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Sie ist die Frau eines mächtigen Mannes – eine verbotene Liebe könnte sie weit mehr kosten als ihren Ruf … Seit ihrer Ehe mit dem einflussreichen Senator Lewis Honneker lebt Ronnie in einer Welt aus Macht, Publicity und Kontrolle. Für die Öffentlichkeit ist sie die perfekte Ehefrau – jung, schön, loyal. Doch hinter den Kulissen ist ihr Leben erfüllt von Einsamkeit, Misstrauen und Gerüchten über die dunklen Geheimnisse ihres Mannes. Als ihr der Politstratege Tom Quinlan für die Zeit des Wahlkampfs an die Seite gestellt wird, bringt er nicht nur frischen Wind in die Kampagne, sondern auch in Ronnies Herz. Zwischen ihnen entwickelt sich eine knisternde Anziehung, der sie sich nicht entziehen können, so sehr sie auch dagegen ankämpfen. Aber dann stirbt Lewis plötzlich – und Ronnie gerät ins erbarmungslose Visier der Behörden und der Öffentlichkeit … Leidenschaft trifft Gefahr – Packende Romantic Suspense für alle Fans von Stella Tack, Linda Howard und Sylvia Day
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Seitenzahl: 409
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Seit ihrer Ehe mit dem einflussreichen Senator Lewis Honneker lebt Ronnie in einer Welt aus Macht, Publicity und Kontrolle. Für die Öffentlichkeit ist sie die perfekte Ehefrau – jung, schön, loyal. Doch hinter den Kulissen ist ihr Leben erfüllt von Einsamkeit, Misstrauen und Gerüchten über die dunklen Geheimnisse ihres Mannes. Als ihr der Politstratege Tom Quinlan für die Zeit des Wahlkampfs an die Seite gestellt wird, bringt er nicht nur frischen Wind in die Kampagne, sondern auch in Ronnies Herz. Zwischen ihnen entwickelt sich eine knisternde Anziehung, der sie sich nicht entziehen können, so sehr sie auch dagegen ankämpfen. Aber dann stirbt Lewis plötzlich – und Ronnie gerät ins erbarmungslose Visier der Behörden und der Öffentlichkeit …
eBook-Neuausgabe Oktober 2025
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1998 unter dem Originaltitel »The Senators Wife« bei Delacorte Press. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Die Frau des Senators« bei Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1998 by Karen Robards
Published by arrangement with Delacorte Press, an imprint of Dell
Publishing, a division of Bantam Doubleday Dell
Publishing Group Inc.,
All Rights reserved.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1999 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von Aliaksandr Siamko / Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (cdr)
ISBN 978-3-69076-487-2
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Karen Robards
Roman
Aus dem Amerikanischen von Alexandra von Reinhardt
dotbooks.
Dieses Buch ist wie immer in Liebe meinem Mann Doug und unseren Söhnen Peter, Christopher und Jack gewidmet. Es soll auch an meine Neffen Michael Chase Johnson, geb. am 23. September 1996, Trevor James Johnson, geb. am 24. Februar 1997 sowie Justin Read Colepaugh, geb. am 7. Juli 1996, erinnern.
Donnerstag, 10. Juli 1997
»Süßer, das sieht mir aber gar nicht nach einem Hot dog aus, viel eher nach einem Wiener Würstchen!«
Die Kleine war betrunken. Stockbesoffen und dazu noch high von Koks und allen möglichen anderen Drogen. In ihrem Zustand wußte sie gar nicht mehr, was sie sagte, rief er sich ins Gedächtnis; doch trotzdem schweifte sein Blick unwillkürlich zum Objekt ihrer Belustigung.
Er hatte gerade erklärt, daß er seinen Hot dog zwischen ihre Arschbacken schieben würde, aber was sie beide betrachteten, war wirklich klein und schrumpelig – ein Wiener Würstchen!
»Winzling, Winzling!« kicherte sie, während er am Fußende des Bettes stand. »Das wäre der ideale Spitzname für dich – Winzling!«
Sie war eine der Nutten, die für diese Party engagiert worden waren. Zwei Männer hatten sie schon bearbeitet, und es schien ihr gefallen zu haben. Schwaches Licht aus den Casinos am nahen Ufer von Biloxi fiel durch die Luke ein und verlieh ihrem Körper von der Taille bis zu den Füßen einen seidigen Schimmer. Lange schwarze Haare fielen ihr wie ein Vorhang über das Gesicht, aber dazwischen blitzten strahlend weiße Zähne und amüsiert funkelnde Augen hervor. Sie war genauso splitternackt wie er selbst und lag bäuchlings da, Arme und Beine x-förmig gespreizt, mit Seidentüchern, die sie selbst mitgebracht hatte, an die Bettpfosten gefesselt. Ihr wohlgeformtes weißes Gesäß, von Liebesbissen gezeichnet, wackelte einladend. Sie gehörte offenbar zu den seltenen Huren, die Sexspiele wirklich genossen, und das ärgerte ihn, weil er dadurch seine absolute Macht einbüßte. Wie sie gekreischt hatte, als Clay es ihr besorgte! Er hatte sie durch die geschlossene Kabinentür gehört, während er ungeduldig darauf wartete, selbst an die Reihe zu kommen, und diese schrillen Lustschreie hatten ihn so erregt, daß er einen Steifen bekam.
Davon war jetzt bedauerlicherweise nichts mehr übrig.
»Willst du’s beim Glotzen belassen, Darling, oder aktiv werden?« fragte sie frech.
»Halt’s Maul!« rief er wütend und versetzte ihr einen kräftigen Schlag auf den Hintern.
»Aua!«
Sie wand sich übertrieben, und er verabreichte ihr noch einige Hiebe. Ihre wilden Zuckungen lösten bei ihm eine leichte Erektion aus, aber sie verdarb alles wieder durch hysterisches Kichern.
»Ruhe!« schrie er, kniete sich zwischen ihre Beine und versuchte sie zu besteigen.
»Süßer, ich hoffe wirklich, daß Hingucken dir genug Spaß macht, denn mit deinem Schwanz wird das heute nichts mehr! Der ist ja so weich wie’n Mohrenkopf.«
Ihm fiel plötzlich ein, daß andere draußen vor der Tür genauso lüstern lauschen könnten, wie er selbst es zuvor getan hatte, und ihr albernes Kichern würde seinen Ruf zunichte machen.
»Hör auf zu lachen!« knurrte er, drückte ihr Gesicht ins Kissen und warf ein zweites Kissen über ihren Kopf. Jetzt waren die Geräusche, die sie von sich gab, wenigstens so gedämpft, daß niemand außerhalb der Kabine sie hören konnte.
Konzentriere dich auf deine Aufgabe, befahl er sich und rieb seinen Penis hingebungsvoll. Nichts!
Es lag gar nicht an ihm, redete er sich ein, sondern an ihr, an diesem Kichern.
»Du sollst damit aufhören, hab’ ich gesagt!«
Er legte sich mit seinem schweren Körper auf die zierliche Person und preßte das Kissen auf ihren Kopf. Das tat seine Wirkung: Endlich verstummte das störende Geräusch.
Gut! Es war nicht ganz einfach, eine Position zu finden, in der er sie ruhig halten und gleichzeitig sein Werk verrichten konnte. Er bevorzugte bei Frauen den hinteren Eingang, und als er endlich am Ziel seiner Wünsche war, bäumte sie sich so wild auf, als verschaffte er ihr grenzenlose Lust.
»Dumme Pute!« murmelte er, aber ihr Zappeln und Strampeln erregte ihn so, daß er schon nach wenigen Stößen zum Höhepunkt gelangte. Keuchend ließ er sich auf sie fallen, sehr zufrieden, weil es ihm wieder einmal gelungen war, seine Manneswürde zu bewahren.
Vielleicht sollte er, um nicht impotent zu werden, das Trinken und den Drogenkonsum einstellen, aber andererseits machte ihm beides viel mehr Spaß als Sex.
Würde sie wieder kichern, wenn er das Kissen entfernte? Verdammt, dann würde er sie umbringen!
Endlich stieg er vom Bett hinab. Sie bewegte sich nicht, während er sich anzog. Das nahm einige Zeit in Anspruch, denn der soeben vollbrachte Kraftakt hatte ihn erschöpft, und außerdem schaukelte die Yacht im leichten Wellengang.
Jemand hämmerte an die Tür. »He, Zuchtbulle, bist du bald fertig?«
»Du kannst schon mal den Hosenstall aufmachen!« rief er, plötzlich wieder gutgelaunt. Die Nutte lag immer noch schlaff und regungslos da. Er hatte es ihr ordentlich besorgt, er war ein Teufelskerl! Jetzt konnte er hocherhobenen Hauptes die Kajüte verlassen. Nachdem er das Kissen beiseite geworfen hatte, kniff er das Mädchen ins Gesäß und riß die Tür auf.
»Der Nächste bitte!« grinste er, während er auf den dunklen Gang hinaustrat. Ralph taumelte an ihm vorüber, so betrunken, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
»Taugt sie was?« lallte er mit offenem Reißverschluß.
Der andere begnügte sich mit einem Achselzucken, mit den Gedanken schon wieder an Deck, wo es flotte Musik, nackte Mädchen, eisgekühlte Getränke und Drogen gab. Was gab es Schöneres?
Durch die geschlossene Tür hörte er Ralph plötzlich schreien: »O Gott!«
Und gleich darauf: »Scheiße! Scheiße! Verdammte Scheiße!«
Montag, 14. Juli, Jackson, Mississippi
»Ich hab’s! Wie wär’s, wenn sie schwanger würde?«
In seinem bequemen Sessel zurückgelehnt, reagierte Tom Quinlan nicht sofort auf den nur halb ernstgemeinten Vorschlag seines Partners. Er beobachtete intensiv die schlanke rothaarige Frau auf dem Bildschirm. Das Video zeigte sie bei einer Rede, die sie vergangene Woche bei einem Abendessen für Autohändler und deren Frauen gehalten hatte.
Tom liebte es, seine zukünftigen Klienten in Aktion zu sehen, bevor er sie persönlich kennenlernte, weil ihm das ein objektiveres Urteil ermöglichte.
Diese Frau war nicht das, was er erwartet hatte. Bei der Wahl seiner zweiten Gemahlin hatte der Senator allem Anschein nach nicht sein Gehirn, sondern ganz andere Körperteile entscheiden lassen. Sie war mittelgroß, zierlich, jung und schön. Im Zeitalter des Fernsehens konnte man sich im Grunde gar nichts Besseres wünschen, doch in diesem Fall war es eher von Nachteil, denn die weiblichen Wähler würden zwangsläufig eifersüchtig und neidisch sein.
Toms Stirn legte sich in immer tiefere Falten. Sie war keine gute Rednerin. Während sie ihren Text herunterleierte, wirkte sie hölzern und hielt das Pult mit beiden Händen umklammert, so als würde es verschwinden, wenn sie es einmal losließ. Wahrscheinlich hatte irgendein früherer Berater ihr diese Haltung empfohlen.
Viel zu steif und trocken, kommentierte er insgeheim, aber dagegen ließ sich Abhilfe schaffen. Problematischer war ihr Äußeres: diese auffällige Schönheit mußte unbedingt auf mehr oder weniger durchschnittliches Aussehen reduziert werden, und etwas älter sollte sie auch wirken.
Das Kinn auf beide Hände gestützt, brütete Tom vor sich hin, ohne die Frau aus den Augen zu lassen. Ihr schulterlanges Haar war kastanienbraun, aber mit einem stark rötlichen Anstrich. Naturfarbe oder Tönung? Gleichgültig, dieses Rot mußte verschwinden, denn es wurde in der Öffentlichkeit unweigerlich mit Hexen assoziiert, und dieses Image konnte sie nicht gebrauchen. Auch ihre Kleidung war falsch. Sie trug ein schwarzes Kostüm mit Silberborten und großen Knöpfen, schwarze Strümpfe und Schuhe. Eigentlich hätte man meinen sollen, daß das der ideale Aufzug für die Gemahlin eines Politikers war, aber der Strickstoff brachte ihren perfekt geformten Körper viel zu sehr zur Geltung, und der Rock, der gut zehn Zentimeter über den Knien endete, war viel zu kurz. Außerdem sah man diesem Kostüm an, daß es mehr als drei oder vier Monatslöhne des Durchschnittswählers gekostet hatte.
Die Riemchenschuhe waren viel zu modisch und hatten viel zu hohe Absätze, und ihr perfekt zum Outfit passender Schmuck war auch nicht dazu angetan, Sympathien zu gewinnen, denn die funkelnden Diamanten in den Ohrringen und im Kollier schienen echt zu sein. Kein Modeschmuck für die zweite Mrs. Lewis R. Honneker IV, des Senators und Multimillionärs! Das hatte sie natürlich nicht nötig, würden die Wähler neidisch sagen.
Ihr Hauptproblem bestand darin, daß sie sich gar keine Mühe gab, all die Vorteile einer Ehe mit dem mehr als doppelt so alten reichen Politiker zu verbergen. Toms Aufgabe würde darin bestehen, dieses strahlende Bild zu dämpfen, und außerdem mußte er sie dazu bringen, über Themen zu sprechen, die den Wählerinnen am Herzen lagen: Kinder, Arbeitsplätze, Ehemänner und Kochkünste. Wenn der Senator die nächste Wahl gewinnen wollte, mußte sie hart arbeitende Frauen und strapazierte Mütter für sich gewinnen. Keine leichte Aufgabe, aber er würde sie ihr einpauken, koste es, was es wolle!
»Eine Schwangerschaft wäre großartig«, ging er endlich auf die Bemerkung seines Partners ein. »Frauen lieben so was! Sie würden sie bestimmt ins Herz schließen, wenn sie wie eine Ente watscheln und wegen ihres dicken Bauchs die eigenen Füße nicht mehr sehen würde! Aber um nichts dem Zufall zu überlassen, solltest du dich vielleicht an sie ranmachen, Kenny!«
»Das überlasse ich lieber dir«, schnaubte sein Partner, »oder hast du vergessen, daß ich im Gegensatz zu dir verheiratet bin? Außerdem sieht sie so aus, als würde sie nur Kerlen mit mindestens einer Million auf der Bank auch nur ein müdes Lächeln schenken!«
»Ja, da hast du recht, und damit dürften wir beide von vornherein ausscheiden.«
Toms Konto war höchstens dreistellig, und Kenny ging es nicht viel besser. Dieser neue Job war für sie ein Riesenglück, denn alle anderen Aufträge brachten nicht viel ein, und man konnte mit ihnen auch keine Reklame machen.
»Das Image der jungen Dame muß von Grund auf verändert werden. Die roten Haare müssen weg, ebenso wie die Klunker und die Kleider!«
»Wer sagt’s denn?« grinste Kenny. »Du hast sie in Gedanken also schon ausgezogen!«
Sein Humor entlockte Tom nur ein müdes Lächeln. »Das Schlüsselwort lautet RESPEKT, mein Freund! Sie ist unsere Klientin, das darfst du nie vergessen.«
»Ja, ja, ich weiß schon, keine Klienten, keine Kohle ... Und ich esse ganz gern.«
»Tim wir alle.« Tom warf wieder einen Blick auf den Bildschirm. »Gibt’s vielleicht niedliche Kinder, die wir ausschlachten könnten?«
Kenny schüttelte den Kopf. »Nur Stiefkinder aus seiner ersten Ehe, alle älter als sie, und sie scheinen für Mylady nicht viel übrig zu haben.«
Tom schnitt eine Grimasse. Nachdem er diese Stiefkinder früher gut gekannt hatte, wunderte ihn das nicht, aber andererseits hätten sie sich in achtzehn Jahren ja auch positiv ändern können.
»Was ist mit einem Hund oder einer Katze? Einem Vogel oder Goldhamster?«
Kenny schüttelte wieder bedauernd den Kopf. »Gar nichts.«
»Jammerschade! Wir haben also überhaupt nichts Sympathieträchtiges?«
»Nein, deshalb meinte ich ja, daß eine Schwangerschaft die beste Lösung wäre.«
»Es dürfte einfacher sein, ihr einen Hund zu beschaffen, am besten irgendeinen struppigen Mischling aus dem Tierheim, den sie angeblich vor einem trostlosen Schicksal bewahrt hat! Groß, tolpatschig und liebenswert, oder auch klein, wuschelig und liebenswert. Liebenswert – nur darauf kommt es an! Such herum, finde eine Promenadenmischung, die Mylady retten kann!«
»Ich? Warum denn ich?«
»Weil ich der Seniorpartner bin und mich mit der Dame beschäftigen werde. Außerdem war es deine Idee.«
»Nein, der Köter war deine Idee – ich wollte sie mit einem Baby beglücken.«
Tom überhörte diesen Einwand. »Wir werden Fotos von ihr und dem Senator mit dem Hund machen. Gemeinsame Spaziergänge, Stöckchenwerfen und all so was ... rührende Szenen, die zu Herzen gehen!«
»Ist das mit dem Hund wirklich dein Ernst?«
»O ja.«
»Und glaubst du, daß der Senator damit einverstanden sein wird?«
»Er steht in allen Meinungsumfragen so schlecht da, daß er zu allem ja und amen sagen wird.«
»Und nach den Wahlen kann man den Hund ja ins Tierheim zurückbringen, stimmt’s?« fragte Kenny trocken.
»Sei nicht so zynisch, mein Freund! Vielleicht bist du schon zu lange in diesem Geschäft.«
Tom verschränkte lächelnd die Hände im Nacken und lehnte sich wieder im Schreibtischsessel zurück, der wie die übrige Büroeinrichtung nur gemietet war, aber im Geschäftsleben kam es genauso wie in der Politik darauf an, einen guten Eindruck zu machen. Tom war gerade dabei, sich mit Händen und Klauen aus einer tiefen Grube hochzuarbeiten, und teure Möbel gehörten zum Bluff.
»Verdammt, ich weiß genauso gut wie du, wie die Sache läuft«, widersprach Kenny. »Wenn Honneker in den Umfragen noch mehr Punkte verliert, wird er dich händeringend anflehen, seine Frau zu schwängern! Erfolg um jeden Preis ... «
Tom lachte. »Erfolg um jeden Preis ... vielleicht sollten wir diesen Slogan auf unsere Visitenkarten setzen: Quinlan, Goodman und Co., politische Berater: Erfolg um jeden Preis.«
»Hört sich nicht schlecht an!« Kenny griff nach einem Donut. Er hatte heute Morgen ein Dutzend mitgebracht, und jetzt, um halb elf, fehlten schon fünf aus der Schachtel auf dem Schreibtisch.
Tom, der kein einziges gegessen hatte, bemerkte ironisch: »Wolltest du nicht Diät halten? Wenn ich mich nicht irre, hattest du letztes Jahr einen Herzinfarkt!«
»Einen ganz leichten«, verteidigte Kenny sich. »Nur eine Warnung, und verursacht durch Streß und nicht durch Donuts.«
»Okay«, sagte Tom begütigend, obwohl er insgeheim dachte, daß er schon längst tot sein müßte, wenn Streß die einzige Ursache von Herzinfarkten wäre. Stattdessen erfreute er sich mit siebenunddreißig bester Gesundheit, trotz der Katastrophen innerhalb der letzten vier Jahre. Kenny war nicht viel älter, geriet aber aufgrund seiner Fettleibigkeit leicht ins Schwitzen und hatte eine ungesund fahle Gesichtsfarbe, was Tom Sorgen bereitete, denn er hatte nicht viele Freunde, und außerdem war er für den Streß verantwortlich, auch wenn Kenny ihm nie Vorwürfe gemacht hatte. Er selbst machte sich umso mehr Vorwürfe, daß er Mist gebaut und sich und seinen Partner fast ruiniert hatte.
»Wann lernen wir die Dame denn kennen?« wollte Kenny wissen, während er die Hand nach einem weiteren Donut ausstreckte.
Tom brachte die Schachtel rasch außer Reichweite. »Heute gegen Mittag. Sie hält eine Rede auf dem Jahrmarkt von Neshoba, und ich möchte sie sehen, bevor wir uns an die Arbeit machen.«
»Die Wähler hassen sie, stimmt’s?«
»Ja, allen Umfragen zufolge ist der Senator beliebt, aber sie verdirbt seine Chancen auf eine Wiederwahl. Seine erste Frau Eleanor war sehr beliebt, und alle Frauen waren entrüstet, als er diese zweite Ehe einging.«
Kenny warf einen Blick auf den Bildschirm. »Durchaus verständlich, würde ich sagen. Das ist doch der reinste Vamp!«
»Und unsere Aufgabe besteht darin, sie in eine Mom zu verwandeln«, erwiderte Tom nüchtern. »Wir müssen dafür sorgen, daß die Wählerinnen Mrs. Honneker als brave Südstaatlerin empfinden, als eine der ihren, und daß sie den Senator ihretwegen wählen.«
»Hältst du dich für ein Genie? Mir würde es schon genügen, wenn man sie nicht mehr verabscheut!«
»Das ist nicht gut genug.« Tom warf die Schachtel mit den restlichen Donuts in den Papierkorb, zerquetschte sie absichtlich und grinste anzüglich, während er das Videogerät ausschaltete. »Wenn wir ein Comeback schaffen wollen, müssen wir die Wähler dazu bringen, sie zu lieben, und dazu müssen wir unsere ganze Fantasie aufbieten. Komm, Kenny, es wird Zeit, unseren neuen Boß kennenzulernen.«
Nach einem letzten sehnsüchtigen Blick auf die zerdrückten Donuts folgte Kenny Goodman seinem Partner.
Der US-Staat Mississippi mußte im Juli der heißeste Ort auf Erden sein, dachte Veronica Honneker verzweifelt. Die Temperatur betrug schon 34° C, und das Thermometer stieg immer noch! In der schwülen Luft konnte man kaum atmen, und das große weiße Zelt schützte zwar vor der sengenden Sonne, staute aber die Hitze. Ronnies Leinenkleid war kurz und ärmellos, aber sie hätte es liebend gern ausgezogen, ebenso wie die Strumpfhose, die an ihren Beinen klebte, und den drückenden Büstenhalter. Ihr Deodorant war diesen Anforderungen nicht gewachsen: sie hatte nasse Achselhöhlen, und Schweiß lief ihr in Strömen über den Rücken. Der kleine Ventilator, der neben ihr auf dem Boden der Tribüne stand, war machtlos gegen die bleischwere Luft.
»Denken Sie daran – wenn Sie meinen Mann wählen, stimmen Sie für bessere Ausbildungschancen, und Bildung ist die Brücke, die Mississippi erfolgreich ins 21. Jahrhundert führen wird«, schloß Ronnie ihre Standardrede, zusätzlich entnervt von einer Fliege, die seit mindestens drei Minuten um ihren Kopf herumschwirrte. Es sah lächerlich aus, wenn man nach Fliegen schlug, das wußte sie von den Videoaufnahmen anderer Redner, die Lewis’ Berater ihr vorgeführt hatten. Auf gar keinen Fall Fliegen verscheuchen, immer lächeln und sich am Pult festhalten, wenn man nicht eindrucksvoll gestikulieren konnte ... Seit sie Lewis geheiratet hatte, war sie bis zum Überdruß mit Ratschlägen dieser Art eingedeckt worden.
Erleichtert darüber, wieder einmal einen Auftritt hinter sich gebracht zu haben, löste sie ihre verkrampften Finger vom Pult, lächelte strahlend in die Runde und bedankte sich mit einem Winken für den höflichen Applaus, der verebbte, noch bevor sie die Tribüne verließ. Das Dessert war soeben serviert worden, und dafür interessierten sich die Leute viel mehr als für ihre Ausführungen.
Ronnie wußte, daß sie unbeliebt war. Sie würde hier nie angenommen werden, weil sie keine Südstaatlerin war, sondern eine ›Ausbeuterin aus dem Norden‹, eine ohne imposanten Stammbaum, die sich den Senator geangelt hatte, dessen Familie in Mississippi lebte und hohes Ansehen genoß.
Die Gastgeberin, eine Mary Sowieso – den Nachnamen hatte Ronnie nicht verstanden –, führte sie zu einem Tisch direkt vor der Rednertribüne. Hier saßen jene Leute, von denen man sich die größten Spenden erhoffte, und natürlich mußte Ronnie zu ihnen besonders charmant sein.
»Mrs. Honneker, das ist Elizabeth Chauncey ...« Notgedrungen reichte sie der älteren Dame lächelnd die Hand.
»Ich kenne Ihre Schwiegermutter«, berichtete Mrs. Chauncey und ließ sich ausführlich über die näheren Umstände dieser Bekanntschaft aus. Ronnie hörte mit halbem Ohr zu und rang sich einige höfliche Bemerkungen ab, bevor sie weitergeschleppt wurde. Es dauerte über eine Stunde, bis sie alle Gäste im Festzelt begrüßt hatte, und sie war völlig erschöpft und hatte gräßliches Kopfweh, als sie endlich dem letzten potentiellen Wähler die Hand schüttelte.
Als Frau eines Senators gehörte es zu ihren Pflichten, Wähler und Geldgeber zu hofieren, und sie haßte diese verlogene Komödie. Immer lächeln, egal wie sie sich fühlte ... Heute fühlte sie sich hundsmiserabel und wäre am liebsten schnurstracks nach Hause gefahren, um zu duschen, Schmerztabletten zu schlucken und sich im Bett zu verkriechen.
Aber davon konnte sie nur träumen ...
»Heute lief’s sehr gut«, kommentierte Thea fröhlich, während sie zum Ausgang geleitet wurden, wo ein Staatspolizist ihnen die Zeltklappe aufhielt. Thea Cambridge, ihre Pressesekretärin, war dreißig, nur ein Jahr älter als Ronnie, eine attraktive schlanke Frau mit kurzen dunklen Haaren. Sie arbeitete seit zwei Jahren für die ›zweite Mrs. Honneker‹, und die beiden hatten sich angefreundet.
Grelles Sonnenlicht blendete Ronnie, sobald sie aus dem Zelt ins Freie trat, und sie hatte das Gefühl, in einen staubigen Glutofen geraten zu sein. Die verschiedenen Jahrmarktsgerüche bereiteten ihr Übelkeit: Hot dogs, Zuckerwatte, Popcorn, Viehmist und Auspuffgase. Blinzelnd rang sie um Fassung. Schlimmer als Mississippi im Juli konnte nicht einmal die Hölle sein! Wenn nicht diese gottverfluchten Wahlveranstaltungen wären, könnte sie es sich jetzt in Lewis’ Cottage in Maine gemütlich machen. Seit ihrer Heirat hatte sie bisher jeden Sommer dort verbracht, und bei dem Gedanken an die kühle grüne Küstenlandschaft wurde ihr noch heißer. Jenes Cottage gehörte zu den größten Vorteilen ihrer Ehe.
Und dieser Juli in Mississippi war zweifellos der größte Nachteil.
»Mrs. Honneker?« Die tiefe Männerstimme war weich und melodisch, mit der lässigen gedehnten Sprechweise des Südens. Obwohl Ronnie immer noch von der Sonne geblendet war, vermutete sie, daß es sich um einen Reporter handelte, weil diese lästigen Typen immer dann auftauchten, wenn ihr am wenigsten nach einem Interview zumute war. Mühsam verzog sie den Mund zu einem Lächeln.
»Ja?«
»Ich bin Tom Quinlan, und das ist mein Partner Kenny Goodman. Quinlan, Goodman und Co.«
»Aha ...«
Verwirrt betrachtete Ronnie die beiden Männer in weißen Hemden und leichten Sommeranzügen. Der eine war dick, sein hellblaues offenes Sakko war zerknittert, und die gelbe Krawatte hing schief. Er hatte lockige schwarze Haare, einen ungesunden Teint und schwitzte stark. Sein Gefährte, der sie angesprochen hatte, war groß und schlank, mit blonden Haaren, Geheimratsecken und sonnengebräuntem Gesicht. Sein graues Jackett war korrekt zugeknöpft, seine marineblaue Krawatte saß tadellos, und er wirkte trotz der Hitze frisch und entspannt.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte Ronnie mechanisch und reichte beiden Männern die Hand. Die Polizeibeamten, die für ihre Sicherheit verantwortlich waren, ließen die Fremden nicht aus den Augen. Einerseits mußte die Frau des Senators die Möglichkeit haben, ungehindert mit Wählern zu sprechen, aber andererseits war das immer riskant, weil man mit Attacken irgendeines Verrückten rechnen mußte.
Diese Männer sahen allerdings nicht wie Psychopathen aus. Ronnie überlegte krampfhaft, ob sie vielleicht wichtige Geldgeber waren. Müßten die Namen ihr vertraut sein? Lewis’ Büro in Washington schickte ihr regelmäßig Namenslisten von großzügigen Spendern zu, die ständig aktualisiert wurden, aber sie war fast sicher, noch nie etwas von Quinlan und Goodman gehört oder gelesen zu haben.
Trotzdem setzte sie für alle Fälle ein strahlendes Lächeln auf. Lewis hatte ihr eingehämmert, daß Geld das Lebenselixier der Politik war. Wahlkampagnen waren sehr kostspielig, und Politiker lebten nur, solange sie in Amt und Würden waren, das hatte Ronnie im Laufe ihrer Ehe schmerzlich erfahren. Der Senatssitz war für Lewis genauso notwendig wie die Luft zum Atmen. Er brauchte die Macht und das Rampenlicht genauso wie Speis und Trank, aber bedauerlicherweise hatte sie das erst nach der Hochzeit begriffen.
»Wir sind politische Berater, Mrs. Honneker, und ab heute arbeiten wir für Sie«, erklärte der Blonde, dem offenbar nicht entgangen war, daß die Namen ihr nichts sagten. Aber das störte sie jetzt nicht mehr, denn Lewis hatte ihr schon so viele solcher Berater aufgezwungen, daß sie ihr genauso willkommen waren wie summende Fliegen!
Ihr Lächeln erlosch abrupt, und sie freute sich, ihre Gesichtsmuskeln wenigstens für einige Minuten entspannen zu können. Ihr Kopf dröhnte zum Zerspringen, ihre Finger schmerzten vom unablässigen Händeschütteln, und sie warf Thea einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Wir haben heute Morgen ein Fax aus Washington bekommen«, sagte die Sekretärin entschuldigend. »Ich wollte es dir später zeigen. Ich dachte nicht, daß sie schon jetzt auftauchen würden.«
Thea wußte, daß Ronnie von politischen Beratern keine hohe Meinung hatte, seit einer ihr empfohlen hatte, zwanzig Pfund zuzunehmen. »Je molliger Sie sind, desto besser können sich die meisten Frauen mit Ihnen identifizieren«, hatte er wohlmeinend verlauten lassen, und seitdem verabscheute Ronnie diesen Berufsstand.
»Mrs. Honneker, in fünf Minuten beginnt die Prämierung der Little Miss Neshoba County!« rief eine plumpe Frau in buntem Blumenkleid aufgeregt. Beim Anblick der riesigen Zentifolien auf dem Kleid fiel Ronnie der Name dieser Organisatorin wieder ein: Rose. Mit Hilfe solcher Gedächtnisstützen prägte sie sich Namen ein, und diese Fähigkeit gehörte ihrer eigenen Einschätzung nach zu den wenigen Trümpfen, die sie als Frau eines Politikers vorweisen konnte.
»Vielen Dank, Rose«, sagte sie lächelnd, und die Frau strahlte, sichtlich geschmeichelt, daß Ronnie sich an sie erinnerte, obwohl sie nur wenige Worte miteinander gewechselt hatten. Solche Kleinigkeiten gaben Menschen das Gefühl, wichtig zu sein, und auf diese Weise sammelte man Wählerstimmen.
»Dürfen wir mitkommen?« fragte Quinlan, und Ronnie nickte resigniert. Zwei Polizisten bahnten ihr und ihrem Gefolge – Thea, Rose, einem weiteren Polizisten und den beiden neuen politischen Beratern – einen Weg durch die Jahrmarktsbesucher. Junge Paare schlenderten Hand in Hand umher, Frauen in legerer Kleidung schoben Kinderwagen, Teenager in knappen Shorts gaben lautstarke Kommentare ab, und ältere Frauen in geblümten Kleidern plauderten in kleinen Grüppchen. Ronnie lächelte allen mechanisch zu, und einige lächelten zurück, aber es waren nur sehr wenige.
Manchmal kam sie sich wie die meistgehaßte Frau des Staates Mississippi vor!
Sie waren fast am Ziel, als es passierte ... Ronnie hatte gerade das große weiße Zelt hinter dem Zuckerwattestand erspäht, das wegen des mit Ballons geschmückten Plakats – 14 Uhr: Little Miss Neshoba County Pageant – viele Besucher anlockte, als eine dicke Frau in viel zu engen grünen Shorts und gestreifter Bluse mit hochrotem verschwitztem Gesicht unter wasserstoffgebleichten Haaren auf sie zugerannt kam.
»Hure!« kreischte sie.
Ronnie wich erschrocken zurück und riß instinktiv einen Arm hoch, als etwas Silbriges auf sie zuflog. Der Behälter prallte hart gegen ihre Hand, und ein scharfer Geruch stieg ihr in die Nase, während die Flüssigkeit sie bespritzte, kühl und klebrig.
O Gott, dachte sie, jetzt ist alles aus!
Die Flüssigkeit ergoß sich über Ronnies Kopf, rann über ihr Gesicht und durchnäßte das Vorderteil ihres Kleides. Sie hörte Schreie, Leute rannten an ihr vorbei und überwältigten offenbar die kreischende Angreiferin, während sie mit geschlossenen Augen nach Luft rang und sich mit zittrigen Händen über die nassen Wangen fuhr. Ihr schlimmster Alptraum war soeben Wirklichkeit geworden. Sie taumelte auf ihren hohen Absätzen und verlor das Gleichgewicht, aber jemand fing sie unerwartet auf, und ein harter Männerkörper gab ihr den nötigen Halt. Sekunden später legte sich ein Arm um ihre Schultern, ein anderer schob sich unter ihre Knie, und sie wurde hochgehoben. Blind und benommen, konnte sie sich nicht dagegen wehren. Wenn sie jetzt entführt wurde, war sie so hilflos wie ein Kleinkind.
Trotzdem versuchte sie verzweifelt, sich zu befreien.
»Sie brauchen keine Angst zu haben, ich will Sie nur in Sicherheit bringen«, murmelte eine tiefe Männerstimme ihr ins Ohr, und sie hörte beruhigt auf zu strampeln.
»Wo ist die nächste Toilette?« brüllte der Mann, und jemand mußte geantwortet haben, denn während sie an ihren verklebten Lidern rieb, wurde sie von starken Armen weggetragen, und nach der sengenden Sonne landete sie plötzlich in einem kühlen, dunklen Ort.
»Können Sie stehen?«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, stellte der Mann sie auf die Beine. Sie traute sich nicht, die Augen zu öffnen, um nicht noch mehr von der unbekannten Flüssigkeit abzubekommen, und deshalb wußte sie nicht einmal, wer ihr Retter war. Ihr schwindelte, und sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Taumelnd klammerte sie sich an einen harten Gegenstand, der gegen ihren Magen drückte. Er war kalt, glatt und abgerundet, und als ein Wasserhahn aufgedreht wurde, begriff sie, daß es ein Waschbecken war. Der Mann hatte einen Arm um ihre Taille geschlungen, und sie war dankbar für diese kräftige Stütze, denn andernfalls hätte sie sich nicht aufrecht halten können.
»Halten Sie Ihr Gesicht in den Wasserstrahl!«
Er drückte ihren Kopf behutsam nach unten, und sie bückte sich gehorsam, auf beide Arme gestützt. Eine Hand strich ihre Haare zurück, und lauwarmes Wasser lief über ihre Stirn, über ihre Nase, über ihre Wangen. Das fühlte sich angenehm auf der Haut an, prickelte auf den geschlossenen Lidern.
O Gott, war es Säure gewesen? Würde sie nun ihr Leben lang blind und entstellt sein? Bei diesem schrecklichen Gedanken krampfte sich ihr Magen zusammen.
»Öffnen Sie die Augen, damit sie gut ausgespült werden!«
Ronnie gehorchte wieder, und gleich darauf konnte sie verschwommene Formen und Farben erkennen. Gott sei Dank, sie war also nicht erblindet!
Mit mehreren rauhen Papierhandtüchern wurde ihr das Gesicht von der Stirn bis zum Kinn abgerieben. »So, drehen Sie sich mal um, damit wir uns den Schaden ansehen können.«
Ronnie hatte immer noch weiche Knie. An das Waschbecken gelehnt, hielt sie sich mit beiden Händen daran fest, während er ihr Kinn anhob und ihr Gesicht mit einem frischen Papierhandtuch abtrocknete. Dann schrubbte er ihren rechten Arm ab.
»War es Säure?« brachte Ronnie mit heiserer Stimme hervor. Ihre Sicht klärte sich allmählich, und nun konnte sie erkennen, daß ihr Retter der blonde Berater namens Quinlan war. Mit gerunzelter Stirn rieb er an ihren Armen herum.
»Nein, zum Glück war es nur Farbe! Wie geht es Ihren Augen?«
Rote Farbe! Sein Sakko war damit beschmiert. Er hatte es ruiniert, als er sie in die Toilette getragen hatte.
Denn wie sie erst jetzt registrierte, befanden sie sich in einer Herrentoilette: graue Fliesen, drei Kabinen und ein Pissoir, zwei schäbige weiße Waschbecken und ein großer gesprungener Wandspiegel. Der Abfallkübel quoll fast über, und es roch unangenehm nach Urin und Desinfektionsmitteln.
Als sie nicht gleich antwortete, wiederholte er seine Frage geduldig.
Ronnie blinzelte probeweise. »Sie brennen ein bißchen, aber ich kann sehen! Sie scheinen in Ordnung zu sein.« Wenn die Frau sie mit Säure attackiert hätte, wäre sie jetzt wahrscheinlich blind ... Bei dieser Vorstellung stieg heftige Übelkeit in ihr auf. »O Gott, ich glaube, ich muß mich übergeben!«
Sie stolperte in eine Kabine, sank auf die Knie und entleerte ihren Mageninhalt in die Kloschüssel. Als sie taumelnd aufstand, stellte sie fest, daß Quinlan sie von der Türschwelle her beobachtete.
»Setzen Sie sich hin!« befahl er, und sie nahm auf der Brille Platz, verschränkte ihre Arme auf den Knien und legte ihren Kopf darauf.
»So ist’s gut!« Er entfernte sich, kam aber sofort zurück und ging vor ihr in die Hocke. »Hier.«
Das Papierhandtuch, das er ihr in die Hand drückte, war naß und kalt, und nachdem sie sich das Gesicht damit abgewischt hatte, verging die Übelkeit, aber sie hatte einen widerlichen Geschmack im Mund.
»Geht’s besser?« fragte Quinlan, als sie den Kopf hob. Weil er immer noch vor ihr kauerte, waren ihre Augen auf gleicher Höhe. Die seinen waren dunkelblau, mit einem leichten Stich ins Graue, umrandet von Krähenfüßen. Brauen und Wimpern waren dunkelbraun und sehr dicht. Seine Nase war gerade, die Lippen ein bißchen dünn, aber wohlgeformt. Dieses schmale kantige Gesicht wirkte streng und asketisch, so als wären fleischliche Sünden ihm völlig fremd. Er sah wie ein Mann aus, der in allen Dingen Maß hielt und jene verurteilte, die weniger diszipliniert waren.
»Ich bin wieder okay«, murmelte Ronnie, obwohl sie nicht sicher war, daß es stimmte. Mit einer Hand an die Wand gestützt, stand sie auf, und Quinlan tat es ihr stirnrunzelnd nach.
»An Ihrer Stelle würde ich noch ein paar Minuten warten.«
»Ich brauche aber dringend einen Schluck Wasser.«
Er machte ihr den Weg frei, doch die wenigen Schritte bis zum Waschbecken bewiesen ihr, daß sie alles andere als ›okay‹ war. Leichte Übelkeit stellte sich sofort wieder ein, ihre Glieder waren eiskalt, und sie taumelte seitwärts.
Quinlan packte sie rasch am Ellbogen, legte einen Arm um ihre Taille und drehte den Wasserhahn auf. Sie fing das kalte Wasser in einer gewölbten Hand auf, spülte ihren Mund gründlich aus und trank gierig einige Schlucke. Danach fühlte sie sich kräftig genug, um ihr Gesicht mit beiden Händen zu waschen.
»Es tut mir leid«, murmelte sie, als er ihr ein Papierhandtuch reichte.
Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Er stand hinter ihr, einen Arm immer noch um ihre Taille gelegt für den Fall, daß sie wieder das Gleichgewicht verlieren würde. Verglichen mit ihrer grazilen Statur sah er sehr groß und breitschultrig aus. Obwohl sie Schuhe mit sieben Zentimeter hohen Absätzen trug, überragte er sie um mindestens zehn Zentimeter, und seine Hand, die auf ihrem Magen lag, war breit und braungebrannt.
Trotz ihrer Benommenheit wurde ihr schlagartig bewußt, daß er ein sehr attraktiver Mann war.
»Wofür entschuldigen Sie sich? Daß man Sie mit Farbe beworfen hat, war doch wirklich nicht Ihre Schuld.«
»Ich glaube aber nicht, daß es zu den Pflichten eines politischen Beraters gehört, Kindermädchen zu spielen«, erwiderte sie kläglich.
»Oh, wir sind extrem anpassungsfähig!« Er lächelte ihr im Spiegel zu. »Wir tun, was gerade erforderlich ist.«
»Es ist mir so peinlich, daß ich mich übergeben mußte.«
»Das war der Schock ... Zum Glück scheinen Sie aber unverletzt zu sein, jedenfalls körperlich.«
Ronnie teilte seine Ansicht. Sie atmete tief durch, zwang sich zur Ruhe und betrachtete sich im Spiegel. Sobald Quinlan bemerkte, daß sie wieder fest auf ihren eigenen Beinen stand, ließ er seinen Arm sinken und trat einen Schritt zurück.
Ihre Lider waren leicht geschwollen, aber die Pupillen hatten ihre normale Größe, und mittlerweile konnte sie auch wieder alles deutlich sehen. Der Blick in den Spiegel war nicht gerade ermutigend: Das vordere Drittel ihrer Haare hing tropfnaß hinter den Ohren hinunter, und die Fransen standen wirr hoch, wie der Schopf eines Kuckucks. Rote Farbe verklebte einige Strähnen und sprenkelte Hals und Arme. Ihr Gesicht war leichenblaß, die braunen Augen waren blutunterlaufen und wäßrig, und ihre vollen Lippen bebten verdächtig. Außer verschmierten Mascararesten war von ihrem perfekten Make-up – Rouge, Puder, Lippenstift und Lidschatten – nichts mehr übrig. Ihr Modellkleid von Anna Sui war völlig ruiniert: Das dünne purpurfarbene Leinen hatte häßliche rote Flecken, so als wären rote Mohnblumen darauf gesprossen. Sogar die Strumpfhose und die eleganten beigen Sandaletten wiesen Farbtupfer auf.
»O Gott, meine Perlen!« Entsetzt berührte sie die teure Kette, die Lewis ihr kurz nach der Hochzeit geschenkt hatte. »Sie sind völlig beschmiert ...«
Ungeschickt fummelte sie am Verschluß herum. Ihre Arme waren bleischwer, und ihre Finger zitterten.
»Lassen Sie mich das machen.« Quinlan schob ihre Haare beiseite, und seine warmen Finger streiften ihren Nacken, während er geschickt den Verschluß öffnete. Sie wollte nach dem Kollier greifen, um es abzuwaschen, aber er schüttelte den Kopf und tat es lieber selbst.
»Nehmen Sie die Ohrringe ab!« befahl er, und sie stellte fest, daß auch diese Perlen rot gesprenkelt waren. Wieder kam sie mit den winzigen Verschlüssen nicht zurecht.
»Könnten Sie mir bitte noch einmal helfen?«
Er legte die Kette auf den Waschbeckenrand und befreite sie im Nu von den Ohrringen, diesmal mit kalten Fingern.
»Lassen Sie die Dinger bitte nicht in den Abfluß fallen« warnte sie. »Es sind echte Perlen.«
»Daran habe ich nicht gezweifelt«, erwiderte er trocken. Während er die Ohrringe vorsichtig in einer gewölbten Hand säuberte, betrachtete er Ronnie im Spiegel. »Sie haben Farbe in den Ohren.«
Mit einem nassen Papierhandtuch wischte sie sich die Ohren aus und rieb an ihren verklebten Haaren herum, fest entschlossen, ihre weichen Knie zu ignorieren.
Die roten Flecken auf dem Papier sahen wie Blut aus, und sie dachte, daß sie wirklich Glück gehabt hatte, denn die verrückte Frau hätte ja auch auf sie schießen können!
Nicht zum ersten Mal überlegte sie, ob der Preis für das, wovon sie einst geträumt hatte, nicht doch zu hoch war ...
Sie hatte einen einflußreichen und vermögenden Mann heiraten wollen, und es war ihr gelungen. Sie hatte im Rampenlicht stehen wollen, und auch dieser Kindertraum war wahr geworden. Ihre Fantasie hatte ihr herrliche Bilder vorgegaukelt, aber die Wirklichkeit sah ganz anders aus, und sie war längst nicht so glücklich, wie sie sich das früher ausgemalt hatte.
Heute war sie sogar todunglücklich ...
Die Erkenntnis, daß sie trotz ihres Lebens im Luxus eine gähnende innere Leere verspürte, verursachte ihr erneut heftige Übelkeit, das schmutzige Papiertuch fiel ihr aus den tauben Fingern, und sie mußte sich wieder am Waschbecken festhalten. »Ich kann mich in diesem Zustand nicht mehr sehen lassen ... Das schaffe ich einfach nicht!«
»Kein Mensch verlangt das von Ihnen! Ich würde sagen, daß Ihre heutigen Termine auf ziemlich spektakuläre Weise abgesagt wurden.« Er wickelte die gesäuberten Perlen in ein Papierhandtuch und schob sie in seine Hosentasche. »Vielleicht sollten Sie sich vorsichtshalber von einem Arzt untersuchen lassen.«
»O Gott, es wird in allen Zeitungen stehen!« murmelte Ronnie. Ihr schauderte beim Gedanken an die Schlagzeilen, denn obwohl sie das Opfer eines hinterhältigen Angriffs geworden war, würde man ihr zweifellos den Schwarzen Peter zuschieben. Was auch immer sie tun mochte – Presse und Fernsehen brachten negative Berichte, und nie fehlte der höhnische Hinweis, daß sie die zweite Mrs. Honneker war.
Bevor Quinlan etwas erwidern konnte, wurde die Toilettentür weit aufgerissen.
»Ronnie!«
Thea eilte auf ihre Chefin zu, bedauerlicherweise gefolgt von einer bunten Menschenschar: drei Polizisten, Sicherheitsbeamten in Zivil mit orangen Armbinden sowie einem halben Dutzend weiterer Personen, darunter auch Rose in ihrem geblümten Kleid.
In der kleinen Toilette herrschte plötzlich ein unvorstellbares Gedränge, und Ronnie bekam rasendes Herzklopfen. Wer mochten all diese Leute sein?
»Wir wußten nicht, wo du abgeblieben bist!« rief Thea besorgt, während sie Ronnie von Kopf bis Fuß musterte. »Ist alles in Ordnung?«
Ronnie atmete tief durch und wollte ihre Freundin beruhigen, doch bevor sie ein Wort hervorbringen konnte, wurde sie von einem Blitzlicht geblendet. Reporter! Natürlich, sie hätte es sich denken können ... Die Sensationspresse erinnerte sie immer an Aasgeier: So wie die Vögel vom Verwesungsgeruch angezogen wurden, so witterten ihre menschlichen Artgenossen jeden Skandal, der Schlagzeilen versprach.
Sie warf einen Arm hoch, um sich vor den Kameras zu schützen. Mit fast derselben Geste hatte sie versucht, den Angriff der Verrückten abzuwehren, und sie war sich der Ironie dieser Situation durchaus bewußt. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ihre Menschenwürde verletzt.
»Mrs. Honneker, können Sie uns sagen ...«
Ronnie konnte den Rest nicht verstehen, weil die Meute immer dichter heranrückte, bis sie mit dem Rücken zum Waschbecken stand und das harte Email schmerzhaft gegen ihre Wirbelsäule drückte. Sie hatte wieder weiche Knie, und auch ihr Magen drohte wieder zu rebellieren. Dem Blitzlichtgewitter hilflos ausgeliefert und mit Fragen bombardiert, fühlte sie sich wie ein gehetztes Tier.
»Ronnie, mein Gott, ich kann immer noch nicht glauben, daß so was passiert ist! Soll ich einen Krankenwagen rufen?« fragte Thea.
»Nein«, murmelte Ronnie mit trockenem Mund. »Mir fehlt nichts ...«
»Mrs. Honneker, es tut uns sehr leid ...«, versicherte einer der Polizisten, der sich bis zu ihr durchgekämpft hatte. Hinter ihm flammte wieder ein Blitzlicht auf, und Ronnie schirmte ihr Gesicht vergeblich mit der Hand ab. »O nein, bitte ...«
»Lassen Sie sie doch in Ruhe!« rief Thea empört.
»Mrs. Honneker, dieser Vorfall ...« Wieder ein Reporter, wieder eine Kamera. Ronnie schüttelte wortlos den Kopf und hielt verzweifelt Ausschau nach einem Fluchtweg, aber sie war von allen Seiten umzingelt.
»Bitte ... ich kann jetzt nicht ...«
»Lassen Sie sie endlich in Ruhe!« wiederholte Thea lauter, ohne die geringste Wirkung zu erzielen.
»War es Farbe, Mrs. Honneker?«
»Glauben Sie, es hat irgendeine besondere Bedeutung, daß Ihre Angreiferin ausgerechnet rote Farbe benutzt hat?«
»Kennen Sie die Frau?«
Die Fragen gaben Ronnie das Gefühl, nackt am Pranger zu stehen. Alle wußten, was passiert war, oder sie würden es bald herausfinden, und das Wort Hure würde in allen Artikeln weidlich ausgeschlachtet werden.
Sie konnte das nicht ertragen! Ihre Lippen zitterten, und es gelang ihr nur unter Aufbietung aller Willenskraft, die Tränen zurückzuhalten. Sie hatte nichts Schlimmes getan, sie hatte sich nichts vorzuwerfen, aber das interessierte niemanden!
»So, Herrschaften, das war’s, Mrs. Honneker hat Ihnen im Augenblick nichts zu sagen. Ihre Fragen werden zu einem geeigneteren Zeitpunkt beantwortet werden«, übertönte eine autoritäre Stimme den Lärm.
Quinlan, der beim Einbruch der wilden Horde von Ronnie abgedrängt worden war, bahnte sich mit Ellbogen und Rippenstößen einen Weg durch die Menge und baute sich schützend vor ihr auf. Theas Proteste und ihre eigenen flehentlichen Bitten hatten die Reporter völlig ignoriert, aber nun wichen sie ein wenig zurück. Weil Quinlan ein Mann von imposanter Statur war? In ihrer gegenwärtigen Verfassung störte es Ronnie nicht einmal, daß sie als emanzipierte Frau auf seine Hilfe angewiesen war. Hauptsache, er erlöste sie von dieser Tortur! Vor einer halben Stunde hatte sie ihren neuen politischen Berater noch verflucht, aber jetzt war sie ihm für seinen Beistand zutiefst dankbar.
»Kein Fernsehen!« brüllte er.
Ronnie spähte vorsichtig hinter seiner Schulter hervor und sah entsetzt, daß Christine Gwen mit einem Kameramann auf den Fersen in die Toilette eindrang. Die etwa dreißigjährige Blondine vom lokalen Fernsehsender Jackson TV News war für ihre Sensationsreportagen berüchtigt.
»Wer, zum Teufel, sind Sie?« fragte Christine empört, musterte ihren Kontrahenten und änderte abrupt ihren Ton. »Tom Quinlan, nicht wahr? Arbeiten Sie jetzt für Senator Honneker?«
Quinlan würdigte sie keiner Antwort, und Ronnie machte sich hinter seinem breiten Rücken ganz klein.
»Räumen Sie die Toilette!« befahl Quinlan einem der Polizisten, der zustimmend nickte.
»Dies ist ein öffentlicher Ort!« protestierte Christine vehement.
»Das ist mir bekannt, Madam, trotzdem müssen wir Sie bitten, ihn zu verlassen.« Einer der Polizisten ging auf sie zu. »Das gilt auch für alle anderen.«
»Haben Sie schon mal was von Pressefreiheit gehört?« schrie ein Reporter, während er trotzig ein letztes Foto schoß, obwohl Ronnie hinter Quinlan kaum zu sehen war.
»Sie können uns nicht einfach rauswerfen!« rief ein anderer Reporter. »Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Informationen. «
»Kriegst du alles gut drauf, Bill?« fragte Christine ihren Kameramann mit schriller Stimme, und er machte offenbar eine bestätigende Geste, denn Quinlan fluchte leise vor sich hin.
»So wird das nichts ... Wir müssen die Flucht antreten«, flüsterte er Ronnie ins Ohr, zog rasch sein Sakko aus und stülpte es ihr über den Kopf. Sie begriff, daß er sie vor der Fernsehkamera schützen wollte, und verhüllte dankbar ihr Gesicht, damit es wenigstens nicht über jeden Bildschirm flimmern konnte – leichenblaß, verstört und mit Farbe beschmiert.
»Mrs. Honneker, wissen Sie, was die Frau kreischte?« schrie ein Reporter, der von den Polizisten fast bis zur Tür abgedrängt worden war.
»Hure«, warf ein Kollege hilfreich ein, und dieses Wort löste vorübergehend betretenes Schweigen aus. Ronnie wäre am liebsten im Erdboden versunken. Die Wahlkampagne würde unweigerlich Schaden nehmen, und Lewis würde ihr Vorwürfe machen, obwohl sie nichts dafür konnte.
»Niemand weiß genau, was sie gerufen hat!« protestierte Thea, aber ihr lahmer Einwand interessierte niemanden.
»Doch, ich hab’s genau gehört!« verkündete Rose stolz. »Sie hat wirklich Hure gebrüllt.«
»Sind Sie eine Augenzeugin?« fragte Christine eifrig und gab ihrem Kameramann neue Anweisungen, die Polizisten nicht beachtend.
»Glauben Sie, daß Sie rennen können?« flüsterte Quinlan, während die allgemeine Aufmerksamkeit sich vorübergehend auf Rose konzentrierte. Ronnie hatte weiche Knie, ihre Kehle war wie zugeschnürt, und am liebsten hätte sie sich wieder übergeben. Ihr sehnlichster Wunsch war, sich irgendwo hinzulegen, aber wenn sie rennen mußte, um diesen Aasgeiern zu entkommen, würde sie eben rennen. Sie nickte stumm, immer noch in Quinlans Sakko gehüllt.
Er legte ihr einen Arm um die Schultern und boxte ihnen den Weg aus der Toilette frei, aber sobald die Reporter sich von der ersten Überraschung erholt hatten, nahmen sie die Verfolgung auf.
»Herzlichen Dank, Mr. Quinlan.«
»Keine Ursache, Mrs. Honneker.«
Er lächelte ihr herzlich zu, wobei sich die Fältchen um seine Augen vertieften, und sie erwiderte sein Lächeln.
Sie saßen in Quinlans Wagen, einem neuen cremefarbenen Buick Regal mit beigen Samtsitzen. Das Jahrmarktgelände lag schon weit hinter ihnen, und sie fuhren eine malerische Straße entlang, die von weiten grünen Feldern gesäumt wurde, über denen sich der strahlendblaue Himmel wölbte. Trotz ihrer Verstörung fiel Ronnie nach einer Weile auf, daß das nicht die Straße nach Jackson sein konnte, denn sie brausten nach Osten und nicht nach Westen.
»Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie in die falsche Richtung fahren, wenn Sie mich nach Hause bringen wollen?«
»Ich bringe Sie nicht nach Hause.«
»Nicht?«
Ronnie hob ruckartig den Kopf, den sie müde in die Polster gelehnt hatte, und sah ihn mit gerunzelten Brauen an. Auf der Konsole zwischen ihnen lagen zerknüllte rot beschmierte Erfrischungstücher. Quinlan hatte eine Schachtel davon im Handschuhfach, und sie hatte mehrere benutzt, um Farbreste zu beseitigen.
»Nein.«
»Warum nicht?«
Flüchtige Gedanken an Entführung oder Schlimmeres schossen ihr durch den Kopf, aber sie verwarf sie sogleich wieder. Obwohl sie diesen Mann erst seit etwa einer Stunde kannte und außer seinem Namen und Beruf nichts von ihm wußte, vertraute sie ihm total. Er hatte sie gerettet, sich rührend um sie gekümmert und sie beschützt. Dieses Erlebnis hatte sie zusammengeschmiedet wie Soldaten, die in einer schweren Schlacht Seite an Seite kämpften.
»Einen Moment lang haben Sie mich angestarrt, als wäre ich Jack the Ripper!« grinste er.
»Diese Befürchtung hatte ich tatsächlich«, gab sie zu, während sie sich wieder entspannt zurücklehnte und den kühlen Luftzug aus der Klimaanlage genoß. Die Straßengraben waren völlig ausgetrocknet und mit Unkraut überwuchert, und die Bäume ließen vor Hitze ihre Äste hängen. »Aber warum bringen Sie mich nicht nach Hause? Ich brauche dringend eine Dusche, und umziehen sollte ich mich auch.«
Ihre Beine prickelten von dem Alkohol, mit dem die Erfrischungstücher getränkt waren. Sie hatte versucht, ihre Nylonstrumpfhose zu säubern, aber es war ihr nicht vollständig gelungen.
»Was glauben Sie denn, wohin die Schakale, denen wir soeben entkommen sind, jetzt fahren werden?«
Daran hatte Ronnie nicht gedacht, aber er hatte natürlich recht. Erbost über ihre Flucht, würden die Reporter ihr in Sedgely auflauern, dem Familiensitz der Honnekers am Stadtrand von Jackson. Sedgely war ein herrliches Herrenhaus aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, mit einer von alten Eichen gesäumten langen Auffahrt, aber der niedrige Steinzaun könnte nicht einmal einen unternehmungslustigen Sechsjährigen vom Eindringen in den Park abhalten, geschweige denn eine Meute Sensationsreporter.
»Ich muß Dorothy warnen.« Ronnie griff nach dem Handy auf der Konsole. »Darf ich?«
»Aber ja, bedienen Sie sich. Wer ist Dorothy?«
»Lewis’ Mutter. Sie hält sich zur Zeit in Sedgely auf«, erklärte Ronnie, während sie die Nummer wählte.
»Ach so, Oma«, murmelte er.
Selma, die langjährige Haushälterin, nahm beim zweiten Klingeln den Hörer ab.
»Selma, ich bin’s ... Ist meine Schwiegermutter zu Hause?«
»Nein, Madam.«
Ronnie vermutete, daß Dorothy wie so oft irgendwo zum Mittagessen eingeladen war. Umso besser, sollte Selma ihr die unangenehme Neuigkeit mitteilen.
»Können Sie sie erreichen? Hat sie eine Telefonnummer hinterlassen?«
»Sie ist bei Mrs. Cherry.«
Honoria Cherry gehörte zu Dorothys besten Freundinnen. Die Cherrys waren wie die Honnekers eine alte Südstaatenfamilie, die ihren Reichtum ausgedehnten Tabakplantagen verdankte. Ihr Besitz Waveland grenzte an Sedgely.
»Hören Sie zu, Selma – würden Sie sie bitte anrufen und ihr sagen, daß eine Frau mich auf dem Jahrmarkt mit Farbe beworfen hat. Ich bin nicht verletzt, aber die Presse wird zweifellos in Sedgely auftauchen, und ich will nicht, daß Mrs. Honneker unvorbereitet von diesen Typen überrascht wird.«
»Sagen Sie ihr, daß sie sich völlig unwissend stellen soll, falls jemand ihr Fragen stellt«, empfahl Quinlan leise, »und Oma soll dasselbe tun.«
Ronnie hielt die Sprechmuschel mit der Hand zu. »Selma berichtet, daß schon mehrere Reporter angerufen haben, und gegenüber dem Hintereingang parkt ein Auto, aber es ist leer.«
»Wahrscheinlich schnüffelt der Reporter irgendwo herum, in der Hoffnung auf ein Foto oder ein Interview. Sagen Sie ihr, was ich Ihnen gesagt habe – sie weiß von nichts.«
Ronnie instruierte die Haushälterin, versicherte ihr, daß es ihr gut gehe, und beendete das Gespräch mit einem Tastendruck.
