Hotel Nirgendwo - Ivana Bodrozic - E-Book

Hotel Nirgendwo E-Book

Ivana Bodrozic

5,0

Beschreibung

Ivana Bodrozic erzählt davon, wie Krieg zur Normalität wird. Ihr Debüt ist die Geschichte eines jungen Mädchens, das während des Krieges in Kroatien heranwächst, aber nie die Hoffnung verliert. Mit neun Jahren, 1991, muss sie aus Vukovar flüchten. Schon bald ist ihr Vater verschwunden, täglich hofft sie auf eine Nachricht von ihm. Im Lager schließt sie neue Freundschaften und erlebt das, was Pubertät ausmacht. Das Buch ist ein großes Dokument der Selbstbehauptung, voller Witz und Leichtigkeit, ohne falsche Sentimentalität. Mit den Augen von Ivana Bodrozic betrachtet, erscheint die Realität des Krieges in einem neuen Licht.

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Seitenzahl: 303

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Zsolnay eBook

Ivana Bodrožić

Hotel Nirgendwo

Roman

Aus dem Kroatischen von Marica Bodrožić

Paul Zsolnay Verlag

Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel Hotel Zagorje bei Profil International, Zagreb.

ISBN 978-3-552-05570-4

© Ivana Bodrožić 2010

Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe:

© Paul Zsolnay Verlag Wien 2012

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

www.hanser-literaturverlage.de

1

Ich erinnere mich an nichts, weiß nicht, wie es begonnen hat. Nur ein paar Gedankensplitter sind da. Geöffnete Fenster in der Wohnung, ein praller Sommernachmittag, die durchgeknallten Frösche vom Fluss Vuka. Ich schiebe mich an zwei Sesseln vorbei und singe vor mich hin. Wer sagt es, wer wagt es, uns so zu belügen, Serbien klein zu nennen, uns so zu betrügen. Mein Vater faltet die Zeitung zusammen, dreht sich zu mir um, und ich kann seine Nervosität förmlich spüren. »Was singst du denn da?«, fragt er. – »Nichts, das habe ich von Bora und Danijela gehört.« – »Ich will das nie wieder von dir hören. Ist das klar?« – »Ja, ist gut, Alter.« – »Was heißt hier Alter, elende Scheiße, ich bin dein Vater!«

Wir packen für die Fahrt ans Meer. Zum ersten Mal in meinem Leben machen mein Bruder und ich uns allein auf die Reise. Er ist sechzehn, ich bin neun Jahre alt. Unsere Nachbarin Željka kommt auch mit. Sie ist ein Jahr jünger als mein Bruder. Ich will so sein wie sie, und ich bin sehr aufgeregt, weil ihr unsere beiden Mütter aufgetragen haben, mich im Auge zu behalten. Ich kann vor lauter Aufregung die ganze Nacht nicht schlafen. Auf dem Tischchen zwischen meinem und dem Bett meines Bruders liegen die Reisepässe. Das Licht im Zimmer ist ausgeschaltet. Ich frage meinen Bruder, ob ich mich zu ihm legen darf. Mit flüsternder Stimme sage ich: »Wozu brauchen wir denn Pässe, wir fahren doch nur ans Meer, oder?« – »Vater hat gesagt, dass wir, wenn es brodeln sollte, zu unserem Onkel nach Deutschland fahren werden«, antwortet er. Ich habe keine Ahnung, was er meint, was brodeln könnte, ahne aber, dass es etwas mit Politik zu tun haben muss, weil das Wort in letzter Zeit ständig in diesem Zusammenhang verwendet wird. Und ich habe ein kleines Äffchen, das ich nach unserem Präsident Meso benannt habe, weil es ihm ein bisschen ähnlich sieht.

Wir versuchen uns vorzustellen, wie es wohl bei unserem Onkel in Deutschland ist. Mein Bruder sagt, dort seien alle sehr reich und eine Wohnung, wie wir sie haben, sei da nur den Zigeunern gut genug. Ich liebe meinen Onkel sehr. Er kommt immer im Sommer und ist mit einer jungen deutschen Frau verheiratet. Wenn er redet, hören ihm alle aufmerksam zu, und er riecht so gut. Diesen Sommer hatte seine Frau, Gina, den Pudel mitgebracht, Oma und Opa wollen ihn nicht ins Haus lassen, sie sagen, er müsse im Schuppen schlafen. Daraufhin bricht ein großer Streit aus. Oma sagt, sie werde den Köter vergiften, und dann muss Vater alle beruhigen. Gina bleibt schließlich doch im Haus. Unser Onkel bringt immer Geschenke und Marzipan mit. Dieses Jahr habe ich einen Lederhandball bekommen, der sich nicht aufpumpen lässt. Mein Bruder hat einen Fußball bekommen, doch er hat kein einziges Mal mit ihm gespielt. Mein Bruder scheucht mich bald in mein Bett zurück. Noch lange denke ich über all das nach.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!