unter 50 Jahren der Rang der dritthöchsten Ursache von Behinderungen zuerkannt.«

Die chronische Migräne trifft etwa 1,7 Prozent der Weltbevölkerung – das sind 136 Millionen Menschen. Sie ist als Kopfschmerz definiert, der an mindestens 15 Tagen pro Monat über drei Monate vorhanden ist und an mindestens acht Tagen pro Monat mit migränetypischen Symptomen auftritt oder mit einem Triptan erfolgreich behandelt werden kann. In Europa liegt die Prävalenz laut der European Headache Federation4 bei 1,9 Prozent, was etwa 6,5 Millionen Menschen entspricht.

Die WHO stuft Migräne nach Rückenschmerzen auf Platz zwei der behinderndsten Erkrankungen bei Frauen unter 50 Jahren ein, wobei die Zahlen von Analyse zu Analyse leicht variieren. In einer Studie lag Migräne bei unter 50-Jährigen sogar an erster Stelle – unabhängig vom Geschlecht.

Auch die wirtschaftlichen Folgen der Migräne sind gewaltig. Die International Headache Society (IHS) schätzt die jährlichen Kosten global auf etwa 680 Milliarden US-Dollar, basierend auf einer Synthese regionaler Studien bis 2023. In Europa summieren sich die Kosten laut einer Studie des European Brain Council5 (aktualisiert 2022) auf 173 Milliarden Euro jährlich für alle Kopfschmerzerkrankungen, wovon Migräne etwa 64 Prozent (111 Milliarden Euro) ausmacht. Die Summe errechnet sich aus indirekten Kosten, wie verlorene Arbeitstage und reduzierte Produktivität (95 Milliarden Euro), sowie aus direkten Kosten, wie Medikamente und Arztbesuche (16 Milliarden Euro). In Deutschland betragen die jährlichen Gesamtkosten rund 0,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

In einer weltweiten Umfrage der World Federation of Neurology6 (2022) gaben 51 Prozent der Betroffenen an, Migräne belaste ihre sozialen Beziehungen. 28 Prozent bekannten, Termine regelmäßig absagen zu müssen. 15 Prozent berichteten von Spannungen in der Familie aufgrund ihrer Migräne. In den USA zeigen die Daten, dass 38 Prozent der Migränepatienten ihre Karriere als eingeschränkt wahrnehmen, und 22 Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal eine Beförderung verpasst zu haben. In Deutschland gaben immerhin 17 Prozent der Berufstätigen mit Migräne zu Protokoll, krankheitsbedingt ihre Arbeitszeit reduziert zu haben.