Höllenflirt - Beatrix Gurian - E-Book + Hörbuch

Höllenflirt E-Book

Beatrix Gurian

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Beschreibung

Toni ist unsterblich verliebt. Noch nie hat sie einen Menschen getroffen, der sie so fasziniert. Für Valle würde sie einfach alles tun - und das will sie ihm auch beweisen. Die kleine Mutprobe gerät jedoch außer Kontrolle und Toni gelangt an ihre Grenzen. Noch weiß sie nicht, dass dies erst der Anfang ist. Denn Valles Vergangenheit birgt ein düsteres Geheimnis, das nicht nur Tonis Leben in Gefahr bringt.

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Beatrix Gurian

Höllenflirt

Beatrix Gurian, geboren 1961, studierte Komparatistik, Italoromanistik sowie Theater- und Literaturwissenschaften. Anschließend war sie Redakteurin bei verschiedenen Fernsehproduktionsfirmen. Seit 2001 ist sie auch als Jugendbuchautorin erfolgreich. Beatrix Gurian lebt gemeinsam mit ihrer Familie in Bayern.

Veröffentlicht als E-Book 2010 © 2009 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Covergestaltung: Frauke Schneider ISBN 978-3-401-80055-4

www.arena-verlag.de Mitreden unter forum.arena-verlag.de

1

»Besiegelt wurde sein Schicksal mit dem Fuchs. Oben im Wald, am Abend des 31. Oktober. Er tauchte aus dem Nichts auf, stand unbeweglich im kahlen Unterholz, seine Augen dunkel funkelnde Sterne, die zu mir herüberstarrten. Unablässig troff Speichel aus seinem Maul. Ich wusste sofort, es war so einer...und das war kein Zufall.«

Valle hat recht gehabt, es fühlt sich gut und schrecklich an. Meine Haut prickelt vor Angst, genauso wie am Ende von unserem Konzert neulich, als ich noch nicht wissen konnte, ob das Publikum uns gleich mit Buhrufen vernichten oder mit Applaus belohnen würde.

Ich atme so schnell, als wäre ich gerannt, mit offenem Mund, es tut richtig weh in der Kehle. Mein Puls dröhnt in den Ohren und bei alldem versuche ich so zu tun, als wäre ich unsichtbar. Was ich definitiv nicht bin, mit den grünpinken Haaren und den Sicherheitsnadeln in den Augenbrauen. Vielleicht hätte ich mir für den Zweck doch von Kati etwas zum Anziehen ausleihen sollen. Seit mein Schwesterherz beim Fernsehen arbeitet, ist ihr Outfit neuerdings so aufregend wie das von Angela Merkel.

Mein Styling ist ganz anders, eher so, dass die Omas in der U-Bahn ihre Handtaschen fester umklammern, sobald ich einsteige. Trotzdem habe ich so etwas wie das hier noch nie getan.

»Nimm dir, was dir gehört. Diese Schwachköpfe werden nichts davon merken.«

Immer wieder flüstere ich Valles Worte leise vor mich hin, während ich durch den riesigen Mediensupermarkt laufe. Ich schaue mich vorsichtig um, die wenigen Kunden auf der Etage sind mit sich beschäftigt, niemandem wird es auffallen, wenn ich ein paar Black-Metal-CDs einstecke. Trotzdem fühlen sich meine Hände feucht an und das Dröhnen in meinen Ohren übertönt jetzt sogar »I just called to say I love you«, das schon zum fünften Mal läuft, seit ich hier drinnen bin.

Ich spähe viel zu oft über meine Schulter, sehe zum Glück gerade niemanden, fummle die Cellophanhülle auf – es knistert bedrohlich laut, deshalb stopfe ich die zerknüllte Folie hastig in meine Hosentasche. Die nackten, schwarz und silbern schimmernden CDs schiebe ich in die Jackentasche, danach stelle ich die leeren Hüllen zurück ins Regal.

»Und was hältst du von Judas Priest?« Ein ziegenbärtiger Typ im Totenkopf-Halloween-T-Shirt schaut mich aus hoffnungsvollen Augen an, ganz, als wäre ich sein Messias.

Mein Hals ist so trocken, dass ich kaum schlucken kann, die CDs ziehen mich nach unten wie Bleisärge auf dem Weg in die Hölle. Ich versuche, so lässig wie möglich mit den Achseln zu zucken und murmle: »Der Sound wird ganz sicher deine Halloween-Party versauen«, und mache, dass ich aus dem Laden komme.

Meine Lederstiefel kleben an dem dunkelgrauen Filzboden, als wäre es Schlamm, jeder Schritt kostet unendlich viel Kraft. Die ganze Zeit drehe ich den Kopf um, als würde ein unsichtbarer Marionettenspieler daran ziehen und mich zwingen, prüfend hinter mich zu blicken.

Diesmal bemerke ich einen Typen, der zu mir herübersieht, er schaut nicht nur, sondern er verschlingt mich sozusagen mit seinem Blick. Scannt mich, checkt mich ab, doch das binich gewohnt, ein voller Busen in schwarzer Ledermontur zieht Blicke magisch an.

Ich versuche, mich zu beruhigen, gehe betont lässig neben der Kasse an der Schranke vorbei, direkt in den Vorraum, von dem aus man ins Parkhaus kommt. Hier ist der einzige Ausgang ohne diese Piepsgeräte. Atme aus. Die CDs kleben an meiner feuchten Hand in der Jackentasche. Ganz ruhig. Jetzt ab in die U-Bahn und nach Hause.

Alles gut.

Eine schwere Pranke drückt auf meine Schulter, ich fahre herum.

Es ist der Typ, der mich angeglotzt hat, er lächelt, sein Blick durchbohrt mich. Aber es sind nicht die Maße, für die er sich interessiert, nicht mein Körper. Er holt einen Ausweis heraus, sagt etwas, doch bevor ich ihn verstehen kann, werden seine Worte schon zu Asche im Feuer meines Hirns.

Der Hausdetektiv. Detektiv!

Das geht ja gar nicht, nichts wie weg, ich muss hier raus, doch der Mann umfasst meine Schulter wie ein Schraubstock. Er murmelt etwas von Kameraaufzeichnungen und dass ich bitte mitkommen soll, Personalien aufnehmen, bevor er die Polizei ruft.

No way!

Ich stoße dem Typ vor seine breite Brust und renne zu den Türen, die direkt ins Parkhaus führen. Damit hat er nicht gerechnet, ich habe ein paar Sekunden Vorsprung, stemme die schwere Eisentür auf, haste die Stahlstufen zur nächsten Ebene rauf, Artischocke heißt sie, die heißen alle wie Gemüsesorten, ich muss kichern.

Lass das, atme richtig, renne, renne, renne!

Ich höre, wie die Nägel in meinen Schuhen auf den Betonboden knallen, bescheuert, was das für einen Lärm macht.

Da, ein Kleinbus parkt gerade ein. Leute steigen aus und erschrecken mich fast zu Tode, zwei Skelette und vier Vampire mit grotesken Gummimasken im Gesicht. Sie lachen und kichern.

Verdammt, warum hab ich mich bloß von Valle dazu überreden lassen, das ausgerechnet am Halloween-Abend durchzuziehen? Er fand das passend – was für ein Schwachsinn!

Ich laufe zu den Leuten hinüber, vielleicht glauben sie mir, wenn ich sage, dass ein Mann hinter mir her ist, um mich zu vergewaltigen. Aber nachdem ich keuchend vor ihnen stehen bleibe und paar Worte hervorstoße, winken sie mir nur, sagen »Happy Halloween« und werfen mir Süßigkeiten zu, als wäre ich drei Jahre alt. Dann gehen sie lachend zum Aufzug.

Stopp!

Der Aufzug! Das ist die Lösung!

Mittlerweile hat der Detektiv aufgeholt, ich kann ihn sehen, kann ihn sogar riechen, sein widerliches Rasierwasser mit dem penetranten Moschusduft.

Ich muss in den Aufzug, aber zuerst muss ich diesen Typ abschütteln. Wieso bin ich überhaupt nach oben gelaufen? Das kennt man doch aus jedem Katastrophenfilm. Treppe hoch und man sitzt in der Falle.

An der nächsten Ecke bleibe ich mit pochendem Herzen hinter einer Säule stehen. Tomatenebene. Neben mir parkt ein LKW, ich kauere mich für einen Moment hinter die dicken Räder. Schnaufend versuche ich nachzudenken.

Vielleicht rennt der Detektiv an mir vorbei, ein Stockwerk höher? Dann kann ich nach unten laufen und abhauen. Und die CDs sollte ich gleich mal wegwerfen, das ist doch bestimmt Beweismaterial...

Bevor ich die CDs aus meiner Jackentasche ziehe, spähe ichhinter meinem Reifen hervor und lasse meinen Blick über das gesamte Parkdeck schweifen.

Der Typ ist nirgends mehr zu sehen.

Wie vom Erdboden verschluckt!

So ein Mist! Als ein Range Rover an mir vorbeifährt, schleiche ich vom Lkw zum nächsten Auto. Er könnte überall sein – oder direkt hinter mir.

Da, ein Geräusch. Ich fahre herum. Immer noch keine Spur von ihm.

Die Halloween-Leute sind nach rechts gelaufen, dort müssen also die Aufzüge sein.

Ich hole tief Luft und sprinte eine Reihe von Autos entlang, bevor ich mich wieder zusammenkauere, diesmal hinter einem schwarzen Mercedes. So arbeite ich mich von Auto zu Auto vor Richtung Fahrstuhl.

Schließlich sehe ich, immer noch fünfzig Meter entfernt, die gelben Türen, deren Ränder grauschwarz von zahllosen Fingerabdrücken sind.

Der Aufzug.

Ich versuche, mich lautlos zu bewegen, aber die Sohlen meiner Stiefel hallen wie Donnerschläge durchs Parkhaus.

Da, wieder dieses merkwürdige Geräusch. Nur ein Rabe, der an einer zerknüllten McDonald’s-Tüte zerrt.

Jetzt ist mir alles egal, ich achte nicht mehr auf meine Deckung, sondern rase nur noch hinüber zum Aufzug, hämmere gegen den Knopf, drehe mich dabei immer wieder um – wieso kommt der elende Aufzug nicht?

Endlich.

Mit angehaltenem Atem warte ich, dass die Türen aufgehen – menschenleer! Ich bin erleichtert, hatte einen Moment lang Angst, der Detektiv würde mich dort schon grinsend erwarten.

Im Aufzug stinkt es nach Urin und altem Fett, die Blech-wände sind abgekratzt, und wo sie nicht abgekratzt sind, stehtfuck youoderverpiss dich.Komisch, was man noch alles registrieren kann, wenn man vor lauter Schiss am ganzen Körper zittert.

Ich hämmere auf den Knopf, auf dem Ausgang steht, und hoffe, dass die verdammte Tür endlich zugeht, bevor noch jemand dazukommen kann. Schneller, schneller, schneller – da erscheint plötzlich eine Hand zwischen den fast schon geschlossenen Türen.

Eine kleine, aber kräftige Männerhand.

Die Türen schieben sich wieder auseinander.

Lächelnd steht er vor mir.

Zum ersten Mal sehe ich ihn richtig an. Er wirkt wie eine jüngere Billigkopie von Bruce Willis. Das Namensschild auf seiner Brust hebt und senkt sich unter seinen hektischen Atemzügen. Thor Friedrichsen steht darauf.

Er starrt auf meinen Busen und kommt näher, ich weiche unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Gefällt mir, so eine Jagd.« Er zwinkert mir zu. »Für attraktive Mädels wie dich gibt es viele Möglichkeiten, das bei mir wiedergutzumachen.« Und dabei greift er sich demonstrativ in den Schritt seiner schwarzen Stoffhose.

Eine Panikwelle überrollt mich. Ich hole tief Luft und kicke mit meinen Schuhen zwischen seine Beine. Sofort verschwindet sein Grinsen, er packt meinen Fuß noch in der Luft, ich gerate ins Taumeln, drehe mich, entwinde ihm mein Bein und trete noch mal zu, er muss loslassen.

Und da verliert er plötzlich ohne Vorwarnung das Gleichgewicht und knallt mit dem Kopf gegen die Wand, rutscht an ihr entlang und stürzt zwischen Aufzugstür und Parkhaus.

Regungslos bleibt er liegen.

Mir wird eiskalt. Das kann doch nicht sein! Ich beuge mich entsetzt über ihn, da sickert etwas Rotes, Klebriges zwischen seinen dunklen Haaren hervor. Blut.

Ich zucke zurück.

Hektisch schweift mein Blick durchs Parkhaus. Weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Am liebsten möchte ich laut um Hilfe schreien, doch aus meiner Kehle dringt kein Laut.

Ich fühle mich wie gelähmt, kann mich nicht bewegen, kann keinen klaren Gedanken fassen. Einen Moment lang starre ich vor mich hin, sehe diesen Detektiv, der wie tot vor meinen Füßen liegt, oder atmet er doch noch? Ich schaffe es nicht, mich zu seinem Gesicht herunterzubeugen. Stehe wie eingefroren in diesem Aufzug, diesem Parkhaus. Warum bewegt sich dieser Typ noch immer nicht?

Toni, du Idiot, du musst Hilfe holen. Schnell. Wo ist bloß mein verdammtes Handy? Meine Hände zittern so, dass ich kaum die Tasten treffe, dann halte ich inne. Ich muss hier erst mal weg.

Vorsichtig steige ich über den regungslosen Körper und dann sprinte ich los. Renne das Parkhaus runter, renne von Kartoffel zu Tomate zu Artischocke und Aubergine und raus, nichts wie raus.

Ich brauche einen Krankenwagen, der Notruf, gleich, wenn ich auf der Straße bin.

Und dann bin ich draußen. Kalte Herbstluft schlägt mir entgegen, legt sich wie ein feuchter Waschlappen auf mein Gesicht und bringt mich ein bisschen zur Besinnung.

Ich bin in einer Seitenstraße gelandet, hinter mir, im offenen Eingang zum Parkhaus streitet sich ein älteres Paar, wer von ihnen den Parkschein eingesteckt hat.

Soll ich sie ansprechen, fragen, ob sie mir helfen?

Nein, auf keinen Fall! Ich ziehe das Handy aus meiner Hosentasche – oder vielleicht ist eine Telefonzelle besser, ja, am besten rufe ich von einem öffentlichen Telefon aus an. Ich renne ein Stück die Straße entlang, eine Telefonzelle, bitte eine Telefonzelle.

Plötzlich stellt sich mir jemand in den Weg. Erschrocken bleibe ich stehen.

»Valle?«

»Wollte bloß mal sehen, ob du’s wirklich getan hast.«

Ich nehme die CDs aus der Tasche und werfe sie ihm vor die Füße. Silberne Monde, die im Licht der Straßenlaternen aufblitzen und dann wie billige Konservendosen auf dem Asphalt scheppern.

»Hey, spinnst du? Was ist denn los?«

»Was los ist?« Ich fange hysterisch an zu weinen, wünsche mir, Valle würde seine Arme um mich legen, würde dafür sorgen, dass alles gut wird, aber er steht einfach nur da.

»Sie haben mich erwischt, ich bin weggelaufen und dann war dieser Detektiv hinter mir her.« Meine Stimme hört sich ganz seltsam an, als würde sie nicht zu mir gehören. »Und dann lag er da plötzlich...eswar ein Unfall ...erhat mich...ich habe ihn getreten...erist verletzt, aber da war Blut...«Ich gerate ins Stocken. Die Tränen strömen mir übers Gesicht.

Endlich legt Valle eine Hand auf meine Schulter. »Jetzt mal langsam, meine kleine Rebellin...«Er zieht mich an sich.

»Nicht langsam! Wir müssen einen Krankenwagen rufen!«

»Nein,wirmüssen gar nichts.« Valle drückt mich fest an sich und flüstert in mein Ohr. »Du gehst jetzt nach Hause und beruhigst dich. Ich werde mich um alles andere kümmern. Wo liegt er denn?«

»Bei den Kartoffeln.« Plötzlich muss ich kichern, hysterisch, ich halte mir die Nase zu, um aufzuhören, drücke meine Schultern durch.

Valle streicht über mein Gesicht, wischt dabei das Nasse mit seinem Handrücken weg und schüttelt leicht seinen Kopf.

»Wo genau befindet sich der Mann?«

Ich erkläre es ihm, endlich bekomme ich mich wieder einigermaßen in den Griff, es wird alles gut, denke ich. Valle wird ihn finden und den Krankenwagen rufen, ihm können sie ja nichts, er hat schließlich nichts geklaut, Valle kriegt das hin.

Er rennt davon, ich sehe ihm hinterher, bete, dass nichts wirklich Schlimmes passiert ist. Plötzlich kommt er noch einmal zu mir zurück und küsst mich beruhigend auf die Stirn. »Mach dir keine Sorgen, Toni, es wird alles wieder gut. Ich kümmere mich darum.«

Er sprintet los und wenig später verschwindet seine schmale Silhouette im Parkhaus.

Ich lasse mich auf der Kante des Bürgersteigs nieder, spüre flüchtig, wie kalt sich der Boden durch die Lederhose anfühlt. Ruhiger werden, wieder klar denken.

Vielleicht war es nur eine Platzwunde, die der Detektiv am Kopf hatte? Eine harmlose Verletzung?

Und wenn nicht?

Wenn er wirklich tot ist?

Dann wird die Polizei nach dem Mörder suchen. Schlagartig durchzuckt mich ein Gedanke: Sie haben Kameras in dem Laden! Der Detektiv hat gesagt, es gibt ein Video, auf dem ich drauf bin! Egal, was Valle jetzt unternimmt, sie werden mich finden, dann bin ich dran!

Aber es war doch ein Unfall! Einfach nur ein dummer Unfall.

Mühsam erhebe ich mich vom Bordstein und stolpere los in Richtung U-Bahn und alles, was ich auf dem Weg dorthin denken kann, ist:

Er wird es wieder in Ordnung bringen. Valle schafft das. Valle kann alles.

Valle, Valle, Valle.

Ich bin fliegen

Warst du schon mal verliebt? Ich schätze nein. Du bist noch zu klein. Ich bisher auch nicht. Nicht so. Nicht mit aller Macht. Und wenn ich sage Macht, dann meine ich Macht. Für einen Kuss wäre ich bereit zu sterben. Das klingt reichlich pathetisch, nein, sogar pathologisch. Hier sind viele Pathologische, keine gute Idee von Ihnen mich hierher zu schicken. Aber ich bin nicht mehr böse deshalb, denn ich hätte ja sonst niemals diese Erfahrung gemacht, richte Ihnen also aus, es ginge mir großartig. Ich hoffe, sie machen dir das Leben nicht zur Hölle, obwohl ich gerade anfange zu begreifen, was für ein wunderbarer Ort die Hölle ist.

2

»Ich war sicher, dieser Fuchs war ein Geschenk von IHM, denn wo hätte ich sonst diesen speziellen finden sollen? Das war ein Zeichen seiner Gunst. Er wollte, dass ich eine besondere Strafe vollziehe, eine, die meine Macht manifestieren würde.«

Drei Monate früher.

Für unser erstes Treffen hatte Valle den Biergarten am See-haus vorgeschlagen. Obwohl wir uns mitten in der Woche um drei Uhr nachmittags verabredet hatten, war der Biergarten voller Menschen, die nach einer Woche kalten Regens jetzt die letzten warmen Septembersonnenstrahlen genossen.

Ich war so aufgeregt, dass mich das aggressive Summen der Wespen, die kreischenden Kinder, das Gelächter und Gebrabbel all der Leute im Biergarten nur noch kribbeliger machten. Selbst der vertraute Geruch nach frischen Brezeln und Zwetschgendatschi, brackigem Seewasser und Softeis konnte mich nicht beruhigen. Wie würde er reagieren, was würde er sagen? Ich hatte keine Ahnung. Bei unserer allerersten Begegnung hatten wir nämlich nicht gerade viel miteinander geredet.

Es war auf einem Abi-Fest gewesen, bei dem meine Band, die Grunks, einen Auftritt gehabt hatten. Kurz nachdem ich völlig erledigt von der Bühne runterkam und mich durch die tanzenden Menschen schob, sprang er mir plötzlich ins Auge. Ein schlaksiger großer Typ, seine Haare leuchteten rotbraun wie nasse Kiefernbaumstämme. Er bewegte sich wie ein schwarzer Panther unter lauter harmlosen Kätzchen. Geschmeidig und kraftvoll tanzte er und gleichzeitig entging ihm nichts, als ob er auf der Lauer nach Beute wäre.

Und dann begegneten sich unsere Augen mitten in dieser rhythmisch zuckenden Menge von Tanzenden.

Er grinste mich an und kam näher. Und als er direkt vor mir stand, wurde plötzlich alles anders, unser Zusammentreffen war wie eine Naturkatastrophe. Als ob ich bis dahin in völliger Sonnenfinsternis gelebt hätte und jetzt endlich das Licht angehen würde. Dabei hatte er sich nur zu mir heruntergebeugt und mich angeschaut.

Mich.

Angeschaut.

Mit diesen Augen.

Ein weiter blauer Himmel, der sich auf einem grünen See spiegelt.

Diese blaugrün schillernden Seehimmel verwandelten meinen Bauch in ein Bündel Wunderkerzen, deren Funkenregen mein altes Ego komplett auslöschte und eine völlig neue Toni hervorbrachte, eine schwindelige, atemlose Toni, deren Haut bei der kleinsten Berührung Blitze abgesondert hätte.

Und mitten in mein Gefühlschaos hinein fragte er mich, wieso ich in derart lächerlicher Montur herumlaufen würde, ob das irgendjemandem Angst machen solle. Wahre Rebellen würde man an ihrem Sein erkennen, nicht an ihrer Frisur.

Das war wie ein Schlag ins Gesicht und ich, Toni Freitag, war nach seinem Kommentar sprachlos.

Lächerlich hatte mich noch keiner genannt.

Abgefahren: Robert, mein damals Noch-Freund.

Bescheuert: meine Klassenlehrerin.

Schmuddelig: meine Mutter.

Typisch pubertär: Ralfi, Mamas unsäglich toleranter Lebensgefährte, den Kati und ich hinter seinem Rücken immer nur Schwallfi nennen.

Ich werde nur sehr selten rot, aber nach Valles Kommentar war mir das Blut ins Gesicht geschossen. Das konnte ich natürlich so nicht auf mir sitzen lassen. Deshalb hakte ich nach, was er denn mit dem Gerede vom »wahren Rebellen« meinen würde. Aber er hat nur den Kopf geschüttelt, gelacht und mir dann kryptisch geantwortet: »Das erkläre ich dir gerne ausführlicher. Aber nicht hier. Und nicht jetzt.«

Und bevor ich wieder klar denken konnte, hatte ich Valles Handynummer gespeichert und stand wieder allein auf der Tanzfläche. Ich erwischte gerade noch einen misstrauischen Blick von Robert, der mich dazu brachte, mein Handy ganz schnell verschwinden zu lassen.

Zwei Wochen später war es dann so weit: das erste richtige Date mit dem geheimnisvollen Valle. Ich war froh, dass wir uns am Bootsverleih verabredet hatten, weil wir uns hier nicht verfehlen konnten.

Auf dem See waren schon viele kleine Tret-und Ruderboote unterwegs. Fast so viele wie Enten und Schwäne. Knapp über der Wasseroberfläche schwebten kleine duftige Knäuel, die aussahen wie Flaumfedern. In Wirklichkeit waren es Blüten, die von den Bäumen im Englischen Garten angeweht worden waren.

Als ich ankam, sah ich ihn sofort. Er war schon unten am Steg, wieder in schwarzen Jeans und einem schwarzen T-Shirt, in der Hand eine Tasche und einen langen schwarzen Umhang. Gerade beugte er sich zu einem Ruderboot, um die Taue zu lockern. Dabei verrutschte sein T-Shirt und ichkonnte einen Blick auf sein Schlüsselbein werfen. Weiß und irgendwie schüchtern ragte es aus dem Ausschnitt und ich spürte ein merkwürdiges Ziehen im Bauch und wollte es sofort anfassen, dieses bekloppte Schlüsselbein.

Doch stattdessen kam ich näher und brachte immerhin ein »Hallo« heraus.

Er drehte sich zu mir und deutete dann auf das kleine weißblaue Ruderboot.

»Hi, ist das okay für dich?«, fragte er und lachte mich an, mit diesen Augen.

Und alles, was ich dachte, war: Ich muss mich dringend setzen. Mein Puls trommelte härter und schneller als jedes Solo, das Robert mir jemals vorgespielt hatte.

Ich ging also zu Valle, kletterte über den Bootsrand, stieg in das schaukelnde Boot und ließ mich sofort auf eines der harten Holzbretter fallen. In meinen Ohren summte es komisch.

Er stieg dazu, warf den Umhang neben sich, danach die Tasche. Dabei schwankte das Boot so unruhig hin und her, dass ich mich an den Seiten festklammern musste, um nicht von meinem Holzsitz zu kippen.

Valle lachte mich an. »Macht Spaß, oder?«

»Klar!«, versicherte ich, und weil ich ihn dabei ganz ungeniert betrachten konnte, meinte ich es auch so.

»Und du willst rudern?«, fragte Valle und zog eine seiner schwarzen Augenbrauen in die Höhe.

Ich blickte ihn verständnislos an, woraufhin er auf die beiden Ruder zeigte, die tatsächlich rechts und links neben meinem Sitz an der Bootswand befestigt waren.

Ich wurde rot. Hoffentlich blamierte ich mich jetzt nicht gewaltig.

»Oder bist du etwa zu schwach? Er grinste, was mich natürlich schleunigst dazu brachte, ihm zu versichern, dass ich quasi die Ruderqueen Münchens wäre.

»Gut, dann packe ich mal unser Picknick aus.«

»Picknick?«

»Ich dachte, das würde dir Spaß machen.« Jetzt verwandelte sich sein Grinsen in ein Lächeln.

Ich starrte auf den glitzernden See, damit Valle nicht gleich sehen konnte, wie gerührt ich war. So etwas hatte sich noch nie jemand für mich ausgedacht. Robert jedenfalls wäre das im Traum nicht eingefallen – Seepicknick, das hätte er lächerlich spießig gefunden.

»Wie wär’s erst mal mit Kaffee?« Valle beugte sich etwas vor, das brachte einen Duftschwall von Zigaretten, Kaffee und etwas anderem zu mir, das mich an Kirche erinnerte. Nein, nicht Kirche, Weihrauch.

Und ich sah wieder sein Schlüsselbein, unter dem eine blaue Ader pochte. Deutlich langsamer als mein Puls.

Ich versuchte, mich abzulenken, und legte mich gewaltig ins Zeug, leider patschten die Ruder dabei bloß höchst unprofessionell aufs Wasser, das Boot kam ins Strudeln und bei meinem Versuch, den Kurs zu halten, spritzte ich uns voller Wasser.

»Hey!« Valle, der gerade zwei Becher »Coffee to go« aus seiner schwarzen Tasche herausgeholt hatte, schwankte gefährlich und verschüttete etwas Kaffee auf seiner Hose.

»Verdammt heiß!«, sagte er mit so einem merkwürdigen Ton, und weil er mir dabei direkt in die Augen sah, wurde mir auf der Stelle noch heißer, als es mir von meinen jämmerlichen Ruderversuchen ohnehin schon war.

Er reichte mir den Becher. Ich ließ ein Ruder los.

»Ich hoffe, du magst Latte macchiato?«, fragte er und nahm einen großen Schluck aus seinem Becher.

Ich hätte jetzt sogar Apfelwein getrunken, den ich verabscheue, oder Waschwasser. Ich konnte nur nicken. »Und du? Was trinkst du?«

»Doppelten Espresso, extra stark.«

»Ohne Zucker?«

Er nickte. Ich stellte meinen Becher vor mir ab und griff nach dem Ruder, das sich gerade aus der Halterung verabschieden wollte. Im letzten Moment erwischte ich es und überlegte immer noch verzweifelt, was ich Lässiges sagen könnte.

»Wow, ohne Zucker, dann bist du also ein ganz Harter!«

»Klar, nur die Harten kommen in den Garten...«

». . . und die Härteren zur Gärtnerin!«, vollendete ich den blöden Spruch und ärgerte mich maßlos, dass mir nur so ein Schwachsinn eingefallen war.

»Wer will denn schon zur Gärtnerin?« Er grinste und reichte mir zwei Zuckertütchen und ein Holzstäbchen zum Umrühren.

»Was hast du gegen Gärtner?«

»Das liegt doch auf der Hand, der Mörder ist schließlich immer der Gärtner.«

»Nur in schlechten Filmen«, konterte ich und schüttete den Zucker in meinen Latte.

»Wer entscheidet, was ein schlechter Film ist?«, fragte er.

»Na ich!«

»Kluges Mädchen.«

Ich stellte den Latte ab und beschäftigte mich wieder mit den Rudern, legte dabei ordentlich an Tempo zu, nur damit Valle nicht merkte, wie sein Kommentar meinen Puls beschleunigt hatte. Komisch, wenn Schwallfi so etwas sagen würde, müsste ich kotzen.

»Das gefällt mir übrigens.«

»Was?«

»Dass du nicht blöd bist. Dummheit langweilt mich. Viele Mädchen sind dumm, soll heißen, die meisten Mädchen langweilen mich.«

»Arrogant bist du ja gar nicht!«

Er trank seinen Becher aus und schenkte mir dann wieder ein Lächeln.

Zuerst dachte ich, er würde mich auslachen, aber dann verzog sich sein Mund, und weil sich seine Lippen dabei öffneten, wirkte er plötzlich sehr verletzlich. Und obwohl ich noch an seinem letzten Spruch zu knabbern hatte, fiel mir doch auf, dass seine Lippen verführerisch wie Granatapfelkerne schimmerten. Ich zwang mich, schnell woandershin zu sehen, und landete unglücklicherweise wieder bei seinem Schlüsselbein, doch nach ein paar Sekunden riss ich mich von diesem Anblick los und starrte auf die silbern glitzernden Sonnenreflexe im Wasser, um auf andere Gedanken zu kommen.

»Und was machst du sonst so?«, fragte er und es klang so, als würde ihn das wirklich interessieren.

Ich zuckte mit den Schultern, weil ich keine Ahnung hatte, was genau er gut finden würde.

»Na, du hast es ja an dem Abend neulich gesehen. Ich spiele in einer Band.«

»Übler Punk-Rock. Wer schreibt die Texte?«

»Was für Texte?« Ich grinste, als hätte ich einen Witz gemacht, dabei wollte ich nur Zeit gewinnen, denn eigentlich schrieb Robert unsere Texte. Aber ich hatte mir vorgenommen, auf keinen Fall an ihn zu denken und jetzt schon gar nicht. Was mehr als mies war, denn es waren Roberts Texte gewesen, wegen denen ich unbedingt Mitglied bei dieser Band hatte werden wollen.

»Ich meine, um was geht’s bei euch?«, fragte Valle.

»Um alles Mögliche.« Ich verstand nicht ganz, worauf er hinauswollte. »Wir wollen Leute provozieren, aber es geht auch um Gefühle wie Versagen, Lieben, Siegen.«

»Gefühle sind Unsinn.«

»Klar, ist oft mal so«, sagte ich – und dachte, dass eben jetzt genau so ein Moment war – wie ich hier saß und Valle gern berührt hätte, aber mich nie im Leben trauen würde.

»Du kapierst nicht, was ich meine. Gefühle machen dich schwach.«

Ich wurde rot. Konnte Valle vielleicht Gedanken lesen?

»Wenn du Kontrolle über dein Leben haben willst, darfst du dich deinen Gefühlen nicht ausliefern.«

»Nie?«

»Erst einmal musst du herausfinden, ob es Gefühle sind oder Triebe.«

Mir wurde flau.

»Ach ja?«

»Triebe kann man beherrschen, indem man ihnen nachgibt, sie auslebt, denn nur so verlieren sie die Macht über einen. Sex zum Beispiel.« Er starrte mir in die Augen, ich hielt das nicht mehr aus, alles war in Aufruhr, mein Herz, mein Bauch, meine Füße zappelten, es fühlte sich an, als wären sogar meine Haare elektrisch aufgeladen.

»Hmm...« Mehr brachte ich nicht raus.

Er strich eine Haarsträhne hinter sein Ohr, stopfte sein T-Shirt am Bauch fest in seine schwarzen Jeans. Mein Blick folgte seiner Hand. Sein Bauch war glatt und hart wie ein Surfboard. Hatte ich wirklich nur Latte getrunken oder nicht doch irgendwelche Drogen genommen?

Er zeigte auf die Ruder. »Komm, lass uns die Plätze tauschen. Ich hab auch etwas zum Essen mitgebracht, solange kann ich ja rudern.«

Wir standen beide gleichzeitig auf, das Boot wackelte gefährlich, die anderen Leute in den Booten um uns herum lachten und warteten nur darauf, wer zuerst in die grünbraune Brühe fallen würde.

»Langsam«, sagte er behutsam. Wir setzten uns wieder. »Erst kommst du zu mir, dann gehe ich zu den Rudern, okay?« Er nickte mir zu, ich erhob mich, bewegte mich sachte auf ihn zu, betete, dass das Boot zu meinen Gunsten etwas schwanken würde, half nach und landete dann wirklich unbeholfen auf seinem Schoß.

Er hob mich hoch, murmelte »Kleine Rebellin . . .«, setzte mich sanft neben sich, stand auf und redete weiter, als wäre unser Gespräch nicht gerade beinahe ins Wasser gefallen.

»Sex ist okay, davon kann man haben, so viel man will. Schadet nichts, man sollte es nur nicht mit Liebe verwechseln. Die macht einen abhängig. Wie das ganze Christengesumse überhaupt.« Als er wieder saß, griffen seine Hände nach den Rudern.

»Sex so viel man will?«, fragte ich so ironisch wie möglich, auch wenn ich überzeugt davon war, dass ich aussah wie Rotkäppchen, das endlich kapiert hat, was der böse Wolf gleich mit ihr tun wird.

»Na klar, es ist wichtig, dass man seiner Lust nachgibt, allein schon, damit man nicht krank wird.« Er richtete seine blaugrün leuchtenden Augen auf mich. »Allerdings sollte man nicht Sklave seiner Gier werden, sich dabei nicht verlieren.«

Verlieren. Okay, ich war eindeutig verloren.

Er zeigte auf seine Tasche. »Da drin sind ein paar Sandwiches mit Huhn und Thunfisch, nimm dir, was du magst, ja?«

Ich studierte seine Tasche, hoffte, irgendeinen Hinweis darauf zu finden, ob er eine Freundin hatte oder was er sonst sotat, aber da waren nur zwei Sandwiches, ich nahm Huhn, obwohl ich gar keinen Hunger hatte. Biss zweimal davon ab, ließ eine Hand über den Bootsrand ins schillernde Wasser gleiten und fand, dass dieses Ruder-Picknick bis jetzt das Seltsamste, das Prickelndste, das Aufregendste war, was ich bisher erlebt hatte. Etwas, das ich nicht richtig einschätzen konnte.

Gerade als ich zum dritten Mal in das Sandwich biss, räusperte er sich.

»Warum läufst du eigentlich mit diesen blöden gefärbten Haaren rum?«

Ohne es zu wollen, griff ich mit der nassen Hand in meine Haare und verschluckte mich beinahe an dem Bissen, den ich gerade im Mund hatte.

»Weil ich’s cool finde«, antwortete ich patzig, nachdem ich den Bissen mühsam runtergewürgt hatte.

»Ist bloß hässlich. Dabei könntest du so gut aussehen. Willst du hässlich sein?«

Ich überlegte, ob ich ihm das Sandwich vor die Füße werfen oder selbst über Bord hechten und einfach wegschwimmen sollte.

»Und du bist der Meister der Schönheit, oder was?«

Er grinste amüsiert und ließ die Ruder los. »Klar, ich liebe Schönes. Sonst hätte ich mich wohl kaum mit dir getroffen. Noch schlimmer als dumme Frauen sind hässliche Frauen.«

Jetzt reichte es mir endgültig. »Übst du eigentlich für eine Fernsehsendung als Arschloch des Jahres oder was sollen deine blöden Sprüche?«

»Ich teste dich.«

»Scheiße!« Ich entschied mich dafür, das restliche Sandwich ins Wasser zu werfen, und sprang auf.

Schlechte Idee, das Boot bekam diesmal eine dermaßen gefährliche Schlagseite und es schwappte so viel Wasser herein, dass meine Füße knöchelhoch in der trüben Brühe standen.

»Setz dich«, sagte er, zögerte einen Moment und fügte noch ein sehr liebevoll klingendes »Bitte!« dazu.

Und ich sank zurück auf den Sitz, wie betäubt von diesem merkwürdigen Gespräch.

Er griff wieder zu den Rudern und wendete das Boot.

»Hey, ich wollte dich nicht beleidigen.« Seine Stimme wurde zu einem zärtlichen Flüstern. »Ich kapier bloß nicht, warum du so wütend bist. Was kratzt es dich, wenn ich sage, dass ich dumme Frauen nicht leiden kann. Du bist klug, oder?«

»Weil, weil...«Ich stotterte und hasste mich dafür. »Weil es nicht korrekt ist.«

»Und was nennst du korrekt?« Seine Augen waren so auf meine fixiert, dass es mir vorkam, als könnte ich sie nicht bewegen.

Unsinn. Demonstrativ schaute ich an ihm vorbei. »Wer entscheidet denn, was dumm ist und was nicht?«

»Ich, wer sonst!« Er lachte und schüttelte leicht den Kopf. »Schau mal, die Enten freuen sich über das Sandwich.« Er deutete auf eine Stelle hinter mir, zu der ein ganzer Schwarm Enten aufgeregt schnatternd hinschwamm.

Wir hatten das Bootshaus erreicht, er manövrierte uns lässig in eine Bootslücke am Steg und reichte mir die Hand zum Aussteigen. Ich wollte nicht aussteigen, ich wollte dieses Gespräch zu Ende bringen, wollte nicht klein beigeben und ihm den Triumph überlassen. In meinem Kopf wirbelte alles durcheinander.

»Aber wer bist du, dass du entscheiden kannst, was dumm ist und was nicht?«, fragte ich.

Er richtete sich auf, wurde unglaublich groß, nahm sein schwarzes, vom Wasser schweres Cape aus dem Boot und schwang es trotzdem über seine Schultern. »Das ist ganz einfach. Ich entscheide, denn ich bin Gott.«

Er lächelte mir noch mal zu, beugte sich über den Bootsrand zu mir her, streichelte meine Wange und murmelte ganz leise, sodass ich mir bis heute nicht sicher bin, ob ich mir das nicht nur eingebildet habe: »Und du, kleine Rebellin, bist göttlich . . .« Und dann ging er weg.

Ließ mich sitzen, einfach so.

Und obwohl mir schon klar war, dass Valle verrückt sein musste, wünschte ich mir nichts mehr, als dass er zurückkäme, mit mir reden, mich an sich pressen und küssen würde.

Wie in Trance stand ich auf, balancierte über den Bootsrand auf den Bootssteg, drehte mich um und klaubte automatisch unseren Müll auf, starrte Valles leeren, zerdrückten Kaffeebecher an und fragte mich, warum er sich einerseits so etwas Schönes wie dieses Seepicknick für mich ausgedacht und mich dann andererseits ständig provoziert hatte.

Ich warf Becher, Zuckertütchen und die Sandwichverpackungen in den nächsten Mülleimer, und als ich den dumpfen Aufprall in der Tonne hörte, hatte ich plötzlich Angst, das könnte auch schon alles gewesen sein. Mann, Toni, der Typ ist ein Freak, bleib locker, versuchte mein Verstand mich zu beruhigen, aber mein Bauch sagte ganz was anderes. Mein Bauch behauptete, dass dieser Freak der mit Abstand interessanteste Typ war, den ich je kennengelernt hatte, und zwar nicht nur wegen seiner schönen Augen.

Plötzlich legte sich von hinten eine Hand auf meine Schulter und riss mich mit einem Schlag aus meinen Überlegungen.

Valle.

Valle war zurückgekommen.

Ich wagte kaum zu atmen, wollte diesmal nichts Falsches sagen.

»Hi, Toni . . .« Robert drehte mich zu sich um. Die Enttäuschung breitete sich wie ein bitterer Geschmack in meinem Mund aus.

Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, er solle abhauen und mich in Ruhe lassen. Aber ich blieb stumm. Seine Hand rutschte von der Schulter auf meinen nackten Unterarm. Ich musste endlich etwas sagen.

»Was willst du denn hier?«

»Ein Bier trinken, so wie du.«

»Und?«

»Dachte, wir könnten noch mal über uns reden. Ich wollte dir noch eine Chance geben.« Er legte seine zweite Hand auf meinen anderen Arm, was mich endgültig zu Eis werden ließ. Ich starrte auf seine Hände, in die hatte ich mich damals verliebt. Musikerhände. Sie waren immer noch schmal und kräftig, aber sie fühlten sich auf meiner Haut ungefähr genauso angenehm an, als wären es Spinnen, die über meinen Körper krochen. Ich schüttelte mich. Was war nur mit mir los?

Es war ja nicht so, als ob ich Valle eben nähergekommen wäre, im Gegenteil, wir hatten sogar gestritten. Warum erschien mir Robert dann plötzlich so fremd?

»Ich will nicht reden«, antwortete ich also.

»Wieso nicht?« Er ließ meinen Arm los, als hätte er sich verbrannt.

»Es gibt nichts zu reden.«

»Hast du einen anderen?« Robert durchbohrte mich mit seinen grauen Augen, ich wich ihm aus, dabei fiel mein Blick auf das Lederband mit dem silbernen Pegasusanhänger, dener jetzt zwischen den Fingern hin und her wandern ließ. Den Anhänger hatte ich ihm zum Geburtstag geschenkt, da waren wir gerade erst eine Woche zusammen gewesen.

»Nein, es gibt keinen anderen.« Jedenfalls noch nicht, dachte ich und wünschte mir, dass sich das sehr bald ändern würde. Wie grausam man wird, wenn man keine Gefühle mehr für den anderen hat.

»Du lügst.«

»Und du nervst.« Ich schämte mich ziemlich. Aber wie sollte ich ihm denn erklären, was mit mir passiert war, wenn ich es selbst nicht kapierte?

»Das war’s dann auch mit den Grunks!« Er versuchte zu grinsen. »Du fliegst raus. Ich hab dich dort reingebracht, aber damit ist ab sofort Schluss. Sängerinnen gibt’s schließlich mehr als genug. Du bist ersetzbar. In jeder Beziehung.«

»Mal sehen, ob die anderen aus der Band das auch so sehen.«

Robert grinste jetzt ziemlich gemein. »Ganz wie du willst.«