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Alles schien so einfach. So selbstverständlich. Als sei die Erlaubnis zu lieben und zu träumen schon immer vorhanden gewesen. Als wären sie in einen romantischen Blütenkelch geschubst worden, war ihnen und als hätten sie darin nichts weiter zu tun, als sich selbst zu sein. Dass Hanna und August sich die Liebe nicht erst herbeiwünschen müssten, sagten die Leute, und dass sie von schönen Liedern und Klängen von Lauten und auch von Harfen umgeben wären, die beiden. Man wollte sich ertappt fühlen von ihren Blicken. Man würde sich als das erkannt ahnen, als was man sein könnte. Rätselhaft aber, erscheine ihnen Hannas und Augusts Bindung, sagten einige und gaben sich anstellig in ihrer Neugier. Rasch wechselte die Geschichte die Münder. Viele wollten die Wahrheit wissen. Viele nicht. Vieler Leute Lieb wäre es wohl gewesen, sich an fremdem Feuer Glut zu holen.
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Seitenzahl: 164
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Seltene Liaison
von
Andreas Wieland
Impressum
Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency
Foto: fotolia.de
© 110th / Chichili Agency 2015
EPUB ISBN 978-3-95865-702-1
MOBI ISBN 978-3-95865-703-8
Urheberrechtshinweis
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Alles schien so einfach. So selbstverständlich. Als sei die Erlaubnis zu lieben und zu träumen schon immer vorhanden gewesen. Als wären sie in einen romantischen Blütenkelch geschubst worden, war ihnen und als hätten sie darin nichts weiter zu tun, als sich selbst zu sein. Dass Hanna und August sich die Liebe nicht erst herbeiwünschen müssten, sagten die Leute, und dass sie von schönen Liedern und Klängen von Lauten und auch von Harfen umgeben wären, die beiden. Man wollte sich ertappt fühlen von ihren Blicken. Man würde sich als das erkannt ahnen, als was man sein könnte. Rätselhaft aber, erscheine ihnen Hannas und Augusts Bindung, sagten einige und gaben sich anstellig in ihrer Neugier. Rasch wechselte die Geschichte die Münder. Viele wollten die Wahrheit wissen. Viele nicht. Vieler Leute Lieb wäre es wohl gewesen, sich an fremdem Feuer Glut zu holen.
Und wollen noch so viele mir dies verklären, so bleiben für mich Liebe und Träume keine Projektion irdischen Daseins.
In fahlem Licht wurden Gedanken gesponnen und gezwirnt und ausgetauscht, als würde man an einem Tisch sitzen und nichts weiteres tun als den Salzstreuer hin und her schieben. Die Suppe des anderen interessierte sehr. Als ein einziger Wettkampf schienen sie ihre Ehe zu betrachten. Kein süßer Dämmerzustand, wie es eigentlich hätte sein können. Dieses Schöne, dieses Verträumte von damals schien sich zunehmend aus ihrem Leben zu entfernen. Vielleicht würde es nie lange an einem Ort bleiben wollen, hätte man sich fragen können. Doch zeigten sich Tage und Nächte anfänglich in beispielloser Glücklichkeit. Gespräche fanden statt, auch wenn geschwiegen wurde. Konstant waren Zärtlichkeit und Berührung. Anspruchslos glaubten sie, die Liebe gefunden zu haben. Damals.
Alles schien so einfach, so selbstverständlich zu sein, als sei die Erlaubnis zu lieben und zu träumen schon immer vorhanden gewesen. Niemand hätte sich dafür rechtfertigen wollen. Schon gar nicht bei sich selbst. Zeiten verschmolzen, als hätte dieses Glück sie schon immer heimgesucht. Selbst unbekannte Leute schienen einen zu kennen. Kennen zu wollen. Ihnen war, als bestünde die Welt nur noch aus einer Laune. Aus einer längst erschaffenen. Damals dachte noch keiner daran, dass es einmal von Bedeutung sein könnte, wer beim Spazieren die längeren Schritte macht. Ob man gerade aus, nach links oder nach rechts geht. Als lustig empfunden hätte man dies. So wie alles lustig war, in diesem Traum. In dieser Liebe. Ihren Kindern würden sie dasselbe Glück wünschen. Diese sollten von all dem profitieren dürfen, wenn sie einmal da sind. Ein Junge und ein Mädchen, sei ideal. Vielleicht auch zwei Jungen und zwei Mädchen. Oder zwei Jungen und ein Mädchen. Ein Mädchen müsse unbedingt auch dabei sein, sagte sie. Wichtig sei, dass die Buben älter seien als das Mädchen, meinte er. Eigentlich könnten sie sorglos in die Zukunft blicken. Sein Kaufmannsladen, das wisse sie ja, würde bestens laufen und beträchtliche Gewinne abwerfen. Das Haus, in dem jetzt seine Eltern wohnen, könnte schon in wenigen Jahren ihnen gehören. Sie solle sich doch einmal vorstellen, wie schön dies wäre. Sie und er und die Kinder. Arbeit gäbe es natürlich schon, ein so feudales Heim. Der Garten alleine mit den vielen Blumen und auch die Hecken müssten regelmäßig geschnitten und in Form gebracht werden. Dies jedoch, sei seine Arbeit. Gleich wie er monatlich zweimal, und zwar jeweils an einem Sonntag, sich eine Küchenschürze umbinden täte. Wohl gäbe es immer dasselbe Gericht, dieses dafür meisterhaft. Darauf würde sie sich jetzt schon freuen. Kerzenschein dürfe dabei nicht fehlen. Aber für das Ambiente könne ja sie dann sorgen.
Ihr Erstgeborenes tauften sie Hanna. Tiefgrün waren ihre Augen und weizenblond die Haare. Dies und Nase und Lippen hatte sie von der Mutter, darauf bestand sie, Stirn und Ohren auch, dem Vater könnten das Grübchen zwischen Oberlippe und Nase und das Kinn bleiben. Genau wüsste man es nicht. Dies müsste sich erst noch etwas verdeutlichen. Als glückliche Mutter stand nun Frau Reinhard vor ihrem Kind, vor ihrem Mann, vor ihrer und seiner Familie, vor andern Müttern, vor den Dorfbewohnern und vor sich selbst da. Da meinte auch im Garten und im Kaufmannsladen. Da meinte eigentlich auch, dass erst Söhne hätten geboren werden sollen. Ein oder zwei. Doch ließen diese aus unerklärlichen Gründen auf sich warten. Eine Tragödie sei es, meinte der Hausarzt. Wenn wenigstens noch ein Mädchen zur Welt käme, so bestünde danach eher die Hoffnung auf weitere Geburten. Auf Buben eben. Aufgeregt schlugen Herrn Reinhards Schläfen zwar, weitere Kinder jedoch blieben aus. Natürlich sei er auch mit der Hanna ganz zufrieden. Beklagen jedenfalls, wolle er sich nicht. Was ihm der Arzt hingegen zugeflüstert hatte, so sehr geflüstert, dass es ihn beinahe in Raserei versetzt habe, sei gar nicht so abwegig. Wenn diese Frau von Lichtenberg nämlich, so erzählte es der Arzt, ihren Jungen nicht zu sich nehmen könne, warum sollte dann nicht er diesen armen Buben aus dem tristen Kinderheim herausholen? Ehrwürdig genug wären sie gewiss, seine Frau und er, und Hanna hätte bestimmt auch ihre Freude daran. Sein Freund Fritz hätte schon recht, wenn er übers Leben sagt, so kompliziert, wie es ist, sei es auch einfach und so einfach es ist, sei es auch kompliziert. Dabei würde er bleiben. Diese Aussage würde eben immer zutreffen. Ob Regen oder Sonnenschein. Ja, ehrwürdig wären er und seine Familie schon. Finanziell würden sie ordentlich dastehen. Der Kaufmannsladen liefe hervorragend, im Dorf seien sie beliebt, Trunksucht gäbe es in beider Familien keine. Weder bei den Reinhards, noch bei den Hubers. Aktiv würden sie in Vereinen mitmachen und auch im Kirchenchor. Ein Ablehnen seines Gesuchs könne er sich in keiner Weise vorstellen. Schwester Margot hätte ihn und seine Frau bereits zu einem Gespräch eingeladen. Hanna nähmen sie dann natürlich auch mit. Dies zu tun sei strategisch von äußerster Tragweite. August sei der Name des Buben. Von der Fotografie her passe Philipp oder René, aber auch Damian und Jürg. Wie jemand auf den Namen August hätte kommen können und an diesem dann noch Gefallen finden, sei ihm unerklärlich. Vielleicht ließe sich da ja später, wenn er den Buben erst mal bei sich zu Hause habe, noch etwas machen. Lustig sei es bestimmt nicht, einen solchen Namen zu haben. Nicht einmal als Zweitnamen. Hoffentlich würde der Bub dadurch keine Nachteile erleben müssen.
August galt dann schon bald als zweitgeborenes Kind der ehrenwerten Familie Reinhard. Aus gesundheitlichen Gründen würde der Bub jedoch noch ein Jahr in einer Klinik verbringen müssen. Einer sehr renommierten. Dann dürfe er erst nach Hause kommen. Endlich wäre dann die Familie zusammen, sagten beide jeweils mit strahlenden Augen und sie, Frau Reinhard, geborene Huber, lachte dabei und erzählte aus der Zeit ihrer Schwangerschaft. Hanna hätte ihr einen kugelrunden Bauch geformt und viele hätten schmunzeln müssen deswegen. Frauen und Männer. Doch der August hätte fast keinen Platz gebraucht. Ihre Umstandskleider wären kaum von Nöten gewesen, sagte sie, doch angezogen hätte sie diese trotzdem. Ganz so klein sei er doch nicht gewesen, ihr geliebter Fratz. Ihr Hausarzt könnte dies bestätigen, wenn er noch leben würde. Dieser hätte an August bestimmt seine größte Freude gehabt. Aber eben, leider verstarb er schon vor ihrer Entbindung. An was genau, wisse sie nicht mehr. Problemlos seien beide Geburten gewesen. Die von Hanna, sowie auch die von August. Die Namen ihrer Kinder hätte sie im Traum gehört. Einmal, als sie im fünften und einmal, als sie im achten Monat war. Beide Namen hätten ihrem Mann auf Anhieb gefallen, meinte sie. Der Fritz hätte schon recht. So kompliziert, wie das Leben ist, es auch einfach sei und so einfach, wie es ist, es auch kompliziert sei. Stolz schritt Vater und Mutter Reinhard durchs Dorf mit ihren Kindern. Getreu lag die Hand des Jungen in der des Vaters, die des Mädchens in der von Mutter. Der Sonntag schillerte in Gesicht und Kleidung, sich in bester Laune zu zeigen sei man einem solchen Tag wie heute schuldig, bekannte Vater Reinhard und auch Mutter nickte dabei und lächelte in sonnigster Manier anderen Spaziergängern zu. Zwischendurch hielt man an und schwatzte. Dabei kniff Vater August gern mal in die Wange und sagte beschwörend, dass er seinen Sohn liebe. Mutter Reinhard strich Hanna jeweils in wohlwollendster Zuneigung übers Haar, als würde sie einen Glanz darauf zaubern wollen. So vergingen Wochen für Wochen. Jahre für Jahre. Alles schien immer in bester Ordnung zu sein bis zu dem Tag, an welchem man anfing, den Salzstreuer ... bis zu dem Tag, als die Gnade der Liebe, als deren Beeinflussungen rar wurden ... bis zu dem Tag, an welchem das Phantom, der Grund ihrer Beziehung sich offenbarte und die Magie ihren Ahnungen von der Seite wich. Aus den Fugen geraten schien das Etwas, welches Ordnung in ihrer Welt ausgeübt hatte. Sonntägliche Spaziergänge hatten etwas Staubiges bekommen. Glichen immer mehr einer verruchten Eintönigkeit. Momente, die man lieber nicht durchlebt hätte. Das Besondere von damals viel weg. Schuldig oder nicht, sich in bester Laune zu zeigen war unmöglich geworden. Das Verständnis, die Geduld des Verliebtseins ließ nach. Hastig fiel man einander ins Wort. Raste durch ein Niemandsland. Vorüber an Verstand, immer näher vieler Zweifel. Rücklings im wispernden Gras liegen und Schmetterlinge beobachten, wurde plötzlich lachhaft. Träumereien auch. Existent durften nur noch greifbare Dinge sein. Deren Herkunft würde man kennen. Überall gibt es Niemandsländer. Auf der ganzen Welt sind diese verstreut. In Argentinien sowie in Indien. Hinter Mauern und um Ecken. In Köpfen und in Herzen. Überall wird von Liebe und ihrer Unberechenbarkeit gesprochen und davon, wie kostbar beides sei. An tausend andere Niemandsländer würde ein Niemandsland grenzen. So wie die Mosaiksteine auf dem Flurboden, welche noch immer in Augusts Erinnerung weilten wie aneinandergefügte Geschehnisse. Auf diesen vielen geschliffenen und sorgfältig gelegten Steinchen hatte er schon geschlafen, erinnerte sich August manchmal. Darüber sei er auch schon hinweg geschleift worden. Fest am Arm gepackt hätte ihn Schwester Margot damals, und dass er davon keine Flecken abbekam, sei ein Wunder gewesen. Hätte er eines dieser Keramikplättchen als sein Niemandsland bestimmen müssen, wäre er daran gescheitert. Eigentlich hätte es jedes sein können und dann wiederum keines oder alle zusammen. Heimlich hatten er und seine Freunde Kurt und Albert sich gern mal in dieses verbotene Gebiet, in diesen verlockenden Distrikt hineingewagt. Bunt und leuchtend waren die sorgfältig aneinandergefügten Plättchen. Wäre es möglich gewesen, hätte man diese am liebsten in die Hosentaschen gesteckt. Selbst wenn man nicht stehen bleiben wollte, konnte man nicht achtlos daran vorübergehen. All das Bunte, die Muster, das Zusammenspiel, die Zeit, die Lebendigkeit, welche sich darin versteckt hielt, Liebschaften und Versuchungen, Ahnungen und Trost hielten einen auf. Schwester Margot musste wohl einen Verdacht gehabt haben, um was es ging. Und doch schien sie diese phantastischen Gefilde, das Ziehen, der Drang nach einer unbeschreiblichen Freiheit abzulehnen. Von sich zu weisen. Der Korridor, das Mosaik, all die Niemandsländer gehörten unter ihrer Herrschaft einem Verbot an. Selbst in der Übermüdung oder beim Träumen haderte sie damit. Sich solchem hinzugeben war nackter Kontrollverlust. Aber auch Vater und Mutter Reinhard schienen die Welt der Fliesenbilder nicht zu verstehen. Lärm musste also Lärm bleiben. Das zarte Gefühl der Verliebtheit durfte es nicht mehr geben. Ein Trümmerfeld musste ein Trümmerfeld sein. Ganz verstanden hätten sie ihre Eltern nie dabei, meinten Hanna und August, wenn diese von Liebe sprachen. Fritz wäre da immer viel klarer daher gekommen, und wenn er sagte, dass das Einfache nicht immer das Beste sein müsse, oder dass so kompliziert etwas ist, es auch einfach sei und umgekehrt, hätten sie ihn auf Anhieb verstanden. Selbst wenn auch er von Fliesenbildern keinen Schimmer hatte. Ohne sein Wissen fügte er Stein an Stein, schaffte Bilder für sich und die Welt und hätte er dies gewusst, wäre ihm vieles einfacher gefallen. Kompliziert jedoch, wäre es geblieben.
Süße Kinder seien sie, sagten die Leute aus dem Dorf. Und auch die aus der Stadt, die nur wegen Vaters Kaufmannsladen hierher kamen. Dass Hanna und August sich die Liebe nicht erst vorstellen müssten, meinten sie, und dass sie von schönen Liedern und Klängen von Lauten und auch von Harfen umgeben wären, die beiden. Man könnte sich ertappt fühlen von Hannas und Augusts Blicken. Man würde sich als das erkannt ahnen, als was man sein könnte. Als fege ein Wirbelsturm durchs Zimmer und würde Tisch und Bett und Kleider und einfach alles, was durcheinander steht und liegt wieder herstellen, wäre einem in solchen Momenten. Manch unflätiger Gedanke müsste weichen. Besser zu sein als andere, wäre auf einmal unnötig. Und als könnte man dadurch Zeit gewinnen, käme es einem auch vor. Nur, eines gäbe es da eben dennoch. Irgendwann müssten die Kinder der angesehenen Familie Reinhard den Ernst des Lebens doch noch kennenlernen. Immer so glücklich und unbeschwert würde es wohl nicht vorangehen. Man wünsche ihnen dies nicht in schlechter Absicht, doch aus eigenen Erfahrungen könne man bestimmt sagen, dass Bildung und Stand die eigentliche Freiheit auf Erden ausmachen täten. Vielleicht später einmal, hinter himmlischen Toren, würde es anders sein, sofern man von dieser Gnade erfasst würde.
Mit dem bestimmten Gefühl der Vertrautheit in das Ungewisse, ließen sich Hanna und August durch ihr Leben leiten. Als pragmatisch benannte der leibvolle Fritz dieses Geschehen und strich sich dabei seinen dicken Schnurrbart. Dies würde er als Hauptbestandteil richtigen Handelns anschauen. Sowieso wäre doch schon alles vorbereitet. Warum sich also sorgen? Als einziger Beitrag sähe er da lediglich das unermüdliche Schöpfen aus dieser Quelle. Das Wasser tragen, von einem Brunnen zum nächsten. Und so kam es, dass das Glück sich Hanna und August immer wieder zugeschnitten vor die Füße legte wie ein treuer Hund. So auch, als Kindheitsjahre sich verabschiedet hatten und die Stunde sich zeigte, in welcher Hanna in der Küche stand und Äpfel schälte. Stirnrunzelnd sagte ihr Ehemann zum wiederholten Male:
„Das musste ja so rauskommen mit August. Schon als er das Gymnasium abbrach, hätte ich ihm dies prophezeien können. Und du Hanna, bist auch nicht viel anders. Das muss einfach mal gesagt sein!“ Bewunderungsheischend blickte er Hanna ins Profil.
„Ist der Braten gar?“, fragte sie und dachte sich, er könne ihr am Arsch lecken. Sie mochte es nicht leiden, wenn Paul immer und immer wieder über ihren Bruder herzog. August war eben nicht so ein opportunistischer Heuchler wie Paul, der schon immer machte, was sein Vater von ihm verlangte. Und das nur, damit er irgendwann ins väterliche Geschäft einsteigen und sich somit eine goldene Nase verdienen konnte. Ihr Bruder war eben an höheren Künsten des Lebens interessiert. Für Paul war August ein Versager. Doch hin oder her, rauf oder runter, diagonal oder übers Kreuz, August störte dies wenig, wenn er unter wärmender Sonne, im Schatten eines Baumes lag. Rücklings im weichen Gras liegen und an die schönsten Dinge der Welt denken. Wer könnte solchem schon entsagen. Der Genießer würde es nie tun können. Würde darüber fleißig verfügen wollen. Ohne schlechtes Gewissen. Mit ihrem Ehemann Paul hätte dies nichts zu tun, dieses genießen, von welchem hier die Rede ist. Selbst wenn sie mit ihm spazieren ging oder er sich mit seinem Vater und Konsorte auf dem Golfplatz tummelte, waren seine Lieblingsdiskussionen immer über Geschäftliches. Er war so wenig im Stande zu genießen, wie alleine zu sein. Er mochte es mit Leuten zusammen über Geschäftliches zu reden. Dies schien seinem Bedürfnis nach Genuss gerecht zu werden. Dabei war dies ja alles andere als erholend.
„Vielleicht ist es klüger, ich erzähle dir nichts mehr, was außerhalb deiner Reichweite liegt“, antwortete Hanna schroff.
„Wie meinst du das?“ Dabei zog er genüsslich den Duft des Kalbsbratens durch die Nase.
„Was mit August zu tun hat, wirst du wohl nie respektieren können.“ Erbost und in seiner Selbstüberzeugung zu tiefst verletzt, schlug Paul wütend die Backofentüre zu. Drohend für weiteres Unheil, hielt er ihr seinen ausgestreckten Zeigefinger entgegen und warf mit der anderen Hand das saftverschmierte Messer, mit welchem er zuvor in den Braten gestochen hatte, quer durch die Küche. Nur versehentlich traf er den wunderschönen Strauß roter Rosen, welcher in einer Swarovskivase auf dem Tisch stand. Selbstverständlich, wie hätte es anders sein können, waren Blumen sowie Vase ein Geschenk von August. Lautlos und wie in Zeitlupe stürzten Blumen und Vase zu Boden. Schlugen laut krachend auf. Auf tausend schillernden Splittern lagen nun die Rosen. Verstreut in drei Lichtrhomboiden, welche die Sonne durch die Küchenfenster auf den Fußboden strahlte. Eigentlich sieht es ganz schön aus, wie Wasser und Scherben in der Sonne leuchten, dachte sich Hanna und zupfte ihre Kleidung zurecht. Dann fuhr sie plötzlich außer sich und schrie Paul an:
„Du wirst wohl nie über dich hinauswachsen!“ Ihr Gesicht war gerötet und tränennass die Wimpern, als sie ihn darauf mit erstickter Stimme bat, er möge ihr aus den Augen gehen. Brutzelnd quoll der Bratensaft aus dem Messerstich und rann langsam über die Kruste. Über das Gitter und in die Auffangschale. Wahrscheinlich müsste sie alleine essen. Und er ruft bestimmt seinen Vater an um Golf zu spielen.
Auf staubigen Nebenstraßen fuhr August über blühende Hügel. Vorbei an Kornfeldern und Wiesen. Auf dem Beifahrersitz saß Hanna und pustete mit geblähten Backen ihren Atem vor sich hin. Nachdem sie ihm vom Streit mit Paul und dem herrlichen Kalbsbraten an der Apfelsauce erzählt hatte.
„Streitet ihr euch immer noch so oft?“, fragte August mit nachdenklich verzogenem Mund.
„Seit einem Jahr könnten wir es locker mit Mutter und Vater aufnehmen. Weiß nicht einmal, warum wir überhaupt noch zusammen sind. Vielleicht, weil wir uns vor Jahren einmal ineinander verliebt haben? Soll ich gehen oder bleiben? Bin ich am Gewinnen oder am Verlieren? Ich weiß es nicht, August.“
„Bist du traurig darüber? Oder ist das eine dumme Frage?“
Hanna lächelte ihn gezwungen an und legte ihre Hand auf seinen Nacken.
„Keine dumme Frage. Vielleicht traurig darüber, dass ich über all die Jahre eine Hoffnung mit mir herumgetragen habe. An ein Gelingen glauben wollte und sich nun doch ein Abschied, dessen aufdrängt.“
„Ein Abschied von Paul, nichts weiter, Hanna.“ August drückte die Kupplung, stellte den Motor ab und ließ das Auto langsam in der sanft hügeligen Landschaft ausrollen. Als der Wagen stillstand, schauten sie sich wortlos an. Dann schmunzelten sie und beider Herzen schlugen bis zum Hals hoch. Wie damals, als sie sich im Kinderheim sahen. Als Vater und Mutter Reinhard ihn adoptierten.
„Gehen wir?“, lächelte August mit der Sicherheit eines Mannes, der schon als Knabe wusste, was er zu tun hatte. Seine Augen leuchteten dabei und erzählten von den ungeschriebenen Gesetzen der Liebe und der Träume und streiften wieder über all die Wiesen, auf welchen sie schon gespielt hatten und einem wolkenlosen Himmel entgegen blickten.
„Und das Auto?“
„Na und?“