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Elke Heidenreich

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Beschreibung

Mit Büchern von Frauen durchs Leben! Es waren Bücher von Frauen, die Elke Heidenreich geprägt haben, von frühester Jugend an. Später machte sie das Reden und Schreiben über Bücher zu ihrem Beruf. Und wurde, wie sie heute ist, durch Bücher: Denn Lektüre und Persönlichkeitsentfaltung bedingen einander, das Lesen durchdringt das Leben. Bücher von Frauen gaben ihr das Rüstzeug für alles, was sie heute macht, für die lebenslange Freude an Auseinandersetzungen, schwierigen Lektüren, am immer Weitermachen. Lesen macht glücklich und ist der rote Faden im Leben der Elke Heidenreich. Sie schreibt dieses Buch, um nachzuvollziehen, wie Bücher von Frauen uns zu dem machen, was wir sind, um zu verstehen, was Literatur bedeutet, und um ihren Leserinnen Anregungen zum eigenen Lesen und Leben zu geben. »Klug, unterhaltsam und inspirierend – ein wundervoll subjektives Buch, voller Persönlichkeit und privater Fotos der Autorin.« Brigitte »Eine einzige Anregung zum Lesen!« Kölnische Rundschau

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Seitenzahl: 162

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Das Buch

Elke Heidenreich und die Literatur – eine lebenslange Liebesgeschichte. Diese Geschichte erzählt sie hier.Es geht um die wichtigen, prägenden,rettenden Bücher ihres Lebens. Und warum dies meist Büchervon Frauen waren.

Die Autorin

ELKE HEIDENREICH

ELKE HEIDENREICH

HIERGEHT’SLANG!

Besuchen Sie uns im Internet:

www.eisele-verlag.de

ISBN 978-3-96161-126-3

1. Auflage

© Elke Heidenreich

© 2021 Julia Eisele Verlags GmbH, München

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Umschlagabbildung: © GraphicaArtis / Bridgeman Images

E-Book:

Inhaltsverzeichnis
Über das Buch / Über die Autorin
Titel
Impressum
Motto
Hier geht’s lang!
Das Kind
Das Mädel
Der Backfisch
Die Studentin
Die junge Frau
Die besten Jahre
Heute
Männer
Bildnachweis

Dies bin ich. Ich lerne gerade Schreiben, 1949, Sütterlinschrift mit Griffel auf Schiefertafel.

HIER GEHT’S LANG!

Wo geht’s lang? Und was eigentlich? Ach, das Leben, das Lesen, wie kann man das begreifen, was alles mit einem geschieht, wie kann man es verarbeiten, ohne mit anderen Menschen darüber zu reden, aber auch: ohne in Büchern wiederzufinden, was einen selbst an- und umtreibt?

Ich habe Lust, aufzuschreiben, was Bücher von Frauen mit mir und meinem Leben gemacht haben. Dies ist also weder eine feministische Einordnung von Literatur noch der Versuch einer Literaturgeschichte von Frauen, schon gar keine umfassende.

Ich bin das kleine Mädchen, das Nesthäkchen und Trotzkopf las und ein Frauenbild vermittelt bekam, das mit der Wirklichkeit so gar nicht übereinstimmte. Die Studentin, die sich unter lauter Männerliteratur zusammensuchen musste, was eigentlich Frauen dachten und schrieben. Die junge Frau, die das Lesen und das Reden und Schreiben über Bücher zu ihrem Beruf gemacht hatte. Und die so geworden ist, wie sie ist, auch durch Bücher: Denn Lektüre und Persönlichkeitsentfaltung bedingen einander, das Lesen durchdringt das Leben. Wer immer nur schnulzige Liebesgeschichten liest wie Emma Bovary, der muss am Ende dann eben Gift nehmen, weil das wahre Leben nicht so ist wie in den Büchern, schon gar nicht die wahre Liebe, wobei es wahre Liebe… Nein, das führt jetzt entschieden zu weit.

Gift nehmen zu müssen blieb mir erspart. Aber der Vergleich hinkt: Emma war eine literarische Figur, war Flauberts Geschöpf. Ich war ein in Büchern sich suchendes und langsam findendes Mädchen. Mich haben die Bücher gerettet, auch wenn sie mir manches gründlich vermasselt haben. (Männer sind übrigens nicht unbedingt begeistert von allzu viel lesenden Frauen. Sie fühlen sich mitunter beunruhigt. Auf den Scheiterhaufen der Inquisition brannten wohl auch deshalb vorwiegend Frauen und Bücher. Diktatoren und Inquisitoren haben instinktiv die potentielle Macht der Lesenden gespürt. Der wahre Leser ist subversiv.)

Literatur ist Literatur, egal, ob von Männern oder Frauen geschrieben.

Nur schreiben die Männer schon sehr viele Jahrhunderte länger als die Frauen, zumindest öffentlich. Frauen konnten erst ab dem 19. Jahrhundert um ihre öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung kämpfen. Die Wegbereiterinnen einer weiblichen Literatur mussten andersartige Sicht- und Schreibweisen entwickeln, sie brauchten lange, um selbstbewusst zu werden und sich durchzusetzen. Dann aber hatten sie uns Leserinnen einiges zu sagen, was bisher noch nicht gesagt, geschrieben worden war. Und wir begriffen: Literatur von Frauen ist auch politische Literatur. Wichtige Stimmen im Exil waren oft Stimmen von Frauen – Else Lasker-Schüler, Anna Seghers, Nelly Sachs. In den Ländern kommunistischer Diktatur schrieben Christa Wolf, Anna Achmatowa, Ding Ling, im Apartheitssystem Südafrikas Nadine Gordimer, im immer noch rassistischen Amerika Toni Morrison große Literatur. Weibliche Literatur?

»Kann man aus einem anonymen Text ablesen, ob er von einem Mann oder einer Frau verfasst worden ist? Man kann es nicht.«* Das schreibt Ruth Klüger im Vorwort zu einem Band mit Kolumnen für die Literarische Welt, in denen es nur um Bücher von Frauen geht.

* Aus: Ruth Klüger. Was Frauen schreiben. Zsolnay 2010.

Und trotzdem: Wenn Männer schreiben, ist es automatisch Literatur. Wenn Frauen schreiben, ist es immer noch Frauenliteratur. Literatur von Frauen über Frauen für Frauen. Das empfinde ich als infame Ausgrenzung, als Stempel: Kunst kann das ja nicht sein, ist ja bloß von und für Frauen.

Warum dann aber hier ein Buch fast ausschließlich über Bücher von Frauen? Als hätte ich nicht auch Balzac, Proust, Nabokov, Thomas Mann, die wunderbaren Russen, die großen Amerikaner, ja sogar tapfer Grass und Martin Walser gelesen? Weil die Bedeutung weiblicher Literatur und ihr Einfluss auf uns Frauen meiner Meinung nach noch immer unterschätzt wird. Männliche Autoren stellen Frauen oft in den Mittelpunkt ihrer Romane (Effi Briest, Madame Bovary, Anna Karenina), aber Autorinnen geben intimere Einblicke in das Seelenleben oder auch die Sexualität von Frauen. Sie sind einfach näher dran. Sie haben andere Erkenntnisse beizusteuern. Frauen sind ohnehin die größeren Leserinnen als Männer. Da war, um es mal so zu sagen, ein wirklicher Bedarf am weiblichen Blick in der Literatur.

Als ich ein Kind war, wurde streng zwischen Jungen- und Mädchenbüchern unterschieden, nur bei den Märchen und bei Karl May trafen wir Kinder uns alle wieder. Das macht etwas mit kleinen Mädchen, und der rein männerfixierte Blick auf die Literatur zu der Zeit, als ich Germanistik studierte, der machte auch was mit mir. Die einzige Autorin, die während meines Studiums in den Sechzigerjahren in diesem Männerzirkel ernstgenommen und diskutiert wurde, war Annette von Droste-Hülshoff, und das auch nur, weil man ihr einen männlichen Geist bescheinigte. Es war eine lange Suche, bis ich über die Erfahrungen anderer Frauen auch zu mir selbst fand.

Und genau das möchte ich hier beschreiben. Nicht als Literatur-, sondern als Lebensgeschichte. Ich möchte vor allem von den Büchern erzählen, die für mich wichtig wurden, als ich jung und auf der Suche war, »in dieser Dämmerzeit des Ahnens«, wie der Schweizer Literaturkritiker Werner Weber es in seinem Tagebuch eines Lesers so liebevoll nennt. Auch als ich älter wurde, war Literatur das Geländer, an dem ich mich festhielt und das mir Orientierung gab, mich durchs Leben leitete. Als wollte sie mir sagen: Hier geht’s lang!

Die mexikanische Dichterin Angeles Mastretta hat gesagt: »Wir Frauen verfügen über Schätze, Einsichten, die nirgends niedergeschrieben sind und die an andere Frauen weiterzugeben unsere Pflicht ist.«

Im Kölner Dom kann man den Lochner-Altar von 1442 bewundern. Da kommt der Erzengel Gabriel in die Wohnung der Jungfrau Maria und verkündet ihr, dass sie schwanger ist. Sie blickt sehr erstaunt auf von einem Buch: Sie hat gerade völlig vertieft gelesen.

Zum Glück wurden solche Schätze aufgeschrieben und weitergegeben, darum konnte die Schriftstellerin Jeanette Winterson dann sagen: »Ein Buch gibt mich nicht wieder, es definiert mich neu.« Wenn das passiert, ist es für die Leserin ein Glücksfall, und für die Autorin wohl auch. Susan Sontag notierte: »Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke.« Marieluise Fleißer: »Ich schreibe das Leben.« Katherine Mansfield: »Ich lebe, um zu schreiben.«Virginia Woolf wusste, dass man durch die Wörter immer die Seele sieht, für Ingeborg Bachmann war Schreiben »die schmerzlichste aller Todesarten« und Sylvia Plath notierte: »Was ich am meisten fürchte, ist der Tod der Phantasie.«Elisabeth Langgässer schrieb während der Nazijahre in einem Brief an eine Freundin: »Du weißt nicht, was es heißt, als Frau eine Kathedrale allein zu bauen.« Sie meinte die Kathedrale Dichtung.

Das Schreiben, auch das Lesen, war für all diese Frauen so existentiell, wie es das auch nach und nach für mich wurde, vor allem: das Lesen. Ich suchte nach Wegweisern durch den Literaturdschungel und stieß früh auf Virginia Woolf. Sie schreibt in einem Essay über das Lesen:

Der einzige Rat nämlich, den ein Mensch einem anderen in puncto Lesen geben kann, ist der, auf keinen Rat zu hören, dem eigenen Instinkt zu folgen, den eigenen Verstand zu gebrauchen, eigene Schlüsse zu ziehen. Wenn wir uns darüber einig sind, dann fühle ich mich frei, einige Ideen und Anregungen zu äußern, denn dann werden Sie sich davon jene Unabhängigkeit nicht einschränken lassen, welche die wichtigste Eigenschaft ist, die ein Leser besitzen kann.*

* Aus: Virginia Woolf. Wie sollte man ein Buch lesen? In: Dies. Der gewöhnliche Leser. Essays. Bd. 2, Fischer 1977.

Unter den frühen Texten des walisischen Dichters Dylan Thomas gibt es eine wundervolle Weihnachtserinnerung: Er spielt mit seinem Freund im Schnee und plötzlich schlagen Flammen aus dem Haus der Nachbarin, Miss Prothero. Die Feuerwehr rückt an, spritzt aus mächtigen Schläuchen Wasser auf die Flammen, und Miss Prothero ist so erleichtert, dass das Haus nicht abgebrannt ist, und möchte den großen Männern in ihren rauch- und rußgeschwärzten Uniformen, die da jetzt in dem ruinierten Wohnzimmer stehen, etwas Gutes tun, weiß aber nicht was und bietet dann das an, was für sie selbst zum Schönsten gehört: »Möchten Sie vielleicht jetzt etwas zu lesen haben?«

»This is not a battle to fight«, habe ich mal auf dem Deckblatt der Speisekarte eines Restaurants in New York gelesen. So ist das auch mit den Büchern: Es geht nicht um Kampf, es geht auch nicht um einen Kanon, es geht einfach nur um Liebe. Um die Liebe zu erzählten Geschichten. Und Liebe macht etwas mit einem, immer.

Mit meiner Mutter, 1952

DAS KIND

Ein wichtiger Mann in meinem Kinderleseleben war Peter Kölln. Ich wusste weder, dass es ihn gab, noch, wer das war, aber er hatte 1820 in Elmshorn ein Haferflockenimperium gegründet und die »blütenzarten Köllnflocken« erfunden, die es ab 1937 unter diesem Markenzeichen in blausilberner Verpackung gab.

Zehn Jahre später war ich vier Jahre alt, aß täglich zum Frühstück blütenzarte Köllnflocken mit Milch, Zucker und Kakao, buchstabierte auf der Tüte herum und freute mich über die Roswitha-Sammelbildchen. Jeder Packung lag ein Märchenbild bei, man konnte die Bilder in Alben kleben, aber für ein Album gab es bei uns kein Geld. Ich sammelte in den Zigarrenkisten von Onkel Hans, er rauchte Handelsgold, und meine Roswitha-Bildchen rochen also zuerst nach Haferflocken, dann nach Zigarren. Damals war noch kein Aufdruck auf den Kisten, dass das Rauchen tödlich sei. Der viel tödlichere Zweite Weltkrieg steckte uns mit ganz anderen Nachwirkungen in den Knochen.

Onkel Hans wohnte mit Opa Albert in der Nähe von meiner Mutter und mir, mein Vater machte sich im Laufe der Jahre immer mehr aus dem Staub und ich aß Haferflocken, um groß und stark zu werden. Groß wurde ich, stark nicht gerade, aber schlau, denn mit fünf hatte ich entziffert, was hinten auf den Bildchen stand. Und da standen nicht etwa die Geschichten zu den Bildern, sondern dort war zu lesen, dass es das»Große Roswitha-Album jetzt zum Preise von DM 1,– beim Lebensmittelkaufmann« zu erwerben gäbe. Und: »Wer jedes Bildchen gleich ins Album klebt, schont seine wertvolle Roswitha-Sammlung und erlebt, wie Seite um Seite ein prächtiges Märchenbuch entsteht.« Darunter: »Köllnflocken kräftigen, ohne dick zu machen.«

Peter Kölln (Hrsg.): Mit Roswitha ins Märchenland. Firma Köllnflocken, Elmshorn 1935 (Bilderbuch mit farbigen Einklebebildern nach Originalen von Roswitha Bitterlich)

Dick wurde ich tatsächlich nicht, aber ein Album gab es auch nicht, obwohl man beim 500-Gramm-Paket Flocken vier Pfennig sparte und somit nach dem Kauf von 25 Pfundpaketen, so wurde akribisch vorgerechnet, schon genug gespart hätte, um ein Album für DM 1,– kaufen zu können.

»Sonst noch was«, sagte meine pragmatische Mutter zu solchen Ansinnen, und die Bildchen blieben in der Zigarrenkiste.

Dass ein österreichisches Wunderkind namens Roswitha Bitterlich diese Bildchen gezeichnet und getextet hatte, wusste ich damals natürlich auch noch nicht, und als ich Jahrzehnte später dieses Roswitha-Album auf dem Flohmarkt entdeckte, stellte ich fest: Sie wurde nicht mal erwähnt, sondern das Buch wurde »gewidmet von der Märchentante der Peter- Kölln-Mühle – Elmshorn.«

Diese Märchentante aber war eben jene Roswitha Bitterlich, die in ihren Bildchen und Verslein mächtig idyllisch und possierlich herumschwurbelte, da war das vielbeschworene Deutsche Wesen noch nicht lange in Misskredit geraten. Roswitha Bitterlich war also, ohne dass ich es wusste, im Grunde meine erste Lyrikerin gewesen.

Mariele und ihr Brüderlein

Sind auf der Welt so ganz allein.Vater und Mutter leben nicht mehr,Geldbeutel und Brotsack sind auch leer.

Ich hatte Vater, Mutter und Haferflocken und schätzte mich glücklich.

Die zweite Autorin, an die ich mich noch genau erinnere, war Emma Gündel. Ich bekam zwischen 1948 und 1949 insgesamt viermal ihr Buch Elke, der Schlingel geschenkt: von Patentante Helene, die mir aus abgelegten Armeeklamotten meines Vaters Mäntel und Kleider nähte, von Friseur-Tante Lili, die meine Mutter mit krisseligen Dauerwellen verunstaltete und mir in ihrer Küche fürchterliche Topfschnitte verpasste, von meiner schönen Tante Aneta, die sich mein Onkel Eduard aus Polen mitgebracht hatte, zusammen mit dem Diamantring, den sie trug und »für den ich dem Juden erst den Finger abhacken musste«, O-Ton Onkel Eduard. Und schließlich bekam ich den Elke-Schlingel noch von Onkel Welle unten im Haus, der Rentner war und im Treppenhaus meiner Mutter nachstieg: »Nun seien Sie doch nicht so, meine Frau lässt mich nicht mehr hin und Sie sind doch auch so oft allein.« Der schenkte mir das Buch zum Schulanfang 1949. Meine Mutter brachte es ihm sofort zurück und sagte: »Wir können selber Bücher kaufen.«Das stimmte zwar nicht, wir kamen gerade mal so über die Runden, aber von Onkel Welle wollte sie nichts annehmen, und immerhin hatte ich nun ja auch schon dreimal Elke, der Schlingel von Emma Gündel, die insgesamt zehn Elke-Romane schrieb, von Elke, der Schlingel über Elke im Seewind und Elke lernt Bergsteigen bis zu Leb wohl, Elke. Natürlich habe ich sie alle gelesen.

Emma Gündels Elke, der Schlingel bekam ich insgesamt viermal geschenkt.

Emma Gündel (1889–1968) war Lehrerin gewesen, und mit ihrer Elke-Serie landete sie einen großen Erfolg mit mehr als anderthalb Millionen Exemplaren Auflage. Ihre Elke war ein leicht aufsässiger Charakter, das gefiel mir als Namensschwester ganz gut, und wir hatten noch zweierlei gemeinsam: einen stets abwesenden Vater und eine schwache Lunge. Ich soll, sagte meine Mutter, bei der Geburt erst mal gehustet statt geschrien haben, und bis man mir mit Anfang zwanzig die Hälfte meiner total kaputt gehusteten Lunge herausoperierte, hatte ich so viele Lungenentzündungen, dass kein Mensch sie mehr zählte. Aber für eine Kur fehlte auch hier das Geld, ich musste mit Kamillendampf unterm Handtuch inhalieren und viel liegen. Liegen und lesen. Die Elke im Buch, die an Blutarmut und »zarter Lunge«litt, kam für sechs ganze Monate auf den Sonnenhof im Holsteinischen und war danach stark und gesund. Die hatte es gut! Die hatte es überhaupt gut: Die hatte noch vier ältere Geschwister. Ich hatte niemanden. Meine Eltern hatten sich kein Kind im Krieg gewünscht, und entsprechend fand ich kaum statt. Ich las und las. Ich suchte mir meine Freunde, Geschwister, Familie in den Geschichten. Zum Glück hatte meine sonst so strenge Mutter immer einen Sinn für Bücher. Sie sorgte für eine Dauerkarte in der Gemeindebibliothek, und weil ich schon als Kind eine schöne Schrift hatte, durfte ich dort bald Karteikärtchen beschriften, musste gar nichts mehr zahlen und durfte so viel ausleihen, wie ich wollte. Mädchenbücher zunächst, natürlich.

Und sehr gern wurde mir dann auch in späteren Jahren noch eine andere Elke von einer anderen Autorin geschenkt, nämlich Elke zahlt Lehrgeld von Eva Schäfer.

»O, diese Elke!« ist hier der tägliche Stoßseufzer. Das Buch ist eine unerträglich öde Schmonzette, in der alberne Streiche eine Rolle spielen, aber: »Wenn Mutti dagewesen wäre, dann wäre ich niemals so boshaft und aufsässig gewesen! Aber natürlich war das keine Entschuldigung, denn gerade weil Mutti fort war, hätte Elke ja ganz besonders vernünftig und gewissenhaft sein sollen.«

Elke zahlt Lehrgeld von Eva Schäfer ist eine öde Schmonzette.

Ich habe dieses Buch übrigens damals nie gelesen, ich war, als es erschien, schon zu alt für Kinderbücher, und es ging ja wohl auch nur um den Titel. Jaja, Botschaft angekommen. Erst jetzt hab ich mal hineingeschaut und es voller Entsetzen sofort weggelegt. Aber die Emma-Gündel-Bücher aus den Dreißigerjahren haben mich als Kind durchaus erreicht.

Als ich ein Kind war, gab es jede Menge solcher Mädchenbücher. Unsere kleine Gemeindebibliothek führte streng getrennte Regale für Mädchen und Jungen, und ich las mich dann eben erst mal durch die Mädchen, bis mich mit elf oder zwölf Karl May rettete. Die Jungen lasen Dampfer in Seenot, Sturm auf See, Gorilla greift an oder Der kleine Heinz hat viel zu tun und Horst wird Förster.

Mädchen konnten ruhig auch Jungsbücher lesen, aber nie hätte man einen Jungen mit einem ausgewiesenen Mädchenbuch erwischt.

Wir Mädchen lasen Ursula hat ein Ziel, Der Zopf ist ab, Peggys Abenteuer in Ägypten, Krach um Kati und Alle Achtung, Christine.

Wir Mädchen lasen Mädchenbücher, eins so blöd wie das andere.

Eins war so blöd wie das andere, aber dann gab es ja auch noch die herrlichen Märchen und Sagen, es gab Daniel Defoes Robinson Crusoe und Stevensons Die Schatzinsel, das war dann was für alle, für Mädchen und Jungen.

R. L. Stevensons Die Schatzinsel – das war dann was für alle, für Mädchen und Jungen.

Aber im Grunde galt schon damals: Mädchen konnten ruhig auch Karl May oder Abenteuerbücher lesen, aber nie hätte man einen Jungen mit Alle Achtung, Christine oder sonst einem ausgewiesenen Mädchenbuch erwischt.

Das fing so früh schon an: Frauen lesen Literatur von Männern, über Männer, Männer lesen in aller Regel nicht Literatur von Frauen. Vor diesen Kinderregalen in der Gemeindebibliothek entschied sich bereits, dass ich später zu Flaubert, Tschechow, Don DeLillo greifen würde, aber Wolf-Rüdiger nicht zu Virginia Woolf, den Schwestern Brontë oder Anna Achmatowa. Aber, auch das sei erwähnt, Mädchen wie Jungen wurden angesprochen, unterhalten und vor Nachkriegsgrau gerettet von den simplen, aber spannenden Büchern der Engländerin Enid Blyton, ihren Serien der fünf Freunde, der Abenteuer, Rätsel, Geheimnisse, wir lasen das alles gierig einfach so weg und ahnten nicht, dass wir es mit der fleißigsten aller Schriftstellerinnen zu tun hatten: Enid Blyton, die mit nur 61 Jahren von Alzheimer getroffen wurde, schrieb in ihrem nicht sehr langen Erwachsenenleben 750 Romane, mehr als 10.000 Kurzgeschichten, hatte Auflagen von über 600 Millionen in vierzig Ländern, und sie traf genau den Ton, auf den wir Kinder ansprangen. Wurde sie kritisiert, soll sie geantwortet haben, Kritik von Leuten über zwölf interessiere sie nicht.

Enid Blyton (1897–1968), eine der produktivsten und meistverkauften Autorinnen der Welt.

Unsere Herzen hat sie bis heute, denn ihre Bücher vermitteln außer Spannung und Unterhaltung, dass man auch vermeintlich niedrig gestellte Menschen wie Dienstpersonal oder Putzfrauen gefälligst mit Respekt behandelt und dass überhaupt alle Menschen gleich viel wert sind. Da hatten uns unsere Weltkriegseltern etwas anderes vorgelebt.

Literarisch gesehen waren das sicher keine Perlen, aber meine lebenslange Lesefreude hat Enid Blyton ganz wesentlich mit angefacht, und ihre Georgina in der Fünf-Freunde-Serie hat mir ein sehr anderes, freieres, selbständigeres Mädchenbild gezeigt als das von Pucki, Nesthäkchen, dem Trotzkopf oder Elke, dem Schlingel. So, wie mir Hugh Loftings Serie der Dr. Dolittle-Bücher den Grundstein für meine lebenslange Liebe zu Tieren legte. Er behauptete, die Tiersprache könne man lernen, und er hat recht: ich kann sie. Danke, Hugh Lofting, du wichtiger Mann unter all meinen Autorinnen!