Hopfentod - Bernd Weiler - E-Book

Hopfentod E-Book

Bernd Weiler

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Beschreibung

Ein Tettnanger Hopfenbauer hängt tot in seinem Hopfengarten. Kein klarer Fall, wie Kommissarin Lorenz erkennen muss, denn der Tote wurde nicht erhängt. Seine verschiedenen Verletzungen deuten auf mehrere Täter hin. Was war beim Hopfenfest am Samstagabend tatsächlich passiert? Die Kommissarin und ihr Team ermitteln und suchen nach einem Anfang. Aber nur der Zufall bringt Kim Lorenz auf eine erste Spur, die zurück in die Vergangenheit führt. Dabei muss sie gegen eine Mauer aus Schweigen und Schuld kämpfen.

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Bernd Weiler

wurde in Eislingen/Fils geboren, studierte Anglistik und Germanistik in Tübingen und Leeds, arbeitet als freier Redakteur, Lektor und Schriftsteller. Neben zahlreichen Veröffentlichungen im Bereich Natur und Reisen schreibt er auch selbst Krimis. Weitere Krimis mit der Hauptkommissarin Kim Lorenz sind »Die Tote am Steg«, »Mama weint« und »Später Fall«. Bernd Weiler lebt mit seiner Familie in Pfullingen.

Bernd Weiler

Hopfentod

Oberschwaben-Krimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel+Spörer Verlags-GmbH+Co. KG 2012Postfach 16 42 · 72706 ReutlingenAlle Rechte vorbehalten.Titelbild: Marie, Michael und Ludwig LocherUmschlaggestaltung: Oertel + Spörer Verlag, Bettina MehmedbegovicSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-96555-040-7

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

So war das also, wenn der Tod kam. Er musste blinzeln, weil ihm die Sonne immer wieder direkt ins Gesicht schien. Nur die große Pappel am Ende des Hopfenfeldes verdeckte die beißenden Strahlen hin und wieder. Er hörte Kirchenglocken läuten. Drüben in St. Martin waren die Kirchgänger im Sonntagsstaat auf dem Weg zum Gottesdienst. Durch die hohen Hecken war ihnen der Blick auf ihn hoch droben in den Gerüststangen verwehrt. Dafür hatte er eine herrliche Aussicht auf die Kirche und den Kirchhof. Dort würde auch er bald liegen, wenn nicht noch etwas Besonderes passierte. Der Friedhof war leer an einem Sonntagmorgen, das war klar.

Obwohl, an einem Grab saß einer. Der kniete vielmehr und machte sich dort zu schaffen. Hans Schurr kannte sich aus auf dem Kirchhof. Schließlich war er Mitglied des Kirchengemeinderats und regelmäßiger Kirchgänger. Das war doch das Familiengrab der Glaubers, wo dieser junge Mann kniete. Der Frieder, fragte er sich, was machte der Frieder an einem Sonntagmorgen an dem Grab seines Vaters? Nun gut, heute, in seiner letzten Stunde, konnte er sich das eingestehen. Die Sache mit dem Glauber war nicht ganz sauber gelaufen. Er hatte einfach mehr gewusst, dank Herbert. Pech für Glauber, gut für ihn. Aber was machte der Junge ausgerechnet heute Morgen auf dem Kirchhof? Keine Gedanken für eine letzte Stunde, dachte er. Das bisschen Leben, das noch in ihm pulsierte, sollte er für anderes nutzen.

Wollte er zurückblicken, darauf, wie er sich das Ganze hier eingebrockt hatte? Vielleicht hatte er einfach nur Pech gehabt. Zu viele seiner Handlungen waren an einem Punkt zusammengekommen. Deshalb hing er jetzt hier oben und konnte auf die Kirche hinüberschauen. War es eine Leistung, wenn man von drei Menschen umgebracht wird? Gut, den einen wollte er jetzt nicht zählen, der hatte ihm nur eine übergebraten. Aber die anderen beiden hatten ihm nach dem Leben getrachtet, das hatte er in ihren Augen erkennen können. Sie hatte ihn mit hasserfülltem Blick angestiert, und der Junge? Da war ebenfalls Hass gewesen, aber auch ein bisschen Traurigkeit. Der hatte sicherlich gedacht, er wäre schon tot, dabei hatte er ihn noch genau gesehen im Scheinwerferlicht des Traktors, seines Traktors. Wie er die Seilwinde eingehängt und ihn dann hochgezogen hatte. Dann war er davongefahren in Richtung Hof.

Er spürte, wie ihm das Blut in die Beine lief. Unter den Armen schmerzte das Seil gewaltig. Der Druck in der Brust nahm zu und er spürte am Herzen einen Stich. Ausgerechnet am Herzen, dachte er, sein Herz war ein Grund, warum er hier oben hing. Er hatte sich verliebt. Das war es gewesen, was den ganzen Schlamassel ins Rollen brachte. Falsch verliebt, könnte man sagen, dachte er. Man verliebte sich nicht so einfach in seine Schwägerin. Das konnte nicht gut gehen. Na bitte, dachte er, hängend, es ging auch nicht gut. Sie hatten ihn erwischt und gestellt. Ein Wunder, dass das nicht schon viel früher passiert war. Die halbe Stadt hatte es doch gewusst oder zumindest von dem Gerücht gehört. Nur die beiden, die es eigentlich am meisten anging, die hatten bis zum Schluss keine Ahnung gehabt. Hatten sie weggeschaut? Er nicht, er hatte es einfach nicht wahrgenommen, aber sie, sie hatte doch bestimmt so eine Ahnung gehabt, da war er sich sicher. Aber, das war jetzt auch egal. Sein Lebenslämpchen ging aus. Er sah das theatralisch. Er wollte das theatralisch sehen. Er auf einer Bühne und dort unten die Zuschauer, die ihn hängen und sterben sahen. Er liebte das Theater, hatte es lieben gelernt, und nun durfte er so sterben!

Das war eine Einstellung, dachte er und hob den Blick wieder zur Kirche. Das war’s also, dachte er. Da bog einer der Kirchgänger vom heckengesäumten Weg ab und ging ins Hopfenfeld hinein, genau in seine Reihe. Es war doch noch eine Spur Hoffnung in ihm, das bisschen Leben vielleicht doch zu retten. Er schaute die sechseinhalb Meter nach unten und wartete, ob der Kirchgänger auftauchen würde. Offensichtlich musste sich der gute Mann erleichtern. Vielleicht auch ein Teilnehmer des Hopfenfestes am gestrigen Abend, das ihn selbst letztendlich das Leben gekostet hatte. Beinahe, dachte er noch, da sah er schon den Mann unter sich stehen. Er öffnete seinen Hosenladen und brunzte freudig drauflos. Aber wie sollte er ihn bemerken. Seine Beine baumelten in knapp fünf Metern Höhe. Als sein Vater den Hof noch führte, hätte er noch ein bis zwei Meter höher gehangen. Damals hatte man den Hopfen noch deutlich weiter hinaufwachsen lassen. Kleiner Trost, dachte der Hängende. Er wollte sich bemerkbar machen, aber kein Ton kam über seine Lippen. Das Seil um seinen Körper klemmte ihm den Brustkorb zusammen. Es fiel ihm immer schwerer zu atmen. Er hoffte darauf, dass der Mann nach oben schauen würde. Noch plätscherte es da unten. Dann packte der Mann ein. Er spürte, wie das letzte bisschen Leben langsam aus ihm wich. Noch schaute er nach unten. Da, ganz unglaublich, der Mann hatte seine baumelnden Schuhe bemerkt und hob den Kopf. Jetzt, dachte der Hängende, jetzt sieht er mich. Aber als der Mann entsetzt von unten nach oben auf den Hängenden schaute, blickte er in offen starrende, tote Augen.

Die Holztreppe des Hauses quietschte. Sie musste sich mal darum kümmern. So alt war das Haus doch noch nicht. Ihr Mann Herbert kam verschlafen die Treppe herunter. Es war gestern auf dem Hopfenfest dann wohl doch noch spät geworden. Eigentlich kannte sie das von ihrem Mann gar nicht, dass er so lange sitzen blieb und am Morgen beinahe nicht aus den Federn kam. Herbert setzte sich an den Tisch und griff nach einer Scheibe Brot, zog sich den Marmeladentopf an den Teller und begann, sich ein Brot zu streichen. Er würdigte sie keines Blickes.

»Morgen, Herbert. Ist was?«, fragte Marie vorsichtig.

»Du kannst fragen«, antwortete Herbert.

»Wieso?«

»Wieso?«, kam es laut zurück, »du fragst mich wieso?«

Marie schwieg. Sie wollte sich die Betroffenheit nicht anmerken lassen. Er hatte es also erfahren. Nun gut. Sie hatte sowieso eigene Pläne und darin spielte Herbert keine Rolle mehr. Die Kinder waren groß genug. Jetzt ging es einmal, zum ersten Mal in ihrem Leben, um sie selbst. Nicht mehr Kinder, Küche, Kirche und ein bisschen Mann. Leben wollte sie, so, wie sie sich das zusammen ausgemalt hatten. Sie betete heimlich, dass ihr Hans das packte. Schon so lange redeten sie von einem neuen Leben, gemeinsam. Sie war bereit. Sie hatte innerlich schon einen Schlussstrich gezogen. Aber Hans? Ob Vera auch nichts geahnt hatte? Die gemeinsamen Theaterbesuche und die Musical-Wochenenden. Zwar in der Gruppe, aber eben doch nur sie beide. Es hatte so kommen müssen, eines Tages. Das war ihr klar gewesen. Jetzt nur die Ruhe bewahren. Lass ihn nur kommen, den Mann, dachte sie sich.

»Wie ein Idiot bin ich dagesessen! Wie ein Idiot. Anscheinend haben es alle im Städtle gewusst, nur ich nicht!«

»Ich wollte es dir bald sagen«, sagte Marie mit fester Stimme.

»Bald! Toll! Bis dahin lauf’ ich mit Hörnern auf dem Kopf durch die Stadt und sitze im Amt, hier ein Getuschel, dort ein Gelächter. Gestern Abend haben sie mich dann hochleben lassen. ›Auf unseren bestbetrogenen Ehemann!‹, so haben die sich zugeprostet. Damit ist jetzt Schluss! Das wird der Hans nicht vergessen. Einem Herbert Lohr setzt man nur einmal Hörner auf!«

»Wie meinst du das?«, fragte Marie. Sie war über seine Reaktion überrascht. Hatte er denn nicht einmal etwas geahnt? Konnte das sein, fragte sie sich. Es war ihnen doch eigentlich klar gewesen, dass es eines Tages rauskommen würde, rauskommen musste.

»Der wird sich nicht mehr in deine Nähe trauen, das ist jetzt mal sicher!«

»Was hast du gemacht?«, fragte Marie mit inzwischen unsicherer Stimme.

»Den Denkzettel wird er so schnell nicht vergessen!«

»Was für einen Denkzettel?«

»Wirst schon sehen. Wo sind die Kinder?«, fragte ihr Ehemann.

»Thomas hat ein Fußballturnier und Sabine ist in der Kinderkirche«, antwortete Marie. Herbert stand auf, ließ Teller und Tasse stehen und ging zur Treppe. Er schlurfte mit seinen Hausschuhen über den Parkettboden.

»Ich pack ein paar Sachen zusammen. Hier bleib ich nicht mehr. Du brauchst mich zum Mittagessen nicht einzuplanen. Ich nehme mir ein Zimmer im Schützen!«, sagte er und stieg die ersten Stufen hinauf. Dieses Schlurfen, dachte Marie, das würde sie am wenigsten vermissen. Sie würde überhaupt wenig vermissen. Ganz schnell gingen ihr Gedanken durch den Kopf: Streiche die Rolle Herbert und frage: was fehlt? Wenig, antwortete sie sich in Gedanken prompt.

»Im Schützen? Bist du wahnsinnig. Dann weiß es ja gleich der ganze Ort!«

»Na und? Wahrscheinlich wissen das eh’ schon alle«, sagte er und ging ins Schlafzimmer. Marie räumte den Tisch ab. Wenn Herbert im Schützen ein Zimmer nahm, dann war es raus. Das war wie ein Artikel in der Zeitung. Sie musste Hans Bescheid geben. Der musste darauf vorbereitet sein. Das Telefon klingelte. Marie nahm ab.

»Hallo Vera!«, sagte sie. »Der Hans, nein, bei uns nicht. Nein, ich hab’ keine Ahnung. Warte mal. Herbert!«, Marie Lohr rief laut durchs Treppenhaus.

»Was gibt es?«, kam es dumpf zurück.

»Weißt du, wo der Hans sein könnte?«

»Keine Ahnung. Wahrscheinlich liegt er in der Scheuer«, rief Herbert herunter.

»Herbert meint, eventuell in der Scheuer. Keine Ahnung, wie der darauf kommt«, sprach Marie in den Hörer. »Ja, tut mir leid, tschüss denn, Vera«, sagte Marie und legte auf.

»Wieso soll der Hans in der Scheuer sein?«, fragte sie nach oben.

»Da hab’ ich ihn zum letzten Mal gesehen. Sah nicht sehr gut aus, der Mann!«, rief Herbert herunter, der mit seinem Koffer oben am Treppenabsatz stand.

»Nicht sehr gut? Was soll das denn heißen?«

»Hab’ ihm halt eine verpasst!«

»Du?«

»Ja, stell dir vor, ich!«

»Wegen mir?«

»Eher wegen mir. – Ich geh’ dann. Bin im Schützen zu erreichen, morgen dann auf dem Amt.« Herbert kam mit seinem kleinen Handkoffer die Treppe herunter. Er würdigte seine Frau keines Blickes, zog sein Jackett an und ging zur Tür hinaus. Das Ende einer Ehe, dachte Marie. Das war vorbei, endlich. Aber das mit Hans ließ ihr keine Ruhe.

Sie durfte sich nichts anmerken lassen, dachte Vera Schurr. Was passiert war, war passiert. Das konnte sie nicht mehr rückgängig machen. Er hatte sie provoziert. Dann geschah ihm das recht. Sie hatte all das so satt. Wie viele Jahre hatte sie gehofft und gehofft. Schließlich war sie damals geblieben, obwohl sie für sich selbst andere Pläne gehabt hatte, als Hopfenbäuerin zu werden. Aber da war der junge fesche Hans gewesen und ein beachtlicher Hof mit einem guten Auskommen. Warum nicht, hatte sie damals gedacht. Dann gab es da aber auch eine Schwiegermutter. Der Mann früh gestorben. Lange Jahre war sie die Chefin auf dem Hof gewesen. Als Vera kam, war sie der Eindringling, die Fremde, eine von auswärts, die keine Ahnung von der Landwirtschaft hatte. Eine, die nicht nur den lieben Sohn wegnahm, sondern auch noch Ansprüche auf die Leitung des Hofes anmeldete. So hatte sich der Streit im Hause Schurr eingenistet. Schwere Jahre, dachte Vera. Dann die Kinder. Sie hatte gehofft, das würde die Situation etwas auflockern. Aber Pustekuchen. Die Schwiegermutter wurde immer seltsamer. Sie versuchte, Vera schlecht zu machen, wo es ihr möglich war. Hatte sie einen Kuchen im Backofen, verstellte sie die Temperatur und stritt hinterher alles ab. Die Kinder waren es dann immer gewesen. Die waren ihr zu laut und ungezogen. Aber es waren halt Kinder. Die Kinder hatten Angst vor ihr, denn hin und wieder hieb sie ihnen mit dem Stock auf ihre Hintern, wenn sie sie erwischen konnte. Hans war damals nun wirklich keine Hilfe gewesen. Seine Mutter!

Sie. Sie hatte das ausgehalten. Jahr für Jahr. Die Kinder waren herangewachsen und das Problem Schwiegermutter hatte der liebe Gott auf seine Art gelöst. Sie hatte aufgeatmet. Nur der Hans war immer komischer geworden. Plötzlich hatte er seine Ader für die Kunst entdeckt. Ausstellungen, Theater und Musicals. Jedes zweite Wochenende, wenn es der Betrieb einigermaßen zuließ, war der Hans unterwegs. Mal in der Gruppe, dann wieder alleine. Dass er sie mal gefragt hätte, ob sie mitwolle. Nichts. Ein ungutes Gefühl im Bauch war immer stärker geworden. Sie war eigentlich nicht misstrauisch, konnte sich aber des Verdachts nicht erwehren, dass da was lief mit einer anderen. Gestern Abend dann Gewissheit. Hamburg, Cats, und dann, sehr nobel, Hotel Lindner, ein Doppelzimmer, über zweihundert Euro die Nacht. Ein Doppelzimmer. Er war allein gefahren. Aber auch Marie Lohr war in Hamburg gewesen, das hatte sie gehört. Wenigstens das. Den Reim darauf, den musste sie sich dann selbst machen. Na also, dachte sie. Zwar war sie traurig, weil ihr Verdacht sich bestätigt hatte, andererseits war sie auch froh, dass ihr Gefühl sie nicht getrogen hatte. Sie hatte den Beleg in seiner Jackentasche gefunden, als sie den Autoschlüssel suchte. Der Klassiker, hatte sie noch gedacht, den Beleg eingesteckt und sich am Verkaufsstand beim Hopfenfest entschuldigt. Als sie ihn am Stammtisch suchte, war ihr wohl die Stimmung am Gesicht abzulesen gewesen. Sie reagierten mehr oder weniger gelassen, als ob eine längst fällige Rechnung nun zu begleichen anstand. Sie fand ihn schließlich in der Scheuer. Er wirkte angeschlagen, stand unsicher auf seinen Beinen. An der Stirn hatte er eine Wunde, die stark blutete.

Sie hatte ihn mit dem Beleg konfrontiert. Er hatte gelacht. Nun wisse sie es ja endlich. Sie solle sich nicht so anstellen. Es sei alles vorbereitet, hatte er gesagt. Sie solle sich keine Sorgen machen, für sie und die Kinder bliebe ein guter Teil übrig. Am Montag würde er die Verträge unterzeichnen, dann sei es vorbei mit Hopfen und Obst. Einen guten Preis würde er für alles bekommen und neu anfangen. Mit Mitte vierzig ginge das noch gut. Mit ihr, hatte sie gefragt, und er hatte wieder gelächelt. Das würde sie vielleicht interessieren, ginge sie aber doch eigentlich nichts an. Es sei wohl ein Fehler gewesen, damals, meinte er noch. Sie wollte ihm dieses Lächeln ins Gesicht zementieren. Woher hatte er die blutige Schramme an der Stirn. Er wirkte wie aufgedreht und nicht ganz bei sich. Sie ging auf ihn los, hämmerte mit ihren Fäusten gegen seine Brust. Er lächelte weiter. Dann war da die Heugabel. Er ging zu Boden. Sie hatte nicht mehr hingeschaut. Ihre Wut war erloschen. Da war nur noch Traurigkeit gewesen. Im ersten Moment eine sehr große Traurigkeit, fast hätten ihre weichen Knie nachgegeben. Aber sie hatte sich gefasst, hatte die kleine Tür neben dem großen Scheunentor geöffnet und war hinausgegangen. Am Stammtisch sangen sie ein Trinklied: »Kommt Brüder wir trinken noch eins, denn wir sind noch so jung und schöööön!« Dann hoben sie die Humpen und stießen an. Keiner von ihnen bemerkte Vera, als sie an ihnen vorbei und wieder zum Verkaufsstand hinüberging. Wenigstens einmal hatte diese Sauferei etwas Gutes, dachte Vera noch.

Der hängt ziemlich hoch«, meinte Polizeimeister Georg Haberer. Ein echter Toter. Das hätte er sich in seinem letzten Jahr im Amt auch nicht mehr träumen lassen. Da schlug man sich Jahr um Jahr mit Sachbeschädigungen, kleinen Diebstählen und Falschparkern rum und dann so etwas. Sie beide vom Revier Tettnang mitten in einer Mordsache! Ein Highlight zum Ende der Karriere. Mit ein bisschen Glück würden sie die Schlagzeile der Schwäbischen Zeitung schaffen. Mit Bild, womöglich. Vielleicht sollte er die Presse selbst anrufen. Ein Bild vom hängenden Toten und ihnen beiden. Das wäre doch was! Bildunterschrift: »Der Tote im Hopfen, darunter unsere beiden wackeren Polizisten Haberer und Treu«. Aber das konnte er nicht riskieren. Der Mitterer würde das rauskriegen, und in solchen Dingen war mit dem Kriminalkommissar nicht zu spaßen.

»So hoch wie d’r Hopfa halt. Aber komisch, der hängt gar it am Hals!«, meinte sein Kollege Hubert Treu. Für den war das eher ein Höhepunkt seiner noch jungen Karriere. Der sah sich schon in Sonderermittlungsgruppen bundesweit agieren. Polizistenträume. Haberer schaute noch mal nach oben. Das stimmte, was sein Kollege sagte. Der Mann hatte das Seil nicht um den Hals, sondern unter den Armen. Wie konnte das denn gehen?

»Schtimmt, Hubert, du hosch recht! Wie ka denn sowas ganga?«

»Efter mol was neis, däd i saga!”, sagte Treu lächelnd. Eine innerliche Freude ließ seine Augen leuchten. Wie der Tote hing, das war ihm ziemlich egal. Hauptsache, da hing einer, und tot war der auf jeden Fall.

»Hosch em Mitterer agrufa?«, fragte Haberer.

»Kommt«, sagte Treu.

»Der wird wahrscheinlich en Friedrichshafa aruafe«, meinte Haberer.

»Des send doch so wenig. Do kommt sicher wieder Konschtanz«, sagte der Kollege.

»Do gibt’s a Neie, des war doch en d’r Zeitung«, dachte Haberer laut vor sich hin.

»Schtimmt, Kommissarin Lorenz, Schwäbin ond guat, hend se gschrieba«, wusste Treu.

»A Frau halt«.

»Do wird d’r Mitterer a Freid han«, lachte Polizist Treu.

»Ond was fir oine«, fiel Haberer in das Lachen seines Kollegen ein.

Die beiden Polizisten taten das, was sie zum einen in ihrer Ausbildung gelernt, zum andern so oft im Fernsehen gesehen hatten. Sie sperrten den Fundort der Leiche weiträumig ab. Mit den vielen Stangen des Hopfengerüsts war das eine relativ leichte Übung, dachte Haberer. Was machte man eigentlich, wenn mal keine Befestigungsmöglichkeiten vorhanden waren? Eine Frage, die ihn im Augenblick überforderte. Sie vollendeten ein großes Rechteck und scheuchten die schaulustigen Kirchenbesucher, die Gottesdienst hatten Gottesdienst sein lassen und nun neugierig im Hopfenfeld standen, weg. Treu verkniff sich den Satz: Hier gibt es nichts zu sehen. Denn hier gab es sehr wohl etwas zu sehen. Wer hatte denn schon einmal einen ortsbekannten, reichen Hopfenbauern auf seinem eigenen Feld in sechs Metern Höhe hängen sehen. Das war für Tettnang, für die ganze Gegend doch eine Sensation. Ein richtiger Mord im ruhigen Bodensee-Hinterland. Nicht, dass am Bodensee der Bär los gewesen wäre, immerhin hatten die einen »Tatort«, der immer wieder mal sonntags, zumindest fiktiv, den Tod an den Bodensee brachte. Aber hier in Tettnang? Hubert Treu konnte sich in seiner Dienstzeit an kein Kapitalverbrechen erinnern. So was ähnliches wie einen bewaffneten Überfall hatten sie vor Jahren mal gehabt. Da war einer mit einem Messer auf einen Tankstellenkassierer losgegangen. Dieser hatte allerdings bei der Bundeswehr eine Nahkampfausbildung genossen. Der Tankstellenräuber hatte die Sache überlebt, wenn auch reichlich malträtiert. Tja, und dann noch die Sache mit den Terroristen von Al Quaida, das war was gewesen!

»Hubert, was treimsch denn?«, unterbrach Georg Haberer die Erinnerungen seines Kollegen, »heb doch des Band, sonscht kommet mer do it num!«

Hubert Treu schaute den Kollegen entschuldigend an und nahm das Band auf. Kaum hatten sie das Rechteck geschlossen, traf auch schon die Spurensicherung aus Friedrichshafen am Fundort ein. Zumindest einen der drei Männer kannten die beiden Polizisten recht gut. Denn Gernot Fallgruber war ein alter Tettnanger, arbeitete zwar in Friedrichshafen wie so viele, wohnte aber nach wie vor am Ort. Am Feldweg hielt nun auch der Kombi des Gerichtsmediziners. Der stieg mit seinem Arbeitskoffer aus und kam zusammen mit Fallgruber auf die beiden Polizisten zu.

»Die Ortspolizisten Haberer und Treu«, stellte Gernot Fallgruber die beiden vor.

»Das ist Doktor Jens Martin, der Gerichtsmediziner aus Konstanz«, erklärte er den beiden Polizisten.

»Haberer«, sagte Haberer.

»Treu«, sagte Treu.

»Martin, angenehm«, sagte der Doktor, »und bitte, lassen Sie den Doktor weg, den braucht es hier nicht, der gehört in die Universität.«

Er betrachtete die beiden Dorfpolizisten mit einem feinen Lächeln. Das war vielleicht ein Duo. Der deutlich ältere von beiden, Haberer, wohlgenährt und pausbäckig, der andere, Treu, ein junger Kollege, ein Strich in der Landschaft. Unterschiedlicher konnte so eine Kombination eigentlich nicht sein, dachte der Doktor, als er auf den Fundort zuging. Die Spurensicherer hatten den Toten fotografiert und abgenommen. Das war aus dieser Höhe gar nicht so einfach gewesen. Ohne einen Hopfenbauern, der mit Traktor und Kanzel zum Helfen geholt worden war, wäre ihnen das unmöglich gewesen. Eine Identifizierung hatte auch schon stattgefunden, denn der Tote war nicht nur den beiden Dorfpolizisten wohlbekannt. Man kannte Hans Schurr in Tettnang anscheinend.

»Kein Zweifel?«, fragte Doktor Martin.

»Hundertprozentig, das ist Hans Schurr«, antwortete Gernot Fallgruber. »Ein bekannter Mann in Tettnang. Einer der größten Hopfen- und Obstbauernhöfe in der ganzen Gegend. Dann noch Mitglied im Stadtrat und Kirchengemeinderat. Kein netter Mensch, allerdings.«

Doktor Martin schaute den Spurensicherer erstaunt an. »Wie meinst du das?«

»Bekannt war er schon. Beliebt aber eher nicht, würde ich sagen. Er schaute sehr gern nach sich und seinen Interessen. Überall hatte der seine Finger drin und war darauf bedacht, dass was für ihn heraussprang. Es wird viel geredet über ihn. Meist nichts Gutes. Oft zwar nur Gerüchte, aber du weißt ja, ein Fünkchen Wahrheit ist dann doch meist dabei.«

Doktor Martin schüttelte erstaunt den Kopf.

»Aber er war doch auch Gemeinderat!«, unterbrach ihn der Mediziner, »da hat man doch Verpflichtungen, Regeln und vor allem Gesetze!«

»Das schon«, fuhr Fallgruber fort, »aber er soll seine Position im Gemeinderat zum eigenen Vorteil ausgenutzt haben. Der wusste sich zu helfen, hört man.«

Während Fallgruber über Hans Schurr redete, hatte Doktor Martin den Toten untersucht.

»Er war nicht am Hals aufgehängt, habe ich das richtig verstanden?«

»Genau, das Seil ging unter den Armen durch, also wie eine Schlinge um den Körper«, antwortete Gernot Fallgruber.

»Das nächste Mal, bitte beachten, Gernot, nicht herunternehmen. Ich möchte den Toten so sehen, wie er aufgefunden wurde! Das kann in einem solchen Fall wie hier ganz entscheidend sein.«

»Okay, Jens, da waren meine Leute mal wieder etwas zu schnell. Ein paar Bilder und runter den Mann. Tut mir leid«, sagte der Spurensicherer kleinlaut. Immer wieder passierten solche Fehler. Nun gut, allzu oft hatten sie nicht die Gelegenheit, einen Toten aufzufinden und einen Tat- oder Fundort zu sichern. Aber gelernt hatten das alle im Team. Er musste sich anschließend darum kümmern, wie das hatte passieren können.

»Die Körpertemperatur liegt immerhin noch bei knapp über 36 Grad Celsius. Das könnte bedeuten, dass der Tote nicht mehr als ein bis zwei Stunden tot ist. Bei diesen Temperaturen können das auch drei Stunden sein.«

»Gefunden wurde die Leiche gegen halb zehn von einem Kirchgänger«, sagte Gernot Fallgruber.

»Was hat er ausgesagt?«

»Die Beamten haben ihn noch nicht vernommen. Das wird Robert Mitterer machen oder die Kommissarin, wenn sie denn kommt«, antwortete Fallgruber.

»Das wird kein einfacher Fall, Gernot, das kann ich dir sagen. So, wie der aufgehängt wurde, ist er bestimmt nicht am Hängen gestorben. Ich sehe ein Hämatom an der Stirn und an der Brust Blutflecken. Sehr seltsam.«

Gernot Fallgruber schüttelte nur den Kopf. Wieder mal kein einfacher Fall. Wäre zu schön gewesen. Er machte sich mit seinen Assistenten an die Untersuchung des Fundortes. Sie teilten die Fläche innerhalb der Markierungsbänder in Quadrate ein und untersuchten akribisch Feld für Feld.

»Sieht nach Fremdeinwirkung aus«, meinte Georg Haberer, der dem Doktor über die Schulter schaute.

»Sie sind ja a Schlaule«, meinte der Doktor nach hinten zu Haberer, »wie soll der sich denn in sechs oder sieben Metern Höhe selbst aufghängt han?« Jens Martin schüttelte nur ungläubig den Kopf.

»Da hat natürlich einer nachgeholfen. Ob das allerdings der Mörder war, das würde ich erst einmal offen lassen.«

Solcherart gemaßregelt wandte sich Georg Haberer ab und konzentrierte sich auf seine Aufgaben. Jetzt ging es vor allem darum, die schaulustige Menge hinter den Absperrbändern zu halten. Inzwischen war die Kirche aus und natürlich fielen die Fahrzeuge mit den Blaulichtern genauso auf wie die immer größer werdende Menschenmenge, die sich um den Fundort der Leiche bildete.

»Bitte zurückbleiba, Leit!«, rief Haberer mit lauter Stimme. Treu, der auf der anderen Seite des Absperrbandes stand und ebenfalls bedrängt wurde, schien nervös zu werden. Das waren die beiden Beamten nicht gewohnt.

»Wenn ihr nicht gleich zurücktretet, dann machen wir von unseren Schusswaffen Gebrauch!«

»Schpinnscht du, Hubert?«, rief Georg Haberer, »koi Sorg, d’r Kollege hot nur en Scherz gmacht, gell«, sagte Haberer zu den Umstehenden, die beim Wort ›Schusswaffe‹ zusammengezuckt waren.

»Trotzdem, bitte zurücktreta!«, rief Treu.

»Genau, Hubert, bitte, des isch wichtig!«

Ob er wohl tot ist, ging es Herbert Lohr auf dem Weg zum Gasthof Schützen durch den Kopf. Er wollte bereuen, und doch fand er in sich nichts von einem schlechten Gewissen wegen des vergangenen Abends. Als er den Hans hatte in die Scheune gehen sehen, hatte er die Gelegenheit genutzt. Wieder waren am Stammtisch Andeutungen gemacht worden. Ob er seine Hörner unterm Hut tragen würde und so was. Er hatte das allgemeine Gelächter nicht mehr ausgehalten, wollte endlich Klarheit. Seine Frau Marie war ihm immer wieder ausgewichen. Da sei nichts, alles reiner Zufall, dass sie hin und wieder im selben Bus mit dem Hans fahren würde. Der sei halt auch an Kunst interessiert. Er halt nicht, nun ja. Und er – hatte ihr geglaubt. Vielleicht, weil es einfacher für ihn war, weil ihm das dann nicht wehtat.

Er tat sich eben schwer mit Theater und Ausstellungen. Das war nicht seine Welt. Das war ihm zu künstlich, zu weit weg. Da fand er sich nicht wieder, da konnte er sich nicht hineindenken. Vielleicht fehlte ihm dafür einfach der Sinn. Seine Welt befand sich im Kellergeschoss. Seit die Zwischenwand raus war, hatte er die Anlage auf über zwölf Quadratmeter erweitern können. Jede freie Stunde verbrachte er mit seinen Zügen. Da gab es immer etwas zu reparieren oder auszubauen. Diese Leidenschaft hatte er von seinem Vater geerbt, zusammen mit den schönsten Loks der Traditionsmarke Märklin. Solche Kostbarkeiten wurden heutzutage fast mit Gold aufgewogen. Zum Spaß hatte er einige mal schätzen lassen und war bei den genannten Summen richtiggehend blass geworden. Wenn das stimmte, dann stand ein Mittelklassewagen in seinem Keller.

Aber Marie konnte und wollte das nicht verstehen. Sie ging ihre eigenen Wege. Zuerst hatte er gedacht, warum nicht. Die Kinder brauchten die Eltern kaum mehr. Da war eh nur noch Versorgung angesagt. Mit seinem Beamtengehalt und Maries halber Stelle kamen sie ganz gut klar. Marie hatte ihr eigenes Geld. Also sollte sie damit machen, was sie wollte. Das war in Ordnung für ihn.

Bis das Thema Hans Schurr auftauchte. Vielleicht hatte er zu heftig reagiert. Aber der eigene Schwager! Vom Mann seiner Schwester erwartete er jedenfalls eine andere Haltung in solchen Dingen. Das war eine klare Tabuzone. So weit durfte man nicht gehen.

Das hatte er ihm in der Scheuer auch gesagt. Unter Umständen wäre für ihn dann der Fall erledigt gewesen. Vielleicht hätte die Sache ja noch unter den Teppich gekehrt werden können. Ein schnelles Ende dieser Beziehung und sie hätten so weiterleben können wie bis dahin. Wäre das möglich gewesen, fragte er sich. Hätte er das ausgehalten, dann zu wissen, da war ein anderer? Aber dann hatte Hans von baldigen Konsequenzen gesprochen. Was für Konsequenzen, hatte er ihn gefragt. »Wirst schon sehen, Herbert, mach dich auf ein ruhiges Junggesellenleben gefasst«, hatte der Hans gemeint, »dann kannst du dich ganz deiner Modelleisenbahn widmen, sie vielleicht sogar mit ins Bett nehmen!« Dann hatte er gelacht, so richtig aus dem Bauch heraus, wie das nur wenige konnten.

So war der Hans Schurr, immer nur nehmen und die anderen auslachen, weil sie zu zurückhaltend waren. Wenn der nicht dicht hielt, kam womöglich die Sache mit den Feldern ans Licht. Dann war er dran. Wer zwei und zwei zusammenzählen konnte, musste über kurz oder lang auf ihn kommen. Denn woher sollte der Hans das sonst gewusst haben, welche Gemarkungen für den Hopfenanbau freigegeben werden würden. Freilich hatte er dem Hans damals den Tipp gegeben. Der Glauber hatte das Geld doch brauchen können. Dann hatte sich der Hermann Glauber aufgehängt. Das hatte ihn tief getroffen damals. Der Sohn musste die Felder verkaufen und die gepachteten abgeben. Er wohnte zwar noch auf dem Hof in einem der Nebengebäude, bezog aber, wie Herbert aus dem Amt wusste, Hartz IV-Leistungen. Eine traurige Geschichte, an der er nicht ganz unschuldig war.

Er hatte keine Ahnung, warum der Prügel da rumgelegen hatte. Keine Ahnung, warum er ihn plötzlich in der Hand gehalten und dem Hans damit eine über den Schädel gegeben hatte. Hans hatte aufgestöhnt und war zu Boden gegangen. Er hatte den Prügel ins Heu geworfen und war schnell zur Scheunentür hinaus. Wenn er ihn nun doch tödlich getroffen hatte? Ob ihn jemand gesehen hatte, fragte er sich. Er musste darauf vertrauen, dass er im allgemeinen Festtrubel unerkannt aus der Scheuer gekommen war. Hatte er zu fest zugeschlagen? Wie fest? Er konnte sich nicht erinnern. Es war da eine Wut in ihm gewesen, die musste raus. Da kam der Prügel gerade recht. Er hatte zugeschlagen, mit Wucht, und jetzt war der Hans vielleicht tot. Wenn ihn jemand gesehen hatte, dann war er wirklich dran. Alles da, Motiv, Tatwaffe und vielleicht sogar Fingerabdrücke.

Sie mochte das nicht. Vor allem nicht an einem so schönen, sonnigen Sonntagmorgen. Unter der Woche ließ sie sich das noch gefallen, aber am Wochenende störte sie das gewaltig. Vor allem, wenn ihr Freund Peter aus Freiburg zu Besuch war. Schließlich waren bei so einer Wochenendbeziehung, wie der Name schon sagte, die Wochenenden elementar wichtig. Sonst war es eigentlich keine Beziehung mehr. Diese Hochs und Tiefs hatten sie zusammen schon mehrmals durchleben müssen. Sie auf der Polizeihochschule in Karlsruhe, Peter studierte in Konstanz. Sie kam nach der Ausbildung zur Kriminalpolizei nach Konstanz. Peter erhielt eine Lehrerstelle in Freiburg. Die Entfernungen waren ähnlich geblieben, nur die Orte hatten sich geändert.

Nachdem Hauptkommissarin Kim Lorenz den Telefonanruf erhalten hatte, musste sie Peter wieder mal erklären, dass es mit dem gemeinsamen Frühstück an diesem Sonntagmorgen nichts werden würde und dass auch die weitere Tagesplanung ohne sie stattfinden musste. Noch nahm er es gelassen, versuchte, Verständnis für diesen seltsamen Beruf aufzubringen. Immerhin stammte er aus Konstanz und konnte sich so wenigstens bei Muttern zum Mittagessen einladen. So richtig trösten konnte ihn das allerdings auch nicht.

Sie packte sich ein paar Sachen zusammen. Es konnte sein, dass sie vor Ort übernachten würde. Immerhin lag dieses Tettnang im Hinterland des Bodensees bei Friedrichshafen. Zurzeit wohnte sie noch im Wohnwagen eines Onkels auf dem Campingplatz in einem kleinen Ort namens Horn, auf der Höri, direkt am Bodensee. Da würde sie wohl an die anderthalb Stunden für einen Weg brauchen. Also war es besser, Sachen für ein oder zwei Übernachtungen mitzunehmen. Sie fand es sowieso spannender, im Ort zu wohnen und am Abend am Stammtisch ein wenig in den Ort hineinzuhorchen, wie sie das nannte. Sie drückte ihrem Freund Peter Lange zum Abschied einen dicken Kuss auf den Mund und umarmte ihn fest.

»Nächstes Wochenende?«, fragte er. »Denk dran, ich hab’ Ferien!«