Hinten ist schon ganz weit weg - Ina Hellmann - E-Book

Hinten ist schon ganz weit weg E-Book

Ina Hellmann

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Beschreibung

"Hinten ist schon ganz weit weg" ist die Roadstory mit dem Motto "Familie, Fernweh, Feuerwehr". Diese Familie, das sind Stefan (42), Martha (9), Edda (5) und Ina (41). Und die Feuerwehr, das ist ein Mercedes 608, Baujahr 1980, 89 PS, 6,8 Tonnen - kurz: die maximale Entschleunigung. Zehn Monate lang tingelten wir mit unserer "Dicken" durch Nordamerika und - nein! - wir hatten nicht allmählich genug davon, schon gar nicht am Ende unserer Reise. Unsere Roadstory beginnt mit ganz viel Neugier auf das, was einen wohl hinter der nächsten Kurve erwartet, und endet mit dem innerlichen Sträuben gegen das Ankommen. Kanada und die USA waren für uns - abgesehen von den üblichen Vorurteilen über Holzfällerhemden, übertriebene Freundlichkeit, Waffenfanatiker und Mauerbauer - ein komplett unbeschriebenes Blatt. Doch das Klischee vom Reisen sieht ja vor, dass man unterwegs alle Vorurteile über den Haufen fahren wird, oder nicht?! Aufbruch, Unterwegssein, Ankunft, das sind die Themen dieses Buches, aber es dreht sich auch ganz viel um das Thema "Familie" - und passt damit unweigerlich auch in die Kategorie "Humor", denn ohne den geht es nicht, wenn man mit seinen Liebsten auf weniger als 15 Quadratmetern wohnt. Es sind gesammelte Momente, unvergessliche Begegnungen mit Mensch und Tier, unzählige Beinahe-Nervenzusammenbrüche und Um-ein-Haar-Katastrophen. Unterwegs aufgeschrieben, zunächst in Form eines Blogs für die Familie und Freunde, später mal für uns und unsere Kinder und jetzt schon mal für alle, die ebenfalls Lust auf eine Auszeit haben - und sei es nur auf dem Sofa.

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Seitenzahl: 381

Veröffentlichungsjahr: 2021

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INHALT

Vorwort

G

reenhorns on Tour

-

Kanadas Ostküste

Sometimes the world is smiling on you

wildes Ontario

Rückenwind –

eine Zeitreise durch Kanadas Mitte

Wo der Hirsch noch Mann sein darf

Kanadas Westen

Das Leben ist kein Abreißkalender

Vancouver, Vancover Island und noch mehr Islands

Und dann: Breakfast in America

Grenzerfahrungen an der Westküste

Licht und Schatten

die Wüsten im Südwesten

Erfahrung kommt von „fahren“

Amerikas „Hot Spots“ im Winter

Peace, Love and Unicorns –

die Westküste #2

Ich bin ein Geysir, ich eskalier!

Adventure Tour nach Colorado

Size matters

Reibereien mit Texas

Alles auf Schwarz

Fahrtwind Richtung Süd / Südost

Einfach mal wech von dem janzen Heckmeck

In Kolonne durch Florida

Zurück auf Los!

die Ostküste

Vorwort

Keine Ahnung, wann Stefan mir die entscheidende Frage gestellt hat. Ich behaupte jetzt mal, dass wir - die Kinder schon im Bett, die Luft noch warm - auf den Horizont blickten. „Ina, wie viele Leute hat man am Ende des Lebens sagen hören: „Ach, hätte ich doch damals BLOß nicht diese Weltreise gemacht, sondern mir stattdessen eine schicke Einbauküche gekauft!“?“

Weil die Antwort auf der Hand liegt und das Argument einleuchtet, könnte ich jetzt behaupten, dass dies der Moment war, um aus einem dummen Gedanken („Komm, wir reisen ein Jahr rum!“) einen festen Plan werden zu lassen. („Ja nee, is klar.“) In Wirklichkeit hatten meine Zweifel aber gar nichts mit dem Traum von einer Kochinsel, sondern vielmehr mit schulpflichtigen Kindern zu tun. Stefan dagegen hielt unsere fixe Idee von Anfang an für eine ausgemachte Sache, die er überall begeistert herumerzählte. Kanada! (Grins) Der Wilde Westen! (Augenleuchten) Amerikanische Trucks! (Geräusche von V8-Motoren) Wilde Landschaft, einsame Landstraßen und eine kleine Familie in einem roten Feuerwehrbus. Zugegeben - der Gedanke war verlockend.

Genau genommen war die Gelegenheit, einfach mal dem Ruf der Wildnis zu folgen, sogar ausgesprochen günstig, da sowieso ein großer Umbruch vor der Tür stand. Neun Jahre Auslandsschuldienst in Spanien gingen dem Ende zu. Die Rückreise nach Deutschland stand unmittelbar bevor. Warum sollte man die nicht einfach ein klitzekleines bisschen ausdehnen? „Take the long way home!“, singt Supertramp und damit könnte doch ein kleiner Umweg von Spanien über Nordamerika nach Deutschland gemeint sein. Warum eigentlich nicht?! Und außerdem: Aufbruch ist leichter als Rückkehr. Keine Zeit für Traurigkeit, wenn man ein Leben auf Rädern führt. WAS würden wir nicht alles sehen und erleben! Füße auf dem Armaturenbrett, Wind im Haar, Pott Kaffee in der Hand, Blick in die Ferne - guck mal ´n Adler! Geschenkte Zeit.

So kam es, dass wir uns gegen die Rückkehr und fürs Reisen entschieden haben - für minimalen Wohnraum und maximal viel Zeit. Zeit für die Familie. Zeit für den Sternenhimmel. Über mir die Adler, unter mir die Schnappschildkröte, vor mir der Horizont - und hinten? „Hinten ist schon ganz weit weg!“, meinte Edda begeistert, als sie zusammen mit Martha ihre Eltern in den kanadischen Sonnenuntergang paddelte. Dieses „Hinten“ war für sie das Ufer und für mich das Leben vor unserer großen Reise. Das Unterwegssein war zu unserem neuen Lebensgefühl geworden.

In so einer Roadstory passieren die abenteuerlichsten, lustigsten und unvorhergesehensten Dinge, man begegnet den interessantesten, durchgeknalltesten und gastfreundlichsten Menschen und man macht sich so manche Gedanken über Gott und die Welt, wenn man die Landschaft an sich vorbeiziehen sieht. All dies steht in diesem Buch. Ich möchte nichts vorwegnehmen - nur vielleicht diese eine, zugleich banalste und wesentlichste Erkenntnis: Alles, was das Herz begehrt, passt in einen alten Feuerwehr-Mannschaftsbus.

Darf ich vorstellen? Unsere Dicke: Knallrot, fast 40 Jahre alt, knubbelig, gut in Schuss und - zugegeben - ein bisschen laut. Ein sogenanntes „Breitmaul“, also ein Mercedes 608, falls du dich für Autos interessierst. 4 Liter Hubraum, 89 PS, 6,8 Tonnen: I know, sooo slow! Wobei - eigentlich wusste ich von nix. Ich wusste nur: Diese dicke Feuerwehr, die ist es! Die müssen wir haben! Die wird unser zukünftiges Reisegefährt!

Gesagt, getan. Nun noch schnell ein Wohnmobil draus machen. (Hüstel. Räusper.) Als Stefan, der Haushälter, Junge für alles, Familienvater, Selfmademan (kurz: der Mann am Lenkrad), sich dann zwecks Aneignung von Sachverstand (Kannst du das eigentlich mit der Elektrik und den Gasleitungen und dem Wasser und so? - NOCH nicht. - AH ja.) hilfesuchend ans Internet wandte, ging ihm nach und nach ein Licht auf. Und Monate später brannte ein solches auch im Innenraum der Dicken. Alles, was man sonst noch so braucht, wurde um das Wichtigste herum gebaut und das sind: ein großer Tisch, zwei gute Heizungen und drei gemütliche Betten. Eins für uns, eins für unsere beiden Mädels und eins für Gäste. Willste mit? Na los, steig ein! - WAS HAST DU GESAGT? Ich versteh´ nix, der Motor ist so laut. - Komm rein und mach die Musik lauter! - Alles klar. - Auch ´n Kaffee?

1. Greenhorns on Tour - Kanadas Ostküste

„Well, take the long way home, take the long way home!“ (Supertramp)

Adios España!

ALICANTE, SPANIEN

So langsam unsere Dicke auch ist, diesmal sollte sie ausnahmsweise mal die Erste sein. Von Hamburg aus hat sie schon vor über einer Woche den Weg per Schiff über den großen Teich angetreten. Abschied hin oder her - schon in zwei Tagen würde es das erste freudige Wiedersehen geben, und zwar im Hafen von Halifax, Nova Scotia, Kanada.

Hoffentlich, denke ich beim Anblick des schwarzen Punktes auf blauem Hintergrund. Dieser Punkt heißt „Atlantic Sea“ und ist ein gigantischer Ro-Ro-Frachter, der unser zukünftiges Zuhause geladen hat. Zumindest gehen wir davon aus. Schwitz! „Und wenn das Schiff sinkt?“, frage ich Stefan. „Haben wir eigentlich eine Versicherung oder sowas?“ Statt Antwort Schweißperlen auf seiner Stirn. Oh oh. (Ja nun, es ist Juli und wir sind in Spanien, beruhige ich mich, während ich fröstelnd die Klimaanlage ausmache. No risk no fun - oder etwa nicht?!) Doch Stefan hat derzeit andere Sorgen als ein gekentertes Feuerwehrauto. Schon seit Stunden versucht er fieberhaft herauszufinden, warum „dieser verdammte Online-Check-In“ nicht funktioniert. Derweil turnen die Mädels aufgeregt in unserer kleinen Ferienwohnung herum, die wir für die letzte Schulwoche in Alicante bezogen haben, um den Rest der Monatsmiete zu sparen. Nun aber ab ins Bett! Morgen wird ein anstrengender Tag.

Die letzten Wochen in Spanien fühlten sich wie ein finaler Countdown an. Seitdem wir beschlossen hatten, eine Auszeit zu nehmen, um irgendwie die Uhr anzuhalten, rennen die Stunden gnadenlos voran, sodass wir japsend hinterher hechten müssen. Kennst du Grobi aus der Sesamstraße? Hast du vor Augen, wie er dir den Unterschied zwischen - hechel, hechel, hechel - „hinten“ und - japs, prust, keuch - „vorne“ erklärt? Genauso war es bei uns. Seit Wochen planten wir entweder das „Vorne“ oder blickten zurück ins „Hinten“, aber es gab kein richtiges „Dazwischen“ mehr. Die letzte Pizza in der Altstadt, der letzte Marktbesuch, das letzte Mal Töpfern mit Lola - schon war alles „hinten“. Der letzte Strandspaziergang, das letzte Baden im Meer, 125000 Abschiede von diesem und jenem, von unserer schönen Wohnung, vom weiten Blick aufs Meer, von tollen Freunden, von netten Kollegen.

Seufz. Jetzt erstmal den Umzugsleuten beim Kistenpacken helfen. So dachte ich jedenfalls. Schlüssel ins Schloss. Schockstarre. Was ist…? Wer hat…? Wo sind…? In unserer Wohnung tummelt es sich. „Ah, buenos dias!“ „Hola, que tal.“ „Hola. Hola…“ Acht Umzugshelfer tragen emsig wie spanische Balkonameisen bergeweise Kisten und weiß Verpacktes durch die Gegend. All unser Krempel war (Dabei wollte ich doch noch… Ich hatte doch noch gar nicht… Wo sind denn jetzt die?) bereits großzügig mit weißer Noppenfolie umwickelt. Immerhin hatte Stefan es geschafft, den Männern die beiden Seesäcke und unsere Abschiedsgeschenke zu entreißen, bevor sie ebenfalls im Schlund des Doppelschleppers verschwinden konnten. Puh! Dabei hatten die doch drei Tage für den Umzug veranschlagt.

Zweiter Umzugstag. Kontrastprogramm im Ameisenhaufen. Jetzt aber mal gaaanz in Ruhe. Erstmal ´n Kaffeepäuschen und ´n bisschen mit der Hausherrin plaudern - da bin ich dabei! „Ah, Wassereinlagerung? Das ist ja blöd. Wo? Im Genitalbereich? Fies! Wie, erst am 4. Dezember einen Termin gekriegt? Nee, also wirklich! Ja, da kann man schlecht mit anpacken. Echt ärgerlich, macht keinen Spass! Wie der korrekte Name dieses Werkzeugs ist? Also, ich würde mal sagen, es ist ein Bandschleifer. Aber wie heißt das auf Spanisch? Welche Artikelnummer diese Tischkreissäge da hat? Nee, also, da bin ich jetzt überfragt. Muss das denn so genau…? Ach so. Muss. Gesucht, gefunden, Packlisten geschrieben, Datum gefälscht, Mittagspause.

Dritter Umzugstag: Wahrscheinlich gönnt sich die Truppe jetzt erstmal eine ausgiebige Siesta, denke ich noch so bei mir, als ich dem riesigen Umzugswagen nachschaue. (So. Mindestbeitrag zur Klischeepflege geleistet. An mir soll´s nicht liegen!) Während ich unserem Hab und Gut zuwinke, spule ich meinen Film zurück: Neun Jahre zuvor. 2000 km weiter nördlich. Münster. Wir winken der Familie, die nun für unbestimmte Zeit unser Reihenhaus, unsere Möbel und alles andere bewohnen wird, ich schnalle die Babyschale fest und der zukünftige Hausmann startet den Bulli. Ab nach Spanien! Auf ins neue Leben! Wir hatten alles dabei, was wir brauchten: Uns. Doch in den letzten Tagen hatten wir „Weiß auf Weiß“, Kiste auf Kiste gesehen, was sich innerhalb von neun Jahren so ansammelt, wenn man nicht aufpasst - vieles davon wahrscheinlich weit weniger wertvoll als das Verpackungsmaterial. Was von dem Zeug werden wir wohl tatsächlich vermisst haben, wenn wir in einem Jahr wieder in Deutschland ankommen?

Und ist man den Besitz erstmal losgeworden, dann hat man wieder Zeit. Zeit, Abschied zu nehmen, denn so ein Countdown läuft gnadenlos weiter. Also tauschten wir Asyl bei Freunden gegen die Reste unserer neunjährigen Hauswirtschaft: exotische Gewürze, duftende Tees und Kuchendeko in allen Regenbogenfarben - auch den nicht weniger bunten Reigen diverser Alkoholika nicht zu vergessen, der abends in großer Runde in Angriff genommen wurde.

Also an diese Abschiedsabende könnte ich mich gewöhnen. Eigentlich bin ich sogar der Meinung, dass JEDER mal so einen Abschied erleben sollte. Natürlich ist Abschied auch traurig. Alle weinen. Viele (ich) auch mehrmals. (Okay, ich spreche hier von den Frauen. Männer können ja bekanntlich ihre Gefühle nicht so zeigen und schluchzen dann nachts heimlich in ihr Kissen.) Blick aufs glitzernde Meer. Ein letzter Moment im „Dazwischen“, in Gedanken zwischen hinten und vorne. Nun weiß ich ziemlich genau, was und wen ich in Zukunft vermissen werde. Und genau DAS ist - bei all der Wehmut - auch ein schönes Gefühl. Endlich kreisen die Gedanken mal um die wesentlichen Dinge des Lebens. Man spricht aus, was man sich sonst vielleicht nie gesagt hätte. (Warum eigentlich nicht?) Ich blicke zurück auf die Highlights der vergangenen Jahre. Schön. Und ein bisschen wie Aufräumen. Liebgewonnene Dinge werden wieder nach vorne ins Regal gestellt. Manches hat im Laufe der Jahre eine kleine Staubschicht bekommen. Jetzt wird drüber gepustet, in die Hand genommen, blank geputzt. (Dabei Köpfchen schief legen und bräsig lächeln, gerne mit Rührungstränen in den Augen.)

Und nun viel Spaß mit meiner 5:55-Uhr-Metapher - „Schlaflosin-Alicante" meldet sich ab. Ich muss noch die Seesäcke packen. Gleich geht es los ins Vorne! Hoffentlich. Denn - schlechte Nachrichten - der Online-Check-In hat tatsächlich nicht geklappt. Plötzlich hatten sich auch noch die Flugzeiten geändert, Anschlussflüge sind auf einmal knapp geworden, TAP-Airline war natürlich nicht erreichbar, unser Handyguthaben ist quasi verbraten. Läuft bei uns.

Hero of the day

HALIFAX, NOVA SCOTIA, KANADA

Nie wieder Billigfliegen! Was für ein Alptraum! Früh morgens, über vier Stunden vor unserem planmäßigen Abflug, stehen wir am Flughafen, schon jetzt völlig übernächtigt. Dort die Hiobsbotschaft: Da sind keine Tickets unter unserer Buchungsnummer. Wie bitte? Nach ewiger Hin- und Her-Telefoniererei mit dem vermutlichen, dem vermeintlichen und dem verleugneten Verantwortlichen ist Stefan bereits total verschwitzt, bevor es überhaupt losgeht. Die Frage ist nämlich, ob es ÜBERHAUPT losgeht. „Jetzt sind Ihre Tickets da!“, ruft die Schalterdame mit Blick auf ihren Bildschirm. Erleichterung. Minuten später am Check-In: „No, perdona, hier sind keine Tickets für Sie.“ Also wieder zurück zur TAP-Dame. Unser vierstündiger Zeitpuffer ist längst aufgebraucht, die Nerven liegen blank, da drückt uns irgendwer im letzten Augenblick irgendwelche Tickets in die Hand. Im Laufschritt zum Gate.

Den allerersten Flug haben wir gemeistert, den Anschlussflug in Lissabon gerade noch erwischt, den fernen Kontinent todmüde betreten. Welcome to Toronto. Schon geht es im Schweinsgalopp zum Visa-Gedöns-Schalter, schnell Passkontrolle hinter uns bringen, Flug nach Halifax auf der Ankündigungstafel ausfindig machen, jetzt aber zügig zum Gate. Los los, Hackengas Kinder! Moment mal. Da ist aber ´ne ganz andere Flugnummer auf den Tickets. Wie ist das denn möglich? Irritierte Nachfrage und düstere Erkenntnis: Man hatte uns bei der Hektik am gestrigen Morgen einfach schnell ´nen falschen Flug gebucht. Erschöpfte Verzweiflung. Fassungslosigkeit.

Doch am Info-Schalter von Air Canada arbeitet ein Schrank von einem Mann, der Tony heißt und Mitleid mit übermüdeten Deutschen hat. Tony identifiziert sich mit unserem Einzelschicksal. Sein zuversichtliches Lächeln umhüllt uns wie eine Rettungsdecke. Jetzt, die Zeit drängt, wird auf seiner Seite des Schalters fieberhaft geforscht, in die Tasten gehackt, in der Schlussphase im Stehen gearbeitet, der flackernde Blick nicht vom flackernden Bildschirm genommen. To-ny! To-ny! To-ny! Es pocht in den Schläfen. Jetzt! Der Drucker wirft die Tickets aus, eine Mitarbeiterin stürzt sich drauf und übergibt sie Stefan wie einen Staffelstab. „That’s why Air Canada is the most powerful airline in the world!“, sind Tonys Worte beim Vollenden seiner Rettungsaktion. Im Hintergrund sollte jetzt die Nationalhymne ertönen, alle Bediensteten müssten aufstehen, Hand auf die Brust. Im Losrennen (jetzt Zeitlupe) wirft Stefan noch einen letzten Blick zurück und ruft: „You are my hero of the day!“

MEIN Hero of the day ist jedenfalls Stefan, der mittlerweile - und das nach nur drei Stunden Schlaf in drei Tagen - unsere Dicke geholt hat. Und das sage ich trotz der Berichterstattung meiner kleinen Tochter, der zufolge im Fahrzeug hinter mir nach meinem versehentlich falschen Abbiegen mit dem Mietwagen der Begriff „Dachschaden“ im Zusammenhang mit meinem Namen gefallen sein soll. Ich nehme mal an, mein Held war ´n bisschen müde.

Hey. Ho. Let´s go!

BRIAR ISLAND, NOVA SCOTIA

Tja. Bis man so loskommt… Doch irgendwann hatten dann auch unsere beiden Seesäcke den Weg zu uns gefunden, hatte Stefan sein erstes Handy seit Jahren gekauft, waren die Dachboxen montiert, hatten wir kreisgrinsend die ersten Raodsongs gehört - und die Dicke war fahrbereit. „There she stood in the street, smiling from her head to her feet“, singt „Free“ und meint damit sowohl unser feuerrotes Spielmobil als auch mich, denn alles ist „All right now, baby, it´s all right now“!

Zwar gab es ein paar Hürden zu überwinden, weil a) das mit dem „beknackten“ mobilen WLAN nicht so funktionierte, wie Stefan sich das erhofft hatte, und b) die Nahrungsmittelpreise in Kanada wohl auch deutlich anders sind als in Europa, aber - Hey, was soll´s! - mittlerweile herrscht wieder ausgelassene Happy-Holiday—Stimmung an Bord unseres Spielmobils, denn

a) haben die Fünf Freunde damals auch nicht ständig bei Mama angerufen und b) haben wir nahrungstechnisch bereits unsere ultimative Überlebenstaktik entwickelt.

Blauäugig hatte ich bei unserem allerersten Einkauf in der „Neuen Welt“ nach alter Gewohnheit Obst, Käse und Schokolade in den Einkaufswagen gepackt. Ungläubig der Blick auf den Kassenbon: 100 Dollar für ´nen Beutel Lebensmittel? Holy Moly! Dann wird das hier aber ´ne kurze Weltreise. Doch es kam noch schlimmer. Nur zu gerne wollten wir auf die geglückte Ankunft mit ´ner Flasche Bier oder einem Glas Wein anstoßen. (Notfalls hätten es auch zwei sein dürfen.) Recht unschlüssig streunte ich im „Liquor Store“ so lange von Regal zu Regal, bis ich freundlich angesprochen wurde. „Some less expensive local wine?“, lautete meine schüchterne Nachfrage, wo denn die „bezahlbaren" Weine zu finden seien. Doch Alkoholismus scheint in Kanada ein Privileg der Reichen zu sein. Hier hat man die Wahl: Bierbauch oder Eigenheim. Des Nachts träumte ich, dass ich in das Haus unserer Freunde einsteige und all unseren Fusel wieder an mich reiße.

Der obligatorische Großeinkauf sollte also etwas planmäßiger ausfallen. Stundenlang wurden Preise verglichen, fast abgelaufener Käse mit fünfzigprozentiger Ermäßigung als großer Fund gefeiert, das 100er-Pack Chicken-Nuggets trotz des Dumping-preises verworfen, das ebenso winzige wie kostenintensive Salatköpfchen leider auch. (Seufz!) Doch am Ende des Tages hatten wir die Lösung unseres Problems gefunden und eine neue Signalfarbe für uns entdeckt: Gelb. Diese als „No name"-Produkte ausgewiesenen Artikel mit gelber Verpackung sind nämlich mit Abstand die billigsten - wenn auch nur im Verhältnis zur Füllmenge, also nur, wenn man sich für das Vorratspack entscheidet, eigentlich sogar nur dann, wenn man davon zwei (oder mehr) nimmt. Aber was soll´s! Die 20 kg Zucker kriegen wir schon irgendwie auf. Wir sind ja zum Glück lange genug unterwegs. Dumdidum.

Ach, wir haben so viele Gründe gut drauf zu sein! Wo fange ich an? Vielleicht bei unserer aufregenden Bootstour auf der wunderschönen Insel Briar Island im zauberhaften Nova Scotia. (Schwärm!) Dabei hatte ich wirklich nicht mehr damit gerechnet, dass wir am Ende noch Wale sehen würden, da die berühmte „Bay of Fundy“ sich mir nix dir nix in eine „Bay of Foggy“ verwandelt hatte. Von der Küste aus sieht das ja toll aus, wie die Nebelschwaden über das Wasser gleiten. Vom Boot aus ist das aber eher ungeil, weil man eben nix sieht. Wir mussten die Wale regelrecht wie die Nadel im Plantschbecken suchen, und zwar anhand der Akustik: Motor aus, alle still sein, auf Walpustegeräusche lauschen!

Da schaukeln wir also mitten auf dem Meer, um uns herum nichts als Blaugrau: Wasser, Nebel, Himmel. Man hört nur das leise Plätschern des sanft schwankenden Bootes. Da! Ich hab was gehört! Walgesänge, wie wunderbar! (Ach nee, das war nur das Nebelhorn von irgendso´nem Schiff, irgendwo da draußen auf dem Meer. Man sieht ja nix.) Doch plötzlich höre ich tatsächlich so ein Prusten, gefühlt direkt neben mir. Da war ganz klar ein Wal, ich hatte ihn gehört! Krass! Hätten die am Ende gesagt: „Okay Leute, wir drehen um. Glückwunsch! Wir haben tatsächlich einen Wal gehört, passiert ja schließlich nicht alle Tage.“, dann wäre ich schon mega glücklich gewesen. Na gut, zugegeben, ein klitzekleines bisschen enttäuscht gewesen wäre ich vielleicht doch, weil man ja fürs Gucken bezahlt hat und nicht fürs Hören. (Oh nee. Der Satz klingt übel, irgendwie so typisch deutsch. „I want my money back! I didn´t see a whale! Show me this fucking whale, I have payed for it!“ Geht gar nicht! Satz wird gestrichen!)

Diese mächtigen Tiere dann auch aus nächster Nähe zu sehen - vier Buckelwale schwammen eine Zeitlang direkt neben unserem Boot her, um in regelmäßigen Abständen abzutauchen, erneut die Wasseroberfläche zu durchbrechen und eine enorme Wasserfontäne in die Luft zu blasen -, das war einfach ein unglaubliches Erlebnis! Außerdem hatten wir tags zuvor bereits Delfine in der Bucht schwimmen gesehen. (Prahl!) Und direkt vor uns hatte schließlich ein Seehund sein niedliches Schnäuzchen aus dem Wasser gestreckt. (Ey, das stimmt wirklich!) Briar Island wäre wirklich ein ganz und gar perfekter Ort für uns, wären da nicht diese anderen wilden Tiere gewesen…

Als wir das Ausmaß des killerartigen Überfallkommandos geahnt hatten, war es leider zu spät, das Dachfenster noch komplett zu schließen, weil sich abgerundet hundert Trillionen von Blutsaugern bereits zwischen Dachluke und Mückengitter des Camping-Fensters verfangen hatten. Trotz Mückenschutz schafften es diese Bestien immer wieder, sich einen Weg in unser mobiles Eigenheim zu bahnen. Jeder, der Stefan kennt, weiß, welche Mordgelüste sich zunehmend in seinem Innersten breit gemacht haben. Er arbeitete nicht konzentriert, nein fieberhaft, um diese Kreaturen davon abzuhalten, unsere mittlerweile schlafenden Kinder auszusaugen. Das Werkzeug in allen campingmotivierten Lebenslagen: Panzertape. Das Unwort eines jeden mückenerfahrenen Campers: Zwangsbelüftung. Gibt’s bei uns jetzt nicht mehr. „Die Türen schließen eh nicht luftdicht ab“, brachte der Mann zwischen geschlossener Zahnreihe hervor. Immerhin ist nichts zu Bruch gegangen. Jedenfalls nicht diesmal. (Rückblick: Nacht. Halb schlafend erblinzele ich Stefan, der wie ein Tiger im Sprung seine Beute anvisiert. Mücke. Auf Glasbilderrahmen. Er wird doch nicht… Neiiiiin! Doch! Schon liegt das Rahmenglas in tausend Scherben auf dem Bett. Stefan mit irrem Blick beim Ablecken des Bluttropfens von seiner Hand: „Die hab ich!“) Wo war ich?

Ach ja: Wildlife. Im Nationalpark Kejimkujik, unserem allerersten Top-Spot unserer Reise, hätten wir FAST die dort lebenden Schwarzbären, Elche, Schildkröten und Biber gesehen, doch leider waren es nur zwei Deutsche aus Karlsruhe: Klaus (74) und Hanne (etwas jünger). Die beiden komplett in khakifarbene Outdoorklamotten Gewandeten waren uns des Abends zugelaufen und von Stefan mit Strongbow Cider angefüttert worden. (Das gute Bier! Bist du WAHNSINNIG!?) Schon war es passiert: Selbstgefällige Lebensgeschichten und -weisheiten füllten nach und nach dringend anderweitig benötigten Speicherplatz meines Gehirns. Geld spielt keine Rolle? Ist ja schön. Alle Söhne studiert? Aha. Alle erfolgreich? Ist ja toll. Hanne ist die zweite Frau? Hmhm. Geldangelegenheiten sauber geregelt? Was du nicht sagst. Sie zahlt zwei Fünftel, du drei Fünftel der gemeinsamen Ausgaben? Ja dann. Gähn. Ach so, wegen des Einkommensschlüssels als Berechnungsgrundlage. Soso. Ich dachte, Geld spielt keine Rolle?!

Wie bitte? Dich interessiert die Story von wildfremden Deutschen nicht? Ja, denkste uns?!

Der Kanadier an sich

NATIONALPARK KOUCHIBOUGUAC, NEW BRUNSWICK

Es ist nun an der Zeit, mit dem allgemeinen Klischee vom „Kanadier an sich“ aufzuräumen, der ja gemeinläufig und reiseliterarisch als absolut freundlich und durchaus aufgeschlossen beschrieben wird. Leider kann ich das so nicht stehen lassen, denn der „Kanadier an sich“ ist absolut nicht „absolut freundlich“ und durchaus nicht „durchaus aufgeschlossen“, sondern in Wahrheit MEGA freundlich und UNFASSBAR aufgeschlossen. So, die These steht. Argumente lasse ich weg. Hier meine Beispiele (immerhin in chronologischer Reihenfolge):

Wir stehen vor dem „Whale watch office“ und haben a) schon genug erlebt für den Tag, b) schon genug Geld ausgegeben für diese Woche und würden c) gerne die Nacht kostensparend auf dem Parkplatz vorm Office verbringen. Stammelnd stehe ich vor der Dame und radebreche irgendwas mit „was wondering if“ und „might not be possible“ und dergleichen, werde aber sofort unterbrochen mit „absolutely no problem!“ Dem nicht genug werden ungefragt weitere kostenfreie Übernachtungsmöglichkeiten auf der kleinen Insel angeführt, die für uns ebenfalls in Frage kommen könnten, kombiniert mit individuellen Empfehlungen und Detailinformationen über den jeweiligen Spot, gepaart mit dazugehöriger Karte und einem Kugelschreiber als Andenken. Äh, Wahnsinn! Danke!

Abends – die Kinder liegen schon in der Koje – nähert sich ein Typ mit Warnweste unserem Fahrzeug. „War ja klar! Jetzt gibt es doch noch Ärger!“, brummelt Stefan. Schon klopft es an unsere Fahrzeugtür. Doch bevor der verstimmte Deutsche sich ergeben ans Steuer setzten kann, stellt der vergnügte Kanadier sich als unser „neighbour“ vor und setzt sich grinsend zu uns an den Tisch. Der LKW-Fahrer kam direkt von der Arbeit. Hatte bis eben fangfrischen Lobster ausgefahren. (So einen Hummer hätte ich zu gerne auch mal probiert. Aber leider sind die Biester ja orange und nicht gelb, womit sie dann wohl außerhalb unseres Budgets liegen dürften.)

Nach einer längeren Etappe am darauffolgenden Tag erblicken meine Augen das Schild „Farm Shop“ und eine innere Stimme flüstert mir zu: „Scheiß auf die Kohle! Hol dir den Salat!“ Nach erfolgreichem Tauschhandel hängen wir noch ein wenig auf dem Parkplatz rum, bis schließlich der Farmer persönlich auf unsere Feuerwehr zu läuft. „Mist! Jetzt müssen wir hier weg!“, kombiniert der europaerfahrene Camper. Aber nein, wir dürfen bleiben, beschwichtigt der kanadische Bauer. Der war nur vorbeigekommen, um uns den seiner Meinung nach schönsten Platz auf seinem Anwesen zu empfehlen. (Hat man da noch Worte?)

Dass wir die freundliche Einladung nicht angenommen haben, bereuen wir um 23:00 Uhr: Ein V8 mit Lampe auf dem Dach rollt in der Dunkelheit neben uns. Ich panicke Stefan aus dem Bett. „Polizei! Wir müssen weg hier!“ Schon findet sich ein Konvoi weiterer Fahrzeuge ein, um uns komplett zuzuparken: ein Schaufelbagger, eine Dampfwalze, ein Kipplader. (Schlag mich tot, wenn das jetzt irgendwelche anderen „Bagger“ waren.) Und dann geht es ab: Wieselflink werden im Scheinwerferlicht diverse Straßenbauabfälle abgetragen. Ich beobachte alles ungläubig aus dem Fenster und überlege, ob wir hier nicht ziemlich doll im Weg stehen, als auch schon - „Aha, siehste! Wir sollen Platz machen.“ - ein Baustellentyp an unsere Tür kommt, um sich zerknirscht bei uns dafür zu entschuldigen, dass er leider leider auch nachts seiner Arbeit nachgehen muss: „I am very sorry to disturb your sleep.“ Ist es nicht einfach unglaublich, wie die Leute hier drauf sind?!

So, jetzt habe ich aber genug Nettes gesagt, um auch mal ein wenig zu lästern zu dürfen. Der Kanadier an sich ist nämlich - Juchuh, nächstes Klischee bestätigt! - total abergläubisch: Der Kapitän des Wal-Beobachtungs-Kutters „Mega Nova“ ist im Winter Hummerfischer und im Sommer Touristenkapitän. „Und das schon seit 12+1 Jahren“, betonte der Käpt´n, denn die andere Zahl darf an Bord eines Schiffes auf keinen Fall genannt werden. Tse tse tse.

Auch an das nächste Stereotyp vom Nordamerikaner konnten wir unseren Dann-stimmt´s-also-wirklich—Haken setzen. „Big is beautiful“ lautet ja angeblich die Lebensphilosophie, die sich - zumindest in Bezug auf die Camper unter den Kandiern - bei einem jeden Gang über einen jeden Campingplatz verifizieren lässt. Fassen wir zunächst einmal das vier- bis 20-rädrige Fahrgestell ins Auge: 4x4 ist nicht Ausnahme, sondern Standard. Und dann erst die Wohnmobile! Hier ist der Begriff „mobiles Heim“ (besser bekannt als „mobile home“) wirklich mal angemessen, während man augenblicklich alle deutschen Wohnwagen in „rollende Schlafsäcke“ umtitulieren müsste. Ich übertreibe kaum, wenn ich dir sage, dass ALLE kanadischen Reisemobile ausfahrbare Seitenwände haben, die meisten davon sogar 5-6 solcher Module. Mit unseren „mickrigen“ 7,5 Metern Länge und 2,5 Metern Breite, mit denen wir in England und Spanien bisweilen die straßen- und städtebaulichen Limits ausgereizt hatten, werden wir HIER in der Regel direkt neben den Zeltern oder den „sonstigen Freaks“ untergebracht.

Teil des kanadischen Campingzubehörs ist natürlich der Grill – also genau wie bei den Deutschen, könnte man meinen. Aber beim nordamerikanischen Freund des Barbecues wird kein klappriger Campinggasgrill ausgepackt (Wo denkst du hin!), sondern das Monsterteil mit Zweiphasen-Aufleger, drei stufenlos verstellbaren Gasdreh-Gedöns-Dingern und vier Ablageflächen sowie stabilem Unterbau aus fünffach verhärtetem Stahl. Schon am Morgen wird mittels dieser Außenküchen auf sämtlichen Nachbarparzellen der Frühstücksbacon gebrutzelt, um sich im weiteren Verlauf des Tages über gesunde Ernährung nicht mehr so den Kopp machen zu müssen. Am Strand von „Kellys Beach“ im Nationalpark „Kouchibouguac“ wurden allüberall fröhlich die riesigen Süßigkeiten-Packungen, die gigantischen Chipstüten, die neonfarbenen Erfrischungsgetränke für die Kleinen und diverse andere mehrfach verpackte und konservierte Lebensmittel ausgepackt. Mit unseren eingetupperten Apfel- und Möhrchenspalten kamen wir uns auf unserer winzigen Picknickdecke vor wie die reinsten Ökofaschisten.

An dieser Stelle könnte auch der erstaunte Aufschrei einer Frau an der Supermarktkasse Erwähnung finden. Nachdem ich die Waren in meinen eigenen Stoffbeutel gepackt hatte, rief sie entzückt aus: „You are bringing your own bag! What a great idea!“ (Also, falls du demnächst durch Kanada reisen und einen Einheimischen mit eigenem Einkaufsbeutel sehen solltest, dann weißt du, wer den Anstoß gegeben hat.)

Den Kanadier an sich sieht man - last but not least - ständig und immer mit einem „Coffee to go-Becher“ in der Hand. Wer, wenn nicht ich, hätte dafür Verständnis! Es gibt doch nichts Besseres als eine Tasse Kaffee am Morgen, am liebsten frisch aus der Espressokanne vom Feuerwehrherd, aber auf JEDEN Fall: mit Milch! Kaffee ohne Milch kann man ja bekanntlich nicht trinken. Und einen Tag ohne Kaffee zu beginnen, das bringt nix. Haben wir heute Morgen gemerkt.

Gestern Abend war ich schon mit dem unguten Gefühl eingeschlafen, dass keine Milch mehr da war. Oh oh. Auch im Campingplatz-Mini-Shop gab es leider keine mehr. „Erst wieder heute Mittag“, flötete die Dame mit ihrem sorglosen Gemüt. „Never mind“, log ich mit falschem Lächeln - und hätte am liebsten vorzeitig ausgecheckt. Geht´s noch?! Ohne Milch geht bei uns GAR nichts! Also komme ich ins Grübeln: Wer ist schuld daran, dass ich jetzt keinen Morgenkaffee kriege? Falsche Einkaufsphilosophie? Schlechte Produktrationierung? Seien wir mal ehrlich, die Frau an der Rezeption war hier ja nur die Spitze des Eisbergs! Immer wieder habe ich diese Szene vor Augen: Stefan am Kühlschrank. Der nur zu einem Viertel gefüllte 4-Liter-Kanister Milch wird entnommen, um Platz für hopfenhaltige Erfrischungsgetränke zu schaffen. Heimlich führt der Mann den Bottich zum Mund. Gluck. Gluck. Gluck. Schon ist sein Problem gelöst und unser aller Schicksal besiegelt.

ICH? Schlechte Laune!? DER ätzt hier doch die ganze Zeit rum: „Und ich dachte schon, dass du heute mal Frühstück machst.“ Das ist jawohl die Höhe! Da macht man und tut man und dann sowas. Dabei hat Stefan doch außer Auto fahren, Einparken, Stühle ausladen, Strom andocken, Handys aufladen, Kochen, Wäsche waschen, Feuer machen und Gitarre spielen gar nichts zu tun! Sogar den KAFFEE koche ich. Meistens. (Okay, manchmal.)

Ich sag nur: Männer! Und ich schreib erst weiter, wenn ich meinen Kaffee hatte!

Greenhorns

MIRAMICHI, NEW BRUNSWICK

Wenn wir - wie gestern - vorsichtig ankündigen, dass es mal wieder ein laaanger Fahrtag mit mindestens SECHS Stunden Fahrzeit werden könnte, dann leuchten bei Martha die Augen. Endlich kann man mal in Ruhe stoffwechseln, die Luft mit Blicken perforieren, sich in der Zirkulationsatmung üben… Gäbe es die Atemmeditation noch nicht, so hätte Martha sie erfunden. Ihr Vater, der trotz friedliebender Grundhaltung „gedient“ und in einer Minute seinen Wanderrucksack gefechtsmäßig gepackt hat, der musste schon so manches Mal seinen Kopf schütteln angesichts dieser absoluten inneren Ruhe, die durch nichts aus dem Gleichgewicht zu bringen ist. Selbstironisch puffert Martha jeden verbalen Anschlag mit einem verzeihenden Lächeln ab. So auch gestern Morgen, nachdem unser Stammeshäuptling namens „Der sich ´nen Wolf lenkt“ ihr passend zur Situation am Frühstückstisch den indianischen Namen „Die vor dem Pfannkuchen meditiert“ verpasst hatte. Martha jedoch hätte sich lieber den Namen „Lahme Ente“ gegeben und ich lobte pädagogisch wertvoll ihre Selbstreflexionsfähigkeit. Gemeinsam haben wir uns dann auf den Titel „Lahmende Schildkröte“ geeinigt. Das ist übrigens ein Kompliment, denn die Spezies der „Lahmenden Schildkröte“ sind ganz und gar liebenswerte Wesen: loyal, treu, empathisch und durch und durch optimistisch. Martha findet: „Das Gute reist immer mit uns mit.“ Recht hat sie! Und am Ende des Tages stelle ich immer wieder kleinlaut fest: Nicht mein Kind muss schneller, sondern die Welt muss ruhiger werden. Ohmmm…

Da wir uns - ich weise nochmals darauf hin - auf einer Bildungsreise befinden, war es aber nicht damit getan, uns gegenseitig Indianernamen zu geben, sondern wir wollten uns heute endlich mal in Sachen „Urvölker“ weiterbilden. Dass die komplizierten Namen der hiesigen Naturparks von den Mi´kmaq-Indianern herrühren (was so ähnlich wie der „Big Mac“ ausgesprochen wird), haben wir mittlerweile verstanden. Es war allerdings nicht so einfach, an dieses Stück Bildung heranzukommen.

Als wir weit nach Mittag endlich vor einem Informationszentrum über die Ureinwohner standen, hatten wir bereits eine halbe Weltreise und diverses Durchfragen hinter uns. Museen und sonstiges Trallalla über die ersten Siedler, seien sie nun französischen oder englischen Ursprungs, gibt es hier an jeder Straßenecke. In Miramichi, wo wir laut Reiseführer angeblich etwas über die „Natives“ herausfinden sollten, fanden wir jedoch nur einen bärtigen Geologen, der uns (mal wieder) ganz viel über die Geschichte seiner Vorfahren erzählen konnte.

In Kurzversion war das in etwa so: Einer baut da ´nen Stand auf und sagt: Alles meins! Da hat auch erstmal keiner was gegen, denn es ist ja sonst keiner da. Jetzt braucht der aber noch mehr Leute von seinem Schlag (z.B. unbedingt protestantisch und französisch). Einen Interessenten hat er schon. (Der hat sich dafür sogar extra umtaufen lassen.) Hm, ist aber irgendwie noch ein bisschen leer hier. Also wird so eine Art Ultimatum verhängt, frei nach dem Motto: Du darfst hier ganz viel Land umsonst haben, wenn du es innerhalb eines Jahres schaffst, noch fünf weitere protestantische Franzosen klarzumachen. Bis zum Wintereinbruch lief´s ganz gut. Danach kriegten sie wohl kalte Füße.

Doch auf der anderen Seite vom Fluss macht einer ein besseres Angebot. Der ist - nehmen wir jetzt mal an - katholisch und Brite (oder auch andersrum) und sagt: Pass mal auf, wenn du es schaffst, innerhalb eines Jahres auch nur EINEN weiteren katholischen Briten hier anzusiedeln, dann kriegst du so viel Land, wie du willst. Das kann doch nicht so schwer sein… Hat aber wieder nicht geklappt. So weit die exklusive Erläuterung des bärtigen Experten. (Sollte ich die eine oder andere Detailinformation durcheinander gebracht haben, dann darfst du das gerne auf seine nuschelnde Aussprache schieben.)

Auf irgendeine mysteriöse Weise haben sich im Laufe der Zeit aber doch noch ein paar Leute aus England und Frankreich hier eingefunden und sich in regelmäßigen Abständen ordentlich über die Ländereien in die Haare gekriegt. Außerdem gab es zwischendurch noch Besuch aus Schottland per Schiff, die lagen nicht vor Madagaskar und hatten nicht die Pest an Bord, aber die Lepra. Die wurden dann auf die einsame Insel verlagert, vor deren Kulisse wir all diese Informationen - wohl zu Einstimmungszwecken - erhalten hatten. Dabei wollten wir doch gar keine Bootstour zum Gebeinehaufen buchen, sondern waren - schon vergessen? - eigentlich wegen der Ureinwohner hierher gekommen.

Als wir diese dann tatsächlich irgendwann, tief in den kanadischen Wäldern in Form des Metepenagiag Heritage Parks gefunden hatten, mussten wir einsehen, dass sich hierorts - zumindest an diesem sonnigen Tag - NIEMAND außer uns für kanadische Urvölker interessierte. (Der Typ an der Kasse war auch direkt total nervös: Aaaah, Besucher, was mache ich denn jetzt?!) Dabei war es sehr schön, dieses Museum, sogar mit Ausgrabungsstätte, großem Kinosaal und Trallala - ganz für uns alleine; da kann man sogar als Deutscher nicht meckern!

Tja, und wo wir schon mal wie die Streitaxt im Walde standen, beschlossen wir, nach erhaltener Bildung endlich mit den obligatorischen Wanderungen durch die Wildnis zu beginnen. (Wofür waren wir denn schließlich in Kanada?!) Schnell stellte sich jedoch heraus, dass wir noch immer die totalen Greenhorns unter den kanadischen Wanderern sind. Kaum hatten wir unseren großen Zeh auf den Waldboden gesetzt, ging es los: „Ich habe Durst!", „Mir ist warm!", „Ich muss mal!“ Wir also wieder zurück zur Dicken. Bis alle nochmal getrunken, Pipi gemacht, dringend Kekse gegessen und sich fleißig eingecremt hatten, verging nochmal so ´ne gefühlte Stunde. Jetzt aber ab in den Forst! Haben wir das Bärenspray? Okay, super. Nach ca. zehn Schritten galt es, die nächste Hürde zu überwinden: Mückeninvasion. Also nochmal zurück und mit dem neuen, KANADISCHEN Spray eingesprüht. Schon der Name - „Off“ - ist eine klare Kampfansage. Das deutsche Vergleichsprodukt namens „Anti-Brumm“ hatte schon in Runde 1 eine vernichtende K.O.-Niederlage erlitten. (Es gab viel Gelächter unter den Insekten.)

Als wir dann tatsächlich endlich durch den Wald streunten, wurde es für die Dauer von Minuten spannend. Hinter jedem Baum vermutete ich den Bären. Puls von 200. (Wie halten andere Wanderer bloß den täglichen Nervenkitzel aus?) Plötzlich kamen wir aus Versehen auf eine breite Straße und diese führte uns zu einem Fluss: Schön flach, ´n bisschen Strömung, nicht zu kalt, perfekt zum Baden. Na also! Das war schon eher unser Terrain. Mit Wasser, Sonne und Plantschen kennen wir uns als ehemalige Wahlspanier ja schließlich aus. Vorläufiges Fazit: Die Brightmans müssen sich noch ihre „green horns" abstoßen, um zu echten Outdoor-Freaks zu werden.

Bestätigt wurde ich darin durch meine Konversation mit einem kleinen Jungen, der mit seinem Freund ebenfalls im Fluss badete. Ich so: „Have you ever seen a bear?" Der schaut mich an, als käme ich vom Mond, und sagt: „We see them ALL THE TIME!“ Ich schien seine Gedanken richtig erraten zu haben, denn schon fragt er mich konsterniert: „Where are YOU guys coming from?" Man wird doch wohl mal fragen dürfen!

Übrigens habe ich längst meinen ersten Bären gesehen: einen Babybären! Gestern. Im Gebüsch. Schön gemütlich vom Beifahrersitz der Feuerwehr aus. In your face, little canadian boy!

Das Leben ist nicht immer nur Pommes und Disco

NATIONALPARK MONT TREMBLANT, QUÉBEC

Wenn Stefan eine Reise plant, so folgt er dem folgenden Konzept: Um die großen Städte (um Städte im Allgemeinen!) einen großen Bogen machen. Stefan HASST Städte. Zu viele Menschen, stinkige Gassen, watt nich alles. Schon tausendmal gehört. Mein Mann hasst nur eins mehr als Städte: öffentliche Verkehrsmittel. Nicht ohne Grund trägt Stefan auf seinen T-Shirts das Emblem seiner Lieblingsserie aus den 80ern: „The Unknown Stuntman. Ein Colt für alle Fälle.“ Und steigt ein Stuntman am Ende des Drehtages in den Bus?

Auch in Québec-City wurden meine Erwartungen hinsichtlich der antizipierten Verfluchungen nicht enttäuscht. Spätestens ab 9:20 Uhr hatte Stefan seinem Städte-Tourette freien Lauf gelassen. Als wir eine Stunde später dann endlich den meilenweit außerhalb liegenden Parkplatz gefunden hatten, hatte ich bereits eine private Stadtführung mit der Feuerwehr hinter mir: Direkt am Schloss vorbei, einmal durchs Stadttor gecruist, kurz mal geguckt, ob vorm Hilton noch ´n freier Parkplatz ist. Da war keiner frei. (Meine Güte, hätte ja sein können!)

Als wir dann so gegen Mittag die Innenstadt erreicht hatten und den flimmernden Blick von oben übers Wasser gleiten ließen, brannte der Lorenz schon ordentlich auf den Sankt Lorenz, denn so heißt der Fluss, der mitten durch Québec-City fließt. Meinen Morgenkaffee hatte ich noch immer nicht getrunken, geschweige denn gefrühstückt. Unsere Mädels hatten dafür eh keine Zeit und ihre Aufmerksamkeit stattdessen sofort den Straßenkünstlern gewidmet. Verglichen mit den besoffenen Zauberern vom Retiropark in Madrid war das tatsächlich ganz großes Kino! Sogar mit Tribünen rechts, links, vorne. Immer wieder das Witzigste an diesen Darbietungen: Die Zuschauer werden mit eingebunden, weil der Akrobat ja auch mal Pause machen muss. Auch das hasst Stefan, der drehbuchgemäßg rumhibbelt, weggeht, nochmal auf den Lorenz schaut, sich am Ende doch zu seiner Familie gesellt und sogar anfängt, selbst an den „Darstellern“ rumzuwitzeln. „Guck mal, der Deutsche da! Der macht sich hier echt zum Horst.“

Irgendwann schafft es der lustige Akrobat, in Stefan sein Opfer zu erkennen und ihm zwischendurch ein Fähnchen in die Hand zu drücken. Dieser ahnt noch nichts, gibt den Staffelstab aber vorsichtshalber an Edda weiter, die damit fröhlich herumwedelt. Und schon werden die vier Auserwählten auf die Bühne gebeten – halt alle, die vorher so eine Fahne gekriegt haben. Prima Plot! Als Stefan einsehen muss, dass er seine Tochter da nicht vorschicken kann, bohrt er mir die Spitze des Fahnenstiels in den Oberschenkel und zischt zwischen seiner geschlossenen Zahnreihe die Warnung: „Wenn du auch nur EIN Foto machst!“ Wir drei Frauen der Familie hatten einen Mordsspaß. Stefan weniger. Lediglich der Typ rechts von ihm (wie es der Zufall wollte auch Deutscher; die werden wohl am liebsten verarscht) hat eine noch genervtere Visage aufgesetzt als er, denn natürlich wurden sie nach allen Regeln der Kunst vorgeführt: dämliche Cowbowhüte, Tanzeinlagen, Michael-Jackson-Moves, das volle Programm. Stefan ließ alles mit grimmiger Miene über sich ergehen und ich habe – muss ich das noch erwähnen? – Tränen gelacht. Ich konnte kaum das Handy halten.

Schwamm drüber. Mittlerweile ist der Mann eh wieder entspannt, denn wir sind da, wo wir hingehören: in der Natur. Wir stehen an einem Fluss, das Sonnenlicht wirft lustige Sonnenflecken auf den weichen Waldboden, Vogelgezwitscher, Entenquaken, anderes Getier macht undefinierbare Geräusche - der berühmte Nationalpark Mont Tremblant ist in greifbarer Nähe. Gleich würden wir dort einchecken und die Gletscherseen erkunden! Vergessen ist der Stress um die elendige Stellplatzsuche. (Ganz Québec hat gerade Urlaub.) Rein ZUfällig hatten wir diesen Ort der Stille zu Füßen des Nationalparks gestern noch gefunden. Nur SEHR knapp hat unsere Dicke durch die Einfahrt zum Zeltplatz (!) gepasst. Nur ein GANZ kleines bisschen haben wir uns damit den Lack zerkratzt. VÖLLIG egal.

Und weil es so gut zur Stimmung passt, berichte ich nun von unserer Begegnung gestern Abend auf diesem Mini-mini-mini-Campingplatz inmitten wunderschöner Natur. Denn das ist ja das Schönste am Rumreisen: Dass man lauter nette Leute aus aller Herren Länder trifft und sich ganz vorurteilsfrei und offen am Lagerfeuer begegnet. Klingt kitschig? Wieso? Ganz ohne Vorurteile kann man sich nicht begegnen? Da bin ich aber anderer Meinung!

Jedenfalls sind die Kinder schon fast im Bett, als ein junges Paar sich unserer Parzelle mit vier Metallbechern nähert. Er: den halben Schädel abrasiert, der restliche Teil lang gelockt. Sie: etwas schleppende Aussprache, ein bisschen schlechte Körperhaltung. In der Summe: leicht abgerissene Typen. Eindeutig Zelturlauber mit geringem Budget, analysiere ich ganz vorurteilsfrei. Da sei noch heißer Kakao übrig, ob wir vielleicht Interesse an einem Tässchen hätten? Erstmal nichts gegen auszusetzen, befinden wir und setzen uns gemeinsam ums Lagerfeuer, jeder einen Blechnapf in der Hand. (Abgesehen von den Kindern, denn die hatten schon ihre Zähne geputzt.)

Erster Schuck. (Igitt, was ist denn das? Das schmeckt aber irgendwie anders als unser Kakaopulver. Pokerface.) Wir beginnen – noch etwas zögerlich – ein Gespräch und es stellt sich heraus, dass die beiden aus Israel kommen. Ich habe überhaupt noch nie einen echten Israeli kennen gelernt. Die kennt man ja nur aus den Fernsehnachrichten. Da ist dann immer Ballerei im Hintergrund. (Was sind denn das für Krümel im Kakao? Irgendwie befremdlich.) Und wie ist „daily life in Tel Aviv?“, will ich wissen. Er erzählt von vergnüglichem Nachtleben, hartnäckigen Medientrugschlüssen und dem langjährigen Militärdienst, wo er im Übrigen total hinter steht. Aha. Soso. Das sehe ich aber anders! (Ey, das sind doch HAUPTSÄCHLICH Krümel in dem Becher! Was haben die uns denn da REIN getan? Trinken die eigentlich auch mit?) Schnell Kinder ins Bett bringen, Krümel ausspucken. (Was IST das?)

Als ich wieder raus komme, unterhalten sich bereits alle recht angeregt: über Toleranz im Allgemeinen und Speziellen (wichtig!), „Leben und leben lassen!“ (sehen wir genau gleich), über den Lehrerberuf (wird von ihr angestrebt und von mir gutgeheißen), über das eigentlich friedliche Nebeneinander der verschiedenen Kulturen in Tel Aviv. Ich muss sagen: absolut nette Leute! Und total leckerer Kakao. Mal was anderes. Waren bestimmt echte Kakaobohnen drin. Nicht immer nur dieser industrielle Kram, den man so kennt. Würde ich nur beim nächsten Mal mit MILCH zubereiten, nicht mit Wasser. (Behalte ich aber für mich.)

Kakao am Abend. Kaffee am Morgen. Was kann da noch schiefgehen? Direkt nach dem Auschecken wollen wir beim Nationalpark Mont Tremblant, wo wir gestern an der Pforte abgewiesen worden waren (weil ausgebucht), wieder einchecken. Schließlich hatten wir am Abend zuvor noch online einen Stellplatz reserviert, nachdem die nette Dame an der Rezeption das auf ihrem Bildschirm nicht buchen konnte (Häh?) und wir das aber ihrer Meinung nach „very easy“ selbst online auf der Webseite erledigen können. (Na dann.) War wirklich easy.

Nun stellt sich jedoch heraus, dass wir nicht HIER gebucht hatten (Nicht?), sondern bei einem anderen Campingplatz (Ach?), denn es gibt nicht nur den Nationalpark Mont Tremblant (Ach nicht?), sondern auch den Ort mit gleichem Namen (So?) und der Campingplatz dieses Ortes heißt dummerweise genauso wie die SEKTION von dem ihr seinem Campingplatz: „Le Diable“. (Ach so.) Ich glaub, ich steh im Wald - stimmt ja auch. Und das alles nur, weil die gestrige Dame uns nicht einbuchen konnte! Von wegen „very easy“! Scheiß auf das Germans-meckern-immer-rum-Image! Jetzt lasse ich meiner deutsch-deutschen DNA freien Lauf!

Stefan hat auch 200 Puls: „Bloß weg hier! Ich hab hier alles gesehen!“ Während seiner grimmigen Fluch-Salve macht noch einer das 1000ste Bild von unserer Feuerwehr. Bitte lächeln! - Kein Bock jetzt! Der Fahrer braucht heute auch keine Mädchen-CD im Player, ACDC muss es schon sein. „Wer weiß, wofür es gut ist“, versucht Stefan - von wohltuenden Klängen emotional stabilisiert - einen versöhnlicheren Ton anzuschlagen. (Gelingt so halb.) Nur Marthas Laune ist wieder einmal unverwüstlich: „Bestimmt haben wir nur wieder Glück im Pech!“, ist ihre Devise. Damit bezieht sie sich auf gestern, als wir am Ende der enervierenden Stellplatzsuche glücklicherweise den naturnahesten Platz unserer Reise bekommen hatten. Währenddessen hält das Kind milde lächelnd ihre Bierdose in der Hand – zum Kühlen versteht sich! Denn Martha hatte heute Morgen „aus Versehen“ ihre Finger in die noch nicht erkaltete Asche vom Lagerfeuer gesteckt. (Herr lass Hirn vom Himmel fallen! Wie kann man nur so bl…) „Mama, wie geht es eigentlich DEINER Brandblase?“, reißt sie mich aus meinen Gedanken. Werd jetzt bloß nicht frech!, denk ich und sage „Prima! Danke, meine liebe Maus!“ Ist grad so schön harmonisch in der Feuerwehr. (Das mit der Brandblase ist ´ne ganz blöde Geschichte und hat mit Herd, offenem Feuer und Kaffeekanne zu tun.)

Im Hintergrund singt der „Gott of Schlager“: „Das Leben ist nicht immer nur Pommes und Disco, das sag ich dir!“ Wo er Recht hat, hat er Recht. Manchmal ist das Leben einfach nur eine Flasche Bier, heute eben auf ´nem Campingplatz mit Wasserpark und Hüpfburg. Es muss ja auch nicht IMMER ein Becher Kakao im Nationalpark sein.

2. Sometimes the world is smiling on you - wildes Ontario

„Lettin' loose around the world, but the call of home is loud, still as loud.“ (Slade)

Die Bären sind los!

Camper schutzlos ausgeliefert. Auch Deutsche unter den Opfern.

PROVINZIALPARK ALGONQUIN, ONTARIO

Warum fiel unsere Wahl eigentlich auf Kanada und die USA? Zugegeben - mir war das Reiseziel fast egal. Hauptsache nicht gefährlich, endlich mal ausschlafen, viel Familie, Füße hoch, Pott Kaffee in der Hand, Hooters, Mark Knopfler oder meinetwegen auch der Bibi-und-Tina-Tina-Soundtrack 1-4 im Player. Eigentlich schnuppe, Hauptsache Rock´n´Roll! Und dann quasi als soundsovielte Siedlergeneration den fernen Kontinent entdecken, ganz in der Tradition von Columbus. (Der wollte ja eigentlich auch woanders hin. Indien, Amerika? Schall und Rauch! Kann man ja hinterher immer noch umbenennen.) Und dann traditionsgebunden „Weg da! Aus dem Weg! Wir kommen!“

Nun ja. In Wirklichkeit müssen WIR ständig rechts ran, um die lange Schlange hinter uns vorbei zu lassen. „KEIN Auto außer uns hat hier Probleme bei der Steigung. Hier ballern sogar die Trucks mit 120 Sachen den Berg hoch.“, stellte Stefan unlängst missmutig fest. Stimmt, aber dafür verbrauchen die auch 40 Liter. Regelrechte Schluckspechte. Und wir spaaa.reeen! Juppidei! Über uns fliegt wieder ein Eagle, zieht seine Kreise und denkt auch nicht an seine Rente.

Jedenfalls hatte Stefan bei der Reiseplanung absolute Handlungsfreiheit. Seine Wahl fiel auf Kanada - und zwar nicht TROTZ, sondern WEGEN der Bären. Bei mir war es von Anfang an umgekehrt. Ich bin eben nicht so für eine Lebensbedrohung durch Wildtiere, noch nicht einmal durch Hunde - ob groß oder klein, ob die nun „nix tun“ oder „nur spielen wollen“; ich bin da mehr so Menschenfreund. Das ist aber noch lange kein Grund, ständig auf meiner „Tierliebe“ rumhacken. Es ist nun einmal mein Auftrag als Mutter, die Kinder durchzubringen. Beschützerinstinkt. Um die Verpflegung kümmert sich mein Mann und ich passe auf, dass wir nicht zu nah an den Feind kommen. So hat es die Natur vorgesehen und man soll nicht in den natürlichen Kreislauf der Dinge eingreifen.