Highspeed - Hans-Christian Steeg - E-Book

Highspeed E-Book

Hans-Christian Steeg

4,4

Beschreibung

Fotos mit ultrakurzen Belichtungszeiten von schnellen Bewegungen zeigen alltägliche Dinge in neuem Licht oder ermöglichen Einblicke in Vorgänge, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen wären. Momentaufnahmen in präziser Schärfe von fliegenden oder springenden Tieren, kollidierenden Tropfen oder aufprallenden Geschossen faszinieren den Betrachter, nicht zuletzt weil sie die Frage aufwerfen, wie sie erstellt wurden. Die beiden wichtigsten Techniken für solche Präzisionsaufnahmen sind zweifelsohne der Elektronenblitz mit seinem kurzen und intensiven Lichtimpuls sowie die Lichtschranke. Der Autor, Diplom-Physiker und Naturfotograf in einer Person, zeigt anhand unzähliger spektakulärer Bildbeispiele aus der Natur-, Tropfen- und ballistischen Fotografie, wie Sie diese und andere Technologien einsetzen und sich damit die Tür zur Welt der schnellen Objekte sowie unsichtbaren Vorgänge öffnen. Dabei greift er nicht nur auf eigene Fotos und Arbeitserfahrungen zurück, sondern präsentiert auch die technischen Verfahren, Aufbauten und Ergebnisfotos zahlreicher nationaler und internationaler Kollegen. Aus dem Inhalt: • Die Highspeed-Fotografie von den Anfängen bis heute • Einsatz von Lichtschranken und Highspeed-Blitzgeräten • Die Verschlussproblematik und der Einsatz von externen Verschlüssen • Praktische Anwendung bei Insekten, Vögeln und Fledermäusen • Die Erzeugung und Fotografie von Wasserskulpturen • Einsatz in der Ballistik: zerplatzende Eier und durchschossene Luftballons • Grundlagen der Elektronik • Geeignete Kameras, Objektive, Verschlüsse und mögliche Alternativen

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Hans Christian Steeg befasst sich seit seiner frühesten Jugend mit der Naturfotografie, bevorzugt im Makrobereich. Er ist Diplom-Physiker mit Schwerpunkt Elektronikentwicklung, Mikrocontroller und Messtechnik. Dieser berufliche Hintergrund harmoniert perfekt mit seinem Interesse für die ungewöhnlichen Bereiche der Fotografie wie der hier angewandten Kurzzeittechnik.

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Highspeed

Kurzzeitfotografie in Natur und Studio

Hans Christian Steeg

Hans Christian Steeg

[email protected]

Lektorat: Rudolf Krahm

Copy-Editing: Alexander Reischert, Redaktion ALUAN

Layout, Satz: Cyrill Harnischmacher, Reutlingen

Herstellung: Susanne Bröckelmann, Frank Heidt

Umschlaggestaltung: Cyrill Harnischmacher, Reutlingen

Druck und Bindung: Stürtz GmbH, Würzburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

ISBN

Buch 978-3-86490-034-1

PDF 978-3-86491-555-0

ePub 978-3-86491-556-7

1. Auflage 2014

Copyright © 2014 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.

Abbildungsnachweise: Wenn nicht anders angegeben, wurden die Diagramme, Grafiken und Fotografien vom Autor angefertigt.

Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden von den Autoren mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Herausgeber noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buchs stehen.

In diesem Buch werden eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet. Auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind, gelten die entsprechenden Schutzbestimmungen.

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Prof. Dr. Henning WiesnerDirektor des Münchner Tierparks Hellabrunn 1981 bis 2009Foto: Petra Schramek

Es gibt von Augustinus eine wunderbare Aussage über die für uns so unnachvollziehbare Zeit: »Wenn du mich fragst, was Zeit ist, so weiß ich es. Wenn ich es dir sagen soll, so weiß ich es nicht.«

Wenn wir nun mit den hier vorliegenden meisterlichen Fotografien aus der Highspeed-Zeitwelt mit Motiven konfrontiert werden, die sich sonst unserem Auge entziehen und nur mit offen staunendem Mund eingefrorene Bewegungsabläufe bewundern dürfen, tauchen wir in ein völlig neues Zeitempfinden ein. Eine für uns fremde Welt überwältigt uns mit Farben und Formen: sei es nun der anfliegende Dompfaff oder die als »Fliegende Untertasse« in der Luft schwebende Brillenblattnase. Einmalig die fantastischen Insektenbilder, die uns bizarre Schönheiten wie den Feuerkäfer oder die filigrane Transparenz der Florfliege näher bringen. Insektenkostbarkeiten, eingefangen für die Ewigkeit wie in einem unsichtbaren Bernstein. Allein die Fliegenkollision mit weicher Landung auf einer Umbelliferenblüte ist die Anschaffung dieses prächtigen Farbbandes mehr als wert. Wissen wir jetzt etwas mehr als Augustinus? Sicher nicht, aber das schlüpfrige Fluidum Zeit hat somit für uns andere Dimensionen bekommen.

Prof. Dr. Henning Wiesner

Vorwort – Die Fliege über der Marmelade

Was ist eigentlich Highspeed-Fotografie? Zuerst einmal der (teilweise) englische Begriff für das deutsche Wort »Hochgeschwindigkeitsfotografie«, manchmal auch Kurzzeitfotografie genannt. Beide Worte zusammen erklären schon recht gut, was darunter verstanden werden könnte: schnelle Vorgänge, die für das bloße Auge unsichtbar sind, mit Hilfe fotografischer Methoden sichtbar zu machen.

Erst seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts sind die Werkzeuge allgemein verfügbar, die solche Fotos auch für den nichtprofessionellen Fotografen möglich machen. Die beiden wichtigsten sind ohne Zweifel der Elektronenblitz mit seinem kurzen und intensiven Lichtimpuls sowie die Lichtschranke, die ursprünglich für ganz andere Anwendungen gedacht war. Findige Fotografen kombinierten beide Geräte miteinander und öffneten damit die Tür zur Welt der schnellen Objekte.

Seitdem ist die Technik weit fortgeschritten. Computer sind nun in fast jeder Kamera zu finden und der Film, über hundert Jahre lang Inbegriff der Fotografie, wurde von elektronischen Sensoren abgelöst. Inzwischen erkennt die Technik, ob irgendwo jemand in die Kamera lächelt, und stellt automatisch darauf scharf. Also sollte es doch auch ein Kinderspiel sein, eine Fliege über der Marmelade abzulichten. Oder doch nicht?

Die Antwort ist nein. Auch der schnellste Autofokus und die präziseste Kameraelektronik wären mit einem solch winzigen und unberechenbaren Objekt hoffnungslos überfordert. Erst die für derartige Aufgaben maßgeschneiderte Technik führt letztlich zum gewünschten Erfolg. Und das gilt für lebende Objekte genauso wie für fallende Wassertropfen oder ein Geschoss aus einer Pistole. Dabei bricht die Highspeed-Fotografie mit herkömmlichen Gewohnheiten und Arbeitsweisen, denn der Fotograf kann zwar dafür sorgen, dass etwas durch die Lichtschranke fliegt, auf das Wie hat er aber so gut wie keinen Einfluss. Nicht der Fotograf bestimmt das Ergebnis, sondern der Zufall. Gerade deshalb ist aber jedes Foto ein unverfälschtes und authentisches Dokument und der Betrachter wird zum Zeugen realer Ereignisse, die so noch nie jemand gesehen hat.

Wer sich tiefer für diese faszinierende Materie interessiert und vielleicht selbst einsteigen möchte, findet hier manchen Hinweis darauf, wie es funktionieren könnte. Vielleicht auch einige, wie es nicht funktioniert ... und das ist manchmal genauso viel wert.

Foto: Rudolf Vornehm

Dank

Mein Dank gilt allen im Folgenden aufgeführten Fotografen, Firmen und Organisationen, die mir für dieses Buch Fotografien und anderes Bildmaterial sowie wertvolle Hintergrundinformationen zur Verfügung gestellt haben. Ganz besonders bedanke ich mich bei Rudolf Vornehm, Dr. Christoph Robiller, Helmut Heintges und Tobias Bräuning.

Fotografen

Firmen/Organisationen

Avi Abrams

Canon

Tom Blackwell

Cognisys Inc.

Murat Cuhadaroglu

DHW GmbH

Rolf Daus

diSoric GmbH

fotoopa

eltima electronic

Eric Gaba

enjoyyourcamera.com

Linden Gledhill

Eric Hosking Charitable Trust

Sven Harms

Fujifilm

Cyrill Harnischmacher

Godox

Marko König

Helmut-Drechsler-Museum, Colditz

Dieter Mahlke

HENSEL-VISIT GmbH

Rolf Nagel

kocktrade.de

Prof. Greg Parker

Lockheed Martin

Milan Podany

Lumopro

Michael Quack

MIT Museum

Mark Rain

Mumford Micro Systems

Fritz Rauschenbach

NAC

Maurice Ribble

National Media Museum /

Alan Sailer

Science & Society Picture Library

Michael Schmutz

Nikon

Jürgen Schmidt

Optronis GmbH

Ghislain Simard

Panasonic

Alexander Steeg

photoduino.com

Corrie White

Pixel

Werner Wissenbach †

Samsung

SICK AG

Sony

Stemmer Imaging GmbH/Vieworks

Uniblitz

Wisconsin Historical Society

xhia produktentwicklung

Inhalt

01 Historie

Kleine Geschichte der Kurzzeitfotografie

Die Anfänge

Übergang zur Moderne

Der unermüdliche Erfinder

Eric Hosking – Vogelfotograf mit neuer Technik

Weiterentwicklung der Technik

Der Perfektionist

Stand der Technik

02 Lichtschranken

Die Lichtschranke – schneller als jeder menschliche Reflex

Die Elektronik als Ausweg

Die Unterscheidungsmerkmale

03 Highspeed-Blitz

Der Highspeed-Blitz – die unverzichtbare Lichtquelle

Wie schnell ist schnell?

Die Leitzahl – ein praktischer Anhaltspunkt

Kombination mehrerer Geräte

Neue und alte Exoten

Die Zukunft muss noch warten

Das richtige Blitzgerät

04 Verschluss

Das Hauptproblem der Highspeed-Fotografie

Mobiler Einsatz vor Ort

Eine Herausforderung – der PQS-Verschluss an einer DSLR

Mechanik

Andere Wege zum selben Ziel

Die Alternative

05 Insekten

Die Erde – der Insektenplanet

Die Jagd mit der Lichtschranke – etwas für die Sportlichen

Die stationäre Lichtschranke – eine angenehme Art des Fotografierens

Die ultimative Lösung – Zugriff auf die Kameraelektronik

Der Hintergrund – mit Blitz immer ein Problem

06 Vögel

Die wahren Flieger

Eulen – die Jäger der Nacht

Helmut HeintgesDer Eisvogel-Fotograf

07 Fledertiere

Flugkünstler mit vier Beinen

Fledermäuse in zoologischen Gärten

Fledermäuse in freier Natur

Flughunde im Versteck

Christoph RobillerFotografie zwischen Island und Sardinien

08 Tropfen

Skulpturen aus Wasser

Ursache und Wirkung

Das Ziel

Komplettsteuerung des Ablaufs

Die hohe Schule

»Liquid Flows« und tanzende Tropfen

Zusammenfassung

09 Ballistik

Ballistik – oder wie schnell ist wirklich schnell?

Tobias BräuningTropfenfotografie in Vollendung

10 Elektronik

Die Elektronik – (k)ein Geheimnis

Der Ausgang der Lichtschranke – NPN oder PNP

Hell- oder dunkelschaltend

Anschluss der Lichtschranke

Adaption der Kamera

Lichtschranke und Kameraansteuerung

Auslösung der Kamera in Relation zu einem Magnetventil

Interface zu einem Mikrocontroller

Der logische Eingang

Der Ausgang

Ansteuerung eines Optokopplers

Schalten hoher Leistungen

Stromversorgung der Kamera aus einem Akku

11 Stand der Technik

Stand der Technik und ein Ausblick

Die Kamera

Der Verschluss

Das Objektiv

Stromversorgung

Fazit

Rudolf VornehmDer vielseitige Naturfotograf

Gemeine Wespe und Mittlere Wespe im Luftkampf, aufgenommen mit der Anlage auf Seite 39 oben Nikon F4, Leitz Photar 5,6/120, PQS-Verschluss, Blende 11, Kodak E100GX, Scan vom Dia

01Historie

Die Erfindung der Fotografie vor fast zweihundert Jahren gehört zu den größten kulturellen Errungenschaften in der Geschichte der Menschheit. Erst durch das unbestechliche fotografische Objektiv konnte die Welt so abgebildet werden, wie sie wirklich ist. Die geringe Lichtempfindlichkeit der damaligen Schichten erforderte Belichtungszeiten von vielen Stunden, so dass nur völlig statische Motive infrage kamen. Mit der Weiterentwicklung der Technik änderte sich das und schon hundert Jahre später waren Belichtungszeiten im Milli- und Mikrosekundenbereich möglich. Selbst extrem schnelle Vorgänge wie die Explosion einer Atombombe konnten fotografisch »eingefroren« und für das menschliche Auge sichtbar gemacht werden.

Schleiereule mit erbeuteter FeldmausEric Hosking nahm sein bekanntestes Foto im Jahr 1948 auf.Foto: Eric Hosking Charitable Trust

Kleine Geschichte der Kurzzeitfotografie

Die Anfänge

Seit vielen tausend Jahren gehören Pferde zu den wichtigsten Begleitern des Menschen. Trotzdem konnte eine Frage erst in jüngster Zeit geklärt werden: Behält ein Pferd im Galopp den »Bodenkontakt« mit wenigstens einem Huf oder hebt es vollständig ab?

William Henry Fox Talbot, 1864

Mit bloßem Auge war (und ist) es unmöglich, die vier wirbelnden Beine so auseinanderzuhalten, dass diese Frage hätte eindeutig beantwortet werden können. Erst mit der Erfindung der Fotografie Anfang des 19. Jahrhunderts stand ein Werkzeug zur Verfügung, das die Klärung dieses Problems ermöglichte. Dabei waren die ersten fotografischen Versuche alles andere als »Highspeed«, ganz im Gegenteil dauerte es selbst im hellen Sonnenschein mehrere Stunden, bis ein Bild auf den mit einer Mischung aus Asphalt und Lavendelöl beschichteten Metallplatten sichtbar wurde (Heliografie). Eine wesentliche Verbesserung brachte einige Jahre später der Einsatz versilberter Kupferplatten, die mittels Joddampf lichtempfindlich gemacht wurden (Daguerreotypie). Mit diesem Verfahren – dem direkten Vorläufer der modernen Fotografie – reduzierten sich die Belichtungszeiten auf zehn bis fünfzehn Minuten, später dann auf eine Minute und weniger. Obwohl damit Landschaftsaufnahmen und auch Porträts möglich waren, blieb die geringe Lichtempfindlichkeit der fotografischen Schichten der begrenzende Faktor für die Abbildung schneller Objekte. Hinzu kam, dass die Verschlusstechnik – sofern damals davon überhaupt gesprochen werden konnte – noch in den Kinderschuhen steckte und sich auf das manuelle Abnehmen und Wiederaufstecken des Objektivdeckels beschränkte. Erst mit der allmählichen Verbesserung der Aufnahmematerialien erschienen die ersten einfachen mechanischen Verschlüsse, die aber noch keine wirklich kurzen Belichtungszeiten zuließen.

The Horse in MotionEadweard Muybridge 1878

Deshalb wählte der Engländer William Henry Fox Talbot (1800–1877), einer der bedeutendsten Wegbereiter der Fotografie, einen anderen Weg bei seinen Experimenten und setzte zum »Einfrieren« der Bewegung ein Blitzgerät ein. Dieses bezog seine Energie aus einer Batterie von »Leydener Flaschen«, den Vorgängern der heutigen Kondensatoren, und erzeugte Funkenüberschläge, die intensiv genug für die damaligen Fotoschichten waren. Damit gelangen ihm 1851 in einem abgedunkelten Labor des Londoner Royal Institute erste scharfe Fotos einer Zeitung, die auf einer rotierenden Scheibe befestigt war. Diese Kombination einer Kamera mit einem Blitzgerät kann daher mit Fug und Recht als Geburtsstunde der Highspeed-Fotografie bezeichnet werden.

Danach dauerte es nur noch wenige Jahre, bis die Technik weit genug entwickelt war, um das »Pferdeproblem« lösen zu können. Die treibende Kraft dahinter war Leland Stanford (1824–1893), ehemaliger Gouverneur von Kalifornien, wohlhabender Eisenbahnmagnat und Begründer der später nach ihm benannten Stanford University. Als Rennstallbesitzer hegte er ebenfalls die Vermutung, dass ein galoppierendes Pferd die Bodenhaftung verliert, ohne jedoch den letzten Beweis dafür antreten zu können. Deshalb engagierte er 1872 den Engländer Eadweard Muybridge (1830–1904), der als Landschaftsfotograf in Kalifornien lebte.

Von ihm erhoffte er sich Unterstützung bei der endgültigen Klärung dieser alten Streitfrage. Muybridge lehnte zunächst ab, denn er sah keinen Weg für eine Lösung der gestellten Aufgabe. Trotz aller Fortschritte steckte die Fotografie noch immer in den Kinderschuhen und es existierte keine Kamera, die für den gedachten Zweck geeignet gewesen wäre. Aber Stanford war der Ansicht, dass alles lösbar wäre, sofern nur genügend Geld eingesetzt würde. Mehr oder weniger heimlich investierte er 50.000 Dollar in das Projekt, nach heutigen Verhältnissen etwa eine Million Dollar. Dank dieser erheblichen finanziellen Unterstützung gelang es Muybridge, die Lichtempfindlichkeit der Fotoschicht so weit zu verbessern, dass sie für den beabsichtigten Zweck ausreichte.

Dennoch kam das Vorhaben arg ins Stocken, als Muybridge des Mordes am Geliebten seiner Frau bezichtigt und vor Gericht gestellt wurde. Nach dem Prozess, in dem er wegen »gerechtfertigten Totschlags« freigesprochen worden war, verließ er Kalifornien für einige Jahre und so dauerte es noch bis 1878, als ihm endlich der ersehnte Nachweis gelang. Zu diesem Zweck stellte Muybridge entlang der Pferderennbahn in Palo Alto zwölf eigens von ihm konstruierte Spezialkameras auf, deren Verschlüsse eine Belichtungszeit von 1/2.000 s erreichten. Zum Auslösen dienten dünne quergespannte Drähte, die vom vorbeigaloppierenden Pferd nacheinander zerrissen wurden.

Wegen der geringen Lichtempfindlichkeit des von Muybridge verwendeten Nassplattenverfahrens – einer Kombination aus Daguerrotypie und Talbots Kalotypie – waren die Fotos nur klein und nicht sehr ansehnlich, reichten aber für den vorgesehenen Zweck völlig aus. Ein zusätzlicher Vorteil war, dass Muybridge – anders als von Daguerrotypien, die sich nicht vervielfältigen ließen – von seinen Negativen beliebig viele Kopien anfertigen konnte.

Nach diesem ersten Erfolg perfektionierte Muybridge seine Technik und wiederholte die Aufnahmen mit 24 und 36 Kameras. Mit dieser Chronophotographie, wie das Zerlegen einer Bewegung in Einzelbilder damals hieß, nahm Muybridge in den folgenden Jahren unzählige Sequenzen von Bewegungen aller Art auf, die er in seinem Hauptwerk Animal Locomotion [1] zusammenfasste. Damit legte er den Grundstein für die moderne Analytik schneller Vorgänge.

Etwa zur selben Zeit beschäftigte sich der Engländer Arthur Mason Worthington (1852–1916) mit der »Fluidmechanik«, also dem Verhalten von Flüssigkeiten unter Einwirkung äußerer und innerer Kräfte. Angeregt von einem Schuljungen, der Tintentropfen auf eine mit Ruß beschichtete Glasplatte fallen ließ und damit charakteristische Muster auf der Oberfläche erzeugte [2], experimentierte er mit Quecksilber-, Wasser-, Milch- und Alkoholtropfen und versuchte ihre Verformung beim Auftreffen zu dokumentieren. Da ihm zur Beobachtung nur seine bloßen Augen zur Verfügung standen, mit denen ein zerplatzender Tropfen unmöglich analysiert werden konnte, griff Worthington auf einen physiologischen »Trick« zurück. Er benutzte einen elektrischen Funkenüberschlag als Lichtquelle, der den momentanen Zustand des Tropfens auf seiner Netzhaut quasi »einbrannte«, so dass er ihn als Zeichnung zu Papier bringen konnte.

Die Vorrichtung, die Worthington zu diesem Zweck konstruierte, bestand aus zwei Hebeln, die um ihre Querachse drehbar gelagert waren und mit Hilfe eines Gummizugs gespannt wurden. Mittels kleiner Eisenringe an ihren Enden wurden sie von Elektromagneten fixiert. An einem Hebel war ein Uhrenglas befestigt, das die Flüssigkeit enthielt, der andere trug einen waagerechten Ring, auf dem eine Elfenbeinkugel, genannt Timing Sphere, lag. Beide Elektromagneten waren elektrisch in Reihe geschaltet, so dass bei Unterbrechung des Stromkreises beide Hebel gleichzeitig nach oben schnellten. Damit verloren Tropfen und Kugel gleichzeitig den »Boden unter den Füßen« und fielen nach unten. In dem Moment, wenn der Tropfen auftraf und zerplatzte, berührte die Kugel einen Kontakt und löste den Funken aus. Durch eine kleine Veränderung ihrer Fallhöhe konnte der Zündzeitpunkt in Millisekundenschritten verschoben werden. Auf diese zeitraubende Art und Weise gelang es Worthington, den kompletten Vorgang des Zerplatzens in einige Dutzend Einzelbilder aufzulösen und zu dokumentieren [3]. Seine Experimente bildeten die Grundlage für verschiedene mathematische Modelle zum Verhalten von Flüssigkeiten, die er in der Folgezeit aufstellte [4].

Worthingtons Aufbau zum Fotografieren fallender Tropfen

Etwa zwanzig Jahre später wiederholte Worthington – mittlerweile Professor für Physik am Royal Naval Engineering College in Devonport – die Versuche mit dem Ziel, eine vollständige Abfolge des Vorgangs mit Hilfe der inzwischen etablierten Fotografie aufzuzeichnen. Bis auf die Kamera, die die Funktion seiner Augen übernahm, blieb das ursprüngliche Prinzip im Wesentlichen unverändert. Zusammen mit dem Tropfenspender und der Funkenstrecke befand sich die Kamera in einem abgedunkelten Raum, während der Hochspannungsgenerator, die Leydener Flaschen als Energiespeicher und der Zeitgeber im hellen Laboratorium verblieben [5]. Nach jeder Aufnahme musste die Fotoplatte gewechselt und die Fallhöhe der Kugel angepasst werden, insgesamt ein immer noch aufwendiges Verfahren.

Der Hauptnachteil war aber, dass für jede Aufnahme ein neuer Tropfen erzeugt werden musste. Die Wiederholgenauigkeit dieses Vorgangs ging damit entscheidend in die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ein. Dazu kam das nicht exakt reproduzierbare Timing des Funkenüberschlags infolge der schwankenden Spannung der Leydener Flaschen, das sich auf das Ergebnis auswirkte. Trotz dieser Schwierigkeiten gelangen Worthington beeindruckende Sequenzen und seine Experimente stellten einen Meilenstein in der Entwicklung der Kurzzeitfotografie dar. Noch heute werden die beim Eintauchen eines Körpers in eine Flüssigkeit hochschießenden »Fontänen« Worthington Jets genannt.

Übergang zur Moderne

Auf der anderen Seite des Kanals beschäftigte sich zu dieser Zeit der Mediziner und Physiologe Étienne-Jules Marey (1830–1904) an seinem Pariser Institut mit Bewegungsstudien von Menschen, Pferden, Vögeln und Insekten. Marey war beeindruckt von den Möglichkeiten der Fotografie, hielt aber Muybridges »Multikamera«-Technik, besonders bei höheren Geschwindigkeiten, für zu unpräzise. 1881 griff er eine Idee des Astronomen Jules Jansson auf und konstruierte eine Kamera, mit der bis zu zwölf Fotos pro Sekunde aufgenommen werden konnten. Mit diesem Gerät, das eher einem Gewehr als einer Fotokamera glich, gelangen ihm in der Folgezeit Fotos fliegender Vögel und anderer Tiere [6].

E.J. Marey in seinem Labor in Paris, um 1900

Wenig später verwarf er dieses Prinzip und konstruierte zusammen mit seinem Assistenten Georges Demenÿ (1850–1917) eine Kamera mit feststehender Fotoplatte und zeitgesteuertem Verschluss, mit der mehrere Bilder auf ein und dieselbe Platte belichtet wurden. Bei Motiven, die sich seitwärts bewegten, führte das zu sehr schönen Sequenzen, bei stehenden Motiven lagen jedoch alle Einzelfotos mehr oder weniger übereinander. 1888 änderte Marey seine Technik erneut und ersetzte die Fotoplatte durch einen lichtempfindlichen Papierstreifen, der von einem Elektromagneten periodisch am Objektiv vorbeigezogen wurde. Wenig später tauschte er den Papierstreifen durch den gerade neu auf dem Markt erschienenen Zelluloidfilm aus, mit dem ihm Bewegungsstudien mit 60 Bildern pro Sekunde in hoher Qualität gelangen. Marey gilt damit gemeinhin als Wegbereiter der Kinematografie.

Lucien Bull 1904Foto: National Media Museum / Science & Society Picture Library

Nach dem Weggang Demenÿs 1894 kam mit dem in Dublin geborenen Lucien Bull (1876–1972) ein neuer Assistent an das Institut Marey. Der handwerklich begabte Bull, der sich besonders für den Insektenflug interessierte, entwickelte eine Kamera, mit der bis zu 54 Doppelbilder in Folge aufgenommen werden konnten. Dazu wurde der Filmstreifen auf eine drehbare Trommel aufgespannt und von einem Elektromotor mit 40 Umdrehungen pro Sekunde an zwei Objektiven vorbeibewegt. Ein heller Funkenblitz, der während einer einzigen Umdrehung der Trommel 54-mal ausgelöst wurde, belichtete den Film.

Mit dieser Kamera, die bereits alle Merkmale moderner Geräte aufwies, gelangen Bull kurz vor Mareys Tod 1904 erstmals stereoskopische Filmaufnahmen der Flügelbewegungen von Insekten mit 1.200 Bildern pro Sekunde. Nur vierzehn Jahre später erreichte er mit einer verbesserten Kamera bereits 50.000 Bilder pro Sekunde.

Trommelkamera von Lucien Bull, ca. 1904Foto: National Media Museum / Science & Society Picture Library

Bull, der nach Mareys Tod Direktor des Institutes wurde, war einer der innovativsten Erfinder auf dem Gebiet der Hochgeschwindigkeitsfotografie und des »Zeitlupen«-Films. 1948 wurde er zum Präsidenten der Institutes für wissenschaftliche Kinematografie in Paris ernannt. Dort starb er 1972 im Alter von 96 Jahren.

Mit ganz anderen Geschwindigkeiten hatte der österreichische Physiker Ernst Mach (1838–1916) zu kämpfen, der sich an der Universität Prag mit der Erforschung von Stoßwellen befasste, die sich vor überschallschnellen Projektilen aufbauen. Da er in seinem Institut nur auf relativ »langsame« Geschosse zurückgreifen konnte, arbeitete er ab 1886 mit dem Österreicher Peter Salcher (1848–1928) zusammen, zu dieser Zeit Professor für Physik an der k.u.k. Marineakademie Fiume, dem heutigen Rijeka. Salcher hatte Zugriff auf die modernsten Waffen der österreichisch-ungarischen Armee, deren Projektile eine Geschwindigkeit von über 600 m/s erreichten. Unter seiner Federführung wurde zur Erforschung der Stoßwellen die sog. Schlierenfotografie eingesetzt, die einige Jahre vorher von dem deutschen Physiker August Toepler (1836–1912) entwickelt worden war. Salcher hatte bei Toepler studiert und stellte so den idealen Partner für Mach beim Einsatz dieses Verfahrens dar, mit dem kleinste Schwankungen in der optischen Dichte, also der Brechkraft der Luft, sichtbar gemacht werden konnten.

Salchers Anordnung zum Fotografieren von Geschossen mit nahezu doppelter SchallgeschwindigkeitI: UnterbrechungsstelleII: Unterbrechungsstelle 2 (Belichtungsfunken)P: ProjektilF: Leydener FlascheO: ObjektivK: Kamera

Die Funkenblitzanlage bestand aus den zwei Unterbrechungsstellen I und II sowie den Leydener Flaschen F als Energiespeicher. Diese wurden auf eine Hochspannung von mehreren Kilovolt aufgeladen, die groß genug für einen spontanen Überschlag an der Stelle II war. Der Abstand der Elektroden an der Unterbrechungsstelle I war größer und verhinderte diese Entladung vorerst. Erst beim Durchflug des metallischen Geschosses verringerte sich der freie Abstand so weit, dass es zum Überschlag kam. Die Unterbrechungsstelle I diente damit als Schaltfunkenstrecke für den eigentlichen Beleuchtungsblitz an der Stelle II. Während der Leuchzeit des Funkens von ca. 1,25 μs bewegte sich das Projektil weniger als einen Millimeter weiter, so dass in der Kamera (K) ausreichend scharfe Fotos belichtet werden konnten. Sie waren lediglich 7 mm groß, reichten aber für den beabsichtigten Zweck aus.

Mit dieser Anordnung gelang es erstmals, überschallschnelle Objekte zu fotografieren. Mit ihren Versuchen legten Mach und Salcher die Grundlagen für die Ballistik und Gasdynamik und damit letztendlich für die moderne Überschalltechnik. Daran erinnert die physikalische Einheit Mach, die das Verhältnis der Geschwindigkeit eines Körpers zur Schallgeschwindigkeit angibt. [7,8]

Stoßwelle, erzeugt von einem überschallschnellen Geschoss.Foto: Mach und Salcher, 1888

Der unermüdliche Erfinder

Bei diesen frühen Experimenten wurde ausschließlich der Funkenblitz eingesetzt. Er war die einzig verfügbare Lichtquelle, die kurz genug leuchtete. Das sollte sich erst mit dem Amerikaner Harold E. Edgerton (1903–1990) ändern, der die moderne Highspeed-Fotografie revolutionierte und das 20. Jahrhundert bis in die Fünfzigerjahre derart dominierte, dass von der Zeit vor und nach Edgerton gesprochen werden kann.

»Doc« Edgerton, wie er später genannt wurde, wurde 1903 in Freemont, Nebraska, geboren. Sein Onkel, ein Studiofotograf, weckte sein Interesse an der Fotografie und vermittelte ihm die wichtigsten Grundlagen und Fertigkeiten. Als Schüler arbeitete er in den Sommerferien beim örtlichen Energieversorgungsunternehmen, bevor er zum Studium der Elektrotechnik an die University of Nebraska ging. Nach seinem Abschluss als Bachelor nahm er ein Praktikum bei General Electric in New York an, wo er zum ersten Mal mit großen Elektromotoren in Berührung kam. Ein Jahr später ging er an das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) und beschäftigte sich dort mit Generatoren und Synchronmotoren, deren Drehzahl exakt der Frequenz der Versorgungsspannung folgte. Bei Untersuchungen zu Blitzschlägen und deren Auswirkungen auf die Motoren fiel ihm auf, dass die schnell drehenden Läufer der Motoren scheinbar stillzustehen schienen, wenn er sie mit dem Licht von Quecksilberdampfgleichrichtern beleuchtete, das dieselbe Frequenz wie die Motoren besaß. Das technisch einsetzbare Stroboskop war damit geboren.

Harold Eugene EdgertonFoto: Wisconsin Historical Society

Parallel dazu versuchte Edgerton herauszufinden, inwieweit die Eigenschaften der realen Motoren mit ihren theoretischen Grundlagen übereinstimmten [9]. Da sich die Differentialgleichungen, die den Motoren zugrunde lagen, nicht explizit lösen ließen, wurde eine am MIT entwickelte Rechenmaschine, genannt Differential Analyzer, benutzt, die Ergebnisse für spezielle Bedingungen lieferte. Zur Überprüfung dieser Berechnungen setzte Edgerton ein selbst gebautes Stroboskop ein, das als Lichtquelle einen gesteuerten Quecksilberdampfgleichrichter mit der sehr kurzen Leuchtzeit von 10 μs besaß.

Seine Untersuchungen zu Lastwechselreaktionen an Motoren stießen am MIT auf große Resonanz und Edgerton promovierte 1931 mit einer Arbeit, in der die Stroboskoptechnik eine wesentliche Rolle spielte. 1932 wurde er zum Assistant Professor an seinem Institut berufen und brachte kurz darauf zusammen mit Kenneth Germeshausen (1907–1990), einem ehemaligen MIT-Studenten, das erste kommerziell nutzbare Stroboskop auf den Markt.

Der berühmte Milchtropfen »Coronet« Eine frühere Schwarzweißversion schaffte es bis ins Museum of Modern Art in New York.© 2010 MIT. Mit freundlicher Genehmigung des MIT Museum

Neben den Quecksilberdampfröhren arbeitete Edgerton auch mit herkömmlichen Funkenblitzen, da diese ohne die aufwendig herzustellenden gasgefüllten Röhren auskamen. Zusammen mit Germeshausen und dem inzwischen zu ihm gestoßenen MIT-Absolventen Herbert Grier (1911–1990) präparierte er im Auftrag des LIFE-Magazins den Boxring des späteren Weltmeisters Joe Louis mit solchen Blitzgeräten und fotografierte ihn im Training mit seinem Sparringspartner.

Die Nachteile dieser künstlichen Blitze waren ihre lautstarken Explosionsgeräusche, die gefährliche Hochspannung und eine relativ geringe Lichtausbeute. Letzteres traf auch auf die Quecksilberdampfröhren mit ihrem bläulichen Licht zu, dazu kam deren Temperaturabhängigkeit. Deshalb suchte Edgerton nach besseren Alternativen und experimentierte mit edelgasgefüllten Röhren, die mittels Stoßionisation durch einen kurzen Hochspannungsimpuls gezündet wurden. Dieser erzeugte ein leitfähiges Plasma, woraufhin sich die im Blitzkondensator gespeicherte Energie über die Röhre entladen konnte. Der hohe Strom, der dabei kurzzeitig fließt, erhitzt das Plasma und bringt es zum Aufleuchten. Nach ersten Versuchen mit Argon setzte Edgerton auch Xenon ein, dessen Lichtausbeute höher war und das ein tageslichtähnliches Spektrum aufwies.

Damit war die moderne Elektronenblitzröhre erfunden. Kombiniert mit einer Kamera, bildete sie die Basis für die mannigfaltigsten Untersuchungen an Maschinen, Menschen und Tieren. Aus dieser Zeit stammen Highspeed-Filmsequenzen von Sportlern und Bühnenshows sowie Fotos von Geschossen, zersplitternden Glasscheiben und natürlich auch von fallenden Tropfen.

Für das breite Publikum waren Edgertons Bilder völlig neu und selbst Kodak erkannte das Potential dahinter nicht sofort, als Edgerton ein komplettes Blitzgerät vorführte. Das änderte sich erst, als einige spektakuläre Fotos in der Presse publiziert worden waren. Kodak bestellte mehrere hundert Geräte, die nach Vorgaben von Edgerton, Grier und Germeshausen von General Electric und Raytheon produziert wurden. 1940 stellte Kodak dieses Elektronenblitzgerät, oder besser Röhrenblitzgerät, unter dem Namen Kodatron in einer Show vor, die ein großer Erfolg wurde. Edgerton selbst fotografierte dabei auf Kodachrome-Farbfilm, wofür sich das Xenon-Licht hervorragend eignete. Zu seinem Ärger wurde die Blitzzeit in der beiliegenden Produktinformation mit 1/30.000 s angegeben, bei diesem kommerziellen Blitzgerät lag sie jedoch bei lediglich 1/3.000 s.

Edgerton erregte mit seinen Vorträgen und Veröffentlichungen viel Aufmerksamkeit. 1934 erhielt er für seine Arbeiten einen Preis der britischen Royal Photographic Society und fünf Jahre später wurde das Buch Flash! Seeing the Unseen by Ultra-High-Speed Photography ein großer Erfolg. Der zehnminütige Kurzfilm Quicker than a Wink gewann 1940 sogar einen Oscar.

Prinzip des Faraday-Effekts: Das Magnetfeld B dreht die Schwingungsebene E um den Winkel β.Grafik: Wikimedia Commons

So war es nicht verwunderlich, dass auch das Militär auf den innovativen Ingenieur und Wissenschaftler aufmerksam wurde. Nach dem Kriegseintritt der USA 1941 begann Edgerton riesige Blitzgeräte zu entwickeln, die von Flugzeugen transportiert wurden. Mit einer Blitzenergie von mehreren zehntausend Wattsekunden konnten detaillierte Fotos der nächtlichen Erdoberfläche aus über 1.000 m Höhe angefertigt werden, die u.a. zur Vorbereitung der Landung der Alliierten 1944 in Frankreich dienten. Schließlich und endlich musste sich dieses Verfahren aber dem neuen und besseren Radar geschlagen geben, an dessen Entwicklung Edgertons Mitarbeiter Kenneth Germeshausen beteiligt war. Herbert Grier, der zweite Mitstreiter, war zeitweise in einer Firma beschäftigt, die Kondensatorbatterien für die großen Elektronenblitzgeräte herstellte [10].

Rapatronic-Verschluss Links das Objektiv vor einem konventionellen Zentralverschluss, rechts der Glaszylinder mit der Spule zwischen den Polfiltern© 2010 MIT. Mit freundlicher Genehmigung des MIT Museum

Als sich der Krieg seinem Ende zuneigte, wurde Edgerton mit einer Aufgabe betraut, der sich zuvor noch nie ein Mensch hatte stellen müssen: dem Fotografieren explodierender Atombomben. Da er diesbezüglich auf wenig Erfahrung zurückgreifen konnte, fand sich das Trio aus alten MIT-Tagen wieder zusammen und entwickelte die nötigen Komponenten. Eine der wichtigsten war ein Verschluss, der schnell genug reagierte, um die Kernexplosion innerhalb der ersten Mikrosekunden »einzufangen«. Dazu waren Belichtungszeiten bis hinunter in den Nanosekundenbereich erforderlich – insgesamt Anforderungen, für die jede mechanische Lösung ausschied. Edgerton entschied sich, seinen Verschluss auf der Basis des magnetooptischen Effekts – auch Faraday-Effekt genannt – zu konstruieren, und nannte ihn Rapatronic (rapid action electronic shutter). Die Verschlussfunktion beruhte auf der Drehung der Schwingungsebene von linear polarisiertem Licht in einem transparenten Medium unter Einfluss eines Magnetfeldes. Praktisch besteht ein solcher Verschluss aus einem Glaszylinder mit planparallelen Endflächen, vor denen sich jeweils ein Polfilter befindet. Ihre Polarisationsebenen sind um 90 Grad versetzt, womit die Anordnung lichtundurchlässig ist. Wird die Faraday-Zelle einem Magnetfeld ausgesetzt, dreht sich die Schwingungsebene des Lichts beim Durchgang durch den Glaszylinder und die Zelle wird lichtdurchlässig. Zu diesem Zweck ist der Zylinder von einer Spule umgeben, die das notwendige Magnetfeld erzeugt.

Um die extrem kurzen Schaltzeiten erreichen zu können, ist eine niedrige Induktivität notwendig, was durch einen Strom von einigen tausend Ampere kompensiert werden muss. Ein solcher Strom setzt wiederum eine hohe Spannung am Speicherkondensator voraus. Damit ähnelt dieser Verschluss einem Elektronenblitzgerät, bei dem sich anstelle der Blitzröhre die Faraday-Zelle befindet.

Originalskizze zum Aufbau des Rapatronic-Verschlusses© 2010 MIT. Mit freundlicher Genehmigung des MIT Museum

Ausgelöst wurde der Verschluss von einer Fotozelle, die auf Röntgenstrahlung reagierte. Dieses Strahlung wird unmittelbar mit Einsetzen der nuklearen Kettenreaktion emittiert und definiert den eigentlichen Startpunkt der Explosion, »lange« bevor die Bombenhülle verdampft ist und sichtbares Licht ausgesendet wird. Allerdings löste das Signal der Fotozelle den Verschluss nicht direkt aus, sondern wurde vorher in einer speziellen Elektronik um eine exakt einstellbare Zeit verzögert. Mit mehreren solcher Rapatronic-Kameras, die jeweils verschieden lange Verzögerungszeiten von nahezu Null bis zu mehreren hundert Millisekunden besaßen, konnte Edgerton die Explosion in einer kompletten Sequenz erfassen.