Hispanien - Michael Koch - E-Book

Hispanien E-Book

Michael Koch

4,8

Beschreibung

Die Iberische Halbinsel gehört spätestens seit den frühesten Metallzeiten vor ca. 6.000 Jahren zu den kulturgeschichtlich faszinierendsten Regionen des europäischen Raumes. Die Geschichte Hispaniens von der Erst-Erwähnung im Alten Testament bis hin zu den frühesten Zeugnissen der arabischen Eroberung zeichnet der vorliegende Band nach. Der Autor richtet seinen Blick auf das Selbstverständnis des Landes und spürt den Langzeit-Phänomenen geophysikalischer und mentalitätsgeschichtlicher Art nach. Mit kritischer und scharfsinniger Analyse wirft er Fragen auf und widerlegt ganz beiläufig manche traditionelle Vorstellung: Sei es der Mythos vom sagenhaften „Dorado“ Tartessos, die Vorstellung von dem lusitanischen Volkshelden Viriatus oder dem römischen Bürgerkriegsflüchtling Sertorius als hispanischem Freiheitshelden. Sozialrevolutionäre Erscheinungen, wie die spätantike Bagaudenbewegung und die häufig wiederkehrenden Allianzen keltischer Stämme im hispanischen Nordwesten und in Südwest-Gallien, sind Teil der Betrachtung, ebenso wie die „keltische Renaissance“ und das unglückliche Gotenreich auf hispanischem Boden. Dem Autor geht es aber auch um hispanische Beiträge zu Politik, Literatur und Geistesleben der Antike: Von Seneca, Lucanus, Martialis bis zu Prudentius, Orosius und Priscillianus sowie von den Cornelii Balbi zu Traianus, Hadrianus und Theodosius – sie alle waren berühmte Hispanier. Für Brisanz und Überraschung ist gesorgt!

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Michael Koch

Hispanien

Vxori carissimae

et amicis – viventibus mortuisque

„… sofern uns Geschichte nicht tote Vergangenheit, sondern vergangene Gegenwärtigkeit ist, die auf ihre eigene, durch keine andere ersetzbare Weise unseren Erfahrungshorizont zu erweitern und unsere Erfahrungsfähigkeit zu steigern vermag.“ 

Herbert Nesselhauf 1968

176 Seiten mit 58 Abbildungen

Titelbild, im Hintergrund oben:

die antiken Minen von Rio Tinto (Sevilla)

im Hintergrund unten:

Córdoba, Moschee

im Vordergrund oben:

Dama de Baza

im Vordergrund Mitte:

Hadrianus, der zweite hispanische Kaiser

im Vordergrund unten:

Leovigild, König der Wisigoten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 by Nünnerich-Asmus Verlag & Media, Mainz am Rhein

ISBN 978-3-945751-02-2

Gestaltung: Bild1Druck GmbH

Lektorat: Frauke Itzerott, Kristin Mollenhauer

Gestaltung des Titelbildes: Sebastian Ristow

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.

Weitere Titel unseres Verlagsprogramms finden Sie unter: www.na-verlag.de

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

Inhalt

Cover

Titel

Zitate

Impressum

Vorwort

Einleitung

Die Vorgeschichte

„Iberien gleicht einer Ochsenhaut, die sich der Länge nach von West nach Ost ausdehnt.“ (Strab. 3,1,3)

Der Mythos oder Geschichte vor der Geschichte

„Es heißt, daß in dem Waldgebirge der Tartessier die Titanen gegen die Götter Krieg geführt haben.“ (Iustin. 44,4)

Griechen entdecken den Westen

„Die Phokaier waren die ersten Hellenen, die weite Seefahrten unternommen haben. Sie entdeckten das Adriatische Meer, Tyrsenien, Iberien und Tartessos.“ (Herod. 1,163)

Exkurs 1Phoiniker und Punier auf der Iberischen Halbinsel

„Denn eine Tarschisch-Flotte hatte Hiram auf dem Mittelmeer.“ (I Kön. 10.22)

Das karthagische Hispanien

Exkurs 2Die Iberer

„Die Leiber der Menschen sind auf Entbehrung und Arbeit eingestellt, ihr Geist auf den Tod.“ (Iustin. 44,2,1)

Der Zweite Krieg zwischen Rom und Karthago

„Da habe Hamilkar Hannibals Rechte ergriffen, ihn an den Altar geführt und den Schwur tun lassen, niemals ein Freund der Römer zu werden.“ (Polyb. 3,11)

Exkurs 3Warum annektierte Rom die Iberische Halbinsel?

„… um nach siegreicher Beendigung des Krieges gegen die Karthager am Ende den Gedanken der Weltherrschaft zu fassen.“ (Polyb. 3,2)

Hispanien nach dem Ende des großen Krieges

„Tribute sind der Preis des Friedens.“ (Oros. 5,286)

Exkurs 4Die indoeuropäischen Völker Hispaniens

„Sobald man das Idubeda-Gebirge hinter sich hat, ist man in Keltiberien, einem großen und ungleichen Land.“ (Strab. 3,4,12)

Zwischen Cato und Gracchus

„Die Perfidie der Römer war Grund für einen großen Aufstand.“ (Oros. 4,278)

Exkurs 5Zur Langzeit-Typologie eines Kämpfertypos auf der Iberischen Halbinsel

„Diebe, Straßenräuber, Banditen, Guerrilleros.“

Der Krieg des Viriatus

„Sie hatten keinen bedeutenden Führer – außer Viriatus.“ (Iustin. epit. 44,1)

Der numantinische Krieg

„Warum, Römer, habt ihr so große Worte wie Recht, Treue, Tapferkeit und Mitleid in betrügerischer Weise in Anspruch genommen?“ (Oros. 5,296)

Zwischen Numantia und Sertorius

„Die es fürchtet, besiegt Rom; die Besiegten liebt es!“ (Rut. Namant. 1,72)

Der Krieg des Sertorius

„Die gesamte Citerior stand in Flammen.“ (Sall. Hist. 1,84)

Exkurs 6Das 1.Jh.v.Chr. in Hispanien

„Was, wenn Dich das Los an die Spitze von Afrikanern, Hispaniern oder Galliern gestellt hätte, diesen grässlichen und barbarischen Völkerschaften?“ (Cic. ad Quintum frat. 1,1,27)

Caesar in der Hispania ulterior

„Als Quaestor erhielt er das Jenseitige Hispanien. Als er nach Gades kam und beim Tempel des Herkules ein Standbild Alexanders des Großen sah, da stöhnte er auf, erbittert über die eigene Trägheit: Nichts bemerkenswertes habe er geleistet in einem Alter, in dem Alexander bereits die ganze Welt erobert habe.“ (Suet. Caes. 7)

Exkurs 7Römische Hispanier – hispanische Römer

„Hispanienses – Hispani.“

Hispanien und die pax Augusta

„… weil durch sein Verdienst und seine unermüdliche Fürsorge Hispanien befriedet ist.“ (CIL VI 31627)

Die ersten Jahrhunderte des Principats

„Die Provinzen standen in Blüte.“

Exkurs 8Der innere Ausbau des Landes und die sogenannte Monumentalisierung

„Als die Tarraconenser Augustus wissen ließen, auf seinem Altar sei eine Palme gewachsen, bemerkte dieser sarkastisch: ‚Es scheint, daß ihr ihn häufig anzündet‘.“ (Quint. 6,3,77)

Krisenzeichen? Das 2.Jh.n.Chr. in Hispanien

Die Krise rückt näher

„Die Mauren verwüsten Hispanien“ – „Ausgelaugt sind die hispanischen Provinzen“.

Exkurs 9Hispanisches Christentum vor 312n.Chr.

„In den iberischen Provinzen gibt es Christengemeinden.“ (Iren. v. Lugd. adv. Haer. 1,10)

Hispaniens Eintritt in die Spätantike

Das „regnum Diocletianum.“

Exkurs 10Das ungelöste Problem der Bagauden

„Bacaudae“ – spes pauperum?

Constantinus und die ecclesia triumphans

„Gnädig schaut Gott auf die Hispanier.“ (Prud. Perist. 6,4)

Exkurs 11Hispanische Frauen

„… ihre Wildheit und tierische Unempfindlichkeit gegenüber zugefügten Leiden.“ (Strab. 3,4,17)

Die Halbinsel im Übergang

„Hispania“ – „Spania.“

Exkurs 12Die Germanen kommen

„Barbaren saufen sich durch ganz Hispanien.“ (Hydat. Chron.)

Die späten Quellen

„Christ ist mein Vorname, mein Nachname Katholik.“ (Paccian. ep. 1,4)

Der lange Weg zum hispanischen Reich der Wisigoten

„Allerdings hat ein mächtiger Widersacher Christus die Schlange Iberien überlassen: bleichgesichtige Menschen und eine armselige Provinz.“ (Hieron. Dial. contra Lucifer. 177,15)

Das Reich von Toletum

„Liuvigildus regierte 18 Jahre. Im zweiten Jahr der Regierung des Liuva wurde er zur Herrschaft erhoben.“ (Lat. Reg.Vis. n. 26)

Exkurs 13Die hispanische Unternehmung des Iustinianus

„Comenciolus, gesandt von dem Augustus Mauricius gegen die barbarischen Feinde.“ (CIL II 3420)

Vom Ende des antiken Hispanien und vom muslimischen Neubeginn

„Jetzt, wo die Widerstandskraft der Christen gebrochen ist, fasse sie im Zentrum!“ (Ibn al-Qutija)

Schlussbetrachtung

Chronologie

Glossar

Literatur

Bildnachweis

Fußnote

Vorwort

Für einen wissenschaftlichen Autor ist es ein seltenes Glück, wenn ein Lieblingsprojekt auch dem Wunsch eines Verlegers, in diesem Falle einer Verlegerin, entspricht. Frau Dr.Annette Nünnerich-Asmus, mit der ich seit dem gemeinsamen Hispania-Antiqua-Projekt des DAI-Madrid Anfang der 1990er-Jahre kollegial verbunden bin, hat mir die Freundlichkeit erwiesen, mein Wunsch-Buch, eine Art summa lebenslanger wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem antiken Hispanien, in ihrem neu gegründeten Verlag zu publizieren. Dafür kann ich ihr nicht genug danken!

Mein Interesse an der Iberischen Halbinsel gründet in frühesten Jugenderfahrungen in und mit dem wunderbaren Land: Waren es zunächst lediglich Exotica wie die corrida de toros, die Kunst des cante hondo, Maler wie Zurbarán und Goya, die Poesie Góngoras, Lorcas und Machados, die Ironie Valle-Incláns, die wilde, gleichzeitig melancholisch-keusche Natur der Sierras, so erwachte bald auch ein dauerhaft brennendes Interesse an der Historie der Halbinsel, am spanischen Bürgerkrieg vor allem, dessen grausame Pathologie mich noch heute erschreckt und beunruhigt. Hinzu kamen rasch auch die diskrete Geschichte der lusitanischen Vettern, das jüdisch-maurische Erbe, die spanischen Habsburger, das hochproblematische Regiment der Bourbonenkönige und was daraus folgte. Zahllose Reisen und Begegnungen mit den markanten Erbstücken der iberischen Geschichte: Italica ebenso wie Córdoba, Ampúrias, Segovia, El Escorial, Salamanca, Guimarães oder Alcalá de Henares, den Klosterburgen Kataloniens ebenso wie den Entstehungsplätzen der reconquista, aber auch die Schlachtfelder des Bürgerkriegs von Brunete bis zum Alcázar von Toledo oder dem in der Geschichte der Halbinsel so wichtigen Despeñaperros-Pass. Spaniens unbeschreiblich reiche Kunstgeschichte, neben der Architektur vor allem die Malerei und die große literarische Tradition sowie immer auch die Musik, haben mich ein Leben lang ebenso entzückt und bereichert wie mich die innate, in Krieg und Frieden zu allen historischen Zeiten unvermittelt ausbrechende irrationale Grausamkeit von „Iberern“ gegen sich und andere von der Antike bis in den Spanischen Bürgerkrieg verstört hat.

Die aus Zuneigung, Engagement, Zorn und Unverständnis gewobene Angst um die Halbinsel und vor ihr entdecke ich nicht selten bei anderen Autoren: In den ausführlichen Memorias des letzten Präsidenten der spanischen Republik von 1931, Manuel Azaña, ebenso wie in Cees Nootebooms „Der Umweg nach Santiago“ von 1992 und in Javier Cercas’ „Anatomie eines Augenblicks“ aus dem Jahre 2009. Mit diesen und vielen anderen Spanien-Betroffenen teile ich die Einschätzung von der Iberischen Halbinsel und ihren Bewohnern als einem quasi vulkanischen Raum, allzeit fähig, gewaltige Eruptionen unterschiedlichster Art auszulösen und meist in radikalem Schwarz-Weiss: Gloria o muerte, wie es bei Rafael Abella heißt.

Überzeugt, dass sich die Halbinsel in so gut wie jeder historischen Phase in diesem Zustand befunden hat, ist eines meiner Anliegen, diesem Phänomen und den Gründen dafür im Rahmen der Antike nachzuspüren.

Ich hatte das Glück, bei der ersten Generation wissenschaftlich international anerkannter spanischer Altertumsforscher, Antonio García y Bellido, Antonio Blanco, Martín Almagro Basch, Juan Maluquer de Motes (sowie korrespondierend mit Claudio Sánchez Albornoz und Pedro Bosch Gimpera) u.a. quasi in die Lehre zu gehen. Mein Bild vom Positiven und weniger Zustimmungsfähigen in Methodik und Ergebnissen der spanischen Altertumsforschung schulde ich ihnen. Nicht gering ist auch der Anteil der historischen Sprachforschung, vor allem derjenige Jürgen Untermanns. Ihr verdanke ich einen umfassenderen und weit objektiveren Zugriff auf Ethnogenese und Ethnografie der Iberischen Halbinsel als Archäologie und literarische Quellen in ihrer Subjektivität und Heterogenität vermitteln können.

Viel Hilfe erhielt ich über die Jahre durch die Abteilung Madrid des DAI mit seiner einzigartigen Bibliothek, vor allem ihrem Gründungs-Direktor Helmut Schlunk† sowie Theo Hauschild, Christian Ewert†, Wilhelm Schüle†, Hermanfrid Schubart, Armin Stylow, ThomasX. Schuhmacher und Dirce Marzoli. Dank schulde ich auch den zeitweise in „mein“ Madrid verschlagenen Tübinger Kommilitonen Walter Trillmich und Michael Blech sowie meinen liebenswürdigen Madrider Helfern María Díaz, Elisa Puch, Susanne Jacob und John Patterson. Sie alle und manch anderer haben meinen Weg begleitet und auf mannigfaltige Weise gefördert.

Alicia Perea, Michael Kunst, Marcus Hermanns, Aquilino Delgado, Francisco Quesada, Leonardo García Sanjuan und, ganz besonders großzügig, Mª-Paz García-Bellido haben mir bei der Beschaffung des Fotomaterials geholfen. Ute Schillinger-Haefele und Michael Blech haben das Manuskript gelesen und wichtige Anregungen gegeben.

Allen Genannten – Toten und Lebenden – sei hier gedankt!

Zweifall, im August 2014Michael Koch

Abb.1 Die Iberische Halbinsel physikalisch. Deutlich erkennbar die großen Siedlungsräume: Alt- und Neukastilien, Andalusien, das Ebrotal, der lusitanische Westen und der gebirgige Nordwesten. Sie sind bestimmende Faktoren der Geschichte des Landes.

Einleitung

Eine neue – die wievielte? – Behandlung der frühen Geschichte der Iberischen Halbinsel vorzulegen mag überflüssig erscheinen: Tatsächlich gibt es nicht wenige, zum Teil durchaus gelungene Versuche dieser Art. Freilich handelt es sich dabei durchweg um Betrachtungen von Fachgelehrten zu ihren jeweiligen Spezialgebieten oder, wie der fulminante, bilderstürmerische Essay von Américo Castro „La realidad histórica de España“, erstmals 1954 in Mexico erschienen, um Untersuchungen jenseits speziell altertumswissenschaftlicher Methoden und Interessen.

Was angesichts der kaum noch zu überblickenden Masse an Detailforschung vor allem auf der Halbinsel selbst fehlt, ist eine Langzeit-Untersuchung, gewissermassen eine induktiv-diachrone Betrachtung des Altertums der Halbinsel aus einem Guss und, das ist mir besonders wichtig, aus der Perspektive der Halbinsel selbst. Denn nur so ist deutlich zu machen, in welchem Maß Geologie, Geografie, Klima, Immigrationsgeschichte und alle möglichen weiteren Konstanten und Variablen die historisch-kulturelle, wirtschaftliche und politische Entwicklung dieses großen Landes geprägt und bis in die Gegenwart bestimmt haben. [Abb. 1] Von dem viel beschworenen „Geheimnis“ der Halbinsel (El enígma histórico de España) bleibt wenig übrig, wenn man verstanden hat, dass Phänomene wie der notorische, gegenwärtig wieder virulente Partikularismus des Landes, Portugal eingeschlossen, sprachliche und kulturelle Ungleichheiten, die mentalen Differenzen seiner Bewohner und vieles mehr ihre Wurzeln in Gegebenheiten haben, die in der Natur des Raumes und seiner unterschiedlichen Populationen liegen, vor Jahrtausenden geschaffen wurden und danach durch alle historischen Perioden erkennbar bleiben. Der Schriftsteller Orosius, selbst Hispanus, erzählt die hübsche Geschichte von dem „keltiberischen“ Fürsten, der, von Scipio gefragt, was die Stadt Numantia (nahe Soria) so widerstandfähig gemacht habe, antwortete: „einig waren wir unbesiegbar; Uneinigkeit war unser Verderben“. Das ist ein durchgängiges Motiv der Geschichte Hispaniens bis heutezu. Vielleicht war der Aufstand der Hauptstadt Madrid gegen die französische Okkupation vom 2. Mai 1808 und der sich anschließende Unabhängigkeitskrieg gegen die napoleonische Annexion der einzige Moment in der Geschichte der Halbinsel, wo sich alle Spanier ihren Schrei nach Einheit und gemeinsamem Vaterland selbst geglaubt haben. Doch dieser ekstatisch-patriotische Augenblick verging rasch und wiederholte sich, soweit ich sehe, niemals wieder.

Darüber hinaus ist es an der Zeit, angemessen auf den realen (oder vermeintlichen?) Wissenschaftsfortschritt, beispielsweise in der Vergleichenden Sprachwissenschaft, zu reagieren: Keltisch sprechende Personen sind nicht automatisch auch genetisch Kelten, gleiches gilt für den iberischen Bevölkerungsteil. Solche Selbstverständlichkeiten sind keineswegs Allgemeingut. Fortschritte gibt es vor allem im Bereich der Vor- und Frühgeschichte. Seit den Ergebnissen der Elfenbein-Forschung auf der Halbinsel, der Erforschung des kupferzeitlichen Hügelgrabes in Valencina de la Concepción, dem Schiffsfund von Ulu Burun und der Entdeckung mykenischer Luxusgüter in Kivik und manch anderer archäologischer ‚Sensationen‘ muss als sicher gelten, dass bereits mindestens kupferzeitlich sowie selbstverständlich in der Bronzezeit zu Wasser und zu Lande von Osten aus nach Westen und Norden – und zurück – erstaunliche Entfernungen zurückgelegt und gewaltige Räume erschlossen wurden, auch wenn diese Kontakte nicht regelmäßig und nur in größeren Zeitabständen stattfanden. Die historischen Wissenschaften öffnen sich nur zögernd den daraus resultierenden Erkenntnissen, wobei sie sich vielfach auf den lediglich punktuellen Charakter der Belege, auf Laufzeitprobleme und die Undurchsichtigkeit der Vermittlung von Handelsgütern berufen. Diese zum Teil durchaus begründeten Vorbehalte scheinen mir jedoch eher auf die schiere Zufälligkeit der Funde und Quellen abzuheben. Sie sind kein Beleg dafür, dass die Zeitabstände zwischen den Begegnungen immer riesig waren und dass diese Begegnungen jeweils ex novo stattfanden.

Auf jeden Fall war die Welt der Bronzezeit, die am Beginn unserer Darstellung steht, ungleich offener und durchlässiger, als man noch vor wenigen Jahrzehnten für möglich hielt: Von ritzverzierten Stelen, Tafelgeschirr, Sitzmöbeln, Schmuck, Waffen bis zu Bestattungsformen zeigt die europäische Bronzezeit ein komplexes Bild von Kommunikation, Interaktion und kultureller Vergleichbarkeit über weiteste Entfernungen. Auch wenn die Randlage der Iberischen Halbinsel Information zu und Rezeption von bestimmten bronzezeitlichen Phänomenen verzögert haben mag, so nimmt sie doch an allem teil, was die Europäische Bronzezeit – und nicht nur sie – ausmacht.

Mein Interesse, eine solche Arbeit in Angriff zu nehmen, verdankt sich unter anderem einem großen Vorbild: Gerald Brenans mittlerweile klassischer Studie „The Spanish Labyrinth“, zuerst 1943 erschienen und seither vielfach nachgedruckt. Sie ist methodisch und stilistisch den besseren historiografischen Traditionen Englands verpflichtet und nach meiner – vor mehr als 40 Jahren gewonnenen – Überzeugung die sinnvollste Form des Zugangs zur Geschichte der Iberischen Halbinsel. Brenan beschreibt die lange und komplizierte Vorgeschichte des Bürgerkriegs von 1936; tatsächlich handelt es sich um eine komplexe Darstellung der spanischen Geschichte des 19. und 20. Jhs. mitsamt ihren tieferen und tiefsten Wurzeln und Begründungen, die teilweise weit zurückliegen.

Nur so, das hat mich Brenans Arbeit in den späten 1960er-Jahren gelehrt, kann man sich der Geschichte der Iberischen Halbinsel mit Aussicht auf Erfolg nähern, dass man hinter Fakten und Phänomenen, Entwicklungen und Akzidenzen diejenigen unveränderlichen Fixpunkte sucht, die seit tausenden von Jahren die Iberischen Länder und ihre geschichtliche Entwicklung bestimmt haben und durch alle historischen Phasen, die die Halbinsel seit ihrem Eintritt in die „Geschichte“ durchlaufen hat, allen vordergründigen Veränderungen zum Trotz erkennbar geblieben sind. Es sind dies: Geophysik und Geologie im umfassendsten Sinne, vielfache Zuwanderungen von Süden, Norden und Osten (zu Lande und über das Mittelmeer), weniger erkennbar von Westen (und über den Atlantik), und ein sich durch die historischen Phasen erstaunlich ähnliches politisches Kalkül der Nachbarn im Norden und Süden mit den beiden erstgenannten Gegebenheiten. Aber auch ein anderes Phänomen zieht sich durch alle für uns erkennbaren historischen Phasen. Der ältere Plinius hat es auf den Punkt gebracht und einen erstaunlich angemessenen Begriff dafür gefunden: vehementia cordis (Ungestüm des Charakters) (n. h. 37, 203). In der spanisch sprechenden Geschichtsforschung ist dieser Hinweis m. W. nur von J. M. Triviño angemessen gewertet worden – in einem argentinischen Periodikum (1953, 43). Dort sind die meisten antiken Hinweise auf entsprechende Eigenschaften der Hispanier gesammelt; sie ergeben erstaunliche Übereinstimmungen. Gemeint ist mit dem plinianischen mot wohl die immer wieder bei Bewohnern der Halbinsel – Männern wie Frauen – zu beobachtende Bereitschaft, sich ohne Reflexion, raison oder Kalkül und ohne jedwede Rücksicht auf mögliche Folgen einer Sache, ob richtig oder falsch, hinzugeben, von der fides iberica, wie Valerius Maximus (2,6,11;14) sie versteht, und hundert Arten von Selbstaufopferung, dem irrational-mörderischen Hass in älteren und jüngeren Bürgerkriegen, aber vergleichsweise friedfertig auch in der spätmittelalterlichen Mystik, in Literatur und bildender Kunst, im Stierkampf, wohl auch in Tanz und Musik. Es scheine Hispana consuetudo (hispanische Eigenart) zu sein, meinte der ältere Seneca (controv. 1,16), „was immer passiert, so zu leben und auf keine Einrede zu hören.“ Der Geograf Ptolemaios wusste das Gleiche oder glaubte dem Poseidonios: „Die Hispanier sind anarchisch, sie lieben die Freiheit und die Waffen, sie sind kriegerisch, fähig zur Führung, sauber und großherzig.“ (Apotel. 64,13).

Ein weiterer Grund für den vorliegenden Versuch resultiert aus der seit vielen Jahren beobachteten Unfähig- bzw. Unwilligkeit weiter Teile der peninsularen Geschichtsforschung zu tieferer quellenkritischer Reflexion. Ferner kommt er aus meinem Missbehagen an dem vielfach herrschenden alten und neuen Positivismus und der verbreiteten Neigung zu ganzheitlicher Erklärung historischer Vorgänge, die ich – keineswegs als erster – u.a. auf die Nicht-Teilhabe des Landes an der Reformation des 16. Jhs. mit ihren philologischkritischen Errungenschaften und Folgewirkungen sowie auf das Scheitern jedweder Bemühung um „Aufklärung“ im 18. und 19. Jh. zurückführe! So radikal sich iberischer Antiklerikalismus und Liberalismus zuzeiten gerierten: Zäh halten sich Tendenzen zu wenig reflektierter Rezeption von ,Offenbarung durch Autoritäten‘, ganz gleich, ob diese durch anerkannte Universitätslehrer, politische Essayisten oder Kardinäle der römischen Kirche verkörpert werden. Dass die Geschichtsforschung als wissenschaftliche Disziplin auf der Halbinsel erst vor zwei Generationen begründet wurde und dass vordem Alte Geschichte und ihre Schwestern Archäologie, Numismatik, Epigrafik einigen ehrlich bemühten, vielfach der Aristokratie angehörenden ‚Dilettanten‘ sowie Romanciers und Essayisten überlassen waren, liefert weitere Erklärungen für einen altbackenen Positivismus, resultierend aus einem beklagenswerten Defizit an kritisch-reflektierter Erforschung des hispanischen Altertums. Die Tatsache, dass die „Tartessos“-Fiktion des deutschen Althistorikers Adolf Schulten aus dem Jahre 1922, obzwar seit Jahrzehnten widerlegt, zäh ihren Rang in der spanischen Frühgeschichtsforschung behauptet, ist dafür ein markantes Beispiel. Versuche reflektierender Korrektur, wie derjenige von Ricardo Olmos und anderen (Al otro lado del espejo, 1996), bleiben Ausnahmen.

Neuerdings wird auf der Halbinsel vielfach eine ebenso unkritische Übernahme angelsächsischer Erklärungsparameter, speziell im Bereich der Vorgeschichte, betrieben. Dabei handelt es sich einerseits um ein nicht minder erkenntnisgefährdendes Überstülpen häufig unvermittelbarer Fremderklärungen auf Vorgänge und Entwicklungen auf der Iberischen Halbinsel ohne gewissenhafte Prüfung möglicher Kompatibilitäten, andererseits nicht selten um die Anwendung banaler Gemeinplätze auf hochkomplizierte, ausschließlich der Halbinsel vorbehaltene Phänomene. Ähnliche Bedenken sind gegenüber Bemühungen angebracht, auf minimaler Quellenbasis theoretischen Konstruktionen von Staatlichkeit, Gesellschaftsmodellen, Sozialstrukturen und dergleichen, die aus den Sozialwissenschaften entlehnt sind, zu fabrizieren und so den hermeneutisch gänzlich falschen Eindruck zu erwecken, mit ‚modernen‘ Kategorien problemlos zum Verständnis antiker Gegebenheiten zu gelangen. Das führte nicht selten dazu, dass wahrnehmbare Wirklichkeiten den Bedürfnissen theoretischer Modelle angepasst wurden. Umgekehrt ist auch eine wachsende Neigung zu beobachten, den wissenschaftlichen Diskurs durch Rückgriffe auf längst erledigte Fragestellungen einerseits und mangelnde Bereitschaft zur Akzeptanz weithin einvernehmlicher Forschungsergebnisse zu belasten. Zweifellos lebt Wissenschaft von kritischer Dialektik, doch müssen erledigte Schlachten nicht alle zehn Jahre neu geschlagen werden, zumal dann nicht, wenn die ‚Ergebnisse‘ hinter früher gewonnene Erkenntnisse zurückfallen. Arbeiten, die nichts anderes sind als willkürlich zusammenfassende Wiedergaben älterer und neuer Forschungsergebnisse ohne jeden eigenen, gegebenenfalls wertenden, Gedanken, sind Legion. Darüberhinaus gilt es, ein für die Halbinsel nach dem Ende der Diktaturen ebenso charakteristisches wie verblüffend diachrones Phänomen zumindest durchsichtig zu machen: Der in der Geschichte des Landes, Portugal eingeschlossen, früh und durchgehend erkennbare Regionalismus spiegelt sich auch in der Altertumsforschung. So, wie die Universitäten Sevilla, Córdoba und Málaga die Welt andalusisch sehen, so tun das die entsprechenden cátedras in Barcelona und Valencia „iberisch“ bis katalonisch; Santiago de Compostela predigt à la gallega während die kastilischen Institute von Salamanca bis Alcalá de Henares und Valladolid auf den Spuren der Cisneros und Unamuno die Übersicht zu behalten versuchen. Konsequenterweise zählt für Portugal nur Portugal, allenfalls das seit jeher vielfach verwandte Galicia. Solchen Tendenzen muss man nicht begegnen, aber man muss sie kennen und begreifen. Einstweilen hat es den Anschein, als sei die in den 1960er- bis 1980er-Jahren erlebte Forschungs-Kooperation auf Augenhöhe und mit wechselseitigem Respekt verloren gegangen. In bestimmten Bereichen werden auswärtige Beiträge zu zentralen Forschungs-Schwerpunkten nicht mehr zur Kenntnis genommen, geschweige denn zitiert. Ausnahmen werden immer seltener.

Andererseits gibt es Erkenntnis-Erschwernisse objektiver Art, die verständlicherweise die Anwendung immer neuer Erklärungsmodelle in der Hoffnung auf passende Lösungen provozieren.

Zu diesen Erschwernissen gehören Datierung und Interpretation der ältesten literarischen Quellen, die, da nicht selten auf merkwürdigen Wegen überliefert, die Wissenschaft vor nahezu unlösbare Probleme stellen. Zu ihnen gehört beispielsweise die in der Ora maritima des spätantiken Autors Rufius Festus Avienus enthaltene sehr viel ältere punische (oder aus dem Punischen übersetzte griechische) Quelle, aber auch bei klassischen Autoren enthaltene Informationen, etwa die über eine große binnenländische Keltenmigration bei Strabon (3,4,12).

Ein durch kein theoretisches Erklärungsmodell und keine philologische Fein-Analyse zu bewältigendes Problem, ja, ein Grundproblem der Geschichte der Halbinsel überhaupt, stellen neben den teils friedlichen, teils gewaltsamen Invasionen/​Penetrationen von außen die immerwährenden Binnenwanderungen dar [Abb. 2]. Über eine potentielle Urbevölkerung auf der Halbinsel wissen wir so gut wie nichts. Nur mit allergrößten Bedenken kann man von ethnischen Blöcken reden, die von Indoeuropäern, nichtindoeuropäischen „Iberern“ und semitischen Einwanderern gebildet wurden: In der indoeuropäischen Zone gibt es in vorrömischer Zeit zahlreiche nicht-indoeuropäische Enklaven, sprachlich/​kulturelle Überlagerungen von älteren indoeuropäischen Landnahmen durch jüngere, ebenfalls indoeuropäische, keltisch sprechende Siedlungs-Gebiete in der südiberischen Zone, umgekehrt iberische in den Randgebieten der hispanischen Keltikê. Bis weit in römische Zeit ist die Halbinsel in Teilen Schauplatz immerwährender Transhumanzen, vor allem im Westen des Landes. Zwar versuchte Rom, die bei Beginn der Okkupation vorgefundenen ethnografischen Gegebenheiten zu stabilisieren, doch gelang dies nur mühsam und keineswegs vollständig: Nicht nur der Kimbern-Einfall auf die Iberische Halbinsel Ende des 2. Jhs.v.Chr. (Liv. Per. 67) belegt dauernde Wanderungen von Ost nach West, auch noch in Caesars bellum civile (I, 51) hören wir am Rande des militärisch-politischen Geschehens von der Binnenwanderung einer Stammesgruppe keltischer Provenienz hinter der Front nahe Ilerda, ohne erkennbaren Fremdeinfluss und möglicherweise zum Zwecke neuer Landnahme. Dergleichen muss es zu allen antiken Zeiten gegeben haben und selbstverständlich gehören sowohl die germanischen Einwanderungen der sogenannten Völkerwanderungszeit als auch Tariq ibn Ziyads Invasion von 711n.Chr. dazu. Es ist also keineswegs immer den Irrtümern antiker Schriftquellen anzulasten, wenn irritierende Informationen sich zu widersprechen scheinen: Eine ethnische Gruppe, die in republikanischer Zeit eine bestimmte Zone bewohnt, kann zu Zeiten der strabonischen, plinianischen oder späterer ‚Landeskunden‘ anderswo, sogar in beträchtlicher Entfernung, angetroffen worden sein. Möglich sind darum allenfalls Momentaufnahmen ethnografischer Festlegungen innerhalb der vorher bezeichneten Blöcke.

Abb.2 Das antike Hispanien. Ein Versuch, die noch unzureichend erforschte Ethnographie des Landes, wie sie in den antiken Quellen überliefert ist, zu ordnen (nach Almagro Gorbea – Ruiz Zapatero [1992]).

Dass das Bild des römischen Hispanien in der älteren europäischen Geschichtsforschung durch die Romverherrlichung der frühen Kirche, der Renaissance und des Humanismus geprägt ist und Fragen nach dem Eigenwert der unterschiedlichen einheimischen Lebens- und Kulturformen kaum gestellt wurden, entspricht den geisteswissenschaftlichen und ideologischen Traditionen des Landes und Gesamteuropas. J. Linderski hat in seinem Essay „Si vis pacem, para bellum: Concepts of defensiv Imperialism“ aus dem Jahre 1984 am Exempel von Mommsens, Holleaux´ und Tenney Franks Behandlung der Frage, ob es einen ,römischen Imperialismus‘ gegeben habe, deutlich gemacht, unter welchen zeitgebundenen ideologischen Prämissen, Hegels Philosophie eingeschlossen, die drei Gelehrten zu ihrer Vorstellung von Rom gelangt sind, die sich bekanntlich zwischen Bewunderung, Apologie und utopia d’evasione bewegt.

Allerdings: Was aus der Iberischen Halbinsel ohne Rom geworden wäre oder hätte werden können, was Rom – einmal abgesehen von den unbestreitbaren zivilisatorischen Verdiensten während seiner jahrhundertelangen Beherrschung der Halbinsel – unterdrückte, verhinderte oder zerschlug, hat kaum jemand beschäftigt, ebenso wenig sind mentalitätsgeschichtliche Annäherungsversuche bekannt geworden. Dabei ist eine frühe phoinikisch-punische Semitisierung des Landes ebenso denkbar wie seine Teil-Arabisierung im 8. bis 15. Jh. historische Realität wurde. Auch eine weitergehende Iberisierung des Nordens und mittleren Westens lag im Bereich des Möglichen. Stattdessen unterdrückte Rom – weitaus heftiger als vordem Karthago – unbarmherzig alle Versuche zu partikularer Identitätsbehauptung bzw. -gewinnung, ohne freilich dauerhaft – von einem nicht überall gleichermaßen tiefgreifenden Überbau abgesehen – eine profunde politisch-kulturelle Einheitlichkeit zu schaffen. Unverkennbar war die Iberische Halbinsel in der gesamten Antike überwiegend Objekt der Geschichte; wenn nicht alles täuscht, begann sie erst mit der reconquista zumindest zeitweise ihr Subjekt, d.h. Herrin der eigenen Geschichte zu werden.

Eine kulturelle Vereinheitlichung gelang sprachlich und ideologisch in gewissem Umfange für vergleichsweise lange Zeit der römischen Kirche, politisch jedoch später weder den Habsburgern noch den Bourbonen oder auch den autoritären Regimes des 19. und 20. Jhs. Erst in der politischen Gegenwart Spaniens scheint man wenigstens teilweise – wenn auch vielfach widerstrebend – begriffen zu haben, dass die grundsätzlichen mentalen und kulturellen Differenzen der verschiedenen Landesteile nicht dauerhaft ignoriert werden können; Portugal, d.h. ein großer Teil des indoeuropäisch-lusitanischen Raumes, hatte als erster Landesteil die Separation vollzogen. Freilich gibt es auch weiterhin Kräfte, die diese uralte differenzierte historische Prägung nicht wahrhaben wollen, die der politischen Zeitgenossenschaft (wie bereits unter dem Monarchen FelipeII., den Bourbonen und dem Autokraten Franco) nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Erwägungen inopportun erscheint, gleichwohl aber eine unverrückbare Tatsache ist.

Es mag den Leser irritieren, dass von Hispanien gesprochen wird: Hispanien meint Spanien und Portugal und entzieht portugiesischen Empfindlichkeiten den Boden, die sich daran entzündeten, dass frühere Generationen, wie schon die Spätantike, allzu oft „Spanien“ für das Ganze nahmen. Dass die handelnden Personen mit vollem Namen und nicht mit den üblichen, teilweise törichten und inkonsequenten Verkürzungen bezeichnet werden, hat etwas mit der Würde der Personen zu tun. Niemand würde den ersten Kaiser als „August“ bezeichnen, aber alle Welt spricht von „Trajan“ oder „Mark Aurel“ Das ist teils törichtes Nachplappern einer vergangenen Mode, teils Sprachfaulheit. Beides erscheint mir unstatthaft. Ebenso wie wir selbst haben Persönlichkeiten der Vergangenheit ein Recht auf ihren Namen. Das gilt auch für Völker! So bequem es wäre, mit dem gängigen Sprachgebrauch von „Westgoten“ und „Ostgoten“ zu reden: In dieser Arbeit heißen sie nach ihrer Selbstbezeichnung Wisigoten und Ostrogoten.

Ich muss auch bekennen, dass es mir unmöglich ist, den Begriff „Heiden“ zu verwenden; wie die Angelsachsen spreche ich deswegen von pagani. So ist der pejorativ-diskriminierende Charakter der Bezeichnung, welche die siegreichen Christen auf alle Menschen anwandten, die andere Glaubensüberzeugungen vertraten, wesentlich deutlicher. Zudem wird klarer erkennbar, dass der zeitweise mörderische Gegensatz: pagani – christiani einer historischen Phase angehört, die vergangen ist oder, wie der hispanische Kaiser Traianus schrieb, „nec nostri saeculi est“, „nicht mehr zeitgemäß“.

Nicht erst, seit mir im Zusammenhang mit meiner Mitarbeit am Bronzezeit-Projekt der Bonner „Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland“ im Jahre 1998/​99 bewusst wurde, in welchem Maße politische Kräfte in Brüssel, aber auch anderswo in Europa, sich mühen, dem ökonomisch-politischen Konstrukt „Europäische Union“ eine historische Legitimation zu verschaffen, und sie dafür keine Geschichts-Klitterung zu scheuen scheinen, hege ich Bedenken gegenüber Geschichtsinterpretationen aus politisch-ideologischer Zweckmäßigkeit. Sowenig sich im 3. Jh.v.Chr. die Hirten Lusitaniens für hellenische Fischer interessierten, so wenig hat ein heutiger Hutmacher aus Amalfi oder ein Korbflechter aus Bulgarien mit einem portugiesischen Sichelschmied gemein. Man denkt anders, fühlt anders und handelt anders. Es gab, wie der neue bronzezeitliche Fund im niedersächsischen Gessel (2011) mit Gold aus Zentralasien im Vergleich mit Funden gleicher Zeitstellung auf der Iberischen Halbinsel erneut belegt, in der europäischen Vorgeschichte weltweit kulturelle Interaktion, Migration, Austausch, aber keine europäische Identität. Es gibt sie auch heute – und vermutlich in Zukunft – nicht. Sowenig Rom die immer wieder aufbrechende Zentrifugalität im Westen seines Imperiums – um nur davon zu reden – dauerhaft unterbinden konnte, so wenig gelang die Verschmelzung dem Karolinger-Reich oder Napoleon Bonaparte. Sie wird auch der aktuellen Europhilie nicht gelingen. Die Iberische Halbinsel von der Antike bis in die unmittelbare Gegenwart liefert ein perfektes Modell dafür, auf welchen Grundlagen und bis zu welcher Grenze Gemeinsamkeit gelingen kann und was an vieltausendjährigen Individualismen, Lebensformen, Fühl- und Denkweisen weder zu addieren noch zu amalgamieren und darum nicht verhandelbar ist.

Nach der letzten Durchsicht des Manuskriptes ist mir erschreckend deutlich, was alles noch zu sagen gewesen wäre und wie vieles fehlt. Und was alles ich nicht weiß. Auch ist die Disproportionalität zwischen den mit Quellen reicher gesegneten historischen Phasen und den eher quellenarmen Zeiten erkennbar. Ich hoffe aber deutlich gemacht zu haben, dass die quellenarmen Zeiten auf der Iberischen Halbinsel durchaus nicht als geschichtslose Phasen anzusehen sind.

Die Vorgeschichte

„Iberien gleicht einer Ochsenhaut, die sich der Länge nach von West nach Ost ausdehnt.“

(Strabon 3, 1,3)

Um ein möglichst vollständiges Bild von den Voraussetzungen der alten – und auch der neueren – Geschichte der Iberischen Halbinsel zu gewinnen, müssten wir spätestens die letzte Phase der Jungsteinzeit befragen, doch würde das den dieser Arbeit gesetzten Rahmen sprengen.

Die auf das Neolithikum folgende erste Metallzeit, die so genannte Kupferzeit (ca. 5000–3000v.Chr.), zeigt an zahlreichen durch die prähistorische Archäologie in den letzten Jahrzehnten aufgedeckten Fundplätzen bereits den bedeutenden Anteil fremder Invasoren an der technischen und kulturellen Entwicklung des Landes. Die mit dieser Phase verbundene Megalithkultur, vielleicht die letzte deutlich erkennbare gemeinhispanische Zeitspanne, verbindet große Teile der Iberischen Halbinsel mit Mittel- und Westeuropa. Beginnende gesellschaftliche Differenzierung wird greifbar. Deutlich ist jetzt der bedeutende Mineralreichtum des Landes: Kupfer, Silber und Gold sowie überraschend, das zeigen jüngste Forschungen, Elfenbein [Abb. 3] welches, wie Analysen belegen, sowohl von afrikanischen wie von asiatischen Elefanten stammt und dessen Verbreitung eine mediterrane Ost-West/​West-Ost-Verbindung im 3. Jt.v.Chr. nachweist (Schuhmacher 2012, 436f.), wobei bei den Bewegungsabläufen klimatische Veränderungen eine stärkere Rolle spielen könnten, als bisher gesehen wurde.

Die kupferzeitlichen und bronzezeitlichen Kulturen, ebenfalls benannt nach ihren jeweils markantesten Fundplätzen, lassen erstmalig Ansätze zu jenem Partikularismus erkennen, der später die Geschichte der Halbinsel bestimmen wird. Gleichzeitig wird jetzt eine gewisse Interdependenz, vielleicht sogar Interaktion erkennbar, die diese Regionen verbindet.

Deutlicher werden ethnische und kulturelle Schwerpunkte in der späteren Bronzezeit (seit ca. 1200–800v.Chr.), mit der das Land in die durch frühe Schriftquellen bezeugte Geschichte eintritt, interessanterweise zeitlich parallel mit der Einführung des Eisens, welches, obgleich zunächst über einen unbekannten Zeitraum noch als Edelmetall verwandt, spätestens bis zum 6. Jh. die Halbinsel erobert und, später auf der Halbinsel selbst gewonnen, eine spezielle Berühmtheit erlangt hat (Plin. n. h. 34, 144, 149), wie der Schatzfund von Villena (Alicante) beweist.

Abb.3 Elfenbeinerner Zierdolch aus Valencina de la Concepción. 3. Jt.v. Chr.

Wir finden erste marginale Hinweise auf mykenische, dann verstärkt auf phoinikische Kontakte mit der südlichen Halbinsel, um einiges später auch auf griechische merchant venturers

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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