Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - E-Book

Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland E-Book

Volker Elis Pilgrim

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Beschreibung

Nach 20 Jahren fern von Deutschland ist Volker Elis Pilgrim zurück und legt als Ergebnis intensiver Recherchen sein Werk Hitler 1 und Hitler 2 vor. Im Herbst 2017 erscheint der erste Band Das sexuelle Niemandsland. "Die Faszination der 20. Jahrhundert-Diktatoren Franco, Mao, Mussolini, Pol Pot und Stalin verblasst, die Wirkung von Hitler steigt", so der brasilianische Journalist Carlos Haag. Am 30. Dezember 2016 titelte Die Welt: "2016 war das beste Hitler-Jahr für Historiker" und wirft die Frage auf, "ob es auch künftig noch überraschende Ideen gibt". Mit einer solchen Überraschung wartet nun Pilgrim auf: Adolf Hitler – der Supergau der deutschen Geschichte – war kein Normalmann, auch kein Psychopath. Vielmehr war er ein Sexopath, der alle Kriterien eines Serienkillers erfüllte. Diese Enträtselung ist für das Deutschland ab 1989 von überragender Bedeutung. Es kann nur zu sich selbst finden, wenn über die Königsfrage, wie die Katastrophe des Dritten Reichs geschehen konnte, Klarheit herrscht. In den 70er und 80er Jahren war Volker Elis Pilgrim der Männer-Emanzipator schlechthin. Pilgrim, Jahrgang 1942, entstammt einer preußischen Adelsfamilie aus der Mark Brandenburg. Seine Eltern gehörten zur Göring-Entourage, was Volker Elis Pilgrim später in seinem radikalen Roman Elternaustreibung thematisierte. Bis heute ist ihm eine Respektlosigkeit und eine Schlagfertigkeit zu eigen, die ihn mit seinem Talent für kritische Fragen zum herausragenden Seismografen gesellschaftlicher Verwerfungen machen. Pilgrim schreibt "transliterarisch" – Sachbücher im Stil von Romanen, "eine andere Art von Literatur", so DIE ZEIT 1984. Dabei gelangen ihm Entdeckungen von Rang, wie z.B. das homosexuelle Outing Albrecht Dürers oder die Entdeckung der bis dahin unbekannten dritten Frau von Karl Marx. Schon in seinem Buch Muttersöhne – 1986/87 für mehrere Monate auf der SPIEGEL Bestseller Liste – spielte Hitler eine zentrale Rolle.

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Volker Elis Pilgrim

Hitler 1 und Hitler 2

Erstes BuchDas sexuelle Niemandsland

Erste Auflage 2017

© Osburg Verlag Hamburg August 2017

www.osburgverlag.de

Alle Rechte vorbehalten,

insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags

sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen,

auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Ulrich Steinmetzger, Halle (Saale)

Umschlaggestaltung: Judith Hilgenstöhler, Hamburg

Satz, Layout: Hans-Jürgen Paasch, Oeste

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-95510-140-4

eISBN 978-3-95510-147-3

Inhalt

Zwischen Autobiografie und Hitler-Biografie

Auftakt

Introduktion – »Induziertes Irresein«

ONANO

HETERO

ORALO

NEUTRO

AMORO

ANALO

PERVERSO

Schlussnote

Werke und Zeugnisse

Bildnachweis

Personenverzeichnis

Für Aotearoa, ohne deren unerschöpfliche

Spiritualität ich die Entdeckung »Hitler war ein

Serienkiller« nicht hätte machen und den »Ring«

darüber nicht vollenden können.

Zwischen Autobiografie und Hitler-Biografie

Hitler 1 und Hitler 2 ist das Ergebnis einer Jahrzehnte-lang unternommenen Biografiearbeit. Am 12. April 2017 las ich den Begriff »Biografiearbeit« im Tagesspiegel und freute mich, dass er Allgemeingut geworden ist. (Sergon) Ich benutze ihn manchmal sogar in der Kombination mit Bio(grafie)analyse, um den antiquierten und aus manchen Perspektiven sogar zweifelhaft gewordenen Begriff Psychoanalyse zu verdeutlichen. Bei der Biografiearbeit, ja der Bioanalyse handelt es sich um die Arbeit mit der eigenen Lebensgeschichte oder mit der Geschichte anderer Personen.

Als ich im Herbst 1994 die Szene des Büchermachens verließ, geschah das um ausschließlich (Auto)Biografiearbeit zu unternehmen, was für eine öffentliche Person nicht möglich ist. Ich musste für eine Weile unöffentlich werden. Dass diese Phase meines Lebens ein Vierteljahrhundert dauern würde, konnte ich mir nicht vorstellen.

Ich hatte zwischen 1971 und 1994 fast 25 Jahre lang nonstop Bücher, Aufsätze und Artikel veröffentlicht. Zugleich war ich permanent auf Publikums-Veranstaltungen und in TV-Programmen präsent. Beide vermuteten Gründe für mein plötzliches Verschwinden – Erfolglosigkeit und Schreibunfähigkeit – trafen nicht zu. Mein 15. Buch »Du kannst mich ruhig ›Frau Hitler‹ nennen« startete kurz nach seinem Erscheinen im Oktober 1994, zum Bestseller zu werden, den ich mit meinem Ausstieg abwürgte. Mir war zum zweiten Mal geglückt, eine Welle in Bewegung zu setzen – nach dem »neuen Mann« und der Männerbewegung 1971/73 diesmal die Nazifrauen-Buch-Bewegung, ein Thema, das mindestens ein Jahrzehnt lang boomte. (Zur Nieden 01) Ich überließ Kolleginnen und Kollegen den Erfolg mit ihm und stieg in die tiefsten Gründe eines Nazisohnes ein. Als solchen hatte mich ein mir persönlich unbekannter Nachbar in meinem Kindheitsdorf tituliert und damit zugleich begründet, warum er mich nicht kennenlernen wollte. Er hatte gute Gründe dafür, war er doch vor Jahrzehnten das bei Freunden versteckt überlebende Baby seiner deportierten und ermordeten jüdischen Eltern gewesen.

Tatsächlich war meine Bio-Sozio-Psycho-Basis eine Nazifamilie »mit langem Arm nach oben«, wie andere Nachbarn mein aristokratisches Herkunfts-Milieu noch in den 1970ern kennzeichneten. Geboren 1942 hatte dieses Milieu auf mich bis zu meiner Trennung von ihm 1978 eine prioritäre Wirkung. Doch auf diese »U-Ebene« setzte sich die Gemeinschaftlichkeits-Gesinnung des DDR-versuchten Sozialismus, dazu die geistige Schulung in Marxismus. 1960 kam es wider meinen Willen zur Flucht der Familie in die BRD. Dort wurde ich ab 1963 Kind der Frankfurter Schule und trieb es bis zum »Äußersten« der Duz-Freundschaft mit Adorno, dessen Geliebte Eva ich 1969 heiratete – ja, genau die geheimnisvolle Artisten-in-der-Zirkuskuppel-ratlos-Verlobte Alexander Kluges.

Dieser Sud bis Sumpf von Widersprüchen in meiner Jugend machte es mir möglich, Anfang der 1970er Jahre zu einer Nach-68er Kultfigur zu erblühen. Das gelang mir deswegen, weil ich neben der Befreiung des Mannes aus seinen Verstrickungen ins »Patriarchat« auch um die Befreiung des Kindes und des »Tieres« aus den unsäglichen Umgangsweisen der Menschen mit den Schutzlosen kämpfte. Im Zuge der Verfechtung einer neuen Kind-Eltern-Beziehung trennte ich mich von meinem gesamten Ursprung bis zum kompletten Erbverzicht und der Aufgabe meines bürgerlichen Namens. Denn Befreiung geschieht nicht, wenn sie nur gedacht und nicht auch mit der eigenen Biografie gelebt wird – die entscheidenden Gründe dafür, warum die Erneuerer vom Großkaliber eines Marx und eines Freud notorisch erfolglos blieben. Sie verbreiteten ihr falsches Credo: Befreiung müsse nur bei anderen geschehen, nicht bei sich selbst. Wegen dieser anti-autobiografischen Attacke geschieht Befreiung dann bei anderen ebenfalls nicht.

Mit der Beibehaltung meines hebro-germanischen Künstlernamens falle ich nicht etwa in alte Stadien zurück. Sie geschieht wegen des dreißig Jahre lang gestanzten Markenzeichens, das in unzählbaren Artikeln über mich bis zu Time Magazine in Rotation gegangen ist. Unter meinem neuen Namen auf die Dauer publizistisch zu firmieren, wie ich es 2009 versuchte, hätte wegen des digitalen Zeitalters eine schwächende Zweinamens-Spaltung der Person bedeutet.

Zehn Jahre nach meinem Abschied vom privaten Ursprung wurde ich von deutsch-österreichisch-polnisch-jüdischen Emigranten in Melbourne adoptiert, aus denen ich mir eine Zweit-Familie schuf. 1988 war ich als permanent resident dorthin gezogen und hatte 1989 die australische Staatsbürgerschaft erworben. Die neun Melbourner jüdischen Wahlverwandten ersetzten mir meine neun Primärpersonen, in deren Großfamilie ich aufgewachsen war.

Mit der historischen und geografischen Weitenschau auf alles Deutsche – nicht nur auf mich selbst – konnte ich ungewöhnliche Perspektiven einnehmen, die mir wissenschaftliche Entdeckungen und die Bearbeitung neuer Themen ermöglichte. Vier Beispiele:

1. Ein Buch-Zyklus über Kleists Leben und Werk,

2. Missbrauch und Botschaft in der Eltern-Kind-Beziehung,

3. die genetischen Ursachen des Tätertyps Serienkiller,

4. die psychischen Konditionen des Täterinnentyps Gattenmörderin.

Bei jedem Thema konnte ich auf frühe Erfahrungen aufbauen:

1. Zwei Jahrzehnte Theaterspielen,

2. meine achtjährige Psychoanalyse,

3. mein Jura-Studium – Schwerpunkt Kriminologie,

4. meine Bekanntschaft mit der Pionierin im Frauen-Strafvollzug, Helga Einsele.

Für jedes Thema entstanden mehrere Manuskripte – das folgenreichste Hitler 1 und Hitler 2, eine psychoanalytische, sexualwissenschaftliche, sozio- und kriminologische Auseinandersetzung mit dem deutsch-österreichischen Täter des (20.) Jahrhunderts.

Hitler 1 und Hitler 2 ist eine Studie – verfasst worden im Stil eines Matches mit der Hitler-Biografik. Neben Hitler sind mehr als zwanzig Autorinnen und Autoren in der Hitler-Forschung die Protagonisten, mit denen es zum Teil hoch hergeht, weil sie sich Angriffen ausgesetzt sehen werden, die noch nie gegen sie geritten wurden.

Ich habe mein historisches Handwerk auf dem Schoß meines mütterlichen Großvaters erworben – des Mittelalter-Spezialisten Dr. Wilhelm Smidt. Hinzu kommt meine Ausbildung in Aristokratologie – ermöglicht durch die mit dem Ur-Adel verzweigte väterliche Familie, ein Rüstzeug, dass bei der Beschäftigung mit Hitler nicht zu unterschätzen ist. Denn gewöhnlich hat die bürgerliche Geschichtsschreibung keine Kenntnisse von der feudalistischen Gesellschaft mehr erworben, der Vorform der kapitalistischen, in der wir heute leben. Hitler entstammte feudal-bäuerlichen Vorfahren im österreichischen Waldviertel, in dem seine miteinander verwandten Eltern aufgewachsen waren.

Der Kampf mit der Hitler-Biografik ging um etwas Dramatisches, das ich vor meiner siebenjährigen Hitler-Forschung nicht für möglich gehalten hätte. Meine Existenz spannte sich zwischen dem Mich-Vertiefen in zehn deutsche Spezial-Archive und dem Verarbeiten des Quellenmaterials, meinen Niederschriften in Neuseeland, wo ich seit 1999 lebe – mit Ausnahme eines Bonner Intervalls von 2009 bis 2012, währenddessen ich 2010 meine Hitler-Forschung begann.

Die Drei-Länder-Wirkung auf mich erbrachte nicht nur unentwegt Neues über Hitler, sondern auch das Gewahrwerden: »Etwas ist faul im Staate Dänemark!« (Hamlet) Etwas stimmt nicht mit der Hitler-Rezeption, wie sie hauptsächlich in Deutschland betrieben wird. Ich war schockiert von der Herausgabe des Hitler-Buchs Mein Kampf durch das Münchener Institut für Zeitgeschichte. Das IfZM ist eines meiner geachtetsten Archive, in dem ich viele Stunden für meine Hitler-Forschung zubrachte. Wie konnte es dieser Institution, deren Ethos die Bewältigung der Nazizeit ist, passieren, »dass sich antisemitische Perspektiven in den Kommentar [von Mein Kampf] einschleichen«? So formulierte es der Londoner Professor Jeremy Adler am 5./6. Januar 2017 in der Süddeutschen Zeitung.

Auch machte mich stutzig, wie in Deutschland mit dem Neonazitum umgegangen wird: Lässigkeit gegenüber dem politischen Agieren der extremen Rechten, aber höchste Rechtsschutz-Achtsamkeit, falls jemand als »Neonazi« geziehen wird, was sich als eine Art Holocaust-Leugnung mit umgekehrten Vorzeichen ausnimmt. Sowie gegen jemanden die Vokabel »Neonazi« fällt, hat der Plakateur den Staatsanwalt im Haus. Unter solchen Adenauerzeit-»restaurativen« Gegenwärtigkeiten war es für mich definitorisch kompliziert, die momentane Hitler-Rezeption zu attackieren, was sein muss, sobald sie in braune Abwässer schliddert. Wenn schon der Gral der Dritte-Reichs-Forschung vor diesem Ertrinken nicht gefeit ist, was soll man dann gegen schlichtere Abwracker sagen?!

Ich kann nur sagen: Mir haben drei Länder geholfen, meinen Nazi-Ausgangspunkt Rückstands-los zu bewältigen: die DDR, Australien und Neuseeland. In Neuseeland gibt es das Pflicht-Schulfach »Nazi-Diktatur«, das Deutschland dringend bräuchte. Was Peter Longerich, der aktuellste Hitler-Biograf, 2015 forderte: »Wir dürfen nicht die letzten Opfer der Nazipropaganda werden!«, ist bei dem Schlamassel der Mein Kampf-Herausgabe des Münchener Instituts für Zeitgeschichte längst geschehen, den Jeremy Adler mit den Worten geißelte: »Man sollte wohl in einem Rechtsstaat, da die Volksverhetzung strafbar ist, diese Ausgabe [von Hitlers Mein Kampf] zurückziehen.« Ein schlimmeres Verdikt gegen ein wissenschaftliches Werk ist nicht denkbar. In Bezug auf Adlers vorletzten Satz seines Essays in der SZ: »Das absolut Böse lässt sich nicht edieren!«, muss hinzugefügt werden: »aber erforschen«. Und dabei haben mir die von Nazis am weitesten entfernten Demokratien Australiens und Neuseelands unschätzbar geholfen.

Ehe es losgeht mit dem ersten Buch von Hitler 1 und Hitler 2 soll in einem Prolog das Unterfangen vorgestellt und das geistig-politische Bezugsnetz angesprochen werden, in dem sich das Thema Hitler heute befindet:

Der Spiegel schrieb am 14. Januar 2008 aus Anlass des 75. Jahrestages von Hitlers Machterlangung: »Wäre Hitler am 30. Januar 1933 nicht Reichskanzler geworden, das ist gewiss, sähe unsere Welt anders aus. Und so lautet heute und wohl die nächsten Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte, die Königsfrage der deutschen Geschichte: Wie konnte es dazu kommen? … Eine letzte Antwort, eine Formel, die alles erklären könnte, steht bis heute aus.« (3/08)

Die Zeit leitete am 24. Dezember 2015 ihre Kritik der neuesten Hitler-Biografie des deutsch-englischen Geschichtsprofessors Peter Longerich mit den Worten ein: »Hitler sells. Dass der ›Führer‹ auf dem Umschlag zu höheren Auflagen verhilft, zeigt nicht nur ein Blick auf die Spiegel-Titel der letzten Jahrzehnte. Der Markt wird geradezu überschwemmt von Büchern und Filmen zu Hitler, von allem Möglichen, wenn es sich nur irgendwie mit Hitler in Verbindung bringen lässt.«

Die Welt vom 30. Dezember 2016 übertrumpfte diese Feststellung mit der Nachricht: »2016 war das beste Hitler-Jahr«. Das Blatt stellte sechs neue deutsche Publikationen zum Thema »Hitler« vor und war bester Hoffnung: »Man darf gespannt sein, ob es auch künftig noch überraschende Ideen [zu Hitler] gibt.«

Die FAZ hatte schon am 22. Juni 2004 nach dem Hitler-Bunker-Film Der Untergang die Hitler-Rezeption in »eine neue Phase« eintreten sehen. Die Ausstellung Hitler und die Deutschen 2010 im Berliner Deutschen Historischen Museum war von Gästen aus aller Welt regelmäßig überfüllt. Das Nachtstudio des ZDF brachte dazu am 1. Februar 2011 seine Sendung Zeitgenosse Hitler. Die 2012 erschienene Satire Er ist wieder da von Timur Vermes katapultierte sich zu einem Weltbestseller – Thema: Adolf Hitler aufersteht im Berlin von 2011.

Der englische Geschichts-Professor Ian Kershaw – die Nummer eins in der Zunft der Hitler-Biografen – publizierte aus Anlass von Hitlers 125. Geburtstag am 20. April 2014 im History Magazine den Aufsatz The Long Shadow of Adolf Hitler. Geradezu verrückt sind die Anglos nach Hitler. In Erinnerung ist, dass Hitler auf dem Sergeant Pepper-Cover der Beatles von 1967 ursprünglich unter den Gästen sein sollte, dann aber mit Jesus und Gandhi herauszensiert wurde. Das hat sich auch bei der Jubiläumsausgabe von 2017 nicht geändert.

Der brasilianische Journalist Carlos Haag schreibt in seinem Blog The Day on which Hitler cried: Die Faszination der 20.-Jahrhundert-Diktatoren wie Franco, Mao, Mussolini, Pol Pot und Stalin verblasse, die publizistische Wirkung von Hitler jedoch steige.

Die deutsche und englischsprachige Wissenschafts-Literatur um die Jahrtausendwende beschleunigt sich: Alle paar Jahre neue Bücher über Hitler! Die Franzosen bemühen sich jedes Jahrzehnt um neue Perspektiven auf Nachbars blutrünstigen Public-Tycoon. Vier Autoren aus diesen drei Kulturen, die sich im Prinzip die Hitler-Biografik teilen, versuchen noch einmal mit der Größt-Anstrengung einer 1000–2000-Seiten-Gesamtschau, dem Sondermann zu Leibe zu rücken: Der Brite Ian Kershaw (1998/2000 und 2008), der Franzose Bernard Plouvier (2007/08), der Deutsche Volker Ullrich (2013, Englisch März 2016) und der transnationalisierte, in London lehrende Peter Longerich (2015).

Anglo- und deutsche TV-Produzenten planen neue Mammut-Serien über Hitler.

Und doch ist noch immer ein Rest des Unerklärlichen an Hitler hängen geblieben. Der erste Nach-45-Hitler-Biograf von Weltrang, Alan Bullock, sagte gegen Ende seines Lebens zu seinem amerikanischen Kollegen Ron Rosenbaum, je mehr er sich mit Hitler beschäftigt habe, umso unverständlicher sei ihm der Diktator geworden. »Da bleibt«, so auch der britisch-australische Historiker und Bestsellerautor Christopher Clark resignativ, »etwas Unbegreifliches«.

Die alten Versuche der Annäherung an Hitler mit Hilfe von Kategorien aus Psychiatrie und Psychoanalyse haben Hitler nicht enträtselt. Ian Kershaw summierte zur Jahrtausendwende: »Die Interpretationen von Adolf Hitlers Verhalten aus Ursachen frühkindlicher Störungen sind gescheitert.«

Zwei Besonderheiten in Hitlers Wirken und Persönlichkeit überragen alle anderen seiner Abnormitäten:

Erstens. Hitler war ein ungewöhnlicher Serienkiller.

Obwohl Massenmörder und Terroristen ebenfalls wiederholte Tötungen begehen, sind Serienkiller kriminologisch etwas phänotypisch anderes als Massenmörder, Terroristen und auch Amokläufer. Serienkiller leiden unter einer sexuellen Anomalie. Sie haben einen Drang zu morden, um sexuelle Befriedigung zu erlangen. Sie wurden früher »Triebtäter« oder »Lustmörder« genannt – Begriffe, die dieser Eigenart männlichen Mordens sehr nahe kamen und zu Unrecht in der Fach-Terminologie aufgegeben wurden.

Was Serienkiller mit ihren Händen tun, tat Hitler aus seinem Kopf heraus. Er wirkte schon ab 1919 darauf hin, dass Menschen von seinen – um ihn gescharten – Horden gequält und getötet wurden. Er befahl als Staatsführer Quälungen und Ermordungen fließbandhaft sofort von Februar 1933 an und machte damit bis zu seinem Selbstmord im »Führer«-Bunker am 30. April 1945 nicht Schluss. Adolf Hitler als Serienkiller zu definieren heißt deshalb, er tritt diesmal nicht als Psycho path auf – wie jahrzehntelang missverstanden –, sondern als Sexo path.

Es geht in Hitler 1 und Hitler 2 auch immer wieder um »profane« Serienkiller. Ohne ihr Spiegeln des Extrems würde Adolf Hitler nicht klar erkennbar werden. Außerdem sind Serienkiller ebenfalls immer noch eine terra incognita, ein maskulines Rätsel.

Maskuline Rätsel sind seit über vierzig Jahren Gegenstand meiner Untersuchungen. Ich arbeite neben Walter Hollstein, Klaus Theweleit und Wilfried Wieck für die Männerforschung, die universitär nicht etabliert ist. Es gibt an deutschen Universitäten inzwischen rund zweihundert Lehrstühle für Frauenforschung, jedoch keinen einzigen für Männerforschung!

Meine erste Veröffentlichung im Mai 1971 galt Albrecht Dürer, den ich zur Feier seines fünfhundertsten Geburtstags als homosexuell outete – was 2003 vom Nürnberger Dürer-Haus offiziell bestätigt wurde. Meine zweitjüngste Publikation Die Königsfälschung von 2009 behandelt den »Sonnenkönig« Louis XIV: Der Initiator des Absolutismus war kein gebürtiger Bourbone, sondern ein von der römischen Kardinalskorporation dem unfruchtbaren Königspaar untergelegtes süditalienisches Klappenbaby. Schon bei Ludwig 14 gab es eine Wesensveränderung, wenn auch aus ganz anderen Gründen als bei Hitler: Zuerst war Louis XIV ein unauffälliger Landesfürst, der aus den Fugen geriet, nachdem er am Sterbebett seiner Offizialmutter Anne d’Autriche erfahren hatte: Er verdankte seine Position des Königs von Frankreich nicht dem Gottesgnadentum, sondern einem Coup d’État, vollführt von den Kardinälen Richelieu und Mazarin.

Ob über Bismarck, Freud, Goethe, Marx, Mozart, Napoleon, Nietzsche, Luther, Rathenau, Reagan, Stalin und Wagner oder den »Mann auf der Straße«, es handelt sich in den meisten meiner Bücher um ungewohnte Perspektiven auf den Mann und seine männerbündische Gesellschaft. Ich studierte zwischen 1961 und 1968 bis zum Dr. jur. Geschichts- und Rechtswissenschaft, Psychoanalyse und Soziologie an den Universitäten Göttingen und Frankfurt am Main. Acht meiner zwischen 1973 und 2009 publizierten sechzehn Bücher behandeln Themen der Geschichtsschreibung, zwei berühren Hitler (Muttersöhne, 1986, und »Du kannst mich ruhig ›Frau Hitler‹ nennen«, 1994).

Bereits als Student beschäftigte ich mich in den Seminaren von Strafrechtlern, Kriminologen und Soziologen mit Serienkillern. Meine Universitätslehrer auf diesem Gebiet waren Friedrich Geerds, Jürgen Habermas, Klaus Lüderssen, Eberhard Schmidhäuser, Curt und Ilse Staff und die hessische Frauengefängnis-Direktorin Helga Einsele, deren Nachfolgerin Eva von Pilgrim wurde. Während meines Studiums in den 1960ern machte in Nordrhein-Westfalen der jugendliche »Kirmesmörder« Jürgen Bartsch Schlagzeilen und lieferte – gemeinsam mit seinen Vorläufern, dem »Schlächter von Hannover« Fritz Haarmann und dem »Vampir von Düsseldorf« Peter Kürten – erstes Material für eine Definition des befremdlichen Tätertyps »Serienkiller«.

Zweitens. Hitler erscheint biografisch nicht einheitlich.

Es gibt »zwei Hitlers«, den frühen unauffälligen Hitler 1 – bis 29-jährig – und den historisch wirksamen Hitler 2 in seinem Alter von 30 bis 56.

Ist in der Hitler-Forschung die Auseinandersetzung mit Hitlers Serienkiller-Anlage eine Neuheit, so haben sich schon mehrere Autoren dem Phänomen der »zwei Hitlers« genähert, u. a. in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Publikationen Anton Joachimsthaler mit Korrektur einer Biographie (1989), Brigitte Hamann mit Hitlers Wien (1996), Anna Maria Sigmund mit Diktator, Dämon, Demagoge (2006), Dirk Bavendamm mit Der junge Hitler (2009), Ralf Georg Reuth mit Hitlers Judenhass – den es bei Hitler 1 noch nicht gab – (2009), Thomas Weber mit Hitlers erster Krieg (2010/2012) – behandelnd einen Hitler, der als Soldat des Ersten Weltkriegs seine weltbekannten Negativa noch nicht »draufgehabt« hatte – sowie Henrik Eberle mit Hitlers Weltkriege. Wie der Gefreite zum Feldherrn wurde (2014) – eine Gegenüberstellung der zwei Hitler-»Ausgaben«, wie sie sich im Ersten und im Zweiten Weltkrieg jeweils betätigten.

Hitler 1 war weder politisch begabt noch antisemitisch fanatisiert. Schon Autoren wie Erich Fromm und Joseph Stern haben sich mit einer weiteren Auffälligkeit am frühen Hitler beschäftigt: Hitler 1 war ein willenloser, Publikums-scheuer »Sonderling« (Hitlers eigenes Wort für seine Selbstkennzeichnung als Hitler 1), der vor mehr als fünf Personen nicht reden konnte und nicht wagte, sich auf eine Empfehlung hin bei einem bekannten Wiener Bühnenbildner vorzustellen. Er war ein »Schöngeist«, ein privatisierender, sich in Malerei, Architektur und Musik versuchender Dilettant, jedoch nicht imstande, Prüfungen zu bestehen.

Hitler 1 war praktisch und ideell kein »Gewaltmann«, stattdessen ein körperlich fragiler »Weichling«, der Offiziere nicht mochte, sich vier Jahre lang seiner Stellungspflicht entzog und der bei seiner erzwungenen Musterung für den österreichischen Militärdienst im Februar 1914 als untauglich eingestuft wurde. Über diese Besonderheiten gibt es genügend Zeugnisse aus seiner österreichischen Jugend- und seiner deutschen Soldatenzeit – allen voran August Kubizeks Adolf Hitler. Mein Jugendfreund, Franz Jetzingers Hitlers Jugend. Phantasien, Lügen und die Wahrheit, Bradley f. Smiths Adolf Hitler. His Family, Childhood and Youth und Fritz Wiedemanns Der Mann, der Feldherr werden wollte. Hitlers militärischer Vorgesetzter im Ersten Weltkrieg, sein späterer Adjutant als Bürochef in der Reichskanzlei, Wiedemann, zeigt einen Hitler 1, der nicht führen konnte und nicht vorstehen wollte und deshalb nie zum Offizier befördert wurde.

Aufgrund dieser riesigen Differenzen zwischen den zwei Hitler-»Ausgaben« wurde bisher vergeblich versucht, mit dem erwachsenen Hitler 2 den jugendlichen Hitler 1 zu interpretieren oder Hitler 2 aus Hitler 1 herzuleiten. Alle diesbezüglichen Versuche gingen ins Leere, da Hitler 1 und Hitler 2 voneinander so verschieden waren, als hätte es sich um andere Personen gehandelt.

Wie kam es zu der Wesensveränderung und vor allem wann und wo? Dieser Vorgang ist das Hauptthema des Zyklus, das alle Bände durchzieht. Die Nahtstelle zwischen Hitler 1 und Hitler 2 war seine Zeit vom 21. Oktober bis zum 19. November 1918 als damals »hysterisch« diagnostizierter »gasvergifteter« Soldat in einer sanitären Spezial-Station für »Kriegsneurotiker«, ab 1916 eingerichtet im ganzen Lande – so auch im Reserve-Lazarett zu Pasewalk. In einer solchen Station wurden Blinde, Taube, Stumme, Zitterer, Stotterer und andere Nerven-geschädigte Leicht-Verwundete oder Somatisierende hospitalisiert. Hitler 1 war nach seiner Giftgas-Verwundung Mitte Oktober 1918 medizinisch als »Funktioneller« – was damals hieß, nicht organisch Verwundeter, sondern psychosomatisch Reagierender – eingestuft und in einem Invaliden-Transportzug von der Westfront nach Pasewalk verbracht worden. Auf seinen beiden erhalten gebliebenen Zählkarten – den Miniaturausgaben von Daten aus der Krankenakte zu seiner zweiten Kriegsverletzung im Herbst 1918 – wurde die Art von Hitlers Krankheit nur mit »Gasvergiftung« umschrieben.

Deshalb besteht in der Hitler-Forschung völlige Unklarheit über die genauere Art von Hitlers Leiden nach einem Gasgranaten-Angriff der Briten am 15. Oktober 1918. Seine Pasewalker Krankenakte ist von den Nazis vernichtet worden. Und allgemeine Unterlagen über das Reserve-Lazarett zu Pasewalk im dortigen Garnisonskomplex sind im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Einzelheiten zu Hitlers Pasewalk mussten daher für Hitler 1 und Hitler 2 über andere Quellen rekonstruiert werden.

Hitler 2 mystifiziert seine Pasewalker Lazarett-Zeit Oktober/November 1918 in seiner Teil-Autobiografie Mein Kampf. Er deutet darin an, es sei in Pasewalk etwas Eigentümliches mit ihm geschehen, das ihn zum Politiker »gemacht« habe: »Ich aber beschloss, Politiker zu werden!« Dieser Satz, 1925 rückdatiert auf die Herbst-1918-Geschehnisse, markiert die Grenzüberschreitung von Hitler 1 zu Hitler 2. Denn Hitler 1 hatte überhaupt keine Voraussetzungen für eine erfolgreiche Politikerlaufbahn.

Obwohl es schon zwei Bücher über Hitlers Phase in Pasewalk gibt – David Lewis’ The Man Who Invented Hitler (2003) und Bernhard Horstmanns Hitler in Pasewalk (2004) –, und außerdem Autoren wie Rudolph Binion und David Post zwischen 1976 und 1998 dem Problem Abschnitte in ihren Büchern oder Fachzeitschriften-Aufsätze gewidmet haben, liegt immer noch ein Dunkel über Pasewalk. Was geschah dort?

Hitler 1 wurde während seines Aufenthaltes im Reserve-Lazarett zu Pasewalk ein Opfer der »Maschinengewehre hinter der Front«. So nannte Sigmund Freud die Militärpsychiater, die die psychosomatisch oder mikroorganisch/molekularbiologisch erkrankten – damals genannt »kriegsneurotischen« – Soldaten im Eilmarsch mit dubiosen Verfahren traktierten, um die jungen Männer so schnell wie möglich an die Front zurückschicken zu können. Der angeblich »funktionell« erkrankte Hitler 1 war in Pasewalk von einem neuropsychiatrischen Offizier mit unlauteren psycho-invasiven Methoden symptomlos gemacht worden.

Dabei geschah ein medizinischer Supergau: Durch einen ärztlichen Kunstfehler während der tiefenpsychischen Behandlung war Hitlers bisher verdrängtes Serienkiller-Potential aus Versehen »entdrängt«, d. h. gezündet worden und Verhaltens-steuernd in Hitlers Ich-Struktur eingedrungen. Fortan fuhr Hitler 2 als polit-hypnotischer massensuggestiver »Frankenstein« in Deutschland und Europa hinein, bis über fünfzig Millionen Menschen tot waren und er am 30. April 1945 von der ganzen Welt zum Aufgeben gezwungen werden musste.

Adolf Hitler war in zweierlei Weise selbst ein Opfer, ehe er sich als »Täter des Jahrhunderts« äußerte: Erstens genetisch als Serienkiller, verursacht durch die Inzuchts-Ehe seiner Eltern, zweitens medizinisch, indem ihm mit einer »gehirnwaschenden« Ich-überrumpelnden Brachial-Kur ein neues Verhalten konditioniert wurde – nämlich dasjenige eines Landes-, später eines Staats-terroristischen Massenmörders und schließlich eines versuchten Völkervernichters.

Nach der etwa zehnjährigen konzentrierten Beschäftigung mit dem Thema »Serienkiller« und dem Abschluss eines Manuskripts Ende 2010 reifte der Entschluss, zu dem besonderen Serienkiller Adolf Hitler ein eigenes Buch zu schreiben, der schon im Text über die gewöhnlichen Serienkiller immer wieder Gastauftritte absolviert. Es sollte eine kurze Studie werden, weil Hitler ja bekannt ist, deshalb sollte das Thema nur Hitlers Wesensveränderung betreffen. Wie geschah sie? Was für eine psychodynamische Transformation ereignete sich zwischen dem Militärpsychiater in Pasewalk und dem Weltkrieg-I-verwundeten Gefreiten und Meldegänger?

Kaum war das Forschungsfeld betreten, stellte sich heraus, Hitlers Pasewalk ist das verwuchertste Dickicht von Unbewältigtheiten in der Hitler-Biografik. Kein exaktes Wissen vorhanden – weder darüber, wer der behandelnde Arzt gewesen ist, noch ob es in Pasewalk überhaupt eine »Kriegsneurotiker«-Station gegeben hat, wogegen 2014 Henrik Eberle polemisierte. Er sah Hitler nur mit »Augenbrennen« in einem Pasewalker »Genesungsheim« untergebracht und wollte die Problematik der Hitler’schen Wesensveränderung vom Tisch fegen. Der Existenz einer Nerven-Abteilung im Pasewalker Lazarett gelten mehrere Beweisführungen, ehe sie belegt werden kann. (drittes Buch)

Wegen der schwärzesten Nacht von Unkenntnis über Hitlers fünf Wochen zwischen seiner Verwundung Mitte Oktober 1918 an der Westfront und seiner dokumentierten Entlassung aus dem Pasewalker Lazarett am 19. November 1918 kann sich jeder Hitler-Forscher einbilden, was er will. Wer nicht glaubt, wie es hinsichtlich Hitlers mysteriösen fünf Wochen in der offiziellen Hitler-Forschung zugeht, möge sich die Pasewalk-Erzählungen der Hitler-Biografen zu Gemüte ziehen: Nach Olden (35) und Heiden (36/37), die noch wenig haben wissen können, folgten nur »Blind«-Stellen – so bei Görlitz/Quint (52), Bullock (52/53), Orr (52), Heiber (60), P. u. R. Gosset (61–63), Maser (65/71), Snyder (67), Deuerlein (69), Fest (73), Toland (76), Payne (77), Zitelmann (89), Steinert (91/94), Pätzold/Weißbecker (95), Kershaw (98/2000 und 2008), Reuth (2003), Ullrich (2013/2016), Sandkühler (2015), Longerich (2015).

Geradezu eine Verdunklungs-Schuld trifft Hitlers medizinische Spezial-Biografen: Recktenwald (63), Röhrs (65/66), Schenck (89), Redlich (98/2002), Neumayr (2001) und Eberle/Neumann (2009/2013), denen allen noch Plouvier hinzugerechnet werden muss, da er mit seinen aufwendigen vier/sechs Bänden eine biographie médicale et politique vorgelegt hat (2007/2008). Es wäre die Pflicht dieser Autoren gewesen, konzentrierte Untersuchungen über Hitlers Lazarett-Zeit in Pasewalk vorzunehmen, anstatt diese zu marginalisieren.

Die vielen anglo-deutschen Sonder-Studien zu Hitlers »Psychopathie« von Coolidge und Langer über Miller und Stierlin bis zu Waite wurden bei den medizinischen Biografien nicht aufgeführt, weil sie nicht Gesamt-Lebens-betrachtend vorgehen und weil sich ihre Relevanz nach der Terminierung Hitlers als Serienkiller aufgehoben hat.

Überraschend neue Töne schlugen alle drei Hitler-Chronisten an: Hauner, Bruppacher und Sandner erwähnen immerhin schon Hitlers Schnitt-Zeit in Pasewalk und berichten davon, dass Oktober/November 1918 eine Hypnose Hitlers durch einen Militärpsychiater stattgefunden hat. Das ist ein Lichtblick, weil die Chronisten – im Gegensatz zu sämtlichen Biografen – die beiden Pioniere Lewis und Horstmann in ihre Hitler-von-Tag-zu-Tag-Revues einarbeiteten. Jedoch: In dem Gewirr von Unklarheiten über Hitlers Bruch-Zeit der Pasewalker Wesensveränderung machen die beiden ersten unternommenen Versuche von David Lewis (2003) und Bernhard Horstmann (2004), Licht in Hitlers Pasewalk zu bringen, einen niederschmetternden Eindruck, den auch kein Chronist reparieren konnte. Denn die Autoren warten mit einem »Kraut und Rüben« von echter Recherche und – in der Geschichtswissenschaft verpönten – »Vermutungen«, »Annahmen« und fantasierten Verstiegenheiten auf. Nach den Publikationen von Lewis und Horstmann gibt es immer noch kein Licht über Pasewalk.

Das ursprünglich beabsichtigte kurze Themen-Buch über Hitlers Wesensveränderung musste ad acta gelegt und in eine Spezial-Untersuchung eingestiegen werden. Deren Anspruch: Nicht mit einer einzigen Vermutung sich im Raum der Darstellung einzurichten, sondern alles Konstatierte mit der Dokumentierung von Zeugnissen und Zeugenaussagen zu beweisen. Das Unternehmen führte zu einer fast siebenjährigen Nonstop-»Feldforschung« auf ganz anderen »Feldern«, als zuvor die Serienkiller-Forschung unternommen worden war. Das Wagnis wurde belohnt mit einer Vielzahl von überraschenden Entdeckungen, die oftmals dazu führten, dass viele Passagen im Text mehrmals verfasst werden mussten, jeweils dann, wenn sich neue Erkenntnisse aus neuen Funden ergaben.

Höhepunkt: Im vierten Jahr der Recherche das Ergebnis – Hitler war nicht blind, wie er es in Mein Kampf und weitere fünfmal behauptete und im Dritten Reich seine Mit-Propagandisten achtmal lügen ließ. Hitler litt nicht einmal an Augenproblemen. Seine »Gasvergiftung« am Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich auf die feine Muskulatur seines Kehlkopfes ausgewirkt. Hitler war stumm, und das auch noch real und nicht funktionell. Die Giftgas-Verletzungsfolge »stumm« führte zum biografischen Schnittpunkt des Massen-suggestivsten Redners aller Zeiten. Ein komplettes Novum in der Hitler-Forschung, da alle Biografen und Chronisten von einem »blinden« oder Augen-involviert »gasvergifteten« Hitler ausgehen. Die Neuheit wurde mit über zehn Zeugnissen und Zeitzeugen-Aussagen stabilisiert.

Das Entsetzen jedes Verlages musste herausgefordert werden: Das Projekt schwoll so an, dass es sich im vierten Jahr in drei und im sechsten Jahr in vier Bücher gliederte. Das Quatro-»Konzert« ließ sich nicht vermeiden, da bei Hitlers Pasewalk prozesshaft vorgegangen werden musste – so lange zu recherchieren, zu argumentieren, ja zu verhandeln, bis ein Detail klipp und klar dasteht, entweder mit einem Dokument belegt oder mit Faktenscherben von mindestens drei Indizien konsolidiert. Es wurden Forschungen in zehn Primär-Dokumenten-Zentren oder -Archiven und darüber hinaus in genauso vielen Spezial-Bibliotheken und -Sammlungen unternommen, um das medizinische Fachschrifttum der Weltkrieg-I-Epoche nach Antworten zu komplizierten Fragen zu durchsuchen und um die Realitäten von Hitler 1 und Hitler 2 in versteckten Zeugnissen und Zeitzeugen-Aussagen zu finden.

In Das sexuelle Niemandsland wird die Klärung von sexuellen Fragen zu Hitler vorangetrieben, die in seinen Biografien ebenso unbefriedigend beantwortet werden wie die Geheimzeit von Hitlers Pasewalk.

Der Mainstream vermutet Hitler als Hetero – wegen seiner Beziehung mit Eva Braun. Der Außenseiter Lothar Machtan setzt Hitler als Homo voraus. Beides musste differenziert und bisher irrige Annahmen konnten mit dem Serienkiller-Wissen verifiziert werden: Serienkiller sind im Prinzip »hypo-sexuell« (= gering-, a- oder unsexuell), womit ein treffender Begriff des frühen medizinbiografischen Hitler-Forschers Johann Recktenwald für die Diskussion um Hitlers Sexualität wiederbelebt wird. Heute würde Hitler als sexuell »low« bezeichnet werden. Das genetisch deformierte eigentliche sexuelle Interesse der Serienkiller ist aufs Quäl-Töten gerichtet, erst dabei erleben sie sexuelle Befriedigung.

Im ersten Buch muss Hitler von Sexual-Mythen befreit werden, was sehr aufwendig verläuft, weil es knifflig ist, Genauigkeiten bei dieser Problematik zu erreichen. Sein Titel entstammt einer Einschätzung des frühen Hitler-Gefolgsmannes Ernst Hanfstaengl. Hanfstaengl wollte mit der Kennzeichnung Hitlers als »sexuelles Niemandsland« die fehlende sexuelle Praxis Hitlers treffen und kam damit erstaunlich nahe an dessen Serienkiller-Eigenart heran.

Das zweite Buch gilt dem Ziel, Hitlers dichte Inzucht zu beweisen. Die Hitler-Biografik zuckt zu diesem Thema die Achseln. Es ist ihr egal, ob Hitlers Eltern Onkel und Nichte ersten oder zweiten Grades waren. Doch für den Nachweis von Hitlers Serienkiller-Anlage kann die Situation nicht im »Egal« bleiben, da eine der Ursachen dieser männlichen Anomalie ein genetischer Schaden aus dichter Inzucht ist. Außerdem wird die Frage behandelt: Warum war Hitler 1 kein aktiver Serienkiller? Bei den meisten zeigt sich der Quältötungs-Trieb schon um die Pubertät im zweiten Lebensjahrzehnt oder in den Zwanzigern. Hitlers Serienkiller-Anlage wurde in die Verdrängung gezwungen, so dass von Hitler 1 als einem stillen Serienkiller gesprochen werden kann, dem der Trieb an sich stillgelegt worden war – von seinem intakt humanen Milieu. Deshalb war Hitler 1 ab seinem 11. Lebensjahr willenlos im Sinne von antriebsschwach. Um ihm den Serienkiller-Trieb stillzulegen, musste Hitlers gesamter Trieb vom österreichisch ländlich-kleinstädtischen Umfeld niedergehalten, gleichsam versiegelt werden.

Die Forschung kam in diesem Punkt zum gegenteiligen Ergebnis, in das sich die Hitler-biografische Psy-Fraktion hineinfantasiert hat, deren terminologische Altbackenheit immer noch in breiter Aufmachung die Hitler-Interpretation im Wikipedia dominiert: Hitlers Auschwitz wäre ein Resultat aus »schlagendem Vater« und »gefühlloser Mutter« gewesen.

Alle ab Jugendzeit quältötend praktizierenden Serienkiller, bei denen die Anlage zum Vorschein kommt, wuchsen in deformierten Milieus auf. Das erzwang bei Hitler die Annahme des Gegenteils, was sich auch beweisen lässt.

Das dritte Buch konzentriert sich auf die medizinhistorischen Tatsachen zu Hitlers »Gasvergiftung«, die ihn in die Hände von Militärpsychiatern gebracht hat. Wegen der über Jahrzehnte hinweg prolongierten Unkenntnis der Hitler-Biografik über dieses Thema muss hier breitest ausgeholt werden – vor allem auch deshalb, um die Nazi-Lügen, an die alle Hitler-Forscher bis heute glauben, zu enttarnen.

Es gibt für die Wesensveränderung Hitlers in Pasewalk immer noch keine wissenschaftliche Basis in der Hitler-Forschung. Ab 2009 treten auch noch zwei Neuropsychiater in den Ring um Pasewalk – Jan Armbruster und Peter Theiss-Abendroth, die behaupteten, alles um Hitlers Pasewalk sei ein Fantasieprodukt und es handele sich um keine Tatsachen. Dieser Meinung schloss sich auch der jüngste Hitler-Biograf Longerich an. Die beiden amtierenden Psychiater Armbruster und Theiss-Abendroth wollten ihre Fachrichtung von dem Verdacht reinigen, einer der Ihren wäre an Hitlers psychischer Explosion zum »Tschernobyl der Geschichte« (Jäckel) Schuld gewesen. Die Nervenärzte nahmen sich heraus, in Fachzeitschrifts-Aufsätzen ihre Ansicht von Hitler in Pasewalk als »Mythenbildung« zu verbreiten, ohne Spezial-Forschungen unternommen zu haben, was ihnen mit Einzelheiten nachgewiesen werden wird.

Erst mit den Klarheiten »Hitler nicht blind, sondern stumm« und »nicht ›hysterisch‹, sondern real verletzt« war der Weg für das vierte Buch geebnet. Das Arzt-Patienten-Verhältnis und der ärztliche Eingriff müssen anders gesehen werden, wenn nach der Gasvergiftung das reale Symptom des Geschichts-Verdrehers A. H. ein anderes als eine Augen-Krankheit war.

Horstmann und Lewis gingen irrig von »Hitlers ›hysterischer‹ Blindheit« aus und verirrten sich dadurch in abwegigen Vorstellungen über die Art und Motorik von Hitlers Pasewalker Behandlung, wie sie von Ernst Weiß in seinem Hitler-Roman Der Augenzeuge beschrieben werden.

Schon in den 1960er Jahren wurde nach Hitlers »Arzt von Pase-walk« gesucht – so von der Münchener Abendzeitung unmittelbar im Zusammenhang mit der Erstveröffentlichung des Weiß-Romans. Angesichts der falschen medizinhistorischen Implikationen konnte er bisher nicht gefunden werden. Das gelang in eigener Recherche per 18 Indizien. Nun erst begann die Beschäftigung mit der konkreten »Therapie« des Militärpsychiaters und deren Wirkung auf den unbedarften Soldaten.

Eine weitere Frage, die nach Antworten drängte: Warum wurde im Lazarett von Pasewalk der Unhold Hitler 2 als gezündeter Serienkiller zwar hergestellt, aber als ein solcher, der selber nicht mehr Hand anlegen konnte? Die Alltäglichkeit im Leben von Hitler 2: Er wollte stattdessen viel schlimmer per Staat und mit Hilfe einer unübersehbaren Bande von Mittätern als seinen verlängerten Armen und Ersatz-Händen seine Lustmorde rituell inszenieren. Hitler 2 musste zur ständigen Befriedigung seines ausgebrochenen deformierten Sexualtriebs serienkillend Quälerisches und Tödliches befehlen, zuerst in Deutschland, alsdann in ganz Europa.

Die Antworten zu der soeben aufgeworfenen Frage werden mit der notorisch seit Generationen im gesellschaftlichen Bewusstsein vergessenen Forschung über die wilden Kinder gegeben: Der Wolfsjunge Victor von Aveyron (1785–1828) des französischen Taubstummen-Arztes Jean Itard (1774–1838) konnte – als Wieder- Mensch-Gewordener – nur noch schreiben, jedoch nicht mehr sprechen lernen. Fürs Sprechenlernen geschah die Wesensveränderung des als Baby ausgesetzten und bis zu seiner Pubertät unter nahest verwandten Mitgeschöpfen aufgewachsenen Wolfsjungen zu spät. Ebenso geschah fürs Selbermorden die psychische Transformation Hitlers in Pase-walk zwanzig Jahre nach seiner Pubertät zu spät – während der er hätte real oder in der Fantasie mit dem Quältöten von Mensch und Tier beginnen müssen, um sich als ein Hand-anlegender Serienkiller äußern zu können.

Wegen dieser Besonderheit Hitlers blieben ein paar einzelne potentielle Opfer verschont. Doch aufgrund des – in Kultur, Politik, Religion, Wirtschaft und Wissenschaft – herrschenden männerbündischen Gesellschaftssystems konnte der seit seiner Pasewalker Transformation plötzlich hypnotisch suggestiv exorbitant befähigte, gezündete Serienkiller sui generis die Verhaltensweisen von Millionen Männern aus allen Schichten des Volkes steuern, auf dass diese psychisch gesteuerten bündischen Mitglieder zu Hitlers Befriedigung mit Hilfe seiner Kriegsindustrie Dutzende Millionen Menschen ermordeten.

Die nachfolgend abgedruckten Bilder von Hitler 1 und Hitler 2 lassen erkennen, wie verschieden Hitlers Gesichtsausdruck in beiden Stadien war. Kaum zu glauben, dass es sich bei Hitler 1 und Hitler 2 um denselben Mann gehandelt hat. Wird der Unterschied zwischen dem gutmütig entrückten Hitler 1 und dem fanatisch bohrenden, zynisch furchtbaren Hitler 2 festgestellt, ist es nicht mehr schwer zu begreifen, dass infolge eines ärztlichen Kunstfehlers des Militärpsychiaters beim Patienten eine Wesensveränderung stattgefunden hatte.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet 120 000 Arbeiten über Hitler. Ist die Hundertzwanzigtausendunderste wirklich nötig? Ist es nicht gleichgültig, ob Hitler blind oder stumm war, »normal«-heterosexuell konturiert oder sexopathisch homodestruktiv serienkillend veranlagt und ob der Massenmörder sich langsam zu seinem Tun entwickelt hat oder durch einen ärztlichen Kunstfehler dazu explodierte? Die Toten werden mit historischen Wahrheiten nicht wieder aufgeweckt, aber die Lebenden und vor allem die Nachgeborenen von einer Volksneurose befreit. Unklarheit über Hitler heißt, in der Krankheit zu verharren, in die dieser Mann Deutschland gestürzt hat. Für das Zusammenwachsen Europas ist es gefährlich, wenn das in der Mitte liegende wirtschaftlich und politisch mächtige Deutschland psychisch schwächelt, weil es an seiner Geschichte krank bleibt.

Ich habe mich schon einmal mit einer Volksneurose beschäftigt, die Frankreich kennzeichnet: nicht zu wissen, wie es zu der Erfindung des »Sonnenkönigs« kam. Die Deutschen wissen wenigstens, dass Hitler scheußlich war. Die Franzosen widmen alle paar Zeiten ihrer regentischen Formel-1-Katastrophe hymnische »Roi-de-Gloire«-Biografien. Da ich in meiner Jugend Französisch sprechen und schreiben konnte, war es mir möglich, für mein Buch Die Königsfälschung in die französische Geschichtskrankheit einzutauchen.

Während der Arbeit an meiner dreibändigen Autobiografie ab 2002 musste ich mich mit meiner Teil-adligen Herkunft befassen. In ihr spielte Henri IV eine Rolle, da sich die Familie über Hugenotten von ihm herleitet. Bereits als Kind begann mein Denken: Louis XIV passt als Enkel weder physiologisch noch spirituell-politisch zu Henri IV. Er bricht die Regel, dass »Enkel ihren Großeltern ähneln«. Antwort des Rätsels: Ludwig der Vierzehnte stammt nicht von Heinrich dem Vierten ab. Er ist 1638 dem 23 Jahre lang unfruchtbaren Königs-Ehepaar aus dem Fundus von süditalienischen Waisenhäusern beschafft und dem französischen Volk als »Dieudonné« angedreht worden.

Schon früh hatte mich Henri IV interessiert, die Glanzgestalt des politischen Humanismus, der Heinrich Mann im Anti-Nazi-Exil seinen zweibändigen Roman widmete. Henris Nicht-Enkel Louis hatte sechzig Jahre später politisch alles wieder zurückgedreht und »KZs des Grand Siècle« (Erlanger) gegen die Protestanten errichtet, ehe er das ganze Land von ihnen säuberte und bei seinem Tod zwei Millionen Ermordete und Verhungerte hinterließ – wegen seiner Kriegssucht und seiner sich selbst überhöhenden Schlösserbau-Manie.

Die beiden französischen Könige waren für mich Prototypen in kontroversem Denken und Tun. Auch in der Pilgrim-Familie der Göring-Höflinge gab es Beispiele für das Gegenteil. Zwei nahe Tanten waren ganz anders. Nettchen von Pilgrim hatte den sozialdemokratischen Bürgermeister Bernhard Hoffmann geheiratet und ihren Sohn Hans zum Kommunisten erzogen, der von SA-Männern umgebracht wurde. Fanny von Kurowsky hatte sich im Widerstandskreis der Elisabeth von Thadden organisiert, war mit ihr verhaftet worden und aus Zufall ihrer Hinrichtung entgangen. Sie erzählte mir, wie in unserer Verwandtschaft die Pilgrims »zutiefst verhasst« waren. Der engste Jugend- und Studienfreund meines Großonkels Rudolf Freiherr von Reibnitz, einziger Bruder meiner Großmutter, war der hingerichtete 20.-Juli-44-Widerstandskämpfer Ulrich von Hassell. Wenn bei Tisch über „Ulli Hassell“ gesprochen wurde, begannen sich in meinem Hinterkopf Fragezeichen zu regen: Wie kam es dazu, dass der im Ersten Weltkrieg gefallene Bruder der naheste Freund eines späteren Widerständlers gewesen war, die Schwester jedoch Nazi-Kooperateurin, die sich mit Göring verband?

1Hitler 1 – WK I

2Hitler 2 – 1927

Abermals löste sich eine Lawine von Folge-Entdeckungen, als ich professionell über das Thema des gefälschten Ludwig 14 zu arbeiten begann – zuerst für meinen Vortrag im Bonner Haus der Geschichte, Februar 2008: Von Louis XIV zu Hitler. Die Weichen in Richtung Nazidiktatur wurden von den Päpsten um 1600 gestellt. Daher kann mein Hitler-Ring ohne meine Ludwig-14-Studie nicht gedacht werden.

Dass man sich dem ultra-ausgefallenen Spezialmann Adolf Hitler nicht nur inhaltlich, sondern auch formell auf besondere Art nähern muss, wird niemandem mehr uneinsichtig sein, nachdem der sprachliche »Ring des Nibelungen« abgeschlossen vorliegen wird. Es handelt sich bei Hitler 1 und Hitler 2 auf transliterarische Weise tatsächlich um etwas musikdramatisch Vergleichbares, um eine »gerockte Recherche« in einem »(Theater)gespielten« Sachbuch-Zyklus.

Als »Pilgrim 1« startete ich 1971 zu Albrecht Dürers fünfhundertstem Geburtstag. Als »Pilgrim 2« melde ich mich zum fünfhundertsten Jahrestag von Martin Luthers Wittenberger Thesen-Verkündigung zurück. Beide Künstler gehören seit langem zu meinen Medien-übergreifenden Identifikationsfiguren – Dürer als schwuler Maler und Aufklärer, Luther als Sprachschöpfer und Anti-Corpiarchaliker.

Auftakt

»Hitlers Gier nach Blut blieb unvermindert, stieg vielleicht sogar mit der Zeit der Niederlagen. Obwohl er physisch Angst hatte, Blut zu sehen, erregte und berauschte ihn der Gedanke daran. Die bloße Zerstörung in allen ihren Formen schien auf den angeborenen Nihilismus seines Geistes zu wirken … Es war für ihn gleichgültig, wessen Blut vergossen wurde. Deshalb war das Ereignis, die nachsinnende Vorstellung über Ströme von menschlichem Blut, was ihn inspirierte, nicht der Gedanke an Sieg und der praktische Nutzen … Während des Krieges stellte Hitler kontinuierlich seine Gier nach Blut unter Beweis – diese physische Lust beim geistigen Nachempfinden der Schlachten zu seiner eigenen Befriedigung. Die Generäle – abgehärtete Automaten –, berüchtigt als entpersönlichte Männer von Blut und Eisen, waren schockiert über solche zum Ausdruck gebrachten Gefühle [Hitlers] und haben darüber zahlreiche Beispiele gebracht. Während der Schlacht gegen Polen bekräftigte [General Franz] Halder immer wieder, dass die Erstürmung Warschaus unnötig wäre; es würde von alleine fallen, seit die polnische Armee nicht mehr existierte. Doch Hitler bestand darauf, dass Warschau zerstört werden müsste.« (Hugh Trevor-Roper: The Last Days of Hitler. 1947, S. 117)

»Er sah aus wie der Knabenmörder von Hannover, dessen Prozess unlängst Sensation gemacht hatte. Ob er, der österreichische Operettenhabitué am Nebentisch, ebenso tüchtig war wie sein norddeutscher Doppelgänger? Dieser homosexuelle Blaubart hatte es fertiggebracht, dreißig bis vierzig junge Buben in seine gastliche Stube zu locken, wo er ihnen im Liebesakt die Kehle durchbiss und aus den Leichen schmackhafte Wurstware machte. Eine stupende Leistung! – Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Tatmenschen frappierte mich. Schnurrbart und Locke, der verhangene Blick, der zugleich wehleidige und rohe Mund, die sture Stirn, ja sogar die anstößige Nase. Es war alles dasselbe! … Schicklgruber, bei dir langt es höchstens zum Lustmord.« (Klaus Mann: Der Wendepunkt. 1930–1932, S. 349)

»Die besetzten Ostgebiete werden judenfrei. Die Durchführung dieses sehr schweren Befehls hat der Führer auf meine Schultern gelegt.« (Heinrich Himmler am 28. Juli 1942 – In: Peter Longerich 08, S. 933, Anm. 87) »Die Vorstellung bleibt hartnäckig, dass Hitler ein tief verborgenes, ihn beunruhigendes sexuelles Geheimnis hatte, das seine ansonsten unerklärliche Pathologie erklärt. Sogar der vorsichtige Alan Bullock erzählte mir, dass er glaube, dass da wahrscheinlich etwas Sexuelles in Hitlers Antisemitismus lag – ein verlorenes Echo auf Wilhelm Reichs Glaube: Der Ursprung des Bösen kann im Versagen einer ›normalen‹ orgastischen Reaktion gefunden werden.« (Ron Rosenbaum Explaining Hitler: The Search for the Origin of his Evil. 98, S. 135, 151)

«Die sexuelle Erregung ist in der Tat zerstörerisch und quälend, wenn die Entspannung nicht zugelassen ist. – Es ist aus Behandlungen kranker Priester bekannt, dass am Höhepunkt religiös extatischer Zustände unwillkürliche Samenentleerungen sehr häufig vorkommen. Die normale orgastische Befriedigung ist ersetzt durch einen allgemeinen körperlichen Erregungszustand, der das Genitale ausschliesst und der gegen den Willen, wie zufällig, Teilentspannung herbeiführt. Man kann den faschistischen Amokläufer nicht unschädlich machen, wenn man ihn, je nach politischer Konjunktur, nur im Deutschen oder Italienischen und nicht auch im Amerikanischen und Chinesischen sucht, wenn man ihn nicht in sich selbst aufspürt.« (Wilhelm Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus. 1986, S. 15, 143)

3Direktiv-delegierender Serienkiller Hitler 2 1930er

4Praktizierender Serienkiller Fritz Haarmann 1920er

Introduktion – »Induziertes Irresein«

»Der Psychiater kennt eine Form der geistigen Erkrankung, die als induziertes Irresein bezeichnet wird. Es handelt sich dabei darum, dass ein psychisch Kranker seine Umgebung mit seinen Wahnbildungen so beeinflusst, dass sie selbst dem Wahne verfällt.

Die Aufgabe ist in einem solchen Falle im Interesse der Therapie zunächst, den primär Erkrankten festzustellen, was keineswegs immer ganz einfach ist wegen der oft weitgehenden Identität der Wahnidee und der Übereinstimmung des Affektes.

Weiterhin sind die Besonderheiten der Psyche, die die Übernahme des Wahns verursacht haben, bei beiden Beteiligten zu klären. Es zeigt sich dabei, dass es sich bei dem Übertragenden meist um stark affektbetonte Vorstellungskomplexe handelt, die mit großer Überzeugungskraft vorgetragen werden, und dass für den Inhalt bei dem Induzierten ein für die Suggestion empfänglicher Boden vorliegt.

Es ist nun kein Zweifel, dass sich auch im Leben von Völkern – vor allem in revolutionären Zeiten – Erscheinungen finden, die in ihrem psychischen Mechanismus diesem Vorgang beim Einzelindividuum entsprechen.

Auch bei einer solchen, weite Volkskreise erfassenden psychischen Masseninfektion hat sich die Untersuchung auf die beiden Seiten zu erstrecken – die aktive führende Persönlichkeit und die psychische Zusammensetzung der geführten Masse.«

Die Sätze des Einleitungszitats schrieb 1947 der 79-jährige Karl Bonhoeffer. Er war von 1912 bis 1938 Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie und Neurologie an der Berliner Universität und Direktor der psychiatrischen und Nervenklinik der Charité.

Zwei Jahre zuvor, am 9. April 1945, hatte Bonhoeffer seinen Sohn Dietrich verloren und am 23. April seinen Sohn Klaus, die wegen Widerstandes gegen die Naziherrschaft hingerichtet worden waren – wenige Wochen und Tage vor dem Selbstmord Adolf Hitlers und damit der Beendigung des zwölf Jahre anhaltenden Staatsterrors.

Karl Bonhoeffers klinisches Resumee zur Hitler-Diktatur wurde zu Lebzeiten des Psychiaters nicht gedruckt. Er starb 80-jährig 1948. Seine Schüler Heinrich Scheller, Erwin Straus und Jürg Zutt publizierten den Bonhoeffer-Text erst 22 Jahre später in ihrem Buch zu Ehren von Bonhoeffers 100. Geburtstag. (Bonhoeffer, S. 108 ff.)

Beide Beteiligte in den zwölf Jahren Massenmordzeit, der Wahn-Produzent Adolf Hitler und die Mehrheit der Wahn-korrespondierenden Deutschen, wurden in den vergangenen 70 Jahren nach dem Ende des induzierten Irreseins von »Führer« und Volk weltweit ausgiebigen Forschungen unterzogen.

Die Forschung über die Wahn-Mitschwingenden, die »Induzierten«, kann im Wesentlichen als abgeschlossen angesehen werden. Von Adornos Autoritärer Persönlichkeit über Arendts Eichmann in Jerusalem, Brownings Ganz normale Männer, Kershaws Hitler-Mythos/Hitlers Macht, Goldhagens Willige Vollstrecker, Matussek/Marbachs Hitler – Karriere eines Wahns, Herbsts Hitlers Charisma, Pauls Die Täter der Shoah, Saul Friedländers Das Dritte Reich und die Juden bis zu Welzers Täter: Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden ist das Verhalten der »namenlos« untersten Wahn-Vollziehenden analysiert, seziert und schlüssig summiert worden: Männerbünde wüteten im Destruktions-Delirium.

Auch konnten die oberen Etagen, die namentlich hervorgetretenen »Hände« und »Füße« des Mordkopfes Adolf Hitler, mit einer Vielzahl von oft pro Täter verschiedenen Biografien entschlüsselt werden. So erging es den Görings, Goebbels’, Heydrichs, Himmlers, Speers …

Den mittäterischen Nazifrauen – allen voran Eva Hitler, Magda Goebbels, Emmy Göring und Leni Riefenstahl – wurde ebenfalls erfolgreich zu Leib und Seele gerückt. (Meissner, Ebermayer/Roos, Gun, Infield, Charlier/de Launay, J. Frank, Pilgrim, Sigmund, Klabunde, Lambert, Costelle, Görtemaker, Taylor)

Über die Ursachen des Mitmachens bestehen keine grundsätzlichen Fragen mehr. Der amerikanische »Test Abraham« von Stanley Milgram hat es unspektakulär klargestellt: Die Mehrheit der Menschen, auch der Frauen, drückt im Versuchslabor auf den Knopf für »Mord« und »Folter«, wenn eine »Autoritätsperson« ein solches Tun vorgibt.

Die Polizei-Bataillone, die KZ-Wärter, die Erschießungs-Kommandos und die Zyklon-B-Gas-Einstreuer haben den irren Vollzug sogar »gern« gemacht.

Psychisch Infantile machen das überall gern, »wenn sie losgelassen werden« – Stichwort »Greuel« während kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Völkern. Die Bilder der Misshandlung und Ermordung von Vietnamesen und Irakern durch US-Soldaten laufen noch heute um die Welt.

Es trieft die Erde vor Blut. Es wütet die Spezies Mensch im Kleinen wie im Großen, im Einzelnen wie in der Masse mit Hunderttausenden Verhaltensweisen im Destru-Fun ihrem Untergang entgegen.

Unklarheit herrscht jedoch noch immer über die »Führerpersönlichkeit« Adolf Hitler höchstselbst. 70 Jahre lang wurde versucht, sie zu entschlüsseln. Denn »eine sichere Diagnose ist nicht bloß vom psychiatrischen Gesichtspunkt aus von Interesse, es ist auch für die Beurteilung seiner [Hitlers] großen Gefolgschaft im deutschen Volke nicht gleichgültig, ob diese sich von einem schweren Psychopathen oder von einem wirklich Geisteskranken durch 12 Jahre hat führen lassen.« (Bonhoeffer, S. 109 f.)

Die Ursache des Scheiterns der »Diagnose Hitler« ist in den beiden von Bonhoeffer gesetzten Alternativen verborgen, in denen bisher das Rätsel »Hitler« zu lösen versucht wurde, denn irgendwie krank musste ein solcher Anführer der Kulturzerstörung und millionenhaften Einzelmensch-Vernichtung ja gewesen sein. Bonhoeffers Begriffe »Geist(eskranker)« und »Psycho(path)« liegen oben und in der Mitte des menschlichen Person-Aufbaus. Befremdlicherweise wurde an diesen Orten die Krankheit Hitlers nicht gefunden.

Daher soll der Versuch unternommen werden, Hitlers Krankheit, besser seine Fehlsteuerung, von unten aufzurollen, von dort her, wo im Verständnis vom Menschen die Sexualität lagert.

ONANO

Hitlers Männermord-Orgasmus

Die deutsche Film- und Theaterschauspielerin Marianne Hoppe (1909–2002) hat zu Adolf Hitlers Sexualität eine Beobachtung gemacht, die von der Hitler-Forschung noch nicht ausgewertet wurde: »Viel später [Mitte der 1930er] waren wir [jungen Schauspielerinnen] noch einmal [zu Hitler in die Reichskanzlei] eingeladen. Das ist allerdings eine Geschichte, die ein bisschen prekär ist. Da saß Goebbels, da saß seine Frau [Magda], da saßen die ganzen Potentaten, und ich saß in der zweiten Reihe, und da wurde ein Film vorgeführt, der hieß Der Rebell, mit Luis Trenker. Der [Film] spielte 1809 während der Tiroler Volkserhebung gegen die Franzosen. Da war eine Szene, da musste die französische Armee durch einen schmalen Engpass, und die Tiroler hatten oben Bretter festgemacht mit Steinen drauf. Als die Franzosen kamen, da machten sie [die Tiroler] die Stricke los, und dann fielen die ganzen Steine auf die Franzosen herab. Und da, glaube ich, kriegte Hitler eine Art Erregung und hat so die Knie gerieben bei diesem Ereignis, wie die Steine da runterrollten auf die Franzosen drauf, und hat gestöhnt. Ich weiß nicht, ob er verrückt war, aber da kriegte er so eine Art von Orgasmus, sagen wir mal. Und da weiß ich noch, wie ich in der Dunkelheit aufgestanden bin, denn da war mir der Mann unheimlich. Und da ging ich raus und bin nie wieder hingegangen.« (Hoppe, S. 75 f.)

Als Marianne Hoppe 1936/37 die Beobachtung von Hitlers Gewalt-provozierter Onanie mit anschließendem Orgasmus machte, hatte Hitler den Film Der Rebell nachweislich schon mehrere Male gesehen. Er selbst bekundete am 20. August 1942 während seiner Monologe im Führerhauptquartier, er hätte den Rebell viermal gesehen. (Hitler 80 II, S. 467)

Hitlers »Leibfotograf« Heinrich Hoffmann behauptet in seinen Erinnerungen, »gewisse« Filme hätte er Hitler zuliebe in dessen Privat-Filmvorführ-Räumen »zwanzigmal« anschauen müssen. (Hoffmann, S. 16 ff.)

Hitlers »Leibarchitekt« Albert Speer wartete mit ähnlichen Zahlen auf: Vornehmlich Gewalt-gespickte Filme wollte Hitler immer wieder sehen, zum Beispiel »katastrophische Melodramen wie San Francisco oder King Kong. Manche dieser Filme wurden von ihm bis zu zehnmal verlangt.« (Fest 99, S. 138)

Der Rebell war 1932 herausgekommen. Kurz danach hatte Hitler ihn zum ersten Mal gesehen. Die Handlung folgt einem Entwurf von Luis Trenker, der neben Kurt Bernhardt die Co-Regie übernahm und die Hauptrolle spielte. (Zentner/Bedürftig)

Hitlers zweitjüngster Gesamt-Biograf Volker Ullrich (2013/16) entblößte, dass Hitler zum Film Der Rebell ein besonders »intimes« Verhältnis hatte: »Am Abend des 18. Januar [1933] sah er [Hitler] sich gemeinsam mit dem Berliner Gauleiter [Joseph Goebbels] den Film Der Rebell an, in dem Luis Trenker Regie führte und die Hauptrolle spielte – einen Tiroler Studenten, der im Widerstand gegen die napoleonische Besatzung sein Leben opfert … Hitler war so hingerissen, dass er sich den Film am Abend darauf [dem 19. Januar 1933] noch ein zweites Mal ansah.« (Ullrich, S. 399)

Schon im August 1933, ein halbes Jahr nach seiner Machterlangung, empfing Hitler Luis Trenker. (Sigmund 98, S. 227, Anm. 13)

Marianne Hoppe hat mit ihrer Schilderung von Hitlers Männer-Tötungs-entflammtem Orgasmus, der durch die gestellte Szene der Soldaten-Steinigung im Rebell angebahnt worden war, eine Büchse der Pandora geöffnet: Mit Hitlers Sexualität stimmte etwas nicht – »ob er verrückt war«, »da war mir der Mann unheimlich«.

Hoppe hat sich nicht etwas Hyper-Dramatisches eingebildet oder wollte ihre Beteiligung am Nazi-Regime als Hermann Görings Staatsschauspielerin wiedergutmachen, indem sie ihre persönliche Entrüstung über Hitler nach 1945 zur Schau stellte. Unter verschiedenen Umständen in unterschiedlichen Personen-Besetzungen hat Hoppe ihr Erlebnis mit Hitlers Gewalt-legierter halböffentlich prozedierter Onanie preisgegeben. Aus den Gesprächen mit Hoppes zweiter Biografin Carola Stern entstammt eine zweite Version ihrer Beobachtung: »Einmal veranstaltete der [Hitler] eine Filmvorführung. Einen Film von Trenker […] Da reibt der [Hitler] sich die Oberschenkel. Und da gehe ich leise raus. Da kommt bei mir der Punkt, wo ich nicht mehr neugierig bin.« (Stern, C., S. 105)

Zwischen beiden Versionen der Wiedergabe von Hoppes Erlebnis liegen eineinhalb Jahrzehnte. Die ausführliche Fassung wurde 1989 in dem Sammelband Deutsche im Zweiten Weltkrieg. Zeitzeugen sprechen – herausgegeben von Peter Pechel, Dennis Showalter und Johannes Steinhoff –, publiziert. (Steinhoff/Pechel/Showalter) Einer der Herausgeber oder alle drei waren damals Hoppes Interviewer.

Hoppes erste Biografin Petra Kohse zitiert diese ausführliche Darstellung 2001. (Kohse, S. 127 f.)

Bei den Gesprächen Hoppes mit ihrer zweiten Biografin Carola Stern ist die Schauspielerin in ihren Achtzigern. Stern publizierte ihre Hoppe-Biographie 2005. (Stern, C.) Das hohe Alter Hoppes oder das Sich-Genieren der Biografin vor der obszönen Drastik der 16 Jahre zuvor erstmals veröffentlichten Szene – welche Gründe auch immer darin lagen, dass Carola Stern nur einen Ausschnitt von Hoppes Erlebnis mitgeteilt hat –, es handelt sich bei beiden Versionen um dieselbe Szene von Hitlers masturbatorischem Oberschenkelreiben vor dem Luis-Trenker-Film Der Rebell, die Hoppe auf verschiedene Weise innerhalb von 16 Jahren dreimal zu Protokoll gegeben hat – für Steinhoffs Zeitzeugen 1989, Kohses Hoppe-Biografie 2001 und Sterns Hoppe-Gründgens Doppelbiografie 2005.

Zwei Biografinnen hatten die Möglichkeit, Hoppes Erlebnis mit Hitlers Gewalt-provozierter Masturbation zu hinterfragen. Doch es fand keine Revision Hoppes statt, im Gegenteil, auch in der Kurzfassung stehen die Ecksteine von Hoppes Übermittlung »felsenfest«. Hitlers – von Marianne Hoppe beobachtete – Onanie per Oberschenkel-Auf-und-Ab vor geladenem Publikum im Filmvorführungs-Raum der Reichskanzlei Mitte der 1930er Jahre muss als eine Tatsache akzeptiert werden.

Zur Abstützung von Hoppes Erlebnis konnte eine vergleichbare Wahrnehmung von einer der nahesten Personen im Hitler-Umfeld gefunden werden. Es handelt sich um Hitlers frühesten Kammerdiener seit Beginn seiner Regierungszeit, Karl Wilhelm Krause: »War Hitler aufgeregt, so rieb er sich nervös die Oberschenkel. Besonders hat ihn ein Eishockeyspiel auf der Winterolympiade 1936 in Erregung gebracht. Das Spiel endete 1:1. Hitler konnte vor lauter Aufregung das Ende des Spiels nicht abwarten, verließ das Stadion und ließ sich später das Ende des Spiels berichten.« (Krause, S. 19/19)

Selbstverständlich sparte der Grenz-lose Leibdiener – für Hitlers Körper-Angelegenheiten ab 1934 tätig – das Zwangs-sexuelle Moment des Oberschenkel-Reibens aus. Nicht wegen Prüderie, sondern weil dem »simplen Gemüt« Krauses dieser Zusammenhang nicht zu Bewusstsein gekommen war. Aber seine Beobachtung enthüllt etwas Ähnliches wie das, was die Intellektuelle Hoppe geschulten Verstandes wahrgenommen hat: »Knie-Reibung« im Sitzen, wenn Hitler »in Erregung gebracht« worden war!

Die vor sich hergeschobenen Schläger der Eishockey-Spieler müssen den in der Arena sitzenden Hitler wie Waffen »aufgeregt« haben. Die Sportarten per Ball oder gänzlich ohne »Werkzeuge« hätten ihn vielleicht nicht so »in Erregung gebracht« wie das Puck-schlagende Eishockey. Zu »Erregungs«-Reaktionen Hitlers auf die nicht-schlagenden Sportarten gibt es keine Übermittlungen – weder bei Krause noch in anderen Äußerungen von Hitler-Körper-Nahen wie dem späteren Leibdiener Heinz Linge, den »Leibfahrern« Emil Maurice und Erich Kempka, dem »Leibpiloten« Hans Baur und den Adjutanten Nicolaus von Below, Wilhelm Brückner, Otto Günsche, Julius Schaub und Max Wünsche.

Das Besondere an der Schilderung Krauses ist die Wiederkehr der von Hoppe beobachteten Oberschenkel-Reibung – mit dem Unterschied von Hitlers diesmaliger Flucht aus dem Stadion.

Hitler befand sich jetzt nicht in seinem Reichskanzlei-Kino unter geladenen Gästen, wo er sich ungeniert hatte benehmen können. Er war während der Olympiade massenhaft umringt von Zuschauern und wurde hundertfach aus nächster Nähe beobachtet und vor allem gehört. Hoppe spricht ja auch davon, Hitler habe »gestöhnt« und dass »er so eine Art von Orgasmus« »kriegte«!

In der Eishockey-Arena geschah alles bei grellem Licht und nicht verdunkelt wie während Hitlers Privatkino-Vorführung, in der er seinen Gewalt-provozierten Orgasmus mit einem Hustenanfall hätte letzt-sekündlich kaschieren können.

Bei dem von Karl Wilhelm Krause an Hitler beobachteten Oberschenkel-Reiben im Eishockey-Stadion und auch sonst bei »Aufregungen« handelte es sich nicht um eine Verlegenheits-Geste, die im Nachwort zu Krauses Erinnerungen an Hitler wiedergegeben wird: »Er [Hitler] […] saß […] auf der Kante des Sessels, als scheute er sich, ungezwungen und locker zu sein, und rieb sich, verlegen und nervös, mit den Händen die Oberschenkel, wenn er fremden Besuchern gegenübersaß und diese ihn mit peinlichen Fragen bedrängten.« (a. a. O., S. 81/79)

Dieses Reiben war ein Reiben der Hände an oder auf den Oberschenkeln Hitlers. Das Aufregungs-Oberschenkel-Reiben als sexuelles Erregungs-Reiben war ein Reiben der Oberschenkel aneinander ohne die Benutzung der Hände. In Krauses Beobachtung des erregten Hitlers im Eishockey-Stadion fehlt das Wort »Hände«. Hitlers Oberschenkel-Reiben ohne Hände war etwas anderes.

Beide Reibungen geschahen an und mit den Oberschenkeln, aber das eine ohne Hände aus sexueller Erregung, das andere mit den Händen aus Verlegenheit.

Die Situation im Eishockey-Stadion hatte nichts mit Verlegenheit zu tun. Hitler und alle anderen Besucher verfolgten den Kampf, der Hitler in spezifische »andere Umstände« versetzte.

Das von Hoppe wahrgenommene Oberschenkel-Reiben definierte sie genau als Knie-Aneinander-Reiben (»hat so die Knie gerieben«), wobei sie nur vergaß, das Wort »aneinander« hinzuzufügen. Hoppe war in den 1930ern so berühmt, dass sie als Ehrengast in der Nähe Hitlers oder anderer Nazi-Größen platziert wurde.

Außerdem berichtet Hoppe nicht nur über ihre optische, sondern auch über ihre akustische »Bemerkung« von Hitlers »Erregung«: »und hat gestöhnt […] da kriegte er so eine Art von Orgasmus […]«

5Marianne Hoppe neben Goebbels und Jannings 1937

Es handelt sich bei Hoppes Zeugnis um wörtliche Rede, in der es immer wieder vorkommt, dass Wörter ausgelassen werden. Die Umstände der Szene machen es jedoch eindeutig, dass Hitler seine Knie aneinanderrieb und sie nicht mit Händen oder Gegenständen »rieb«. Auf dieses »Aneinander« kommt es wesentlich an, um Hitlers Gewalt-legierte Onanie freizulegen. Denn »Knie-[Aneinander]Reiben« bedeutet zugleich das Oberschenkel-auf-und-ab-Reiben – eine Art der Masturbation, die Männer sogar auf dem Rücken liegend vollführen können – ohne jegliches »Handanlegen«!

Hitlers Oberschenkel-Reiben hat nichts zu tun mit dem heute bei Jugendlichen oft zu beobachtenden Oberschenkel-Stampfen. Einhergehend mit Musikhören oder aus Gründen von Unruhe, Nervosität und Verlegenheit hämmern junge Menschen ihre Beine auf und ab – jedoch auseinandergebreitet! Dieses Breitbeinig ist der Unterschied zur Onanie-Reibung, die per geschlossener Oberschenkel und aneinandergedrückter Knie verläuft.

Hitler ahmte die Akkord-Näherinnen nach, die – nebeneinander sitzend – am Fließband ununterbrochen mit ihren Füßen ihre Nähmaschinen treten mussten. Auch das geschah mit geschlossenen Oberschenkeln, weil das Antritt-Kipp-Metall der Nähmaschinen unter ihren Füßen viel zu eng war für gespreizte Beine. So geschah es, dass durch das ununterbrochene Oberschenkel-Reiben an der Clitoris die Textil-Arbeiterinnen unfreiwillige Orgasmen bekamen. Es gibt ein Zeit-Zeugnis davon, dass immer wieder eine der Fließband-Maschinen-Näherinnen plötzlich einen bestimmten bekannten unzweideutigen leisen hohen Schrei ausstieß! (Pilgrim 75, S. 181 f.)

Hitlers Knie- beziehungsweise Oberschenkel-Reibungen wurden als Roll-Friktionen seiner Oberschenkel an seinem erigierten Penis prozediert, der im Eishockey-Stadion von Direkt-Neben-Hitler-Sitzenden bei Lichte durch die Hosen bemerkbar gewesen wäre.

Seine sexuelle Spannung auch im Stadion wieder mit einem durch »Oberschenkel-Reibungen« erzeugten Orgasmus abklingen zu lassen – wie in seinem dunklen Privatkino –, hätte Hitler vor einer Masse von ihm benachbarten Zuschauern als »abartig« desavouiert! (Hoppe: »Ich weiß nicht, ob er verrückt war …«, »[…] denn da war mir der Mann unheimlich.«) Deswegen musste Hitler die öffentliche und vor allem hell erleuchtete Sportstätte schleunigst verlassen, als er seine »Erregung« nicht mehr aushalten konnte. Diese Begründung für Hitlers plötzliches Verschwinden noch vor dem Ende des Spiels reichte Kammerdiener Krause ahnungsvoll nach.

Serielle Mordlust

Der Anfangsverdacht besteht, dass es bei Hitler einen Zusammenhang zwischen Sexualität und Gewalt gegeben hat, ja noch genauer, dass ihm Gewalt an Männern und deren Tötung Lust verschaffte. Die Lust am Töten ist das Charakteristikum von Serienkillern, die für ihren Lustgewinn massenhaft morden, ohne ihr Verlangen stoppen zu können. War Hitler also ein Serienkiller, der zum Zwecke seiner Befriedigung morden ließ?

»Er sei von einem Blutrausch besessen, sagte ein ihm Nahestehender … Die Skrupellosigkeit, mit der er Todesurteile verhängte, für Begnadigungen und Amnestie kein Ohr hatte, ist bekannt […], auch dass er den gefilmten Erhängungsakt der Attentäter des 20. Juli [44] mehrfach zu sehen verlangte.« – »Man kann danach nicht im Zweifel sein, dass es Hitlers eigenstem Wesen entsprach und nicht nur Ausfluss sadistischer Lust seiner untergeordneten, verbrecherischen Organe war, wenn Millionen von Juden, Polen und auch Deutsche in den Konzentrationslagern zu Tode gemartert wurden.« (Bonhoeffer 69, S. 110 f.)

Eine Kapitulation gibt es für Serienkiller nicht. Sie hören erst auf zu morden, wenn sie im Gefängnis sind. Hitler hatte ein bisher nicht verstandenes pathologisches Missverhältnis zu Kapitulation. Er hat nie kapituliert, ja bei allen Gelegenheiten innerhalb des Zweiten Weltkriegs, in denen sie angebracht gewesen wäre, eine Kapitulation strengstens verboten. Im Januar/Februar 1943 hat er strategisch sinnlos in der Schlacht um Stalingrad Hunderttausende deutsche junge Männer aufgerieben, obwohl ihm die Rote Armee am 8. Januar 1943 zur Befreiung der seit Dezember 1942 eingeschlossenen 6. Armee einen ehrenhaften Frieden angeboten hatte. (Bruppacher, Hauner, Sandner, Snyder, Zentner/Bedürftig)

Ein paar Stunden vor seinem Selbstmord am 30. April 1945 ließ Hitler seinen Schwager Hermann Fegelein, sein letztes Opfer, wegen versuchter Fahnenflucht erschießen.

»Die Zerstörung von Warschau [im September 1939] war unnötig, es wäre von selbst gefallen, seit die polnische Armee nicht länger existierte. Aber Hitler bestand darauf, dass Warschau zerstört werden musste.« (Trevor-Roper 47/93, S. 117 f.)

Serienkiller brauchen einen Destruktions-Orgasmus. Sie haben einen Tötungstrieb, ein Verlangen nach einer Quälprozedur, die ihnen den Orgasmus bringt, während ihr Opfer schmerzhaft allmählich stirbt. Serienkiller morden nicht aus Hass, sondern aus Lust. Sie begehren die Opfer, auf die sie sexual-mörderisch fokussiert sind.

Bei über der Hälfte der Serienkiller ist der sexuelle Faktor ihrer wiederholten Morde leicht zu enthüllen, entweder durch Selbstbekenntnisse der Täter oder durch Zeugenaussagen von Opfern, die ausnahmsweise entkommen konnten, oder durch Hinterlassenschaften am Tatort – von Leichenpositionen über ermittelbare Tötungsprozeduren bis zu Samenspuren.

Durch eine Analyse des einzelnen Falles kann auch der Minderheit derjenigen Serienkiller, die auf oberflächlichen Blick hin keine Sexualmörder zu sein scheinen, auf die Spur des Mordlusthabens gekommen werden, sodass sich die Feststellung, Serienkiller sind sexopathische Geschlechtsaktivisten, die Destruktions-Orgasmen erreichen wollen, immer verifizieren läßt. Denn eine neu definierte Kategorie, die wissenschaftlich anerkannt werden soll, muss auf alle Fälle eines Phänomens anwendbar sein.

Was wie eine Unterteilung aussieht, der der Serienkiller-Forscher Hans Pfeiffer nachgeht, ist nur Verkleidung. Auch die gemäß Pfeiffer »Habgierigen«, »Beleidigten« und »Vereinsamten« sind Trieb-gesteuert. Serienmord entspringt immer einer Sexualdevianz.