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Im Königreich Wonneberg lebt die mutige Prinzessin Knödelbrot. Zusammen mit ihrem treuen Freund, dem Mause-Knappe Enno, erlebt sie spannende Abenteuer. Doch als ein fremder König das Reich mit einem verheerenden Fluch belegt, wird das friedliche Leben in Wonneberg auf die Probe gestellt. Um den Fluch zu brechen, machen sich Knödelbrot und Enno auf eine gefahrvolle Reise, die zahlreiche Herausforderungen für sie bereithält. Auf der Suche nach einer Lösung müssen sie sich einem riesigen Elefanten stellen, der nicht nur ein Dorf, sondern einen ganzen Landstrich verwüstet. Wird es den beiden Freunden gelingen, den Fluch zu brechen und ihr geliebtes Königreich zu retten? Begleite Knödelbrot und Enno auf ihrer aufregenden Mission voller Mut und Freundschaft in einem Abenteuer, das mit verrückten Wortspielen gespickt ist.
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Seitenzahl: 291
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Prinzessin Knödelbrot
Florian Rattinger
Buchbeschreibung:
"Prinzessin Knödelbrot" ist das sechste Buch in der Reihe "Schule für Kinder mit besonderen Begabungen".
Diese eigenständige Geschichte folgt der mutigen Prinzessin Knödelbrot und ihrem treuen Freund, dem Mause-Knappe Enno, auf ihrer Abenteuerreise, um einen verheerenden Fluch zu brechen. Mit ihrem unbeirrbaren Gefühl für Sprache und ihrem Mut müssen sie sich einer großen Gefahr stellen, die das friedliche Leben in ihrem Königreich Wonneberg bedroht. Begleite Knödelbrot und Enno auf ihrer aufregenden Mission voller Wortspiele und unerwarteter Wendungen!
Über den Autor:
Florian Rattinger kam 1989 im schönen Deggendorf, am Rande des Bayerischen Walds, zur Welt. Seit er schreiben kann, werkelt er an Geschichten. Bevor er sich daran machte, Kinder- und Jugendbücher zu verfassen, studierte er das Lehramt für Grundschule an der Universität Passau. Er war Lehrer im Landkreis Landshut und in München. Seit über fünf Jahren lebt und arbeitet der Autor mit seiner Familie im beschaulichen Ostalbkreis. Florian Rattinger ist Vater einer Tochter.
Prinzessin Knödelbrot
Alle Rechte an der Geschichte liegen beim Autor.
1. Auflage 2025
Copyright © 2025 Florian Rattinger
Cover Gestaltung » Ana Povedano
Illustrationen » Ana Povedano
Verlag (Self-Publishing) » Florian Rattinger
c/o Block Services
Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
Lektorat » Magdalena Rattinger
Vertrieb » epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Sämtliche Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Es war einmal vor langer Zeit, da existierte ein Land, das aus 300 Königreichen bestand. Es gab große und kleine, mächtige und arme, verrückte und langweilige. Jedes war auf seine Weise besonders.
Unsere Geschichte erzählt vom Königreich Wonneberg. Es ist die Heimat einer abenteuerlustigen Prinzessin mit dem Namen Knödelbrot. Ja, das ist ein seltsamer Name, doch kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass ihre Eltern König Schlüsselbart und Königin Semmelteig heißen.
Prinzessin Knödelbrot ist ein aufgewecktes und neugieriges Mädchen mit einem Herz aus Gold. Das sagen zumindest die Bewohner von Wonneberg über die Dreizehnjährige. Manchmal kann sie einem mit ihren Marotten aber ziemlich auf den Keks gehen, meinen manche ihrer besten Freunde, darunter der Knappe Enno, den ihr auch schon bald kennenlernen werdet. Ab und an glaubt Enno ja, Knödelbrot hat etwas an den Ohren, wenn sie erneut den Rat ihrer Eltern missachtet und sich dadurch in eine missliche Lage bringt. Aber was wäre denn ein Ritter in Ausbildung, wenn er seiner Prinzessin nicht mit Rat und Tat zur Seite stünde?
Prinzessin Knödelbrots großes Abenteuer nimmt ihren Lauf, als ein Gast aus dem Königreich Rabenheim Wonneberg einen Besuch abstattet. Aber bis dahin dauert es noch eine Weile.
Wollt ihr die Prinzessin und Knappe Enno auf ihrer Reise begleiten?
Dann blättert um und taucht ein.
Es ist ein ganz normaler Tag im Königreich Wonneberg.
Vorerst.
„Toooooor!“, jubelt Knödelbrot und reckt die Faust in die Luft.
Das besagte Tor – eine Konstruktion aus zwei Holzpfosten und einem ausgedienten Fischernetz – wackelt gefährlich. Der Torwart, der den Schuss durchgelassen hat, steht wie versteinert da.
Neben dem Mädchen landet ein Junge mit der Nase voran im Matsch. Es ist Femo, der Sohn des Müllers und er hat gerade erfolglos versucht, Knödelbrot den Ball abzunehmen.
„Daaamit steht es 44 zu 13“, verkündet die Prinzessin. „Los, steh‘ auf, du lahme Ente! Es geht weiter.“
Rupprecht, Femos Freund und Sohn eines Mitglieds der königlichen Wache, reicht dem geschlagenen Verteidiger die Hand.
„Mensch, wir können doch nicht gegen Knödelbrot verlieren“, meint er zu seinem Freund.
Die Prinzessin hat derweil den Ball schon längst zurückerobert und ist damit zur Spielfeldmitte gerannt. Ihre restlichen Teammitglieder sind ziemliche Schlafmützen.
Das Tor hat Knödelbrot im Alleingang geschossen und dafür fünf der besten Nachwuchs-Fußballspieler des Königreichs ausgetrickst. Gegen die Prinzessin haben Femo, Rupprecht und seine drei Freunde keine Chance.
„Seid ihr eingenickt?“, ruft die Prinzessin mit beiden Händen am Mund.
„Uuuuuuh“, raunen Femo und Rupprecht gleichzeitig. Mit hängenden Schultern machen sie sich auf den Weg zum Anstoßpunkt.
„Können wir nicht einfach aufhören?“, fragt Rupprecht lautstark. Er zieht eine Miene wie sieben Tage Regenwetter. „Du hast gewonnen. In Ordnung?“
„Ne, niemals nicht!“, antwortet Knödelbrot. „Wir spielen das Spiel zu Ende. Sagen wir noch fünfzehn Minuten.“
„Fünfzehn Minuten?“, stöhnen Femo und Rupprecht wie aus einem Mund. „Nein, bitte nicht.“
„HR-HR-HRHHHH!“, kommt es da plötzlich vom Spielfeldrand. Femo und Rupprecht atmen auf. In der Person, die am Straßenrand steht, sehen sie ihre Rettung.
Es ist ein Junge in einer von Rost zerfressenen Ritterrüstung. Unter dem Helm des Neuankömmlings ragen schulterlange blonde Locken hervor. Dazu ein Paar grau befellter Mäuseohren.
„Knödelbrot, darf ich dich daran erinnern, dass wir im Schloss erwartet werden?“, sagt der Mausejunge ruhig und gelassen. Er wackelt mit der Nase und lässt seine Schnurrhaare auf und ab wippen. Femo und Rupprecht halten gespannt den Atem an, während Knödelbrot ihre Backen aufbläht.
„Ach Menno, musst das ausgerechnet jetzt sein?“, antwortet Knödelbrot und schiebt die Unterlippe vor. Das Menno ist eine Mischung aus „Mensch“ und „Enno“ – dem Namen des Knappen.
„Ja“, entgegnet Enno. Er schlägt ein Buch auf und balanciert es in einer Hand. In der anderen hält er ein Stück Käse. Enno ist praktisch nie ohne mindestens eine Scheibe des bleichgelben Milcherzeugnisses zu sehen. „Dein Vater empfängt einen Gastkönig. Die Audienz ist – öhm, lass mich nachsehen – auf 15 Uhr heute Nachmittag angesetzt. König Schlüsselbart möchte, dass wenigstens ein Mitglied seiner Familie bei der Festitivät anwesend ist.“
„Pah“, macht Knödelbrot. „Heißt das, Mama hat schon wieder keine Zeit?“
„Ich fürchte nicht“, antwortet Enno und schlägt das Buch zu. „Deine Mutter hatte wohl andere Termine.“
„Ach was“, grummelt Knödelbrot. „Sie ist bestimmt wieder auf Reisen. Und das ohne mich.“
Wenn Knödelbrot und Königin Semmelteig eines gemeinsam haben, dann ihren Sinn für Abenteuer. Ständig ist die Königin unterwegs, um die angrenzenden Reiche zu besuchen. An ihrem freudestrahlenden Auftreten liegt es, dass sich das Königreich Wonneberg bei anderen Herrschern größter Beliebtheit erfreut.
Prinzessin Knödelbrot kriegt ihre Mutter daher nur selten zu sehen.
Statt auf Knödelbrots Beschwerde einzugehen, führt Enno haarklein Protokoll. Er notiert sich alles mit einer Feder in sein Notizbuch. Das Schreibgerät taucht er in ein Tintenfass seitlich an seinem Helm. Weil Enno ständig mit Käse und Büchern herumhantiert, war Knödelbrot auf die Idee gekommen, den Tintenbehälter dort zu platzieren.
„Du bist doof“, entgegnet Knödelbrot schnaubend, doch Enno ist zu sehr mit Schreiben beschäftigt, um sie richtig wahrzunehmen. Weil Femo, Rupprecht und die anderen Jungs fürchten, dass Knödelbrot bald Dampf aus den Ohren schießt, gehen sie auf Abstand.
Und tatsächlich. Die Prinzessin stapft wütend davon. Ihre Schuhe machen tiefe Abdrücke im Matsch.
„Oh, da bist du ja schon. Ich dachte, ich müsste dich erst überzeugen“, fährt Enno hoch. Er steckt die Feder zurück in seinen Helm und das Buch unter die Achsel. „Dann können wir los.“
Bevor Knödelbrot das Spielfeld verlässt, setzt sie ein fieses Grinsen auf und winkt Femo und Rupprecht zu.
„Morgen gibt es die Revanche, ja?“, ruft sie und weckt mit ihrem Geschrei zwei ihrer Teamkameraden, die am Spielfeldrand eingeschlafen sind.
Femo, Rupprecht und die anderen Jungs winken pflichtbewusst zurück, doch nachdem Knödelbrot hinter der Stadtmauer verschwunden ist, sagt Femo zu seinen Freunden: „Morgen spielen wir hinter der Mühle. Da findet sie uns bestimmt nicht.“
Enno und Knödelbrot schlendern die Hauptstraße entlang. Aufgrund der vielen prächtigen Läden zählt sie zu Knödelbrots Lieblingsorten. Hier findet man die buntesten Süßigkeiten, die leckersten Backwaren, die hübschesten Kleider und die spannendsten Bücher des Königreichs. Bei sämtlichen Händlern ist Knödelbrot gern gesehen. Häufig gibt sie hier ihr monatliches Taschengeld auf einem Schlag aus. Heute hat sie allerdings keine Zeit, sich beim Shoppen zu verausgaben.
„Können wir nicht wenigstens noch in einen der Läden schauen? Biiiiiitte“, quengelt Knödelbrot.
Doch Enno trottet unbeirrt voran und kaut dabei genüsslich an einem Stück Quietschgummikäse. Währenddessen studiert er seine Notizen der letzten vier Wochen und verinnerlicht seine gelernten Lektionen.
„Ne“, sagt er schließlich. Obwohl er konzentriert ist, schnappen seine Mauseohren jegliches Geräusch auf. „Da war dein Vater eisern. Er will dich beim Empfang des Gastkönigs unbedingt dabeihaben.“
„Ach, Papa“, schnaubt Knödelbrot.
„Das zählt eben zu den Pflichten einer Prinzessin“, meint Enno.
„Wir können gerne die Rollen tauschen, wenn du Lust drauf hast.“
„Nein, danke“, antwortet Enno, ohne von seinem Buch aufzusehen. „Ich bin mit den Vorzügen des Ritterlebens vollends zufrieden.“
„Aber du bist ja noch nicht einmal ein Ritter“, gibt Knödelbrot zurück.
„Deswegen sage ich ja“, meint Enno, blickt nun doch von seinem Buch hoch und grinst Knödelbrot geduldig an. Das macht es unmöglich, ihm böse zu sein, selbst wenn die Prinzessin es wollte. Und eigentlich hat Enno ja Recht. Es gibt keinen Grund, auf ihren Vater und seine Empfänge böse zu sein. Meistens machen sie sogar richtig Spaß.
Und so beginnt Knödelbrot doch noch, sich auf den Nachmittag zu freuen.
Im Hopsasa-Gang begrüßt sie die Bürger, die ihren und Ennos Weg kreuzen, mit einem freundlichen Hallo.
Da ist die alte Frau Wankelmut. Sie tratscht mit Ritter in Ruhestand Kunobert und raspelt dabei ordentlich Süßholz. Ihre Unterhaltung wird dadurch erschwert, dass Frau Wankelmuts Sehkraft bereits stark nachgelassen hat und Ritter Kunobert praktisch taub ist. Nichtsdestotrotz machen die beiden Rentner einen angeregten Eindruck.
Ganz im Gegensatz zu Schmied Heine. Er zieht seinen Sohn und Lehrling Berti gerade durch den Kakao. Der Bursche hat schon wieder eine Bestellung verhunzt.
Die Nägel, die er gemacht hat, sind alle schief. Die Schaufeln haben Hammerköpfe und die Hammerstiele Schaufelblätter, und zu guter Letzt hat er es sogar geschafft, eine gusseiserne Kette zu einem unentwirrbaren Knoten zusammenzuschnüren. Berti guckt fingerfriemelnd zu Boden, während sein Vater ihn zur Schnecke macht. Heine ist deswegen so energisch, weil Berti irgendwann den Familienbetrieb übernehmen soll.
Knödelbrot hat Mitleid mit dem Jungen. Dennoch lässt Berti sich von den Predigten seines Vaters nicht entmutigen. Heine ist ein toller Vater, nur eben manchmal etwas streng. Kurz nachdem Knödelbrot und Enno ihn passiert haben, schwingt Berti bereits wieder den Schmiedehammer.
Als Heine wenig später aufschreit, weil sein Sohn ihm den Daumen geplättet hat, hört man das im gesamten Königreich.
Auf dem Weg zur Burg liegt auch die Schule für Kinder mit besonderen Begabungen. Hier versammeln sich die jüngsten Talente des Königreichs. Die Schule hat nur einen Lehrer, der die zehn Schülerinnen und Schüler in sämtlichen Fächern von Astronomie bis hin zur Zahlentheorie unterrichtet. Heute scheint Herrn Feinmann jedoch eine Laus über die Leber gelaufen zu sein. Er sitzt auf einem Stuhl und stemmt seinen Kopf auf die Hände, während ihm seine zehn Schüler im Alter von drei bis sechzehn Jahren auf der Nase herumtanzen. Sie toben umher und löchern ihn mit Fragen.
„Da fehlt nicht mehr viel“, sagt Enno. „Und sie treiben ihn auf die Palme.“
„Bist du etwa schadenfroh?“, erwidert Knödelbrot.
„Nein, das nicht“, antwortet Enno. Herr Feinmann erteilt auch Prinzessin Knödelbrot gelegentlich Unterricht oder hält Vorträge an der Ritterakademie.
Jedes Mal, wenn Herr Feinmann etwas erklärt, fallen Knödelbrot wie von selbst die Augen zu. „Herr Feinmanns Methoden sind nicht falsch, aber die Kinder werden immer anstrengender.“
„Ach was“, antwortet Knödelbrot und meint vor allem mit Blick auf die jüngeren Kinder: „Wir waren auch Rabauken, nicht?“
„Na ja, vielleicht hast du Recht“, meint Enno. Dieses Mal versteckt er sein spitzbübisches Lächeln hinter seinem Notizbuch.
Um kurz vor zwölf Uhr erreichen Knödelbrot und Enno das Schloss von Wonneberg. Unzählige Zofen sind emsig damit beschäftigt, alles für den Empfang vorzubereiten. Jahrhunderte alte Gemälde werden abgestaubt, der Staub im Anschluss unter den Teppich gekehrt und der Boden abschließend mit einer frischen (aber rutschigen) Schicht Wachs überzogen.
„Hallo, Prinzessin“, sagt Malte, der persönliche Bedienstete von König Schlüsselbart. „Euer Vater erwartet Euch bereits. Er leidet einmal mehr unter heftigem Lampenfieber.“
Knödelbrot lässt die Schultern sacken.
„Ah, schon wieder?“, schnaubt die Prinzessin.
König Schlüsselbart verfügt nicht über das beste Nervenkostüm. Bei Anlässen, die seine Anwesenheit erfordern, ist er häufig hibbelig und angespannt. Oft macht er sich wegen der kleinsten Kleinigkeiten Sorgen. Es kommt regelmäßig vor, dass der König wie Espenlaub zittert.
Mit ihrer durchsetzungsfähigen Art hilft Prinzessin Knödelbrot für gewöhnlich ihrem Vater dabei, einen kühlen Kopf zu bewahren. Notfalls hält sie dem König auch schon mal das Händchen.
Knödelbrot eilt die Treppen hoch zum Thronsaal. Dort erwartet sie – wie angekündigt – ihr Vater. Er kaut an seinen Nägeln. Die grauen Haare stehen ihm in alle Richtungen ab und sein königlicher Mantel müsste dringend wieder einmal gebürstet werden. Als er Knödelbrot sieht, funkeln Schlüsselbarts Augen.
„Tochter, gut, dass du hier bist“, ruft er und läuft in großen Schritten der Prinzessin entgegen. Dabei klimpern die über hundert Schlüssel, die er in seinem Bart trägt, wie ein Sack voll Blechschellen. Darunter ist auch der Schlüssel des Königreichs – das Symbol, das ihn als Herrscher Wonnebergs auszeichnet. Von den hundert ist er der Größte und Schönste, aus purem Gold und mit Dutzenden Juwelen verziert.
Das Tragen derartig vieler Schlüssel in der Gesichtsbehaarung hat Tradition. Knödelbrots Urururgroßvater Dagoghul gilt mit ganzen eintausend Schlüsseln, die er in seinem grauen Rauschebart mit sich herumschleppte, als bisheriger Rekordhalter. Für ihren Transport war Knödelbrots Urahne auf eine Schubkarre angewiesen.
„Für den Nachmittag hat sich der König von Rabenheim angekündigt. Und das Schloss ist noch gar nicht auf Vordermann gebracht. Malte habe ich damit beauftragt, die Zimmer ordentlich zu reinigen. A-aber...“ Schlüsselbart verhaspelt sich.
Enno schlägt sein Buch zu und beißt im Anschluss in ein Stück entfetteten Käses. Beim Anblick des Königs wird er selbst ganz nervös.
Knödelbrot fragt: „Seit wann steht fest, dass uns der König von Rabenheim besucht?“
König Schlüsselbart fährt sich mit der Hand durch den Bart. Das Licht, das sich in den unzähligen klimpernden Schlüsseln bricht, lässt ihn mit Regenbogenfarben funkeln.
„Seit drei Wochen vielleicht? Ich bin mir nicht ganz sicher.“
Knödelbrot patscht sich an die Stirn und Enno verschluckt sich fast an seinem Käse.
„Und dann kommst du jetzt erst auf die Idee, das Schloss für den Besuch zu schmücken?“
„Ja, weißt du Knödelbrot“, stottert Schlüsselbart. „Ich hatte viel zu tun. Termine, Konferenzen, Steuerprüfungen...“
„Urgh.“ Knödelbrot lässt theatralisch den Kopf hängen. „Also gut Papa, wir kümmern uns um die Dekoration. In Ordnung Enno?“
Enno verschluckt sich prompt an seiner Mahlzeit. Es ist einiges an Anstrengung vonnöten, das Stück Käse aus seiner Luft- hinein in die Speiseröhre zu befördern. Mit Tränen in den Augen stimmt Enno zu: „In Ordnung, Knödelbrot.“
Schlüsselbart wischt sich kalten Schweiß von der Stirn.
„Danke, mein Schatz“, sagt er zu seiner Tochter. Ihm fällt ein Stein vom Herzen.
„Was wärst du bloß ohne mich?“, entgegnet Knödelbrot. Dann funkelt sie ihren Freund herausfordernd an. „Dann heißt es für uns zwei: Ab in die Katakomben.“
Die festlichen Dekorationsartikel lagern im Keller des Schlosses. Enno schleppt kistenweise funkelnde Bänder, glitzernde Sterne und schillernde Glas-Juwelen fünf Etagen nach oben. Der Mauseritter keucht und schnaubt. Knödelbrot hat ihm aus der königlichen Küche eine ganze Packung Fitness-Käse besorgt. Das ist zumindest eine kleine Entlohnung für seine Mühen.
„In Ordnung“, sagt Knödelbrot, nachdem Enno auch die zwanzigste und letzte Kiste aus dem Keller geschleppt hat. „Ich nehme mir den Ostflügel vor und du den Westflügel. Wir schauen, wer zuerst fertig ist.“
„Knödelbrot, ich halte das für keinen fairen Wettkampf“, schnaubt Enno. „Du weißt, dass ich nicht gerne dekoriere.“
Das stimmt. Ennos Zimmer an der Ritterakademie ist spärlich eingerichtet. Mehr als ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl besitzt er nicht. Wenn er nicht gerade schreibt oder liest, bewahrt er sein Buch zusammen mit seinen restlichen Besitztümern in seinem Spint auf. Die Ordnung hilft ihm beim Denken und ist auch förderlich für seinen Schlaf.
„Sieh es als Lektion deiner Ritterausbildung“, kontert Knödelbrot mit einem Grinsen. „Ein Ritter von Welt muss auch ein scharfen Blick für Schönheit besitzen.“
Eine von Ennos Augenbrauen schießt nach oben.
„Ist das so?“, fragt er ehrlich interessiert. Er schlägt sein Notizbuch auf und hält seine Feder bereit, um alles aufzuschreiben.
„Den ersten Raum können wir gemeinsam schmücken und dann teilen wir uns auf“, meint Knödelbrot.
Enno ist so voller Lerneifer, dass seine Augen vor Begeisterung leuchten. Das ist etwas, was Knödelbrot an dem Knappen sehr schätzt: Er ist schnell für eine Sache zu begeistern und strengt sich dann ehrlich an.
„Gut, folge mir!“, fordert die Prinzessin ihren Freund auf.
In den nächsten fünfzehn Minuten erklärt die Prinzessin Enno, wie man Fenster, Regale und andere Möbel effektvoll in Szene setzt. Enno ist ganz Ohr und schreibt Knödelbrots Erläuterungen eifrig mit.
Wenn sie jeden Raum zusammen schmücken würden, könnte die Aufgabe ruckzuck erledigt sein.
„So, und so dekoriert man einen Raum“, beendet Knödelbrot ihre Lektion und rückt noch einmal ein glänzendes Dekoschwert zurecht, das sie mit Knetkleber an die Wand gepappt hat.
„Gut, dann teilen wir uns auf“, meint Enno.
„Glaubst du, du kriegst das gebacken?“, fragt Knödelbrot.
„Das hoffe ich schwer“, antwortet Enno und grinst.
Die beiden legen gleichzeitig los. Um den Start witziger zu gestalten, hat Knödelbrot eine Konfettikanone besorgt. Sie und Enno begeben sich in die Knie, füllen die Arme mit Dekoartikeln und nehmen die Startposition ein. Malte erklärt sich glücklicherweise bereit, den Startschuss zu geben.
Der schlaksige Bedienstete mit der gepuderten Perücke hebt die Konfettikanone in die Luft und ruft: „Auf die Plätze. Fertig...“
„LOS!“
Knödelbrot und Enno stürmen davon. Sie hinterlassen eine Wolke aus Staub und Glitter. Aus den Gängen schallt wildes Gelächter.
Enno kommt am letzten Raum seines Korridors fünf Minuten früher als die Prinzessin an. Am Ende keuchen beide. Sie haben Konfetti in den Haaren und tragen bunte Farben im Gesicht.
„Wunderbar, meine Lieben!“, meint Malte, der just im richtigen Moment mit zwei stärkenden Milchmixgetränken um die Ecke kommt. „Da habt ihr wirklich großartige Arbeit geleistet.“
Die Korridore erstrahlen in vollem Glanz. Egal, welchen Weg der Gastkönig durch das Schloss nimmt: Er wird Augen machen.
Die Prinzessin leert ihren Milchmix mit einem großen Schluck. Enno schlürft seinen mit Zurückhaltung.
„Das hat Spaß gemacht, oder?“, meint Knödelbrot zu ihrem Freund.
„Die Zeit ist tatsächlich wie im Flug vergangen“, erwidert Enno etwas hölzern. Das ist seine Art zu sagen, dass er seine Freude hatte.
„Malte, wie spät ist es eigentlich?“, fragt die Prinzessin.
„Kurz vor ein Uhr“, antwortet der Bedienstete.
Knödelbrot knallt ihr Glas auf den Boden und lässt einen gewaltigen Rülpser.
„Komm, wir sagen Papa Bescheid, dass wir fertig sind“, sagt sie zu Enno und zerrt ihn am Arm. „Und dann schauen wir uns noch ein bisschen um!“ Zum Empfang eines Königs gehört auch immer ein Fest, zu dem die Narrentruppe auftritt. Für Knödelbrot ist das Unterhaltung pur. Vielleicht hat das Gespann noch die Möglichkeit, bei den Proben zuzusehen.
Enno folgt der Prinzessin zögerlich. Er hat Schwierigkeiten damit, die gezuckerte Milch, Käse und sein Notizbuch zu jonglieren.
Um 15 Uhr ist es so weit. Das gesamte Königreich steht für die Audienz bereit. Die Bürgerinnen und Bürger in den Straßen stehen kilometerlang Spalier und zeigen ihr strahlendstes Lächeln. Die gute Laune des Volks ist eines der Wahrzeichen Wonnebergs. Von überall sind die Klänge von Pauken und Posaunen zu hören.
Prinzessin Knödelbrot, Enno und König Schlüsselbart warten angespannt im Thronsaal. Noch vor einer Stunde hatte Knödelbrot mit den Clowns gespielt und ihnen bei ihrem neusten Auftritt mit einem zahmen Löwen geholfen. Im Anschluss hat der Hofgaukler der Prinzessin sogar ein paar seiner Zauberroutinen beigebracht. Während Knödelbrot Raubkatzen gezähmt und Hasen herbeigezaubert hat, saß Enno auf einer Bank und hat alles penibel mitgeschrieben.
Nun warten sie schon zwanzig Minuten. Knödelbrot wippt von den Fersen auf die Zehen und schwingt ihre Arme nach vorne und hinten.
„Wann kommt er denn endlich?“, raunt die Prinzessin ihrem Knappen ins Ohr. „Das Dekorieren und der Besuch bei den Narren hat ja Spaß gemacht, aber Warten ist absolut öde.“
„Sieh es als Übung in Disziplin“, meint Enno augenzwinkernd und stopft sich eine Hand Hartkäseflocken ins Gesicht. Den Parmesan trägt er normalerweise in einer Seitentasche versteckt. „Sich in Geduld zu üben ist eine der wichtigsten Eigenschaften eines Ritters.“
„Aber ich will doch gar kein Ritter sein“, entgegnet Knödelbrot. Doch im Grunde genommen hat Enno Recht. Außerdem will sie jetzt nicht auch noch ihrem Vater auf die Nerven gehen.
König Schlüsselbart sitzt wie versteinert auf seinem Thron. Seine Hände sind verkrampft. Mit den Fingernägeln gräbt er sich in seine Armlehnen. Auf seiner Stirn glitzern Schweißperlen.
Dass der Thronsaal bis zum Bersten gefüllt ist und die Menschen gepackt wie die Sardinen auf ihren Plätzen sitzen, scheint der Nervosität des Königs keinen Abbruch zu tun.
Knödelbrot bricht das royale Protokoll und läuft von ihrem Platz rechts vom Thron zu ihrem Vater und hält ihm die Hand.
„Alles wird gut“, sagt sie ihrem Vater und schenkt ihm ein zuckersüßes Lächeln. „Du wirst die Audienz nicht verpatzen.“
„Glaubst du nicht, Knödelbrot?“, hakt König Schlüsselbart nach. Sein Kinn klimpert wie ein Sack Münzen.
„Nein, Papa“, entgegnet Knödelbrot. „Du bist ein guter König.“
„Danke, mein Kind“, antwortet König Schlüsselbart. Die wohltuenden Worte seiner Tochter erfüllen den König mit neuem Mut. Er reibt sich den Bart und lässt sich von Malte ein Tuch geben, um den Schweiß von seiner Stirn zu tupfen.
Als dann plötzlich die Posaunisten ihre Fanfare anstimmen, erhebt sich König Schlüsselbart. Er steht stramm wie ein Riese. Knödelbrot eilt auf ihren Platz zurück.
Als Enno ihr ins Ohr flüstert: „Gut gemacht“, ist Knödelbrot stolz auf sich.
Dann bemüht auch sie sich, den bestmöglichen Eindruck zu machen. Sie räuspert sich, wackelt umher und steht am Ende mit geradem Rücken da.
Die Gäste erheben sich. Sie blicken gespannt zum Eingang des Thronsaals. Normalerweise erscheinen ein König oder eine Königin immer mit den höchsten Repräsentanten ihres Volkes. Meist sind es herausragende Krieger, Athleten, Künstler oder Gelehrte, die dem König nicht selten auch Geschenke überreichen.
Der König von Rabenheim kommt ganz alleine. Er ist groß und schlank – jemand, den man zurecht als Spargeltarzan bezeichnen würde. Seine wahre Größe ist schwer zu schätzen, denn er geht stark nach vorne gebeugt. Rabenheims König gehört zu den Jüngeren der umliegenden Reiche. Knödelbrots Vater ist mindestens zehn Jahre älter. Da ist es untypisch, dass er einen langen Gehstock nutzt. Modebewusst scheint der König ebenfalls nicht zu sein. Ihr Gast trägt einen staubigen Mantel mit Löchern. An den Ärmeln und am Kragen ist er mit schwarzen Federn geschmückt, die ihre besten Zeiten schon längst hinter sich haben.
Der Rabenheimer König schlürft schlaksig den Mittelgang hinab, so als hätte er ein Problem damit, das Gleichgewicht zu halten. Er schwankt immer wieder nach links und rechts. Ein Grund dafür könnte die massive goldene Krone sein, die er auf dem Kopf trägt. Sie wirkt, als würde sie so viel wie ein Sack voller Steine wiegen.
Durch die Menge geht ein Raunen. Dennoch applaudieren die Bürgerinnen und Bürger dem König von Rabenheim verhalten.
König Schlüsselbart breitet seine Arme aus und begrüßt den fremden Herrscher mit fester Stimme.
Von der Erscheinung des Königs lässt sich Knödelbrots Vater nicht irritieren. Schon vor Jahren hat er seiner Tochter beigebracht, ein Buch niemals nach seinem Umschlag zu beurteilen.
„König Carameral, es ist mir eine Ehre, Euch im Königreich Wonneberg willkommen zu heißen! Schön, dass ihr Euch dazu entschlossen habt, meinem bescheidenen Reich einen Besuch abzustatten.“
„Ja, hallo“, antwortet König Carameral und winkt die großen Worte Schlüsselbarts genervt ab. „Setzt euch bitte alle hin. Ich kann diesen Trubel um meine Person nicht ausstehen.“ Im Anschluss stopft sich der Rabenheimer König einen Finger ins Ohr und rubbelt. Dabei kullern auch seine Augen hin und her.
Es herrscht eine irritierte Stille im Saal. Knödelbrot und Enno gucken sich an. Die Prinzessin prustet beinahe los.
„Das ist ein ganz schön schräger Vogel“, meint Knödelbrot hinter vorgehaltener Hand.
„Die meisten Könige haben einen an der Klatsche“, flüstert Enno zurück. „Dein Vater natürlich ausgenommen.“
Schlüsselbart gibt seinem Volk zu verstehen, dass sie sich der Bitte Caramerals respektvoll beugen sollen. Einigen steht die Verwirrung förmlich ins Gesicht geschrieben, doch sie kommen dem Wunsch ihres Herrschers nach und setzen sich. Auch die Fanfaren verklingen.
Den Rest des Wegs zum Thron legt der Rabenheimer König deutlich entspannter zurück. Bei so wenig Hintergrundgeräuschen ist zu hören, dass er bei jedem Schritt klimpert. Zusammen mit dem Klackern seines Gehstocks erzeugt König Carameral einen eingängigen Rhythmus. Knödelbrot erwischt sich dabei, mit dem Kopf im Takt zu nicken.
„Grüß dich, Schlüsselbart“, sagt König Carameral und hebt eine Hand.
König Schlüsselbart reicht Carameral die seine, doch der Rabenheimer Herrscher zieht seine Finger zurück, als wären sie in Kontakt mit einer heißen Herdplatte gekommen.
Schlüsselbarts Hand bleibt eine Weile in der Luft hängen, bevor er sie schließlich geknickt zurückzieht.
Plötzlich verschwindet König Caramerals halber Arm in seinem Mantel. Er führt ein kleines Fläschchen mit Sprühkopf zu Tage, das mit einer dunkelviolett glühenden Flüssigkeit gefüllt ist. Carameral hält sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger seiner freien Hand zu und versprüht den Inhalt des Fläschchens in einem großzügigen Radius.
Die Frauen, Männer und Kinder, die sich in der Nähe des Rabenheimer Königs befinden, husten los. Ein Mann mit Glatze ergreift sogar gänzlich die Flucht und stürmt mit Windmühlenarmen aus dem Thronsaal.
Eine Fahne des Fläschcheninhalts weht zu Knödelbrot und Enno. Während Enno es schafft, seine Fassung zu bewahren, muss Knödelbrot sich nicht nur die Nase, sondern auch den Mund zuhalten.
„Das riecht nach faulen Eiern und Zwiebeln“, meint die Prinzessin.
„Das ist wohl ein Desinfektionsmittel“, erklärt Enno. Er fächert sich mit der Hand leicht vor der Nase, um den Geruch zu vertreiben. Obwohl er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, stehen ihm Tränen in den Augen.
„Desinfe-WAS?“, hakt Knödelbrot nach.
„Das benutzen wir an der Ritterakademie, um unsere Trainingsgeräte zu reinigen“, erklärt Enno. „Unser Mittel riecht ähnlich... intensiv.“
König Schlüsselbart kann den Geruch ebenfalls einordnen. Er erkennt zudem Caramerals Absicht. Der Rabenheimer König wollte die Luft um ihn herum säubern, so als hätte sie Schlüsselbart mit dem Ausstrecken seiner Hand irgendwie verunreinigt.
„Werter König“, entgegnet Schlüsselbart. Seine Stimme klingt angestrengt, aber immer noch freundlich. „Ich verstehe Eure Bräuche nicht. Vielleicht ist es ja üblich, dass man die Luft reinigt, bevor man einander die Hand gibt?“, fährt Knödelbrots Vater beschwichtigend und mit wohlwollender Absicht fort.
„Ne“, antwortet Carameral. „Ich mag es einfach nicht, von anderen angefasst zu werden. Davon bekomme ich Gänsehaut. Außerdem kann ich es nicht leiden, wenn jemand in meine Privatsphäre eindringt. Das ist sooooo respektlos.“
„Oh, das tut mir leid“, entschuldigt sich Schlüsselbart. „Ich wollte Euch nicht kränken.“
„Das habt Ihr nicht“, antwortet Carameral. „Aber bitte unterlasst es in Zukunft, Euch bis auf mehr als drei Meter zu nähern. Sonst muss ich erneut auf das zurückgreifen.“ König Carameral hält das Fläschchen mit seinem Desinfektionsmittel in die Luft. „Und beim nächsten Mal sprühe ich es Euch direkt in die Augen.“ Carameral kichert, als hätte er einen erstklassigen Witz gerissen.
König Schlüsselbart knirscht hörbar mit den Zähnen.
„So ein Pappenheimer!“, erbost sich Prinzessin Knödelbrot und ballt die Fäuste. Sie bereut es direkt, sich beim Dekorieren des Schlosses solch eine Mühe gegeben zu haben. Auch Enno scheint die Ablehnung gegenüber des Rabenheimer Königs zu teilen. Bei ihm äußert sich das in der Form zugespitzter Lippen.
„Nun denn“, fährt König Schlüsselbart fort und zeigt sein schönstes Lächeln, das sofort dazu beiträgt, die Situation zu entspannen. „Da wir die Formalitäten jetzt beiseite gelegt haben, kommen wir zum offiziellen Teil Eures Empfangs. Die Gaukler- und Narrengruppe meines Königreichs hat sich ein spektakuläres Programm ausgedacht, um Euch zu unterhalten.“
Da glitzern auch wieder Knödelbrots Augen. Eigentlich wäre erst eine Vorstellung aller Minister und der hohen Leute des Königreichs angestanden. König Schlüsselbart hat aber spontan den spannendsten Teil der Audienz vorgezogen. Aus gutem Grund, wie Knödelbrot und Enno übereinstimmend denken.
„Nein, danke, Eure Königlichkeit“, unterbricht Carameral. „Daran habe ich kein Interesse. Eigentlich wollte ich meinen Besuch bei Euch so kurz wie möglich halten.“
König Schlüsselbarts rechte Augenbraue klettert seine Stirn empor. Von der anfänglichen Nervosität, die der König wegen des Empfangs empfand, ist nichts mehr zu spüren.
„Also schön“, sagt Schlüsselbart und winkt die Gaukler und Narren ab, die sich trotz der Spontanität auf ihre Plätze begeben haben. „Nun, König Carameral von Rabenheim. So nennt mir bitte den Grund für Euren Besuch und wie mein Königreich dem Euren weiterhelfen kann.“
König Carameral steckt sich erneut einen Finger ins Ohr und rubbelt. Er grinst dabei. Die Laune des Rabenheimer Königs wechselt binnen eines Wimpernschlags von gelangweilt zu überschwänglicher Freude.
„Na, ich will den Schlüssel zu Eurem Reich. Ganz einfach“, sagt der dreiste König. Er deutet mit seinem Zeigefinger direkt auf den größten Schlüssel in Schlüsselbarts Bart.
Unter den Gästen bricht aufgeregtes Tuscheln aus. Der Uhrmacher fällt sogar in Ohnmacht. Die Opernsängerin fängt ihn auf und fächert ihm Luft zu, während sie ihn mit ihrer opulenten Größe beinahe erdrückt.
„Ihr wagt zu scherzen“, erwidert König Schlüsselbart. „Das ist eine Bitte, der ich unmöglich nachkommen kann.“ Knödelbrots Vaters lächelt schwach und hebt die beiden Hände, um STOPP zu signalisieren. Während Knödelbrot fast der Knoten platzt, bewahrt Schlüsselbart die Ruhe.
„Hat der `nen Knall?“, fragt Knödelbrot den Knappen. „Der ist nicht nur ein Vogel, der hat einen Vogel.“
König Carameral tritt einen Schritt vor und öffnet seinen Mantel. Der Grund, warum er so gebeugt geht, hat nicht bloß mit der schweren Krone auf seinem Haupt zu tun, sondern auch mit den unzähligen juwelenbesetzten Schlüsseln, die er um den Hals trägt. Es sind mindestens zehn. Und es handelt sich dabei zweifelsfrei um die Schlüssel anderer Königreiche.
Enno deutet auf einen Schlüssel, dessen Reite die Form eines gezackten Kreises besitzt. In der Mitte des Schlüssels befindet sich ein schwarzer löchriger Stein.
„Das ist der Schlüssel zum Königreich der Sterngucker“, meint der Knappe. „Hier, guck. Das Emblem stammt aus Astraltal.“ Enno zeigt Knödelbrot eine Seite aus seinem Notizbuch. Das Wappen auf dem Schlüssel stimmt mit dem in den Aufzeichnungen des Ritterschülers überein.
Neben diesem Schlüssel erkennt Enno noch drei weitere: den des Königreichs der Zuckerwatte, den des Königreichs der Wassersportler und den des Königreichs der Hundefreunde.
„Wie seid Ihr in den Besitz all dieser Schlüssel gekommen?“, fragt König Schlüsselbart verwundert.
„Ihre Herrscher haben mir die Schlüssel freiwillig überlassen“, sagt König Carameral und steckt sich erneut den Finger ins Ohr. „Ich musste nur ein wenig Überzeugungsarbeit leisten.“ König Carameral streckt eine Hand aus und fragt: „Darf ich bitte nun auch Euren haben, König Schlüsselbart?“
„Ihr scherzt, nicht wahr?“, will sich Schlüsselbart versichern. „Einer solch absurden Bitte kann ich unmöglich nachkommen.“
„Doch. Ich möchte gerne der Herrscher von 100 Königreichen sein. Das ist mein Ziel. Für den Anfang.“, antwortet Carameral, ohne mit der Wimper zu zucken.
Die Spannung im Thronsaal ist so dick, dass man sie mit einem Messer in Stücke schneiden könnte.
König Schlüsselbart wägt seine Worte genau ab, bevor er antwortet: „Ich kann und werde Euch den Schlüssel zu meinem Königreich nicht aushändigen.“
Carameral knautscht das Gesicht. „Seid Ihr sicher?“, fragt er. „Wollt Ihr mir den Schlüssel nicht einfach geben und gut ist?“
Prinzessin Knödelbrot knurrt wie ein Wolf. Sie würde König Carameral am liebsten mit Haut und Haar fressen, doch Enno bringt sie zur Vernunft.
„Dein Vater lässt sich nicht aus der Fassung bringen“, flüstert ihr der Ritterlehrling ins Ohr. „Das ist das Kennzeichen eines guten Herrschers.“ Das Funkeln in Ennos Augen lässt ihn ein wenig wie einen Fanboy aussehen. Aber der Mausejunge hat Recht. Knödelbrots Vater behält die Nerven.
„Nein“, wiederholt König Schlüsselbart mit Nachdruck.
Carameral lässt die Schultern sacken und sagt: „Schade. Ich hätte gehofft, dieses Mal wäre es einfacher. Aber gut.“
König Carameral klopft mit seinem Gehstock auf den Boden. Plötzlich beginnt der Knauf am oberen Ende des Stocks mit dunklem Licht zu leuchten.
„Ihr müsst wissen, lieber Schlüsselbart. Ich bin nicht bloß ein König, sondern auch ein äußerst talentierter Zauberer.“
Den Gauklern und Narren am Rand des Geschehens stellen sich beim Anblick von Caramerals Zauberstab – oder eher Zauberstock – die Nackenhaare auf. Das ist ein klares Zeichen für König Schlüsselbart, dass er es nicht bloß mit einfachen Tricks, sondern mit echter Magie zu tun hat.
„Genug“, ruft Knödelbrots Vater. Aus den Poren rund um Schlüsselbarts Nase läuft Schweiß.
Das Licht von König Caramerals Zauberstock erlischt. Der Herrscher mit dem löchrigen Rabenmantel lacht.
„Dann seid ihr also doch zur Vernunft gekommen? Wie schön.“ Carameral streckt seine Hand aus wie ein Kind, das eine Belohnung erwartet.
„Nein, ich möchte, dass Ihr geht“, antwortet König Schlüsselbart eisern.
König Carameral bläst die Backen auf.
„Mensch, könnt Ihr Euch nicht einfach umentscheiden?“ Carameral stapft auf.
„Garde?“, ruft König Schlüsselbart. „Bitte geleitet König Carameral ehrenhaft zum Tor von Wonneberg.“
Zwei Ritter in schillernd blauen Rüstungen erscheinen neben König Schlüsselbart. Sie nicken Enno zu. Es sind die letztjährigen Absolventen der Ritterakademie. Carl und Theodor.
Carl und Theodor flankieren den Rabenheimer König. Carl sagt freundlich: „Kommen Sie bitte mit.“
Doch König Carameral zieht bloß die Nase krumm. Er schließt die Augen und wackelt mit dem Kopf.
„Das wird nicht nötig sein, König Schlüsselbart“, sagt Carameral. „Ich gehe selbst.“ Dann zeigt er mit seinem Zeigefinger auf den schönsten Schlüssel, den Knödelbrots Vater stolz in seinem Bart trägt. „Dieser Schlüssel wird bald mir gehören. Bringt ihn mir, wenn Ihr es für nötig haltet.“ Die Augen von König Carameral funkeln böse.
Dann stößt er mit seinem Zauberstock auf den Boden. Carameral lässt einen purpurnen Wirbel aus Rauch erscheinen, der den dreisten König von Kopf bis Fuß einhüllt. Als sich der Qualm lichtet, könnte man meinen, Carameral hätte sich in Luft aufgelöst. Doch dann erhebt sich ein purpurner Rabe in die Luft.
„KRAH KRAH!“, kräht der Vogel. Es soll wohl so etwas heißen wie „Auf Wiedersehen“. Der Rabe dreht einen Kreis an der Decke und fliegt durch ein offenes Fenster. Beim Hinausfliegen hinterlässt er ein dickes weiß-schwarzes Würstchen.
„Reicht mir jemand noch ein Stück Brot für meine Schweinshaxe?“, brüllt Prinzessin Knödelbrot über eine ganze Reihe vollgefressener Ritter.
Einer von Ennos Lehrern schnappt sich einen Brotkorb voll mit goldgelben und butterweichen Brötchen und reicht ihn über eine Kette seiner Männer an die Prinzessin weiter.
Sie ruft ein lautes „DANKE!“ zurück, grabscht eines der Brötchen, reißt es mit den Händen auf, quetscht ihre Schweinshaxe zwischen die beiden Hälften, gibt einen Schuss Bratensoße darüber und beißt genüsslich hinein. Ihr anschließender Rülpser lehrt selbst König Schlüsselbart das Fürchten.
