Hopsgegangen - Erwin Kohl - E-Book

Hopsgegangen E-Book

Erwin Kohl

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Beschreibung

Mist!, denkt sich Lukas Born. Eigentlich sollte der Privatdetektiv mit der Journalistin Natascha Feldmann einen ihrer Informanten treffen. Am Treffpunkt in Rheinberg ist jedoch nur Natascha, und die liegt leblos auf dem Boden. Bevor Lukas weiß, wie ihm geschieht, kriegt er eins übergezogen. Als er wieder zu sich kommt, ist Natascha verschwunden. Die Polizei sieht keinen Handlungsbedarf, Lukas hingegen schon. Denn er ahnt, dass Natascha an etwas Großem dran war. Und tatsächlich täuscht ihn sein Gefühl auch diesmal nicht. Leider. Denn die Beule an seinem Kopf ist nur der Anfang allen Übels ...

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

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Danksagung

Über den Autor

Erwin Kohl wurde 1961 in Alpen am Niederrhein geboren. Bevor er 2001 mit dem Schreiben begann, arbeitete er in zahlreichen Berufsfeldern: als Taxifahrer, Gastwirt, Eisverkäufer, Kinobetreiber, Partnervermittler, Versicherungsvertreter, Discjockey und Friedhofsgärtner. Besonderes Vergnügen bereitet es ihm, die unterschiedlichen Charaktere, die er während seiner beruflichen Laufbahn kennen gelernt hat, in seinen Krimis zu skizzieren. Er lebt heute in Wesel am Niederrhein.

Erwin Kohl

HOPS-GEGANGEN

Ein Niederrhein-Krimi

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung derliterarischen Agentur Peter Molden, Köln

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnLektorat: Judith MandtTextredaktion: Christiane Geldmacher, WiesbadenTitelillustration: © mauritius images/imageBROKER/scully;Bürosüd, unter Verwendung von Motiven von© shutterstock/Jslavy; shutterstock/Sander van der Werf;shutterstock/berna namoglu; shutterstock/VA_ArtUmschlaggestaltung: www.buerosued.de

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-3068-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

1

Das Messer in seiner Hand wirft im fahlen Licht des Mondes einen gespenstischen Schatten auf die gelbe Zeltplane. Hundegebell ertönt aus dem Nachbarzelt. Er wirbelt herum, bleibt einige Sekunden regungslos stehen, beobachtet seine Umgebung. Ich habe das Gefühl, dass mir der Mann jetzt direkt in die Augen sieht. Er hat die Kapuze tief in die Stirn gezogen. Ich suche nach Schutz, ducke mich hinter den Radkasten des LKWs. Das Bellen ist in misstrauisches Knurren übergegangen. Ich krieche unter den Auflieger hindurch zur anderen Seite. Mit drei, vier schnellen Schritten überbrücke ich die freie Fläche zum Cateringzelt, taste mich dann vorsichtig an der Plane entlang. Eine falsche Bewegung, ein verräterisches Geräusch, und die letzten drei Nächte waren umsonst.

Rasputin, der Köter des Zirkusdirektors, hat sich offenbar wieder schlafen gelegt, und das Pudel-Rudel scheint sich mental auf den Auftritt am Nachmittag vorzubereiten. Die aufgebrezelten Edeltölen eignen sich sowieso nicht als Wachhunde. Einen kurzen Moment hatte ich daran gedacht, Manolo mitzunehmen. Aber mein Hund würde die Zielperson warnen, bevor diese auch nur einen Schritt auf das Gelände gesetzt hätte.

»Ich will, dass Sie den Mistkerl auf frischer Tat erwischen und einkassieren, kapiert?«, lautete die unmissverständliche Aufgabenstellung.

Die einsetzende Stille macht mich nervös. Ich trete versehentlich vor einen der eisernen Pflöcke, mit denen die Spannseile im Boden befestigt sind, unterdrücke den aufkommenden Schmerz. Wenige Augenblicke später kann ich den Platz in der Mitte überblicken. Er ist leer. Das verschlossene Zelt gegenüber, in dem die tierischen Stars vom »Zirkus Don Calli« residieren und auf das es der Täter abgesehen haben dürfte, schmiegt sich weiterhin in die schemenhafte Landschaft. Um unbemerkt dorthin zu gelangen, müsste ich den Umweg durch die Wohnwagenburg der Artisten gehen. Dauert viel zu lange. In der Hoffnung auf eine andere Eingebung bleibe ich, wo ich bin und beobachte den Ort des baldigen Geschehens.

Im Vergleich zu den vorhergehenden beiden Nächten, die überwiegend aus Untätigkeit und lauwarmem Kaffee aus der Thermoskanne bestanden, verspricht diese ein gewisses Spannungspotential.

Wenige Minuten später ist es so weit. Aus der mobilen Tierunterkunft dringt eine merkwürdige Unruhe.

Wie ist er da reingekommen?

Die Frage kriecht noch durch meinen Verstand, als die Zeltplane aufgeht und einen Wimpernschlag später Zirkusponys über den Platz galoppieren, gefolgt von einem Kamel, zwei Lamas und dem verschlafen dreinblickenden Pudel-Rudel. Untermalt wird das Ganze von Rasputins wütendem Gebell. Okay, Zugriff!

Während das Kamel die gewonnene Freiheit zunächst für eine intensive Darmentleerung nutzt, renne ich los. Im nächsten Augenblick erkenne ich den Kerl mit dem Messer in der Hand. Er bleibt für den Bruchteil einer Sekunde stehen, sieht zu mir herüber, rennt dann in Richtung des Kassenhäuschens. Gut zwanzig Meter liegen zwischen uns. Ich laufe vor das Hinterteil eines Lamas, fünfundzwanzig Meter. Egal, das ist zu schaffen. Ich ziehe das Tempo an, zumindest möchte ich das. Aber ausgerechnet in diesem Augenblick rutscht mir an der Stelle, an der sich vor wenigen Minuten noch der Kamelschwanz gehoben hat, das Standbein weg, und ich klatsche bäuchlings auf die Wiese. Scheiße.

Ich richte mich auf, meine Blicke wandern hochgradig verärgert über die verdreckten Klamotten, da kitzelt etwas in meinem linken Ohr. Als ich mich herumdrehe, sehe ich in die grinsenden Augen des Kamels.

»Musst du ausgerechnet hierhin kacken, du Mistvieh«, schreie ich den Wüstenfrachter an. Der mahlt noch zwei Runden mit den Kiefern und trottet dann gelangweilt davon. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass in den Wohnwagen rundum nacheinander die Lichter angehen. Aufgeregtes Stimmengewirr dringt durch die lauwarme Nacht. Mir reicht’s, das brauche ich jetzt nicht. Feierabend.

Alle Scheiben heruntergekurbelt, das Gebläse bis zum Anschlag aufgedreht. Nutzt nicht viel, Emmas Fahrgastzelle stinkt wie Wims Jauchegrube. Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass es Tiere gibt, die schon zu Lebzeiten verfaulen. Die 300-Euro-Fangprämie, die mir der Herr Direktor als Belohnung schwarz in die Kralle drücken wollte, hätte ich gut gebrauchen können. Stattdessen erwartet mich nun eine dreimonatige Kürzung meiner Hartz-IV-Bezüge. Gibt so Tage.

Eine halbe Stunde, bevor dieser sich verabschiedet, stelle ich Emma reichlich schräg auf eineinhalb Parkplätze vor den Toren von Happy Eiland. Ich will hier nur noch raus.

Das Leben auf einem Campingplatz kann sehr schön sein. Vor allem aber ist es für arbeitslose Ex-Polizisten bezahlbar. Ganz nebenbei erhält man eine Vielzahl an sozialen Kontakten. Darauf würde ich jetzt allerdings gerne verzichten. Leider führt der Weg vom Parkplatz zu meinem Mobilheim an Lissys Bistro vorbei.

Der Biergarten ist noch gut gefüllt. Jünter, mein Gladbacher Freund, winkt mir zu. Ein großes Pils hat was, aber ich will Lissy mit meinem Gestank nicht das Geschäft verderben. Ich deute Jünter an, später zu kommen, und umkurve das Bistro weitläufig. Erst jetzt erkenne ich meinen Hund, der offenbar bei Lissy auf mich gewartet hatte. Er schnüffelt einmal kurz an meiner Hose und wendet sich angewidert ab. Mimose.

Wenn die Gäste leise sind und Lissy gut drauf ist, hängt sie schon mal ein Stündchen dran. Eine kalte Dusche, ein paar Bierchen mit den Nachbarn und eine schöne Frau, die mich anschließend erwartet, könnten diesen Abend retten, sinniere ich. Am Mobilheim angekommen muss ich feststellen, dass sich Träume auch mal in umgekehrter Reihenfolge erfüllen können.

»Da sind Sie ja endlich, ich wollte die Hoffnung schon begraben.«

Auf meiner Bank im Minivorgarten sitzt eine dunkelhaarige, schlanke Frau mit mandelbraunen Augen und lächelt mich an. Sie trägt ein schulterfreies Top mit einem Dekolleté, das der eingeschlafenen Fantasie auf die Sprünge hilft. Ihre Finger gehen reflexartig zur Nase.

»Entschuldigung«, ich deute auf meine verdreckte Kleidung, »ich bin nicht auf Damenbesuch eingerichtet. Mein Auftraggeber betreibt einen Zirkus.«

Stimmt nicht ganz, hört sich aber besser an.

»Natascha Feldmann«, sie reicht mir die Hand, »ich hatte eigentlich gehofft, dass Sie Zeit für mich haben. Wie naiv von mir!«

Ich setze mich neben sie, rutsche bis an die linke Lehne, damit ich ihre helle Hose nicht versaue. Ich sehe in ihr Gesicht und hoffe für einen Augenblick, dass ihr Anliegen privater Natur ist. Wie naiv von mir!

»Was den Auftrag im Zirkus betrifft, den konnte ich vor einer halben Stunde abschließen.«

»Wirklich? Das trifft sich gut.«

»Ja. Ich werde jetzt erstmal richtig ausschlafen, und dann bin ich ganz für Sie da.«

Ihr Lächeln weicht einem gespielt traurigen Ausdruck.

»Schade. Mir ist natürlich klar, dass ich sehr spät dran bin, aber … ich bräuchte Ihre Unterstützung noch heute Nacht.«

Die Hoffnung kehrt zurück. Ich schiebe sie zur Seite. Erstmal.

»Selbstverständlich würde ich den kompletten Tagessatz inklusive Spesen bezahlen …«

»Ich kann es mir ja mal anhören«, antworte ich eine Spur zu überhastet.

»Schön. Ich bin für ein großes Magazin als investigative Journalistin tätig und aktuell – wieder einmal – an einer sehr brisanten Sache dran. Morgen früh um vier Uhr treffe ich mich mit einem Informanten, der für die Story eminent wichtig ist. Der ungewöhnliche Zeitpunkt war eine seiner Bedingungen, sorry.«

Inzwischen ist Manolo eingetrudelt. Natascha streckt die Hand aus, um ihn zu streicheln. Manolo bleibt vor ihr stehen und fletscht die Zähne. Seine Nackenhaare richten sich auf, ich ziehe ihn zu mir und drücke sein Hinterteil runter. So kenne ich meinen Hund nicht, er ist Fremden gegenüber eigentlich aufgeschlossen.

»Sorry. Er hat wohl schlechte Laune.«

Sie geht mit einem angedeuteten Lächeln darüber hinweg.

»Okay, welche Rolle soll ich bei diesem Treffen spielen?«

»Die Aussage dieses Informanten dürfte einigen Leuten den Boden unter den Füßen wegziehen. Einen äußerst fruchtbaren Boden wohlgemerkt. Es gibt Hinweise, dass sie das verhindern wollen.«

»Ich bin Privatdetektiv und kein Bodyguard.«

»Eben.«

Manolo macht es sich vor unseren Füßen bequem, die Augen auf meine Besucherin gerichtet. Ich verstehe nicht, worauf sie hinauswill.

»Bodyguards sind viel zu auffällig. Ich möchte, dass Sie unsichtbar im Hintergrund agieren und nur im Ernstfall eingreifen. Sie verfügen über eine Polizeiausbildung, wissen also, wann das nötig sein wird. Außerdem möchte ich Sie für den Fall, dass wir gestört werden, mit der Ermittlung der Störenfriede beauftragen.«

Ich atme tief durch. Einen Auftrag könnte ich gut gebrauchen, andererseits meldet meine innere Stimme Gefahr.

»Ich besitze keine Waffe, ist Ihnen das klar?«

»Ja. Ich kann Sie beruhigen. Erstens reden wir hier nicht von der Mafia, und zweitens werde ich es nicht auf eine Konfrontation ankommen lassen. Der Treffpunkt bietet einen perfekten Fluchtweg. Sobald jemand dort auftaucht, geben Sie mir Bescheid, und ich bringe den Informanten und mich sofort aus der Gefahrenzone. Glauben Sie mir, ich mache sowas nicht zum ersten Mal.«

Irgendwas gefällt mir an der Sache trotzdem nicht. Ich bin sicher, sie sagt mir nicht die ganze Wahrheit.

»Dann mal Butter bei die Fische. Wer ist der Informant, wen soll er ans Messer liefern und warum?«

»Darüber möchte ich Ihnen keine Auskunft geben.« Sie öffnet ihre Handtasche, entnimmt ihr einen Stapel Scheine. Grüne Scheine, die mag ich besonders. »Das sind tausend Euro, ich denke, das reicht bis morgen Abend. Sollte das Treffen ohne Zwischenfälle über die Bühne gehen, betrachten Sie den Rest als Nachtzulage.«

Die Lady sieht nicht nur geil aus, sie kann einen auch so richtig überzeugen. Ich nehme den Auftrag an. Wir tauschen die Handynummern. Den Ort könne ich bequem in einer halben Stunde erreichen, die Adresse will sie mir vorab per SMS schicken.

Nachdem wir uns verabschiedet haben, sehe ich auf die Hunderter in meiner Hand. Bei Kögels Security Service durfte ich fünfzig Stunden im Monat abreißen für schlappe hundert Euronen zusätzlich zum bescheidenen Regelsatz. Da muss das Bierchen bei Lissy ausfallen, immerhin klingelt in knapp fünf Stunden der Wecker.

2

Nachdem mein Handy mich aus dem Tiefschlaf gerissen hat, verspüre ich den dringenden Wunsch nach einer erneuten Dusche. Könnte daran liegen, dass ein dämliches Kamel durch meinen Traum gelatscht ist und mir voller Hingabe über das Gesicht geleckt hat. Zehn Minuten später fühle ich mich besser. Mir fällt ein, dass ich nicht weiß, wo der Treffpunkt liegt. Ich verschiebe den Kaffee und hole mein Handy aus dem Schlafraum. Eine SMS, ich bin gespannt.

»Planänderung: Das Treffen findet eine halbe Stunde früher statt, ich hoffe, Sie schaffen das. Die Adresse lautet Niederwallach …«

WAS? Viertel nach drei und keine frische Unterhose im Schrank. Das wird knapp.

Manolo wartet darauf, dass ich ihm die Brötchentüte um den Hals hänge.

»Lissy hat noch zu, bin gleich wieder da …«

Nach einem kurzen Zwischenspurt erreiche ich den Parkplatz. Unter Emmas Scheibenwischer klemmt ein Zettel.

»Wenn du so bumst, wie du einparkst, kriegst du ihn nie rein.«

Ich starte den alten Diesel und lass ihn aufheulen. Unterwegs sehe ich auf die Uhr. Verdammt, das wird knapp! Plötzlich taucht das leblose Gesicht von Cedric in mein Bewusstsein. Nicht schon wieder! Du hast dem pädophilen Arschloch einen Tag zu spät mit den Fäusten entlockt, wo er sein Opfer versteckt hat. Cedric war schon tot, und du wurdest gefeuert, basta. »Sie sind geheilt«, ich erinnere mich an Dr. Bernaus Worte zum Abschied. Genau. Ende der Vorstellung. Cedric verschwindet aus meinen Gedanken. Ich warte – nichts. Jawohl, geht doch.

Hundert Meter vor dem Ziel schalte ich das Licht aus. Schemenhaft erkenne ich einen schmalen Weg, der vom Deich hinunter zum Gebäude führt. Dahinter stelle ich Emma ab. Ich bin zehn Minuten drüber – und alleine. Der Hinterausgang ist verschlossen. Hinter dem Haus habe ich mehr Glück. Die Tür ist nur angelehnt, ich schalte die Taschenlampe ein. Warum ist es so seltsam ruhig hier? Ich spüre kalten Schweiß auf meiner Stirn. Vorsichtig öffne ich die Tür, ein leises Knarren bleibt ohne Reaktion. Sind sie tatsächlich überrascht worden und haben den Fluchtweg genutzt? Ich betrete den Flur, bin versucht, ihren Namen zu rufen. Neben mir steht eine Tür halboffen. Ich drücke sie auf, betrete den Raum, leuchte ihn aus und … stoppe mitten in der Bewegung. Ich wünsche mir in dieser Sekunde, mich in einem dieser verfluchten Albträume zu befinden, die mich nach meiner Suspendierung ständig quälten.

Vor der gegenüberliegenden Wand liegt sie leblos auf dem Boden. Ihr Kopf ist voller Blut. Mein Herz rast, ich renne durch den Raum, will mich zu ihr hinunterbeugen, da plötzlich spüre ich einen harten Schlag auf dem Hinterkopf.

Mein Schädel fühlt sich an, als würde Charlie Watts, der Drummer der Rolling Stones, mit bleiernen Sticks ein Solo darauf zelebrieren. Alles um mich herum ist stockdunkel. Meine Hände tasten den Boden ab, finden einen länglichen Gegenstand. Wie aus einem tropfenden Wasserhahn dringen erste Gedanken in meinen Verstand.

Ich liege in einem gottverlassenen Haus neben meiner toten Klientin, lautet der erste. Der Mörder steht hinter mir, der zweite. Sieht ganz danach aus, als sollte dieser Tag nicht viel besser werden als sein Vorgänger.

Die Stille um mich herum hat etwas Beruhigendes. Ich schalte die Taschenlampe ein, stehe mühevoll auf, um gleich darauf die nächste Überraschung zu erleben: Ich bin alleine. Weder Mörder noch Leiche leisten mir Gesellschaft. Watts Schießbude befindet sich direkt unter meiner Schädeldecke, ich massiere die Schläfen in der Hoffnung, den dröhnenden Schmerz auf diese Weise zu lindern. Langsam beuge ich mich über die Stelle, an der Natascha Feldmann lag. Ich rufe mir Bilder ins Bewusstsein. Ihre Haare, die Stirn, die Nase – alles war voller Blut. Ich leuchte den Boden ab, finde nicht die geringste Verfärbung. Hat der Mörder noch feucht durchgewischt, bevor er sich mit der Leiche auf der Schulter auf den Weg gemacht hat? Ich stoße mit der Hacke die leere Bierdose eines Discounters um. Erst jetzt bemerke ich den alten Küchentisch und die beiden Stühle an der gegenüberliegenden Wand. Darauf befinden sich zwei weitere leere Dosen, und neben dem linken Stuhl liegen einige Zigarettenkippen. Scheint so, als habe hier eine gemütliche Plauderrunde stattgefunden.

Dann fällt mir ein, was fehlt: der Informant, mit dem sich meine Klientin hier treffen wollte. Nach und nach dringen weitere Erinnerungen an die Oberfläche. Der Hof war leer. Wie sind Mörder und Opfer hierhergekommen – und wie wieder weg?

3

Ich öffne die Haustür und stolpere über zwei Stufen nach draußen. Der zunehmende Mond sorgt für blasse Schatten. Allmählich gewöhnen sich meine Augen an das Licht. Der Hof liegt immer noch einsam und verlassen da. Auf der Suche nach Reifenspuren gewinne ich sehr schnell den Eindruck, mich auf dem Parkplatz des Gladbacher Borussenparks zu befinden. Offensichtlich dient das verlassene Gebäude als Treffpunkt für irgendwas. Egal, soll sich die Spurensicherung drum kümmern. Zu meiner Verwunderung hat mir der Mörder das Handy nicht abgenommen.

Um diese Zeit erreiche ich nur den Kriminaldauerdienst, der den Fall an meine getrennt lebende Gattin weiterreichen wird. Kann ich sie auch gleich anrufen, wird sie halt mal zwei Stunden früher geweckt.

»Born«, klingt es nach dem sechsten Rufzeichen verschlafen an mein Ohr.

»Hallo, Julia, ich brauche deine Hilfe.«

»Was? Weißt du, wie spät es ist?«

»Gleich halb fünf. Meine Klientin ist ermordet worden.«

»BITTE? Was für eine … was ist los, wo steckst du?«

Ich nenne ihr die Adresse, sie holt sich was zum Schreiben, ich nenne sie erneut.

»Jetzt nochmal ganz von vorne: Was ist passiert?«

»Dauert jetzt zu lange. Trink einen Kaffee im Stehen, und dann komm bitte mit dem ganz großen Besteck hierher.«

Für einige Sekunden dringt nur ihr Atem an mein Ohr, er klingt nach einem Orkan.

»Born, wenn du mich verarschen willst …«

»Julia, ich weiß, wie eine Leiche aussieht!«

»Okay, dann halte dich von ihr fern, ich bin in einer halben Stunde bei dir.«

Jetzt kommt der schwierige Teil.

»Was anderes bleibt mir nicht übrig, die Leiche ist nämlich verschwunden.«

»WIE BITTE?«

Aua, verdammt, schrei doch nicht so.

»Mit verschwunden meine ich: Sie ist nicht mehr da. Was ist daran so schwer zu verstehen?«

»Du findest die Leiche deiner Klientin und siehst anschließend dem Mörder dabei zu, wie er sie wegschafft, das ist daran so schwer zu verstehen.«

»Ich wurde niedergeschlagen.«

Ich fasse mir instinktiv an den Hinterkopf. Meine Haare fühlen sich feucht an. Meine Hand ist voller Blut.

»Wie geht es dir?«

»In meinem Kopf sitzt ein Schlagzeuger.«

»Ich bin gleich bei dir!«

Ich setze mich auf einen Baumstumpf und rufe mir die Ereignisse der letzten Stunden ins Gedächtnis. Der Informant habe auf diese Uhrzeit bestanden, sagte mir Natascha Feldmann. Weshalb ändert er den vereinbarten Termin so kurzfristig? Und vor allem: Wo ist dieser Informant? Hat ihn jemand verfolgt und auf dem Weg hierher ebenfalls umgebracht?

»Wir reden hier nicht von der Mafia.«

Ich ärgere mich, beim Anblick des Geldes den Verstand ausgeschaltet zu haben. Ich hätte auf weitere Informationen bestehen müssen. Jetzt sitze ich hier und habe nichts weiter als eine tote Klientin, die noch dazu verschwunden ist. Andererseits ist mein Auftrag damit erledigt und der Monat mit den zehn Grünen gerettet.

Zwei Kaninchen sind damit beschäftigt, ihre Art zu erhalten. Morgens um halb fünf. Julia hätte mir was anderes erzählt.

Apropos, wo wird die Hauptkommissarin den Hebel ansetzen? Viel ist es nicht, womit ich sie füttern kann. Ihr wird nichts anderes übrig bleiben, als den Recherchen der Journalistin zu folgen. Endlich erkenne ich Blaulichter in der Ferne. Kurze Zeit später fährt ein Rettungswagen auf den Hof und stoppt neben mir. Ein Sanitäter springt vom Beifahrersitz und sprintet auf mich zu. Hat Julia ihm gesagt, dass es mit mir zu Ende geht?

»Das sieht nicht gut aus«, bestätigt der junge Mann, der sich kurz und knapp als Holger vorstellt, nach einem Blick auf die Wunde meine Vermutung. Er jagt einen grellen Lichtstrahl in meine Pupillen und weist mich an, seinem pendelnden Zeigefinger zu folgen.

»Wir müssen Sie mitnehmen«, lautet sein knappes Fazit.

»Geht jetzt nicht«, antworte ich lapidar. Holger hebt misstrauisch die Augenbraue wie einst Mr. Spock. Hinter ihm donnert eine kleine Fahrzeugkolonne heran, die auf der Zufahrt stoppt.

»Sie haben mindestens eine schwere Schädelprellung. Wir brauchen eine Röntgenaufnahme, außerdem muss die Wunde behandelt werden und …«

»Fahren Sie schon mal vor. Sobald das hier erledigt ist, komme ich nach.«

Holger atmet tief durch. Inzwischen ist Julia eingetroffen. Sie gönnt mir einen flüchtigen Seitenblick, bevor sie sich an den Sani wendet.

»Wie schlimm ist es?«

»Halb so wild«, fahre ich dazwischen.

Holger schnappt nach Luft.

»Er weigert sich mitzukommen. Der Herr scheint sich seiner Lage nicht bewusst zu sein.«

»Das war er noch nie. Ich fahre ihn gleich ins Krankenhaus.«

Kopfschüttelnd dreht Holger ab.

Wim Schrievers grüßt mich im Vorrübergehen. Ich kenne Wim noch aus meiner Zeit beim KK11, er ist der beste Tatortschnüffler, den man bekommen kann. Wim reißt die Fahrertür des Rettungswagens auf und möchte vom Kutscher wissen, was er sich dabei gedacht habe, die Reifenspuren auf dem Hof auszuradieren. Die Sanis haben auch keinen leichten Job.

Wims Kollegen streifen sich das lange Weiße über, ich führe sie zum Tatort. Julia und ich bleiben im Türrahmen stehen. Ich schildere meiner Noch-Frau die Fundsituation, sie sieht sich verwundert um.

»Du sagst, das Gesicht deiner Klientin war voller Blut.«

»Ja, war es.«

»Ich sehe nirgendwo Blut.«

»Ich auch nicht.«

»Haben wir gleich«, mischt Wim sich ein und drängt mit zwei Eimern in den Raum. Er kippt das gelblich schimmernde Luminol in die Natronlauge und rührt einmal kurz um.

Ich finde es immer wieder faszinierend, wie er mit Hilfe dieser Lösung selbst winzigste Blutspuren als leuchtend bläuliche Flecken sichtbar macht. Dann verteilt er die Flüssigkeit gleichmäßig auf dem Boden und an den Wänden. Mir kommen erste Zweifel. Ich war nicht viel länger als eine Viertelstunde bewusstlos. In dieser Zeit die Leiche wegzuschaffen und anschließend den Raum gründlich zu reinigen dürfte selbst Meister Proper kaum möglich gewesen sein. Wims Kollegen haben das Zimmer inzwischen abgedunkelt und schalten das ultraviolette Licht ein. Winzige Partikel zeichnen sich etwa einen halben Meter von der Stelle entfernt ab, an der die Leiche lag.

»Ich halte jede Wette, dass die von dir stammen«, bestätigt Julia mit einem Fingerzeig meine Vermutung. Bei einem Schlag auf den Hinterkopf lässt es sich nicht vermeiden, dass mikroskopisch kleine Blutpartikel umherspritzen. Das hätte bei der Größe der Wunde, die Natascha Feldmann aufwies, erst recht der Fall sein müssen.

»Fundort ist nicht gleich Tatort«, höre ich mich sagen. Julia zieht mich am Arm auf den Hof.

»Ich fasse mal zusammen: Jemand hat, wo auch immer, deine Klientin getötet. Anschließend schleppt er die Leiche in diesen Raum und wartet irgendwo da drin auf dich. Dann schlägt er dich nieder und schafft die Leiche wieder raus. Klingt logisch, würde ich auch so machen.«

»Julia, ich weiß selbst, dass die Umstände merkwürdig sind.«

»Tatsächlich.«

Sie stapft über den Hof zu Tom, ihrem Partner und meinem Nachfolger beim KK11.

»Wir sind durch. Abflug.«

»Moment!« Ich renne ihr hinterher, mein Kopf dröhnt immer noch. »Heißt das, du wirst keine Ermittlungen einleiten?«

Sie fährt schnaubend herum.

»Doch, und zwar nach 224, schwere Körperverletzung«, Julia deutet auf meinen Kopf, »komm mit, ich bring dich ins Krankenhaus.«

»Julia, die Frau ist ermordet worden!«

»Born, du bist zwar schon längere Zeit draußen, aber dass für eine Mordermittlung gewöhnlich eine Leiche erforderlich ist, dürfte dir schon noch klar sein, oder?«

»Nur weil wir nicht wissen, wo diese Leiche ist, muss das doch nicht bedeuten, dass es keine gibt.«

»Okay, finde sie und wir reden weiter. Und jetzt komm mit, bevor ich dir Handschellen anlege.«

»Emma steht noch da, ich fahre selber.«

»Tom fährt mit Emma hinterher.«

Widerstand ist zwecklos, war immer schon so. Wir arbeiteten oft wochenlang gemeinsam in einer Mordkommission, Tisch an Tisch. Sie hielt sich bedingungslos an Fakten und Vorschriften, ich vertraute meinem Bauchgefühl, meist ohne dafür eine logische Erklärung liefern zu können. Immer wenn sich dieses Bauchgefühl durchsetzte, führte das unweigerlich zu einem heftigen Disput.

Unterwegs zur Klinik unternehme ich einen letzten Versuch, sie zu überzeugen.

»Die Frau hatte Angst um ihr Leben, deshalb hat sie mich beauftragt. Sie sagte, die Aussage ihres Informanten sei für gewisse Kreise existenzbedrohend. Wenige Stunden später ist sie tot.«

»Und wo ist dieser Informant?«

»Das weiß ich nicht.«

Sie schenkt mir einen dieser Gott-bist-du-naiv!-Blicke.

»Hätte er hier auf dich warten sollen oder was?«

Sie antwortet mit einer wegwerfenden Handbewegung. Mich beschäftigt die Frage, wo sich dieser ominöse Informant gerade aufhält und ob er das überhaupt noch lebend macht.

Bis zur Ankunft an der Notaufnahme der Xantener Heeswaldklinik schweigen wir uns an. Das heißt, sie schweigt, und ich zermartere mir mein Gehirn. War Natascha Feldmann bereits vor dem Treffen ein zu großes Risiko und der vermeintliche Informant in Wirklichkeit nur ein Köder? Die Tatsache, dass jede Spur von ihm fehlt, könnte dafür sprechen. Aber eben auch dagegen.

Julia parkt den Wagen direkt gegenüber der Eingangstür und macht Anstalten auszusteigen.

»Warte bitte im Auto auf mich. Ich bin schon ein großer Junge, der ohne Mutti zum Onkel Doktor gehen kann.«

Sie verzieht die Mundwinkel, dann lacht sie leise.

Doktor Yusuf Harabi reinigt die Wunde offenbar mit Salzsäure, zumindest fühlt es sich so an. Charlie Watts ist davon dermaßen beeindruckt, dass er augenblicklich die Sticks beiseitelegt und sich auf das Wattestäbchen konzentriert. Ich presse die Hände zu Fäusten.

»Tut weh?«

Will auch noch witzig sein.

Immerhin hat die Röntgenaufnahme die Unversehrtheit meines Schädelknochens nachgewiesen. Was man von der umgebenden Haut nicht behaupten kann.

»Sie haben Glück, die Wunde muss nicht genäht werden«, beruhigt mich der Mediziner. Von seiner Assistentin lässt er sich ein handliches Gerät reichen, mir kommen erste Zweifel an meinem »Glück«. Dr. Harabi zieht die Haut zusammen und beginnt zu tackern. Charlie greift sich die Sticks und setzt zu einem seiner berüchtigten Soli an. Der Doc verordnet mir noch drei Tage Ruhe und verabschiedet sich.

Mit einer Art Einkaufsnetz auf dem Kopfverband steige ich zu Julia ins Auto.

»Steht dir gut. Und nun ab ins Bett?«

»Danke für das Angebot, aber es ist nur eine Platzwunde, und ich habe zu tun.«

»Stimmt, ich brauche noch deine Aussage.«

Sie schüttelt lächelnd den Kopf und gibt Tom ein Zeichen, ihr zu folgen.

»Mein Kollege hat sich übrigens beschwert. Er sagt, dein Auto stinkt wie eine Jauchegrube.«

»Der war immer schon empfindlich.«

4

Manolo springt an mir vorbei und stellt erstmal ’ne Stange Wasser in die Ecke. Ich habe vergessen, die Tür anzulehnen. Der Arme. Ich könnte die Brötchen heute mal selber holen, ein kleiner Morgenspaziergang täte jetzt bestimmt gut.

Auf dem Sperlingsweg angekommen muss ich unwillkürlich an Kuschel denken. Der Platzwart von »Happy Eiland« erzählte mir vorgestern, dass sich die alleinstehende Mittvierzigerin Claudia immer mehr zur Attraktion der älteren Bewohner entwickele.

Jeden Morgen pünktlich um sieben beginnt die Heilpraktikerin aus Oberhausen, barfuß auf dem Rasen ihrer Parzelle stehend, mit den Übungen zur Stärkung der Lungenfunktion. Eins mit der Natur macht sie dies vorzugsweise zwischen dem Duschen und dem Ankleiden. Dabei hat sie offensichtlich noch nicht mitbekommen, dass ein kleiner Teil der sie umgebenden mannshohen Haselnusshecke seit geraumer Zeit Blätter verliert, und dies praktischerweise in Augenhöhe. Daneben erkenne ich Willi und Ecki, die beiden Rentner, die Tür an Tür am Finkenweg wohnen. Willi deutet aufgeregt auf die Lücke, sie bemerken mich nicht.

»AH, die SONNE geht auf«, hallt es über den Platz. Die Vorstellung beginnt wie immer pünktlich.

»Na, kleiner Morgenspaziergang?«, frage ich leise. Ecki fährt herum, wirkt nervös.

»Jau, wir wollten gerade Brötchen holen gehen, da haben wir gedacht, drehen wir mal direkt eine kleine Runde. Die frische Luft tut richtig gut«, flüstert er.

Ich riskiere einen Blick durch das Gebüsch.

»… ich öffne das Fenster …« Claudia breitet dabei die Arme weit auseinander und drückt das Kreuz durch.

»Ganz schön groß, die Brötchen«, stelle ich fest.

Willi kneift mir ein Auge zu. Dann deutet er auf meinen Kopf.

»Kleiner Unfall, sieht schlimmer aus, als es ist«, beruhige ich ihn. Ich überlege einen Moment, mir den Spruch vorsorglich aufs T-Shirt drucken zu lassen.

»Dabei hast du letztens noch gesagt, der Junge ist nicht auf den Kopf gefallen«, bemerkt Ecki und lacht dabei eine Spur zu laut. Was zur Folge hat, dass sich Sekunden später ein Kopf durch die Lücke in der Hecke schiebt.

»Kann ich den Herrschaften irgendwie behilflich sein?«

»Hallo Frau … wir haben gar nicht … ich meine, haben wir Sie etwa geweckt?«, stottert Willi.

Ich frage Claudia noch nach dem Termin der nächsten Vorstellung und verabschiede mich von dem Trio.

Ein Spaziergang mit Manolo über den Campingplatz wird gewöhnlich an jeder vierten Parzelle unterbrochen. Man kennt sich halt. In den frühen Morgenstunden ist das anders. Bis ich bei Jünter vorbeikomme. Mein Gladbacher Freund deckt gerade den Frühstückstisch vor seinem Mobilheim.

»Liebe Jong, was hast du denn gemacht? Gestern Abend war doch noch alles in Ordnung.«

Ich berichte ihm von Natascha Feldmann, die auf der Bank vor meinem Eigenheim auf mich gewartet hat und ihrem Anliegen.

»Na, da wird die Dame wohl einige Scheinchen drauflegen müssen. Schmerzensgeld gewissermaßen.«

»Die Dame ist heute Nacht ermordet worden«, fasse ich die Geschehnisse kurz und knapp zusammen. Das mit dem Schmerzensgeld gefällt mir aber trotzdem. Ist besser, als durch Kamelscheiße zu kriechen. Jünter muss sich erstmal setzen.

»Gibbet dat. Da lässt man dich mal einen Abend alleine und schon versorgst du deine Frau mit Arbeit!«

»Schön wär’s.«

»Wie meinst du das? Macht deine Julia nicht mehr in Mord?«

»Nur wenn es eine Leiche gibt. Die ist aber verschwunden.«

Jünter zieht die Stirn in Falten. Ich ahne, was in ihm vorgeht.

»Soll ich die SoKo zusammentrommeln? Teamsitzung um achtzehn Uhr bei Lissy?«

Das habe ich befürchtet. Ich muss zwar zugeben, dass ich meinen letzten Fall ohne die freundliche Unterstützung meiner Freunde von Happy Eiland wohl kaum hätte lösen können, lehne aber trotzdem höflich ab. Zumal sich mein Auftrag, wenn auch auf tragische Weise, erledigt hat.

»Musst du selber wissen. Obwohl«, er deutet auf meinen Turban, »dafür gibbet mit einem guten Anwalt locker zwei Riesen.«

Jünter hat eine verblüffende Überzeugungskraft.

»Und die hauen wir dann in Köln aufn Kopf, ich kann nämlich Karten besorgen für das Spiel beim Effzeh. Wir müssen den Bock sowieso umstoßen, da nehmen wir am besten gleich den Geißbock. Erst feiern wir den Sieg unserer Borussia, und danach lassen wir es uns in der Südstadt so richtig gutgehen …«

»Vorsicht, Feind hört mit«, lacht Hilde, die in diesem Augenblick den Kaffee bringt.

»Ich lass mir das durch den Kopf gehen«, teile ich Jünter im Gehen mit.

Zehn Minuten später krame ich die letzten Scheiben Dauerwurst aus dem Kühlschrank, während der Kaffee durchläuft. Ich schmiere Manolo ein Leberwurstbrötchen, als sich mein Handy meldet. Ist der Zirkusdirektor. Brauche ich jetzt nicht, ich drück den Anruf weg. Er versucht es anscheinend wieder, ich will ihn erneut ins Nirwana schicken, als ich im letzten Augenblick erkenne, dass es Julia ist.

»Hallo, Julia. Es tut mir leid, ich weiß immer noch nicht mehr.«

»Aber ich …«

»Hast du sie gefunden?«

»Nein, nur ihr leeres Wohnmobil, und das ist vor wenigen Stunden auf einem Stellplatz am Fürstenberg bis auf die Felgen ausgebrannt.«

5

Ich quetsche Emma auf den Grünstreifen der schmalen Straße zum Fürstenberg hinauf, um ein Löschfahrzeug der Xantener Feuerwehr passieren zu lassen. Kurz darauf stelle ich den Benz am Rand des Xantener Wohnmobilparks ab. Ganz hinten erkenne ich einen Pulk Menschen in kurzen Hosen und Badelatschen, die von einigen Uniformierten auf Abstand gehalten werden.

Ich drängle mich durch. Ein Jüngling mit einem Stern auf der Schulterklappe versperrt mir den Weg, Julia gibt ihm mit dem Telefon am Ohr ein Zeichen, mich durchzulassen.

»… ja! Sobald die Hundeführer eingetroffen sind, fahrt ihr zu dem Hof nach Wallach.«

Sie hat Leichenspürhunde angefordert. Scheint so, als nimmt meine Gattin mich langsam ernst. Leicht fällt ihr das anscheinend nicht, wie mir ihr Gesichtsausdruck verrät.

»Das nächste Mal passt du bitte besser auf deine Leiche auf, verstanden!«

»War das erste Mal, dass mir eine abgehauen ist«, bekräftige ich wahrheitsgemäß.

Inzwischen erstrahlt die Sommersonne über dem Fürstenberg und verspricht einen mollig warmen Tag. Ich sehe mir das Wohnmobil meiner Klientin näher an. Die Wände sind schwarz vom Ruß, der Aufbau ist oben, wo sich die Schlafkojen befinden, von der Hitze stark deformiert, ebenso das kleine Seitenfenster. Die luftleeren Reifen deuten darauf hin, dass die Feuerwehr sehr schnell zur Stelle war. Ein weiteres Indiz dafür ist die relativ unversehrte Fahrerkabine.

Eine in einen weißen Overall gehüllte Gestalt kommt aus dem Wohnmobil und reißt sich die Atemschutzmaske vom schweißnassen Kopf. Es ist Wim, der sich direkt mal über die unzumutbaren Arbeitsbedingungen beschwert.

»Mir macht das auch keinen Spaß, am frühen Morgen hier rumzuschnüffeln.«

Wieso sieht sie mich dabei an?

»Habt ihr was herausgefunden?«

»Es handelt sich zweifelsfrei um Brandstiftung. Jemand hat da drin flächendeckend Brandbeschleuniger eingesetzt.« Wim zeigt mit dem Daumen über seine Schulter.

»Dann ist der Mörder also, nachdem er die Leiche entsorgt hat, direkt hierhergefahren«, schließe ich daraus. Julia kommen Bedenken.

»Erstens haben wir immer noch keine Leiche. Und selbst wenn es einen Mörder geben sollte, warum bringt er sie nicht hier um und verbrennt die Leiche gleich mit?«

»Zu gefährlich. Ein Schrei, und der ganze Platz ist wach. Apropos, hat jemand was mitbekommen?«

Julia schüttelt den Kopf.

»Einer der Gäste hat um die fragliche Zeit ein Auto Richtung Innenstadt wegfahren hören. Hilft uns nicht weiter, zumal es sich um einen Anwohner gehandelt haben könnte. Meine Leute klappern gerade die Gegend ab.«

Julias Blick haftet an dem ausgebrannten Wohnmobil. Plötzlich dreht sie sich zu mir um.

»Was war da drin?«

»Das wüsste ich auch gerne.«

»Bevor ich es vergesse, ab jetzt übernehmen wir. Du bist raus aus dem Fall.«

»Logisch. Die Leiche ist mir ja eh abhandengekommen.«

»Freut mich, dass wir uns einig sind!«

Mir gefällt das alles nicht. Natascha Feldmann hat von brisanten Rechercheergebnissen erzählt. Auf den ersten Blick hatte der Brandstifter es darauf abgesehen. Aber meine Klientin dürfte kaum so blöd gewesen sein, Belastungsmaterial an einem Ort aufzubewahren, der mit jedem besseren Dosenöffner zugänglich ist. Und warum sollte der Täter das Wohnmobil so spektakulär abfackeln und Aufmerksamkeit auf sich ziehen? Von Julia habe ich erfahren, dass die Journalistin in einer Kleinstadt bei Frankfurt gemeldet ist.

Inzwischen ist Xantens Bürgermeister eingetroffen, um sich persönlich ein Bild zu machen, wie er sagt. Ein Pressefotograf stellt seine 1150er BMW neben uns ab und grüßt freundlich. Wird mir zu voll hier. Ich deute Wim an, ihn später anzurufen, und verdrücke mich unauffällig.

Auf dem Parkplatz von Happy Eiland kommt mir Uwe entgegen. Den Redakteur des Boten sieht man um diese Zeit eher selten außerhalb seiner Parzelle.

»Alles muss man selber machen«, meckert er sofort los. »Drüben auf dem Fürstenberg hat jemand ’n Feuerchen gemacht, und es ist mal wieder niemand zu erreichen.«

»Der Herr Bürgermeister wartet schon auf dich.«

Uwe stoppt abrupt.

»Was hattest du denn dort zu suchen? Und was ist mit deinem Kopf? Warst du etwa bei dem Brand dabei?«

Ich kläre Uwe in knappen Sätzen über die Geschehnisse der letzten zwölf Stunden auf.

»Wie heißt die Kollegin, vielleicht kenne ich sie?«

»Wohl kaum, sie lebte in der Nähe von Frankfurt und heißt … ich meine, sie hieß Natascha Feldmann.«

Uwe sieht mich an, als habe mich die Bundeskanzlerin persönlich engagiert.

»Natascha Feldmann? Du willst mir erzählen, dass die Feldmann mitten in der Nacht in unser verträumtes Labbeck kommt, um dich um Hilfe zu bitten?«

Ich habe mich längst daran gewöhnt, dass Uwe »Jan und alle Mann« kennt. Ein Umstand, der ihn als Mitglied der Campingplatz-SoKo bei meinem letzten Auftrag sehr nützlich machte. Damit habe ich allerdings nicht gerechnet.

»Woher kennst du die Dame?«

»Ich frage mich eher, wieso du sie nicht kennst. Natascha Feldmann ist seit Jahren die erfolgreichste Investigativjournalistin der Republik. Ihre Karriere begann 2004, damals hat sie es mit ihren Recherchen fertiggebracht, den Chef der größten deutschen Bank vor Gericht zu ziehen. Ob Dioxin in Hühnereiern, der Gammelfleisch-Skandal oder Missbrauch in der Kirche, Feldmann hat überall ihre flinken Finger drin. Und die kommt nach Labbeck, um dich zu beauftragen? Ich fasse es nicht! Moment, was hast du eben gesagt, die ist heute Nacht ermordet worden?«

Ich habe Uwe selten so aufgedreht erlebt.

»So sieht es aus«, antworte ich lapidar.

»Und Uwe hat die Story exklusiv, gibt es das?«, freut sich Uwe.