Mama weint - Bernd Weiler - E-Book

Mama weint E-Book

Bernd Weiler

4,5

Beschreibung

Ein Serienmörder hält die Bodenseeregion in Atem: Innerhalb von wenigen Wochen treiben zwei blonde Frauenleichen ans Ufer. Die jungen Frauen kamen alle auf die gleiche Art ums Leben. Am Abend fährt wieder ein Ruderboot hinaus auf den See und eine weitere Frauenleiche wird ans Überlinger Seeufer gespült. Hauptkommissarin Kim Lorenz leitet die Überlinger Sonderkommission, die jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt findet, um dem „Tottaucher“ auf die Spur zu kommen. Darum will eine wackere Bürgerwehr die Mördersuche selbst in die Hand nehmen. Und tatsächlich kommt sie dem Täter eines Nachts sehr nahe…

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Über dieses Buch

Am Abend fährt wieder ein Ruderboot hinaus auf den See. Der junge Mann darin hievt etwas über den Bootsrand und leuchtet dem versinkenden Sack mit einer Taschenlampe hinterher. Seine Mutter wird am nächsten Morgen wieder einmal eine blonde Locke auf ihrem Nachttisch finden. Hat er schon wieder eine neue Freundin, der Junge, wird sie sich denken. Dabei will er nur, dass seine Schwester Sabine zurückkommt.

Eigentlich sollte sich Kriminalkommissarin Kim Lorenz auf die Ordnung ihres Privatlebens konzentrieren. Die Beziehung mit Peter Lang steckt in einer Krise und die beiden haben beschlossen, dass eine begrenzte Trennungszeit das richtige Heilmittel sein soll. Nicht einfach für die Kommissarin, die in ihrem Grübeln von einem Anruf aus Konstanz unterbrochen wird. Die Leiche eines jungen Mädchens war in Überlingen ans Ufer gespült worden.

Schwierige Ermittlungen für Kommissarin Lorenz. Keine richtigen Spuren und schon gar keine Zeugen. Sie lässt das Seeufer verstärkt überwachen. Da die örtliche Polizei überfordert zu sein scheint, patrouilliert eine Bürgerwehr in der Dunkelheit am Seeufer. Einer sieht etwas, doch er kann dann nichts erzählen …

Bernd Weiler, 1959 geboren, studierte Anglistik und Germanistik in Tübingen und Leeds. Als Freier Redakteur und Autor arbeitete er bei zahlreichen Reise- und Naturführern mit. Mehrere Mundarthörspiele wurden vom SWR produziert. Seit einigen Jahren schreibt er auch Krimis. »Mama weint« ist der dritte Fall mit seiner Kommissarin Kim Lorenz, der wie die anderen beiden Krimis »Hopfentod« und »Die Tote am Steg« am Bodensee spielt.

Bernd Weiler

Mama weint

Ein Bodensee-Krimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen.

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH+Co. KG 2015

Postfach 16 42 · 72706 Reutlingen

Alle Rechte vorbehalten.

Titelbild: Angela Hammer, Gomaringen

Umschlaggestaltung: Oertel + Spörer Verlag, Bettina Mehmedbegović

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-88627-325-6

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:

www.oertel-spoerer.de

Für Jutta und Eddy

Er mochte es, wenn die letzten Luftblasen aufstiegen. Wenn er mit seiner Lampe steil ins Wasser leuchtete, dann waren es helle Kugeln, die ihm langsam entgegenstiegen. Heute Nacht war der See ruhig. Kein Luftzug war zu spüren. Sie würden heute auch nicht kommen und ihn finden. Heute auch nicht. Er schaute noch einmal in die Tiefe. Im Lichtstrahl der Taschenlampe konnte er ihr Gesicht deutlich erkennen. Sie sah aus, als ob sie schlafen würde. Die Augen geschlossen. Sie hatte lange Wimpern, wahrscheinlich falsch, dachte er. Ihre Haare bewegten sich tanzend. Er schaute ihnen zu und wiegte mit dem Kopf mit. Es ging hin und her, wie ein blonder Wald, der sich zu einem Wind bewegte. So mochte er sie. Die Mädchen. Wenn sie dort unten waren, dort wo sie gestorben war, starben sie auch. Ihren langsamen Tod, so wie sie. Er hatte ihnen Adieu gesagt. Guten Abend und Adieu. Mehr sagte er zu ihnen nicht. Er wollte nicht mit ihnen reden. Das hatte Sabine getan, seine Schwester. Seine Schwester, die tot war. Weil sie tot sein wollte. Das hatte er nie verstanden. Tot sein wollen. Auch Mama hatte das nie verstanden.

Es kam ein Wind auf. Das Boot schlingerte zur Seite und er verlor den Punkt aus den Augen. Wo war sie denn? Er wollte doch noch hinabwinken. Ein letztes Adieu. Er setzte sich auf die Bank und nahm die Riemen auf. Dort drüben war es gewesen, wenige Meter vor dem Gebüsch am Ufer. Er versenkte sie nicht tief. Nur soweit, dass er ein Seil brauchte. Die alten Gewichte waren gut. Die flutschten richtig hinab, wenn er sie angebunden hatte. Sieben waren es gewesen, die er gefunden hatte. Sieben alte Bleiklötze mit mindestens zwanzig Kilo Gewicht. Mindestens, denn er konnte sie kaum lupfen. Aber das funktionierte. Er hatte keine Ahnung, wozu diese Gewichte einmal verwendet worden waren. Zum Wiegen waren sie zu grob, zu einfach, zu rau, was auch immer. Er wusste es halt nicht. Das war ja auch egal. Er hatte ja noch vier. Dann würde er weitersehen. Irgendein Gewicht gab es immer. Würde es geben, da war er sich sicher.

Mit einem weiteren Ruderschlag hatte er die Stelle erreicht. So schwer zu finden war sie eigentlich nicht, denn er hatte wie immer eine kleine weiße Rose an einem dünnen Faden an die Leine gebunden. So fanden sie die Mädchen leichter. Aber er auch, wie jetzt. Die kleine Rose trieb vor ihm im Wasser. Er leuchtete hinunter und sah sie. Das Mädchen. Sah sie, das Mädchen Marie. Ein Reim. Er würde sich daran erinnern. Vielleicht hieß sie wirklich wie seine Mutter. Aber nun war sie dort unten auf der Suche.

Als er ihr Gesicht anleuchtete, lächelte sie. Ein feines Lächeln, dachte er, denn ihre Mundwinkel zogen sich nicht weit auseinander, sondern blieben schön im Rahmen für ein dezentes Lächeln. Sehr gut, Mädchen Marie. Auch sterben will gelernt sein. Er lachte. Aber nicht laut, denn sie waren vielleicht ganz in der Nähe. Sie suchten ihn. Die Zeitung hatte das geschrieben. Sie suchten jemanden, der unschuldige Mädchen versenkte, tot. Den suchten sie. Ihn suchten sie. Das wusste er. Aber sie wussten sonst noch gar nichts. Sie hatten nur tote Mädchen aus dem See gefischt. Mehr nicht. So weit waren sie mit ihren Ermittlungen. So weit. Sollten sie doch. Ihm würden sie nicht auf die Spur kommen. Sein Plan war klar, den hatte er sich lange ausgedacht. Es würde weitergehen, bis zum letzten Gewicht. Zum Abschied fuhr er immer noch mit dem Boot eine kleine Runde um die kleine weiße Rose. Dann fuhr er zurück, wenn wahrscheinlich keine Luftblasen mehr nach oben stiegen.

Er nahm Abschied vom Mädchen. Streichelte die kleine Rose ein letztes Mal und wartete einen Moment, ob das Mädchen auch noch was zu sagen hätte. Aber keine Luftblase stieg mehr nach oben. Das Mädchen wollte, konnte nichts mehr sagen. Das Mädchen Marie war tot. Dort unten tot. Sie war jetzt auf der Suche. Er hatte auch ihr eine Locke abgeschnitten. Die würde er Mama auf den Nachttisch legen. Vorher noch trocknen, natürlich. Das machte er immer. Aber dann die Locke auf den Nachttisch. Damit Mama nicht mehr weinte.

Kim Lorenz konnte den Herbst am See in diesem Jahr nicht genießen. Was sollte sie mit dieser Abendsonne anfangen, die so herrlich leicht über den See ans Ufer strich. Wie ein Lichtpinsel warf sie ihre Strahlen auf die buschbegrenzten Wiesen, dann über die Häuser mit ihren wohlgepflegten Gärten. Sie hatte kein Auge dafür, sie hatte auch keine Stimmung dafür. Das spürte sie genau. Warum konnte sie nicht einfach ja sagen, und damit war die Sache erledigt. So, wie in ihrem Job. Ja, und fertig. Hier ginge das nicht, so leicht nicht. Für sie gab es kein ja, zumindest jetzt noch nicht. Sie hatte mit Peter lange darüber geredet, oft darüber gesprochen, sie hatte sich den Mund fusselig geschwätzt. Es war für sie noch nicht die Zeit. Sie selbst war noch nicht so weit. Das war doch alles noch so weit weg. Sie wusste das, sie hatte das immer gewusst. Es würde mal ein Punkt kommen, dann stellt er dich. Das war doch so gewesen, nach dem Fall in Gaienhofen. Sie hatte das Essen noch absagen können, von wegen irgendwie ging es ihr nicht gut und so. Dann hatte sie Peter zur Rede gestellt. Zu Recht, wie sie fand, das musste sie ihm zugestehen. Er so als Mann konnte mit Ende Dreißig schon mal die Frage stellen, wo das denn eigentlich hingehen sollte. Und sie als Frau wusste für sich selbst auch ganz gut, dass es irgendwo hingehen musste, denn sie wollte ja. Aber es ging nicht. So ging es nicht. Sie hatte nicht das Bauchgefühl, dass es so gehen konnte. Vielleicht hatte sie auch nicht die Sicherheit, dass sie es schaffen würde. Vielleicht. Es spielten sich Szenen ab in ihrem Kopf. Da war die eine, die Ehefrau sein wollte, dann eine, die Kommissarin bleiben wollte und schließlich eine, die Mutter zu sein sich wünschte, aber noch nicht so recht wusste, wann. Und dann war da noch die Zeit. Diese Lebenszeit, die das alles, die Argumente, Gefühle und Wünsche, das Denken und das Handeln in einen Rahmen setzte, der begrenzte, der schob, hin zu einer Entscheidung schob. Aber sie wollte sich nicht schieben lassen. Das hatte sie noch nie gemocht. Sie war sie und sie wollte entscheiden, sie wollte bestimmen, wo es mit ihr und ihrem Leben hingehen sollte. Andererseits, so allein ging das eigentlich nicht. Sie musste in sich hineinlachen. Nein, allein kannst du zwar Entscheidungen treffen, aber die Konsequenzen schlossen dann zumindest einen anderen Menschen ein: Peter. Sauber, dachte Kim Lorenz und schenkte sich noch ein Glas von dem leckeren Prosecco ein. Ihr Blick ging hinaus auf den See, die Abendsonne flimmerte vor ihren Augen wie ein Warnlicht: Vergiss nicht die Schönheit der Welt und deines Lebens. Sie lachte nun laut auf. Womöglich war alles ganz einfach. Womöglich konnte sie selbst einen Weg finden. Hatte Peter recht? Hatte sie recht? Das konnte sie so nicht beantworten. Hatten sie beide recht? Aus ihren jeweiligen Lebenssituationen heraus? Er war wegen ihr nach Gaienhofen gekommen. Sie wusste nicht, ob er wirklich für immer Lehrer sein wollte. Daher konnte sie ihm nichts vorwerfen. Fast nichts. Er drängte, gut. Aber er war auch einige Jahre älter als sie. Was, wenn er sich eine andere suchte, die paarungswilliger und kinderwilliger war? Dann saß sie da. Mit ihren Zielen und ihren Wünschen. Ausgebootet.

Sie trank den letzten Schluck Prosecco, nahm das Glas zusammen mit der leeren Flasche und trug die Sachen in den Wohnwagen. Den Tisch und die Stühle konnte sie stehen lassen. Es war gutes Wetter für den Herbst am Bodensee angesagt. Sie wollte dran glauben. Ihre allgemeine Faulheit tat ein Übriges.

Was, wenn er ihr wieder eine Locke hinlegte? Es waren schon drei. Sie wusste es nicht. Sie wusste nicht was tun, dann. Es war schön, von ihm diese Bestätigung zu bekommen. Sie war die Mutter, sie hatte ihn geboren und groß gezogen. Sie hatte ihm die Brust gegeben und die Windeln gewechselt. Stoffwindeln, damals, als sein Vater noch lebte. Er war aufgewachsen, behütet, konnte man das sagen, fragte sie sich. Der Vater hatte sich schon so früh davon gemacht. Und behütet? Eher weniger, denn sie hatte es nicht leicht gehabt. Aber sie hatte keine Träne vergossen. Keine. Der war wohl weg. Er fehlte dann auch nicht. Warum auch? Sie hatte das ganz gut hingekriegt. Gut, ihre Eltern hatten ihnen viel geholfen, aber gerne, das war wichtig. Vor allem ihr Vater hatte Verständnis gezeigt. Ganz ungewohnt, hatte sie damals gedacht. Da war Heinz vier und Sabine schon fast zwölf. Sabine hatte das am meisten mitgenommen. Das Ganze mit ihrem Mann, Wolf, der einfach gegangen war. Sie hatte sich immer gefragt, wie man einen Menschen Wolf mit Vornamen taufen konnte. Was war das denn schon für ein Name, um in eine Welt zu gehen? Wolf. Da kommst du doch nicht weit. Da ist das Scheitern vielleicht schon vorprogrammiert. Dann bist du halt der Wolf. Das ist doch nichts. Das war doch nichts, hatte sie später gedacht. Gut, er war gegangen. Einfach so, eines Tages. Das nächste Bier war einfach zu weit weg gewesen. Da hatte er dann mal woanders übernachtet und so ging das dann weiter und weiter. Sie trank ihren Tee. Mit ein bisschen was drin. Das war nicht schlimm. Das war nicht wie Bier und Schnaps trinken, wie es der Wolf getan hatte. Der Wolf, der konnte ja Biere und Schnaps in sich reinschütten, aber hallo. Sie nahm einen kleinen Schuss in den Tee. So, wie sie damals dem Heinz einen Schuss ins Fläschchen gegeben hatte. Aber das hatte sie niemandem gesagt. Weil, man muss nicht alles sagen, was man tut. Das hatte ihre Mutter ihr schon gesagt. Die wusste das, denn die war eine polnische Hebamme und auch noch gläubig gewesen. Da kam viel zusammen auf ihrer Seite, dachte sie manchmal. Sie warf zwei Stück Zucker in ihren Tee und rührte kräftig um. Für Würfelzucker reichte es immer noch. Die Stütze, die jetzt Hartz vier hieß, reichte dafür noch. Aber es war nicht viel. Das hätte sie sich auch nicht träumen lassen, einmal so dazusitzen. Hartz vier! Das war doch das Ende. Aber vielleicht war es ihr Ende. Wenn sie nicht bald was geregelt kriegte, wenn sich da nicht was irgendwie änderte, dass sie wieder leben würde wollen. Würde wollen, was war denn das für ein Scheiß?! Fragte sie einer? »Mit Mitte fünfzig bist du doch draußen!«, sagte sie sich laut vor. Alle, die dir erklären, du solltest es doch versuchen, die saßen doch sicher, die redeten doch nur. Wo hätte sie denn anfangen sollen, seit Sabine? Wie sollte eine Mutter, und das war sie doch, denn da ihr Leben wieder in den Griff kriegen?

Sie schmiegte ihren Kopf ans Kissen. Die Bettwäsche sollte sie auch bald mal wieder wechseln. Auf dem Nachttisch lag die Locke. Blond. Immer blond. Er hatte wohl einen Hang zu blonden Freundinnen. Sie war auch blond. Gewesen. Damals, als sie Wolf kennengelernt hatte. Vielleicht war es das. Sie würde sich freuen, mal eine seiner Freundinnen kennenzulernen. Immerhin war er ihr Sohn. Dann lernte man sich doch kennen, wenn man die Freundin des Sohnes war, oder nicht. Sie fragte immer. Wen, das wusste sie nicht. Aber in ihrem eigenen Kopf antwortete ihr niemand. Also fragte sie vor sich hin, leise. Vielleicht würde ihr ja doch irgendwann jemand Antwort geben.

Wenn das mit Max nicht gewesen wäre, würde er lachen, dachte Peter Lange in seinem Zimmer im nun ehemaligen Internat. Die letzten Internatsschüler waren zum Ende des Schuljahres ausgezogen. Was mit den Unterkünften werden sollte, da war man sich in der Leitung noch nicht ganz klar. Aber anscheinend spielte das jetzt keine Rolle mehr. Hauptsache, das Internat war geschlossen. Die Meinungen im Kollegium waren geteilt. Viele trauerten dem Internat nach, spürten die Veränderung in der Schule, vor allem im Leben in Gaienhofen. Andere sahen das Modell Internat als überholt an, und wieder andere waren ganz glücklich, nicht mehr irgendwie hinter Salem, das im Hinterland des Bodensees lag, zu rangieren. Endlich Schluss mit den höheren Töchtern und Söhnen, ein wenig mehr Normalität, so könnte man den Tenor dieser Stimmen umschreiben.

Aber Max. Wieso wiederholen sich solche Sachen so seltsam. Als Max schließlich zu Julia zurückgekehrt war, da hatte er gedacht: So etwas niemals. Trennung auf Zeit, das war für ihn unvorstellbar gewesen. Aber nun. War er selber getrennt. Auf Zeit. Einfach so. Wenn ihn denn einer fragen würde, er könnte nicht sagen, dass er etwas falsch gemacht hatte. Mehr Entgegenkommen war eigentlich nicht möglich, oder? Er hatte ihre Arbeit immer sehr wichtig genommen, war ihr hinterhergezogen, und schließlich hatte er auch noch diese Stelle in Gaienhofen angenommen. Nicht ihr zuliebe, soweit wäre er nicht gegangen. Es war schon seine eigene Entscheidung gewesen. Das hier in Gaienhofen hatte ihn gereizt. Als er dann noch festgestellt hatte, dass Max Schaff hier auch Lehrer war, dann war es für ihn keine Frage mehr gewesen, dass hier sein Weg weiter gehen würde. Zumindest, was seine Arbeit anging. Dass er noch einen ganz anderen Gedanken hinsichtlich seiner Zukunft hegte, das wusste nicht einmal Kim. Der Journalismus war eine schöne Sache. Es machte ihm Spaß, auch jetzt hin und wieder mal was für die örtlichen Blätter zu schreiben. Es drängte ihn aber eher zum längeren Text. Das wäre was, hatte er sich zusammen mit einer Flasche Rotwein eines Nachts überlegt, wenn er Krimis schreiben könnte. Informationen genug bezog er sowieso über Kim und ihre Arbeit im Kommissariat. Da könnte doch mal ein Fall dabei sein, der ein Buch lohnte. Er wusste noch nicht, ob er einer solchen Aufgabe gewachsen war. Aber probieren geht über studieren, dachte er und behielt diesen Gedanken wach im Hinterkopf.

Als er das Boot anlandete, war alles ruhig. Er schaute immer schon von weiter draußen, ob sich am Ufer was tat. Wenn er Lichter oder Menschen sah, fuhr er wieder hinaus. Dann wurde es halt später. Er nutzte die Nacht. Meistens, wenn es dann nach zwei Uhr war, blieb alles still. Er konnte dann in Ruhe das Boot an den Steg fahren und in den alten Bootsschuppen ziehen. Inzwischen musste er immer weiter fahren, denn er wollte ihnen keine Möglichkeit geben, ihn irgendwie zu orten. Draußen konnte er den kleinen Außenborder einsetzen, aber in der Nähe des Ufers musste er die Ruder schwingen. Morgen würde er wieder krank sein. Wie immer. Seine Mutter war das schon gewohnt, dass es immer wieder Tage gab, da kam er nicht aus den Federn. Krank eben. Sie machte keine große Sache daraus. Für die Arbeit brauchte er wegen des einen Tages jeweils keine Entschuldigung. In der Werkstatt waren sie froh, dass er regelmäßig und vor allem meist pünktlich kam. Es war eine gute Arbeit. Seit er oft in der Schreinerei war, machte es noch mehr Spaß. Er hatte seine Freude daran, wenn sie Holzspielzeug drechselten oder auch ein Schränkchen oder eine Fußbank bauten. Der Leiter war nett und half ihm, wo es fehlte. Er wusste wohl, so ein ganz normales Leben würde er wohl nie haben können. Sie waren nicht so richtig dabei. Sie waren eben die vom Heim, vom Bruderlager. Viele von ihnen wohnten auch dort. So wie Nele. Seine Nele. Aber das wusste die noch nicht. Nele war in der Gärtnerei. Sie brachte ihm immer ein paar Blumen mit, wenn sie am freien Nachmittag auf den See hinausruderten. Seine Nele. Mit ihren langen blonden Haaren, dem breiten Mund, der so gerne lächelte und lachte. Gerne erzählten sie sich Witze. Sie wusste immer noch einen schmutzigeren als er. Dann redeten sie auch von der Zukunft, was sie werden wollten und so. Morgen war wieder freier Nachmittag. In diesem warmen Frühherbst konnten sie vielleicht nochmal rausfahren auf den See. Nele war die einzige, die von seinem Boot wusste. Aber er holte sie meistens am Anleger des Bruderlagers ab. Wo genau sein Boot lag, wusste Nele nicht.

Er schloss die Tür des Bootsschuppens. Das Einzige, das sein Vater ihm hinterlassen hatte. Soweit er wusste. Das Boot und diesen Liegeplatz mit Schuppen. Schon sein Urgroßvater hatte hier sein Boot gehabt. Das hatte seine Mutter ihm mal gesagt. Vor ein paar Jahren, denn sie wusste nicht, dass er immer wieder mit dem Boot rausfuhr. Der Schlüssel hing am Brett. Aber er hatte sich längst einen Zweitschlüssel machen lassen. Dann merkte sie nichts. Er hängte das Vorhängeschloss ein und verriegelte es mit dem Schlüssel. Den hängte er hinter den Balken an einen Haken. Es sollte nichts bei ihm zu finden sein. Zuhause bei der Mutter »schlief« eine Deckenrolle in seinem Bett. Sie würde nichts merken. Er rührte sich nicht. Sie würde noch einmal reinschauen, bevor sie ins Bett ging. Da genügte die Rolle.

Er fuhr mit dem Fahrrad nach Hause. Das Moped war zu laut. Damit fuhr er sowieso nur am Wochenende. Aber für diese Sache hatte er sein Fahrrad. Er brauchte zehn Minuten. Das Fahrrad stellte er im Schuppen ab und ging hinüber zum Haus. Sie wohnten nicht direkt am See, aber doch in einer alten Siedlung aus Arbeiterhäusern, sozusagen in der zweiten Reihe. Zu Fuß waren es nur ein paar Minuten zum Wasser.

Als er leise die Treppe hochging, knarrte wie immer die fünfte Stufe. Er wusste nicht, was er deswegen machen konnte. Was machte man, wenn Holz quietschte? Immer wieder versuchte er, daran zu denken, die fünfte Stufe zu übergehen. Aber er vergaß es immer wieder. Auch heute Nacht erreichte er sein Zimmer, ohne dass seine Mutter aufwachte. Er schloss die Tür, zog sich aus und schlüpfte in seinen Schlafanzug. Als er den Kopf aufs Kissen legte, war ihm wohl. Er schloss die Augen und sah die Blasen aufsteigen. Er dachte an Sabine. Und Mama, die immer weinte. Er würde das vergessen, einmal. Irgendwann einmal würde er das vergessen. Er hatte vielleicht noch zwei oder drei Gewichte, bis er vergessen konnte, vielleicht. Morgen würde er Mama wieder eine Locke auf ihren Nachttisch legen.

Als Kim Lorenz am frühen Morgen aus dem Wohnwagen nach draußen schaute, wurde ihr die Stimmung vermiest. Das Wetter machte schon früh auf sehr herbstlich. Ein feiner Fadenregen wurde von einem leichten Wind auf den See geweht. Für jemand, der nicht so sonnenverliebt war wie sie, vielleicht ein schöner Anblick. Die kleinen Tropfen schienen auf der Seeoberfläche zu hüpfen. Eigentlich irgendwie schön, dachte die Kommissarin, aber sie konnte sich für so ein Regenwetter nicht recht erwärmen. Sie mochte das nicht, einen Schirm aufspannen oder die Regenjacke überziehen. Wenn es dumm lief, blieb dieses Wetter hier bei ihnen hängen. Drüben am Schweizer Ufer würde der Höhenzug hinter dem See dafür sorgen, dass die Wolken blieben. Das hieß dann Regen für ein paar Tage. Sauber, dachte Kim Lorenz. Keinen Fall und dann noch hier im Wohnwagen. Zu allem Überfluss konnte sie auch nicht zu Peter gehen. Das ging ja nun gerade nicht. Peter. Vielleicht würde er sich ja mal melden. Sie würde die Zeit einhalten, das hatte sie sich geschworen. Schließlich war der Vorschlag von ihm gekommen. Also. Wie sah das denn aus, wenn sie dann den ersten Schritt tat? Sie ging zurück in den Wohnwagen und sah allerlei Notwendigkeiten, die hier drin zu erledigen waren. Eine oder eher mehrere Wäschen mussten gemacht werden, durchfegen wäre auch nicht schlecht und der Kühlschrank könnte auch ein wenig Bevorratung brauchen. Warum ließ sie sich nur so gehen, fragte sie sich. Warum waren diese eigentlichen Kleinigkeiten plötzlich kleine Berge, die sie auch noch vor sich herschob? Weil einfach nichts mehr so ist wie vorher, beantwortete sie sich diese Frage gleich selbst. Sie hätte nicht gedacht, dass so eine vermeintlich kleine Störung ihren Alltag dermaßen durcheinander bringen würde. Nur Peter? Könnte schon sein, dachte sie. Hast dich mal wieder deutlich überschätzt, sagte sie zu sich selbst. Das tat sie immer dann, wenn sie der Wahrheit auf der Spur war. Ihr Handy klingelte.

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