Holland für die Hosentasche - Ulrike Grafberger - E-Book
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Holland für die Hosentasche E-Book

Ulrike Grafberger

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Beschreibung

Das kleinste Buch über das Land unterm Meeresspiegel Alles über das Land, in dem sich Windmühlen drehen, Tulpen wachsen und alle in Holzschuhen Käse essen: Holland. Warum wirft König Willem-Alexander mit Kloschlüsseln? Und wie wurde Königin Máxima zur Ehestifterin? Wieso springen die Holländer an Neujahr in die Nordsee und gehen an Ostern Möbel kaufen? Weshalb hängen in Holland Rücksäcke an der Fahnenstange und haben die Holländer wirklich alle Dodos aufgegessen? Ob Urlaub am Meer oder eine Reise nach Amsterdam, Rotterdam oder Den Haag, Ferien mit dem Fahrrad oder Wohnwagen: In ›Holland für die Hosentasche‹ finden sich kuriose und manchmal auch ganz ernstgemeinte Fakten, Infos und Anekdoten über die Niederlande. Ulrike Grafberger schreibt über das, was andere Reiseführer verschweigen.

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Seitenzahl: 221

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Ulrike Grafberger

Holland für die Hosentasche

Was Reiseführer verschweigen

FISCHER E-Books

Inhalt

EinleitungTypisch holländischPutzlappen für den MinisterpräsidentenRosarote PolitikerLeben und leben lassenStrafen, falls der Gesetzeshüter nicht wegschautEinmal um die Ecke denkenTrinken für die KircheEwige Ruhe im LärmschutzwallAusbildung zum HellseherSalzstreuwagen bei 30 Grad HitzeFisch-Disko im IJsselmeerRadeln über den SolarwegGeiz als TugendSammeln und kleben: RabattmarkenDie besten Schnäppchen in HollandKüsschen, Küsschen … und noch ein KüsschenDer Geburtstagskalender im KloFestliche Fakten für kleine GeburtstagskinderKönigstag, Prinsjesdag und SinterklaasEin Streifzug durch das holländische FestjahrGedenken an die Toten und Tag der FreiheitPrinsjesdagSinterklaasWeihnachtenSilvesterBesondere Tage in HollandTulpen, Windmühlen und Delfter BlauWindmühlenDie berühmtesten Windmühlen HollandsTulpenHolzschuheDelfter BlauBlaues WunderKäseIm Reich der Meerschweinchen-PolizeiIn niederländischen Haushalten (und Gärten) gibt es schätzungsweise folgende Haustiere:Nicht ohne mein fietsHolländische FahrradtypenUnd dann war’s weg …Anarchie auf der Straße: holländischer FahrstilKevin Krizek: Hollands erster Fahrrad-ProfessorWarten aufs EisTochten und ElfstedentochtDie elf friesischen Orte, durch welche die Elfstedentocht führtDie Besten auf dem EisDie bekanntesten holländischen Eisläufer und ihre Olympia-MedaillenVom Fallen und Wieder-AufstehenKreislaufprobleme und EinstürzeDie Holländer und das WasserHalb Fisch, halb MenschDie größten SturmflutenKampf gegen das WasserHolländische Projekte rund um Deichbau und LandgewinnungAuf den Weltmeeren zu HauseDie großen Seefahrer und EntdeckerEin Winter im Polareis: Willem BarentsDer legale Pirat: Piet HeinVerkannter Insel-Entdecker: Jakob RoggeveenGrößter Seeheld der Holländer: Michiel de RuyterDer Entdecker Tasmaniens: Abel TasmanNoch immer unterwegs: der Fliegende HolländerHolland ist WasserlandMeerSeenDeltagebietePlassenDas niederländische KönigshausDie Vormacht der FrauenKönigin EmmaKönigin WilhelminaKönigin JulianaKönigin Beatrix»Er war ein bisschen dumm«Amalia, Alexia und ArianeDie niederländischen Prinzessinnen»Wir eröffnen das Wochenende«Das Verhältnis der Niederländer zum KönigshausDas kostete das Königshaus im Jahr 2014 den niederländischen Steuerzahler im DetailPolitik und GesellschaftKleines Land, große UnterschiedeDie niederländischen ProvinzenDer König, ein Ausländer?Prominente mit niederländischen WurzelnProminente Amerikaner mit holländischen VorfahrenDer Glaube versetzt Berge»Geht nicht, Chef, morgen ist Papatag«Locker-freundlich: der UmgangstonKompromissbereit: das PoldermodellArbeitsteilung in den Familien: Papa- und MamatagWir feiern den Feierabend: Borrel-Zeit!Wenn die Prinzessin das Pony striegeltNicht erlaubt, doch gestattetEin geselliges MiteinanderSchön und praktisch: GrachtenDie Amsterdamer Grachten in ZahlenUmzug auf HolländischHolländische Häuser-AccessoiresWohnen auf dem HausbootAnders wohnen: die Hausboot-NachteileVersteckte Oasen: die HofjesBesonders schöne Hofjes in HollandMy home is my castleDie fünf teuersten Straßen der NiederlandeNicht ohne meinen WohnwagenCaravan-Fakten (Stand 2012)Touristische ZahlenKulinarischesEssen aus der MauerDie beliebtesten holländischen SnacksBitterbalFrietjes und PatatjesFrikandelGehaktbalIndische BalletjesKaassouffléKapsalonKipcorn und KipnuggetsKroketLoempiaMexicanoSatéspießeUnd jetzt gibt’s was obendrauf!Und das nicht nur zur Winterzeit: süße SnacksKein Trend ohne GegentrendManschen und stampfenVla, Pindakaas und HagelslagDropEin Blick in die holländische Drop-NaschdoseHagelslagHeinekenHeringVlaSpracheEen colatje in het zonnetjeZwischen Pimmel und HimmelAlte Schimpfwörter für Niederländisch-AnfängerAlte Schimpfwörter für Niederländisch-FortgeschritteneDaan kommt aus SexbierumDie beliebtesten Vornamen in Holland (2014)Tschüss – wir bellenDeutsche Wörter und Ausdrücke im Niederländischen»Leaver dea as slaaf«Friesische WörterKulturDie Big Five und ihre MuseenRembrandt im Rijksmuseum, AmsterdamDie Verstümmelungen der »Nachtwache«Van-Gogh-Museum, AmsterdamVincentwertesVermeer im Mauritshuis, Den HaagPiet Mondrian im Gemeentemuseum, Den HaagEscher in het Paleis, Den HaagGeisteskrankheiten und BrustwarzenschuheVirtual Shoe MuseumHet DolhuysMuseum Ons’ Lieve Heer op SolderEise-Eisinga-PlanetariumHexen-Waaghaus in OudewaterMuseumseisenbahn S·T·A·RBlut, Schweiß und TränenDie Liedermacher der NiederlandeMit dem Buch durch HollandDie besten niederländischen Bücher (2007)(laut einer Umfrage, durchgeführt von der niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad und dem Sender »NPS«)Die zehn wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller des Jahres 2014, die in niederländischer Sprache schreiben (ermittelt von der niederländischen Creative Writing Academy)Wer Gedichte in deutscher Sprache sucht, der kann hier vorbeischauen:Der Vater vom großen BruderNaturHöhen und Tiefen im Land unter dem MeeresspiegelDer höchste BergDie größte WildnisDer tiefste PunktDie gefährlichsten SträndeEinsätze der RettungsmannschaftenJohanna, Dodo und BokitoDie Waldame JohannaDer Gorilla BokitoDer Terror-UhuDer ausgestorbene DodoDanksagungQuellen

Einleitung

Als ich vor über zwölf Jahren meinen Eltern verkündete, dass ich nach Holland ziehen würde, hielt sich ihre Begeisterung in Grenzen. Sie wohnen in Süddeutschland, und ihr Blick richtete sich hauptsächlich Richtung Süden. Holland? Das bedeutete nichts anderes als Sodom und Gomorrha, Hippies und Hascher, Käseköpfe und Holzschuhträger. Meine Mutter befürchtete, man könne dort weder gut einkaufen noch schick ausgehen. Mein Vater versprach sich von der holländischen Küche wenige kulinarische Höhenflüge. Und vom Wetter natürlich ganz zu schweigen. Nichts als Regen.

Und ich? Ich war neugierig. So schlimm würde es schon nicht werden. Heute weiß ich: An den Vorurteilen meiner Eltern ist etwas dran. Die Holländer sind Freigeister und halten sich nicht gerne an Regeln. Sie kiffen auf der Straße, denn das ist erlaubt. Doch meistens sind es Touristen, die sich den obligatorischen Joint in Amsterdam reinziehen. Was das Einkaufen und Ausgehen betrifft: Die Holländer zeigen sich gerne locker und leger, ihr Wesen ist eher sparsam als opulent. Doch wer Schickimicki sucht, wird auch das in der P.C. Hooftstraat in Amsterdam, in den Alleen von Wassenaar oder rund um den Königspalast Noordeinde in Den Haag finden. Und genauso wie man dort stilvoll shoppen und ausgehen kann, so gibt es auch hervorragende Restaurants. Rund 100 Restaurants mit einem oder mehr Michelin-Sternen haben sich in Holland niedergelassen. Doch einfache Fisch- und Frittenbuden sind nach wie vor die Hollandklassiker und erfreuen sich großer Beliebtheit – sowohl bei den Holländern als auch bei den Touristen.

Und dann wäre da noch das Vorurteil des schlechten Wetters. Mit rund 1600 Sonnenstunden pro Jahr übertrifft die niederländische Küste die deutschen Städte Düsseldorf, Köln und Hamburg, die nur jeweils 1550 Sonnenstunden pro Jahr verzeichnen. Zugegeben: München toppt sie alle, doch dafür kann man dort lange nach einem Meeresstrand suchen.

Alles gute Argumente, um den Urlaubsblick doch mal nach Holland zu richten. Oder muss es nicht eher die Niederlande heißen? Offiziell spricht man von den Niederlanden, und Holland umfasst eigentlich nur die Provinzen Süd- und Nordholland. Doch so wie wir beim Fußball für Holland schreien (oder auch nicht), holländische Tomaten und Tulpen kaufen (oder auch nicht) und nach Holland ans Meer fahren (immer wieder gerne), so werde ich auch in diesem Buch hauptsächlich von Holland sprechen, auch wenn ich die ganzen Niederlande damit meine. Die Limburger, Friesen und Zeeländer mögen es mir verzeihen.

Und jetzt wünsche ich eine unterhaltsame Reise durch die folgenden Buchseiten und, so hoffe ich, auch im echten Leben durch Holland.

Typisch holländisch

Sie wohnen in Windmühlen und auf Hausbooten, haben Holzschuhe an den Füßen und einen Fahrradsattel unter dem Po. Sie essen am liebsten Gouda-Käse, Hering und Pommes mit drei verschiedenen Saucen. Sie trinken Buttermilch zum Mittagessen und Heineken am Abend. Sie lieben ihre Freiheit, sind tolerant und fordern für Schwule und Lesben die gleichen Rechte. Auch den Vierbeinern geht es in Holland dank Tierambulanz und Tierpartei außerordentlich gut. Ihre Herrchen rauchen Joints ganz legal auf der Straße, treffen sich am Freitagnachmittag gezellig zum Umtrunk mit ihren Kollegen und fahren mit dem Wohnwagen in den Urlaub. Alles Klischees? Ja natürlich. Doch auch ein Stück waarheid.

Gott schuf die Erde. Die Holländer ihr eigenes Land. Und was für ein Land! Wo aus einem Meeresarm Ackerland wurde und Deiche vor den Fluten schützen, wo Windmühlen Wasser aus den Feldern pumpen und Kanäle Wiesen durchziehen, da lässt es sich gut leben. Da grasen Kühe und liefern Milch für den weltbesten Käse, da wachsen Tulpen in bunten Reihen – zur Freude Tausender Japaner.

Wer nach Holland kommt, der begegnet immer wieder dem Wasser. Meer, Seen, Kanäle, Grachten, Flüsse – im Zaum gehalten von Deichen und Dünen. Dazwischen tummeln sich auf engstem Raum die Holländer. Ein Volk, das sich so manchen Superlativ auf die Fahne schreiben kann, beispielsweise in Sachen Körpergröße. Mit einer durchschnittlichen Körpergröße von 170 weiblichen Zentimetern und 183 männlichen Zentimetern sind die Holländer das größte Volk der Erde. Doch müssen sie ihre Körpergröße auf einen kleinen Raum zwängen, denn die Niederlande gehören mit 502 Einwohnern pro Quadratkilometer zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt.

Stört nicht weiter, denn die Holländer zählen zu den glücklichsten Völkern der Erde und belegen regelmäßig einen vorderen Platz unter den Top Ten im World Happiness Report der Vereinten Nationen, während Deutschland 2015 nur auf Platz 26 landete. Man beruft sich dabei auf Faktoren wie geistige Gesundheit, Lebenserwartung, Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, wenig Korruption sowie Freundschaften und Entscheidungsfreiheit als Gradmesser für das empfundene Glück. Und so geraten die Holländer immer wieder in eine Spitzenposition des Wohlbefindens.

Begeben wir uns also auf die Suche nach dem holländischen Lebensglück und der Mentalität eines besonders zufriedenen Volkes.

Putzlappen für den Ministerpräsidenten

Das Streben nach Gleichheit

»Alles, was heraussticht, weckt in den Niederländern den unwiderstehlichen Drang, es seiner Umgebung anzugleichen.«

Godfried Bomans

In Deutschland sind die Holländer bekannt dafür, sich bevorzugt auf der linken Seite zu bewegen. Auf der allerlinksten Spur der Autobahn, mit Wohnwagen versteht sich. So behaupten es zumindest die Deutschen. Doch im eigenen Land hält man sich eher in der Mitte auf. Als »Mittelmaß« sieht der emeritierte Professor für historische Literaturwissenschaft, Herman Pleij, seine Landsleute. Und meint es noch nicht einmal abfällig, denn durch das Mittelmaß werde »das Streben nach Gleichheit gefördert und gesellschaftliche Unruhe gebremst«.

Und so sagt man den Holländern nach, sie würden sich immer schön zwischen allen anderen verstecken; aus der Masse herausstechen wäre nicht ihr Ding. Wer dies dennoch tut, dem wird der Kopf gekürzt. Und das fängt schon in der Schule an: Die »Sechser-Kultur« wird oft beklagt, ist aber Realität. Die Notenskala reicht in Holland von eins bis zehn, wobei eins die schlechteste Note ist und eine Sechs »gerade mal geschafft« bedeutet.

»Doe maar gewoon dan doe je al gek genoeg« (»Bleib normal, dann bist du verrückt genug«) lautet ein bekanntes holländisches Sprichwort. Wenn man nicht ausgerechnet in Wassenaar oder im Gooi wohnt, dann wird man kaum eine Frau mit Pelzmantel oder dicken Juwelen an Hals und Arm antreffen. Eine goldglänzende Rolex braucht man nicht, ebenso wenig einen dicken Benz. Man gibt sich bescheiden, eher unscheinbar.

So kommt es, dass sich selbst Ministerpräsident Mark Rutte keine Extrawurst erlaubt. Er fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, holt sich auf dem Weg von einem Ministerium zum anderen einen Coffee to go im Café Belmondo, besitzt einen alten Saab, wohnt in einer einfachen Wohnung, gibt jeden Donnerstagmorgen zwei Stunden Sozialkunde in einer öffentlichen Schule und geht jede Woche für seine Mutter bei Albert Heijn einkaufen. Und dann sieht man den niederländischen Ministerpräsidenten auch mal mit Putzmittel und Toilettenpapier durch den Supermarkt hetzen.

Rosarote Politiker

Tolerantes Holland

Ein Land, das seit Jahrhunderten vom Handel lebt, kann sich Engstirnigkeit schlichtweg nicht erlauben. Andere Menschen, andere Glaubensrichtungen, andere Werte mussten schon immer akzeptiert werden, um zum Ziel zu gelangen und Geschäfte tätigen zu können. Schon im 17. Jahrhundert fuhren die Holländer über alle Weltmeere, um mit anderen Völkern zu verhandeln, Verträge zu schließen und sich langfristige Handelsabkommen zu sichern. Wer kann es sich da leisten, sich über andere Essgewohnheiten, Hautfarben und Rituale zu echauffieren? Man ging pragmatischer vor, übernahm die eine oder andere Gewohnheit und bog sich das Fremde zurecht. Sklaven aus Afrika bekamen holländische Namen wie Andrée oder Kees, und wenn es in der Ferne keine Hähnchen oder Enten gab, dann ließ man sich eben einen Dodo schmecken.

Anderen Religionen gegenüber gab man sich offen. Schon Ende des 16. Jahrhunderts war Amsterdam ein Zufluchtsort für Andersgläubige. So wohnten in Amsterdam Katholiken neben Protestanten, Remonstranten neben Calvinisten, Moslems neben Juden. Der berühmteste Gelehrte der Stadt, der Philosoph Baruch de Spinoza, schrieb in seinem Theologisch-Politischen Traktat im Jahr 1670: »In ihrem prächtigen Gedeihen und in der Bewunderung aller Völker erfährt sie (Amsterdam) die Früchte dieser Freiheit. In diesem blühenden Staate, in dieser herrlichen Stadt leben alle Menschen, welchem Volke und welcher Sekte sie auch angehören, in der vollkommsten Eintracht.«

Zwar wurden alle Religionen geduldet, doch sahen es die vorherrschenden Calvinisten nicht gern, wenn man die jeweilige Religion in aller Öffentlichkeit zur Schau stellte. Das betraf auch die vielen Katholiken, die damals in Amsterdam lebten. Um ihren Gottesdienst dennoch abhalten zu können, errichteten sie schuilkerken, versteckte Kirchen, wie die Kirche Ons’ Lieve Heer op Solder oder die Kapelle im Begijnhof in Amsterdam. Diese schuilkerken lagen in Hinterhäusern oder Dachböden, so wie die Kirche Ons’ Lieve Heer op Solder im Dachgeschoss eines Amsterdamer Grachtenhauses. Noch heute ist die Kirche zu besichtigen, die komplett mit Altar, Orgel und Sitzbänken ausgestattet ist und deren Kirchenraum über drei Etagen Balkone zieren.

Neben der Offenheit anderen Religionen und Völkern gegenüber ist Holland heute bekannt dafür, auch andere sexuelle Vorlieben zu tolerieren. Jeder kann sich in Holland öffentlich zu seiner sexuellen Orientierung bekennen, ob er homo- oder bisexuell oder Transgender ist. In Holland zerreißt sich keiner den Mund darüber, ob eine gerade von ihrem Mann geschiedene Frau nun mit einer neuen Freundin zusammenlebt oder das Schwulenpärchen von nebenan eine kleine Tochter adoptiert hat. Die Niederlande waren 2001 das erste Land der Welt, das die sogenannte Homo-Ehe zuließ.

Als die Diskriminierung von Homosexuellen in Russland auch in den niederländischen Medien thematisiert wurde, ging ein Aufschrei durch das Land. Tausende Holländer demonstrierten im April 2013 in Amsterdam, als der russische Präsident einer Ausstellungseröffnung im Schifffahrtmuseum beiwohnte. Bei der darauffolgenden Gay Pride Parade in den Amsterdamer Grachten im August setzten die toleranten Holländer auch von offizieller Seite ein Zeichen. Vier niederländische Minister, darunter Verteidigungsministerin Jeanine Hennis-Plasschaert und Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, fuhren bei der Canal Parade fröhlich winkend zwischen den schrill gekleideten Homos auf Booten mit. Ebenfalls mit von der Partie war ein Boot des KNVB, des Königlichen Niederländischen Fußballbundes, mit den Fahrgästen Louis van Gaal, Patrick Kluivert, Ronald de Boer, Aron Winter und Pierre van Hooijdonk. Obwohl der Sport Fußball bis dato nicht als besonders homofreundlich bekannt war, erschienen an diesem Tag holländische Fußballer ebenso wie Politiker in einem rosaroten Licht.

Versäulung: katholisch Fußball spielen und heiraten

So unkonventionell, freiheitsliebend und aufgeschlossen die Holländer uns heute erscheinen mögen, dies war einmal anders. In den Jahren 1920 bis 1970 war das Land von einer verzuiling, einer »Versäulung« geprägt. Die Bevölkerung fühlte sich verschiedenen Denk-, Religions- und Lebensrichtungen zugehörig, die als Säulen bezeichnet wurden. Es gab die protestantische (calvinistische), katholische, sozialistische und liberale Säule. Jede Säule hatte ihre eigenen Parteien, Gewerkschaften, Schulen, Sportvereine, Zeitungen und Radio- und Fernsehsender. Man wurde in einer katholischen Kirche getauft, ging in eine katholische Schule, spielte Fußball in einem katholischen Verein und heiratete eine katholische Frau. Natürlich sah man auch die entsprechenden Fernsehsendungen, las die passenden Zeitungen und wählte die katholische Partei KVP (Katholieke Volkspartij).

Die »Entsäulung« der Niederlande begann in den 1960er-Jahren, als sich die Jüngeren von ihren Eltern und ihrer jeweiligen Säule abwandten. Zudem gewann das Individuum mit seiner Selbstverwirklichung an Bedeutung. Überreste der Versäulung sind noch spezielle Fernsehsender wie der Evangelische Omroep (EO) und der Katholieke Radio Omroep (KRO).

Leben und leben lassen

Holländische Freiheitsliebe

Was in unserer heutigen Zeit als normal gilt, war es in Holland schon im 17. Jahrhundert: Nicht nur die Frauen, sondern auch Männer kümmerten sich um die Kinder. Pärchen küssten sich auf offener Straße und gingen noch spät am Abend gemeinsam spazieren. Vor allem in Friesland sah man Frauen noch bis in die Nacht alleine mit Schlittschuhen über das Eis gleiten. Selbst Kinder genossen viele Freiheiten, und Schläge waren schon damals verpönt. Vom Niederlande-Experten Christoph Driessen stammt das Zitat: »Wenn es im 17. Jahrhundert schon ein kinderfreundliches Land gab, dann waren es die Niederlande.«

Wer sich selbst ein Bild vom bunten Miteinander während des Goldenen Zeitalters machen möchte, der kann sich die Gemälde des holländischen Malers Jan Steen (1626–1679) genauer betrachten, wie zum Beispiel das Bild namens Het Sint Nicolaasfeest im Amsterdamer Rijksmuseum. Jan Steens Bilder zeigen feucht-fröhliche Feste, bei denen Frauen und Männer, Kinder und Hunde zusammen feiern. Schuhe und Nüsse liegen auf dem Fußboden, Stühle sind umgefallen, ein kleines Mädchen probiert einen Schluck Wein, der Hund schnappt sich ein Stück Kuchen, es wird musiziert und getanzt. Von diesen liebevoll porträtierten, teilweise chaotischen Szenen holländischer Haushalte wurde die Redewendung een huishouden van Jan Steen abgeleitet, vergleichbar mit dem Deutschen »Dort schaut’s aus wie bei Hempels unterm Sofa«. Obwohl Jan Steen seine Bilder mit einem erhobenen Zeigefinger malte, sind sie auch Zeugen ihrer Zeit.

Auch die Gemälde des Malers Hendrick Avercamp, die an Wimmelbilder erinnern und teilweise ebenfalls im Rijksmuseum zu sehen sind, zeigen, wie frei man im 17. Jahrhundert in Holland leben konnte. Damals herrschte eine sogenannte kleine Eiszeit, und die Kanäle und Seen waren zugefroren. Ideal, um die Freiheit auf dem Eis zu genießen. Pärchen laufen händchenhaltend über das Eis, zwei Eisläufer sind durchs Eis gekracht, man spielt eine Art Eishockey, Kinder sind mit einer Schneeballschlacht zugange, und selbst Hunde staksen über das Eis. In Holland versuchte man also schon immer, sein Leben so zu führen, wie es einem behagte. Von Regeln hielt und hält man nicht viel.

Die meisten Holländer, und damit sind jetzt tatsächlich vor allem die Provinzen Süd- und Nordholland gemeint, stört es nicht, wenn im Nachbargarten das Unkraut wuchert, wenn Hunde mitten auf dem Gehsteig ihr Geschäft machen oder die Kinder im Restaurant mit Pommes schmeißen. Keiner würde sich einmischen und den Nachbarn, den Hundebesitzer oder die Eltern auf das vielleicht nicht ganz korrekte Verhalten ansprechen. Denn wenn die Holländer eins nicht mögen, dann ist es, wenn man ihnen Dinge vorschreibt oder sie auf Regeln hinweist.

Und so fährt man in Holland ohne Helm gegen Einbahnstraßen mit einem stehenden Kind hinten auf dem Gepäckträger. Man lässt seine Hunde am Strand frei herumlaufen, auch wenn das Verbotsschild am Strandzugang nicht zu übersehen ist. Man nimmt sich das Recht heraus, mitten auf der Straße sein Auto mit viel Schaum zu waschen und die Gehsteige mit drei aneinandergeketteten Rädern vollzustellen. Und warum sollte man im Stille-Abteil des Zuges den Mund halten? Regeln und Gesetze gibt es auch in Holland, sogar mit Bußgeldbescheiden, die sich gewaschen haben. Doch mit ihrer Einhaltung nimmt man es nicht so genau.

Strafen, falls der Gesetzeshüter nicht wegschaut

Falschparken

90 €

Unrechtmäßiges Parken auf einem Behindertenparkplatz

370 €

Mit dem Auto bei Rot über die Ampel fahren

230 €

Auf der Autobahn zu nah auffahren

700 €

Hundehaufen nicht wegräumen

140 €

Fahrradfahren ohne Licht

55 €

Einmal um die Ecke denken

Unkonventionelle Ideen

»Das Land, in dem ich bin, ist die größte Kuriosität auf der Welt.«

US-Präsident John Adams in einem Brief, den er aus Holland an seine Frau schickte

Holland zeigt sich ungewöhnlich. In Amsterdam liegt in der Gracht namens Singel ein Hausboot, in dem nur Katzen wohnen, und in Hoorn wurde ein ehemaliges Gefängnis zum Knast-Hotel umgebaut. In Maastricht hat sich in einer ausgedienten Dominikanerkirche ein Buchladen angesiedelt, und in Den Haag werden in der majestätischen Grote Kerk anstatt christlicher Messen Antiquitäten-Messen abgehalten. Kirchengebäude finden in Holland aufgrund mangelnder Kirchgänger des Öfteren eine komplett oder teilweise andere Verwendung. Der Utrechter Dom wurde beispielsweise vor dem Beginn der Tour de France als öffentliches Spinning-Terrain genutzt. Man traf sich zum fröhlichen, gemeinschaftlichen Strampeln im Kirchenraum. Und damit die Kirchengebäude vor dem Verfall gerettet werden, hat man sich ebenfalls etwas Kreatives ausgedacht.

Trinken für die Kirche

Die Grote Kerk (»große Kirche«) in Breda ist eine wunderschöne Kirche aus dem 15. Jahrhundert und eines der wichtigsten Gebäude der Brabanter Gotik. Nun ist es aber so, dass die Grote Kerk dringend saniert werden muss, und das soll mit rund 350 000 Euro zu Buche schlagen. Die Brauerei Breda-Bier hat sich daher eine Aktion überlegt: Von jedem gekauften halben Liter Breda-Bier schwappen 10 Cent in die Kirchenkasse. Die Bredaer haben von nun an eine glaubwürdige Ausrede, wenn sie zu tief ins Bierglas gucken. Schließlich saufen sie für einen guten Zweck.

Ewige Ruhe im Lärmschutzwall

Ob man bei einem Lärmschutzwall wirklich von ewiger Ruhe sprechen kann, das ist die Frage. Doch die dort Ruhenden werden den Lärm der Amsterdamer Umgehungsautobahn A10 sowieso nicht mehr hören. Der Plan sieht folgendermaßen aus: Am Amsterdamer Friedhof Buitenveldert soll ein Lärmschutzwall mit Platz für Gräber entstehen. »Der Lärmschutzwall besteht aus einem speziellen Geokunststoff, begrünt mit Blumen und Pflanzen. Die Särge werden in einem Galeriegrab aus Beton in den Schutzwall geschoben, davor kommt eine Abdeckplatte mit Beschriftung«, erzählt die Friedhofsdirektorin Anja Vink der niederländischen Zeitung De Telegraaf. Laut der Friedhofsdirektorin wird man dadurch dem Wunsch vieler Besucher gerecht, auch exklusivere Bestattungsmethoden anzubieten.

Ausbildung zum Hellseher

Dass man in Glaskugeln der Zukunft begegnet oder mit Tarotkarten die große Liebe voraussagen kann, das kennt man auch in anderen Ländern. Einzigartig dürfte aber sein, dass die Ausbildung zum Hellseher vom Arbeitsamt bezahlt wird – und zwar mit folgender Begründung: Da es sich um eine anerkannte Ausbildung handelt und die ausgebildeten Hellseher mit einem Job bei einem telefonischen Hellseher-Service rechnen können, übernehme das Arbeitsamt die Ausbildung von rund 1000 Euro pro Person. Wird Holland nun von Hellsehern überschwemmt? Wohl kaum. Bisher haben sieben Zukunftsspezialisten die vom Arbeitsamt finanzierte Ausbildung abgeschlossen.

Salzstreuwagen bei 30 Grad Hitze

Als im Juli 2015 eine Hitzewelle über das Land rollte, kam so mancher Holländer ins Staunen, als er mit seinem Auto in einem Stau steckenblieb, der von einem Salzstreuwagen verursacht wurde. Salz streuen im Hochsommer? Diese doch etwas außergewöhnliche Maßnahme dachte sich die Provinz Gelderland aus. Das auf der Straße verteilte Salz sollte dem Straßenbelag das Wasser entziehen und ihn somit am Schmelzen hindern. Dass die Aktion tatsächlich die gewünschten Ergebnisse erzielte, konnte der VID, der holländische Verkehrsinformationsdienst, noch nicht bestätigen.

Fisch-Disko im IJsselmeer

Das IJsselmeer, durch den Abschlussdeich von der Nordsee abgetrennt, ist ein Binnengewässer, das allerdings noch durch Schleusen mit dem Wattenmeer in Verbindung steht. Damit die Süßwasserfische des IJsselmeers nicht durch die Schleusen in das Wattenmeer schwimmen, hat man eine »Fisch-Disko« vor den Schleusen installiert: Blitzende Stroboskoplampen erschrecken die Fische und halten sie vom Auswandern in die Nordsee ab.

Radeln über den Solarweg

Solarzellen auf Hausdächern sind in Deutschland gang und gäbe, die Holländer jedoch konnten sich bisher noch nicht so recht mit der Energie vom Dach anfreunden. Anderen Nutzungsarten der Solarzellen ist man jedoch nicht abgeneigt. Und so entstand 2014 der weltweit erste Fahrradweg aus Silizium-Solarmodulen. Das 70 Meter lange Teilstück eines Radweges bei Krommenie, einer Kleinstadt in der Nähe von Amsterdam, ist produktiver als erwartet, daher soll er 2016 auf 100 Meter ausgedehnt werden. Die 100 Meter lange SolaRoad würde dann den Jahresstrom für drei Haushalte produzieren.

Geiz als Tugend

Die holländische Sparsamkeit

Ein Niederländer ist nicht knauserig. Ein Niederländer ist lediglich sehr einfallsreich im Nicht-Ausgeben.

Karel Jonckheere

Die niederländische Schriftstellerin Renate Rubinstein sagte einmal: »In den Niederlanden betrachtet man Geiz als eine Tugend – und nennt es Sparsamkeit.« Der Holland-Klassiker unter Neu-Hinzugezogenen ist dann auch die Geschichte von der Keksdose. Kaum ein Neuankömmling, der diese Anekdote über die holländische Sparsamkeit nicht kennt: Man wird von den Nachbarn zum Kaffee eingeladen, sitzt gemütlich in der Runde, und dann wird die Keksdose herumgereicht. Jeder nimmt sich einen, genau einen Keks, und die Dose verschwindet wieder im Schrank. Normalität für einen Holländer, eine bittere Enttäuschung für den Gast, ist er doch eher Kaffeekränzchen mit Sachertorte oder Frankfurter Kranz gewohnt. Und ein einziger Keks bewirkt nichts anderes als Lust auf mehr.

Kleckern statt klotzen

Nach dem Krieg erhielten die Holländer im Rahmen des Marshallplans rund eine Milliarde Dollar für den Wiederaufbau. Über die Gründe dieser großzügigen Unterstützung gibt es eine nette Anekdote, deren Wahrheitsgehalt allerdings angezweifelt werden darf: Als der amerikanische Außenminister George C. Marshall auf seiner Reise durch Europa Holland besuchte, wurde er vom damaligen Ministerpräsidenten Drees in sein Haus in Den Haag eingeladen. Dort bekam der hohe Besuch eine Tasse Tee und einen einzelnen trockenen Keks. Später machte das Gerücht die Runde, dass Holland nur deshalb so großzügig von den Amerikanern bedacht wurde, weil es einen äußerst sparsamen Ministerpräsidenten hatte, der gut mit Geld umgehen konnte.

Eine einzige dünne Käsescheibe zwischen zwei dicken Brotscheiben, dünner Kaffee aus dem Automaten mit Milchpulver, Wasser aus dem Wasserhahn anstatt Mineralwasser aus der Flasche – die Holländer achten nicht nur beim Essen auf bescheidene Rationen und minimalistische Zutaten. Man geht in den Sommerferien zum Zelten, den Kofferraum voller günstiger Lebensmittel aus dem heimischen Supermarkt.

Die Ursache für die Sparsamkeit ist in der holländischen Seele tief verwurzelt. Schließlich wurde das Land vom Calvinismus geprägt, der zu Bescheidenheit und Mäßigung aufrief.

Und dann ist Holland natürlich auch eine erfolgreiche Handelsnation. Und handeln heißt schließlich auch, auf das Kleingeld zu achten.

Wofür sparen die Holländer?

59 % Urlaub

43 % Neue Einrichtung

40 % Ausgehen

Und weil die Holländer so sparsam sind, stieß es ihnen umso mehr auf, als König Willem-Alexander im Jahr 2009, damals noch Kronprinz, eine Luxus-Ferienvilla in dem armen Land Mosambik kaufen wollte. Nach viel Kritik ließ er den Plan fallen – und kaufte eine Villa mit Riesengrundstück in einem inzwischen ebenfalls verarmten Land: Griechenland.

2015 amüsierte sich ganz Holland über eine sehr sympathische Geschichte, die durch sämtliche Medien ging: Die 21