Hinter den Kulissen - Margaret Setje-Eilers - E-Book

Hinter den Kulissen E-Book

Margaret Setje-Eilers

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Beschreibung

Eine Tochter spricht von Veränderung und Enttäuschung, vom Traum ihrer Eltern, von DEM einen Theater. Das Berliner Ensemble, gegründet 1949 von Bertolt Brecht und seiner Frau Helene Weigel, war und ist ihr mehr als nur ein Schauspielhaus. Gemeinsam mit Barbara Brecht-Schall erinnern sich dreizehn Theaterfrauen im Gespräch an Erlebnisse und Erfahrungen, das Rampenlicht, Fehler und Erfolge. Von der Assistentin bis zur Inspizientin, von der Maskenbildnerin über die Souffleuse, sie alle sind Teil des BE und machen den Grundstock dieses Theaters aus. Denn Ensemble bedeutet Zusammengehörigkeit. Ganz persönlich und aus der Nähe hat Margaret Setje-Eilers ihre Geschichten erfahren.

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Impressum

ISBN eBook 978-3-355-50017-3

ISBN Print 978-3-355-01831-9

© 2015 Verlag Neues Leben, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Die Bücher des Verlags Neues Leben erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

Margaret Setje-Eilers

Hinter den Kulissen

Theaterfrauen des BE erzählen

Vorwort

Von seiner Gründung 1949 an bis heute hatten am Berliner Ensemble Frauen – wie Helene Weigel und Ruth Berghaus – großen Einfluss; nicht nur auf der Bühne, was bekannt ist und hinlänglich gewürdigt wurde, sondern auch in den weniger sichtbaren Bereichen des Theaters.

Einzigartig, so beschreiben einige dieser Frauen das BE während der Anfangsjahre und der DDR-Zeit, als das Ensemble wesentlich größer war als heute. Nachdem Claus Peymann 1999 die Intendanz übernahm, änderte sich das Gesicht des Theaters. Im Allgemeinen bleiben Schauspieler nur noch über kurze Zeiträume am selben Haus. Man darf aber nicht vergessen, dass das Repertoiresystem das Theater in Berlin und an anderen deutschen Bühnen grundsätzlich geprägt hat, während in vielen Ländern der En-Suite-Spielbetrieb vorherrscht. Trotz der unterschiedlichsten Ensemble-Bilder vor und nach der Wende hat das Wirken von Frauen im früheren und auch im gegenwärtigen Ensemble dazu beigetragen, das BE zu einer der führenden Sprechtheaterbühnen Deutschlands zu machen und diese Position zu behaupten.

Manche der Frauen, die das Bild des BE geprägt haben, blieben ihm auch nach der Wende treu. Noch heute gibt es einige Mitarbeiterinnen, die schon zu DDR-Zeiten dort engagiert waren.Viele dieser Frauen erklärten sich, gemeinsam mit Jürgen Holtz, der als Mann in einer hervorragenden Frauenrolle (Königin Elisabeth I. und II.) ebenfalls in den Interview­band aufgenommen wurde, freundlicherweise bereit, über ihre langjährige Tätigkeit am BE zu sprechen. Meine Gesprächspartner arbeiteten – viele auch heute noch – auf und hinter der Bühne. Vertreten sind traditionelle Frauenberufe wie Souffleuse, Schauspielerin, Leiterinnen der Abteilungen Kostüm, Maske und Archiv, aber auch atypische Frauenberufe, wie Inspizientin, Theaterfotografin und die Leiterin des Büros der Bertolt-Brecht-Erben. Eine Stammbesucherin erzählt, warum sie seit Jahrzehnten immer wieder ins BE geht. Die vorliegenden Gespräche vermitteln einen Überblick über die Vielfalt der Arbeitsbereiche vom Anfang des BE bis zur Gegenwart. Die Dialoge geben nicht nur unterschiedliche Betrachtungsweisen gleicher oder ähnlicher Sachverhalte wieder, sondern umfassen auch eine enorme Zeitspanne. Die Beteiligten erzählen somit eine Theatergeschichte des BE. Nach dem Ende der Intendanz von Claus Peymann wird ein großer Abschnitt dieser Theatergeschichte unwiderruflich abgeschlossen sein. Aus diesem Grund sind die gesammelten Gespräche besonders interessant für Theaterliebhaber, Theaterwissenschaftler und Frauenforscher.

Barbara Brecht-Schall

Schauspielerin und Kostümbildnerin

Barbara Brecht-Schall wurde 1930 als Tochter von Bertolt Brecht und Helene Weigel in Berlin geboren und hegte bereits in den 50er Jahren den Wunsch, Schauspielerin zu werden. Ihre Kindheit verbrachte sie gemeinsam mit der Familie Brecht im Exil. Als Teenager kam sie zurück, zunächst in die Schweiz und später nach Berlin. Sie spielte in der DDR in Kinoklassikern wie »Berlin – Ecke Schönhauser« und »Lotte in Weimar« sowie am Berliner Ensemble und anderen Theatern. Die Fähigkeit ihrer Mutter Helene Weigel, für alle lebenspraktischen Probleme Lösungen zu finden, bringt Barbara Brecht-Schall auf den Punkt: »Helli nannte sich die Steine-aus-dem-Weg-Räumerin.«

Am 19. Juli 2005 gewährte mir Barbara Brecht-Schall in Buckow dieses Interview und machte mich mit Ekkehard Schall und ihren Töchtern Johanna und Jenny Schall bekannt. Ich kam spät an, nach der Fahrt durch die Märkische Schweiz, vorbei an prächtigen Sonnenblumenfeldern und Dörfern, übersät mit Storchennestern. Unser Gespräch wurde zweisprachig geführt, hauptsächlich auf Englisch. Das Interview ist nachträglich von mir selbst und Silke Riemann ins Deutsche übersetzt worden.

Ich bin sehr froh, hier in Buckow zu sein, Frau Brecht-Schall, ich kann es kaum glauben. Zuerst erkannte ich Sie gar nicht, denn es erschien mir, als würde Helene Weigel über den Rasen kommen, um mich zu begrüßen.

Herzlich willkommen! Sie kommen aus den USA, wo mein Bruder Stefan lebt. Und Sie wissen ja sicher von meinem Schicksal: Die zwei Männer, die ich wirklich liebe, sind beide sehr krank. Stefan in den USA – Sie werden ihn dort nicht treffen können – und Ekke, der zwei wunderbare Rollen vor sich hat.

Barbara Brecht-Schall und Ekkehard Schall während des Gesprächs in Buckow (2005)

© Margaret Setje-Eilers

Vorweg sollte ich Ihnen sagen, dass ich mich seit einiger Zeit sehr für das Berliner Ensemble interessiere.

Das existiert nicht mehr. Seit etwa fünfzehn Jahren gibt es kein Berliner Ensemble mehr. Ich habe keine einzige Inszenierung von denen gesehen, seit wir weggegangen sind. Ich gehe nicht in dieses Theater.

Ich untersuche anhand von Interviews den Ensemble-Gedanken, insbesondere die Rolle der Frauen am Berliner Ensemble. Ganz anders als in den USA, wo die Theaterleute für ein einziges Stück zusammenkommen und die Gruppe danach wieder verlassen, gibt es am BE ein Repertoiresystem. Mich interessiert die Geschichte dieses Theaters und wie die Menschen dort zusammengearbeitet haben, dass sie beispielsweise ihren Urlaub zusammen verbrachten, in Putgarten auf der Insel Rügen …

Nur sehr wenige der Schauspieler fuhren nach Putgarten. Es war ein Ferienlager, wo wir unsere Kinder hinschicken konnten, aber eher etwas für die Techniker. Der Begriff Techniker wird am Theater stellvertretend für alle Arbeiter exklusive der Schauspieler verwendet. Helli hatte also in Putgarten ein Haus gekauft und überließ es anschließend den Mitarbeitern. Jeder hatte sein Zimmer. Aber man darf sich das nicht als weltabgewandtes Miteinanderleben vorstellen, wo jeder bei jedem ein- und ausgeht.

Vergessen Sie nicht, das Theater begann mit Papa. Eigentlich mit Helli, weil sie diejenige war, die die harte Arbeit auf sich nahm, die Leute zusammenzubringen, ein Theater zu finden, Kleidung zu organisieren, Rationierungen, was auch immer Vater brauchte. Helli nannte sich »die Steine-aus-dem-Weg-Räumerin«. Es gab zwar auch zu dieser Zeit verschiedene Gruppierungen, aber es herrschte viel mehr Miteinander und Zusammenhalt am Theater. Als er starb, begannen die Rivalitäten. Helli hielt das Theater für eine lange Zeit zusammen, aber – so habe ich immer gesagt – schließlich brachte sie das Verhalten einiger Leute um. Nachdem Helli gestorben war, bekam Frau Berghaus das Theater, aber es hatte nichts mehr mit Brecht zu tun. Es wurde immer wieder alles geändert, lächerlich. Anfangs war Wekwerth wunderbar – »Arturo Ui«, »Coriolan«. Da war Wekwerth einzigartig, aber als er 1977 ans BE zurückkam, war das Großartige verschwunden. Ich weiß nicht, wo das geblieben ist. Ich habe noch nie so ein großes Talent so schnell verschwinden sehen, aber es ist passiert. Dann fiel die Mauer, er war draußen, und vier Intendanten kamen, die sich gegenseitig gehasst haben. Müller gewann schließlich die Oberhand, und dann starb er (seufzt).

Es begann eine neue Zeit der Verwirrung.

Matthias Langhoff, Mitglied des Fünfer-Intendanten-Gremiums, wollte späte Rache für seinen Vater. Ich habe das nie verstanden. Zum Glück konnte Ekke sagen: »Danke, ich habe genug.« Er hatte das Theater ja schon einmal verlassen, als Berghaus es übernahm. Aber er musste seine Rollen weiter spielen, so dass es gar nicht weiter auffiel, dass er gegangen war. Das war die Zeit, zu der er seine Brecht-Abende gab. Wir tourten durchs Land und hatten eine Menge Spaß. Und nun macht Herr Peymann – ich mag ihn nicht sehr – nach dem, was ich über ihn höre, sehr gutes Stadttheater. Das interessiert mich aber nicht.

Das Theater wird jetzt mehr wie ein Unternehmen geführt, auch wenn es Subventionen bekommt. Es muss einen bestimmten Prozentsatz an Karten beziehungsweise Plätzen verkaufen, damit es sich rentiert. Früher gab es nicht diese ökonomische Struktur.

Das war eine dieser großartigen Sachen: Die Regierung der DDR missbilligte damals zwar Brecht und seine Theorien, aber sie gab ihm ein Theater und Geld.

Die Führungsstruktur des Berliner Ensembles wird heute auch optisch deutlich: Die Büros der Geschäftsführung befinden sich im Dachgeschoss des Gebäudes, getrennt vom unteren Bereich. Wie Bertolt Brecht es in »Die heilige Johanna der Schlachthöfe«ausdrückt: »Denn es ist eine Kluft zwischen oben und unten.«

Genau. Es gibt dieses schreckliche Zimmer mit den Fauteuils und den Masken an der Wand im oberen Teil des Theaters. Das war früher Mamas Büro, und es war nicht so ungemütlich wie heute. Es war ein sehr netter, kleiner Raum. Sie hatte einen großen geschnitzten Stuhl für sich selbst und schöne Holzbänke an den Wänden, wo wir alle Platz nehmen mussten. Ich saß oft dort, obwohl ich da eigentlich nichts zu suchen hatte, und hörte alles, was diese Wekwerths und Bessons und wie sie alle hießen, sagten, die mir gegenüber immer gelogen haben. Ich glaube, sie hatten alle Angst, dass ich eines Tages ein Buch schreiben würde. Ich werde das nicht tun. Als Brecht ein Theater angeboten wurde, zuerst nur ein Raum im Deutschen Theater, damit er sein eigenes Ensemble aufbauen konnte, ließen sie ihn Schauspieler holen von wo immer er wollte. Dann wurde ihm die Position des Intendanten, also des künstlerischen Leiters, angeboten, und er sagte: »Nein, das macht die Weigel.« Das hatte er schon immer gesagt. Und sie tat es.

Wollte sie Intendantin sein?

Ich denke ja. Sie wollte zwar unbedingt als Schauspielerin auf die Bühne, aber sie nahm die Rolle der Intendantin an und war darin brillant. Einmal organisierte sie sechshundert Meter Cordsamt. Sicher hat man Ihnen davon schon erzählt. Grüner Cord. Jeder bekam etwas davon. Jahrelang erkannte man ein Ensemblemitglied an einer grünen Cord-Weste oder einem grünen Cord-Rock, oder, weil ein Kind eine grüne Cord-Jacke trug.

Das passt zu meiner Vorstellung von Gemeinschaftsleben: Wenn Menschen etwas gemeinsam haben.

Es passt nicht wirklich dazu. Das war, was da war, und man musste damals benutzen, was auch immer man hatte. Soweit ich mich erinnere, gab es noch Ruinen. Meine Eltern kamen 1948/49 nach Berlin. Ich reiste ihnen nach einem Jahr nach, und das Erste, was ich sah, war meine Mutter als »Mutter Courage«. Das war wirklich …

Im Herbst, das wissen Sie sicherlich, wird Carmen-Maja Antoni diese Rolle in Claus Peymanns Inszenierung am Berliner Ensemble spielen.

Ja, aber das interessiert mich nicht im Geringsten. Ich mag Carmen-Maja sehr, und ich freue mich für sie über ihren späten Erfolg, aber sie ist nicht im Entferntesten eine Helene Weigel und auch nicht eine Therese Giehse.

Ich glaube nicht, dass sie das von sich behaupten würde.

Nein, natürlich nicht. Sie ist eine viel zu freundliche Person. Ich werde sie mir trotzdem nicht ansehen.

Es ist bemerkenswert, dass Helene Weigel nach all den Jahren in den USA in der Lage war, so zu spielen. Sie selbst haben einige prägende Jahre dort verbracht, die Zeit zwischen ihrem elften und siebzehnten Lebensjahr.

Ja, so in etwa. Daher kann ich Englisch. Und wie man mir sagt, habe ich von dort immer noch meinen kalifornischen Akzent und meine Vorliebe für BLT-Sandwiches (Sandwich mit Speck, Salat und Tomaten) und Coca Cola (lacht). Aber Sie wissen, dass Vater natürlich für Helli die Rolle der stummen Kattrin in der »Mutter Courage« geschrieben hatte.

Soviel ich weiß, hat sie diese Rolle niemals gespielt.

Nein, sie hat sie niemals gespielt. Es gibt vieles, was sie verpasst hat. Sie spielte auch niemals im »Guten Menschen von Sezuan«, ebenso wenig wie die Grusche.

Sie war eine wunderbare Frau des Gouverneurs, aber natürlich ist die Grusche die größere Rolle.

Ich wüsste gern, wie sie es geschafft hat, das Ensemble zu leiten, nachdem ihr diese gewichtige Aufgabe der künstlerischen Leiterin übertragen worden war.

Erstens war sie ein praktischer Mensch. Ihr Büro war dort, wo später dann Die Möwe einzog. Das war ein Künstlerklub, wo Schauspieler hingehen und anständige Mahlzeiten essen konnten, als es keine anständigen Mahlzeiten gab. Helli bekam einige Zimmer dort. Sie wusste sehr genau, dass Vater nicht glücklich darüber war, Gast in einem anderen Theater zu sein und Rücksicht nehmen zu müssen, beispielsweise bei den Premieren. Er konnte keine Premiere ansetzen, wenn die Kollegen vom Deutschen Theater gerade eine hatten. Überhaupt brauchte Vater eine sehr lange Probenzeit. Wenn ihn jemand daraufhin ansprach, sagte er: »Ja, ein Kaninchen trägt zwei Monate und bekommt dann eben ein Kaninchen. Ein Elefant trägt zwei Jahre, aber dann kommt halt ein Elefant heraus.« (Lacht.) Und so versuchte Helli, das Schiffbauerdamm-Theater zu bekommen, wo die »Drei­groschenoper« bei ihrer Uraufführung ihren großen Erfolg gehabt hatte. Nach vielem Hin und Her hat sie sich dann durchgesetzt. Einiges war sehr gut dort, besonders im Umgang mit den Leuten … Helli kümmerte sich wirklich um alle, wissen Sie, was ich meine? Wenn jemand Probleme hatte, kam er zu ihr.

Wie hat Helene Weigel die Theaterleute unterstützt?

Sie besorgte Zimmer für die Mitarbeiter oder, wenn nötig, Wohnungen. In einer Stadt, die so stark bombardiert worden war wie Berlin, war das nicht leicht. Sie organisierte diesen Cordsamt, sie besorgte Ärzte, besonders wenn jemand ein Kind bekam oder wenn jemand Probleme mit den Kindern hatte. Sie war »die Mutter det Janzen«. Ich erinnere mich: Als ich meine erste Tochter hatte, Johanna, beschwerte ich mich darüber, dass ihre Schuhe so schlecht waren. Es waren wunderbare Schuhe, gemacht für die Ewigkeit. Bloß dass Kinderschuhe, vor allem Babyschuhe, nicht ewig halten müssen. Sie waren so hart wie Eisen. Mit denen hätte man durch Russland marschieren können, aber wer wollte das denn? Helli schrieb an die zuständigen Stellen und schaffte es tatsächlich, sie dazu zu bringen, die Schuhe, die sie produzierten, zu ändern. Meine Mutter war es auch, die dafür sorgte, dass Babymahlzeiten in kleinen Portionen verkauft werden. Sie kümmerte sich um alles.

Dazwischen spielte sie ihre Rollen. Aus ihrem Büro führte eine Tür, und dahinter gab es noch einen Raum, in dem die beiden Sekretärinnen des künstlerischen Betriebsbüros saßen. Wenn man die Tür zum KB öffnete, um nach dem Probenplan zu fragen oder um Urlaub zu bitten, weil man zum Beispiel einen Film machen wollte, passierte es meistens, dass Helli durch die offene Tür rief: »Ja, was ist es denn?« Man konnte auch von ihrem Büro in den Hof schauen. So sah sie alles, was los war, und steckte ihre Nase in alles hinein. Sie wusste alles. Im Winter gab es einen großen Weihnachtsbaum mit Geschenken für alle Kinder der Schauspieler und Techniker, und jemand spielte den Weihnachtsmann. Das hörte alles auf, nachdem sie gestorben war. Helli schätzte jeden und kümmerte sich um jeden auf sehr persönliche Weise. Sie schimpfte aber auch. Ich erinnere mich daran, wie Friedrich Naß eines Abends mit meinem Mann zusammensaß und sagte: »Da kommt die Weigel. Der erste Abend, an dem sie mich nüchtern gesehen hat, aber sie hat mich gar nicht bemerkt.«

Ich vermute, dass dieses enge Zusammengehörigkeitsgefühl eine andere Art von Theater hervorbrachte. Eine Art von Gemeinschaftsleben.

Wir hatten so etwas nicht. Sie können das Wort streichen. Wir lebten nicht zusammen. Es war ein Ensemble, das ist etwas anderes. Wir arbeiteten zusammen, und gelegentlich feierten wir zusammen. Am 1. Mai gab es immer eine große Party. Es kannten sich natürlich alle, und wir treffen immer noch einige von ihnen von Zeit zu Zeit, sofern sie noch am Leben sind. Ich vergesse immer wieder, wie alt ich schon bin. Fünfundsiebzig.

Um auf die Idee des Ensembles zurückzukommen: Sprach Helene Weigel mit Mitgliedern des Ensembles, um deren Vorschläge für neue Inszenierungen aufzunehmen?

Sie diskutierte das mit der Dramaturgie. Nun, Schauspieler mögen wohl mal gesagt haben, sie würden gern dieses oder jenes Stück spielen, oder sie haben etwas empfohlen, aber das war in diesem Sinne keine Zusammenarbeit, nein. Es waren immer die Dramaturgen, die um Brecht herumsaßen, und wenn er sagte: »O Gott, was für ein Idiot hat diese Zeile geschrieben?«, und rausging, gingen sie mit ihm raus, und die Schauspieler saßen herum und warteten, bis der Regisseur und die Dramaturgen zurückkamen und die Probe weitergehen konnte.

Ich weiß, Sie haben in einer Reihe von Brecht-Stücken mitgespielt, wie zum Beispiel in »Die Tage der Commune«, und ich habe Sie als Frau Elmenreich in dem DEFA-Film »Lotte in Weimar« gesehen. Sie hatten ja eine Insider-Perspektive. Wie gingen die Proben am Berliner Ensemble vonstatten?

Brecht hatte einen enormen Stab von Leuten; viele junge Leute, die er ausbildete. In der Tat sah ich mir ein wirklich lustiges Stück an, in dem Frank N. Furter das Lied »Ich bin nur ein Transvestit aus Transsylvanien« aus »The Rocky Horror Show« von 1973 singt. Das ist ein Kultfilm geworden, und die Leute setzen sich hin und spielen mit. Ich las das Programm und dieser kleine ... . Er hatte tatsächlich geschrieben: Ich spielte den Hamlet am Berliner Ensemble. Wir haben nie »Hamlet« gespielt, und wenn wir es getan hätten, dann hätte ihn sicherlich kein hübscher, blonder Jüngling gespielt. Er hatte das Pech, direkt neben mir zu stehen, und ich sagte: »Hamlet, Sie kleines Arschloch?« Er wurde knallrot. Er war kurz davor, in Ohnmacht zu fallen.

Es gab natürlich verschiedene Kategorien von Schauspielern: Welche, auf die mehr gehört wurde, und es gab Jüngere, die mehr belehrt wurden, obwohl Brecht eine Lehre nicht in dem Sinne praktizierte, wie es beispielsweise Herr Strasberg tat. Er sagte: »Komm, lass es uns versuchen, einfach ausprobieren.«

War es für die Schauspieler schwierig, den Verfremdungseffekt zu verstehen, den V-Effekt?

Dieser Effekt wurde nie besprochen. Nicht verbal. Aber Brecht konnte einem großartig zeigen, was man zu tun hat. Ich spielte die Yvette in »Mutter Courage und ihre Kinder«, und er hat mir vorgeführt, wie man den Song singen muss. Sie haben noch niemals jemanden so jung und unschuldig gesehen wie ihn.

Übrigens, der Verfremdungs-Effekt wird auf Englisch als A-effect, alienation, oder Entfremdung, übersetzt. Verfremdung ist etwas ganz anderes. Entfremdung bedeutet, Abstand nehmen. Verfremdung bedeutet nur, dass etwas auf eine bestimmte Weise fremd gemacht wird.

Etwas aus seiner Vertrautheit und Gewohnheit herauslösen.

Ja, so ungefähr. Wenn Kattrin zurückkommt – nachdem sie vergewaltigt und auch verletzt wurde, so dass sie Narben davonbehalten wird –, sitzt Helli da und zählt die Ware und sagt, sie werde jetzt nie einen Mann bekommen. Vergessen Sie nie, dass Helli als Mutter Courage zwar ein sehr graues Kostüm trug, darunter aber einen roten Unterrock. Wenn sie ihre Röcke hochzog, um Kartoffeln zu schälen, sah man natürlich diesen Unterrock. Ich hatte als Yvette ein beigefarbenes Kostüm an, mit einem kleinen roten Samtband.

Im Stück werden auch rote Schuhe erwähnt.

Ja, sie waren rot. Und ein Hut mit einer roten Feder. Caspar Neher war Brechts Freund aus Augsburg, sein Lieblingsbühnenbildner und ein Genie, soweit ich es einschätzen kann. Er machte die Kostüme und vieles mehr. Ich durfte in meiner Anfangszeit mit ihm arbeiten, für einige Jahre. Er wusste, dass ich Schauspielerin werden wollte. Es gab eine Szene im »Hofmeister«, in der drei Mädchen Schlittschuh liefen und sich über den Hofmeister lustig machten – ein wunderbarer Schauspieler, Hans Gaugler. Caspar Neher malte vier Mädchen, und Brecht sagte: »Caspar, wir haben nur drei Schauspielerinnen, aber die Kostüme?« Caspar sagte: »Die gehören zusammen, alle vier, es müssen vier sein.« So bekam ich meine erste Rolle. Das war einer der Gründe, warum ich ihn so sehr liebte. Danach verkündete ich, dass ich Schauspielerin werden wolle. Mein Vater sagte zu mir: »Okay. Zwei Bedingungen: erstens, du lernst, eine richtige Rindsuppe mit Nudeln zu kochen.« Er liebte Rindsuppe mit Nudeln und hatte die Nase voll von Schauspielern, die nicht einmal eine Kartoffel schälen konnten, aber so taten als ob. Die zweite Bedingung war, dass ich vom Theater, dem Berliner Ensemble, weggehe und woanders Erfolg habe. Was ich in einem Stück machte, von dem Sie noch nie in Ihrem Leben gehört haben, »Ein Polterabend«, eine so genannte Arnold- und Bach-Posse. Ich spielte ein Dienstmädchen. Das war im Deutschen Theater.

Nach den beiden Kuchen zu urteilen, die Sie heute für mich gebacken haben, haben Sie Ihre Lektion gelernt. Ich habe auch schon im Restaurant des Brecht-Hauses gegessen.

Das hat mit Helli ungefähr so viel zu tun, wie jetzt das Berliner Ensemble in Berlin. Wissen Sie, nicht einmal Peymann wollte, dass es weiterhin Berliner Ensemble heißt, aber man hat darauf bestanden. Das Brecht-Erben-Büro dagegen, hat eine sehr kompetente Leiterin, Gisela Knauf. Sie hat angefangen für uns zu arbeiten, als Papa noch lebte. Sie war sehr jung, mit einem dicken, roten Zopf auf ihrem Rücken. Gott sei Dank arbeitet sie immer noch für mich. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun würde. Was sie nicht weiß, weiß niemand.

Ich will mir morgen das Modellbuch für »Die Mutter«im Bertolt-­Brecht-Archiv ansehen. Können Sie mir etwas über diese Bücher sagen?

Papa hat seine Inszenierungen fotografieren lassen. Die Assistenten mussten die Fotos zusammenkleben, so dass man eine Aufzeichnung jeder einzelnen Szene hatte.

Lassen Sie uns auf die Idee des Gemeinschaftslebens zurückkommen. Vielleicht ist das kein gutes Wort. Was ich meinte, war eine Art, einander anzuerkennen, in einer Weise, die heute unbekannt ist. Man ist so aufeinander eingespielt, dass man ahnt, wie jemand wahrscheinlich reagiert. So ähnlich, wie man seinen Ehepartner kennt.

Das ist wahrscheinlich wahr. Dreiundfünfzig Jahre (kichert). Ich bin sicher, dass das stimmt.Ich kann Ihnen darüber nicht mehr sagen, denn man muss das Gefühl erleben.

Sie haben vieles erlebt, was wir nur vom Hörensagen kennen. Können Sie zum Beispiel die Frauentagsfeiern am Berliner Ensemble beschreiben, bei denen die Männer Schürzen trugen?

Das war ein Feiertag in der DDR, im März, an dem die Frauen geehrt wurden. Da mussten die Männer uns bedienen, mit Kaffee und Kuchen. Schauspieler und Techniker.

(Johanna Schall kommt herein. Frau Brecht-Schall stellt mich vor.)

Hallo! Ich war dabei, als Sie in der »Dreigroschenoper«-Inszenierung am Maxim Gorki Theater gesungen haben. Sie haben für eine Vorstellung eine Rolle übernommen.

Johanna: Das war lustig. Polly, also Maria Simon, war krank. Dafür übernahm Lucy (Anna Kubin), und ich übernahm für Lucy.

Ich glaube es war Johanna, die vor Beginn der Aufführung auf die Bühne kam und bekannt gab, dass die Schauspieler diese Vorstellung spielen wollen, obwohl Polly krank ist. Deshalb würden einige Schauspieler die Rollen tauschen und ihre Textbücher mit auf die Bühne bringen. Ich war mit einem Studenten dort, der unbedingt mit mir ein Brecht-Stück anschauen wollte, der aber nicht gut Deutsch sprach. Er verstand gerade mal das Wort krank. Ich hatte ihm vorher kurz erklärt, was es mit dem Verfremdungseffekt auf sich hat. Er dachte, die Schauspieler kämen während der Vorstellung mit ihren Textbüchern auf die Bühne, um das Publikum daran zu erinnern, dass es einer Theatervorstellung beiwohnt. Sie hielten zwar die Textbücher in den Händen, schienen aber ihre Rollen so gut zu können, dass sie gar nicht hineinschauen mussten. Er dachte, es sei Teil der Inszenierung, die Verfremdung. Es war alles sehr spontan, und mein Student fand es fabelhaft.

Johanna: So war es nicht gemeint, es hat aber Spaß gemacht. Es wurde sogar in der Zeitung darüber berichtet. Das gefiel ihnen, weil so etwas so selten passiert.

Barbara: (Lacht.) Ich muss sagen, ich liebe diese Inszenierung. Johanna hat »Arturo Ui« gemacht – einen wunderbaren »Arturo Ui«. Ihren »Puntila« mochte ich nicht so sehr. Sie arbeitet großartig. Ich hoffe sehr, dass wir Ekke im Frühling als King Lear sehen. Verliebt habe ich mich in ihn, als er den Eilif spielte in »Mutter Courage und ihre Kinder«. Sie hätten ihn tanzen sehen sollen. Es war etwas ganz Besonderes.

Im Foyer des Berliner Ensembles befindet sich an der Wand über der Theaterkasse eine Inschrift mit dem Titel »Zum Einzug des Berliner Ensembles in das Theater am Schiffbauerdamm.« Ich möchte Sie nach dem Bezug der Pronomina »ihr« und »euch« im nachfolgenden Vers fragen. Sie sind nicht eindeutig:

Theater spieltet ihr in Trümmern hier

Nun spielt in schönem Haus, nicht nur zum ­Zeitvertreibe.

Aus euch und uns entsteh ein friedlich WIR

Damit dies Haus und manches andre stehen bleibe!

Johanna: Ich denke, »euch« meint nicht nur die Schauspieler. Brecht meint die Geschichte und die Gegenwart des Hauses. Das war ja auch vorher ein Theater. »Hier wurde vorher Theater gespielt, und hier wird jetzt Theater gespielt.« In dieser Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart liegt die Hoffnung.

Dann würde sich »uns« auf jetzt beziehen, auf die Gegenwart.

Johanna: Nehmen Sie es nicht so wörtlich. Es meint nicht nur Schauspieler, sondern das ganze Theater, alle Theaterleute.

»Euch« – die Menschen in den Ruinen während des Krieges und danach.

Johanna: Ja, während des Krieges, denn, wie Sie wissen, war er aus der Emigration zurückgekommen. Dort war während dieser Zeit auch ein Theater.

Also bezieht sich das »uns« auf die Gegenwart und das »euch« auf die alte Zeit, die Trümmerzeit.

Johanna: Und darauf, diese Trümmer wegzuräumen, die Ruinen.

Ich danke Ihnen! Eine wunderbare Antwort.

(Johanna Schall verabschiedet sich.)

Zu einem anderen Thema. Wie war es für Sie, als Sie nach Deutschland kamen, was haben Sie empfunden?

Ich verbrachte zwar viele Jahre in den Vereinigten Staaten, aber ich war dort eine Fremde. Einmal musste ich die Schule wechseln, weil die beiden Mädchen, mit denen ich befreundet war, mich einen jüdischen Nazi nannten, was eigentlich unmöglich zusammenpasst. Aber sie waren nicht sehr intelligent.

Mein Sohn hatte ein ähnliches Problem im Mittelwesten der USA. Er wurde kommunistischer Nazi genannt – Kommunist, weil er in Europa aufgewachsen war, Nazi, weil er Deutscher war. Sie haben keine Ahnung.

Sie haben absolut keine Ahnung. Mein Neffe kam mich besuchen. Als wir sozusagen auf die andere Seite der Mauer fuhren, sagte er: »Bin ich jetzt im kommunistischen Teil? Wow!«

Als ich damals aus dem Exil zurückkam, ließen sie mich für ein Jahr in Zürich, weil ich Tuberkulose aus Finnland mitgebracht hatte. Die lieben Finnen hatten alle Lebensmittel General Mannerheim und seinen Jungs gegeben. Sie hatten ein bisschen Angst, mich zu sich zu nehmen. Mein Vater kam zurück und hat mich nach etwa einem Jahr abgeholt.

Waren Sie während dieser Zeit etwa allein?

Ja, ich war siebzehn, wurde gerade achtzehn. Ich war so naiv, wie man nur sein kann. Aber es war okay. Wir fuhren mit dem Zug. Zunächst mussten wir nach Salzburg, also fuhren wir durch Dresden. Und das war wirklich ...Alles war zerstört. Das war nach der ungeheuren englischen Bombardierung, die immer noch unverzeihlich ist, obwohl sich die Deutschen weiß Gott nicht sehr gut benommen hatten.Ach, das ist ein Euphemismus. Wir kamen nach Berlin, und Helli war da. Sie hatten uns eine Villa gegeben, aber Mutter undVater zogen so schnell sie konnten dort wieder aus. Es war zu weit weg vom Theater, in Weißensee. Am nächsten Abend ging ich ins Theater. Ich kannte meine Mutter als eine wunderbare Köchin und als die Frau, die sich um alles kümmerte und dafür sorgte, dass Papa den Raum bekam, den er brauchte. Aber plötzlich war sie ein großer Star. »Mutter Courage« ist ein atemberaubendes Stück, auch wenn Sie es mit jemand anderem in der Hauptrolle sehen, aber mit Helli war es unglaublich.

Hat das Ihre Gefühle ihr gegenüber verändert? Fühlten Sie sich ihr dadurch näher? Oder gab es so etwas wie Ehrfurcht, Bewunderung?

Weder noch. Sie war immer Helli. Ich dachte nur, dass sie fantastisch ist. Sie war eine der ganz großen Schauspielerinnen.

Als sie Brecht traf, war sie ja bereits eine anerkannte klassische Schauspielerin am Deutschen Theater und an anderen Berliner Theatern, nachdem sie aus Wien hergekommen war.

Ja, das war sie, als sie Papa traf. Es gibt viele Gedichte von ihm über Helli in den beiden Gedicht-Ausgaben.

Wenn Sie Brecht verstehen wollen, müssen Sie seine Gedichte lesen.

Schiller-Goethe-Brecht. Das hat er gehofft.

Das hat er erwartet.

Er hat sehr hart daran gearbeitet. »Geht nicht, gibt es nicht.« Er wollte immer ausprobieren, wie etwas funktioniert.

Ja, genau. Nun kommen Sie, ich zeige Ihnen das Arbeitszimmer.

(Sie führt mich die Treppe hinauf, und wir gehen nach draußen. Barbara Brecht-Schall stellt mich ihrem Mann vor und sie zeigen mir gemeinsam sein Arbeitszimmer. Ekkehard Schall verabschiedet sich wieder. Barbara führt mich ins obere Stockwerk.)

Es hat sich zwar alles verändert, aber das ist der Raum, in dem Papa arbeitete. Er hatte Tische und Stehpulte überall im Raum. Er arbeitete immer an mehreren Dingen gleichzeitig. Immer wenn er bei einer Sache nicht weiterkam, wandte er sich einer anderen zu. Das Fenster hat Helli für ihn einsetzen lassen.

Leider wird der Wandteppich allmählich schmutzig, aber was sollen wir machen? Wenn wir ihn waschen würden, wäre das Bild weg. Es ist von Karl von Appen: das Ende der Prozes­sion im Kreidekreis. Sehen Sie die beiden Mädchen dort, ganz vorn, in der dritten Gruppe? Das bin ich mit Sabine Thalbach.

Sabine Thalbach, die Mutter von Katharina Thalbach. Das ist also die Aussicht, die Brecht aus diesem Zimmer hatte.

Sie können hier die meisten Dinge aus den »Buckower Elegien« wiedererkennen. Das Zimmer war ganz zerstört, weil Helli einige gute alte Freunde hier wohnen ließ, nach Papas Tod. Jetzt habe ich hier meine Sachen.

(Wir gehen nach draußen in den Garten.)

Das ist unser Versuch, den Garten neu zu beleben. So »weise angelegt«, dass er vom Mai »bis zum Oktober blüht«.

Das muss man sich also vorstellen, wenn man das Gedicht »Der Blumengarten« von Brecht liest. Die Sonnenblumen sind prächtig! Der See ist auch wunderbar. Aber ich sehe gar keine Boote. Hier ist die Gartenlaube aus »Heißer Tag«.

Brecht saß oft im Pavillon. Da kommt Jenny. Sie hat die Kostüme für Johannas »Dreigroschenoper« gemacht.

(Sie stellt mir Jenny vor, die nach einem kurzen Gespräch wieder geht. Wir laufen quer über eine große Rasenfläche bis zum See und gehen auf den Steg.)

Die ganze Familie ist in der Ferienzeit in Buckow!

Ah, das ist also der Ausblick. Der war schon inspirierend?

Brecht war nicht so besessen von der Natur. Aber hören Sie auf die Ruhe, wenn ich das so sagen darf. So war es immer. Es sind keine Motorboote erlaubt außer dem Rettungsboot, das alle drei Stunden den ganzen See abfährt.

Eva-Maria Böhm

Souffleuse

Eva-Maria Böhm, geboren 1950, studierte Deutsch und Geschichte mit dem Ziel, Lehrerin zu werden, und arbeitete danach sieben Jahre lang an einer Schule, bevor sie ihren Beruf aus privaten Gründen aufgab. Auf der Suche nach einer Stelle am Theater, kam ihr ein Angebot des Berliner Ensembles zugute. Sie übernahm die Aufgaben der Souffleuse. In ihren 35 Jahren am BE war sie unter zahlreichen Regisseuren tätig und erlebte den Werdegang von unzähligen Inszenierungen mit. Die Texte vieler Vorstellungen kann sie heute noch fast vollständig wiedergeben. Sie war bei der Arbeit immer äußerst konzentriert, lachte aber auch herzlich mit dem Publikum: »Wenn ein Schauspieler gut improvisiert, finde ich es wunderbar.«

Ich traf Eva-Maria Böhm am 7. Juli 2009 im Hof des Berliner Ensembles.

Frau Böhm, Sie feiern dieses Jahr als Souffleuse ein großes Jubiläum. Wie kamen Sie zu diesem Beruf und wann? Was waren Ihre ersten Erfahrungen?

Also dreißig Jahre bin ich jetzt hier. Nach den Sommerfe­rien habe ich damals angefangen, aber ich habe noch keinen Vertrag gehabt, weil ich meine Kaderakte, heute sagt man Personalakte dazu, noch nicht hatte. Ich war in der Volksbildung tätig, war Lehrerin, und sie haben es dort zuerst nicht akzeptiert, dass ich meinen Beruf ändern wollte, weil ich ja fünf Jahre kostenlos in der DDR studiert hatte. Demzufolge habe ich schon im September, Oktober und November gearbeitet, aber mein offizieller Vertrag hat erst am 1. Dezember 1979 angefangen.