Hier erlebst du alles! - Silke Zuschlag - E-Book

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Silke Zuschlag

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Beschreibung

Silke Zuschlag ist die Chefin des DRK Kleiderladens in Bad Vilbel. Vom ersten Tag an steckte sie ihr ganzes Herzblut in das Projekt. Im Jahr 2009 war die große Eröffnung und seitdem läuft das Second-Hand-Projekt unter der Leitung der umtriebigen Vollblutgeschäftsfrau wie geschmiert. Der Laden ist gut besucht. Hier treffen sich alle Ethnien, Klassen und Schichten. Alle haben das gleiche Ziel: beste Ware zum besten Preis. Wer viel mit Menschen zu tun hat, weiß, dass dabei allerhand passieren kann. Was Silke Zuschlag seit der Eröffnung des Kleiderladens erlebt hat und welche skurrilen Dinge ihr beinahe tagtäglich im Kleiderladen widerfahren, hat der bekannte Frankfurter Kultautor Meddi Müller für sie in Worte gefasst. In unzähligen Stunden hat Silke Zuschlag dem Autor erzählt, was da so alles passieren kann. Sie werden vielleicht manches in diesem Buch nicht glauben, aber seien Sie versichert: »Hier erlebst du alles!«

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Seitenzahl: 170

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Vorwort I

Ich kenne Silke über das Deutsche Rote Kreuz, und das schon seit über 20 Jahren. Wir sind seit vielen Jahren gemeinsam die Bereitschaftsleitung der Ortsvereinigung Bad Vilbel. So eine Aufgabe und die damit einhergehende Verantwortung kann man nur gemeinsam bewältigen, wenn man sich sehr gut versteht und auch ergänzt.

Ergänzt trifft es gut. Silke ist extrovertiert und repräsentiert unseren Verein wie niemand anderes. Sie ist unsere Frontfrau und erste Ansprechperson für alle Bereiche des DRK. Wenn Silke etwas will, beißt sie sich daran fest und entwickelt unheimlichen Ehrgeiz, um ihr Ziel zu erreichen.

Im Frühjahr 2009 beschloss sie, einen DRK Kleiderladen für die Ortsvereinigung Bad Vilbel ins Leben zu rufen. Der Vorstand und ich als Vorsitzender hatten nichts dagegen und befürworteten dieses Vorhaben. Wir sicherten Silke unsere Unterstützung zu und sie legte sofort los. In Eigenregie suchte sie die passenden Räumlichkeiten, präsentierte sie dem Vorstand und wir mieteten die Lokalität an. Das Einrichten erledigte Silke quasi im Alleingang. Sie war damals schon für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und suchte sich über die lokale Presse ein ehrenamtliches Team. Die Eröffnung war am 19. September 2009. Damit war Silkes drittes Baby geboren.

Der Kleiderladen, Silkes mittlerweile erwachsenes Kind, wurde damals regelrecht aus dem Boden gestampft und von ihr als Erfolgsprojekt in Bad Vilbel etabliert. Sie ist ständig im Laden präsent und hat somit über die Jahre Geschichten zum Schmunzeln, wie auch sehr Skurriles zu erzählen.

Seit langer Zeit hegt Silke den Wunsch, ein Buch über den (ihren) Laden zu schreiben. An dieser Idee biss sie sich fest. Ich wusste, es würde ihr irgendwann gelingen. Nun ist es so weit. Hier ist es. Ein Buch mit ihren Erzählungen, geschrieben von Meddi Müller.

Es ist eine Sammlung kleiner Alltäglichkeiten aus der Welt eines riesigen Engagements in der Landgrabenstraße 10 in Bad Vilbel. Sehr gerne habe ich Silke Zuschlag bei der Umsetzung zu diesem Buch unterstützt, und so, wie es mir Spaß machte, die Geschichten zu lesen, wird es Ihnen als Leser auch viel Freude bereiten.

Ihr Karlheinz Weinert

Vorsitzender DRK Bad Vilbel

Vorwort II

Vielleicht kennen Sie mich als Autor belletristischer Werke, zumeist Krimis, die in der Region rund um Frankfurt spielen. In diesem Fall jedoch handelt es sich nicht um einen Roman und der Inhalt ist nicht meiner Fantasie entsprungen. Ich bin lediglich der Formgeber.

Als mich Silke Zuschlag Anfang 2023 anrief, traf sie genau den richtigen Moment. Sie suchte nach jemandem, der ihre Erlebnisse im Kleiderladen zu Papier bringen könnte. Sie hatte so viel Material gesammelt, dass es für ein Buch ausreichen sollte. Das Problem war nur, dass sie es nicht schaffte, das Erlebte in schriftliche Form umzusetzen. Sie hatte es probiert, aber schnell gemerkt, dass ihr die Worte aus dem Kopf, nicht aufs Papier folgten. Aber wofür gibt es denn Schriftsteller? Nun, da kam ich ins Spiel. Silke hatte von mir gehört und kurzerhand beschlossen, dass ich es sein sollte, der ihr schriftliches Sprachrohr werden würde. Für mich war es eine Ehre!

Ich hatte gerade kein aktuelles Projekt, die Branche war und ist immer noch im Umbruch und durchaus als schwierig zu bezeichnen. Die Pandemie hat uns alle hart getroffen. Also war ich auf der Suche nach etwas Neuem, bei dem ich meine kreative Ader ausleben konnte. Wer mich kennt, weiß, dass ich durchaus als experimentierfreudig zu bezeichnen und außergewöhnlichen Projekten stets zugewandt bin. Dabei ist es egal, ob es sich um ein Buchprojekt, einen neuen Podcast, ein Bühnenprogramm oder auch mal filmische Porträts handelt. Ich bin immer offen für neue Wege, Hauptsache, es macht Spaß. Also warum nicht mal die Erlebnisse eines anderen Menschen aufschreiben?

Ich musste nicht lange überlegen und sagte schließlich zu. Denn eine Biografie als Ghostwriter hatte ich bisher noch nicht verfasst. Das klang für mich spannend. Also sind wir die Sache angegangen. In zahlreichen Gesprächen hat mir Silke dann ihre Geschichte(n) erzählt. Zusammengekommen sind knapp zehn Stunden Tonaufnahmen, die ich in schriftliche Form gebracht habe und in diesem Buch veröffentliche. Die Geschichten, die mir Silke erzählt hat, sind teils zum Schmunzeln, manchmal zum Kopfschütteln und durchweg interessant. Für mich war es, wie in eine andere Welt einzutauchen, wovon ich auch in meiner persönlichen Entwicklung profitierte. Zu sehen, wie es in anderen Gesellschaftsschichten als der meinen zugeht, hat mich zum Nachdenken angeregt und mir, wie schon so oft, gezeigt, wie privilegiert ich bin und wie mich die Sonne des Lebens geküsst hat. Es ist nicht selbstverständlich, ein Leben in Frieden, Luxus und Geborgenheit zu führen. Sich um Dinge zu sorgen, die eigentlich banal sind, wie zum Beispiel ein defektes Auto, eine Verspätung oder die Maulwürfe im Garten hinterm Haus. Klar, unangenehm und manchmal vielleicht sogar ärgerlich, aber dennoch: Jammern auf hohem Niveau. Mir geht es gut und ich bin dankbar dafür. Anderen geht es weniger gut, das ist mir bewusst. Um diese Menschen kümmern sich Persönlichkeiten wie Silke Zuschlag, die ihr Leben für den Laden gibt, den sie aufgebaut hat, um anderen Zugang zu einer Welt zu ermöglichen, die sie sonst nie betreten hätten. Teil davon zu sein und die Geschichte(n) zu erzählen, hat mir viel Freude bereitet und erfüllt mich mit Stolz und Ehrfurcht vor Silkes Arbeit.

Was in dem DRK Kleiderladen so alles passiert und mit wem oder was man es dort zu tun bekommt, ist in diesem kleinen Werk verewigt. Ich hoffe, es bereitet Ihnen beim Lesen genauso viel Spaß, wie es mir Freude bereitet hat, es aufzuschreiben.

Ich bin froh, dass wir Moritz von Wolzogen dafür gewinnen konnten, das Buch zu illustrieren. Seine kleinen, punktgenauen Zeichnungen sind das Tüpfelchen auf dem i, das dieses Buch zu einer kurzweiligen Abwechslung für die Lesenden macht.

Ihr

Meddi Müller

Vorwort III

Als ich von den Kleiderläden des DRK gehört hatte, wusste ich, dass ich auch so einen für Bad Vilbel ins Leben rufen will.

Mir gefällt das Konzept. Wir bekommen aus der Bevölkerung Kleider- und Sachspenden, die wir für jeden Geldbeutel bezahlbar als Secondhandware verkaufen. Alle, die im Laden arbeiten, machen das im Ehrenamt. Nur so kann alles im Laden für kleines Geld verkauft werden. Einkaufen kann bei uns jeder, unabhängig vom sozialen Status. Nur Bedürftige mit entsprechendem Nachweis bekommen 20 Prozent Rabatt.

Wir arbeiten kostendeckend und sind nicht gewinnorientiert. Zuerst gilt es, unsere laufenden Kosten zu decken. Erzielen wir einen Überschuss, nutzen wir ihn für unsere anderen Rotkreuzaufgaben oder spenden diesen gezielt an Vereine in der Region. Dahin, wo Geld benötigt wird. Vorzugsweise in der näheren Umgebung. In unserem Laden wird das Prinzip der Nachhaltigkeit zu 100 Prozent gelebt. Das halte ich, gerade in der heutigen Zeit, für ausgesprochen wichtig.

»Mein« Kleiderladen hat für mich einen hohen Stellenwert. Er nimmt viel Raum in meinem Leben ein und kommt für mich direkt nach meiner Familie. Der Laden trägt meine »Handschrift«. Ich habe ihn eingerichtet und halte ihn seit nunmehr 14 Jahren mit einem Team ehrenamtlicher Frauen am Laufen.

Seit einigen Jahren wünsche ich mir ein Buch, das die alltäglichen Erlebnisse aus dem Laden erzählt. Dabei sage ich immer: »Hier erlebst du alles!« Unsere Kunden kommen aus allen Gesellschaftsschichten, jeder Kultur, Mentalität, Glauben und jeglicher Nationalität. Bei uns ist es bunt, was unseren Ladenalltag lebendig und überaus interessant macht. In diesem Buch finden Sie wahre Geschichten, die im Laden genauso passiert sind.

Ich habe das große Glück und freue mich sehr darüber, dass Meddi Müller meine Erzählungen zu einem Buch zusammengefasst hat. Privat gehen unsere Interessen nicht weit auseinander, denn wir beide retten Leben. Meddi bei der Feuerwehr (jetzt Leitstelle) und ich beim Deutschen Roten Kreuz, der weltweit größten Hilfsorganisation.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß und Staunen beim Lesen dieses Buchs, denn …

… hier erlebst du alles!

Herzlichst, Ihre

Silke Zuschlag

Von vorne

Der letzte Tag im August 1966 war für mich ziemlich ereignisreich, denn an diesem spätsommerlichen Datum kam ich in Salzgitter zur Welt. Genauer gesagt im Ortsteil Lebenstedt. Aber dann brachten meine Eltern mich nach Westerlinde. Ein Dorf mit damals rund 250 Einwohnern. Viele sind seitdem nicht dazugekommen. Ein wunderbarer Flecken Erde, an den ich auch heute noch viele schöne Erinnerungen habe. Wer jetzt die Lektüre nicht unterbrechen möchte, um zu schauen, wo genau das ist, dem sei gesagt, dass Salzgitter zwischen Hildesheim und Braunschweig liegt und Westerlinde, das wiederum ein Ortsteil der Gemeinde Burgdorf ist, die ihrerseits zur Gesamtgemeinde Baddeckenstedt gehört, im Landkreis Wolfenbüttel … Ach, sagen wir einfach: Ich komme aus Niedersachsen.

Am meisten mochte ich die Freiheit, die ich in diesem Dorf genießen durfte. Es gab keine großartigen Gefahren und schon gar keine Kriminalität. Kurz gesagt, der krasse Gegenentwurf zu Frankfurt.

In Westerlinde lebte ich dann fünf Jahre lang wohlbehütet. In den Kindergarten ging ich nicht, weil es keinen in erreichbarer Entfernung gab. Das einzige Auto in der Familie benötigte mein Vater, um damit zur Arbeit zu fahren. Das durfte nicht kaputt gehen. Als ich fünf Jahre alt war (kurz vor meinen sechsten Geburtstag), sorgte meine Mutter für meine Einschulung. Sie dachte, dass ich so weit wäre. Der dafür nötige Eignungstest bewies dies, und so wurde danach entschieden. Da ich, wie erwähnt, keinen Kindergarten besucht hatte, war das erste Schuljahr so gut wie für die Katz, denn ich holte mir eine Kinderkrankheit nach der anderen. Der einzige Vorteil war, dass ich jedes Mal meinen kleinen Bruder ansteckte und der so die Kinderkrankheiten vor der Schule durchmachen konnte. Zum Unterricht brachte mich ein Kleinbus, der morgens die Kinder in den kleinen Ortschaften einsammelte und sie nach der Schule wieder nach Hause brachte. Und das Beste daran: Freitags durfte ich vorne sitzen!

Meine Kindheit verlief relativ betulich. Es war das Leben eines kleinen Mädchens auf dem Dorf. Was sollte denn da schon Berichtenswertes passieren? Alles war prima und ich war glücklich. Ich ging zehn Jahre lang zur Schule und tat Dinge, die ein Mädchen vom Land eben so tut. Als diese Zeit endete, war ich noch nicht einmal 16 Jahre alt und stand vor der großen Frage: Und jetzt?

Zudem beschäftigte mich ein ganz anderes Problem, denn ich war am Ende meiner Schulzeit, wie gesagt, 15 Jahre alt. Lehrbeginn war der 1. August und eine Ausbildung konnte man erst beginnen, wenn man 16 Jahre alt war. Na toll, dachte ich, jetzt bist du fertig mit der Schule und kannst nix machen! Doch zum Glück gab es eine Kulanzregel. Diese besagte, dass ein Monat toleriert werden konnte. Was für ein Glück für mich, hatte ich doch am 31. August Geburtstag und durfte somit am 1. August meine Lehre beginnen. Das war knapp! Nicht einen einzigen Tag hätte ich jünger sein dürfen. Ich hätte sonst ein ganzes Jahr warten müssen. Das wäre echt schwierig geworden, denn in Salzgitter gab es nicht so viele Ausbildungsmöglichkeiten. Da gab es ein Stahlwerk, VW und Bosch – das war’s. Und an die wenigen Jobs kam man meist nur mit Beziehungen.

So eine richtige Idee, was ich machen wollte, hatte ich nicht, und bei den genannten Arbeitgebern war nicht das Richtige für mich dabei. Also kaufte ich mir ein Buch, in dem aufgeführt war, was es so für Berufe gab. Irgendwann war ich bei »Z« angelangt und hatte immer noch nichts gefunden, was mich interessierte. Dann kam »Zahnarzthelferin«, und da ich eh eine Spange trug und in diesem Bereich auch mein Schulpraktikum gemacht hatte, war das so ziemlich das Einzige, was für mich infrage kam. Was lag deshalb näher, als zu dem Zahnarzt zu gehen, bei dem ich schon das Praktikum gemacht hatte und ich selbst Patientin war, um zu fragen, ob er mich nicht ausbilden wolle. Seine Antwort: »Klar, kannst kommen.« Damit hatte ich einen Ausbildungsplatz, ohne jemals eine Bewerbung geschrieben zu haben. Ein echter Glücksfall!

Ich genoss die Ausbildungszeit, obwohl es recht beschwerlich war, aus meinem kleinen Dorf dorthin zu kommen. Busse fuhren nur wenige und das meist zu unmöglichen Zeiten. Also musste ich früh raus, verbrachte meinen Tag am Arbeitsplatz und kam spät nach Hause.

Obwohl ich nicht gerade in die große weite Welt hinausmarschierte, war für mich Salzgitter aufregend genug. Denn in Westerlinde war ja so gut wie gar nichts. Es gab ein Motel, aber das wurde nur von Fernfahrern besucht, weil es recht günstig an der Autobahn lag. Dann gab es noch zwei Tante-Emma-Läden, eine Bankfiliale, die nur ab und zu offen hatte, und eine Poststation. Ansonsten tote Hose.

Ich ging in Braunschweig zur Berufsschule, was mir zwar gefiel, da ich Braunschweig als Stadt toll fand, aber das bedeutete auch, dass ich morgens um 5 Uhr losmusste, damit ich um 8 Uhr in der Schule sein konnte. In der kalten und dunklen Jahreszeit brachte mich meine Mutter mit der Taschenlampe zur Bushaltestelle, die sich am Ortsrand befand. Nachts blieben im Ort die Lampen ausgeschaltet. Und damit nicht genug. Als ich am Bahnhof in Lebenstedt ausstieg, musste ich eine geschlagene Stunde am zugigen Bahnsteig stehen und auf den Zug nach Braunschweig warten. Sie können sich vorstellen, dass ich bei Schulbeginn bereits völlig gerädert war. Das machte ich einmal pro Woche.

Besser wurde es erst, als ich mit 18 meinen Führerschein bekam, den ich mit 17 bereits begonnen hatte. Zum Führerschein gab es von meiner Oma einen wunderbaren VW Polo LS in Metalliclackierung, den mein Vater hergerichtet hatte.

Von da an war ich frei!

Das Leben beginnt

Durch meine neu gewonnene Freiheit, die mir der Führerschein und mein eigenes Auto bescherten, veränderte sich mein Leben komplett. Ich lud meine Freundinnen in das Fahrzeug und fuhr mit ihnen zu Discos in der Umgebung. Dank meiner nie gekannten Mobilität und einer Faschingsveranstaltung lernte ich Leute kennen, die außerhalb meiner kleinen Welt lebten. Hauptsächlich waren das Schüler eines Gymnasiums, das neben meiner früheren Schule lag. Sie machten ihr Abitur, während ich meine Lehre vollendete. Wir waren eine tolle Clique, die sich abwechselnd bei einem der jeweiligen Mitglieder zu Hause traf.

Eines Tages dachte ich mir, dass es an der Zeit wäre, meine Freunde zu mir nach Hause einzuladen. Es war eine spontane Idee. Ich sagte zu meiner Mutter: »Lass uns doch Donauwellen backen und meine Freunde einladen.« Mein Vater würde an diesem Tag ohnehin später nach Hause kommen, weil er nach der Arbeit seine Mutter besuchen wollte, und da passte das ganz gut. Meine Mutter war einverstanden und ich lief zur einzigen Telefonzelle im Ort. Glücklicherweise war diese gerade nicht besetzt und ich rief ein paar Freunde an. Diese riefen weitere an und die Telefonkette lud zu mir nach Hause zum Donauwellenessen ein. Einer aus der Clique, der nach dem Abitur direkt zur Bundeswehr ging, fragte, ob er einen Freund mitbringen könne, der derzeit bei ihm übers Wochenende zu Besuch sei. Er sei aus Hessen und sehr nett.

Zunächst war ich wenig begeistert. Ich wollte keinen Fremden dabeihaben. Aber ich wollte auch keine Spielverderberin sein und erlaubte schließlich den hessischen Gast.

Zu dieser Zeit führte ich ein Gästebuch. Darin verewigten sich alle, die mich jemals besuchten. Der Fremde war zwar kein »richtiger« Freund, aber der Vollständigkeit halber bat ich ihn, sich in das Buch einzutragen.

Die Party stieg und war ein Erfolg. Nachdem alle gegangen waren, schnappte ich mir das Gästebuch und blätterte es durch. Als ich den Eintrag des Fremden sah, musste ich lachen. Ich ging zu meiner Mutter, zeigte ihr das Buch und sagte: »Weißt du, wie der Typ aus Hessen heißt? … Zuschlag.« Nun lachte auch sie.

Natürlich hatte er seinem Eintrag kein Bild beigefügt. Da ich bei den Einträgen in mein Gästebuch jedoch sehr penibel war, bat ich meinen Freund, bei dem der Hesse zu Gast war, er möge mir doch ein Bild des Mannes zukommen lassen. Das Bild kam per Post, direkt von dem hessischen Besucher. Er fügte ein paar handgeschriebene Zeilen hinzu, in denen er mich fragte, ob wir mal zusammen ins Kino gehen wollten. Das Angebot nahm ich dankend an.

Das war 1987.

Sie ahnen schon, was in der Zeit danach geschah.

Genau! Heute trage ich ebenfalls den Namen »Zuschlag«.

Ab nach Bad Vilbel

Die Beziehung zu meinem späteren Ehemann aufrechtzuerhalten, war damals nicht so einfach, wie wir das heute gewohnt sind. Es gab weder Handys noch Internet und damit auch keine Möglichkeit, E-Mails zu schreiben. Wir hatten kein Telefon, nur diese eine Zelle im Dorf. Die meiste Zeit über blieben wir durch altmodische Briefe in Kontakt.

Zum Glück war mein späterer Ehemann in Braunschweig bei der Bundeswehr stationiert, sodass wir uns häufig treffen konnten. An den Wochenenden jedoch fuhr er nach Bad Vilbel, woher er stammte. Natürlich endete die Bundeswehrzeit alsbald und wir waren gezwungen, eine Wochenendbeziehung zu führen. Er fuhr am Wochenende immer zu mir nach Westerlinde. Etwa 320 Kilometer … einfache Fahrt.

Nach zwei Jahren hatten wir genug davon. Wir waren uns sicher, dass wir zusammenbleiben würden. So beschlossen wir, zusammenzuziehen. Die Frage, in welcher Stadt wir gemeinsam wohnen würden, stellte sich nicht, denn ich wollte schon seit meiner Volljährigkeit in eine größere Stadt ziehen. Bad Vilbel schien perfekt und mein Mann ging sowieso davon aus, dass ich zu ihm kam. Wir brauchten darüber nicht zu diskutieren. Wie dem auch sei … wir beschlossen, gemeinsam in Bad Vilbel zu wohnen. Zunächst bei seinen Eltern, da die Wohnung, die wir beziehen wollten, erst renoviert werden musste. Jetzt fragen Sie sich vielleicht, warum wir nicht einfach unsere Fernbeziehung weiterführten, bis die Wohnung fertig war.

Zu Recht.

Ich kläre das gleich auf, dann werden Sie es verstehen.

Am Anfang war es schwer für mich, wie Sie sich vorstellen können. Ich kannte ja Bad Vilbel nicht, da mein Mann immer zu mir nach Westerlinde kam. Hinzu kam, dass ich seine Eltern kaum kannte. Ich zog quasi zu fremden Leuten. Das Verhältnis zu ihnen war freundlich-distanziert. Bis zur Hochzeit musste ich sie siezen, immerhin sieben Jahre lang. Dennoch gaben sie sich sehr viel Mühe, damit ich mich in Bad Vilbel wohlfühlte.

Natürlich brauchte ich auch einen Job. Meine Schwiegermutter riet mir, mich im benachbarten Frankfurt umzusehen, damit ich auch diese Stadt besser kennenlernte. Außerdem sei dort die Bezahlung besser.

Ich fand die Annonce einer Zahnarztpraxis in der Hochstraße und fragte nach, ob ich mich vorstellen könne. Sie brauchten eine Zahnarzthelferin für die Bürokratie (alles Schriftliche), und genau das suchte ich.

Und jetzt zu dem Grund, warum ich sofort nach Bad Vilbel musste. Der Job wurde ab dem 1. April frei, ich jedoch wollte erst zum 1. August in die fertige Wohnung einziehen. Das war ein Problem. Die Zahnarztpraxis wollte mich aber unbedingt sofort haben und bekniete mich, es einzurichten, dass ich am 1. April anfangen könne.

Genau das haben wir dann auch möglich gemacht. Ich zog also erst mal zu meinen Schwiegereltern, und zwar in das Zimmer meines Mannes. Der war nämlich selten zu Hause, weil er im Rahmen seiner Ausbildung bei der Bau-BG an den Werktagen in Bonn auf der Akademie weilte. Wir führten also weiterhin eine Wochenendbeziehung.

Da saß ich nun, das Mädchen aus dem 250-Seelen-Dorf, allein in Bad Vilbel, bei Fremden in der Wohnung und arbeitete in der großen Stadt am Main.

Einfach war das nicht. Der Schnitt war wirklich krass. Alles, was ich bisher gekannt hatte, blieb in Niedersachsen. Freunde, Familie, Umfeld. Alle Anker in meinem bisherigen Leben waren eingeholt. Der einzige Anker, der mir blieb, war mein Mann, den ich allerdings nur am Wochenende hatte. Hinzu kam, dass ich während dieser Zeit eine Schilddrüsenkrankheit bekam, weshalb ich ständig müde war. Zum Glück waren meine Schwiegereltern sehr nett zu mir und fingen mich auf.

Der Anfang war hart, das gebe ich zu. Aber es besserte sich schnell, denn an meinem Arbeitsplatz fand ich nicht nur Kolleginnen und Kollegen, sondern Freunde, ja fast schon eine Familie.

Und es stand von Anfang an fest: Ich bleibe in Bad Vilbel. Hier möchte ich nicht mehr weg. Zurück in die Gegend von Salzgitter schon gar nicht!

Ein neues Leben

Als ich meinen Job in der Arztpraxis antrat, fragten sich meine neuen Kolleginnen, woher ich stammte. Da wir in Niedersachsen so gut wie keinen Dialekt sprachen, spekulierten sie heimlich, aus welchem Teil der Republik ich kam. Für einen Frankfurter (oder allgemein einen Hessen) war es natürlich undenkbar, akzentfrei zu reden, doch bei uns war das normal. Schnell fanden sie heraus, dass ich aus Niedersachsen kam, und dann war das kein Thema mehr. Trotzdem bewunderten sie auch weiterhin meine ordentliche Aussprache.