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Anhand von sechs Hundeportraits berichtet der Autor von seinen Erlebnissen, Begegnungen und Erfahrungen als ehrenamtlicher Mitarbeiter in einem deutschen Tierheim. Dabei erzählt er nicht nur über die Schicksale der Hunde und seine ganz besondere Beziehung zu jedem einzelnen der Tiere. Er berichtet auch davon, wie sehr ihm in diesem Tierheim die seiner Meinung nach fehlenden sozialen Kompetenzen, dadurch verursachte Spannungen in der Zusammenarbeit und eine manchmal nahezu toxische Atmosphäre zugesetzt haben, und warum er dem Tierheim schließlich schweren Herzens den Rücken gekehrt hat.
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Seitenzahl: 80
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Vorwort von Tatjana Oelmeier
Vorbemerkungen
Astra
Exkurs 1: „Die Auserwählten“
Sophie
Exkurs 2: „Der Prototyp“
Anton
Exkurs 3: „Die Dritte der Moiren“
Mucki
Exkurs 4: „Von heiligen Schriften und mehr als 10 Geboten“
Nelson
Exkurs 5: „Eine Insel der Glückseligen“?
Raúl
Nachwort
Für Astra, Sophie, Mucki, Anton, Nelson und Raúl, und für alle Hunde, die noch immer in inländischen und ausländischen Tierheimen sitzen und warten…
Willst Du froh und glücklich leben,
lass kein Ehrenamt dir geben!
Willst du nicht zu früh ins Grab
lehne jedes Amt gleich ab!
(Wilhelm Busch)
Als Michael, den ich seit sehr vielen Jahren gut kenne, mich gebeten hat, ein Vorwort zu diesem Buch zu verfassen, war ich ziemlich überrascht. Solche Vorworte werden ja in der Regel von prominenten Persönlichkeiten geschrieben, aber prominent bin ich nur in meiner eigenen Welt.
Wahrscheinlich lag seine Bitte darin begründet, dass er mich als große Tierfreundin und Hundeliebhaberin kennt. Ich bin mit einem Hund zusammen aufgewachsen. Er hat mich beschützt, mich behütet, und er hat mich sicherlich auch ein stückweit sozialisiert, wenn man sich einige meiner Verhaltensmuster so anschaut. Und ich kann sagen, dass ich sehr dankbar dafür bin, mit diesem wundervollen Wesen einen Teil meines Lebens gemeinsam gegangen sein zu dürfen. Ich glaube sogar, dass dieser Hund damals – in einer sehr turbulenten und streckenweise emotional anstrengenden Kindheit und Jugend – sehr stark zur Entwicklung meiner persönlichen Resilienz beigetragen und mich vor einigen Dummheiten bewahrt hat. Ich werde Alf daher immer in meinem Herzen tragen!
Auch heute arbeite ich, wenn die Möglichkeit dazu besteht, mit Tieren im therapeutischen Kontext, und es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie diese dazu beitragen können, eine Verbindung zu schaffen oder einem belasteten, traumatisierten Kind oder Jugendlichen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Tiere sind unvoreingenommen. Tiere begegnen einem ohne Berechnung (außer es gibt etwas zu essen), sie akzeptieren uns so, wie wir sind, interessieren sich weder für physische noch psychische Beeinträchtigungen oder „Makel“. Wenn es den Tieren selbst schlecht geht, ist oftmals der Mensch dafür verantwortlich. Es gibt die unterschiedlichsten Schicksale und Gründe, warum ein Tier am Ende im Tierheim landet. Aber mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit hat ein Mensch seinen Anteil daran.
Für manche Tiere ist es aber auch ein großes Glück, zumindest in einem Tierheim unterzukommen, denkt man z.B. an die unzähligen traurigen Schicksale in Tötungsstationen. Sehr viel schwieriger wäre wahrscheinlich die Situation in den Tierheimen ohne die Hilfe der zahlreichen Ehrenamtler/innen, die sich unermüdlich um die Betreuung der bedürftigen Tiere kümmern und damit auch die wenigen hauptamtlichen Mitarbeiter/innen in solchen Einrichtungen unterstützen. Umso überraschter war ich, als ich bei der Lektüre dieses Buches über einige Umgangsformen der „Führungspersönlichkeiten“ mit eben diesen Ehrenamtler/innen gestolpert bin. Hier erfährt man wunderbare Beispiele wie aus der Feldforschung. Zum Beispiel, wie sich soziale Kompetenzen – mal mehr, mal weniger ausgeprägt – zeigen oder wie man auch als psychologischer Laie ziemlich sicher eine Profilneurose diagnostizieren könnte. Das Geheimnis des Ganzen ist, dass wir Menschen eigentlich immer – bewusst oder unbewusst – danach streben, unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen. Eines davon ist das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz. Die Kompetenz, diese Grundbedürfnisse zu befriedigen, ohne dabei seine Mitmenschen in Mitleidenschaft zu ziehen, ist nicht jedem gegeben. Beobachtbar sind diese Verhaltensweisen in allen Gruppen, in denen Menschen miteinander agieren. Das wird jeder von uns schon einmal am eigenen Leib erfahren haben. Im Berufsleben kann es besonders belastend sein, weil man dort meist in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis steht und nicht immer so reagieren kann, wie man gerne möchte. Doch im Bereich Ehrenamt ist es umso bedauerlicher, wenn solche Dinge geschehen, weil die Ehrenamtler/innen schlimmstenfalls die Leine an den Haken hängen und nicht mehr wiederkommen.
Nun möchte ich mich aber nicht allzu sehr in diesen psychologischen Aspekten verlieren, sondern zu dem wichtigsten Thema des Buches kommen: Den vierbeinigen Protagonisten. Die sehr liebevoll geschriebenen Porträts der sechs Hunde, die in diesem Buch den Schwerpunkt bilden, haben mich sehr berührt. Ich habe diese Hunde beim Lesen regelrecht kennengelernt, und es war fast so, als ob ich bei den Spaziergängen mit ihnen dabei gewesen wäre. Es ist schön zu lesen, dass diese Hunde jeden Tag einen menschlichen Kontakt hatten, auf den sie sich freuen konnten, und ich hoffe für jedes Tier in jedem Tierheim dieser Welt, dass es irgendwann das Glück haben wird, ein liebevolles Zuhause für immer zu finden.
Tatjana Oelmeier (Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche, Köln)
(Alf, 1987)
Es ist Ende Oktober 2024. Der Sommer hat sich schon vor einigen Wochen schlagartig verabschiedet, so, wie es schon seit einigen Jahren die Regel zu sein scheint. Einen allmählichen Übergang von einer Jahreszeit in die nächste gibt es schon lange nicht mehr. Temperaturunterschiede von bis zu 15 Grad von einem auf den anderen Tag sind zumindest in der Region, in der ich lebe, nicht mehr die Ausnahme. Der August war wieder einmal unerträglich heiß, und dann kam, fast wie über Nacht, der Herbst. Die Tage wurden allmählich kürzer, die zahlreichen kleinen und eher harmlosen Gewitter, die man aufgrund der Temperaturen vor wenigen Wochen noch so oft herbeigesehnt hatte und sich daran erfreuen konnte, blieben aus. Und dann wurde das Wetter allmählich nasskalt und ungemütlich. Jetzt, Ende Oktober, löst der Blick durch die Fenster nach draußen oft eine Stimmung aus, die man als nachdenklich, zuweilen sogar als etwas melancholisch bezeichnen könnte. Die langen, hellen und vor allem lauten und von Geschäftigkeit geprägten Tage sind vorbei. Die Gedanken fokussieren sich jetzt nicht mehr so stark auf das Hier und jetzt, sondern schweifen häufiger auch mal in die Vergangenheit ab. Eine solche Stimmung öffnet dabei manchmal die eine oder andere kleine Schublade im riesigen Archiv der Erinnerungen, die wir alle in dem faszinierenden Teil unseres Körpers bewahren, den man Gehirn nennt. In unserem Gedächtnis wird, so glaube zumindest ich, nur weniges endgültig gelöscht. Das meiste ist immer noch irgendwo vorhanden, und kleine Episoden des Lebens verlassen manchmal ohne erkennbaren Anlass ihre winzigen Verstecke und erfreuen, erschrecken oder deprimieren uns in Form von Erinnerungsfetzen.
Was mich betrifft, so denke ich gerade in dieser eigentümlichen Stimmung der eher unfreundlichen Herbsttage regelmäßig an eine für mich sehr prägende Zeit, die nun schon fast zwei Jahre zurückliegt. Zu dieser Zeit war ich etwas über ein Jahr lang ehrenamtlicher Mitarbeiter in einem Tierheim irgendwo in Deutschland und habe mich dort um einige Hunde gekümmert, die noch kein neues Zuhause gefunden hatten. Sie fristeten ihr Dasein dort teilweise schon seit Jahren. Ich denke mit sehr gemischten Gefühlen an diese Zeit zurück.
Was die Tiere betrifft, so sind es ausschließlich schöne Erinnerungen, über die etwas zu schreiben ich schon seit längerer Zeit das Bedürfnis hatte. Doch es gab auch viel Unangenehmes, unschöne Dinge im Bereich des Zwischenmenschlichen, die mir arg zugesetzt haben und auf die ich in diesem Buch gelegentlich in meinen "Exkursen" zu sprechen kommen werde. Der Schwerpunkt meiner Erzählungen soll jedoch auf den wunderbaren Hunden liegen, die ich in meiner Zeit als Ehrenamtler näher kennenlernen und einen Teil meiner Zeit mit ihnen verbringen durfte. Ich stelle sie in chronologischer Reihenfolge meiner Begegnung mit ihnen vor und hoffe, dass ich in diesen liebevollen Porträts beim Schreiben nichts Wesentliches vergessen werde.
Ich verwende im Folgenden meist das generische Maskulinum, ausschließlich um eine bessere Lesbarkeit des Textes zu gewährleisten. Gemeint sind selbstverständlich immer Personen aller Geschlechter!
Astra war damals eine etwa einjährige Husky-Hündin, die vom Veterinäramt beschlagnahmt wurde, weil sie bis zu ihrem Eintreffen im Tierheim wohl ausschließlich in einer Garage gehalten wurde. Trotz dieser langen Zeit der Isolation hatte sie keine erkennbaren Verhaltensauffälligkeiten, verfügte allerdings über sehr viel Temperament, seit langer Zeit aufgestaute Energie und gefühlte 100 Pferdestärken. Astra war der erste Hund, um den ich mich als Ehrenamtler gekümmert und fast täglich ausgeführt habe. Meine Wahl war auf die hübsche Hündin gefallen, da sie mir bei der obligatorischen Informationsveranstaltung für neue "Gassigänger" im praktischen Teil, das heißt beim gemeinsamen Spazierengehen mit den Hunden, zufälligerweise zugewiesen worden war. Da man sich als Novize verständlicherweise noch etwas unsicher fühlt, lag es nahe, dass ich mir für den ersten Spaziergang, den ich allein bestreiten durfte, einen Hund aussuchte, den ich bereits ein wenig kannte. Und Astra war einfach nur eine tolle Hündin! Sie freute sich immer wahnsinnig, wenn ich sie zum Spaziergang abholte, heulte huskytypisch und sprang wie von Sinnen am Gitter Ihres Zwingers hoch, wobei sie ihre sonst stets aufrecht und nach vorn gerichteten Ohren so weit zurücklegte, dass man sie kaum mehr sah.
Nach dem Betreten ihrer alles andere als heimeligen Behausung musste ich sie erst einmal ausgiebig begrüßen und mit ihr vorkuscheln. Wenn sie sich dann etwas beruhigt und ihre Vorfreude auf den Spaziergang lautstark und mit einer immer gleichen Choreographie zum Ausdruck gebracht hatte, ließ sie sich problemlos das sogenannte Sicherheitsgeschirr anlegen. Solche Geschirre sind für alle Hunde im Tierheim verpflichtend, da ein Hund, der sich vor irgendetwas erschreckt, sehr ängstigt und dann im schlimmsten Fall in Panik gerät, ohne weiteres in der Lage wäre, sich aus einem Halsband oder einem einfachen Geschirr zu befreien und das Weite zu suchen.
Die ersten etwa zehn Meter mit Astra im Schlepptau waren immer die unangenehmsten, weil wir auf dem Weg zum Ausgang des Tierheims an etlichen anderen Zwingern vorbeigehen mussten, in denen sich Leidensgenossen von Astra aufhielten und furchteinflößend bellend und wild herumspringend ihr kleines, vergittertes und karges Territorium wütend meinten verteidigen zu müssen. Natürlich hat Astra sich dann bemüßigt gefühlt, zurückzupöbeln, und ich musste schon einiges an Kraft aufwenden, um dieses Spießrutenlaufen schnell und sicher hinter uns zu bringen.