My FBI Agent - Geheime Sehnsucht - Karen Robards - E-Book
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My FBI Agent - Geheime Sehnsucht E-Book

Karen Robards

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Beschreibung

Für alle, die Fake-Dating-Stories lieben! Molly ist es gewohnt, dass das Leben nicht nach ihren Regeln spielt – doch diesmal scheint sie in größeren Schwierigkeiten zu stecken als je zuvor … Die junge Pferdepflegerin findet im Stall des Gestüts, auf dem sie arbeitet, einen Futtersack voller Geldscheine! Weil sie allein zwei Brüder und Schwestern versorgen muss, kann sie nicht anders, als das Geld zu nehmen. Doch das Ganze stellt sich als eine Falle des FBI heraus und plötzlich steht der höllisch attraktive und ganz und gar nicht erfreute Agent Will vor Mollys Tür. Anstatt das Geld zurückzuverlangen, bietet er ihr einen Deal: Wenn sie ihm dabei hilft, einen Betrug auf der Pferdefarm aufzuklären, kann sie das Geld behalten. Allerdings muss sie sich dafür auch als seine Freundin ausgeben – was für ihr bereits viel zu schnell klopfendes Herz mehr als brandgefährlich ist! »Einmal angefangen konnte ich ihn nicht mehr aus der Hand legen!« Amazon-LeserinEine Spicy Romance für Fans von Linda Howard und Sylvia Day

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Seitenzahl: 505

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Molly ist es gewohnt, dass das Leben nicht nach ihren Regeln spielt – doch diesmal scheint sie in größeren Schwierigkeiten zu stecken als je zuvor … Die junge Pferdepflegerin findet im Stall des Gestüts, auf dem sie arbeitet, einen Futtersack voller Geldscheine! Weil sie allein zwei Brüder und Schwestern versorgen muss, kann sie nicht anders, als das Geld zu nehmen. Doch das Ganze stellt sich als eine Falle des FBI heraus und plötzlich steht der höllisch attraktive und ganz und gar nicht erfreute Agent Will vor Mollys Tür. Anstatt das Geld zurückzuverlangen, bietet er ihr einen Deal: Wenn sie ihm dabei hilft, einen Betrug auf der Pferdefarm aufzuklären, kann sie das Geld behalten. Allerdings muss sie sich dafür auch als seine Freundin ausgeben – was für ihr bereits viel zu schnell klopfendes Herz mehr als brandgefährlich ist!

Über die Autorin:

Karen Robards ist die New York Times-, USA Today- und Publishers Weekly-Bestsellerautorin von mehr als fünfzig Büchern. Sie veröffentlichte ihren ersten Roman im Alter von 24 Jahren und wurde im Laufe ihrer Karriere mit zahlreichen Preisen bedacht, unter anderem mit sechs Silver Pens, die sie als beliebteste Autorin auszeichnen. Sie brilliert in der Spannung ebenso sehr wie im Liebesroman.

Die Website der Autorin: karenrobards.com/

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/AuthorKarenRobards/

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin die Thriller »Keiner wird dir helfen«, »Und niemand hört dein Rufen« und »Rette mich vor dem Dunkel«, die historischen Liebesromane »Die Rose von Irland«, »Die Liebe der englischen Rose«, »Die Gefangene des Piraten« und »Die Geliebte des Piraten« sowie die Exotikromane »Im Land der Zimtbäume« und »Unter der heißen Sonne Afrikas« und die Hot-Romance-Romane »My FBI Agent – Geheime Sehnsucht«, »My Hot Ranger – Sehnsucht in der Wildnis«, »My Bad Boy – Verstecktes Verlangen«.

***

eBook-Neuausgabe Juli 2025

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1996 unter dem Originaltitel »Hunter’s Moon« bei Dell Publishing, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1997 unter dem Titel »Schatten im Mondlicht« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1996 by Karen Robards

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1997 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von © Matcha_09 /Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-794-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Karen Robards

My FBI-Agent – Geheime Sehnsucht

Roman

Aus dem Amerikanischen von Gabriele Lichtner

dotbooks.

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Lesetipps

Widmung

Dieses Buch ist – wie immer – in Liebe meinen Söhnen Peter und Christopher und meinem Ehemann gewidmet. Außerdem erinnert es an die Geburt meiner Nichte Samantha Spicer am 28. Februar 1994 und meines Neffen Austin Johnson am 24. Februar 1995.

Prolog

15. November 1982

An einem Spätsommerabend kurz nach sieben Uhr hält die marineblaue Lincoln-Limousine vor dem Herrenhaus, und die zwölf Jahre alte LibbyColeman steigt aus. Eben erst der strengen Etikette ihres Tanzkurses entronnen, schlägt sie mit jugendlichem Überschwang die Tür zu, bevor sie sich hinunterbeugt und die Wageninsassen anlächelt. Madeline Weintraub, die Fahrerin und Mutter von Libbys bester Freundin, zuckt bei dem Knall zusammen. Das Auto ist neu und der ganze Stolz ihres Mannes.

Allison Weintraub kurbelt das Rückfenster herunter. »Ich ruf’ dich gleich an, wenn ich zu Hause bin«, verspricht sie Libby.

»Geh rein, Libby. Ich möchte nicht losfahren, bevor du im Haus bist«, fordert Madeline das Mädchen auf, nachdem sie ihrerseits das Vorderfenster heruntergekurbelt hat. Die warme Luft duftet nach frisch gemähtem Heu und streicht ihr sanft übers Gesicht. Eine wunderschöne Nacht, denkt Madeline, während ihr Blick über die weite, sanft geschwungene Rasenfläche wandert, die in der Dunkelheit wie jadefarbener Samt schimmert. Sorgfältig beschnittene Buchsbaumhecken säumen den Steinweg, der von der Auffahrt zur Veranda führt. Tief über dem Horizont hängt ein riesiger, gelber Vollmond; Jägermond nennen ihn die Einheimischen, wie Madeline inzwischen weiß. Vereinzelt blinken ein paar Sterne am nachtblauen Himmel.

»Okay, Mrs. Weintraub. Hey, Allie, hab’ ich dir schon erzählt, was, Du weißt schon wer, gesagt hat, nachdem ihr beide zusammen getanzt habt?« Libbys Lächeln wurde noch breiter.

»Russell Thompson? Was hat er gesagt?« kreischt Allison aufgeregt.

»Das kann Libby dir nachher am Telefon erzählen«, unterbricht Madeline und beginnt, mit der Zentralsteuerung beide Fenster zu schließen, um die Unterhaltung der Mädchen zu beenden. Aus Erfahrung weiß sie, daß sie die ganze Nacht dauern könnte.

»Mama!« protestiert Allison.

»Wir müssen noch Andrew abholen«, erinnert sie Madeline. »Geh jetzt rein, Libby.«

»Ich geh’ schon. Nacht, Allie. Danke fürs Nachhause bringen, Mrs. Weintraub.«

Libby winkt, dann dreht sie sich um und läuft zum Haus. Es ist ein großes, imponierendes Haus, denn LibbyColemans Familie besitzt eines der größten Gestüte des Bluegrass-Gebiets von Kentucky. Madeline Weintraub, die noch nicht lange in der Gegend wohnt, ist glücklich, daß sich Allison gerade Libby als beste Freundin ausgesucht hat. Wieder einmal beglückwünscht sie sich, daß sie ihren Mann überzeugt hat, ihre einzige Tochter auf die teure Privatschule zu schicken, die die beiden Mädchen besuchen. In sozialer Hinsicht ist Libbys Freundschaft für Allison äußerst erfolgversprechend. Mit den Jahren wird Allison immer größere Vorteile daraus ziehen. Daher ist Madeline gerne bereit, für Libby den Chauffeur zu spielen und jedes Mal stillschweigend zu leiden, wenn diese die Autotür allzu schwungvoll zuknallt.

»Wer ist Russell Thompson?« fragt Madeline über die Schulter, während ihr Blick Libby folgt, die die breite Steintreppe zu der von sechs Säulen gesäumten Veranda hinaufläuft. Wirklich, denkt sie, wenn man nicht wüßte, welchen Familien die Mädchen angehören, würde man der schlanken, blondhaarigen Allison eher einen blaublütigen Stammbaum mit alteingesessenem Wohlstand zutrauen als der stämmigen Libby mit ihren rosa Pausbacken, dem zerzausten Haar, in dem schräg eine Satinschleife hängt, und dem weißen, mit Orangensaft bekleckerten Tanzkleid.

Allison kichert und klettert über die Rücklehne des Vordersitzes, um sich auf dem Platz neben ihrer Mutter fallenzulassen.

»Er mag mich«, vertraut sie ihr an, dann zieht sie ihre Nase kraus. »Sagt Libby. Aber manchmal hat er ein ziemlich schlechtes Benehmen.«

»Ach ja?« murmelt Madeline ermunternd und hofft, daß ihre Tochter ihr mehr erzählen wird. Ihr Interesse für Allisons vorpubertäre Weitsicht ist grenzenlos. Nur schwer kann sie sich noch vorstellen, jemals so jung gewesen zu sein. Ganz bestimmt war sie jedenfalls nie so unbeschwert und sorglos.

»Wenn er gleichzeitig trinkt und lacht, spritzt Orangensaft aus seiner Nase.« Allison schüttelt mißbilligend und leicht angewidert den Kopf. »Können wir jetzt losfahren, Mama?«

Da Libby gerade die erleuchtete Veranda betreten hat, nickt Madeline und wendet den Wagen. Ihr letzter Eindruck von Libby ist, wie ihr Kleid, ihre Locken und ihre Haarschleife auf- und niederhüpfen, während sie fröhlich auf die Haustür zuhopst.

Dieses Bild wird für immer in Madelines Gedächtnis eingebrannt bleiben, auch wenn ihr das nicht bewußt ist, als sie jetzt die lange Auffahrt hinunterfährt. Unzählige Male wird sie sich diesen Moment in Erinnerung rufen, für Libbys Familie, für die Polizei, für ein halbes Dutzend Privatdetektive, für eine Armee von Zeitungsreportern, für Nachbarn und Freunde.

Denn dies ist das letzte Mal, daß LibbyColeman gesehen wird.

Trotz einer großangelegten Suchaktion, trotz öffentlicher Bitten ihrer von Schmerz erfüllten Eltern, trotz des Angebots einer hohen und ständig wachsenden Belohnung für Hinweise, die zu ihrer Entdeckung führen – von diesem Moment an ist und bleibt LibbyColeman verschwunden.

Kapitel 1

Oktober 1995

»Hey, Will! Will! Sieh dir das an!«

Will Lyman reagierte auf das dringliche Flüstern seines Partners, indem er die Augen einen Spaltbreit öffnete und auf den in der Decke des Transporters installierten Monitor schaute. Er war ziemlich müde und es dauerte eine Sekunde, bis ihm wieder einfiel, wo er sich befand. Der Wagen stand vor einem Stall der Keeneland-Rennbahn in Lexington, Kentucky, und sie waren mit der Aufgabe betraut, ein paar unbedeutende kleine Schurken zu entlarven. Will fühlte sich unter seinem Wert eingesetzt, denn immerhin hatte er an großen Fällen mitgearbeitet, von Michael Milken bis zu O. J. Simpson, vom Würger von Hillside bis zum Bombenattentat von Oklahoma City. Und nun sollte er einer Bande mickriger Pferdehalter das Handwerk legen, die ihr Einkommen aufbesserten, indem sie vor den Rennen abgehalfterte Vollblüter unbemerkt durch schnellfüßige Doppelgänger ersetzten.

Will Lyman haderte mit seinem Schicksal.

Es war jetzt kurz vor vier Uhr morgens, und in dem Wagen war es – bis auf den schwachen Schein des Bildschirms – dunkel wie in einem Grab. Das körnige Monitorbild hatte die Qualität eines alten Schwarzweißfernsehers, aber der Bildinhalt war deutlich zu erkennen. Eine schlanke, junge Frau in hautengen Jeans hatte den Sattelraum des Stalles betreten, den die beiden Männer seit Einbruch der Dunkelheit überwachten. Sie stand mit dem Rücken zur Kamera und beugte sich über den Köder: einen roten Futtersack, vollgestopft mit Geldscheinen im Wert von fünftausend Dollar.

Dieser Köder war eigentlich für den Manager der WylandFarm, Don Simpson, bestimmt gewesen. Sobald er aufgetaucht wäre, um den Sack mitzunehmen, hätten sie ihn festgenommen, und der Fall wäre abgeschlossen gewesen.

Nur aber war dieses Mädchen – selbst bei Aufbietung aller Fantasie – nicht Don Simpson.

»Wer zum Teufel ist das?« Will war jetzt hellwach und sprang von der schäbigen Couch auf, die eine Hälfte des Transporters in Anspruch nahm. Das Fahrzeug war als Firmenwagen eines Rasenpflege-Unternehmens getarnt. Ungläubig starrte Will auf den Monitor. »Haben wir Informationen über sie? Lawrence hat nie ein Mädchen erwähnt. Er hat gesagt, daß Simpson das Geld selbst holen würde.«

»Hübscher Arsch«, murmelte Murphy, während er auf den Bildschirm starrte. Er hatte die Bemerkung in sachlichem Ton gemacht. Murphy war zweiundfünfzig, Vater von vier Kindern und seit über dreißig Jahren mehr oder weniger glücklich verheiratet. Was Frauen anging, beschränkte er sich auf das Vergnügen, sie anzusehen.

»Weißt du, wer sie ist?« Wills Stimme klang scharf. Es ärgerte ihn, daß er aufgrund Murphys Bemerkung seine Aufmerksamkeit auf das kleine, feste, unzweifelhaft weibliche Hinterteil gerichtet hatte, das sich ihm entgegenstreckte.

»Nein. Nie im Leben gesehen.«

»Reiß dir bloß kein Bein aus deswegen.« Will warf seinem Partner einen verärgerten Blick zu. Kaum, daß Murphy sich je beeilte, nie machte er sich Sorgen, nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen, und das machte Will fast verrückt.

»Okay, okay.« Grinsend drehte Murphy seinen Stuhl herum, schaltete den Computer ein, der auf dem kleinen Tisch gegenüber der Couch stand, und begann zu tippen. »Weiblich, Alter zwischen, hm ... sagen wir mal zwanzig und fünfundzwanzig Jahren, ungefähr einsfünfundsechzig groß – oder, was meinst du? – und vielleicht hundertzehn, hundertfünfzehn Pfund schwer ... Welche Haarfarbe?«

»Woher soll ich das wissen? Das verdammte Bild ist schwarz-weiß.« Will besann sich und versuchte, seine Verärgerung zu zügeln. Er sah auf den Monitor. »Dunkel. Nicht blond.«

»Braun«, entschied Murphy und tippte.

»Sie öffnet den Sack!«

Das Klicken der Computertastatur verstummte, als Murphy sich umdrehte, um die Aktion mitanzusehen. Das Mädchen auf dem Monitor hockte jetzt vor dem Sack, der auf dem gesprenkelten Linoleumboden in der Ecke direkt gegenüber der versteckten Kamera stand. Mit geschickten Händen knüpfte sie die fransige Hanfschnur auf, mit der der Sack verschlossen war. Noch immer hatte sie ihren Rücken der Kamera zugewandt, aber wenigstens streckte sie ihnen nicht mehr ihren Po entgegen. Dichtes Haar fiel ihr bis zur Mitte des Rückens und verhinderte, daß Will einen Blick auf ihr Gesicht erhaschte. Allerdings hatte ihm der Anblick ihres Hinterteils ausgereicht, um sie bei einer eventuellen Gegenüberstellung eindeutig identifizieren zu können, da war er ganz sicher.

»Kannst du bitte versuchen, etwas über sie herauszufinden?« Will kniff die Lippen zusammen. Er ärgerte sich sowohl über Murphy als auch über die Wirkung, die das Mädchen auf ihn ausübte.

Murphy wandte sich wieder dem Computer zu.

»Sie hat das Geld gefunden.« Will hatte es eigentlich nicht laut sagen wollen, damit Murphy nicht schon wieder abgelenkt wurde. Aber die Umstände waren derart unerwartet, daß sein Verstand nicht so scharf wie üblich arbeitete. Er mußte herausfinden, wer sie war, und zwar schnell. Um zu entscheiden, was zu tun war, brauchte er mehr Informationen. Arbeitete das Mädchen, das jetzt auf ihre Fersen zurücksank und auf das Bündel Geldscheine starrte, für die Bande, hinter der sie her waren?

Wieder hörte das Klicken der Tastatur auf, als Murphy sich wie erwartet dem Monitor zuwandte. Will starrte seinen Partner ärgerlich an, woraufhin dieser die Schultern zuckte und sein Tippen wieder aufnahm. Das Mädchen griff in den Sack und förderte ein mit Gummi zusammengehaltenes Bündel von Zwanzig-Dollar-Scheinen zutage.

»Nichts ... nichts ... nichts«, murmelte Murphy, während der Bildschirm ein paarmal blinkte. Schließlich leuchtete nur noch eine fluoreszierende, grüne Fläche in der Dunkelheit. »Keine Frau in den Akten, auf die ihre Beschreibung zutrifft. Es sei denn, ich habe etwas falsch gemacht.«

Dieses fröhliche Eingeständnis machte Will rasend. Für jemanden wie ihn, der schnell sprach, schnell dachte und schnell handelte, war es eine Strafe, mit einem so trägen Burschen wie Murphy Zusammenarbeiten zu müssen. Wahrscheinlich hatte Dave Hallum genau das im Kopf gehabt, als er ihm ausgerechnet Murphy als Partner zuordnete. Wills Chef war noch immer sauer über den Verlust seines Kajütenbootes. Zum Teufel noch mal, Will konnte schließlich auch nichts dafür, daß diese Gauner, denen er auf der Spur gewesen war, das Boot irrtümlich für seins gehalten und in die Luft gejagt hatten.

Aber Hallum war nachtragend. Ganz sicher war dieser Auftrag seinen Rachegelüsten zuzuschreiben.

»Sie nimmt das Geld!« Gebannt sah Will zu, wie die Unbekannte den Sack wieder zuschnürte, um sich blickte und mit der Beute im Arm aufstand. Dann drehte sie sich um und lief direkt auf sie zu. Widerwillig konstatierte Will, daß ihr Gesicht genauso bemerkenswert war wie ihr Hinterteil: Es hatte feine Züge und war auffallend hübsch. Aus reiner Selbstverteidigung blinzelte Will, und im nächsten Moment war die Schöne – und mit ihr das Geld des FBI – außerhalb der Kamerareichweite und wahrscheinlich schon nicht mehr im Stall.

Murphy lehnte sich in seinem Stuhl zurück und pfiff bewundernd. »Whao! Kluges Mädchen!«

Will ignorierte ihn und drückte auf einen Knopf unter dem Monitor. Er wartete darauf, daß das Bild der zweiten Kamera, die auf den Stall gerichtet war, übertragen wurde. Doch, obwohl Sommer war, sah man auf dem Bildschirm nur ein heftiges Schneegestöber.

»Sieht so aus, als ob es nicht funktioniert«, stellte Murphy fest, während Will grimmig an Knöpfen drehte und versuchte, eine deutlichere Einstellung zu bekommen.

»Intelligente Bemerkung.« Will biß die Zähne zusammen, gab auf und warf seinem Partner einen wütenden Blick zu, während er zum Telefon griff.

Kapitel 2

In der Mitte des Picknicktisches, der in der ärmlich ausgestatteten Küche als Familientreffpunkt diente, nahm der Sack einen Ehrenplatz ein. Jedes Mal, wenn Mollys Blick darauffiel, überkam sie ein mulmiges Gefühl. Sie hatte aus dem Sattelraum von Stall 15 fünftausend Dollar gestohlen. Ob schon jemand das Geld vermißte?

Dumme Frage. Es war kurz nach zwölf Uhr mittags, und sie hatte die Scheune gegen vier Uhr morgens verlassen. Natürlich vermißte inzwischen jemand das Geld!

Die entscheidende Frage war, ob auch schon jemand die Polizei benachrichtigt hatte.

Wenn sie gefaßt würde, könnte das mehrere Jahre Gefängnis bedeuten.

Und es könnte sogar noch schlimmer kommen.

Denn wenn jemand so eine Menge Geld in einem Futtersack mitten in der Nacht in der Ecke eines verlassenen Sattelraums abstellte, dann ganz sicher nicht als Spareinlage. Höchstwahrscheinlich stammte das Geld aus illegalen Geschäften. Seit Monaten gingen in den Ställen Gerüchte um, daß irgendetwas Unrechtmäßiges passierte. Aber was? Ging es um Drogen? Um Glücksspiel? Oder um manipulierte Rennen? Molly wußte es nicht, und sie wollte es auch gar nicht wissen.

Wenn aber das Geld aus derartigen Geschäften stammte, dann würde sein Besitzer auch nicht die Polizei rufen. Das paßte nicht zusammen. Was aber würde er stattdessen tun, um das Geld zurückzubekommen? Beim Gedanken an bezahlte Killer, die man womöglich auf sie angesetzt hatte, lief es Molly kalt den Rücken herunter.

Aber es wußte ja niemand, daß sie das Geld hatte. Sie arbeitete nicht einmal mehr für WylandFarm. Vor vier Tagen hatte sie spontan gekündigt, als ihr aufbrausendes Temperament wieder einmal über ihre Vernunft triumphiert hatte. Erst fünfzehn Minuten später war ihr bewußt geworden, daß sie und ihre Familie sich das einfach nicht leisten konnten; auch wenn ThorntonWyland, der widerwärtige Enkel des Stalleigentümers, ihren Po angefaßt hatte.

Gestern nacht – oder besser heute morgen – war sie zu der Scheune gegangen, um ihren letzten Scheck abzuholen. Don Simpson würde ihn nicht ohne Drängen herausrücken, das war ihr klar. Zwar stand ihr noch die Bezahlung für zwei Wochen zu, aber er hatte sich sehr über ihre Kündigung geärgert, und er war ein nachtragender und rachsüchtiger Mensch.

Molly hatte sogar erwogen, allen Mut zusammenzunehmen und ihn zu fragen, ob sie nicht einfach bei ihm Weiterarbeiten könnte. Aber wahrscheinlich wäre das sinnlos. Denn wie Don Simpson gerne betonte, gehörte es nicht zu seinen Prinzipien, jemandem eine zweite Chance zu geben.

Molly machte sich große Vorwürfe; sie hätte nicht die Beherrschung verlieren dürfen. In ihrer Lage wäre es das Beste gewesen, einfach die Hand wegzuschlagen, die am Hinterteil ihrer Jeans herumfummelte, und über die ganze Sache zu lachen.

Stattdessen hatte sie den Enkel des Farmbesitzers in den Magen geboxt und ihm gedroht, weiter unten zuzuschlagen, wenn er sie noch einmal anfassen sollte.

Als dann auch noch ihr Boß den aufdringlichen Wyland-Enkel ignoriert und nur mit ihr geschimpft hatte, weil sie mit ihrem lauten Verhalten angeblich die Pferde erschreckte, war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Wütend hatte sie ihn angefahren, er könne sich seinen Job sonstwohin stecken und war aus dem Stall gestürmt.

O ja, ihr aufbrausendes Temperament! Schon oft war sie deswegen in Schwierigkeiten geraten. Aber diesmal hätte sie wirklich an die Konsequenzen denken sollen, bevor sie Don Simpson anschrie.

Was sollte sie jetzt tun?

Außer den Pferden und einer Katze hatte sich niemand in der Scheune befunden. Simpson erschien immer um Punkt vier Uhr zur Arbeit, und Molly war eine gute halbe Stunde früher gekommen. Auch den für die Nachtschicht zuständigen Stallburschen hatte sie nirgends gesehen. Also konnte sie keiner beobachtet haben. Niemand wußte, daß sie in dem Stall gewesen war. Niemand wußte, daß sie das Geld hatte.

Sollte sie es zurückbringen?

Genau, tu das, forderte sie ihre innere Stimme auf. Warte einfach bis morgen früh um drei Uhr fünfundvierzig, schleich dich mit dem Geld in den Stall und bring es dorthin zurück, wo du es gefunden hat. Tu so, als hätte es bis jetzt niemand vermißt. Als würde überhaupt niemand bemerkt haben, daß es eine Zeitlang nicht da war.

Und wenn sie in dem Moment gefaßt werden würde? Molly schauderte bei dem Gedanken. Es wäre genauso schlimm, wie beim Stehlen des Sackes erwischt zu werden. Sie durfte gar nicht daran denken, was passieren würde.

Außerdem konnte sie das Geld gar nicht mehr zurückbringen; sie hatte schon einen der vielen Zwanzig-Dollar- Scheine ausgegeben. Auf dem Nachhauseweg war sie noch ganz außer sich vor Freude gewesen. Sie konnte kaum glauben, daß sich tatsächlich so viel echtes bares Geld in ihrem Besitz befand. In ihrer Euphorie hatte sie bei Dunkin’ Donuts in der Versailles Road gehalten, und als die Kinder aufwachten, standen frische Doughnuts und Milch auf dem Tisch. Was für ein Frühstück! Sogar der vierzehn Jahre alte Mike hatte gestrahlt, obwohl er ansonsten in letzter Zeit viel zu cool war, um noch für irgendetwas Begeisterung zu zeigen.

Was auch immer passieren würde, auch wenn sie schließlich ins Gefängnis käme – oder etwas noch Schlimmeres geschehen sollte –, Molly bereute nicht, daß sie die Doughnuts gekauft hatte.

Außerdem brauchten sie dieses Geld, gerade jetzt. Es war nicht richtig zu stehlen, aber es war immer noch besser, als zu verhungern. Wahrscheinlich würde man sie bald aus dem Haus jagen, denn es gehörte zur WylandFarm. Weil sie dort gearbeitet hatte, brauchte sie nur eine reduzierte Miete von hundertfünfzig Dollar im Monat zu zahlen. Von ihrer Arbeit hingen sowohl ihr Dach über dem Kopf als auch das Essen auf dem Tisch ab – und diese Arbeit hatte sie nun nicht mehr.

Dafür besaß sie fünftausend Dollar.

Aber natürlich wollte sie auch nicht ins Gefängnis kommen – ganz zu schweigen von Schlimmerem. Was würde dann mit den Kindern passieren?

Das Geräusch von Schritten auf der Veranda riß Molly aus ihren Gedanken. Sie hörten sich fest und bestimmt an und stammten nicht von einem der Kinder, das die Schule schwänzte. Auch nicht von einem Angestellten der öffentlichen Versorgungsbetriebe, der kam, um Schulden einzutreiben oder um ihnen den Strom oder das Gas abzustellen. Sie gehörten auch keinem Sozialarbeiter oder Polizisten, die wegen der Kinder häufig hier herumschnüffelten. Aus bitterer Erfahrung kannte Molly all diese Schritte und wußte sie zuzuordnen.

Sie sprang von der Bank auf, auf der sie gesessen und nervös auf den Beweis ihrer Schuld gestarrt hatte. Sie hatte gerade noch Zeit, den Sack in das Schränkchen unterm Spülbecken zu stopfen und das Gewehr zu holen, das neben dem Kühlschrank in der Ecke stand, bevor es klopfte.

Das Gewehr war nicht geladen. Wegen der Kinder hielt Molly die Patronen in ihrem Schlafzimmer in einem Loch in der Unterseite ihrer Matratze versteckt. Aber das konnte ihr Besucher ja nicht wissen. Ihre Absicht war nur, ihn einzuschüchtern, erschießen wollte sie niemanden.

Quietschende Sprungfedern und lautes Bellen verkündeten, daß Pork Chop das Klopfen auch gehört hatte. Der riesige Hund, halb Schäferhund, halb Wer-weiß-was, hatte ein dichtes, schwarzbraunes Fell, das noch einige Zentimeter Umfang zu seiner ohnehin schon eindrucksvollen Größe hinzufügte. Er sah wild genug aus, um selbst den Teufel zu erschrecken, war in Wirklichkeit jedoch harmlos wie ein Kätzchen.

Aber die Person vor der Tür würde das nicht wissen.

Pork Chops Pfoten verursachten ein klackerndes Geräusch, als er zur Tür raste und Molly dabei fast umriß.

Tollpatsch, schalt Molly ihn im stillen. Als sie die Holztür öffnete, hatte sie das Gewehr fest unter den Arm geklemmt. Pork Chop hielt sie am Halsband fest, als befürchtete sie, er könnte den Besucher auf der anderen Seite des noch geschlossenen Fliegengitters anfallen und verschlingen.

Der würzige Duft des Spätsommers wehte ihr entgegen. Normalerweise hätte die Schönheit dieses Tages ausgereicht, um sie allen Ärger vergessen zu lassen, so sehr liebte sie den Oktober. Das helle Sonnenlicht brachte den Teppich aus roten und goldenen Blättern im Garten zum Leuchten, die Temperatur war mild, und ein Geruch von Holzfeuer lag in der Luft. Im Moment war Molly jedoch so sehr von Angst und Sorge geplagt, daß sie die Schönheit des Tages kaum wahrnahm.

Ein Mann stand auf der anderen Seite des Fliegengitters. Pork Chop wollte sich auf das Hindernis aus feinem schwarzem Maschendraht stürzen, aber Molly hielt ihn zurück. Der Hund bleckte seine riesigen Fänge, als wollte er dem Besucher drohen. Dabei enthüllte er zwei Reihen Zähne, die einem Tyrannosaurus Rex alle Ehre gemacht hätten. Der Mann auf der Veranda trat einen Schritt zurück.

Ein Blick genügte Molly, um zu wissen, daß sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Er war um die vierzig, mittelgroß und schlank und trug einen dunklen Anzug mit Krawatte. Das sehr kurzgeschnittene Haar war mittelblond, in dem gebräunten Gesicht leuchteten durchdringende blaue Augen, die sie grimmig ansahen. Ein Killer? Molly ließ Pork Chops Halsband los und richtete das Gewehr auf die Gürtelschnalle des Mannes. Der Hund bellte hysterisch.

»Was kann ich für Sie tun, Mister?« Ihre Begrüßung war offen feindselig.

»Miß Butler?« Er mußte fast schreien, um das ohrenbetäubende Gekläffe von Pork Chop zu übertönen. Molly widerstand dem Drang, den Hund zur Ruhe zu rufen. Das Gebelle ging ihr auf die Nerven, aber die offensichtliche Wirkung auf den fremden Besucher war ganz in ihrem Sinne.

»Nein.« Er wollte gar nicht zu ihr und kam auch nicht wegen der Kinder, dachte Molly erleichtert. Mit dem Knie drängte sie den Hund von dem Drahtgitter weg, um die Tür wieder zu schließen.

»Miß Molly Butler?«

Molly erstarrte. Der Name war dem ihren sehr ähnlich. Zu ähnlich. Aller Wahrscheinlichkeit nach wollte er doch zu ihr. Mißtrauisch sah sie ihn an, und ihre Finger schlossen sich fester um den Gewehrlauf. Ohne auf eine weitere Reaktion von ihr zu warten, griff er in die Innentasche seines Jacketts und holte eine lederne Brieftasche hervor.

»Will Lyman, FBI«, sagte er, während er die Brieftasche öffnete, um ihr eine Dienstmarke und einen Ausweis zu zeigen. »Ich muß mit Ihnen reden, Miß Butler. Würden Sie bitte das Gewehr herunternehmen und den Hund zurückrufen?«

Sie hätte es versuchen können – immerhin war er vom FBI –, aber Pork Chop zurückzurufen war leichter gesagt als getan. Und es war schon zu spät. Der Hund hatte draußen etwas Aufregendes erspäht und war nicht mehr zu halten. Mit einem hohen Jaulen sprang er mitten durch das Fliegengitter, das für seinen hundert Pfund schweren Körper kein ernsthaftes Hindernis darstellte. Er landete auf allen vieren und sprang sofort weiter, wobei er den unwillkommenen Besucher, der ihm im Weg stand, umriß. Der FBI-Mann fiel mit einem Schrei zu Boden. Fast wäre sein Kopf auf dem rostigen Gestänge der Hollywoodschaukel aufgeschlagen.

Die Katze des Nachbarn, die Pork Chops Raserei ausgelöst hatte, warf einen kurzen Blick auf das Ungetüm, das hinter ihr angerast kam. Im nächsten Moment war sie den knorrigen Stamm einer alten Eiche hochgeklettert.

Vergebens sprang Pork Chop immer wieder am Fuß des Baumes hoch und schnappte nach dem Eindringling. Die Katze hatte sich auf einem Zweig niedergelassen und fuhr in aller Ruhe fort, sich zu putzen. Nur ihre Schwanzspitze schlug verächtlich hin und her. Ein golden gefärbtes Blatt segelte hinunter und landete auf Pork Chops Schnauze. Er schüttelte es ab und tobte weiter.

»Ruhig jetzt, Pork Chop!« rief Molly. Wie zu erwarten, hätte sie sich die Mühe sparen können.

Die Gittertür, die noch nie sehr stabil gewesen war, hing schief in den Angeln. Mike würde ihr mit der Tür helfen müssen, wenn er aus der Schule zurückkam, dachte Molly zerstreut. Bestimmt würde er wieder protestieren, so wie er es in letzter Zeit dauernd tat, aber er konnte die Tür hochhalten, während sie die Scharnierschrauben festzog. Und sie mußte neuen Maschendraht kaufen.

Im Stillen dankte sie dem Schicksal für die fünftausend Dollar, denn ohne das Geld könnte sie sich im Moment noch nicht einmal Maschendraht leisten.

Aber jetzt mußte sie als erstes diesen Mann loswerden, der lang ausgestreckt auf ihrer Veranda lag. Molly sah ihn prüfend an. Seine Augen waren geschlossen, er rührte sich nicht und gab keinen Ton von sich. Ihr kam der Gedanke, daß er vielleicht ernsthaft verletzt war, womöglich sogar tot. Angst beschlich sie. Was sollte sie dann machen? Mit dem Sack voll Geld, der unter ihrer Spüle versteckt war, konnte sie unmöglich die Polizei rufen.

Der FBI-Mann öffnete die Augen und blinzelte. Molly atmete auf. Sie konnte genau sehen, in welchem Moment er wieder ganz bei Bewußtsein war, denn gleich darauf spannten sich seine Gesichtsmuskeln an. Stirnrunzelnd setzte er sich auf. Mißtrauisch sah Molly zu, wie er sich mit der Hand durch das kurzgeschnittene Haar fuhr. Einen halben Meter von ihm entfernt lag seine geöffnete Brieftasche mit der Dienstmarke und dem Ausweis. Er sah sie, streckte seine Hand danach aus und stand auf. Mit der anderen Hand klopfte er seinen Anzug ab. Die geschmackvolle, marineblaue Krawatte mit rotbraunem Paisleymuster hing schief, das blütenweiße Oberhemd aus feinem, teuer aussehendem Material war mit Schmutzspuren gesprenkelt.

Durch den noch intakten Maschendraht der oberen Türhälfte trafen sich ihre Blicke. Sein Ausdruck, der vorher schon streng gewesen war, wurde noch eisiger.

Auf Mollys Gesicht breitete sich unwillkürlich ein Grinsen aus.

Ganz offensichtlich gefiel es ihm gar nicht, daß sie sich auf seine Kosten amüsierte. Er kniff die Lippen zusammen, während er die Brieftasche zurück in sein Jackett steckte, und trat auf sie zu.

»Miß Butler, ich sollte Ihnen wohl sagen, daß wir wissen, daß Sie heute morgen in einem Stall der Keeneland Rennbahn fünftausend Dollar gestohlen haben. Kann ich jetzt hereinkommen?«

Ohne auf eine Antwort zu warten, griff er nach dem Lauf des Gewehrs und entwand es ihrem Griff. Dabei kümmerte er sich nicht im Mindesten darum, ob es losgehen würde. Er klemmte sich die Waffe unter den Arm und ging an ihr vorbei ins Haus.

Kapitel 3

Molly war wie versteinert vor Schreck. Als sie sich schließlich umwandte, stand er mit dem Rücken zu ihr in der Küche und schaute in den geöffneten Gewehrlauf. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß die Waffe nicht geladen war, ließ er sie wieder zuschnappen und stellte sie an der Küchenwand ab. Dann sah er sich in der Küche um, ohne Molly weiter zu beachten.

Der Raum war sauber, aber das war auch alles, was zu seinem Vorteil zu sagen war, dachte Molly; sie stellte sich vor, die Küche durch seine Augen zu betrachten. Der alte Linoleumfußboden hatte eine undefinierbare Farbe, irgendetwas zwischen grau und braun. Die Wände waren gelblich, die Arbeitsflächen grün und zerschrammt. In einem Gestell neben der Spüle befand sich noch das zusammengewürfelte Frühstücksgeschirr, das sie dort am Morgen zum Trocknen stehengelassen hatte. Zwei mit Hand genähte, grünkarierte Küchenhandtücher dienten als Vorhänge für das einzige kleine Fenster. Die Türen der Küchenschränke waren mit dunkelbraunem Holzfurnier beschichtet, die abgeblätterte weiße Emaille des Gasherdes paßte nicht zu dem neueren, goldgelben Kühlschrank. In der Mitte des Raumes stand der Picknicktisch, den sie vor langer Zeit aus einem nahegelegenen Park mitgenommen hatten, weil ihnen das Geld für Möbel fehlte. Er war weiß gestrichen. Eine der beiden Bänke ragte schräg in die Küche hinein; Molly hatte sie weggestoßen, als sie das Klopfen an der Tür gehört hatte und nervös aufgesprungen war. In der Lücke zwischen Kühlschrank und Wand standen ein Besen, eine Kehrschaufel und ein Schrubber. Ein paar metallene Industrieregale ersetzten die Speisekammer. Wie der Tisch waren sie weiß gestrichen, und Einweckgläser mit Tomaten, grünen Bohnen und Mais standen darauf. Es waren die Reste eines Geschenks von Flora Atkinson, einer Nachbarin. Molly hatte sie im letzten Frühling als Dank für ihre Hilfe bei der Hochzeit von Floras Tochter bekommen. In der Spüle lagen drei Pfund Hamburger, die Molly heute morgen aus den Tiefen der Kühltruhe ausgegraben hatte, bevor sie sich auf den Weg nach Keeneland machte. In einer Ecke stand ein Mülleimer aus Metall, der passend zu Tisch und Regalen weiß gestrichen, dessen Farbe aber inzwischen von der häufigen Benutzung an vielen Stellen abgeblättert war. Niemand, der sich diese Küche ansah, konnte auch nur einen Moment lang daran zweifeln, daß hier arme Leute wohnten.

Aber das war völlig in Ordnung, fügte Molly in Gedanken trotzig hinzu und hob das Kinn. Man mußte sich nicht dafür schämen, arm zu sein. Es gab viele anständige Menschen, die arm waren. Die Ballards waren es eben auch.

»Kommen Sie herein, Miß Butler, und schließen Sie die Tür.« Der Mann vom FBI lächelte nicht. Tiefe Falten waren zwischen Mundwinkeln und Nasenflügel eingegraben, und von den Augenwinkeln gingen Krähenfüße aus. Wahrscheinlich war es sein sonnengebräunter Teint, der dem Blau der Augen ihre besondere Intensität verlieh.

Er konnte gar nichts von dem Geld wissen. Es war niemand in der Scheune gewesen, nicht einmal der Stallbursche. Nur die Pferde und eine Katze.

Aber irgendwie schien er es doch zu wissen.

Molly war eiskalt. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, einfach wegzurennen. Er würde sie niemals einholen. Sie konnte sehr schnell laufen, und er war ein schwerfälliger, älterer Mann, noch dazu im Anzug. Aber dann dachte sie an die Kinder und die tausend anderen Dinge, die sie an diesen Ort banden. Es hatte keinen Sinn wegzulaufen. Sie mußte sich ihm stellen und ihn mit allen Mitteln davon überzeugen, daß er sich irrte.

Aber wieso eigentlich kam jemand vom FBI? War das nicht ein bißchen übertrieben? Sie hätte die Polizei erwartet, sogar einen bezahlen Killer, falls man sie erwischt hätte, aber doch keinen FBI-Agenten! Die Schmetterlinge in ihrem Bauch flogen davon.

»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden«, sagte sie, verschränkte die Arme vor der Brust und blieb stehen, wo sie war. »Ist auch egal, wenn Sie nach einer Miß Butler suchen, stehen Sie vor der falschen Person. Ich heiße nicht Butler.«

»Und wie heißen Sie dann?« Er sprach schnell und abgehackt wie jemand aus dem Norden. Auf jeden Fall war er nicht aus der Gegend.

»Sie sind doch derjenige, der behauptet, vom FBI zu sein. Sagen Sie’s mir.«

»Sie haben das Geld gestohlen.«

»Ich sagte Ihnen doch schon, ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Seine Augen verengten sich. »Ich warne Sie, treiben Sie keine Spielchen mit mir. Dafür fehlt mir im Moment die Geduld.«

»Oh, ist der Mann vom FBI hingefallen und hat sich weh getan? Hat er deswegen so schlechte Laune? Ich frage mich, was wohl mehr darunter gelitten hat, Ihr Stolz oder Ihr Hinterteil.«

Es gefiel ihm gar nicht, wie sie redete, das merkte Molly. Er ging nicht auf ihre Spöttelei ein, stattdessen griff er in seine Jackentasche und holte ein Funktelefon hervor. Die Art, wie er es hielt, war offensichtlich als Drohung gemeint.

»Wenn Sie sich stur stellen, Miß Butler, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie festnehmen zu lassen. Dafür genügt ein einziger Anruf.«

»Tragen die Helden vom FBI jetzt Telefone? Also in Hawaii Five-o tragen sie immer noch Waffen!« feixte Molly.

Sein strenger Ausdruck veränderte sich nicht. »Wollen Sie jetzt die Wahrheit sagen oder nicht?«

»Woher soll ich wissen, ob Sie wirklich vom FBI sind? Jeder kann sich einen gefälschten Ausweis besorgen.«

»Das mag in Ihren Kreisen der Fall sein. Mein Ausweis ist echt. Wenn Sie wollen, können Sie in meiner Dienststelle anrufen und nachfragen. Ich gebe Ihnen die Nummer.«

Molly spitzte die Lippen, dann ging sie zu dem Telefon, das in der Küche stand. »Ich glaube, ich werde stattdessen die Polizei anrufen«, sagte sie mit süßem Lächeln und sah ihn an, während sie den Hörer abhob.

»Tun Sie das.« Er steckte sein Telefon zurück in die Jackentasche, verschränkte die Arme und betrachtete sie ruhig.

Molly zögerte. Ihr Bluff war etwas voreilig gewesen, was sollte sie jetzt tun? Natürlich wollte sie auf keinen Fall die Ortspolizei in diese Sache mit hineinziehen. Erstens war da dieser Futtersack voller Bargeld, der in dem Schränkchen auf ihren Putzutensilien stand. Dazu kam, daß die örtliche Polizei nur allzu bereit wäre, das Schlimmste von ihr zu glauben – von ihr und allen anderen Ballards. Sie hatte schon öfter mit ihr zu tun gehabt, meistens wegen der Kinder. Erst im letzten Sommer waren die elfjährigen Zwillinge dabei erwischt worden, wie sie Eier auf vorbeifahrende Autos warfen, und Weihnachten hatte man Mike festgenommen, als er in einem Geschäft eine Kassette von Pearl Jam stehlen wollte. Nur der Freundlichkeit des Ladenbesitzers war es zu verdanken gewesen, daß der Junge nicht bestraft worden war. Versailles war ein kleines Dorf, in dem jeder alles über jeden wußte. Man ordnete die Menschen in bestimmte Kategorien ein, und sie und ihre Familie gehörten in den Augen der Polizei zu den armen Weißen am Rande der Gesellschaft, die dauernd Ärger machten.

Nein, ganz bestimmt wollte sie nicht die örtliche Polizei rufen. Wenn sie deren Gnade ausgeliefert wäre, würde sie bestimmt im Gefängnis landen, und dann kämen die Kinder ins Heim. Wieder einmal.

»Nun?«

Molly hatte das unangenehme Gefühl, daß er ihre Gedanken lesen konnte. Sie legte den Hörer zurück.

»Na gut, vielleicht sind Sie ja wirklich vom FBI. Aber ich sage Ihnen, Sie haben die falsche Person. Mein Name ist nicht Butler.«

»Haben Sie einen Videorekorder?«

»Wie bitte?« Molly sah ihn verständnislos an, und er wiederholte die Frage.

»Und wenn ich einen habe?«

Tatsächlich hatte Mike einen Videorekorder. Im letzten Juni hatte er Mr. Higdon bei der Tabakernte geholfen. Teil seines Lohns war ein gebrauchter Videorekorder gewesen. Für etwas zu arbeiten, hatte Molly ihm mit allem Nachdruck versucht klarzumachen, war viel besser, als es zu stehlen. Fürs Arbeiten kam man nicht ins Gefängnis.

Wie würde sie jemals wieder Mike etwas über Moral erzählen können, mit diesen fünftausend Dollar, die wie ein Damoklesschwert über ihrem Kopf hingen? Höchstens konnte sie noch als lebendes Beispiel dafür dienen, welch böse Folgen die Sünde hatte, wenn sie nämlich die nächsten paar Jahre ihres Lebens hinter Gittern verbrachte.

Die Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten wieder wie wild hin und her.

»Wo ist der Rekorder?« Zu ungeduldig, um noch länger auf eine Antwort zu warten, drehte sich der FBI-Agent um und ging durch die schmale Tür, die ins Wohnzimmer führte. Da Molly ihn nicht unbeobachtet lassen wollte, folgte sie ihm.

Das Erdgeschoß des schäbigen schindelgedeckten Bauernhauses bestand aus drei Zimmern: Vorne lagen nebeneinander die Küche und das Wohnzimmer, hinten war Mollys Schlafzimmer. Das einzige Badezimmer befand sich in einem schuppenähnlichen Anbau, der von der Küche ausging und deutlich als nachträgliches Werk erkennbar war. Etwas entfernt standen noch immer die Überreste eines Seitengebäudes.

Die Wohnzimmereinrichtung war genauso zufällig zusammengewürfelt wie die in der Küche. Auf den im Laufe der Zeit dunkel gewordenen Holzdielen lag ein abgewetzter, ovaler Teppich mit einem verwaschenen braunen, grünen und rostroten Muster. An der der Küche gegenüberliegenden Wand klebte ein unechtes Holzpaneel, davor prangte eine orange Stoffcouch, deren Polsterung in der Mitte durchhing. Die Ballards hatten sie aus einem Container gerettet, der von der Heilsarmee zum Sammeln aufgestellt worden war. Neben der Couch stand auf der einen Seite ein alter, brauner Kunstledersessel; an mehreren Stellen waren Risse in seiner Bespannung, mit schwarzem Klebeband geflickt. Ein braun gestrichener Gartenstuhl mit Blumenkissen vervollständigte die Sitzgruppe. Auf zwei unterschiedlichen, zerschrammten Holztischen standen billige, weiße Schirmlampen. Die verblichenen goldgelben Gardinen des einzigen Fensters waren weit geöffnet, um so viel Licht wie möglich in den dunklen Raum gelangen zu lassen.

Der Videorekorder auf dem Fernseher war nicht zu übersehen. Er stand an der Wand, die Wohnzimmer und Küche trennte. Als Molly in der Tür erschien, stand der FBI-Agent schon davor und zog gerade eine Videokassette aus seiner Jackentasche. Nach einem kurzen Blick auf Molly drückte er eine Taste des Rekorders, legte die Kassette ein, drückte eine weitere Taste und schaltete den Fernseher an. Mit dem Zeigefinger machte er Molly ein Zeichen näherzukommen. Widerstrebend trat sie einige Schritte weiter ins Zimmer, während auf dem Bildschirm in den ersten paar Sekunden nur ein graues Flimmern zu sehen war. Gleich darauf wurde das Bild klar und deutlich erkennbar. Molly stand vor Entsetzen wie festgenagelt und sah sprachlos zu, wie sie selbst in die Scheune trat, den Futtersack mit dem Geld fand, ihn an sich nahm und damit verschwand.

Irgendwie hatte er es geschafft, alles auf Video aufzunehmen!

Er beobachtete sie, während sie auf den Fernseher starrte, dann schaltete er ihn wieder aus.

»Nun?« fragte er, richtete sich auf und sah sie erwartungsvoll an.

Molly preßte die Lippen aufeinander. Vor Schreck stand sie mit offenem Mund da, ohne daß auch nur ein Ton herauskam. Sie verschränkte die Arme und versuchte, sich die Panik nicht anmerken zu lassen, die sie beschlich. Ihre Blicke trafen sich. Wie konnte sie abstreiten, was dort auf dem Videoband zu sehen war? Sollte sie behaupten, daß sie eine böse Zwillingsschwester hatte?

Kapitel 4

»Okay«, sagte Molly schließlich. »Vielleicht habe ich das Geld genommen.«

»Ich denke, vielleicht ist jetzt nicht mehr der richtige Ausdruck.«

Molly schwieg.

»Wo ist es?« fragte er.

Ohne ein Wort drehte sich Molly um und ging in die Küche. Er nahm die Kassette aus dem Rekorder – sie konnte hinter sich das besondere Geräusch hören, mit dem sie hinausbefördert wurde – und folgte ihr. Natürlich würde er nicht so dumm sein und das Beweisstück vergessen. Von der Tür aus sah er zu, wie Molly den Futtersack aus dem Schränkchen unter der Spüle holte und ihn auf den Picknicktisch stellte. Er trat an den Tisch, band den Sack auf und sah hinein, als wollte er sich überzeugen, ob das Geld noch da war. Dann knotete er den Sack wieder zu.

»Warum haben Sie es genommen?«

Die Frage war so dumm, daß Molly verärgert den Kopf schüttelte. »Zum Spaß«, antwortete sie dann mit einem Schulterzucken. »Es gibt mir so einen besonderen Kick, wissen Sie. Warum sollte ein reiches Mädchen wie ich wohl sonst einen Sack voll Geld stehlen?«

»An Ihrer Stelle würde ich mir den Sarkasmus sparen, Miß Butler. Sie sitzen ganz schön in der Klemme.«

»Werden Sie jetzt anrufen und mich festnehmen lassen?« Mollys Ton war locker, und sie machte ein trotziges Gesicht, aber tatsächlich war ihr fast schlecht vor Angst, während sie auf die Antwort wartete.

»Was Sie getan haben, ist ein schweres Verbrechen«, sagte er. »Das gibt eine lange Haftstrafe. Vielleicht fünfzehn, zwanzig Jahre.«

O Gott. Molly fühlte, wie ihre Knie nachgaben. Auf keinen Fall wollte sie sich ihre Angst anmerken lassen, aber die Reaktionen ihres Körpers waren stärker als ihr Wille. Sie sank auf die Bank nieder.

»Vielleicht«, sagte er langsam, während er sie beobachtete, »kann ich erreichen, daß Ihre Verurteilung weniger hart ausfällt. Aber nur, wenn Sie sich kooperativ zeigen. Ich muß wissen, wer Sie geschickt hat, um das Geld zu holen.«

Erstaunt blickte Molly zu ihm auf. Er hatte eine Hand auf den Tisch gestützt, lehnte sich vor und sah sie durchdringend an. Unter der weißen Manschette seines Hemdes sah eine Armbanduhr hervor. Das Armband war aus schwarzem Leder und das Uhrgehäuse golden. Dazu der feine Wollstoff seines Anzugs, die Krawatte aus Seide – alles, was er trug, und sein ganzes Auftreten machten deutlich, daß er zum privilegierten Establishment gehörte. Nie im Leben würde er verstehen, wie man sich in ihrer Haut fühlte, wie es war, jung und arm zu sein und schon gefangen in einem täglichen Überlebenskampf, nur um jeden Tag ein Essen auf den Tisch stellen zu können.

Und nie im Leben könnte er sich vorstellen, was es für sie bedeutete, zu ihm aufschauen zu müssen und halb wahnsinnig zu sein aus Angst vor dem Gefängnis.

Der Blick seiner blauen Augen ließ sie nicht los. Molly entschied, daß jeder weitere Versuch, ihn anzulügen, eine Zeit- und Energievergeudung war. Mit diesem Videoband hatte er sie in der Hand.

»Niemand hat mich geschickt«, antwortete sie.

»Wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen, kann ich Ihnen nicht helfen.«

»Das ist die Wahrheit. Ich habe das Geld genommen, weil wir ... weil ich es brauchte. Ich wußte gar nicht, daß es da war.«

»Was hatten Sie um Viertel vor vier in diesem Stall zu suchen?«

»Ich ... ich arbeite da, für WylandFarm. Zumindest tat ich es.«

»Was meinen Sie damit, Sie taten es?«

»Vor ein paar Tagen habe ich mich über etwas aufgeregt und gekündigt. Heute morgen bin ich dann zum Stall gegangen, um meinen letzten Scheck zu holen.«

»Worüber haben Sie sich aufgeregt?«

Molly spürte, wie sie rot wurde und ärgerte sich im selben Moment darüber. »Jemand hat mich angefaßt, und das paßte mir nicht.«

»Wer? Don Simpson?«

»Nein, nicht Mr. Simpson. ThorntonWyland. Seiner Familie gehören die Ställe.«

Er schwieg einen Moment, dann setzte er sein Verhör in einer anderen Richtung fort. »Sie gingen also morgens um Viertel vor vier in den Stall, um Ihren letzten Scheck abzuholen?«

»Ich habe immer um fünf Uhr angefangen zu arbeiten. Viertel vor vier ist im Pferdegeschäft nicht wirklich früh.«

»Bei wem wollten Sie den Scheck abholen?«

»Bei Mr. Simpson.«

»Er war nicht da.«

»Normalerweise kommt er ungefähr um vier. Er ist gerne der erste, der auftaucht. Ich kam ein bißchen früher, um ihn auf keinen Fall zu verpassen. Ich brauchte ... brauche diesen Scheck.«

»Wann sind Sie genau gekommen? Wen haben Sie gesehen? Wer war in der Scheune?«

»Ich glaube, ich war so gegen halb vier da. Ich habe niemanden gesehen. Normalerweise hat ein Stallknecht die ganze Nacht Dienst, aber anscheinend war keiner da.«

»Und was haben Sie in der verlassenen Scheune zwischen halb vier und dem Zeitpunkt gemacht, als Sie den Sattelraum betraten, Miß Butler?«

»Ich war bei den Pferden und habe mit Ophelia geredet.« Sie hatte keine Lust, ihn noch einmal darauf hinzuweisen, daß sie nicht Butler hieß. Irgendwie war es ihr sogar recht, daß er ihren wirklichen Namen nicht kannte. Und wer weiß, ob dieser Irrtum für sie nicht vielleicht irgendwann von Vorteil sein könnte.

»Mit wem?«

»Ophelia. Sie ist ein Maulesel. Vor einiger Zeit ist sie verletzt worden, und seitdem hat sie Angst vor Menschen. Zu mir hat sie Zutrauen. Ich wollte nur sehen, wie es ihr geht.« Tatsächlich war Ophelia vor zwei Monaten das Opfer eines äußerst bösartigen Überfalls geworden. Eines Nachts draußen auf den Feldern der WylandFarm hatte ihr jemand mehrere tiefe Schnitte in den Hinterläufen beigebracht. Den Wunden nach zu urteilen war das Werkzeug eine scharfe Rasierklinge gewesen. Man hatte den Verbrecher nicht gefaßt. Um die Farm herum waren Sicherheitsposten aufgestellt worden, aber der Aufwand zur Ergreifung des Täters hatte sich in Grenzen gehalten, weil Ophelia für ihre Eigentümer keinen großen Wert darstellte. Sie war schließlich kein Vollblüter. Die Mauleselin wurde nur deshalb in Keeneland geduldet, weil sie eine beruhigende Wirkung auf Tabasco Sauce hatte, WylandFarms große Hoffnung. Ophelia war seine beste Freundin.

»Was ist ... was war Ihre Aufgabe auf WylandFarm?«

»Ich arbeitete dort als Stallbursche.«

»Sie sagten, daß Don Simpson Ihr Boß ist. Ist das alles? Was für eine persönliche Beziehung haben Sie zu ihm?«

Die Anspielung in seiner Frage gefiel Molly überhaupt nicht. Sie sah ihm gerade in die Augen. »Es gab keine Intimitäten zwischen uns, wenn es das ist, worauf Sie hinauswollen.«

Er hatte nicht einmal den Anstand, verlegen auszusehen. »Hm. Und mit irgendjemand anders?«

»Was?« Ungläubig sah sie ihn an.

»Gehen Sie mit irgendjemand anders von WylandFarm aus?«

»Ich glaube, das geht Sie überhaupt nichts an. Falls Sie daran denken, mich um ein Rendezvous zu bitten, ist die Antwort nein.« Sie wußte genau, daß er das nicht beabsichtigte, aber sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, seinen indiskreten Fragen etwas entgegenzusetzen.

»Ich habe nicht vor, Sie um ein Rendezvous zu bitten, Miß Butler, das können Sie mir glauben. Ich möchte nur gerne wissen: Mit wem haben Sie privaten Umgang? Mit wem gehen Sie aus? Wer ist Ihr Freund?«

»Wieso wollen Sie das wissen?«

Er runzelte die Stirn. »Miß Butler, wenn Sie nicht ins Gefängnis kommen wollen, werden Sie meine Fragen schon beantworten müssen. Und zwar wahrheitsgemäß. Verstehen Sie das?«

Sie zog eine Grimasse. Offensichtlich interpretierte er ihren Ausdruck als Zustimmung, denn er fuhr fort: »Also, erzählen Sie mir etwas von Ihren Freunden, mit wem Sie ausgehen und über männliche Bekanntschaften.«

»Ab und zu geh’ ich mit Jimmy Miller aus. Er arbeitet in der Autowerkstatt seines Vaters. Und manchmal mit Tom Atkinson, einem Nachbarn. Aber ich geh’ auch noch mit anderen weg, wenn mich jemand fragt und ich Zeit und Lust hab’.«

»Haben Sie irgendeine persönliche Beziehung zu Bernie Caudill?«

»Bernie Caudill?« Der Name kam Molly bekannt vor, aber im Moment wußte sie nicht, wo sie ihn hinstecken sollte.

»Er identifiziert die Pferde für die Rennen in Keeneland.«

»Oh, Sie meinen den fetten alten Burschen, der die Maultätowierungen der Pferde überprüft?«

»Genau.«

»Nein. Den kenne ich kaum.«

»Und Tim Harden? Jason Breen? Howard Lawrence?«

Molly schüttelte bei jedem Namen – alle waren Pferdetrainer aus der Gegend – wahrheitsgemäß den Kopf.

Nachdem der FBI-Agent einen Moment geschwiegen hatte, fuhr er fort: »Sie behaupten also, Sie waren nur deshalb um Viertel vor vier morgens in der Scheune, um Ihren Scheck abzuholen.«

»So war es.«

»Was haben Sie dann in dem Sattelraum getan?«

»Ich wollte eine Handvoll Süßfutter für Ophelia holen.«

»Ophel ... oh, ja, der Esel.«

»Sie ist ein Maulesel.«

Er zuckte ungeduldig die Achseln, diese Unterscheidung interessierte ihn nicht. »Und Sie hatten keine Ahnung, daß das Geld da war, für wen es bestimmt war oder irgendetwas? Sie sahen es nur rein zufällig und nahmen es, weil Sie es brauchten, ist das richtig?«

»Das ist richtig.«

»Dann sagen Sie mir noch etwas anderes: warum haben Sie überhaupt in diesen Futtersack hineingesehen?«

»Weil er nicht von der richtigen Firma war. Unser Futter ist von Southern Farms. Der Sack war von Benton’s, und das Futter ist nicht so gut. Also durften unsere Pferde es nicht bekommen, und wenn der Sack dort herumstand, hätte jemand es aus Versehen nehmen können. Das falsche Futter bringt das Verdauungssystem der Pferde durcheinander, mit Vollblütern muß man da sehr vorsichtig sein. Ich wollte den Sack also zur Sicherheit wegnehmen, aber als ich ihn anhob, wußte ich sofort, daß er kein Futter enthielt. Also habe ich reingeschaut.«

»Waren Sie erstaunt, Geld darin zu finden?«

Das war die Untertreibung des Jahres. »O ja.«

Er schwieg, während sein nachdenklicher Blick über ihr Gesicht und den Teil ihres schlanken Körpers wanderte, den er sehen konnte. Molly war klar, daß er ihre Worte abwog, um zu entscheiden, ob er ihr glauben sollte oder nicht.

»Wie alt sind Sie?« fragte er abrupt.

»Vierundzwanzig.«

»Sie leben hier mit Ihren Brüdern und Schwestern, richtig? Sie haben mehrere?«

»Vier. Zwei Brüder, zwei Schwestern.«

»Und Sie sind die älteste.«

»Haben Sie das alles überprüft, bevor Sie kamen? Natürlich haben Sie das, Sie sind ja vom FBI.« In ihren Worten lag Feindseligkeit. »Dann wissen Sie ja schon, daß ich die älteste bin, wieso fragen Sie also noch?«

Ihre Widerborstigkeit hatte offenbar keinerlei Wirkung auf ihn. Ungerührt fragte er weiter: »Wo sind Ihre Eltern?«

Molly zuckte innerlich zusammen. Das ging zu weit, es berührte einen persönlichen Bereich, den sie mit niemandem teilen wollte. »Hören Sie, das ist Ihnen doch sowieso egal. Wo meine Eltern sind, hat nichts mit dem Ganzen hier zu tun.«

»Ich will es wissen.«

Nun, sie wollte auch eine Menge Dinge, zum Beispiel, daß er endlich ging. Aber sie würde ihren Wunsch nicht erfüllt bekommen, weil er dieses Video hatte und sie ihn nicht einfach wegschicken konnte. Diese Kassette gab ihm eine Macht über sie und das Recht, Antworten zu verlangen, wie indiskret die Fragen auch sein mochten. »Meine Mutter ist tot. Und mein Vater hat sich davongemacht, als ich noch ein Baby war. Okay?«

Einen Moment lang sah er sie schweigend an. Dann verzog sich sein Mund zu einem trockenen Grinsen. »Heute ist Ihr Glückstag, Miß Butler. Ich glaube Ihnen, daß Sie die Wahrheit gesagt haben, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich werde also das Geld nehmen, wieder gehen und vergessen, daß Sie es gestohlen haben. Es sei denn, ich finde heraus, daß Sie mich angelogen haben. In diesem Fall bin ich umgehend wieder da.«

Er ergriff den Sack, deutete eine Verbeugung in ihre Richtung an und ging. Molly konnte noch nicht fassen, daß er sie einfach so davonkommen ließ. Sie wirbelte auf der Bank herum, um zuzusehen, wie er durch das Loch in der schräg herabhängenden Fliegengittertür verschwand.

»Einen schönen Tag noch, Miß Butler«, rief er über die Schulter zurück, als hätten sie gerade nett zusammengesessen und einen freundlichen Schwatz gehalten. Molly schüttelte ungläubig den Kopf, eine Welle der Erleichterung überschwemmte sie. Sie würde nicht ins Gefängnis kommen.

Allerdings wußte er noch nicht von dem fehlenden Zwanzig-Dollar-Schein.

Während sie das dachte, blieb der FBI-Mann plötzlich zwei Schritte vor der Treppe stehen. Hatte er seine Meinung geändert? Ein Gefühl der Panik beschlich sie. Konnte er ihre Gedanken lesen?

Pork Chops Auftauchen beantwortete ihre Frage. Sein Nackenfell war aufgestellt, und er bleckte seine leuchtend weißen Fänge. Offensichtlich hatte der Hund auf der Veranda ein Schläfchen gehalten.

Man mußte dem FBI-Mann zugutehalten, daß er Courage hatte, denn er wich keinen Schritt zurück. Ruhig streckte er dem Hund seine Hand hin und ließ ihn daran schnüffeln. Dabei sagte er etwas Beruhigendes, was Molly nicht verstand. Pork Chop schmolz dahin wie das weichherzige, gutmütige Ungetüm, das er nun mal war. Er wedelte mit dem Schwanz, denn da dieser Mann ihn an seiner Hand schnüffeln ließ, mußte er ja wohl ein Freund sein. Als Belohnung wurde ihm der Kopf gekrault.

Schließlich hörte der FBI-Mann auf, ihren verräterischen Hund zu streicheln, stieg die Verandastufen hinab und verschwand aus ihrer Sicht. Und, so hoffte Molly inbrünstig, auch aus ihrem Leben.

Kapitel 5

Will hielt vor einem 7-Eleven-Laden in der Versailles Road und rief Murphy an. Er war auf keine aufregende Nachricht gefaßt, und die Hiobsbotschaft, die Murphy verkündete, verschlug ihm die Sprache: Howard Lawrence war tot. Lawrence war Trainer der Cloverlot Ställe und ihr Informant gewesen. Er war derjenige, von dem sie über den Ablauf des Betruges unterrichtet worden waren, und er hatte auch den vorgetäuschten Handel mit Don Simpson in die Wege geleitet und den Sack voll Geld im Sattelraum von Stall 15 abgestellt. Jetzt war er die längste Zeit ihr Informant gewesen! Dank dieses Mädchens, dem Will gerade großzügig zur Straffreiheit verholfen hatte, besaßen sie nun auch nicht den geringsten Beweis mehr gegen irgendjemand anders.

»Was meinst du damit, Lawrence ist tot?« fragte Will fassungslos.

»Nun, du weißt schon, er hat den Löffel abgegeben, ist verschieden, ins Reich der ewigen Jagdgründe eingegangen!«

»Er ist tot?«

»So ist es.«

»Wie in drei Teufels Namen konnte das passieren?«

»Er hat Selbstmord begangen.«

»Er hat Selbstmord begangen?«

»Hmm.« Murphy klang niedergeschlagen.

»Du solltest ihn überwachen!«

»Das habe ich auch. Ich folgte ihm im Auto, und er fuhr in einen Drive-in-Imbiß, bekam sein Tablett und stellte sich dann auf den Parkplatz, um zu essen. Dachte ich jedenfalls. Sah aus, als würde es eine Weile dauern, also bin ich ums Gebäude rumgefahren und schnell mal aufs Klo gegangen. Als ich zurückkam, war er noch immer in seinem Wagen. Er saß zurückgelehnt und ganz ruhig, aber da fand ich nichts bei. Ich dachte, er ruht sich eben einen Moment lang aus. Wie hätte ich denn wissen sollen, daß er beschlossen hatte, gerade dort auf dem Parkplatz von Dairy Queen sein Leben auszuhauchen?« Offensichtlich war Murphy ehrlich gekränkt, weil Will ihm Vorwürfe gemacht hatte.

»Mist!«

»Das habe ich auch gesagt.«

»Verdammt noch mal, Murphy, du hättest es verhindern müssen!«

»Aber wie denn? Was hätte ich denn tun können?«

»Mist!« wiederholte Will.

»Tut mir leid, Mann.«

Will konnte geradezu sehen, wie Murphy entschuldigend die Achseln zuckte. Er biß die Zähne zusammen.

»Ich nehme an, die Ortspolizei hat sich des Falles angenommen?«

»O ja. Ein Mädchen, das dort arbeitet, hat schließlich entdeckt, daß er tot war. Sie kam gerade mit einer Spezialbestellung, und als sie an seinem Auto vorbeilief, ließ sie das Essen fallen und fing an zu schreien. Die Polizei war in weniger als fünf Minuten da.«

»Hast du mit ihnen geredet?«

»Nein. Ich bin gar nicht aus dem Auto gestiegen, nachdem das Mädchen angefangen hatte zu schreien. Als die Polizei kam, fuhr ich weg. Ich wollte nicht, daß sie merken, daß wir ein Interesse an Lawrence hatten.«

»Bist du sicher – hundert Prozent sicher –, daß Lawrence tot ist?«

»Ja.«

»Wenn du aber gar nicht aus dem Auto gestiegen bist, nachdem das Mädchen angefangen hatte zu schreien, wie kannst du dann so sicher sein?« Wills Geduld wurde wirklich auf eine harte Probe gestellt. Zur Hölle mit Hallum, ihn mit diesem Strohkopf zusammenzustecken!

»Ich hab’ das Ganze in den Mittagsnachrichten im Fernsehen gesehen. Es war natürlich die Sensation: Pferdetrainer begeht Selbstmord im Dairy Queen. Glaub mir, der ist tot. Es werden schon Vorbereitungen für das Begräbnis getroffen.«

»Es war schon im Fernsehen? Verdammt noch mal!«

»Wenigstens weiß niemand, daß er was mit uns zu tun hatte.« Murphy hörte sich an, als wollte er Will einen Trost anbieten. »Sowieso hat er uns schon alles gesagt, was er weiß. Wir haben genügend Beweismaterial.«

Will schloß für einen Moment die Augen. »Eben nicht, Murphy. Wir haben nicht das Geringste in der Hand. Lawrence wäre ein Zeuge gewesen, aber ohne ihn können wir keinem anderen etwas nachweisen. Nichts, verstehst du, gar nichts! Kein Zeuge, kein Beweis, nichts! Alles, was wir jetzt noch haben, ist ein Haufen Gerüchte.« Und das bedeutete, daß eine verdammte Menge harte Arbeit umsonst gewesen war, dachte er wütend.

»Vielleicht können wir einen der anderen dazu bringen zu gestehen. Wir könnten sie zum Beispiel vorladen und ihnen sagen, daß Lawrence uns alles erzählt hat, bevor er starb.«

»Und wenn sie nicht gestehen – was sie nicht tun werden, wenn sie auch nur ein Fünkchen Verstand besitzen –, dann haben wir immer noch nichts. Außer, daß wir dumm dastehen und uns wieder umsonst abgemüht haben. Und sie wissen, daß ihr Schwindel aufgefallen ist, was bedeutet, daß sie sofort damit aufhören werden. Dann können wir unverrichteter Dinge abziehen.«

»Wenigstens begehen sie dann keine Verbrechen mehr.«

»Oh, großartig, das werde ich Hallum sagen. Vielleicht schlägt er uns als Bürger des Jahres vor.«

»Also können wir im Moment gar nichts machen.« Wieder konnte WillMurphys Schulterzucken fast hören.

Er schwieg einen Moment. Nicht weit entfernt von dem Münztelefon raste der Verkehr auf einer vierspurigen Autobahn vorbei. Aus dem 7-Eleven-Laden kamen ein paar Dorftrottel in Overalls, stiegen in einen klapprigen Pickup und ließen den Motor laut aufheulen, als sie losfuhren. Eine stinkende Wolke Auspuffgase kam auf Will zugeweht. Er lehnte sich angewidert zurück und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum.

Der Himmel war von einem strahlenden Blau, das von langsam dahinsegelnden weißen Federwölkchen noch betont wurde. Für die Jahreszeit zu warme Luft strich Will übers Gesicht. In Chicago wäre es Mitte Oktober gute zehn Grad kälter und die Luft wäre frisch, wie man es im Herbst erwartete. Die Straßen dort würden wimmeln von Leuten, die wichtigen Geschäften nachgingen, und durch die tiefen Wolkenkratzerschluchten würde der Wind pfeifen ...

»Etheline, vergiß meine Zigaretten nicht, hörst du?« Eine fette Frau in einem Chevy rief die Ermahnung ihrer ebenfalls sehr umfangreichen Tochter im Teenageralter zu, die gerade in den Laden ging und nur mit einem abwehrenden Handwedeln antwortete. In Chicago rauchte niemand mehr. Hier dagegen könnte man meinen, das Motto der Gegend hieße Tabak ist ein Gemüse. Die Hälfte der Bevölkerung qualmte. O Gott, wie sehr wünschte er sich, endlich wieder zurück in der Zivilisation zu sein. Für ihn käme es der Hölle gleich, den Rest des Lebens hier festzusitzen.

»Bist du sicher, daß es Selbstmord war?« fragte er Murphy.

»In den Mittagsnachrichten hieß es, daß man die Waffe in Lawrences Wagen gefunden hat und nur seine eigenen Fingerabdrücke drauf waren. Niemand außer ihm war im Auto. Wie hätte es also sonst passieren sollen?«

Ja, wie sonst? Zwar war Lawrences Tod für die Männer, die er verraten hatte, das Beste, was ihnen passieren konnte; aber das hieß noch nicht, daß es sich um einen Mord handeln mußte. Trotzdem ... »Hast du die Kennzeichen der Autos notiert, die sich noch auf dem Parkplatz befanden?«

»Nein.« Murphys Stimme klang überrascht. »Hätte ich das tun sollen? Daran habe ich gar nicht gedacht, da es doch von Anfang an wie Selbstmord aussah.«

Du hast nicht gedacht und fertig, ging es Will durch den Kopf, aber er sagte nichts dergleichen.

»Hast du das Geld zurück?« fragte Murphy.

»Ja.« In Gedanken versunken, antwortete Will mit kaum mehr als einem Knurren.

»Äh, Will ...« Murphy machte eine Pause.

»Was?« Die Pause ließ Will aufhorchen. Er befürchtete, daß sie weitere schlechte Nachrichten ankündigte.

»Der Name des Mädchens ist Ballard, nicht Butler. MollyBallard. Ich glaube, ich habe es falsch gelesen.« Murphys Stimme klang kleinlaut.