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Düster, sexy und unwiderstehlich! Diese Sapphic Romance mit Horror-Elementen wird dich lange nicht loslassen: «Pleasure is nothing without pain.» Salem will eigentlich nur vor ihrem gebrochenen Herzen davonlaufen. Als sie auf der entlegenen Blackridge Island in einem Bed & Breakfast eincheckt und der enigmatischen Besitzerin Rayne begegnet, spürt sie aber sofort eine unglaubliche Anziehung zu ihr. Unter den kritischen Augen der tiefreligiösen Inselgemeinschaft fühlt sich jeder Blick, jede Berührung, die Salem mit der mysteriösen Fremden austauscht, verboten an, und trotzdem kann sie nicht widerstehen. Mit Rayne kann sie jede Fantasie ausleben, die sie so lange unterdrückt hat, jedem dunklen Gelüst nachgeben, für das sie sich früher geschämt hätte. Doch bald schon passieren merkwürdige Dinge im Hotel, und Salem hört Gerüchte über einen rachsüchtigen Engel, der das alte Gebäude heimsuchen soll. Als die ersten Gäste spurlos verschwinden, wird ihr eines klar: Das Böse lauert in Blackridge – und seine Augen sind auf Salem gerichtet.
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Seitenzahl: 564
Veröffentlichungsjahr: 2025
Harley Laroux
Etwas in ihr erwacht.
Roman
«PLEASURE IS NOTHING WITHOUT PAIN»
Salem will eigentlich nur vor ihrem gebrochenen Herzen davonlaufen. Als sie auf der entlegenen Blackridge Island in einem Bed and Breakfast eincheckt und der geheimnisvollen Besitzerin Rayne begegnet, spürt sie aber sofort eine unglaubliche Anziehung zu ihr. Unter den kritischen Augen der tiefreligiösen Inselgemeinschaft fühlt sich jeder Blick, jede Berührung verboten an, und trotzdem kann sie nicht widerstehen. Mit Rayne kann sie die Fantasien ausleben, die sie so lange unterdrückt hat, den dunklen Begierden nachgeben, für die sie sich früher geschämt hätte. Doch bald schon passieren merkwürdige Dinge in dem alten Haus, und als die ersten Gäste spurlos verschwinden, wird ihr eines klar: Das Böse lauert in Blackridge – und seine Augen sind auf Salem gerichtet.
Atmosphärisch und sexy. Diese düstere Romance mit Horror-Elementen lässt dich nicht wieder los.
Harley Laroux (she/they) ist Spiegel- und NYT-Bestsellerautorin von Adult und New Adult Romance mit düsteren Elementen. Harley schreibt spicy Liebesgeschichten über queere Protagonist:innen, die sich in gefährlichen Situationen wiederfinden. Mit ihrem Ehemann lebt sie im nebligen Bundesstaat Washington, der oft als Handlungsort ihrer Bücher dient. Die meiste Zeit über findet man Harley an ihrem Schreibtisch, wo sie Tee trinkt und mindestens eine der Katzen auf ihrem Schoß sitzt.
Katharina Radtke hat in Freiburg und Oxford Deutsche und Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt heute in ihrer Wahlheimat Lübeck. Ihrer Spezialisierung auf das Mittelalter und die Frühe Neuzeit verdankt sie eine Vorliebe für Historisches, Düsteres und Skurriles in allen Genres. Seit 2018 übersetzt sie Krimis und Liebesromane.
Die englische Originalausgabe erschien 2025 unter dem Titel «House of Rayne» bei Kensington, New York.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2025
Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«House of Rayne» Copyright © 2025 by Harley Laroux
Published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., NEW YORK, NY 10022 USA
Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung Shutterstock
ISBN 978-3-644-02530-1
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Für alle, die noch immer gegen die Dämonen kämpfen, die ihnen in die Wiege gelegt wurden
Winter’s Coming
Das Reh war noch nicht lange tot, die Leichenstarre hatte bisher nicht eingesetzt. Frisches hellrotes Blut glänzte auf seinen bloßgelegten Organen und gerann bereits auf den zertrümmerten Knochen.
Das Tier war nicht gefressen worden. Es war in Stücke gerissen worden.
Ich hakte meine Kombizange wieder an meinem Gürtel ein, umfasste den Griff meines Messers und ließ den Blick über das weite Feld schweifen. Der Wind strich heulend durch das gefrorene Gras, und eine schneidende Kälte lag in der Luft. In der Ferne wogten die Bäume hin und her.
Der Winter war in diesem Jahr früh hereingebrochen. Die Feldfrüchte, die noch nicht geerntet worden waren, waren in der Nacht erfroren, und laut der Vorhersagen würden die Temperaturen noch weiter fallen. Dunkle Wolken türmten sich am fernen Horizont. Das Meer wirkte grau, wie der Himmel, und war genauso eiskalt wie der Nebel.
Eine Fliege surrte pausenlos um mein Ohr herum, und als ich näher an den Kadaver herantrat, schreckte ich einen ganzen Schwarm davon auf. Gläserne, eingefallene Augen starrten zu mir hoch. Was sie in ihren letzten Momenten wohl gesehen hatten? Vielleicht war dem Geschöpf nicht einmal bewusst gewesen, dass sein Tod bevorstand.
Aber mir war es bewusst. Es war mir immer bewusst. Der Tod verfolgte mich seit meiner Kindheit auf Schritt und Tritt.
Ich schlug die Fliegen fort und stapfte über das Feld auf mein Quad zu. Der Zaun war repariert und würde die Schafe der Familie Frontage davon abhalten, umherzuspazieren und von Kojoten gerissen zu werden … oder von etwas Schlimmerem.
Als ein Zweig knackte, riss ich den Kopf hoch, so abrupt, wie eine Marionette am Faden es tun würde. Die blassen Farben des späten Abends flossen ineinander; das Gras, die Bäume, der Nebel und die Schatten erschufen eine gespenstische flache Landschaft.
War das, was ich unter den Bäumen erspähte, ein blasses Gesicht ohne Augen? Oder waren es nur Nebelschwaden, die sanft die Luft durchdrangen?
Weil der seltsame Anblick auch nicht verschwand, als ich schnell blinzelte und mir die Augen rieb, wich ich unsicher einen Schritt zurück.
Es war nur eine optische Täuschung. Meine müden Augen spielten mir einen Streich.
Ich lief schneller, dann rannte ich. Der Wind hatte sich gelegt, aber ich hätte schwören können, dass sich etwas durch das Gras hinter mir bewegte – sich schnell und zielstrebig bewegte. Adrenalin schoss durch meine Adern, und noch immer hörte ich die Fliegen unaufhörlich surren und surren und surren …
Ich sprang auf das Quad. Der Motor heulte auf, als ich ihn anließ. Das Blut dröhnte in meinen Ohren, aber auf dem Feld war nichts. Und auch nicht zwischen den Bäumen. Ich schloss meine Finger so fest um den Lenker, dass meine Knöchel weiß und meine Handflächen feucht wurden.
Reiß dich zusammen, Rayne. Es ist noch zu früh im Jahr dafür. Es ist praktisch unmöglich, dass es schon erwacht ist. Unmöglich.
Ich wusste, dass es nicht wirklich etwas brachte, mir selbst gut zuzureden. Nichts war sicher, und die Regeln, die mein Überleben gewährleisteten, konnten sich von einem Tag auf den nächsten ändern. Der Tod passte sich an jegliche Umstände an.
«Hey! Hallo?»
Ich erstarrte und würgte den Motor ab. Wartete für ein paar lange Augenblicke. Und lauschte.
«Hallo? Wer bist du?»
Ein Schauer kroch meinen Rücken hinauf. Die Stimme kam von irgendwo hinter mir. Sie klang hoch, wie bei einer jungen Frau, aber gleichzeitig sonderbar hohl. Emotionslos und geradezu monoton.
Ich drehte den Kopf nur um wenige Millimeter und suchte nach der Quelle. Der Nebel trickste meine Augen aus und ließ es so aussehen, als würden Gestalten zwischen den Bäumen hin und her huschen.
«Wer bist du? Hallo? Hallo?»
Es waren dieselben Worte. Derselbe Tonfall. Aber lauter. Schneller.
Hungriger.
Ich trat das Gaspedal durch. Erde spritzte unter den Rädern hervor, als das Quad beschleunigte und die Hügel hinunterraste. Hier gab es keinen Weg; ich musste mich zwischen Bäumen hindurchmanövrieren und über Felsbrocken fahren.
Und die ganze Zeit über rief mich die Stimme hinter mir. «Hallo? Hey!»
Ich fuhr schneller, noch schneller. Der Nebel wurde dichter, bis ich kaum sehen konnte, wohin ich fuhr. Wasser durchtränkte meine Hosenbeine, als ich durch einen flachen Bach fuhr und dabei ständig über meine Schulter blickte.
Doch das war ein Fehler. Ich hielt den Blick einen Sekundenbruchteil zu lang nach hinten gerichtet, und eins der Räder verkeilte sich zwischen zwei großen Felsbrocken. Die Erschütterung riss mir den Lenker aus den Händen und schleuderte mich aus dem Sitz, als das Fahrzeug sich überschlug.
Ich schaffte es gerade noch, mich zur Seite zu rollen, bevor es auf mir landen konnte. Schließlich blieb das Quad neben einem gewaltigen umgestürzten Baum auf der Seite liegen. Stöhnend lag ich auf dem Rücken und schnappte nach Luft, während mein Blick nach oben zu den wogenden Kiefern glitt.
Steh auf.
Ich musste aufstehen, und zwar jetzt.
Mein Brustkorb schmerzte. Meine Lunge ächzte nach Luft. Ich rollte mich auf die Seite und stemmte mich hoch. Meine Arme zitterten unter meinem Gewicht, während ich die Umgebung mit Blicken absuchte. Der Nebel waberte und erzeugte den Eindruck, als würde sich um mich herum alles ständig bewegen, sodass ich mich noch benommener fühlte.
«Wer bist du?»
Diese Stimme ging mir durch Mark und Bein. Der Tonfall war kalt. Leer. Eine Imitation menschlicher Worte.
Ich wagte nicht, mich umzudrehen. Steif stand ich auf und begann zu gehen. Ruhig und gleichmäßig …
«Wer bist du?»
Etwas raschelte, kratzte. Mit Klauen versehene Hände schleiften über die Erde und scharrten über die raue Rinde des Baumes.
«Hey.»
Das war eine andere Stimme. Ihr Ton nicht weniger kalt.
Geh weiter. Sieh nicht hin, sieh nicht hin.
«Hey!»
Das war nicht einmal mehr ein Wort. Sondern ein Knurren.
Ich taumelte zwischen den Bäumen hervor und auf eine mit Kopfsteinpflaster versehene Straße. Dann zog ich mein Messer aus der Scheide und wirbelte mit erhobener Waffe herum.
Doch … nichts.
Die kahlen Bäume wogten im sachten Wind hin und her, und der Nebel zu meinen Füßen löste sich auf. Aber noch immer spürte ich die Blicke auf mir …
Mrs Frontage stand in ihrem Vorgarten und starrte mich an, während Hühner gackernd um ihre Beine herumwuselten. «Geht’s Ihnen gut? Sind Sie das, Ms Balfour?»
«Hi, ja, ich bin’s. Es … geht mir gut.» Ich verzog kaum eine Miene, steckte mein Messer wieder in die Scheide und umfasste dann mit einer Hand meine verletzte Schulter. Ich renkte das Gelenk wieder ein, und ihre Augen weiteten sich. «Wenn Sie allerdings eine Ibu hätten, wäre das toll.»
No Names
Heute war der Tag meiner Hochzeit. Aber jetzt war es Abend, und ich war nicht verheiratet.
Seit dem Mittag hatte ich auf dem Fahrrad über hundertfünfzig Kilometer durch den pazifischen Küstenregenwald zurückgelegt. Mein Rücken und meine Beine schmerzten, als ich vor meinem einsamen Abendessen aus Fish and Chips allein in der Bar saß, die gegenüber meinem Motel lag.
Wenn ich später zu Bett ging, würde ich nicht meinen mich liebenden Verlobten dort vorfinden, der mich erwartete.
Es gab keinen Verlobten. Und auch keine Hochzeit im Country Club oder Flitterwochen in Las Vegas.
Es gab nur mich, mein Fahrrad und meinen restlichen Urlaubsanspruch für dieses Jahr, den ich bis auf den letzten Tag ausgeschöpft hatte. Nur mich und meinen verzweifelten Versuch, die Kontrolle wiederzuerlangen, während es sich anfühlte, als würde mein Leben mir vollends entgleiten. Gesellschaft leisteten mir dabei der Barkeeper, ein paar grauhaarige Fremde und meine allgegenwärtige Angst – die es sich wie ein kalter, schwerer Eisblock auf meinem Brustkorb bequem gemacht hatte.
In der Bar war nicht viel los, obwohl es die einzige Location in der Gegend war, die als Restaurant durchgehen könnte. Ein paar Hafenarbeiter saßen gebeugt über ihren Biergläsern und unterhielten sich leise. Der Barkeeper wischte seit einer halben Stunde schweigend Gläser trocken, während er ausdruckslos auf den Tresen starrte.
Diese Bar war ein Ort im Dazwischen. Zwischen Lebensentwürfen, zwischen Träumen.
Aber als sie hereinkam, fühlte sich plötzlich alles wieder real an.
Ihre Basecap verbarg ihr Gesicht, als sie mit entschlossenem Schritt eintrat, und ihr langes braunes Haar war vom Regen tropfnass. Sie brachte einen Schwung kalte Nachtluft mit herein, und allein ihre Anwesenheit schien den Raum schrumpfen zu lassen. Als sie ihre Cap umdrehte, fiel das Neonlicht auf ihr Gesicht und ließ ihre hellbraune Haut golden schimmern. Dabei bemerkte ich einen langen, dünnen Schnitt auf ihrer Wange.
Eine frische Wunde, blutrot.
Der Barkeeper nickte ihr zu, und sie erwiderte den Gruß, dann drehte er sich um und nahm eine Flasche Whisky vom staubigen obersten Regalbrett.
Mit ihren dunkelgrünen Augen überflog sie den Raum, suchend wie ein Falke auf der Jagd, und ihr Blick streifte alles außer mich. Ich konnte nicht anders, als die markante Kontur ihres Kinns anzustarren, dann wanderte meine Aufmerksamkeit weiter, ihre Kehle hinunter über ihre breiten Schultern bis zur sanften Wölbung ihrer Brust.
Während ich an meinem Drink nippte, richtete sich ihr Blick auf mich. Ich atmete scharf ein, erwischte aber statt Luft Bier und verschluckte mich prompt. Um meinen Beinahe-Erstickungstod vor den besorgt blickenden anderen Gästen zu verbergen, hustete ich krampfhaft in meine Hand, dann eilte ich zu den Toiletten.
Nachdem ich in einer Toilettenkabine das Bier aus meiner Lunge befördert hatte, kam ich zurück in den Gastraum, was peinlich genug war, und stellte fest, dass der Platz neben meinem nicht mehr leer war. O Gott, sie saß dort. Sie hatte mir den Rücken zugedreht, aber die breiten Schultern und die Art und Weise, wie sie sich nach vorn über die Bar beugte, als gehörte ihr der Laden, ließen keinen Zweifel daran.
Ich glitt wieder auf den Hocker neben ihr, umklammerte mein Bier mit beiden Händen und trank zitternd einen Schluck. Ihr Kopf bewegte sich leicht vor und zurück, wippte im Takt der Musik, die aus ihren Kopfhörern drang.
Ich hörte genauer hin und erkannte das Lied «Talk to Me» von Stevie Nicks. Vielleicht lag es nur am Bier, das allmählich Wirkung zeigte, aber einen meiner Lieblingsmusiker zu hören, ließ eine Welle der Begeisterung durch meinen Körper strömen, und meine Lippen bewegten sich wie von selbst stumm zu den Lyrics.
Zumindest dachte ich, ich wäre dabei stumm. Aber während ich den Text vor mich hin murmelte, bewegte sich jemand neben mir, und plötzlich fragte eine tiefe Stimme: «Möchtest du mithören?»
Die Frau hatte einen ihrer Kopfhörer herausgenommen und hielt ihn mir in ihrer Handfläche auffordernd hin. Aber ich konnte mich nicht auf den Kopfhörer konzentrieren, nicht wenn sie mich mit diesen warmen, waldgrünen Augen direkt ansah, und zwar auf eine Weise, als würde sie sich ein bisschen über mich amüsieren.
«Ich, äh … ja …»
Ich bekam kaum ein Wort heraus, aber sie verstand. Sie stieß scharf die Luft aus – war das ein Lachen? –, und ein Stromschlag durchzuckte mich, als sie den Stöpsel in mein Ohr drückte und mein Kopf sich mit Stevies Stimme füllte, die nicht von dieser Welt war.
Die Berührung war flüchtig, doch die Empfindung hallte in meinen Nervenbahnen nach, und es fühlte sich so an, als wäre sie in meine Wange geprägt worden.
«Ich sage den Typen schon lange, dass sie die Anlage reparieren lassen sollen», begann sie und deutete mit dem Daumen auf den Barkeeper. «Ich kann die Stille nicht ausstehen, also komme ich immer vorbereitet hierher.»
Sie beugte sich zu mir und legte ihren Arm langsam auf dem Tresen ab. Sie roch nach Klee, verbranntem Hasch und der salzigen Seeluft.
«Sorry, ich habe mich nicht mal vorgestellt», erwiderte ich eilig. «Ich bin …»
«Warte.» Sie streckte die Hand aus und legte einen Finger auf meine Lippen.
Bei der Berührung sprühten förmlich Funken, und es brauchte nicht mehr als diesen Moment – sie hatte mich in der Hand.
«Keine Namen. Sorgen wir dafür, dass es spannend bleibt.»
Sie lächelte, und Schmetterlinge flatterten durch meinen Bauch. Aber es war kein freundliches Lächeln, kein Freundschaftsangebot.
Sondern eine Aufforderung.
«Du bist nicht von hier, oder?», fragte ich.
Alle anderen im Raum schienen weit weg zu sein. Das Neonlicht spiegelte sich tanzend in ihren Augen, und ich fühlte mich plötzlich, als wäre ich auf einem Jahrmarkt irgendwo auf dem Land. Und als wäre es Sommer. Die gespannte Vorfreude, die Hitze, das Verlangen.
«Nein», antwortete sie. «Und du auch nicht.»
«Stimmt. Ich komme aus San Francisco. Ich habe die letzten Tage auf dem Fahrrad verbracht, deshalb sehe ich so aus.» Ich stieß ein nervöses Kichern aus, weil ich sicher war, dass mein kurzes Haar vom Helm platt gedrückt war und ich einen Sonnenbrand im Gesicht hatte.
Aber sie beachtete meine ruinierte Frisur oder gerötete Haut gar nicht. Bisher war ihr Blick nicht ein einziges Mal von meinen Augen abgerückt.
«Verdammt, das nenne ich Durchhaltevermögen.» Sie kratzte den Schnitt auf ihrer Wange, dann schien sie zu bemerken, was sie tat, und ließ abrupt die Hand sinken. «Du machst bestimmt viel Kohle, wenn du es dir leisten kannst, dort zu leben.»
«Na ja, statt in der Tech-Branche zu arbeiten wie alle anderen, habe ich beschlossen, meinen Traum zu verfolgen, und schließlich einen Job als Grafikdesignerin in einem kleinen Entwicklerstudio für Videospiele angenommen, also …»
Sie nickte wissend. «Verstehe, du bist also eine arme Künstlerin aus San Francisco, du magst Stevie Nicks, und du bist total hübsch. Du wurdest wirklich mit dem Manic-Pixie-Dream-Girl-Komplettpaket gesegnet, was?»
Es war ewig her, dass mich jemand so leicht zum Lachen gebracht hatte. «Neben dem Komplettpaket schleppe ich auch jede Menge Altlasten mit mir herum», witzelte ich.
Ein neues Lied begann, und wir schunkelten zusammen im Takt, während wir mit den Lippen gleichzeitig stumm den Text mitsprachen.
Sie fragte mich, was ich trinken wollte, und bestellte dann einen Gin Tonic für mich und ein Bier für sich selbst. Sie ließ ihr Glas gegen meines klirren, um mir zuzuprosten, und sagte: «Auf neue Freundschaften.»
«Auf neue Freundschaften.» Ich trank einen großen Schluck in der Hoffnung, dass die Schmetterlinge in meinem Magen sich dadurch beruhigen würden. «Ich bleibe nur eine Nacht hier.»
«Ich auch.» Sie nahm meine Hand und strich mit dem Daumen über meine Handfläche. «Also lass uns dafür sorgen, dass es eine denkwürdige Nacht wird.»
«Du gehörst jetzt mir, Hübsche. Vergiss das nie, okay?»
Sie kniete zwischen meinen Beinen, wodurch sie aussah, als würde sie beten: ihre Knie auf dem schmutzigen Fliesenboden, die Augen geschlossen und die Haut in das rote Neonlicht des Werbeschilds der Rainier Brewing Company getaucht, das an der mit Graffiti übersäten Wand hing.
Wie eine Sünderin im flehentlichen Gebet oder eine Priesterin bei der Anbetung brannte sie mit ihrer Zunge Fürbitten in meine Haut.
Zwar war sie es, die kniete, aber ich fühlte mich klein. Unter ihren Händen schrumpfte ich, und meine Beine zitterten, während sie mit ihrem Mund meiner Atmung den Takt vorgab.
Es kam mir vor, als wäre es eine Ewigkeit her, dass ich an der Bar gesessen hatte, jetzt, wo wir in der Toilette mit nur einer einzigen Kabine zusammengedrängt waren. Wir hatten miteinander getanzt, jede einen Kopfhörer im Ohr, und leise die Liedtexte in unsichtbare Mikrofone gesungen. Die Leute hatten uns angestarrt, und es war mir egal gewesen.
Ausnahmsweise war es mir endlich einmal egal gewesen …
Sie öffnete die Augen, und ihr Blick zog mich in seine Tiefen hinab. Meine Hand rutschte ab, als ich versuchte, mich am Waschbecken abzustützen, aber sie hielt mich fest. Sie brachte mich zum Ertrinken, und es war mir egal.
Das war es, was ich wollte, oder nicht?
Deshalb war ich mit dem Fahrrad die Küste hinaufgefahren, wobei mich jeder Kilometer der Einsamkeit näher gebracht hatte, nach der ich mich sehnte. Einsamkeit oder die völlige Auslöschung meines Selbst. Nichts zu fühlen oder viel zu viel, das war mein ewiges Dilemma. Ich versuchte zu verkrampft, locker zu sein.
Ich kannte nicht einmal ihren Namen. War das locker genug? Sorgte das für genügend Abstand, um mich vor einer erneuten Enttäuschung zu bewahren?
Sie streichelte mich mit ihrer flachen Zunge, und mein innerer Monolog verklang zu einem Rauschen. Ich war so nah am Herzstillstand, dass ich die Augen verdrehte.
Sie vergrub ihre Finger in meine Schenkel. «Sieh mich an», forderte sie mit ihrer tiefen, heiseren Stimme. «Ich will diese hübschen Augen sehen.»
Sie war so hinreißend, dass es mir Angst machte. Schlank und muskulös mit rauen Händen, unter denen ich erzitterte, als sie meine Schenkel spreizten. Sie hob mein Bein hoch und legte es sich über die Schulter, sodass ich meine Finger in ihrem langen Haar vergraben musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
«Bitte – o Gott, nicht aufhören!»
Ich zerrte an ihrem Haar, und sie stöhnte auf, packte meine Hüften und murmelte: «Zieh fester. Zeig mir, wie gut sich das anfühlt.»
Ein paar Augenblicke lang dachte ich weder an die Kilometer, die hinter mir lagen, noch an die, die vor mir lagen. Ich dachte nicht an meinen Ex-Verlobten oder an die blasse Stelle, die sein Ring auf meinem Finger hinterlassen hatte. Ich hörte seine Worte nicht mehr, die sich sonst wie ein Echo endlos in meinem Kopf wiederholten: Es ist mir alles zu viel. Es tut mir leid.
Nein, in diesem Moment gehörte ich ganz ihr. Jeder angespannte Muskel, jeder elektrisierte Nerv, jeder Zentimeter zitternde Haut gehörte ihr. Sie nahm mich mit ihrer Zunge, ihren Lippen und ihren Fingern in Besitz.
Ich hätte ihren Namen geschrien, wenn ich ihn gekannt hätte.
Wir standen auf dem Parkplatz vor der Bar und teilten uns einen Joint. Die Nacht war einsam und kühl und die Luft klebrig vom Meersalz. Die Wellen hinter den hoch emporragenden Kiefern konnten wir zwar nicht sehen, aber hören.
«Kommst du oft hierher?» Ich wollte lässig und desinteressiert klingen, aber ich hörte mich viel zu erwartungsvoll an. Zu involviert.
Sie nahm einen tiefen Zug. Sie musste etwa in meinem Alter sein, ungefähr Ende zwanzig, aber ihr Gesicht hatte etwas Ernsthaftes an sich, das sie älter wirken ließ. Ihre ausgeprägten Wangenknochen ließen sie müde und hart wirken.
Sie war ein Buch mit sieben Siegeln, aber ich konnte nicht anders, als den Einband anzustarren, schon jetzt setzten mir die für mich unlesbaren Wörter darin heftig zu.
«Du wirst mich nicht wiedersehen», sagte sie und zwinkerte mir beim Ausatmen zu. So als sagte sie das zu meiner Beruhigung und nicht, als fände sie es schade.
Erst als wir uns verabschiedet hatten und sie davonging, fiel mir auf, dass sie keine einzige der Fragen, die ich ihr gestellt hatte, wirklich beantwortet hatte. Sie war eine namenlose Fremde, die aus dem Nichts gekommen und wieder ins Nirgendwo verschwunden war. Morgen früh würde sie mir schon wie ein Traum erscheinen.
Sie war der erste Mensch, mit dem ich nach Colin zusammen gewesen war, und das bedeutete …
Nichts. Es bedeutete gar nichts.
Es war zwei Uhr früh, ich stand vor meinem Motelzimmer, und mir ging zu viel im Kopf herum, um schlafen zu können. Ich betastete meinen Ringfinger und war kurz alarmiert, als ich statt des Schmucks die nackte Haut fühlte. Es war einen Monat her, dass Colin unsere Hochzeit abgeblasen hatte. Achtundzwanzig Tage, seit er seine Sachen gepackt hatte und gegangen war. Fünfundzwanzig Tage, dass er mir gesagt hatte, er sei «einfach nicht bereit». Zweiundzwanzig Tage, dass ich herausgefunden hatte, dass es jemand anderen gab.
Meine Nase lief wegen der Kälte. Ich rieb mit der behandschuhten Hand darüber und nahm dann noch einen tiefen Zug von meinem Cannabis-Vape. Die Vorstellung, reinzugehen, mich in ein leeres Bett zu legen und die Decke anzustarren, bevor ich einschlafen und zumindest für eine Weile alles vergessen konnte, ließ meinen Brustkorb eng werden. Aber der Gedanke, hier draußen sitzen zu bleiben, bis das Morgengrauen die Wolken in Flammen setzte und die Sonne einen neuen Tag ankündigte, während ich noch an der Vergangenheit festhielt, war genauso unerträglich.
Der Wind fuhr raschelnd durch die trockenen Blätter in den Bäumen. Die Straße war verlassen, nur der Nebel zog als einsamer Wanderer darüber hinweg. Das hell leuchtende ZIMMER FREI-Schild, das im Fenster der Rezeption hing, tauchte die feuchte Luft in einen bläulichen Schimmer.
Ein spitzer Schrei durchschnitt die Nacht, aber es war nur der Ruf eines Rotluchses. Er klang zwar markerschütternd, aber weil ich in meinem Leben schon oft campen gegangen war, hatte ich ihn oft genug gehört. Allerdings wurde meine Paranoia durch das Gras verstärkt. Ich fühlte mich schutzlos und beobachtet. Irgendwo dort draußen zwischen den Bäumen lauerte ein Raubtier, und ich konnte es nicht einmal sehen.
Aber wahrscheinlich konnte es mich sehen.
«Reg dich ab, Salem», flüsterte ich und hoffte, meine eigene Stimme zu hören, würde dafür sorgen, dass ich mich hier draußen weniger einsam fühlte.
Ob es mir unheimlich war oder nicht, ich sollte wirklich ins Bett gehen. Denn morgen früh musste ich eine Fähre erwischen.
Blackridge Island
Am nächsten Tag saß ich um die Mittagszeit auf einer feuchten Holzbank am Heck eines Bootes, und mein Fahrrad lehnte an meinen Knien, während wir über Wellen dahinschaukelten, die genauso grau waren wie der Himmel. Salzige Meerluft peitschte mir ins Gesicht, und der eisige Wind drang gnadenlos durch den Stoff meiner Jacke.
Das Balfour Bed and Breakfast erreichte man nur mit der Fähre, trotzdem stand auf der Website nicht viel zu der Überfahrt. Und jetzt wurde mir auch klar, warum. Reisen per Boot? Nein danke, da hatte ich lieber festen Boden unter den Füßen und zog Flugzeug, Zug oder Bus vor. Oder die Pedale meines Fahrrads.
Bei jeder anrollenden Welle drehte sich mir der Magen um.
Außer mir befand sich nur ein einziger weiterer Passagier an Bord. Eine junge Frau, die einen dünnen grauen Regenmantel über ihrem langen Rock trug und zusammengekauert und zitternd auf der gegenüberliegenden Seite des Decks saß. Sie war für die Wetterverhältnisse nicht warm genug angezogen und sah erbärmlich aus, deshalb zog ich meine Ersatz-Sweatjacke aus meinem Rucksack und näherte mich ihr.
«Hier, nimm das.» Ich bot ihr das Kleidungsstück an, aber sie zuckte zusammen und starrte mit großen, geröteten Augen zu mir hoch. «Ist schon gut. Die brauche ich nicht.»
Sie betrachtete die Kapuzenjacke, nahm sie aber nicht. Dann kauerte sie sich wieder zusammen, schlang die Arme um sich selbst und ignorierte mich. «Vater unser im Himmel», murmelte sie fieberhaft, «geheiligt werde dein Name … dein Wille geschehe … erlöse uns … erlöse uns …»
Mit einem dumpfen Gefühl im Magen ging ich zurück zu meinem Sitzplatz. Die Wellen übertönten die Stimme der jungen Frau, aber gelegentlich trug der Wind ihre Worte zu mir herüber. Sie betete noch immer.
Zum Glück erschienen nach einer Stunde die zerklüfteten schwarzen Klippen von Blackridge Island am Horizont. Ich ging zum Bug, um einen besseren Blick zu haben. Das Gelände war bergig und bedeckt mit dichten, dunklen Waldgebieten. Die Website des B&B versprach Felder voller Wildblumen, atemberaubende, in das Meer abfallende Klippen, Bäche und Wasserfälle.
Aber heute war Blackridge von dünnem Nebel umgeben. Wellen klatschten gegen die aufragenden Gebirgszüge und schufen eine gefährliche Rippströmung an der steinigen Küste. Auf einer schmalen Felszunge im Westen stand ein Leuchtturm, in dem allerdings kein Leuchtfeuer brannte. Er wirkte wie ein schlafender Wächter über den stürmischen Ozean.
Die Fähre wandte sich gen Osten, und die Wellen ließen nach, als wir in eine schmale Bucht einfuhren. Holzhäuser, gestrichen in verschiedenen Blau-, Weiß- und Grautönen, drängten sich entlang der Küste. Um die Stege scharten sich Fischerboote, auf denen unzählige Möwen kauerten. Mit ihren glänzenden Augen beobachteten sie mich, als wir anlegten, und ihre Schreie hallten gespenstisch durch die Bucht.
Als ich mich daranmachte, mein Fahrrad über den Anleger zu schieben, eilte die betende Frau an mir vorbei. Ihr langes Haar war durchnässt und vom Wind zerzaust. Keuchend sprintete sie über den Steg und brach an Land zusammen, wobei sie laut weinte.
Ich sah mich nach der Besatzung um, die sich aber kaum um die Frau oder mich kümmerte und sich auf ihre Arbeit konzentrierte. Ein paar Passanten auf der Straße warfen ihr flüchtige Blicke zu, aber niemand blieb stehen.
Was war nur mit diesen Leuten los? Die Frau hatte offensichtlich einen Zusammenbruch. Obwohl meine Hände zitterten, schob ich mein Fahrrad eilig den Steg hinunter zu ihr.
Aber jemand anderes erreichte sie vor mir.
Eine hübsche blonde Frau stand über sie gebeugt. Ihre Lippen bewegten sich, aber ich hörte nichts von dem Gespräch zwischen den beiden. Die weinende Frau hob den Kopf, die Wangen tränenüberströmt, und die Frau, die über ihr stand, lächelte.
Etwas an ihrem Lächeln sorgte dafür, dass es mich fröstelte.
Die aufgelöste Frau rappelte sich hoch und schleppte sich auf der Straße weiter in Richtung Norden, wobei ihr die andere Frau keine Hilfe anbot. Genau wie ich sah sie zu, wie die Frau einem gewundenen Weg zwischen den Bäumen hindurch folgte und schließlich hinter einer Biegung verschwand.
Als ich den Blick wieder zur Küste richtete, starrte die blonde Frau mich an, und nun war ihr Lächeln verschwunden.
Weil ich mich extrem unwohl fühlte, senkte ich den Kopf und zog mein Handy hervor, um mir die Wegbeschreibung zu meiner Unterkunft anzeigen zu lassen. Ich war pünktlich und hatte noch eine Stunde Zeit, bevor ich einchecken konnte. Außerdem gab es hier keinen Handyempfang, und das war … gut so. Genau das hatte ich mir von diesem Trip erhofft: eine Zwangspause von dem Leben, wie ich es kannte. Um mich wieder mit der Natur zu verbinden.
Und mit mir selbst.
Ich hatte keine Lust darauf, Colins Social-Media-Posts mit Bildern seiner neuen «großen Liebe» zu sehen. Aufnahmen von einer Beziehung, die nicht mit einer Angststörung belastet wurde, und Bilder von einer Frau, die sich für die Idee, wilde Flitterwochen in teuren Klubs in Vegas zu verbringen, begeistern konnte. Von einer spontanen, sorglosen Frau.
Von jemandem, der alles war, nur eben nicht ich.
Ich schob mein Fahrrad über den Fußweg und bewunderte die alten Holzfassaden der Geschäfte, die sich entlang der felsigen Küste aneinanderreihten. Ein Laden, der Werbung für Softdrinks und Eis machte, weckte meine Aufmerksamkeit. Ich konnte mein Rad nirgendwo anschließen, also ließ ich es zögerlich neben der Tür stehen und ging hinein.
Der Laden führte das übliche Sortiment, auffälligerweise mit Ausnahme von Bier, Wein oder Spirituosen. In einem Holzofen in der Ecke brannte ein knisterndes Feuer, und ein paar Katzen lagen zufrieden schlafend drum herum. Ein Schwarzes Brett für die Gemeinde hing an der Wand, bestückt mit Flyern, die Hühner zum Verkauf anboten, dem Fahrplan der Fähre und einem Plakat, das für das anstehende Erntedankfest warb.
Oben auf der Pinnwand war außerdem ein handgeschriebener Bibelvers mit einer Reißzwecke befestigt: Denn der Tod ist der Sünde Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Jesus Christus, unserm Herrn.
Ich bog in den nächsten Gang ab und schrak zusammen, als ich beinahe in die blonde Frau vom Hafen hineinlief.
«Hallo», sagte sie in reizendem Tonfall und ein bisschen übereifrig. «Sind Sie gerade erst mit der Fähre angekommen?»
Ich nickte. «Ja, bin gerade angekommen. Um genau zu sein, bin ich auf dem Weg zu dem Bed and Breakfast …»
«Balfour Manor», unterbrach sie mich. «Das ist ein ziemlicher Fußweg. Nicht viele Leute kommen so spät im Jahr her, abgesehen von Jägern. Ich bin Ruth Miller. Kann ich Ihnen dabei behilflich sein zu finden, was Sie suchen, Miss …?»
«Salem. Salem Lockard.» Ich streckte ihr meine Hand hin.
Sie schüttelte sie freundlich, verzog aber das Gesicht ein wenig, als sie mich berührte. «Salem … wie dort, wo sie die Hexen verbrannt haben?», hakte sie mit einem breiten Lächeln nach.
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, also lachte ich verlegen. «Genau genommen wurde in Salem keine der als Hexen Angeklagten verbrannt.» Ihre Augenbrauen zuckten in die Höhe, sodass sie unter ihrem Pony verschwanden, und ich bereute, dass ich mir die Mühe gemacht hatte, sie zu verbessern. Eilig wechselte ich das Thema. «Die Frau, die vorhin geweint hat, war mit mir auf der Fähre. Geht’s ihr gut?»
Ruth lachte leise. «Natürlich. Sie hat sich bloß gefreut, wieder nach Hause zu kommen.»
«Freuen» wäre sicher nicht das Wort, das ich benutzt hätte.
«Sie ist eine Freundin von mir», erklärte Ruth, obwohl ich nicht danach gefragt hatte.
Mein Bedürfnis, diesem Gespräch zu entkommen, wuchs sekündlich.
«Wir sind zusammen aufgewachsen. Sie hat sich dazu hinreißen lassen zu denken, dass das Gras da draußen grüner wäre als hier.» Sie starrte an mir vorbei, zur Tür und dem wogenden Meer dahinter. «Aber Gott hat sie wieder nach Hause gerufen, wo sie hingehört. Es wird ihr wieder gut gehen. Das war nur eine Lektion, die sie lernen musste. Es ist, wie der Herr uns befohlen hat: Wir sollen uns nicht auf unseren eigenen Verstand verlassen oder uns von unwissenden Gemütern beeinflussen lassen.»
Falls sie gehofft hatte, mich auf diese Weise zu beruhigen, hatte das nicht funktioniert. Ich kämpfte gegen den Drang an, zur Tür zu eilen.
«Tja, es … freut mich … das zu hören», presste ich hervor. «Ähm, Entschuldigung, aber führen Sie die Marke American Spirits?»
Jeder Anflug eines Lächelns wich aus ihrem Gesicht. «Nein. Wir führen keine Zigaretten.» Ihre Stimme war eiskalt, und sie klang so angewidert, als hätte ich gefragt, ob ich auf den Boden pissen könnte.
«Gibt es hier sonst irgendwo …»
«Nein. Noch etwas?»
Sie hatte die Arme verschränkt und ihre schmalen Lippen geschürzt. Dieses Gespräch mit ihr führte nirgendwohin, und ganz offensichtlich hatte sie nicht das, was ich brauchte.
«Nein. Ich … nein. Vielen Dank.»
«Alles Gute!», sagte sie und lächelte wieder fröhlich, als ich zur Tür hinausging. Ich rauchte viel öfter Gras als Zigaretten, aber ich hatte trotzdem immer gern ein Päckchen für den Fall der Fälle dabei. Vor allem in letzter Zeit hatte ich immer öfter zu den Kippen gegriffen.
Wie es schien, war das der perfekte Zeitpunkt, um damit aufzuhören.
Auf die Bucht folgte bald der Wald, als ich auf dem Rad gen Westen fuhr. Die Straße war zerfurcht, voller Pfützen, aus denen Schlamm meine Hosenbeine hochspritzte, aber das war mir egal. Die Luft war kühl und frisch, und meine Lunge füllte sich mit dem Duft nach Kiefern und mit Meeresgischt. Vögel zwitscherten in den knorrigen Ästen über mir, und Elche grasten zwischen den Brombeersträuchern entlang der Straße. Ab und zu fuhr ich an einem Spaziergänger vorbei oder hielt an, um ein altes Fahrzeug vorbeizulassen. Ziegen und Schafe blökten auf den Feldern, und von den Veranden der Bauernhäuser bellten mich Hunde an.
Als die Straße sich gabelte, nahm ich den schmalen Pfad in Richtung Westen, folgte der Richtung, die ein pfeilförmiges Holzschild, auf dem lediglich Balfour B&B stand, wies.
Mein Mountainbike war perfekt für unwegsames Gelände ausgestattet, und mein Herz raste vor Aufregung, als ich den steilen Pfad hinauffuhr. Je höher ich gelangte, desto kälter wurde der Wind und desto lauter wurde das Tosen der Wellen, die an die Klippen brandeten.
Rayne Balfour. So hieß die Frau, bei der ich einchecken sollte, die Eigentümerin des Hauses. Sie war beim Kontakt per E-Mail kurz angebunden gewesen, aber die Beschreibungen des Hauses auf ihrer Website hatten mehr als genügt, um mich zu überzeugen.
Ein vollständig renoviertes Herrenhaus aus den 1920ern mit einer schönen Parkanlage und Mahlzeiten, die vom Chefkoch kreiert wurden. Die nächsten paar Wochen würde ich damit verbringen, tagsüber im Wald Rad zu fahren und es mir abends mit einem Grog und einem guten Buch am Feuer gemütlich zu machen. Zwei Wochen Entspannung, um mein Hirn zu resetten und zurück ins Leben zu finden.
Ich zog an den Bremsen und kam schlitternd vor zwei blassen Steinsäulen zum Stehen, die ein schwarzes Tor mit einem eisernen Torbogen einrahmten, auf dem Deus Videt Omnia zu lesen war. Die Auffahrt dahinter war kurz, und eine gewundene Treppe führte den terrassenartig angelegten Hang hinauf. Das Herrenhaus selbst war hinter Kiefern versteckt, nur die spitzen Türmchen ragten hinter den wogenden Baumkronen hervor.
Beklemmung umfing mich plötzlich, als ich durch das Tor fuhr. Meine Reifen knirschten auf dem Kies, dann stand ich schließlich am Fuße der langen, schmalen Treppe, die zum Haus hinaufführte. Mit einem Seufzen lehnte ich mein Rad gegen die Mauer, zurrte meinen Rucksack fester und machte mich wie ein leidgeprüfter Packesel daran, den Hügel zu erklimmen.
Die Stufen waren moosbewachsen und rutschig, mit Einkerbungen in der Mitte – Spuren der Schritte, die sie über die Jahrzehnte geformt hatten. In dem terrassenförmig angelegten Garten wimmelte es von duftenden Blumen und wuchernden Farnen. Massive, alte Kiefern wuchsen am Hang, und ihre knorrigen Wurzeln zeichneten sich in gewundenen Bahnen unter der Erde ab.
Als ich den Hügel erklommen hatte und hinter den Bäumen herauskam, zeigte sich Balfour House in seiner ganzen einschüchternden Pracht.
Es war groß und düster mit einer Fassade aus grauem Stein, der mit Efeu bedeckt war. Ich legte den Kopf in den Nacken und starrte an dem Haus hoch. Das Dach fiel steil ab, gekrönt von Schornsteinen, aus denen weiße Rauchschwaden stiegen, und verschnörkelten Turmspitzen voller Vogelnester. In den Stein rund um den Eingang waren Cherubim und Wasserspeier gemeißelt, genau wie am Springbrunnen in der Mitte des Hofs. Schmale Fenster, die zwischen den Efeuranken hindurchblitzten, säumten die Fassade und wirkten wie Augen, die mich beobachteten.
Langsam schlenderte ich über den Hof und blieb auf halbem Weg stehen, um in das tiefe, trübe Becken des Brunnens zu sehen. Das Wasser stand, weshalb Pflanzen und Algen es erobert hatten.
Ich war so abgelenkt, dass ich beinahe vor Schreck aufgeschrien hätte, als ich den Springbrunnen umrundet hatte und plötzlich einem Wolf gegenüberstand, der mich mit blassen blauen Augen anstarrte.
«Mein Gott, ähm, hallo … hi …»
Ich erstarrte, als das große schwarze Vieh mit seiner nassen Schnauze an mir schnüffelte. Okay, vielleicht war es kein Wolf. Sondern ein riesiges, flauschiges Exemplar irgendeiner Hütehunderasse. Er hatte ein breites Lederhalsband um. Ich ließ mich ein Weilchen beschnüffeln, damit er herausfinden konnte, ob ihm mein Geruch gefiel, dann griff ich nach seiner Hundemarke.
«Loki», las ich den darauf eingravierten Namen. «Bist du mein Empfangskomitee?» Er wirkte freundlich, aber nicht übermäßig begeistert, also setzte ich meinen Wer ist ein guter Junge?-Tonfall auf und fragte: «Du bist aber ein großer hübscher Junge, oder? Stimmt’s?»
Daraufhin wedelte er mit dem Schwanz. Er ließ zu, dass ich durch das flauschige Fell an seinen Schultern wuschelte, dann trottete er zur Eingangstür, und ich folgte ihm.
Am Eingang hing eine Kupferplakette an der Hauswand, auf der etwas eingraviert war.
Der Bau von Balfour Manor wurde 1919 begonnen, nachdem Henry M. Balfour aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war. Ursprünglich als Familiensitz der Balfours gedacht, ist es heute ein Bed and Breakfast, das Gäste aus der ganzen Welt beherbergt.
Die Tür war aus massivem alten Holz gefertigt, wahrscheinlich stammte sie aus dem Baujahr des Anwesens. Sie knarrte lautstark, als ich sie aufdrückte. Der Hund schüttelte sich, dann trottete er vorweg.
Ich streifte meine schlammigen Stiefel auf der Fußmatte ab und trat ein. Im Foyer war es warm, und es roch leicht nach Holzrauch und Muskatnuss. Der Schein des Kronleuchters spiegelte sich auf dem gewachsten Holzboden, und Gemälde und alte Porträts hingen an den tapezierten Wänden. Zu meiner Rechten befand sich ein Treppenaufgang, dessen Wände mit noch mehr Kunst und Fotografien behangen waren, und geradeaus öffnete sich ein Korridor.
Die Rezeption befand sich zu meiner Linken. Hinter einem großen Holztisch hingen ein Dutzend alte Hauptschlüssel unter einer Reihe vergilbter Fotografien an der Wand. Einige technische Geräte erweckten meine Aufmerksamkeit: eine Art Funkgerät mit einem Handmikrofon und ein alter Computer, der aussah, als stammte er noch aus den Neunzigern.
Niemand war hier. Zumindest nicht, bis eine Tür hinter dem Tresen aufgeworfen wurde – von einem schwankenden Turm aus Pappschachteln. Ich wich zurück, als die Schachteln mir entgegentaumelten, dann wurden sie von der großen, muskulösen Brünetten, die sie trug, abgestellt. Ihre Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden, und sie hatte mir den Rücken zugewandt, während sie einen der Kartons aufriss und darin herumwühlte, wobei sie laut irgendwelche Gewichte und Zahlen murmelte.
Verlegen räusperte ich mich.
Ich hatte noch nie erlebt, dass jemand so schnell herumgewirbelt war. In einem Augenblick wühlte sie noch im Karton, im nächsten sah sie mich an, stieß dabei eine Reihe Flüche aus und hielt eine Kartoffel in die Höhe, als wollte sie sie nach mir werfen.
Einen Moment lang starrte ich sie überwältigt und fassungslos an. Nicht weil sie eine Kartoffel in der Hand hielt, sondern weil ich sie kannte.
Sie war die Fremde aus der Bar.
Die namenlose Frau, die mir mit ihrer Zunge die Seele aus dem Leib gerissen und sie im Ganzen verspeist hatte.
Unwanted Guest
«Oh, hi!»
O nein.
Es bestand kein Zweifel daran, dass sie es war. Sie hatte große, goldbraune Augen in der satten Farbe von Blütenhonig. Kurzes kastanienbraunes Haar, das vom Wind zerzaust war. Außerdem blasse Haut, Sonnenbrand auf den Wangen und Sommersprossen auf der Nase. Ihre Lippen hatten die Farbe eines Pfirsichs, der gerade den ersten rötlichen Schimmer angenommen hatte. Sie lächelte mich an, als wäre sie kurz davor, im Boden zu versinken, und als täte ihr diese Situation, in der wir uns befanden, leid. So als wäre die leuchtende Schamesröte, die in ihre Wangen stieg, ihr persönlicher Fehler.
Sie konnte ja nicht wissen, dass diese Reaktion es nur noch schlimmer machte. Ihre geweiteten Augen ließen mich sofort gedanklich zurück in die gestrige Nacht reisen.
Als ich im Schein des Neonlichts zu ihr hochgestarrt und dabei zugesehen hatte, wie sie sich unter den Liebkosungen meiner Zunge aufgelöst hatte. Als ich zugehört hatte, wie sie gewimmert und gestöhnt hatte – ein Lied, das nur für meine Ohren bestimmt gewesen war.
Es war mir vorgekommen wie ein Fiebertraum. Oder ein Albtraum.
Träume gehörten in die Nacht, in den dunklen Raum jenseits der Realität. Sie sollten nicht am helllichten Tag hier hereinschneien, dabei erröten und einen anlächeln.
«Ich möchte einchecken», sagte sie, und ihr Lächeln wich einem besorgten Ausdruck. Eilig warf ich die Kartoffel beiseite und zog meine Kopfhörer heraus. «Ich habe auf den Namen Lockard reserviert. Salem Lockard.»
«Salem», wiederholte ich. Ihr Name prickelte auf meiner Zunge wie eine Süßigkeit, und ihr Gesicht hellte sich auf.
Wow.
Da war es wieder: dasselbe seltsame Gefühl, das mich überkommen hatte, als ich sie gestern Abend an der Bar gesehen habe. Das Gefühl, sie zu kennen. Und obendrein noch diese unerklärliche Anziehung.
Statisches Rauschen drang lautstark aus dem Funkgerät und ließ uns beide zusammenzucken. Eine junge Stimme ertönte knisternd aus dem Lautsprecher: «Fischadler an Drachen! Bitte kommen, Drache!»
Ich murmelte an Salem gewandt ein entschuldigendes «Moment bitte», ließ mich auf meinen Stuhl hinter dem Tresen fallen und nahm das Mikrofon zur Hand. «Rebecca, ich bin gerade ein bisschen beschäftigt. Alles in Ordnung?»
Sosehr ich mich auch bemühte, meinen ungebetenen Gast nicht anzusehen, mein Blick wurde unwillkürlich von ihr angezogen. Sie trug hautenge Radlerhosen über dicken Leggings, beides in Erdtönen gehalten und mit Mustern, die nicht zusammenpassten. Es war faszinierend, ablenkend, verwirrend …
Mist, sie anzusehen löste einen ganzen Wirbelsturm an Gefühlen in mir aus, auf die ich nicht vorbereitet war.
«Neeein, nicht Rebecca!», antwortete die junge Stimme. «Mein Codename ist Fischadler, schon vergessen?»
Seufzend schenkte ich Salem mein schönstes Kunden-Lächeln. «Ich bin in, äh, einem Moment für dich da.» Dann sprach ich wieder in das Mikrofon. «Fischadler, dieses Funkgerät ist nur für Notfälle gedacht. Gibt es einen Notfall?»
Es folgte eine lange, schuldbewusste Pause, dann antwortete sie: «Nein. Aber mir ist langweilig!»
«Das Funkgerät ist kein Spielzeug, Fischadler. Geh und spiel mit deiner Schwester, okay? Ich sehe später nach euch. Ende.»
Ich stellte die Lautstärke leiser ein, hielt inne und atmete tief durch, bevor ich mich umdrehte. Salem strahlte mich an und wippte auf den Zehen vor und zurück. Ihre zierlichen Ohrringe in Pilzform schwangen dabei mit. Loki hatte bereits einen Narren an ihr gefressen, der große Clown stand neben ihr und drückte seine nasse Schnauze in ihre Handfläche.
Die Atmosphäre im Raum war mehr als nur angespannt, und wenn ich die Angelegenheit nicht bald angehen würde, würde sie mich zerquetschen.
Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich ihren Namen auf der Buchungsliste entdeckte. Salem Lockard. Meine Lippen formten stumm den Namen, bevor ich wagte, ihn laut auszusprechen.
«Miss Lockard?», fragte ich zur Bestätigung.
Sie nickte eifrig. Fluchend wartete ich darauf, dass mein uraltes Buchungsprogramm lud, und widerstand mühevoll dem Drang, seitlich auf den Computer zu hauen. Er war schon immer langsam gewesen, aber als ich dort stand und ihn anstarrte, hätte ich schwören können, dass es eine Million Jahre dauerte.
«Das ist so ein bizarrer Zufall. Ich meine, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?»
O Gott, sie redete weiter. Ihre Stimme zitterte, und sie sprach die Worte eilig aus, während sie an den Ärmeln ihrer Jacke herumzupfte. Der Saum war bereits etwas ausgefranst, so als würde sie das öfter machen.
Auf so etwas war ich nicht vorbereitet. Deshalb begab ich mich, wenn ich jemanden abschleppen wollte, aufs Festland – damit ich meine Eroberungen nie wiedersah. Damit sie nicht auf meiner Türschwelle auftauchten und über Nacht bleiben wollten.
Ich lächelte sie an. Zumindest glaubte ich das. Mein Gesichtsausdruck fühlte sich zumindest ansatzweise freundlich an. «Willkommen auf Blackridge, Salem.»
Ihre Züge veränderten sich. Wurden weicher. Als hätte ihre Nervosität ein wenig nachgelassen. Plötzlich fühlte ich mich, als wäre ich wieder in der Grundschule und hätte gerade einen goldenen Sternchenaufkleber bekommen.
Ich runzelte die Stirn, um das sonderbare Gefühl zu unterdrücken, und breitete mehrere Prospekte vor ihr auf dem Tresen aus. «Das ist eine Karte der Insel, und auf dieser Karte hier sind die Wanderwege verzeichnet. Nur der Rundweg um den Leuchtturm ist gerade geschlossen. Die Saison ist im Grunde schon rum, sodass es zu spät ist, um auf die Halbinsel rauszufahren.»
Sie nahm die Karten und stopfte sie in ihre Jacke, wobei sie zerknitterten. «Stimmt es, dass die Insel im Winter nicht für Besucher geöffnet ist?»
«Nicht direkt. Die Fähre stellt den Betrieb ein. Und das ist schon ab Herbst der Fall, nicht erst im Winter. Du bleibst zwei Wochen hier, also …»
Ich runzelte die Stirn. Warum zur Hölle hatte ich ihre Buchung für diesen Zeitraum angenommen? Das war ja mal mehr als knapp.
«Deine Fähre wird die letzte sein, die die Insel verlässt», fuhr ich fort, «pass auf, dass du sie nicht verpasst.»
«Ich schätze, ich habe hier eine ziemlich coole Unterkunft für den Fall, dass ich sie verpasse, oder?» Sie lachte.
Es war ansteckend; diese Art von Lachen, die auf mich eine fast berauschende Wirkung hatte. Aber es war zu laut. Es hallte von den Wänden wider, und ich zuckte zusammen, weil ich halb damit rechnete, dass ein Schrei als Erwiderung zurückkommen würde.
Reiß dich zusammen, Rayne.
«Niemand bleibt länger als bis zum ersten November», erwiderte ich. «Und das will auch niemand, dem sein Leben lieb ist. Das Wetter ist rau. Inklusive Regen, Graupel und Schnee. Die Wellen werden so hoch, dass sie jedes Boot, das ihnen zu nahe kommt, gegen den Felsen schleudern. Und der Wind ist stark genug, um einen Hubschrauber zum Abstürzen zu bringen. Es gibt auch keine Möglichkeit für Flugzeuge, hier zu landen. Also verpass deine Fähre nicht.»
Ihr Kehlkopf trat hervor, als sie sichtlich schluckte. «Verstanden.»
Ich nahm ihren Schlüssel von einem der Haken hinter mir und umrundete den Tresen. «Zimmer Nummer sechs ist deines.»
Erwartungsvoll streckte ich ihr meine freie Hand entgegen. Ohne zu zögern, griff sie zu und schüttelte sie.
«Dein Rucksack», sagte ich, und sie erstarrte sichtlich vor Verlegenheit. «Möchtest du, dass ich ihn raufbringe?»
«Oh, äh – stimmt, klar, danke.» Sie zog den Kopf ein und reichte ihn mir eilig herüber.
Die Wärme ihrer Hand griff auf meine über. Während ich ihren Rucksack die Treppe hochtrug, ließ ich meine Finger am Schulterriemen spielen, um sie zu lockern.
«Der Speisesaal liegt hinter der Rezeption, den Flur runter, auf der linken Seite. Ein großer Raum, du kannst ihn nicht verfehlen», sagte ich und spulte meine übliche «neuer Gast»-Einweisung ab. «Frühstück gibt es von sechs bis neun, Abendessen von achtzehn bis einundzwanzig Uhr. Eine Küchenzeile mit Mikrowelle steht rund um die Uhr zur Verfügung. Falls dir danach ist, nach Marihope zu laufen oder zu fahren: Dort gibt’s ein Restaurant, ein paar Cafés und einen Markt.»
Am oberen Ende der Treppe angekommen, drehte ich mich um. Sie stand immer noch unten auf dem Treppenabsatz und starrte ein wuchtiges Porträt eines dunkelhaarigen Pastors an.
«Henry Balfour», erklärte ich. «Mein Großvater. Er hat dieses Haus erbaut.»
«Er war Pastor?», fragte sie und beeilte sich, zu mir aufzuschließen.
«Erst Soldat. Dann Pastor. Geistliche liegen bei uns in der Familie. Mein Vater war auch Pastor.»
Wenn Heiligkeit doch nur so schnell weitervererbt werden würde wie Raffgier.
«Kann ich mein Fahrrad irgendwo unterstellen?», fragte sie. «Ich habe es in der Auffahrt unten am Hügel stehen gelassen.»
«Ich bringe es für dich in den Schuppen. Planst du, Rad zu fahren, während du hier bist?»
«Ja! Mountainbiken ist genau meins.»
Sie hatte in der Bar erwähnt, dass sie die letzten Tage damit verbracht hatte, von San Francisco die Küste entlang hier raufzufahren. Während ich mich noch nie weiter von zu Hause entfernt hatte als bis zur Washington Coast. Wie bei so vielen, die hier aufgewachsen waren, war Blackridge ein Teil von mir, dem ich nicht entkommen konnte. Als hätten sich die Wurzeln dieser Bäume mit mir verflochten, und sosehr ich auch versuchte, mich zu befreien, diese Fesseln würden sich zwar lockern, aber niemals reißen.
Sie würden mich immer wieder hierher zurückziehen.
«Die Wege hier sind für Fortgeschrittene. Sie sind ziemlich gefährlich, also …»
Meine Warnung sorgte nur dafür, dass ihr Lächeln breiter wurde. Sie war eindeutig in der Lage, auf sich selbst aufzupassen, obwohl sie auf den ersten Blick quirlig und nervös wirkte. Ihr Rucksack war so schwer, dass meine Schulter schmerzte, als ich sie durch den Flur im Obergeschoss führte.
«Bestimmt ist dir schon aufgefallen, dass es keinen Handyempfang gibt. Ich würde dir also raten, immer ein Satelliten-Navi dabeizuhaben. Man kann sich im Wald leicht verlaufen. Falls du keins hast, habe ich ein Ersatzgerät, das du ausleihen kannst.»
Ich blieb vor ihrer Tür stehen, an der eine Kupferplakette mit der Zimmernummer sechs hing. Der alte Schlüssel klickte laut im Schloss, als ich ihn herumdrehte und die Tür öffnete. Nummer sechs war ein Eckzimmer, und ich bemerkte zufrieden, dass sie staunend die Luft einsog und die Aussicht auf sich wirken ließ.
Jenseits des aufgewühlten Meeres ragte der Leuchtturm von Blackridge stolz auf der bewaldeten Halbinsel auf. Nebel umwaberte seine weißen Mauern, während die Wellen gegen die schwarzen Klippen krachten, auf denen er stand.
«Seit den Achtzigern ist er außer Betrieb», sagte ich, als sie zum Fenster eilte, um hinauszusehen. «Also keine Sorge, es gibt kein Licht, das dich nachts wach halten wird.» Ich hockte mich vor den Kamin, stapelte ein paar Holzscheite darin auf und entzündete ein Feuer. «Für deine ersten Tage hier sollte genügend Feuerholz vorhanden sein, aber falls du mehr brauchst, sag einfach Bescheid. Das Haus hat einen Heizkessel, aber besonders nachts wird es kalt.»
Als das Feuer knisternd brannte und die Wärme sich allmählich im Zimmer ausbreitete, stellte ich fest, dass sie sich auf das Bett gesetzt hatte und mich beobachtete. Ihre Beine waren so kurz, dass sie den Boden nicht berührten.
Sie lehnte sich zurück und stützte sich auf ihre Hände, dann sagte sie: «Danke dafür. Es ist schon eine Weile her, dass ich selbst Feuer gemacht habe.»
«Kein Problem.» Meine Stimme überschlug sich.
Ganz wunderbar. Warum zur Hölle stand ich hier herum, als hätte ich nichts Besseres zu tun? Worauf wartete ich? Dass sie sich die Kleider vom Leib riss und mich in ihr Bett einlud? Gott, nein, diese Gedanken halfen nicht, diese Vorstellung war eine ganz schlechte Idee.
«Denk daran, dass das Haus alt ist», sagte ich zögerlich. Sie betrachtete mich aufmerksam, hing geradezu an meinen Lippen, und ich wusste nicht, ob ich geschmeichelt oder verängstigt sein sollte. «Es macht manchmal komische Geräusche. Poltern, Ächzen, Knarren. Weil wir von Wald umgeben sind, wirst du ein paar seltsame Dinge hören. Aber es gibt keinen Grund, Angst zu haben.» Ich machte mich auf den Weg zur Tür, drehte mich aber beinahe augenblicklich wieder um. «Wenn du sonst noch was brauchst, ruf einfach mit dem Festnetztelefon neben dem Bett bei der Rezeption an.»
Okay, Zeit zu gehen.
«Und falls ich nicht an der Rezeption bin, kannst du es bei meinem Zimmer versuchen», fügte ich dann noch hinzu und blieb noch einmal stehen. «Im zweiten Stock. Die vorletzte Tür links.»
Ich verriet Gästen nie, welches mein Zimmer war. Das ging sie nichts an.
Selbst, als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, ging ich nicht. Ich stand dort und lauschte, während ich mir selbst einredete, dass ich nichts dergleichen tun würde. Und zwar viel zu lange.
Es rumpelte in den Leitungen, als das Wasser zu fließen begann. Sie ließ sich ein Bad ein. Ein Teil von mir wollte dabei zuhören, wie ihre Kleidung mit leisem Rascheln zu Boden fiel. Wie ihre Füße mit sachtem Plätschern das Wasser berührten. Aber auf die Gefahr hin, mich wie eine gestörte Einsiedlerin zu verhalten, eilte ich auf leisen Sohlen davon, aus Angst, sie könnte hören, wie ich davonlief.
Sie würde nur für zwei Wochen hierbleiben. Ich sollte es hinbekommen, mich zwei Wochen lang normal zu verhalten, oder nicht?
Ihr Duft verfolgte mich. Nach Jasmin und Zitrone. Selbst nachdem ich meine Kleidung abgestreift und sie wütend in den Wäschekorb gestopft hatte, nahm ich noch wahr, wie ihr Parfüm mich umgab.
Nur mit Unterwäsche bekleidet, saß ich auf der Fensterbank vor meinem geöffneten Fenster und drehte mir einen Joint. Gänsehaut breitete sich prickelnd auf meinen Armen aus. Die Nachtluft war beißend kalt auf meiner bloßen Haut, aber dafür würde es sich umso besser anfühlen, ins warme Bett zu krabbeln. Vergnügen war ohne Schmerz nur halb so schön.
Das Lied der Grillen mischte sich in das ferne Donnern der Wellen. Als ich ein Kind gewesen war, hatte ich manchmal so getan, als stammte das Rauschen der Wellen in Wirklichkeit von einem Tiger, der in der Ferne brüllte. Diese Illusion hatte mir geholfen, mich abzulenken; ein Feind, der weit weg war, war weniger beängstigend als diejenigen, die sich unter meinem Dach befanden.
Ich hielt den Joint an meine Lippen und entzündete ihn. Die dünne Rauchfahne wehte zum Fenster hinaus und verlor sich im Nachthimmel.
Ob Salem gerade auch aus ihrem Fenster sah? Ob sie das Mondlicht und den kalten Blick der Sterne zu schätzen wusste? Starrte sie zu ihnen hoch und fühlte sich klein, inspiriert, eingeschüchtert? Fragte sie sich, ob das alles den Versuch überhaupt wert war, wo diese Welt so riesig war und der Mensch so wenig wusste?
Ich steckte mir die Kopfhörer in die Ohren, öffnete meine Lieblingsplaylist auf meinem Handy und ließ zu, dass Fleetwood Mac meinen Kopf füllte. Ein paar Augenblicke lang war meine Welt in Ordnung.
Dann sah ich eine Bewegung in dem Glas gespiegelt, die Tür zu meinem Schlafzimmer schwang auf.
Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich drehte mich nicht um. Der Flur draußen lag im Dunkeln, das konnte ich in der Spiegelung sehen, da war nur ein schwarzes Nichts.
Langsam zog ich meine Kopfhörer wieder heraus. Gespenstische Stille, die viel lauter war als die Musik, schlug mir entgegen.
Eine Diele knarrte. Dann noch eine. Mein Mund war so trocken, dass ich kaum schlucken konnte. Ich stand auf und drehte mich zur offenen Tür um.
Das Knarren kam beständig näher. Ich starrte in die Leere, bis ich das Gefühl hatte, etwas im Dunkeln zu sehen. Ich hätte schwören können, dass dort jemand war. Schroffe Atemzüge drangen aus der Leere, es klang, als würde jedes Keuchen pfeifend durch verweste Lungenflügel gepresst.
Gebete kamen mir in den Sinn und lagen schon auf meiner Zunge, doch ich sprach sie nicht aus.
«Na los», fauchte ich. Ich zog noch einmal an meinem Joint und zwang mich, stark zu bleiben. «Komm her. Komm.»
Jeder Schritt in Richtung der Tür schmerzte, und mein Herz drohte meine Rippenbögen zu zerbersten. Ein vertrauter Geruch schlug mir entgegen – stechender Moder und fauliges Blut. Ich griff nach dem Türknauf, der sich eiskalt anfühlte, zog die Tür zu und schloss ab.
Ein paar Sekunden lang, in denen ich fast zu ersticken glaubte, lauschte ich auf die keuchenden Atemzüge auf der anderen Seite. Das Geräusch setzte sich beharrlich fort, wollte nicht enden, erinnerte an den Klang von Nägeln, die über eine Kreidetafel kratzten. Meine Anspannung ließ erst nach, als ich wieder meine Kopfhörer einsetzte.
Erst dann stieß ich die Luft aus. Aber ich starrte noch immer zur Tür, während ich in mein Bett krabbelte und die Decke um meine zitternden Glieder schlang. Als von meinem Joint nur noch ein Stummel übrig war, fühlte ich mich allmählich ein bisschen besser.
Ich durfte mich nicht von Salem ablenken lassen, vor allem nicht jetzt. Die Nächte wurden länger und kälter. Der Sheriff hielt mich für verrückt, aber ich wusste, dass es schon jetzt nicht mehr sicher war, nach Einbruch der Dunkelheit draußen zu sein, egal, wie früh in der Saison es war.
Falls der Engel jetzt noch nicht erwacht war, würde das bald geschehen.
Dann würde die Jagdsaison beginnen, und ob ich Jäger oder Gejagte war, würde ich erst herausfinden, wenn es schon zu spät wäre.
Bear Season
Die nächsten zwei Wochen würde ich unter einem Dach mit einer Frau leben, die mich auf der Toilette einer Bar oral zum Orgasmus gebracht hatte. Eine Frau, die meine Seele so gründlich verdorben hatte, dass der Gedanke an das, was wir miteinander geteilt hatten, noch zwei Tage später dafür sorgte, dass meine Knie weich wurden.
«Rayne», flüsterte ich ihren Namen, als ich an diesem Morgen im Bett lag. Ich wollte austesten, wie sich die Silben anfühlten, wenn ich sie zärtlich murmelte wie eine Liebende – oder sie stöhnte.
Gott, das war schlimm. In peinlichen Situationen war ich völlig unfähig. Sobald ich ihr Gesicht sah, war ich so durcheinander, dass meine kommunikativen Filter versagten und ich anfing, Unsinn zu plappern. Angesichts ihrer stoischen Art war es durchaus wahrscheinlich, dass sie mich zu laut und zu nervig fand. Was vollkommen verständlich war. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich jemanden mit meiner fehlenden Sozialkompetenz in die Flucht schlug.
Es hatte nichts zu bedeuten. Sex war nur Sex, und ich war so erzogen worden, dass ich mich für meine Schlampen-mit-Moral-Aktivitäten nicht schämte.
Dennoch verspürte ich ein aufgeregtes Kribbeln in meinem Magen, als ich mich auf den Weg zum Speisesaal machte. Würde Rayne zusammen mit den Gästen essen? Ich wollte sie wiedersehen, aber ich hatte keine Ahnung, was ich zu ihr sagen sollte. Ich verspürte dieses schwindelerregende, prickelnde Gefühl der Verliebtheit – eine Empfindung, zu der ich mich nicht mehr imstande geglaubt hatte.
Aber dennoch bedeutete es nichts.
Der Speisesaal war weiträumig. An der Decke verliefen kreuzförmige Holzbalken, und ein riesiger Kronleuchter hing über den Tischen, von denen ein Dutzend im Raum verteilt standen. Die bodentiefen Fenster boten einen Blick auf einen Ziergarten hinter dem Haus, der so überwuchert war, dass man das Gefühl hatte, im Dschungel zu sein.
Einige der anderen Gäste saßen bereits auf ihren Plätzen. Der herzhafte Duft nach Rührei und Speck hing in der Luft, und mein Magen knurrte vor Hunger. Als die Verbindungstür zur Küche aufschwang, schaffte ich es, einen Blick hineinzuwerfen. Die Angestellten drängten sich um einen dampfenden Ofen und zogen frisches Brot heraus. Ein großer, glatzköpfiger Mann, der sich mit ausgeprägtem französischen Akzent als Albert vorstellte, kam zu mir, um meine Bestellung für das Frühstück aufzunehmen. Er war gnädigerweise sehr geduldig, als ich vor Staunen über die Auswahl an Speisen erst einmal keinen Ton herausbekam.
Während ich darauf wartete, dass mein Frühstück zubereitet wurde, nahm ich mir Kaffee und Orangensaft und suchte mir einen kleinen Tisch für eine Person in der Nähe der Fenster.
Der Himmel war wolkenlos und blassblau. Vögel badeten in Pfützen auf dem Rasen und plusterten singend ihr Gefieder auf. Jenseits einer hohen Hecke konnte ich gerade so das spitze Dach eines Gewächshauses erahnen. Eine moosbewachsene Steintreppe führte hinter die Hecken in einen für mich nicht einsehbaren Bereich des Gartens.
«…habe gehört, sie wird seit letzter Woche vermisst, da meint man doch, die Leute würden drüber reden …»
Die geflüsterten Worte lenkten meine Aufmerksamkeit vom Garten ab, und ich sah mich stattdessen im Raum um, während ich meinen Kaffee schlürfte. Irgendjemand aus der Wandergruppe hatte gesprochen, aber jetzt senkten sie ihre Stimmen, und ich konnte nichts mehr verstehen. Um mich herum saßen ein paar Pärchen und Dreier- und Vierergrüppchen; ich war offenbar die einzige Alleinreisende hier.
Am Tisch direkt neben meinem saßen zwei Männer mittleren Alters in weiten Tarnjacken und -hosen. Ihre Teller waren bis auf den letzten Krümel leer gegessen, und sie tranken beide eine Tasse Kaffee. Derjenige, der mir am nächsten saß, polierte etwas, das auf seinem Schoß lag, und ich beugte mich hinüber, um einen besseren Blick darauf zu erhaschen.
Ich wäre beinahe samt meinem Stuhl nach hinten umgekippt, als ich erkannte, dass es ein Gewehr war.
Bei dem Geräusch hoben die Männer den Blick. Der mit dem Gewehr lächelte mir freundlich zu.
«Sieh an, sieh an, ein neuer Gast, was? Guten Morgen!» Er folgte meinem Blick und fügte eilig hinzu: «Oh, keine Sorge, Miss. Is’ bei Tisch nie geladen. Aber ich darf die alte Dame nicht vernachlässigen.» Liebevoll klopfte er auf den Griff des Gewehrs. «Da draußen ist das das Einzige, was mich davor bewahrt, meinem Schöpfer gegenüberzutreten, bevor meine Zeit gekommen ist.»
Der andere Mann schüttelte den Kopf. «Lassen Sie sich von ihm keine Angst einjagen. Ich bin George. Das ist Martin. Gerade erst eingecheckt?»
«Gestern», antwortete ich. Die beiden erinnerten mich an meine Onkel aus Montana, und ich mochte sie auf Anhieb. «Ich nehme an, Sie sind Jäger?»
Martin nickte entschieden. «Ganz genau. Schwarzbären.»