Hitlers Geldfälscher - Lawrence Malkin - E-Book

Hitlers Geldfälscher E-Book

Lawrence Malkin

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Beschreibung

Geld ist der Motor, der jede Kriegsmaschinerie antreibt, und die Waffe, deren Verlust den Feind am härtesten trifft. Diesen Umstand wollten sich die Nazis im Zweiten Weltkrieg zunutze machen und planten, die Alliierten mittels gefälschter Währung in den Ruin zu treiben. »Töten ist in Ordnung, und Sie können selbst die Religion nahezu ungestraft angreifen, aber Sie haben etwas bedroht, das vielen Menschen teurer ist als das Leben« – so lautet die ablehnende Antwort des britischen Botschafters Lord Lothian auf John Steinbecks Vorschlag von 1940, Falschgeld als Waffe gegen das Dritte Reich einzusetzen. Von moralischen Bedenken gänzlich unberührt, griffen die Deutschen ihrerseits wenig später zur selben Idee und etablierten im Konzentrationslager Sachsenhausen eine geheime Fälscherwerkstatt, in welcher ab 1943 auf persönlichen Befehl von Heinrich Himmler zunächst Pfund-, später auch Dollarnoten gefälscht wurden. Perfiderweise wurde diese Arbeit handwerklich begabten, zugleich dem Tode geweihten KZ-Häftlingen übertragen, deren Überleben somit an den Kriegserfolg der Nationalsozialisten gebunden war. Angeleitet wurden sie dabei von SS-Mann Bernhard Krüger, dem (nach eigener Aussage) »größten Fälscher, den die Welt je gesehen hat«. Lawrence Malkin berichtet in diesem fundierten und umfassend recherchierten Sachbuch von einer der größten Fälschungsaktionen der Geschichte und vollzieht die Spur nach, die die Blüten während des Krieges und nach der Kapitulation der Deutschen hinterlassen haben: als Finanzmittel in internationalen Spionagekreisen, als Wegegeld für die Flucht ranghoher Nazis nach Südamerika oder als im Toplitzsee versenkter, mythischer Nazi-Schatz. »Hitlers Geldfälscher« inspirierte den österreichischen Regisseur Stefan Ruzowitzky zu dessen Oscar-gekrönten Spielfilm »Die Fälscher« mit August Diehl und Karl Markovics in den Hauptrollen. Aus dem Englischen von Helmut Ettinger. Mit zahlreichen Abbildungen, umfangreichem Anhang und ausführlichem Literaturverzeichnis.

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Lawrence Malkin

Hitlers Geldfälscher

Wie die Nazis planten, das internationale Währungssystem auszuhebeln

Copyright der eBook-Ausgabe © 2014 bei Hey Publishing GmbH, München

Copyright © für die deutschsprachige Ausgabe 2006 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG

Copyright © für die Originalausgabe 2006 by Lawrence Malkin unter dem Titel: Krueger's Men: The Secret Nazi Counterfeit Plot and the Prisoners of Block 19

Markus A. Will wird vertreten durch die Agentur Lianne Kolf, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Autorenfoto: © Abigail Heyman, NYC

ISBN: 978-3-95607-069-3

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Besuchen Sie den Autor im Internet:

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Hitlers Geldfälscher

Geld ist der Motor, der jede Kriegsmaschinerie antreibt, und die Waffe, deren Verlust den Feind am härtesten trifft. Diesen Umstand wollten sich die Nazis im Zweiten Weltkrieg zunutze machen und planten, die Alliierten mittels gefälschter Währung in den Ruin zu treiben.

»Töten ist in Ordnung, und Sie können selbst die Religion nahezu ungestraft angreifen, aber Sie haben etwas bedroht, das vielen Menschen teurer ist als das Leben« – so lautet die ablehnende Antwort des britischen Botschafters Lord Lothian auf John Steinbecks Vorschlag von 1940, Falschgeld als Waffe gegen das Dritte Reich einzusetzen. Von moralischen Bedenken gänzlich unberührt, griffen die Deutschen ihrerseits wenig später zur selben Idee und etablierten im Konzentrationslager Sachsenhausen eine geheime Fälscherwerkstatt, in welcher ab 1943 auf persönlichen Befehl von Heinrich Himmler zunächst Pfund-, später auch Dollarnoten gefälscht wurden. Perfiderweise wurde diese Arbeit handwerklich begabten, zugleich dem Tode geweihten KZ-Häftlingen übertragen, deren Überleben somit an den Kriegserfolg der Nationalsozialisten gebunden war. Angeleitet wurden sie dabei von SS-Mann Bernhard Krüger, dem (nach eigener Aussage) »größten Fälscher, den die Welt je gesehen hat«.

Lawrence Malkin berichtet in diesem fundierten und umfassend recherchierten Sachbuch von einer der größten Fälschungsaktionen der Geschichte und vollzieht die Spur nach, die die Blüten während des Krieges und nach der Kapitulation der Deutschen hinterlassen haben: als Finanzmittel in internationalen Spionagekreisen, als Wegegeld für die Flucht ranghoher Nazis nach Südamerika oder als im Toplitzsee versenkter, mythischer Nazi-Schatz.

»Hitlers Geldfälscher« inspirierte den österreichischen Regisseur Stefan Ruzowitzky zu dessen Oscar-gekrönten Spielfilm »Die Fälscher« mit August Diehl und Karl Markovics in den Hauptrollen.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Inhaltsverzeichnis

***

Widmung

1. Schlagt das Pfund im Erdenrund

2. Unternehmen Andreas

3. Whitehall und die Old Lady

4. Nobelpreiswürdige Ideen

5. Die Befehlskette der Fälscher

6. Das Personal wird rekrutiert

7. Die Fälscher von Block 19

8. Die gefährlichste Fälschung aller Zeiten

9. Besser als die Wallstreet

10. Was die Pfunde tatsächlich gebracht haben

11. Die Fälschung des Dollars

12. Der Marsch zu den Höhlen des Todes

Epilog

***

Anmerkungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Liste der Fälscher von Operation Bernhard

Karten

Nervos belli, pecuniam infinitam.

Geld regiert die Welt – auch im Krieg.

- Marcus Tullius Cicero, 43 v. Chr. -

Zur Erinnerung an Paul David Stark:

Er brachte seine Familie durch den Sturm.

1. Schlagt das Pfund im Erdenrund

Der Zweite Weltkrieg war kaum zwei Wochen alt, da versammelten sich die führenden Köpfe von Spionage und Finanzwesen des Nazireiches in einem getäfelten Konferenzsaal des Finanzministeriums in der Wilhelmstraße 61.[1] Seine Architektur war so prunkvoll und düster wie die all der anderen massiven Amtsgebäude mit den pseudoklassischen Fassaden ringsum. Während aber die meisten Fenster dort ein schweres Tympanon krönte, fehlte dem Finanzministerium, einem Bau aus den 1870er-Jahren, dieser Schmuck italienischer Medici-Paläste. Die Wilhelmstraße, Berlins Pennsylvania-Avenue und Whitehall zugleich, ist nach Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, benannt, der sie erbauen ließ. Die meisten Menschen bringen ihren Namen aber mit einem der beiden Kaiser dieses Namens in Verbindung. Das Finanzministerium stand an ihrem südlichen Ende. Sie wurde von der Prinz-Albrecht-Straße gekreuzt, wo das riesige, säulenbewehrte, F-förmige Hauptquartier der Gestapo aufragte. Der Plan, der auf dem Konferenztisch des Ministeriums lag, war einfach: Man wollte Millionen gefälschter britischer Banknoten drucken, über den Straßen und Dächern Großbritanniens verstreuen und dann in aller Ruhe abwarten, bis die britische Wirtschaft kollabierte. Die Idee war nicht besonders originell. Derartige Pläne hatten schon auf den Schreibtischen von keinen Geringeren als Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill gelegen. Die Briten selbst hatten sich ihrer 150 Jahre zuvor gegen die Revolutionäre in Frankreich bedient, um die von jenen durch fleißiges Bedienen der Druckerpresse verursachte Inflation weiter anzuheizen. Und selbst Friedrich der Große, dieses Symbol rigorosen preußischen Offiziersgeistes, der den modernen deutschen Staat prägte, hatte bereits im 18. Jahrhundert Geld gefälscht, um seine Gegner zu schwächen. Aber all das waren Geschichten aus vorindustrieller Zeit. Angesichts der enormen Ressourcen und der gnadenlosen Effizienz von Hitlers Kriegsmaschinerie sollte es jetzt möglich sein, englische Banknoten in bislang in der Geschichte beispiellosen Mengen zu fälschen.

Es war durchaus denkbar, dass dieses Vorhaben der Nazis die Wirtschaft Großbritanniens und seines Empire zu ruinieren vermochte. Immerhin wurde über das Nervenzentrum der Londoner City sein gesamter weltweiter Handel abgewickelt, der den britischen Adel reich gemacht und seine Kriege finanziert hatte. Einzelheiten referierte Arthur Nebe[2], Chef der SS-kontrollierten Kriminalpolizei, Sohn eines Lehrers und ehrgeiziger, höchst anpassungsfähiger Beamter, der bisher bei den meisten Geheimaktionen der Nazibewegung mitgewirkt hatte. Nebe, der bereits vor Hitlers Machtantritt im Jahr 1933 der Nazipartei beitrat, war vor allem deshalb von Nutzen, weil er als Polizist die Unterwelt genau kannte. Einfallsreich und skrupellos, war er seinen Vorgesetzten stets zu Diensten. Nebe hatte Hitler geholfen, 1938 den Oberbefehl über die Streitkräfte an sich zu reißen. Indem er Einzelheiten über die Vergangenheit der neuen Frau des Kriegsministers Werner von Blomberg als Prostituierte lancierte, zwang er den alten Preußen zu einem unehrenhaften Abschied.[3] Er war der deutsche Vertreter in der Internationalen Kriminalpolizei-Kommission (IKPK), die später als Interpol bekannt wurde.[4] Sie war nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden, um Fälscher und Drogenschmuggler über die Grenzen der europäischen Staaten hinweg verfolgen zu können. Als die Nazis in Österreich einmarschierten, rissen sie diese Institution kurzerhand an sich und verlegten die Zentrale samt den Akten über Fälle aus 15 Jahren von Wien nach Berlin.[5] Um der Empfindsamkeit des Sicherheitschefs des Reichs, Heinrich Himmler, entgegenzukommen, soll Nebe auch die auf einem Lkw montierte mobile Gaskammer für den Massenmord an den Juden Osteuropas entwickelt haben. Himmler hatte Nebe gestanden, er könne den Anblick der Erschießung von Menschen nicht ertragen, nicht einmal, wenn sie Juden seien.

Nebe schlug vor, die riesige Zahl professioneller Fälscher, die er in seinen Polizeiakten führte, für dieses Unternehmen zu mobilisieren.[6] Sein unmittelbarer Vorgesetzter war Reinhard Heydrich (zur Abbildung), Protegé von Himmler, dem Führer der Mördertruppe SS, die einmal als bewaffnete Miliz der Nazipartei gegründet worden war. Als Heydrich Neebs Vorschlag ablehnte, ließ er sich nicht etwa von rechtlichen Bedenken oder Polizistenmoral leiten. Er schloss die Benutzung von Akten der IKPK aus, weil er Deutschlands Kontrolle über diese Organisation nicht gefährden wollte. Es war ihm wichtiger, das europaweite Netzwerk nutzen zu können, um Nazigegner und Juden aufzuspüren, denen die Flucht aus Deutschland gelungen war. Heydrich hoffte, sich bis zum amerikanischen FBI vortasten zu können, um Blankopässe der USA für künftige Fälschungen zu beschaffen. Das FBI hielt zwar Abstand zur IKPK, brach aber erst drei Tage vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 alle Kontakte zu ihr ab.[7]

Welche Skrupel Heydrich wegen der Nutzung von Nebes Verbrecherkartei auch gehabt haben mag, der Fälschungsplan selbst begeisterte ihn von Anfang an. Als Persönlichkeit so scharfsinnig wie grausam, las Heydrich leidenschaftlich gern Spionagegeschichten.[8] Dokumente zeichnete er mit einem großen C ab. Das mag er sich aus zeitgenössischen Spionageromanen abgeschaut haben, denn dies war die Codebezeichnung des damaligen Chefs des britischen Geheimdienstes.[9]

Heydrich führte Himmlers Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Dort wurden umfangreiche Akten über Personen geführt, die man der Gegnerschaft gegen das Nazireich oder der Verbindung zu liberalen Kreisen verdächtigte, dazu natürlich über die Juden, deren Vernichtung Heydrich plante und zunächst auch überwachte. Sein Büro befand sich im Gebäude der Gestapo. Sein SS-Spionagenetz war ein ständiger Rivale der Abwehr, die es letzten Endes schluckte. Die Abwehr, ein militärischer Geheimdienst alten Stils, wurde von Admiral Wilhelm Canaris geleitet, der einst Erster Offizier auf dem Ausbildungsschiff gewesen war, wo Heydrich als Kadett gedient hatte.[10]

Im Unterschied zu dem menschenscheuen, kurzsichtigen Himmler war sich Heydrich seiner körperlichen Vorzüge voll bewusst. Er fuhr Ski, konnte ein Flugzeug steuern und nahm an Reitturnieren teil. In allem, was er tat, hatte er Erfolg. Selbst der Geige entlockte er leidenschaftliche Töne. Dass er an großen inneren Spannungen litt, verrieten seine schrille, schneidende Stimme, seine Zornesausbrüche und sein abartiges Verhalten in Berliner Nachtklubs, wo die Frauen in der Regel seine Begleiter dem Chef mit dem Wolfsblick und der Gier nach sexuellen Ausschweifungen vorzogen.

Der einzige seriöse Einwand gegen das Projekt kam von Walther Funk[11], einem wohlgenährten, homosexuellen ehemaligen Finanzkorrespondenten, der Hitler als Wirtschaftsminister diente.[12] Funk, nominell Präsident der Reichsbank, in Wirklichkeit aber bis zum bitteren Ende Hitlers wichtigster Verbindungsmann zur deutschen Industrie, weigerte sich, die Benutzung der Berliner Labors der Zentralbankdruckerei zu genehmigen. Er warnte, der Plan verletze internationales Recht und sei zum Scheitern verurteilt. Der Rechtsberater des militärischen Oberkommandos unterstützte ihn in dieser Meinung.[13] Funk forderte außerdem, das Falschgeld solle nicht in den von Deutschland besetzten Ländern eingesetzt werden. Er wusste, dass die dortige Bevölkerung sich sofort auf die als echt angesehenen Pfundnoten stürzen würde. Das Einsickern gefälschter Pfundnoten in diese Länder, die mit ihren Ressourcen für das Reich bluten mussten, hätte seine überbewertete und ohnehin argwöhnisch beäugte Besatzungswährung sofort ins Wanken gebracht. Das aber war das Letzte, was er gebrauchen konnte.

Auch Joseph Goebbels nannte die Idee in seinem Tagebuch »einen grotesken Plan«.[14] Aber er lehnte sie nicht von vornherein ab. Einen ähnlichen Vorschlag hatte am 6. September bereits Leopold Gutterer, sein einfallsreicher Staatssekretär, unterbreitet. Dieser hatte angeregt, falsche Banknoten im Umfang von etwa 30 Prozent der aktuell zirkulierenden Währung über Großbritannien zu verstreuen. Die Luftwaffe hätte tonnenweise Blüten transportieren müssen. Ein so wahnwitziger Plan passte zu Goebbels' Propagandaministerium, dem Sprachrohr von Hitlers großen Lügen, das nach dem Grundsatz funktionierte: Je öfter man sie wiederholte, desto eher würden sie geglaubt.

Goebbels, ein blinder Gefolgsmann des Führers, vertraute seine Bedenken seinem Tagebuch an: »Aber wenn die Engländer uns gegenüber dasselbe täten? Ich lasse den Plan weiter untersuchen.«

Ob Goebbels bei dem Treffen am 18. September 1939 anwesend war, ist nicht überliefert. Aber er wusste, dass eine Flut von Falschgeld die Finanzen des Reichs ins Wanken bringen konnte. Sie waren jetzt schon äußerst fragil, denn Hitler wollte die Unterstützung des Großbürgertums nicht aufs Spiel setzen und hatte es daher bis zum Ausbruch des Krieges abgelehnt, die deutsche Rüstung durch Steuererhöhungen zu finanzieren.[15]

Trotz der strikten Geheimhaltung erfuhr man in London bald von der geplanten Fälschungsaktion. Der Chef der britischen Legation in Athen, Michael Palairet, ein englischer Aristokrat, der beispielhaft für seine Klasse und sein Land stand, berichtete in einem Brief detailliert über die Unterredung in Berlin vom 18. September. (Seine Tochter heiratete in die Familie von Herbert Asquith ein, der während des Ersten Weltkrieges britischer Premierminister war und dafür geadelt wurde.) Palairets Brief an London trug den Vermerk »Streng geheim« und war auf den 21. November datiert - zwei Monate nach der Beratung vom 18. September. Er enthielt Material aus dem Notizbuch eines russischen Emigranten namens Paul Schurapin. Wie und über welche Quelle er an die Information gelangt war, ist nicht bekannt. Bereits einen Monat zuvor hatte die griechische Polizei Schurapin ausgewiesen und nach Frankreich abgeschoben. Dort konnte er nicht mehr verhört werden. Aber sein Bericht war höchst erstaunlich, sowohl was die Einzelheiten als auch was die politischen und finanziellen Hintergründe betraf:

»Auf einer Konferenz von Währungsexperten am 18. September dieses Jahres [1939] im deutschen Finanzministerium wurde folgender Plan erörtert:

›Offensive gegen Sterling und Beseitigung seiner Stellung als Weltwährung.‹

Dieser Plan, der einmütig angenommen wurde, sieht eine sorgfältige Vorbereitung und perfekte Durchführung von Aktionen vor, um die gestellten Ziele in allen Ländern des Nahen Ostens, in Nordafrika, in den britischen Kolonien und in Südamerika zu erreichen.

Es wurde beschlossen, in der Druckerei der Reichsbank mit der Herstellung von 30 Milliarden gefälschter Ein-Pfund-Noten und von zwei Milliarden verschiedener anderer Banknoten zu beginnen. Die Beförderung des Falschgeldes in andere Länder soll mit der Diplomatenpost des Marineministeriums erfolgen.

Die konsularischen Vertreter Deutschlands in den genannten Staaten sollen beauftragt werden, mit der einmaligen Ware höchst vorsichtig umzugehen. Sie haben Instruktion erhalten, sie zuerst möglichst Profit bringend abzusetzen, bis Weisung ergeht, sie zu verschleudern oder sogar kostenlos [sic!] zu verteilen, um den Devisenmarkt mit einer enormen Menge falscher Pfundnoten zu überschwemmen. (Echte Pfundnote - Fälschung)

In dem Plan ist auch der Zeitpunkt bedacht, wann dieses Falschgeld, so perfekt es auch sein mag, schließlich entdeckt wird. Dann soll an den größten Börsen dieser Welt - in New York, Amsterdam, Den Haag, Lissabon, Rom, Neapel usw. - der bereits jetzt in Vorbereitung befindliche Coup gelandet werden, der zum Zusammenbruch des Pfundes Sterling oder zumindest zu dessen starkem Verfall führen wird. Um den Erfolg vollkommen zu machen, soll das Propagandaministerium gegen die Bank of England den Vorwurf ausstreuen, sie selbst habe das Falschgeld in Umlauf gesetzt, um die Unterstützung der ›pays états‹ [Nationalstaaten] sicherzustellen und ihren eigenen Bankrott vor der Welt zu verbergen.

Marine und Luftwaffe des [Deutschen] Reichs sind aufgefordert, möglichst spektakuläre Großaktionen durchzuführen, die mit dem beschriebenen Coup zeitlich zusammenfallen.

Wenn das Vertrauen in die britische Währung zerstört ist, wird der Weltmarkt von der [deutschen] Mark überrollt werden«.[16]

Dieses Dokument ist die einzige zeitnahe Beschreibung des ursprünglichen deutschen Plans. Zwar wurde er durch die Gegebenheiten des Krieges modifiziert - welcher Schlachtplan wird das nicht? -, aber Schurapin hatte das Wesen der Sache ziemlich genau erfasst.

Britische Diplomaten übergaben die Denkschrift aus Athen im Februar 1940 an die Amerikaner. Herschel Johnson, der hoch geachtete Karrierediplomat an der amerikanischen Botschaft in London, sandte rasch eine Zusammenfassung nach Washington, wo das State Department das Finanzministerium in Kenntnis setzte.[17] Washington beobachtete gespannt, ob auch der Dollar eine Zielscheibe in diesem Spiel werden könnte, aus dem sich viele Amerikaner heraushalten wollten. Sie betrachteten den Krieg als eine Sache der Europäer und die Nazis als Problem Europas.

Die Direktoren der Bank of England wurden bald darauf ins Bild gesetzt - allen voran Sir Montagu Norman, der Präsident der Bank, der diese mit eiserner Hand führte. Dieser innere Kreis konnte die Information viele Jahre lang geheim halten. Selbst hohe Angestellte der Bank wussten nicht, dass Palairets Brief den entscheidenden Hinweis gegeben hatte. Sie glaubten, er stamme aus einer dubiosen Quelle der britischen Botschaft in Paris. Diese Art Irreführung der Öffentlichkeit war von Anfang an typisch für den indolenten Umgang der Bank mit der Affäre.[18] Bis vor kurzem zeigte die Bank of England keinerlei Bereitschaft, die ganze Wahrheit auszusprechen. Ihre Beamten behaupteten, viele Bankakten seien den britischen Geheimdiensten übergeben worden[19], andere verloren gegangen. Dabei haben sie sie nach dem Krieg zum Teil eigenhändig vernichtet.[20]

Es hat über ein halbes Jahrhundert gedauert, bis diese Geschichte ans Licht kam. Sie zeigt, wie leicht ein genialer Plan pervertiert werden kann, wenn seine Erfinder in Kämpfe um Einfluss verstrickt sind, wenn Erfordernisse der Spionage eine Rolle spielen und schließlich die Habgier hinzukommt, die jedem Verbrecherregime eigen ist. Wenn man ihn nur als einen Coup der Geheimdienste betrachtet, dann war dies von all den heimtückischen Plänen der Nazis sicherlich noch einer der harmloseren. Aber seine Wirkung geht weitaus tiefer. Bis heute lässt die Bank of England fast jeden Monat eine Prüfung vornehmen - ein geradezu abartiges Zeichen dafür, dass vom Totalitarismus der Nazis noch immer eine gewisse Faszination ausgeht, welche die finstersten und kindischen Fantasien von absoluter Macht und gestohlenem Reichtum nährt. Experten der Alliierten haben diesen Plan später als »die erfolgreichste Fälschungsaktion aller Zeiten« bezeichnet.[21] Wie viele bizarre Ideen wäre er beinahe geglückt, wenn auch nicht ganz so wie beabsichtigt. Aber der ganze Ablauf der Affäre zeigt, wie leicht chaotisches Finanzgebaren ein totalitäres Regime an den Rand der Selbstzerstörung fuhren kann. Der Plan ermöglichte es den Nazis, Beute zu machen und Eroberungen von geringem militärischem Wert, aber großer propagandistischer Wirkung zu finanzieren. Ihr bester Spion ist in die Filmgeschichte eingegangen, obwohl Berlin seine Informationen ignorierte. Ihr kühnstes Kommando hat einen Platz in den Geschichtsbüchern gefunden, den es kaum verdient. Den Briten war die Sache ein halbes Jahrhundert lang peinlich, doch sie gewannen den Krieg. Die wichtigste Lehre daraus gilt heute wie 1939, ja, eigentlich immer, wenn man im Krieg zu neuen Mitteln greift. Selbst eine clevere, fantasievolle Idee kann außer Kontrolle geraten, wenn sie nicht kritisch hinterfragt werden darf, wie es in einer Demokratie üblich ist.

Die kriminelle Subkultur des Fälschens kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf, als Goldmünzen von gedrucktem Papiergeld abgelöst wurden. Zwischen den Kriegen wurde Falschgeld auf den Straßen, in Läden und Hinterzimmern von Lokalen in Umlauf gesetzt. Viele berüchtigte Fälscher waren verhinderte Künstler wie Hitler selbst.[22]

In manchen Ländern ging von Falschgeld weit weniger Gefahr aus als von der offiziellen Währung. Fast jeder Deutsche wurde geschädigt, als die Druckerpressen auf Anordnung der demokratischen Weimarer Republik Milliarden von Banknoten ausspien. Heute den wahren Gründen der historischen Hyperinflation von 1923 nachzuspüren dürfte mehr sein als nur eine theoretische Debatte, die höchstens Ökonomen und entsprechende Ideologen interessiert. War es ein bewusster Schritt, um die Währung abzuwerten und damit die Exporte zu fördern, aus denen Deutschland seine Kriegsschulden zu bezahlen hoffte? War es eine Maßnahme, um Arbeitsplätze zu retten? Oder Großunternehmen und Grundeigentümern die Taschen zu füllen, indem man ihnen die Schulden strich? Sicher war es von allem etwas. Auch die Währungen der neuen Staaten Österreich, Ungarn und Polen brachen nach dem Zerfall der Donaumonarchie zusammen. In der nachfolgenden Panik wurden Devisen, selbst wenn es sich um Blüten handelte, dringend gebraucht. In den Hafenstädten nötigte man Seeleute, die von Bord gingen, ihr ausländisches Geld gegen Scheine der immer wertloser werdenden Landeswährung umzutauschen. Jede Minute konnte es mehr oder weniger wert sein. Alles hing von den heftigen Sprüngen der Kurse ab, welche die Gesellschaft und das Vertrauen in die Staatsgewalt untergruben.[23]

In den Jahren zwischen den Kriegen galt Papiergeld nur noch selten als der verlässliche Wertmaßstab, der es in der Zeit des Aufstiegs der Bourgeoisie während der langen Friedensperiode gewesen war, die 1914 zu Ende ging. Die internationale Staatengemeinschaft glich einem Orchester ohne Dirigenten, der ihr physische und finanzielle Sicherheit geben konnte. Die Ökonomen nennen einen solchen Staat einen Hegemon. Im viktorianischen Zeitalter hat Großbritannien mit seinem Pfund Sterling und der Royal Navy diesen Platz ausgefüllt. Während des Kalten Krieges haben das die USA mit ihrem allmächtigen Dollar und der Atombombe getan. Aber zwischen den Kriegen wurde das Geld zur Waffe. Der Handel konnte manipuliert werden, indem man Zölle erhöhte oder Währungen abwertete, um die eigenen Produkte zu fördern und damit anderen Staaten Arbeitsplätze und Gewinn abzujagen. Einer bezichtigte den anderen - und meist zu Recht -, den Nachbarn an den Bettelstab bringen zu wollen.

Die Deutschen brachen als Erste die alten Regeln, indem sie als Maßnahme im Konkurrenzkampf die Reichsmark abwerteten - was mit dem Goldstandard der Vorkriegszeit unmöglich gewesen wäre. Die Franzosen folgten ihrem Beispiel. In den Zwanzigerjahren werteten sie ihre Währung gegenüber dem Dollar ab, lockten damit die Großverbraucher des Jazz-Zeitalters nach Frankreich und Gold in französische Sparstrümpfe. Auch die USA und Großbritannien beteiligten sich an diesem Spiel: Beide waren bemüht, die eigene Währung gegenüber der anderen abzuwerten oder sie vor ihr zu schützen. Die Sache ging schließlich zugunsten der USA aus, die über einen Berg von Gold verfügten, das sie während des Krieges mit dem Verkauf von Rohstoffen und Waffen nach Europa verdient hatten. Der alte Kontinent dagegen hatte an der Wallstreet Kriegskredite aufnehmen müssen.

Dennoch strebten die Briten ein stärkeres Pfund an, welches das Lebenselixier des Empire sein sollte. 1925 kehrten sie zum Goldstandard der Vorkriegszeit zurück. Sie bewerteten das Pfund wieder mit 4,86 Dollar, um London als Finanzplatz mit einer verlässlichen Währung, die wenigstens theoretisch in Gold eingetauscht werden konnte, aufrechtzuerhalten.[24] Die britischen Arbeiter mussten in den Zwanzigerjahren mit ihren niedrigen Löhnen für ein starkes Pfund bezahlen, während es ihren Kollegen in Frankreich und Amerika wesentlich besser ging. Nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise verlor das Pfund endgültig seine Golddeckung und sackte auf einen Wert von 4,05 Dollar ab. Aber auch bei dieser schwachen Währung waren britische Waren noch zu teuer. Ein starkes Pfund, das man gern gegen andere Währungen eintauschte, wurde andererseits zum bevorzugten Ziel von Fälschungen. Warum sollte man sich mühen, Mark, Franc oder sogar Dollar nachzumachen, deren Wert so unbeständig war? Wenn man britischen Schuljungen das Verhältnis von Masse und Gewicht beibrachte, sang man den fast zum Mythos gewordenen Vers: »Das Pfund ist ein Pfund im Erdenrund.« Üble Zeitgenossen fühlten sich von der Stabilität des Pfundes magisch angezogen. In Deutschland, wo Gold und ausländische Währung knapp waren, wurde zu dieser Zeit der Handel äußerst clever von einem Finanzgenie namens Hjalmar Horace Greely Schacht gemanagt. Als seine Eltern ihm die beiden amerikanischen Vornamen gaben, hatten sie sich vielleicht von Goethes prophetischem Ausspruch »Amerika, du hast es besser« inspirieren lassen. Nun legte der Sohn sie als nicht mehr zeitgemäß ab. Schacht strebte keine Lösung im Sinne des freien Handels an. Er finanzierte Hitlers Aufrüstung, indem er Deutschlands traditionelle Handelspartner auf dem Balkan, in Südosteuropa und in Lateinamerika einband. Zu diesem Zweck schloss Deutschland von 1934 bis 1938 mit 27 Staaten bilaterale Verträge. Im Grunde genommen lieferten sie Deutschland, das mit Industriegütern seiner Wahl zahlte, die benötigten Rohstoffe. Da der gesamte Außenhandel von der Reichsregierung kontrolliert wurde und man die Reichsmark mit zirka 40 Cent pro US-Dollar relativ stark hielt, konnte Deutschland die für die Aufrüstung benötigten Rohstoffe relativ billig einkaufen. Es lieferte dafür Agfa-Filme oder Aspirin von Bayer, die für Hitlers wachsende Panzerdivisionen wohl kaum gebraucht wurden. Die Reichsbank fuhr Gewinne ein und reichte sie als Kredite an deutsche Unternehmen weiter, Löhne und Preise standen unter Kontrolle, 1937 war die Vollbeschäftigung wieder erreicht. Als der steife, an einen Oberlehrer erinnernde Schacht seine Schuldigkeit getan hatte, ersetzte man ihn durch den willfährigeren Funk.

Hitler wurde bald klar, dass der Bau von Autobahnen und finanzielle Subventionen für die Industrie nicht ausreichten, um weiterhin für alle Deutschen Arbeit zu schaffen. Dem Moloch des modernen Krieges ist eine unersättliche Gier nach Rohstoffen eigen. Die deutsche Industrie hielt technisch zwar die Weltspitze, war aber vom Umfang her kleiner als die des britischen Weltreiches, das außerdem billige Lebensmittel lieferte und riesige Märkte bot, wodurch London zum internationalen Finanzzentrum wurde. Am 5. November 1937 bestellte Hitler die Spitzen des Militärs zu einer geheimen Besprechung und eröffnete ihnen, es sei ihre Aufgabe, den deutschen Lebensraum zu erweitern. Zu viele Deutsche lebten auf zu wenig Land, um sich selbst ernähren zu können. Als die Fabrik Europas mit wenig eigenen Rohstoffen könne Deutschland in einer krisenanfälligen Welt nicht allein vom internationalen Handel leben. Es müsse sich entweder in das liberale kapitalistische System eingliedern (was gescheitert war) oder andere Länder erobern, um sich Lebensmittel, Rohstoffe und Gold zu sichern.[25] Den Siegern des Ersten Weltkrieges hatte Hitler bereits eine Nase gedreht, als er 1936 in das entmilitarisierte Rheinland einmarschiert war. 1938 brachte er Großbritannien und Frankreich dazu, ihm für ein vages Friedensversprechen Gebiete der Tschechoslowakei zu verkaufen. Im selben Jahr schickte er seine Elitetruppen nach Wien, wo Millionen Österreicher ihre Besetzung als Befreiung bejubelten. Alle diese Überraschungsschläge hatte Hitler an Wochenenden geführt, wenn träge, zur Beschwichtigung neigende britische Politiker auf ihren Landgütern der Ruhe pflegten.

Hitler war von seinen unerwarteten Erfolgen selbst so überrascht, dass er im September 1939, als Großbritannien und Frankreich ihm tatsächlich den Krieg erklärten, um Polens Unabhängigkeit zu schützen, im Kreis seiner Vertrauten ausgerufen haben soll: »Was nun?«[26] Trotzdem eroberte er mit seiner neuartigen Taktik des Blitzkrieges in kurzer Zeit das Agrarland Polen und besetzte dann Norwegen, um den Transport schwedischen Eisenerzes über den Hafen von Narvik sicherzustellen. Dänemark, in die Ecke gedrängt, gestand Hitler die Kontrolle über die Ostsee zu. Mit ähnlichen rasanten Schlägen bezwang er die an Kolonien und Handelsverbindungen so reichen Niederlande. Als dann auch noch die korrupte Dritte Französische Republik ihm wie eine überreife Frucht in den Schoß fiel, war er fast sicher, dass London um Frieden bitten und ihm den Kontinent überlassen werde. Aber die Briten weigerten sich. An einem weiteren Sommersonntag im Juni 1941 überspannte er endgültig den Bogen, indem er seinen nichts ahnenden sowjetischen Verbündeten überfiel.

Die Alliierten glaubten, Hitler werde bald nicht mehr die Mittel besitzen, seine Blitzschläge fortzusetzen. Seine Kriegsmaschinerie werde ins Stottern geraten, und an der Westfront stehe ein neuer Grabenkrieg bevor. Das sollte sich als gewaltige Fehleinschätzung erweisen. Deutschland bezog einen großen Teil seiner Kraft für die Fortsetzung des Krieges aus den eroberten Gebieten. Belgien, die Niederlande und Frankreich hatten täglich Millionen »Besatzungskosten« zu entrichten. Etwa drei Milliarden Dollar fielen Hitlerdeutschland aus dem Vermögen von Juden zu, die in den Dreißigerjahren entweder vor den Nazis flohen oder von ihnen vertrieben wurden.[27] Anders als in den USA und Großbritannien, wo jüdische Vermögen beweglicher waren, weil es sich meist um Finanzkapital handelte, waren die Juden in Deutschland häufig Großunternehmer. Bei Deutschlands verspäteter Industrialisierung hatten jüdische Wissenschaftler von Anfang an eine bedeutende Rolle gespielt. So gründete Emil Rathenau die riesige AEG, die elektrischen Strom nach Berlin brachte. Sein Sohn Walther organisierte im Ersten Weltkrieg den Import von Rohstoffen, war in der Weimarer Republik ein liberaler Außenminister und wurde 1922 von fanatischen Nationalisten ermordet. Zirka sechs Milliarden Dollar wurden Juden in den besetzten Ländern abgepresst oder geraubt. Weitere Milliarden erbrachten Zwangsarbeit und unverhüllte Plünderungen. Das betraf vor allem die Goldreserven der Zentralbanken der eroberten Staaten. Fälschung war nur ein weiteres taktisches Instrument.

Hitler und seine Gefolgsleute, denen ihre Eroberungen zu Kopf stiegen, rechneten nicht damit, fünfeinhalb Jahre lang Krieg zu führen. Im Gegenteil, die deutsche Militärstrategie ging davon aus, man werde ein isoliertes und ausgehungertes Großbritannien in ein Vasallenverhältnis zum Tausendjährigen Reich zwingen. Das sollte, wenn möglich, durch Verhandlungen mit jenen erreicht werden, die zuvor versucht hatten, Hitler zu beschwichtigen. Und wenn nicht, dann eben mit Gewalt.

Daher passte es durchaus zur Linie der Nazis, das Finanzsystem Großbritanniens zu untergraben, selbst wenn sie hofften, London zu einer Art politischer Partnerschaft mit Deutschland zu bewegen. (In der Praxis wäre diese allerdings ein britisches Pferd mit einem deutschen Reiter gewesen.) Hitler glaubte, London werde am Ende auf das Geschäft eingehen. Hofften nicht viele hochwohlgeborene Tories, er werde sich nach Osten gegen die Bolschewiken wenden, diese beseitigen und dann, wie es Hitler selbst vorschwebte, eine Lösung finden, bei der die beiden großen arischen Mächte Europas gemeinsam über die minderwertigen Rassen herrschten? Für Hitler war ein Bündnis mit Großbritannien eine so logische Angelegenheit, dass er den deutschen Geheimdiensten bis 1937 sogar verbot, in diesem Land zu spionieren.[28]

Wie viele Briten und selbst einflussreiche Amerikaner bis hin zu Joseph P. Kennedy, dem US-Botschafter in London und Vater eines späteren Präsidenten, konnten sich auch die Deutschen nicht vorstellen, welchen beispiellosen Widerstand Winston Churchill auslösen sollte, als er das Amt des Premierministers übernahm. Als Engländer und als Angehöriger seiner Klasse wusste er um die politische Bedeutung des Pfundes. 1926 hatte er als Finanzminister für die Aufwertung der britischen Währung sogar einen Generalstreik in Kauf genommen. Er trat öffentlich für ein starkes Pfund ein, »das jeder kennt und auf das man bauen kann«.[29] Die Stellung des Pfundes zu untergraben war daher für die Nazifunktionäre, die Anfang September 1939 im deutschen Finanzministerium zusammenkamen, ein Strategem, das sie ernsthaft ins Auge fassten. Sie hatten mit unglaublichem Erfolg bereits so vieles an sich gerissen, dass sie nun die Zeit für gekommen hielten, England den Gnadenstoß zu versetzen.

2. Unternehmen Andreas

Das Phänomen der Fälschung hatte Reinhard Heydrich schon immer interessiert. Das erste Mal war es ihm im Zusammenhang mit den großen Säuberungen des Jahres 1937 in der Sowjetunion begegnet. Im Jahr zuvor hatte er von einem russischen Emigranten erfahren, Marschall Michail Tuchatschewski, der Held des Bürgerkrieges, plane eine Verschwörung gegen Stalin. Heydrich beschloss sofort, Moskau gefälschte Dokumente zuzuspielen, die Stalin veranlassen sollten, die militärische Führung des sowjetischen Gegners zu zerschlagen. Im April 1937 wies er seine Fälscherwerkstatt in Berlin an, ihm belastendes Material gegen Stalins Generale zu liefern. Das geschah binnen vier Tagen mithilfe von echten Dokumenten der Sowjetarmee, die im Reichssicherheitshauptamt lagerten. Sie stammten aus der Zeit der Weimarer Republik, als Deutschland mit Unterstützung der Bolschewiken eine geheime Wiederaufrüstung betrieben hatte. Die Russen schluckten den Köder und zahlten drei Millionen Rubel für die gefälschten Papiere. Doch sie hatten ihre Banknoten vorher markiert. Als diese deutschen Spionen in der Sowjetunion zugespielt wurden, konnten die sowjetischen Behörden sie rasch festnehmen. Walter Schellenberg, später Chef der Auslandsaufklärung des SD, musste die markierten Geldscheine in Millionenhöhe persönlich vernichten.[30]

Eigentlich hätte Heydrich den Braten von Anfang an riechen müssen. Stalin hatte Tuchatschewskis Liquidierung bereits in einer Rede zwei Monate zuvor angedeutet. Als die Rubel gezahlt wurden, war der Marschall bereits in einem Geheimprozess verurteilt und hingerichtet worden. Die Nazis ignorierten das geflissentlich. Heydrich glaubte, seine Fälschungen und nicht etwa Stalins Paranoia seien für die Zerschlagung der Führung der Roten Armee ausschlaggebend gewesen. Diese Meinung wurde nicht nur von seinen Kollegen im Spionageapparat, die später Memoiren verfassten, sondern auch von Churchill geteilt.[31] Von den falschen Schlussfolgerungen aus dieser Aktion bestärkt, drängte Heydrich darauf, den Plan der massenweisen Herstellung gefälschter Pfundnoten voranzutreiben.

Reinhard Heydrich war der Sohn eines Opernsängers aus der Provinz. Seine Gegner streuten hartnäckig das falsche Gerücht, er habe eine jüdische Großmutter.[32] Womöglich wollte er mit seinem barbarischen Vorgehen gegen die Juden seine Rassenreinheit beweisen. Wahrscheinlich aber war er einfach ein brutaler Technologe, der für die Staatsräson über Leichen ging. In diesem Sinne war er einer der finsteren Protagonisten des Naziregimes, der Himmler die Ideen für die abscheulichsten Verbrechen lieferte und diese dann gnadenlos durchpeitschte. Das war die erklärte Meinung von Schellenberg, der seinen ersten unangenehmen Eindruck folgendermaßen wiedergab: »Eine große imponierende Gestalt mit einem langen, schmalen Gesicht und einer ungewöhnlich hohen Stirn, mit unruhigen, schrägen Augen, einer langen, scharfen Nase und aufgeworfenen Lippen, mit langen Händen, deren Finger fast wie Spinnenbeine wirkten.« Heydrich war nach dem Ersten Weltkrieg zur deutschen Kriegsmarine gegangen und hatte es dort bis zum Oberleutnant zur See gebracht, wurde aber 1931 entlassen. Als er sich vor einem Offiziers-Ehrengericht dafür verantworten sollte, seine Verlobte verlassen zu haben, bezichtigte er sie der Lüge. Aufgrund seines arroganten Auftretens wurde er wegen »Unwürdigkeit« aus der Marine entlassen.[33] Plötzlich fand sich Heydrich auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise im Millionenheer der Arbeitslosen wieder. Sein militärischer Hintergrund und seine ausweglose Lage führten ihn in die Reihen der SS. Seine Erfahrungen als Nachrichtenoffizier wurden als Voraussetzung für Militärspionage missinterpretiert.

Die SS setzte sich nicht gerade aus Absolventen der besten deutschen Universitäten zusammen, sondern in der Hauptsache aus gescheiterten Existenzen, Großsprechern und vor allem Halbgebildeten mit abstrusen Ideen, wie sie diese Zeit hervorbrachte. Aus pseudo-philosophischen und naturwissenschaftlichen Versatzstücken kochten solche »Professoren« das Gebräu einer politischen Lehre zusammen, mit der Hitler und seine Kumpane salonfähig zu werden gedachten.

Bevor Hitler an die Macht kam, galt Berlin als eine der modernsten Städte Europas. Fünfzig Jahre zuvor hatte Mark Twain sie wegen ihrer pulsierenden Energie und ihrem Erfindungsgeist mit Chicago verglichen. Das neu geschaffene Deutsche Reich führte sich mit Entdeckungen auf den Gebieten der Elektrizität und der Chemie, welche die zweite industrielle Revolution auslösten, in die moderne Welt ein. (Die erste hatten die Briten mit der Dampfmaschine eingeleitet.) Deutschland war auch bei der Erforschung von Krankheiten und ihrer Verhütung durch ein staatliches Gesundheitswesen führend in der Welt. Mit seinen Theorien vom physikalischen Universum brachte es eine Wissenschaftskultur hervor, die Präzisionsmaschinen baute, die zu den heutigen Hochtechnologien geführt haben. Nur wenige 100 Meter von der Wilhelmstraße entfernt am Potsdamer Platz wurde die erste Verkehrsampel Europas aufgestellt.

Hitler ignorierte und pervertierte die wahren wissenschaftlichen Chancen, die der Krieg bot, oder schlug sie rundweg aus. Das Strahltriebwerk, zunächst für Langstreckenbomber als unnötig verworfen, wurde von Hitler zu spät befürwortet: Seine Messerschmitt 262 hatten keine Chance mehr, den Alliierten die Luftüberlegenheit wieder abzunehmen. Raketen wurden erst in letzter Minute als Vergeltungswaffe akzeptiert - zu spät, um etwas anderes außer Furcht und Schrecken zu bewirken, als sie in London einschlugen. Und zum Glück für die westliche Zivilisation war Hitler auch gegen die langfristige Entwicklung von Atomwaffen, weil er glaubte, bis diese einsatzbereit seien, hätte er seine Gegner längst mit Blitzkriegen in die Knie gezwungen. Außerdem hielt er sie für viel zu teuer.[34]

Stattdessen klammerten sich die Nazis an »Wunderwaffen«, die höchstens schlichte Gemüter begeistern konnten. Sie interessierten sich nicht für die intensiven Debatten, die in Großbritannien darüber geführt wurden, wie der Krieg bezahlt werden sollte. Sie hätten sie wohl auch kaum verstanden. Davon aber handelte eine viel gelesene Abhandlung des großen Ökonomen John Maynard Keynes, der sich für sorgfältig berechnete Steuererhöhungen, niedrige Zinsen und Zwangssparmaßnahmen einsetzte, um die Inflation zu vermeiden, die während des Ersten Weltkrieges die Preise in Großbritannien auf das Doppelte hochgetrieben hatte. Keynes lehnte auch eine Lebensmittelrationierung als Angriff auf die Freiheiten ab, für die der Krieg geführt wurde. Von alledem wollte Hitler nichts wissen, obwohl die große Inflation nach dem Ersten Weltkrieg das deutsche Bürgertum um seinen Reichtum gebracht hatte. Zwar rationierten die Deutschen die Lebensmittel, aber in den Läden gab es kaum etwas zu kaufen. Da kein Geld mehr da war, das man hätte besteuern können, finanzierten die Nazis ihren Krieg durch Raub in anderen Ländern oder mit der Geldpresse.

Bei dem fantastischen Plan, das britische Finanzsystem zu Fall zu bringen, spielte passenderweise der Mann eine wichtige Rolle, der die ersten Schüsse des Krieges abgegeben hatte: Alfred Naujocks, ein SS-Major, der Heydrich als Laufbursche und zugleich als Sündenbock für all seine Fehler diente.[35] Bereits als Ingenieurstudent am Marinestandort Kiel war Naujocks ein berüchtigter Nazischläger. Er hatte viele Narben und verdankte seine platte Nase den Kommunisten. Heydrich war Chef der Sturmtruppe vor Ort gewesen. Als der ehrgeizige Naujocks nach Berlin kam, wurde er bald zur entscheidenden Figur der Abteilung für Schmutzarbeit in Heydrichs Sicherheitsdienst. Diese Abteilung war das Schlimmste, was man sich in dem »niedrigen, ehrlosen Jahrzehnt« der Dreißigerjahre vorstellen konnte, um ein berühmtes Wort des englischen Dichters W. H. Auden zu gebrauchen, der sich in der Halbwelt von Berlin gut auskannte.

Naujocks organisierte die Ermordung eines gegen die Nazis eingestellten Rundfunkjournalisten in Prag und war an der Entführung zweier britischer Geheimdienstoffiziere an der holländischen Grenze beteiligt. Dabei eignete er sich eine große englische Limousine an, in der er von nun an mit Höchstgeschwindigkeit durch die Straßen jagte.[36] Der größte Coup seiner Laufbahn aber war der inszenierte Überfall, der Hitler den fadenscheinigen Verwand für den Angriff auf Polen lieferte. Naujocks ließ KZ-Häftlinge in polnische Uniformen stecken und anschließend töten, womit er den Anschein erwecken wollte, sie hätten den deutschen Sender Gleiwitz an der Grenze zu Polen überfallen wollen. Seiner Jahre später erschienenen Lebensgeschichte gab er den bombastischen Titel »Der Mann, der den Krieg auslöste«. Bar jeder Moral, geldgierig und wenig gebildet, war er ein Killertyp, wie ihn jede Verbrecherbande, auch die Nazipartei, gebrauchen konnte. Heydrich und Naujocks können als typische Vertreter einer Gemeinschaft gelten, die aus dem Gleis geraten war und Rassismus und Tod predigte. Jeder SS-Mann trug ein Abzeichen mit dem Wahlspruch »Meine Ehre heißt Treue«.[37] Dabei war weder Religion noch Ideologie im Spiel: Es ging allein um Treue zu Hitler und bedingungslose Ausführung jedes Befehls, der von oben kam.

Heydrich hatte Naujocks als Chef der technischen Abteilung seines Sicherheitsdienstes eingesetzt,[38] womit er nominell auch für ein Bordell namens Salon Kitty zuständig war, das sich in der Giesebrechtstraße unweit des Kurfürstendamms befand. Das Etablissement stand unter Aufsicht von Nebes Kriminalpolizei und belieferte Diplomaten in Berlin mit Mädchen, die mehrere Sprachen beherrschten und für die SS arbeiteten. Die Gespräche der Kunden wurden aufgezeichnet und auf nützliche Nachrichten untersucht. Ihre Pässe wurden entwendet und kopiert, während sie im buchstäblichen Sinne die Hosen heruntergelassen hatten.

Naujocks wurde aufgrund seiner technischen Kenntnisse als Chef der ersten Fälscherwerkstatt der Nazis eingesetzt.[39] Sie befand sich in der Delbrückstraße 6a im vornehmen Berliner Stadtteil Grunewald, kaum mehr als einen Kilometer vom Salon Kitty entfernt. Aus dem imposanten Gebäude, einem früheren Ausbildungszentrum der SS mit getäfelten Zimmern und einem großen Garten, kamen nun belastende Dokumente wie die der Tuchatschewski-Affäre, falsche Pässe und Ausweise, Minikameras, tragbare Funkgeräte und viele andere Dinge, wie sie jeder Geheimdienst verwendet.[40]

Naujocks besaß nicht die technische Bildung, um die komplizierte Herstellung falscher britischer Banknoten zu leiten. Wer allerdings die reißerische Schilderung seiner Großtaten liest, könnte glauben, das ganze Projekt sei sein Werk. Tatsächlich aber peitschte er in kurzer Zeit die notwendigen Beschlüsse durch, denn man wusste, dass er dabei Hitlers Unterstützung hatte.

Arthur Nebe, der Polizeichef, der den ersten detaillierten Plan vorgelegt hatte, war inzwischen nicht mehr dabei, denn Heydrich hatte es abgelehnt, die bei ihm aktenkundigen Fälscher einzusetzen.[41] Die operative Leitung erhielt Dr. Albert Langer, Naujocks' technischer Direktor.

Langer, der Physik und Mathematik studiert hatte, war zwischen den Kriegen beim österreichischen Entschlüsselungsdienst zunächst für das Militär und danach für die politische Polizei tätig.[42] Als Hitler Österreich 1938 dem Reich »anschloss«, trat Langer bereits am 1. Mai 1938 - dem ersten Tag, an dem dies möglich war - der wieder zugelassenen Nazipartei bei. Naujocks holte ihn nach Berlin, wo er eine Entschlüsselungsmaschine bauen sollte.[43] Stattdessen erhielt er im darauf folgenden Jahr die Aufgabe, die Fälschungsaktion zu organisieren, vielleicht weil er einer dieser leicht verstiegenen intellektuellen Typen war, die von den Nazis geschätzt wurden. In seinen Akten findet sich nicht nur ein Bericht über die Fälschungsoperation, sondern auch eine Abhandlung über die Rolle mentaler Vorgänge bei der Krebsbehandlung und eine weitere über die Symbole der Freimaurer.[44] 1939 wurde er beauftragt, einen Artikel über englische Symbole - von König Artus' Tafelrunde bis zur »astralen magischen Bedeutung des Union Jack« - zu schreiben.

Der schmächtige Mann mit Brille, der nie ohne einen Stock ausging, wirkte wie nicht ganz von dieser Welt.[45] Aber da er von so vielen ähnlichen Typen umgeben war, fiel das nicht weiter auf.

Als Unternehmen Andreas gestartet wurde, »hatten wir weder Bleistift noch Radiergummi, von Werkstätten oder Maschinen ganz zu schweigen«, schrieb Langer in seinem kurzen Bericht. Aus dem Personenkreis, der in der Delbrückstraße beschäftigt war, ist nur dieser überliefert.[46] »Naujocks hatte nicht die geringste Vorstellung von dem technischen Verfahren«, erinnerte sich Langer. Aber wenn eine Maschine oder ein Rohstoff gebraucht wurde, konnte man sicher sein, dass Naujocks ihn im Rahmen des schmalen Budgets von zwei Millionen Reichsmark (damals zirka 800 000, heute acht bis zehn Millionen US-Dollar) beschaffte.

Von Langer erwartete man Fachkenntnisse über das Fälscherwesen, aber der Sprung von der Theorie zur Praxis fiel ihm nicht leicht. Unterstützt von seiner Frau, arbeitete sich Langer durch die technische Literatur über Gravur, Papierherstellung und andere Verfahren, die ein Fälscher beherrschen musste. Dann suchte er Fabriken und Werkstätten auf, um sich praktische Fertigkeiten anzueignen. Für diese Vorstudien brauchte er zwei Wochen. Als Mathematiker und Entschlüsselungsfachmann meinte er genug zu wissen, um seinen Blüten glaubhafte Seriennummern zu geben, die keinen Argwohn bei Banken erregen würden. Das aber war noch der einfachste Teil des Problems. Seine Mitarbeiter beschafften sich Muster von Sterling-Noten bei der Polizei, denn die Reichsbank hatte nur einige tausend Fünf- und Zehn-Pfund-Noten in ihren Beständen, die man benötigte, um Kriegsmaterial einzukaufen.

Unter dem Mikroskop studierten Langer und seine Handwerker das Papier der britischen Noten. Dabei schnitten sie unbedruckte Teile aus und weichten sie ein, um die Zusammensetzung zu analysieren. Sie fanden heraus, dass das Material eine Mischung von Flachs und Ramie war, einer harten Nessel mit seidigen Fasern aus Asien. Flachs wuchs in Deutschland genug für die Leinenweberei, und Ramie fand sich in Ungarn. Die Fasern wurden mit Kleber aus Kälberklauen versetzt, um daraus Papierbogen pressen zu können. Man musste das für die Briten typische Handschöpfverfahren anwenden. Da dies den Produktionsablauf wesentlich verlangsamte, kam es zu heftigen Diskussionen. Langer schlug zunächst handgeschöpfte Bogen vor, aus denen je vier Banknoten hergestellt werden sollten. Wenn man dagegen das Papier auf einer Maschine fertigte, konnte man wesentlich größere Mengen produzieren, wobei aber auch das Risiko einer vorzeitigen Entdeckung wuchs. Unter Zeitdruck baute Langer eine holländische Maschine für die Herstellung der Wasserzeichen (zur Abbildung) um, die sich auf jeder Pfundnote befinden. Er wusste, dass die Briten ihre Banknoten am Ohr knistern ließen, um deren Echtheit festzustellen. Als er sicher war, Papier von der notwendigen Stärke, Transparenz, Textur und Festigkeit zu haben, engagierte er blinde Prüfer, die ein besonders feines Gehör besaßen.

Zwar hatten die Blüten jetzt große Ähnlichkeit mit Pfundnoten, doch das Papier sah noch nicht wirklich britisch aus. Unter dem ultravioletten Licht einer Quarzlampe, das damals zur Untersuchung verdächtiger Banknoten verwendet wurde, wirkten die deutschen Scheine eher rosa, während die britischen eine Färbung zwischen Violett und Lila aufwiesen. Langer kam zu dem Schluss, dass dies am Wasser liegen müsse. Der größte Teil des Papiers wurde in der staatlichen Papierfabrik Spechthausen in Eberswalde bei Berlin hergestellt. Eine kleine Menge stammte aus der privaten Hahnemühle in Dassel bei Hannover. Langer wusste, dass das Papier für die britischen Banknoten seit 1725 von dem Familienunternehmen Portal in Laverstoke in der Grafschaft Hampshire hergestellt wurde.[47] Durch chemische Beigaben suchte Langer das britische Wasser nachzuahmen, bis die Farbe des Papiers im Test mit ultraviolettem Licht seinem kritischen Blick standhielt.

Problematischer war das Wasserzeichen, das nach den alphanumerischen Kombinationen variierte, die jede einzelne Emission der vergangenen 20 Jahre, deren Seriennummer und den Namen des Chefkassierers bezeichneten. Der Mathematiker Langer suchte vergeblich herauszubekommen, wie diese Variablen miteinander korrespondierten. Auch das verschwommene britische Wasserzeichen zu kopieren war nicht leicht (Zur Abbildung). Die Siebe der Briten waren vom jahrelangen Gebrauch weich geworden, während die in Deutschland benutzten neuen Siebe wesentlich schärfere Wasserzeichen hinterließen. Erst nach über 100 Versuchen gelang Langer ein Wasserzeichen, das man nach seiner Meinung von den britischen nicht mehr unterscheiden konnte.

Ähnliche Schwierigkeiten bereitete das britische Wappen in der linken oberen Ecke, eine Federzeichnung, die eine junge Dame auf einem Thron in einer klassischen ovalen Umrahmung darstellte. Die Vignette, wie sie die Numismatiker nennen, basierte auf einer Zeichnung des bekannten viktorianischen Malers Daniel Maclise aus dem Jahre 1855.[48] Sein Mädchen strahlte klassische Unschuld aus, die etwas verloren ging, als die Grafiker der Bank eine Krone über ihrem Haupt platzierten. Langer glaubte zunächst, es müsste einfach sein, eine Fotografie auf eine Zinkplatte herzustellen und die Linien mit Säure zu ätzen. Dahin standen ihm zwei Kameras zur Verfügung - eine ausziehbare, die er selbst gekauft hatte, und eine weitere von Paul Drews, einer der Präzisionsgerätefirmen, um die Deutschland damals von der ganzen Welt beneidet wurde. Der Kameramann war ein Berufsfotograf namens Arthur Rau.[49] Er machte zahlreiche Aufnahmen von Fünf-, Zehn- und Zwanzig-Pfund-Noten. »Aber es funktionierte nicht«, erinnerte sich Langer. »Hunderte echte Geldscheine aus dem Besitz der Reichsbank wurden fotografiert und zum Teil bis auf das Dreifache vergrößert … In der Vergrößerung glich keine der anderen … In Originalgröße sahen die Medaillons sehr gut aus, aber in der Vergrößerung! Da wirkte das Gesicht des jungen Mädchens wie das einer alten Frau. Es war wie verhext.«

Schließlich fand Langer einen erfahrenen Graveur (Zur Abbildung), den fast siebzigjährigen Walter Ziedrich,[50] der ihm beim sechsten Versuch eine fast exakte Kopie anfertigte. Im Fotostudio und in den für das Ätzen, Gravieren und Galvanisieren zuständigen Werkstätten in der Delbrückstraße wurden Kupferplatten angefertigt und auf Stahl aufgezogen, um zu verhindern, dass die zarten Linien in dem weichen Metall verschwammen. Papier für die Flachformpresse wurde angeliefert, bedruckt und dann maschinell »gealtert«, bis schließlich die fertigen Geldscheine gebündelt und verschickt werden konnten.[51] Als die Druckerpressen endlich liefen, wurde die Werkstatt einem Vorarbeiter namens August Petrich[52] unterstellt, einem Altnazi, der selbst eine Druckerei besaß. Die zivilen Techniker, die in der Delbrückstraße tätig waren, gingen in sauberer Arbeitskleidung umher, manche sogar in Schlips und Kragen. Beim Gravieren und Ätzen der Platten, bei der Bedienung der Druckerpresse ließen sie sich voller Stolz fotografieren. Schließlich leisteten sie einen wichtigen Beitrag für die deutsche Kriegswirtschaft.[53]

Naujocks ging davon aus, dass die Banknoten unmittelbar vor der geplanten Invasion über Großbritannien abgeworfen werden sollten.[54] Aber Hermann Göring, der Befehlshaber der Luftwaffe, wusste sehr wenig von diesem Plan, der weitaus größer angelegt war.[55] Das deutete schon die Codebezeichnung des Projekts an. Langer bestätigte, dass es Unternehmen Andreas genannt wurde.[56] Der Name bezieht sich auf das schottische Andreaskreuz in der britischen Flagge. Dieses wird vom englischen Georgskreuz überlagert. Langer glaubte, dies sei das dominierende Symbol. Offenbar wusste er nicht, dass der Union Jack Großbritanniens eine Verschmelzung beider Symbole darstellt. Zwar ging das deutsche Original von Langers Bericht verloren, aber bereits im Juni 1945 war in aller Eile eine Übersetzung ins Englische angefertigt worden. Darin schrieb er, die Nazis hätten dem Projekt den Namen des heiligen Andreas gegeben, weil »wir den Wert des Pfundes eliminieren, es wertlos machen wollten«. Die Grundidee erklärte er so: »Durch die Herstellung von Banknoten kann ein Wirtschaftssystem ruiniert werden, besonders wenn die Fälschungen so gut sind, dass man sie vom Original nicht mehr unterscheiden kann.« Die Fälscher, so schrieb er, glaubten, »durch den Zusammenbruch der britischen Wirtschaft« könnten sie ein Ende des Krieges mit weniger Opfern herbeiführen helfen. Damit hatte er zweifellos Recht, zumindest theoretisch. Wenn genügend Fälschungen in Umlauf gesetzt wurden, sodass niemand mehr zu einer Pfundnote Vertrauen hatte - was allerdings Millionen von Blüten erfordert hätte -, dann wäre das britische Volk auf eine primitive Form des Tauschhandels zurückgeworfen worden. Das erkannte sogar die Bank of England.[57]

Ein so verwegener Plan hätte niemals ohne Hitlers Zustimmung in Angriff genommen werden können. Langer bestätigte, dass »der Führer persönlich die Befehle gegeben« habe. Andere sind noch weitergegangen. Diese Behauptungen sind zu amüsant, um sie zu ignorieren, aber vielleicht zu eindeutig, um wahr zu sein. Der ehemalige SS-Offizier Wilhelm Hörtl behauptete in seinem Buch Unternehmen Bernhard. Ein historischer Tatsachenbericht über die größte Geldfälschungsaktion aller Zeiten,[58] Heydrich habe den Plan ausgearbeitet und Hitler geschickt. Der Diktator, so berichtet Höttl, »schrieb an den Rand der Heydrich'schen Vorlage: ›Dollar, nein, befinden uns mit USA nicht im Kriege‹«.[59] Die Geschichte wird von den meisten Autoren aufgegriffen, die sich mit diesem Thema befassen. Doch es gibt dafür keinerlei Beleg. Zwar passt die Formulierung zu Hitlers Strategie, die USA nicht direkt anzugreifen, sondern international zu isolieren. Aber derartige Bemerkungen niederzuschreiben war überhaupt nicht Hitlers Art. Das räumt auch Höttl ein. Bis heute fahnden die Historiker nach Hitlers schriftlichem Befehl, dass die europäischen Juden zu vernichten seien. Diesen soll er angeblich auch an Heydrich übermittelt haben. Sie werden ihn wohl nicht finden. Hitler schrieb selten Befehle nieder.[60] Er erteilte sie mündlich seinen Adjutanten, die sie oft verfälschten, weil sie nicht immer eindeutig waren. Aber etwas Derartiges musste er kaum niederschreiben, denn sein Hass gegen die Juden war seit 20 Jahren in Mein Kampf dokumentiert. Dieses Pamphlet war buchstäblich die Bibel der Nation. Zur Hochzeit erhielt jedes Paar in Deutschland statt einer Familienbibel dieses Buch. Die Einnahmen daraus bildeten die Grundlage für Hitlers persönliches Vermögen. Alle in Hitlers Umgebung warteten nur darauf, jede seiner Launen auszuführen. Waren sie nicht sicher, so interpretierten sie sie, wie es ihnen passte.

Als Heydrich im Januar 1942 in einer Villa am Berliner Wannsee, die der SS als Gästehaus diente, die berüchtigte Wannsee-Konferenz abhielt, ging es ihm nicht in erster Linie darum, die Endlösung der Judenfrage zu bestätigen. Dafür hätte es nur einiger weniger schrecklicher Worte bedurft. Er wollte das komplizierte Zusammenwirken von zerstrittenen, auf den Schutz ihrer Pfründe bedachten Bürokratien bei der Umsetzung eines mörderischen Führerbefehls organisieren und koordinieren. So war auch die Konferenz im Finanzministerium, durch die in den Anfangstagen des Krieges das Unternehmen Andreas eingeleitet wurde, eine Zusammenkunft von Vertretern verschiedener Behörden, mit deren Hilfe Bürokratien in der ganzen Welt die Pläne ihrer Führer umsetzen. Was den Befehl für die Fälschungsaktion betrifft, so ist - wie im Falle der Wannsee-Konferenz - auch hier Hitlers Urheberschaft nicht nachzuweisen.

Höttl tat sein Buch später als Feuilletonismus ab. Zwar beruhten der Hintergrund und »einige Einzelheiten … auf wirklichen Geschehnissen«, aber es trage doch stark »literarischen Charakter«.[61] Er hatte ein gutes Ohr für entscheidende Sätze, selbst wenn er sie einem Anderen in den Mund legen musste. Das erste Mal hörte er vom Unternehmen Andreas im September 1940, ein Jahr nachdem das Projekt grünes Licht erhalten hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Naujocks (Zur Abbildung) bereits dabei, sich daraus zurückzuziehen.

Höttl war ein gescheiterter Wissenschaftler aus Österreich, der dank seiner Kenntnis der Geschichte des Balkans den Posten des Aufklärungschefs der SS in Wien ergatterte. In der Kriegs- und Nachkriegszeit versorgte er für Geld jeden Geheimdienst mit Informationen. Ein Vermerk in seiner CIA-Akte aus dem Jahre 1952 zeugt davon, welchen Widerwillen er allgemein erregte. Da schrieb ein gewisser Simon Graham auf einem Kopfbogen der US Army: »Seine Berichte stellen in der Regel ein feines Gespinst aus Tatsachen dar, die stark mit Lügen, Täuschungen, Mutmaßungen und Falschinformationen jeglicher Art durchsetzt sind. Diese Organisation will mit Dr. Höttl oder Personen aus seiner Umgebung absolut nichts zu tun haben. Er gilt bei Amerikanern, Franzosen und Briten in Österreich als Persona non grata.«[62] Einen Gauner dieser Art zog Unternehmen Andreas als Geldquelle magisch an, was möglicherweise letztlich auch zum Scheitern des Projekts beitrug.

Hier kommt wieder die Legende ins Spiel. So berichten mehrere Quellen die dramatische Geschichte von einem jungen deutschen Soldaten, der in Zivil ins neutrale Zürich geschickt wurde, wo die Versorgung noch wesentlich besser war als im kriegsgeschüttelten Berlin. Er sollte sich dort eine schöne Woche machen und viel Geld ausgeben. Für die Reise war er mit einem falschen Schweizer Pass und einem Bündel Pfundnoten aus der Delbrückstraße ausgestattet worden. Die Deutschen machten die wachsamen Schweizer auf den falschen Pass aufmerksam, um sie zu

veranlassen, das Geld gleich mit zu kontrollieren. Die Blüten aber gingen unentdeckt durch, was in der Delbrückstraße großen Jubel auslöste. Der Londoner Evening Standard berichtete am 7. Januar 1941, die Bank of England habe sich an Scotland Yard gewandt, nachdem der Genfer Korrespondent der Zeitung erfahren habe, dass »die Schweizer Polizei einer Bande von Fälschern britischer Banknoten auf die Spur zu kommen« suche.[63] Aber die Schweizer Bankiers reagierten auch nicht schneller als die Briten. Der Schweizerische Bankierverein gab fast zwei Jahre lang keinerlei Warnung vor gefälschten Pfundnoten heraus. Und ein Beamter der Bank of England erklärte dem Standard auf Nachfrage unbekümmert, bisher habe die Bank nicht eine einzige gefälschte Banknote gesehen oder auch nur davon gehört.[64] Zwei Monate später war die Old Lady immer noch völlig ahnungslos. In ihrem Bericht heißt es vorsichtig: »Am 1. März 1941 wurde ein Testbetrag von einer Schweizer Bank als echt akzeptiert, wobei sie offenbar von der Bank of England die Bestätigung erhalten hatte, dass die Seriennummern und andere Kennzeichen denen von Banknoten entsprachen, die in den Akten der Bank als ausgegeben geführt werden.«[65] Bei der Bank gab man sich weiter gelassen.

Das hätte das Startsignal sein können, um die Druckerpressen in der Delbrückstraße endgültig anzuwerfen. Aber Unternehmen Andreas ging bereits die Luft aus. Seit fast einem Jahr war Naujocks' Stern bei Heydrich im Sinken begriffen. Anfang April 1940 hatte dieser Naujocks und dessen Abteilungsleiter im RSHA, den genialen Heinz Jost, damals Chef der Auslandsaufklärung, rufen lassen und von ihnen verlangt, so rasch wie möglich norwegisches Falschgeld für den bevorstehenden Einmarsch der Nazis in diesem Land zu produzieren. Naujocks erklärte, dafür brauche er mindestens vier Monate. Laut Josts Beschreibung bekam Heydrich »wie gewöhnlich einen Wutanfall und brüllte Naujocks an, er könne sich mit all seinem Alchimisten-Quatsch zum Teufel scheren, wenn die Blüten nicht in einer Woche hergestellt seien«.[66] Sechs Monate später war Naujocks entlassen. Er wäre sicher in einem SS-Regiment an der Front gelandet, was jedoch Personen, die so viel wussten wie er, erspart blieb, weil man fürchtete, dass sie in Gefangenschaft geraten und verhört werden konnten.

Heydrich wurde von Hitler im September 1941 zum stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannt. Dort agierte er mit Zuckerbrot und Peitsche. Er erhöhte die Lebensmittelrationen für tschechische Arbeiter und Bauern, ging aber zugleich gegen den Widerstand so brutal vor, dass man ihn den Schlächter von Prag nannte. Die tschechische Exilregierung ließ zwei Agenten aus London einbiegen, die im Mai 1942 ein Attentat auf Heydrich verübten, an dessen Folgen er am 4. Juni starb.

Langer machte weiter, allerdings ohne großen Erfolg. Aus kommunistischer Quelle verlautet, die Geldfabrik sei auf Rubel umgestellt worden, nachdem Hitler im Juni 1941 in die Sowjetunion eingefallen war.[67] Langer, der sich 1942 mit Rückenproblemen zurückzog,[68] gibt an, die Fabrik habe unter seiner Leitung 200000 Fünf-Pfund-Noten und 200000 Zehn-Pfund-Noten produziert. Das wäre etwa ein Wert von drei Millionen.[69] Gemischt mit echten Scheinen wurden sie zur Prüfung an Banken und andere Institutionen geschickt. Langer behauptet, dass keine Bank »einen Unterschied feststellen konnte«. Möglicherweise hat Langer die Qualität seines Produkts übertrieben. Die Bankangestellten können unaufmerksam oder bequem gewesen sein. Aber er selbst hatte keinen Zweifel, dass das eigentliche Problem in der mangelnden Führung lag: »Die Sache wurde immer unorganisierter. Die persönliche Karriere kam immer an erster Stelle, und wahrscheinlich war auch Verrat im Spiel.«[70]