Hillbilly County - Andreas Wieland - E-Book

Hillbilly County E-Book

Andreas Wieland

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Beschreibung

Nicht die Unterschiede vom Urbanen zum Ländlichen werden hier dargestellt, sondern Beobachtungen über Menschen, die sich in ihrer eigenen Verstrickung am sichersten fühlen, solange dies in einem schon fast unerklärlichen Kollektiv geschieht. Und tatsächlich kann man hier schon beinahe von einem gewissen Machtpotenzial sprechen, auch wenn nur ganz am Rande.

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Seitenzahl: 56

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HILLBILLY COUNTY

EIN BERICHT

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: dreamstime.com

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-097-8

MOBI ISBN 978-3-95865-098-5

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

Kurzinhalt

Nicht die Unterschiede vom Urbanen zum Ländlichen werden hier dargestellt, sondern Beobachtungen über Menschen, die sich in ihrer eigenen Verstrickung am sichersten fühlen, solange dies in einem schon fast unerklärlichen Kollektiv geschieht. Und tatsächlich kann man hier schon beinahe von einem gewissen Machtpotenzial sprechen, auch wenn nur ganz am Rande.

Hillbilly County

Ein Bericht

Once upon a time … An dieser Stelle könnte ich Ihnen die Geschichte über einen strammen Schulschwänzer und sein Ei des Kolumbus erzählen. Etwas über fette und über magere Jahre, über ein emotionelles Syndikat unausgesprochener Herkunft und über den Urstoff, aus welchem Legenden entstehen. Und genau das werde ich jetzt tun.

Seit jeher wollte ich nie ein Held sein. Nein. Viel lieber beobachtete ich die Welt in mir und um mich, übte mich in Gelassenheit und überließ das überstrapazierte Hamsterrad des Triumphes all jenen, die sich vom Ersatzspieler zum Matchwinner aufsteigen sehen wollten. Meine einzige Profilierungsneurose bestand darin, kategorisch diktierten Wertevorstellungen auf den Grund zu gehen. Natürlich ließ sich bei dieser Art Arbeit nicht ganz ausschließen, dass ich mir damit auch gleich ein eigenes Gehege im Zoo reservierte. Doch sagte bereits im Jahre 1784 Immanuel Kant dazu: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Und da ich mir die Zukunft in gesellschaftlich hochgehaltener Form nicht finanzieren wollte, fing ich damit an, über Steh- und Sitzplätze zu schreiben, dies vermochte ich ebenso gut wie das Aushalten des Schriftsteller-Daseins. So. Und damit Sie es wissen; wenn ich von mir spreche, meine ich mich. Ich. Aber nicht nur. Ich meine auch Sie und die anderen. Sie und ihn. Die Anderen eben. Somit wäre das ungeformte Denken überwunden. So ist das heute! Unbeeinflusst! Unverwässert! Der gute Beobachter!

Unser eigen Kind werden wir für immer bleiben, hoffte ich und fühlte, wie Alfons sich mit Musik sanft betten wollte, für die Ewigkeit zurechtmachen, wenn er mich mit bittender Stimme fragte, ob ich ihm dabei helfen könne, seine schallplattengespeicherte Kirchenmusik via Laptop auf den MP3-Player zu transferieren. Er sprach von wundervollen Werken, von Händels Oratorien, von J.S. Bach, vom Liturgischen Orgelspiel und vom Liebesmahl der Apostel. Wagner? Es wäre einfacher gewesen, Wasser in Wein zu verwandeln, als diesem Wunsch zu entsprechen. Tröstlich war, dass es zuvor schon etliche andere stramme Schulschwänzer versucht hatten und trotz entsprechendem und installiertem Programm und versprochenem Salär nicht schafften. Der Barkenhebel blieb verschwunden. Und wenn ich Alfons dann Tage oder Wochen später wieder einmal sah, in einem Lebensmittelladen, vor einem Bankomaten oder wir uns auf der Straße kreuzten, fragte ich jeweils milde und freundlich lächelnd, ob sich in dieser Hinsicht, also ob die musizierenden Vinylharze sich digitalisieren ließen. Nein? Oh! Blieb es ihm demnach verwehrt, sein Kissen zurechtzustupfen und in melancholischem Rückblick auf sein Leben, von Orgelpfeifen und Hallelujagesang begleitet, seine Seele ins himmlische Reich katholischer Pfaffen zu katapultieren. Nun, Alfons, anscheinend ist es noch zu früh, und um ehrlich zu sein, so dachte ich mir, ist mir das ganz recht. So können wir weiterhin über Bergtouren quasseln und Weihwasser saufen.

Ich, Alfons: Mit zweiundachtzig Jahren ist das Thema Tod wahrscheinlich nicht von weit hergeholt. Doch trage ich eine elendlich harzige Melancholie in mir. Kaum abzuschütteln. Und wenn ich alles Beschämende weglasse und den schönen Erinnerungen allen Spielraum überlasse, kommt wieder dieses übergroße Glücksgefühl, welches ich noch gar nicht zu meistern verstehe.

Und doch ist es da. Dieses Glücksgefühl. Omnipräsent. Auch ich spürte es. Selbst dann, wenn die äußeren Umstände es eigentlich gar nicht zugelassen hätten. Als mir jemand auf den Fuß trat und ans Bein pisste, beispielsweise. Oder als ein ominöser Geldeintreiber vor meiner Haustüre herumhampelte und Putzfrau Paula mit dem Inhalt meines Sparschweins auf die Malediven abhaute. Mit freundlichen Grüssen … Paula. Glauben Sie mir, an solchem fehlt es ein Leben lang nie. Lebenslänglich! So sah ich Alfons sicherlich einmal die Woche irgendwo umherschlurfen oder ungelenk hinter dem Steuer seines Mercedes sitzen. Wir grüßten uns jeweils, und regelmäßig entschuldigte er sich dafür, dass er meinen Namen vergessen hatte. Oder vertauscht. Dann wiederholte ich mich und dachte, dass all die anderen Namen, die er gesagt hatte, auch ganz gut zu mir passen täten. Aber nein, ich heiße nicht Michael, Thomas, Gerhard oder was auch immer. Ich heiße Andreas. Oder Andi, Andy, Andrew. Eigentlich sah ich in ihm noch immer den rüstigen Berggänger, den Bergkenner! Und so, wie er von seiner Musik sprach, sprach er auch von seinen Bergen. Von den Auffaltungen des Säntismassivs, vom Tödi, vom Oberalpstock, vom Flüela-Weisshorn. Unzählige Aussichten soll es ja davon geben, habe ich schon gehört, sagt er dann, als spräche er von seiner ersten und letzten Liebe. Aber was nun? Aussichten oder Ansichten? Beides. Ist ja klar, dachte ich, und schluckte die Worte meines Gesprächspartners und Konquistadors kommentarlos herunter. Seine Bergtouren ließen sich nun nicht mehr mit Muskelkraft bezwingen, jetzt musste er die Schritte gedanklich vollziehen – Schritt für Schritt. Vorsichtig. Ohne MP3-Player. Dafür in knisternder Gesellschaft von Händel, Bach und Beethoven. In schwarzen Lederpolstern kuschelnd, ein Kissen im Kreuz, und zappend die damals geschossenen Fotos auf dem Bildschirm betrachtend. Doch hörbar blieben ihm die Klänge der Berge, der Wind und das Morgenrot, die rauschenden Moränen.

Ich, Alfons: Das Gefühl der Blüte nur noch in der Erinnerung lebendig, lerne ich den Herbst immer näher kennen. Die Vorhut des nahenden Winters, die Kälte wird vielleicht auch noch kommen. Wer weiß? Meine Haushälterin ist von meiner Wohnung ins Alters- und Pflegeheim übergesiedelt. Jetzt bin ich allein. Einsam? Vielleicht sollte ich eine Köchin anstellen. Die könnte dann auch gleich einkaufen, waschen, putzen. Hier essen, hier schlafen. Sollte vermehrt meine Habseligkeiten verschenken. Bücher, Musiknoten, vielleicht sogar den Flügel. Den Mercedes? Oder verkaufen? Das Wetter lässt sich schwer berechnen. Man kennt ja die Herbststürme. Bunt, dann wieder Grau in Grau. Und denkt man an die Kälte, bringt der Föhn den Frühling zurück. Mitten im November.