Höllenritt auf Linie 666 - Diandra Linnemann - E-Book

Höllenritt auf Linie 666 E-Book

Diandra Linnemann

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Beschreibung

Wenn die Party nicht zu uns kommt, fahren wir eben zur Party! So oder so ähnlich lauten Daniels Überlegungen, als er seine Freunde Amer und Stella zur U-Bahn-Haltestelle lotst. Gemeinsam über Kopfhörer Musik hören und in Ruhe ein Bierchen zischen - klingt doch gemütlich? Hätte er doch nur einen Blick in den Mondkalender geworfen, denn zu Neumond geschehen in der Stadtbahn mitunter unheimliche Dinge ...

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Inhaltsverzeichnis

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

EINS

ALS DIE HAUSTÜR ins Schloss fiel, hatte Stella bereit Abendessen gekocht, ihre Brüder bei den Hausaufgaben beaufsichtigt und das Schlachtfeld in der Küche beseitigt. Der Freitagabend war regnerisch, deprimierend und trüb. Eigentlich hatte sie sich mit einer Freundin treffen wollen, aber die lag mit Erkältung im Bett. Natürlich hatte Mutti die Chance sofort genutzt und ihr die Zwillinge aufs Auge gedrückt. »Dann kann ich zur Abwechslung mal auch freitags zum Yoga«, hatte sie gesagt, Schlüssel und Mattenrolle schon in der Hand, und ihr zum Abschied noch einen Kuss auf die Stirn gedrückt.

Jetzt war es nicht so, dass Stella ihrer Mutter dieses kleine Vergnügen nicht gönnte. Trotzdem … ihre Brüder waren eine ziemliche Plage, und das schlechte Wetter tat nichts, um ihre Laune zu verbessern. Wer war überhaupt auf die Idee mit Zwillingen gekommen? Sowas konnte doch nur schiefgehen. Stella liebte ihre Brüder, war sich jedoch sicher: Sie hätte sie bestimmt genauso gern, wenn zwei Jahre zwischen ihnen lägen. Dann wären sie immer in unterschiedlichen schwierigen Phasen und ließen sich bestimmt leichter bändigen. Erst nachdem auch die letzte Vokabelliste gepaukt war, hatte sie die strenge Fassade, die sie für solche Gelegenheiten nutzte, fallenlassen. Jetzt saßen die beiden vor ihrer alten Playstation und spielten ein Spiel, beim dem es offenbar in erster Linie darum ging, welches Objekt auf dem Bildschirm die größte Explosion verursachte, wenn man es beschoss.

Vor Stella selbst erstreckten sich jetzt endlose Stunden, in denen sie Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen büffeln würde – ihr schwächstes Fach. Sie hatte, zugegeben, nicht direkt davon geträumt, zahnmedizinische Fachangestellte zu werden, doch es war, alles in allem, gar nicht so ätzend. Nach der zehnten Klasse hatte sie nicht so recht gewusst, was sie mit sich anfangen sollte. Ausbildungsplätze waren rar. Im Nachhinein hatte der freie Platz im ersten Jahrgang in der Berufsschule sich als Glücksgriff erwiesen. Sie hatte nur durch Zufall davon gehört, als sie ihre ehemalige Klassenlehrerin in der Innenstadt getroffen hatte, und die Schule hatte sich bereit erklärt, sie im laufenden Schuljahr aufzunehmen. Alles lief ganz hervorragend. Bis auf dieses dämliche trockene umständliche …

Sie hörte, wie ihre Mutter beim Reinkommen den Schlüsselbund in die Keramikschale neben der Haustür fallen ließ. »Sorry, dass es so lange gedauert hat, ich habe mich mit der Jacobi Kerstin verquasselt!« Die Tür fiel ins Schloss.

»Die Nudeln sind kalt!«, rief Stella durch die halbgeschlossene Zimmertür die Treppe hinunter. Sie warf sich auf ihr Prinzessinnenbett, setzte die Kopfhörer auf und ließ die Musik loswummern. Der Ordner mit ihren Unterlagen ragte griffbereit unter dem Bett hervor. Sie schnappte sich einen schwarzen Marker vom Nachttisch und fügte den filigranen Verzierungen auf der Außenseite des Ordners einige neue Linien hinzu. Dann konnte sie den Moment der Wahrheit nicht weiter aufschieben. Nächste Woche hatte sie eine Prüfung, die sie nicht in den Sand setzen wollte. Also blätterte sie sich entschlossen zu ihrem Hassfach durch.

In dem Moment rummste es nebenan derart laut, dass sie die Erschütterungen trotz Kopfhörer noch mitbekam. Ihr ganzes Bett vibrierte. Kurz war sie versucht, aufzustehen und den beiden Zwölfjährigen den Kopf zurechtzurücken. Ach nee, Mutti war ja wieder zuhause. Die konnte die nächste Standpauke halten. Sie wandte sich entschlossen wieder ihren Notizen und Diagrammen zu.

Stella war so in die Musik vertieft, dass sie zuerst gar nicht bemerkte, dass ihr WhatsApp-Chat zum Leben erwachte. Aber irgendwann wurde sie darauf aufmerksam, dass der Bildschirm immer mal wieder aufleuchtete.

Eigentlich sollte sie wirklich lernen. Bei der Bezugsquellenermittlung hat es sich … Ach, zum Teufel damit! Wen kümmerte das an einem Freitagabend schon? Sie schlug ihren Ordner zu, klemmte sich beinahe die Finger ein und schnappte sich ihr Handy.

Sie las: BOCK AUF ACTION MIT EIN PAAR PEEPS? Die Nachricht kam von Daniel.

Sie antwortete: BIN BLANK.

KEIN PROBLEM, BRING KEKSE MIT. IN EINER STUNDE AM BVS! Als sei das alles schon beschlossene Sache.

Aber warum eigentlich nicht? Warum sollte sie sich nicht ein wenig amüsieren? Lernen konnte sie morgen immer noch, wenn ihre Brüder beim Basketballtraining waren. Sie zog sich die Kopfhörer von den Ohren, stemmte sich hoch und lief in den Flur. »Mutti«, rief sie die Treppe hinunter, »kann ich noch kurz in die Stadt?«

Hinter ihr ging die Zimmertür der Jungen auf. »Hast du gerade den Krach nicht gehört?«

Stella fuhr überrascht herum und schüttelte schnell den Kopf. »Ich hab gelernt.«

Mutti lächelte wissend. »Irgendwann wirst du von deiner ganzen lauten Musik noch taub.«

Ein Thema ständiger Diskussion bei ihnen. Lieber schnell ablenken. »Was haben die beiden diesmal kaputt gemacht?«

»Nur meine Nerven. Sie wollten unbedingt ausprobieren, ob man vom Bett aus auf den Kleiderschrank springen kann.« Mutti pustete sich eine graumelierte Locke aus der Stirn. »Zum Glück haben sie vorher Kissen auf den Boden gelegt. In die Notaufnahme hätte ich heute wirklich nicht mehr gewollt. Was hast du gerade gerufen?«

»Ich … Daniel hat geschrieben, ob ich noch in die Stadt komme. Darf ich?«

»Wie sieht es mit Schule aus?«

»Den Rest kann ich morgen machen. Und gelernt habe ich auch schon. Bitte, eigentlich wäre ich doch heute sowieso bei Esther gewesen!«

Mutti war die Beste. »Na gut, amüsier dich. Daniel, ist das nicht der junge Mann aus der Drogerie?«

»Genau der – aber da arbeitet er nicht mehr, er wollte etwas anderes ausprobieren.«

»Ist ja auch egal, was er macht. Hauptsache, ihr bringt euch nicht in Schwierigkeiten.«

»Ehrenwort!«, versprach Stella mit der Hand über dem Herzen und machte ein übertrieben ernstes Gesicht. »Und falls doch, legen wir Kissen unter!«

Das brachte ihr Mutter zum Lachen – allein dafür hatte es sich gelohnt. Mutti lachte viel zu selten, seit der Sache mit der Scheidung. Man sollte meinen, nach drei Jahren sei sie über das alles hinweg, aber … manchmal dauerte es offenbar etwas länger.

Für Stella waren drei Jahre eine Ewigkeit. Inzwischen fühlte es sich an, als hätten sie schon immer zu viert gelebt. Sie vermisste ihren Vater nur selten.

»Brauchst du Geld?«

»Ich komm schon klar«, antwortete Stella. Sie wusste, wie es um die Haushaltskasse bestellt war. »Und jetzt muss ich mich schnell umziehen, sonst komme ich zu spät!

Was sollte sie überhaupt anziehen? Bei Daniel wusste man nie, was er im Schilde führte. Er war ein Chaot – oder anders ausgedrückt, mit ihm wurde es nie langweilig. Konnte sein, dass er sie über Connections in irgendeinen angesagten Schuppen reinbringen konnte. Wobei – was sollten sie dann mit Keksen? Lieber darauf planen, dass sie sich in der Innenstadt herumtreiben würden.

Sie schlüpfte in ein Paar hautenger rosa Jeans, zog sich ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt über den Kopf und nahm die ausgetretenen Doc Martens aus dem Regal. Damit war sie für acht von zehn möglichen Szenarios richtig angezogen. Gegen die Kälte griff sie sich noch ihren Einhorn-Pulli. Und Kekse … hatten sie überhaupt noch Kekse zuhause?

Im Vorratsschrank fand sie eine Rolle Doppelkekse und eine angebrochene Packung Schokoriegel. Das würde bestimmt reichen. »Ich nehm uns was zu naschen mit!«, rief sie aus dem Flur nach oben und holte ihre Tasche von der Garderobe.

Mutti erschien oben auf der Treppe. »Bist du auch warm genug – entschuldige, du bist zu groß, um dich das zu fragen. Viel Spaß!« Ihr prüfender Blick glitt über Stellas Outfit und fand offenbar nichts, woran er sich aufhängen konnte.

Stella lächelte. »Ich hab dich auch lieb. Bis später!« Sie schlüpfte auf den Gartenweg hinaus und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

Dunkel war es schon lange, und der Niederschlag konnte sich nicht entscheiden, ob er jetzt Nebel oder nicht doch lieber Nieselregen sein wollte. Sie drehte sich nach links und durchquerte den kleinen Park, in dem ihr Elternhaus in einer Reihe mit einem halben Dutzend identischer schmaler Wohnblöcke stand, Richtung Bushaltestelle. Das orangefarbene Licht der Stadt hing unter der ungewöhnlich dunklen Wolkendecke wie ein Schleier.

In einiger Entfernung führte eine Michelinmännchen-Gestalt ihren Hund spazieren und starrte dabei unentwegt auf das Display ihres Handys. An Halsband und Leine flackerten bunte LEDs.

Stella wurde schneller. Sie hörte das vertraute Geräusch des Busmotors, der gerade an der nächsten Ampel anfuhr. Wenn sie den verpasste, musste sie zehn Minuten in der Kälte auf den nächsten warten. Dann wäre sie mal wieder zu spät. Daniel würde sie den ganzen Abend damit aufziehen! Was machte der eigentlich inzwischen? Sie war sich fast sicher, dass er neulich etwas von einer todsicheren Sache erzählt hatte, aber an dem Abend war sie von der Trennung ihrer besten Freundin abgelenkt gewesen und hatte nur halb zugehört. Ach, bestimmt würde er sowieso wieder den ganzen Abend in seinen genialen Ideen schwelgen, da bekam sie das schon raus.

Kurz fragte sie sich, wer die anderen Peeps waren. Manchmal brachte Daniel so richtige Brüllaffen mit, die einander den ganzen Abend lang rumschreiend zu übertrumpfen versuchten. Darauf könnte sie echt verzichten. Keine Ahnung, wo er solche Leute fand. Hoffentlich hatte er heute wen Nettes im Schlepptau.

Die Busscheinwerfer schälten sich aus dem Dunst. Stella legte einen Zahn zu, joggte über den Zebrastreifen und sprang ungebremst durch die hintere Tür.

»Nicht so stürmisch, junge Dame!«, rief der Busfahrer von vorne durch das beinahe leere Gefährt. Er wartete, bis sie sich in einen Sitz hatte fallenlassen, ehe er die Fahrt fortsetzte. Die Scheibenwischer teilten die abendliche Straße in handliche Portionen ein.

Eigentlich, überlegte Stella auf dem Weg in die Stadt, hatten sie in Bonn mit den Öffis ziemliches Glück. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.

ZWEI

ES WAR FREITAG, also war auch zu später Abendstunde in der Bonner Innenstadt noch jede Menge los – sogar heute Abend im tiefsten Herbst. High Life, sozusagen. Schüler, die von Gesetz wegen schon längst nicht mehr auf der Straße hätten sein dürfen, schick zurechtgemacht wie Erwachsene mit begrenztem Budget, drängten sich vor dem Fastfood-Tempel an der Kölnstraße. Studenten strömten in kleinen Gruppen aus dem Billigkino. Die Straßen waren mit Privatwagen und Taxis verstopft, die sich hupend im Schritttempo durch die Menschenmengen an den Fußgängerüberwegen drängten. Wenn man die Augen zusammenkniff, fühlte Bonn sich in solchen Momenten ein bisschen an wie eine richtige Weltstadt.

Daniel saß auf einer Bank an der Haltestelle, welche die Spuren der Hauptstraße baulich trennte, und spielte gedankenverloren mit seiner Goldmünze. Ein Sammlerstück. Die hatte sein Großvater ihm geschenkt, und er hegte sie wie Dagobert Duck seinen ersten Kreuze. Das graue Drahtgeflecht der Bank drückte noch durch seine gepolsterte Jacke in seinen Rücken. Er hatte die Beine bis zur Kante des Bahnsteigs von sich gestreckt und beobachtete das Treiben. Wenn es doch nur einen Weg gäbe, aus Freitagen einen Gewinn zu schlagen! Ein findiger junger Mann mit Unternehmergeist sollte sich eigentlich etwas einfallen lassen. Und genau deswegen war er hier, denn er hatte eine Idee.

Nachdem die jüngste Aktion, zu der seine Eltern ihn gedrängt hatten, diese dämliche Ausbildungssache mit dem Drogeriemarkt, in die Hose gegangen war, befand Daniel sich mal wieder auf der Suche nach dem Ding – dem ganz großen Wurf, der ihn von so lästigen Notwendigkeiten wie Arbeit und Sparen ein für alle Mal befreien würde. Deswegen war er heute hier. Und um mit seinen Leuten einen draufzumachen. Wenn das klappte, wie er sich das so vorgestellt hatte … wer weiß, vielleicht war das ja endlich sein ganz großer Wurf?

Ein junger Mann in dunklen Klamotten und mit der Kapuze tief in die Stirn gezogen ließ sich zusammengesunken am anderen Ende der Bank nieder. Ohne Daniel anzusehen, murmelte er: »Rück schon die Kohle raus, sonst knallt‘s!«

Ihr alter Running Gag. Daniel sah zu den Typen rüber und grinste. »Amer, altes Haus! Wusste gar nicht, dass du auch pünktlich kannst!« Er steckte die Münze in die Hosentasche und klopfte noch einmal auf den abgewetzten hellblauen Stoff, um sicherzugehen, dass sie sicher verstaut war.