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Hundert kleine Zettel - Erinnerungen, die kleben bleiben ist eine Geschichte voller Gefühl, Traurigkeit und Lachen, ein wenig Mystik und einem Abschied, der dem Blick auf das Leben eine neue Perspektive verleiht. Jan sitzt zu Weihnachten allein in seiner Küche. Vor ihm steht ein Kästchen voller Zettel, auf denen kleine Botschaften und Sinnsprüche stehen. Anhand dieser Zettel erinnert er sich an die zerbrochene Liebe zu Marlene. Aber Marlene hat er sie nur selten genannt. Je nach Stimmung zwischen ihnen rief er sie mal knorzig "Malle" oder säuselte zärtlich "Lenchen". Irgendwann hatte sie genug und wollte eine "ganze Marlene" sein. Das verstand er nicht. So vieles blieb ihm am Mysterium Frau verschlossen. So jagen sich die Missverständnisse, bis nichts mehr bleibt vom romantischen Miteinander. Jan setzt den Schlusspunkt mit einem Zettel am Kühlschrank. Er ist nun allein in seinem halb leer geräumten Haus und fühlt sich einsam in seinem halb leer geräumten Leben. Zu den Texten auf den Zetteln fallen ihm Geschichten und Melodien ein, die lange im Nebel der Erinnerungen verborgen waren, nun aber an die Oberfläche seines Bewusstseins blubbern. Und diese Erinnerungen wandeln sich zu kleinen und größeren Erkenntnissen, die ihn weiter in die Vergangenheit zu seiner wahren, großen Liebe zurückführen ...
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Seitenzahl: 555
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Hundert kleine Zettel – eine Geschichte voller Gefühl, Traurigkeit und Lachen, ein wenig Mystik und mit einem Abschied, der dem Blick auf das Leben eine neue Perspektive verleiht.
Jan sitzt zu Weihnachten allein in seiner Küche. Vor ihm steht ein Kästchen voller Zettel, auf denen kleine Botschaften und Sinnsprüche stehen. Anhand dieser Zettel erinnert er sich an die zerbrochene Liebe zu Marlene.
Aber Marlene hat er sie nur selten genannt. Je nach Stimmung zwischen ihnen rief er sie mal knorzig Malle oder säuselte zärtlich Lenchen. Irgendwann hatte sie genug und wollte eine ganze Marlene sein. Das verstand er nicht. So Vieles blieb ihm am Mysterium Frau verschlossen.
So jagen sich die Missverständnisse, bis nichts mehr bleibt vom romantischen Miteinander. Jan setzt den Schlusspunkt mit einem letzten Zettel am Kühlschrank. Er ist nun allein in seinem halb leer geräumten Haus und fühlt sich einsam in seinem halb leer geräumten Leben.
Zu den Texten auf den Zetteln fallen ihm Geschichten und Melodien ein, die lange im Nebel der Erinnerungen verborgen waren, nun aber an die Oberfläche seines Bewusstseins blubbern. Und diese Erinnerungen wandeln sich zu kleinen und größeren Erkenntnissen, die ihn weiter in die Vergangenheit zu seiner wahren, großen Liebe zurück führen …
Metaré Hauptvogel
Gemeinsam mit ihrem Mann und der Maltipoo-Hündin Flocke liebt und lebt sie in den grünen Hügeln am Rande des Vogelsberges.
Einen Schwerpunkt in ihrem kreativen Tun ist die Malerei – mit Öl, Acryl oder Mondeluz auf Leinwand, Holz oder Stein, stets in Verbindung mit einem Gedicht oder Haiku.
Das Schreiben begleitet ihr Leben und künstlerisches Arbeiten schon fast ihr ganzes Leben lang. Mit 12 Jahren begann sie kleine Gedichte und Geschichten zu schreiben.
Viel später entstand das erste Buch – Kalorien in der Pfeife.
Auch in dieser Geschichte sind die Personen alle frei erfunden, aber auf ihrem Schreibtisch werden sie lebendig, entwickeln ihre Eigenheiten und freuen sich darüber, dass sie ihre Spuren hinterlassen dürfen.
Für Alexander Stams.
Deine musikalische Idee war die Inspiration zum Buch:
Danke. Posthum.
Der Glaube
ist die Währung der Selbsttäuschung
und nicht des Wahnsinns.
Donald „Ducky“ Mallard, NCIS
Die Geschichte entstammt wieder mal
den unendlichen Weiten meines Phantasieuniversums.
Von dort, wo die Grenzen von Traum und Wirklichkeit
miteinander verschmelzen.
Begebenheiten und Personen sind
von A bis Ω erfunden.
Eventuelle Ähnlichkeiten
mit was oder wem auch immer
wären also total zufällig
und in keinster Weise beabsichtigt.
Ausnahmen
Orte
Frankfurt am Main Sachsenhausen, Kalbachtal
Madeira
Angkor Wat
Island
Arizona
Haslital, Schweiz
Personen
Samu Haber, Musiker
2017
Mein Weihnachtsabend
Memories & Lagavulin
2007-2017
Meine Zeit mit Marlene - Hundert kleine Zettel
2007 Blauer Himmel
2008 Weiße Watte-Wölkchen
2009 Wolken + Wind
2010 Sonnenschein + Regengüsse
2011 Dunkle Wolken mit Lichtblick
2012 Regenbogen
2013 Nebelschwaden
2014 Hagelschauer
2015 Schneetreiben
2016 Sturmtief
2017 Reinigende Gewitter
1982-1996
Meine Zeit mit Lilly - Jahre wie Marmor
1982 Aufbruch
1983-1984 Auf allen Ebenen
1985 Vom Winde verweht
1986 Endlos
1987 Rückzug
1988 Elfenreigen
1989-1991 Regenbogen
1992-1993 Herzweh
1994 Begegnung
1995 Frühlingshasel
1996 Müd
2017
Marlene – Mein Weihnachtsabend
Memories & Mondeo
Song 100 kleine Zettel
2019
Aus-Blicke
… Aufbruch in unendliche Weiten …
Willst Du recht haben oder glücklich sein? Beides zusammen geht nicht.
Marshall B. Rosenberg
Hmhmhmhmhmhmm …
… was war das bloß für eine Melodie, die mir da im Kopf rumging?
Da saß ich nun an meinem Tisch in meiner Küche, starrte blicklos durchs regentropfenbeperlte Fenster. Draußen war alles grau und still. Hier drinnen auch. Kein Lachen, kein Rufen, kein trippelndes Laufen die Treppen rauf und runter, kein Klappern mit irgendwelchem Geschirr und auch keine Heilig-Abend-Fahrt mit Svenja nach Thüringen.
Es war Weihnachten, es gab keinen Schnee, und ich war allein.
Ich hatte eine Kerze angezündet, doch statt eines üppigen Festmahles stand vor mir eine kleine Kiste aus Holz, so wie sie früher mein Opa für seine Zigarren hatte. Diese Kiste begleitete mich nun schon viele Jahre. Darin waren ein Haufen Zettel, die diese Kiste schier unbändig füllten. Kleine Zettel, so wie sie für Notizen oder Randbemerkungen oder zum Einkaufen gebraucht werden. Weiße, gelbe, rosa Zettel. Post-its.
Mit Curd Jürgens, der leider schon genauso tot ist wie mein Opa, könnte ich grad ein Duett anstimmen: „60 Jahre und kein bisschen weise …“ Aber wirklich kein einziges Bisschen! Statt Glücklich-Sein hatte ich lieber Recht-Haben gewählt. Angeblich geht ja beides zusammen nicht. Aber ich musste natürlich in mehreren Selbstversuchen prüfen, ob diese Aussage wirklich stimmt.
Tja, was soll ich sagen? Die kurze Genugtuung des Recht-Habens war nun dem langen Nachbrennen der Einsamkeit gewichen.
„In der Einsamkeit liegt Kraft, in der Stille Erholung.“ Dies stand auf einem der Zettel. Von Dir zu mir. Ha, ha, selten so gelacht.
Eine Melodie schwebte fern wie ein Nebelhauch durch meinen Kopf. Der Versuch ihr zu folgen war vergeblich, denn die Töne oder die genaue Sequenz ließen sich nicht fassen. Vor mich hin summend stand ich auf und holte meinen alten, schottischen Freund Lagavulin an den Tisch. Sechzehn lange Jahre gut gelagerter Whisky mit rauchigem Aroma und einem Hauch von Seetang und Meer. Romantik für einsame Männer. Pur.
„Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren.“ Noch so’n doofer Spruch auf noch so’m doofen Zettel! Von mir zu Dir. Egal – bin sowieso in Unehren, kann ich mir also auch zwei Gläschen gönnen. Ha, ha, ha …
… von Dir zu mir – von mir zu Dir … Alexander Stams
Von der Sonne sollten wir eines lernen:
Wenn sie kommt, dann strahlt sie.
Aus Frankreich
Die Stimmung war super. Wir hatten einen Auftritt im Summa Summarum, eine Musikkneipe in einem Gewölbekeller eines jahrhundertealten Hauses in Sachsenhausen. Das Publikum passte altersmäßig zum Haus und zu uns und sang unsere Soulballaden teilweise mit.
Wir, das waren der Gitarrist und Sänger Wolfgang, der Drummer Rolf, der Keyboarder Harald und ich, der Bassist. Manche Gesangparts übernahm auch ich. Wir nannten uns Toffifee – samtig, schmelzend, aber mit hartem Kern. Wir fanden den Namen spaßig und manch einer unserer Fans auch.
Wir spielten gerade love train, als ich sie im Publikum entdeckte. Ihre schulterlangen dunklen Haare schwangen im Takt mit. Ihre Haut bildete einen hellen und schönen Kontrast dazu. Und sie trug eine Brille, ein mit zartem, dunklem Gestell gefasstes Gebilde, das die Konturen ihres Gesichtes noch betonte. Sie sah in meine Richtung, lächelte, wiegte sich im Takt der Musik, und ihre Lippen formten den Text.
Ich bildete mir ein und hoffte, dass sie die ganze Zeit nur mich ansah, spielte meinen Bass und strahlte wie ein Gott ins Publikum, doch meinen Blick ließ ich ausschließlich auf ihr ruhen. Und wenn ich sang, richtete ich meinen Text an die schöne Unbekannte.
Unser Auftritt gefiel den Zuhörern so gut, dass sie lautstark nach Zugaben verlangten, die wir auch zweimal bereitwillig gewährten. Als wir dann endlich bei unserem wohlverdienten Abschlussbierchen am Tresen saßen, geschah es wirklich – sie kam auf mich zu und sprach mich an.
„Danke für einen perfekten Abend“, sagte sie. Und sie sagte es nur zu mir und blickte mir dabei direkt und tief in die Augen. Ein Blick, der tiefer in meinen Körper rutschte, bis hinein in mein vibrierendes Musikerherz.
Meine Bandkollegen grinsten breit, Rolf zwinkerte mir zu und schmunzelte in sein Bier. Und mir schoben sich gerade kleine, rosarote Wölkchen unter die gar nicht mehr müden Füße. „Gern geschehen. Mögen Sie was trinken? Darf ich Sie einladen?“
Sie lächelte nur über meine bereitwillige Eifrigkeit, hob ihr Glas und schwenkte es leicht. Der dunkelrote Inhalt passte perfekt zu den dunkelrot geschminkten Lippen. Ich steh auf dunkelrot geschminkte Lippen. Uuh, ja. Das Gefühl in meinem Herzen rutschte noch tiefer in meinen Körper und verursachte eine wohlige Wärme in meinem Bauch.
Nun entdeckte ich auch ihre Hand, wie sie mit hellen, schlanken Fingern das Glas hielt. Und dunkelrot lackierte Fingernägel. Und unweigerlich rutschte das warme Gefühl aus meinem Bauch noch tiefer und landete siedend heiß – ja, genau da, wo es bei uns Männern eben landet.
Ich schluckte trocken, hob mechanisch mein Bierglas, wir tranken uns zu, und ich schüttete den kühlenden Inhalt in mich hinein, während sie nur an ihrem Wein nippte. Aber nun war ich gewappnet und mutig genug, sie nach ihrem Namen zu fragen.
„Marlene“, gab sie preis, „und wir können gerne ‚Du‘ sagen. Dass Du Jan bist, habe ich bereits dem Programm entnommen.“
Nicht nur wunderschön sondern auch noch zu intelligenter Kombination fähig. Noch zwei weitere Punkte, auf die ich bei Frauen stehe. Das reisefreudige Gefühl in meinem Körper verursachte mir nun gerade weiche Knie, um dann direkt wieder in mein Herz zu fliegen. Da blieb es dann auch voller Wohlbehagen.
Und dann plapperte ich. Ich neige dazu, drauf los zu plappern, wenn ich aufgeregt bin. Und ich war aufgeregt. Sie war ja auch eine aufregende Frau. Ja, ich merke es gerade – ich plappere wohl schon wieder.
Ja, naja, egal … Trotz meines wasserfallartigen Redeschwalles schaffte ich es, dass sie sich für den kommenden Abend zum Essen mit mir verabredete. Wir stellten fest, dass wir beide eine Vorliebe für italienisches Essen hatten, und so fiel unsere Wahl auf das Ristorante D’Angelo. Wir kannten es beide, gingen auch beide gerne dorthin und wunderten uns darüber, dass wir uns noch niemals zuvor dort begegnet waren.
Sie verstand auch gleich, dass jetzt erst mal die Band Vorrang hatte, weil ich mit meinen Bandkollegen die Instrumente in den Transporter bringen musste. Außerdem waren wir gemeinsam gekommen, und gemeinsam mit meinen Jungs wollte ich auch nach Hause fahren.
Wir verabschiedeten uns voneinander mit einem letzten tiefen Blick in die Augen und freuten uns auf den folgenden Abend.
Himmel, war ich aufgeregt! Duschen, Haare in Form föhnen, peinlichst genau und schön glatt rasieren, dezent duftendes Rasierwasser in die Haut klopfen, bereit gelegte Klamotten anziehen, in die frisch geputzten Schuhe schlüpfen, Börse in die Hosentasche – Moment, ausreichend Bargeld drin? Ja, sowie diverse Kärtchen zum Bezahlen. Jetzt noch das Jackett – uh, was raschelte denn da im Seitentäschchen?
Ein kleiner Zettel kam zum Vorschein: „Wenn Du Dich in zwei strahlende Augen verliebst, pass auf, dass es nicht das Licht der Lampen ist, das durch die Ohren in den hohlen Kopf scheint. M. “
Die Worte entlockten mir ein lautes Lachen! So ein frecher Geist! Sie gefiel mir immer besser. Den Zettel hatte sie mir wohl gestern noch heimlich verabreicht. Mit einem Magneten pinnte ich ihn an meinen Kühlschrank. Der erste Zettel von vielen, die im Laufe der Jahre noch folgen sollten.
Ich schnappte mein Handy und meine Schlüssel und wollte gerade aus der Haustür, als mir der Türgong um die Ohren schlug. Strahlend und breit stand Herta vor der Tür und hielt mit beiden Händen einen Henkelkorb mit rot-weiß-kariertem Tuch vor ihrem Bauch.
Herta ist die Gote, also Patentante, meiner Tochter Svenja und wohnt nur ein paar Häuser weiter. In den Jahren seit Lilly fort war, meinte sie, sowohl Svenja als auch mich immer wieder mal bemuttern zu müssen. Hatte ich sonst ja auch nichts dagegen einzuwenden, aber an dem Tag …
„Ei Guude, wie! Na, des is abbä aane prompte Begrüßung – un aach noch so schick!“ Mit diesen Worten wollte sie an mir vorbei ins Haus.
Ich war zwar baff, aber trotzdem schnell genug, um ihre Drängelei mit überragender Präsenz zu vereiteln: „Was verschafft mir die Ehre Deines Besuches? Du warst doch erst gestern Abend hier bei Svenja.“
„Äh – heut habbisch Pfannekuche gebagge un Äbblbrei gekocht. Könne mer nu prima mitenander verschpeise. Sischä möscht Svenjalein aach welsche.“
Dem Korb nach zu urteilen hatte sie Pfannekuchen und Äbblbrei für eine ganze Kompanie dabei. „Svenja ist heute bei ihrer Freundin Fine, und ich habe einen Termin und wollte gerade gehen.“
Das Lächeln fiel aus ihrem runden Gesicht und machte einer tiefen Enttäuschung Platz. In ihren großen Augen schimmerte es verdächtig wässrig.
„Abbaischhabbedochextra – “, brabbelte sie kläglich.
„Bitte, Hertalein, es tut mir leid, aber ich bin wirklich schon spät dran.“
Ich trat einen Schritt vor, um sie zum Umkehren zu bewegen, doch sie blieb standhaft wie der Main Tower. Nun standen wir Bauch an Bauch mit dem Fresskorb zwischen uns.
„Bitte, nimm Deinen Korb und geh wieder heim, Hertalein, ja? Ein ander Mal gerne wieder, aber jetzt muss ich wirklich los. Und tu mir einen Gefallen: Ruf an, bevor Du wieder eine Pfannekuchen-mit-Äbblbrei-Aktion startest, ja?“
Ihr Aufschluchzen ignorierend, fasste ich sie an den Schultern und machte einen auf meinen Arbeitgeber, die Treu&Glauben-Bank: Ich schob sie zur Seite und machte mir den Weg frei. Zum Glück steht mein Auto stets vor der Garage. Fix kletterte ich hinein, startete und sah zu, dass ich endlich fortkam.
Sie tat mir schon leid, wie sie da immer noch fassungslos vor meinem Haus stand, aber – was kam sie auch unangemeldet?
Auf dem Weg zum Ristorante hatten sich sämtliche Ampeln Frankfurts gegen mich verschworen. Eine jede einzelne zeigte sich in strahlendem Rot, sobald ich auf sie zufuhr. Mit Parkplätzen ist es in der Stadt auch so eine Sache. Normalerweise parke ich lieber im Parkhaus, aber der anschließende Fußweg war mir heute zu lang. Ich wollte genau vor dem D’Angelo parken. Erst nach der dritten Umrundung fand ich ein fragwürdiges Plätzchen für meinen Wagen. War mir dann auch egal.
So schaffte ich es gerade noch, zur passenden Uhrzeit zu erscheinen. Und Marlene war tatsächlich pünktlich. Kaum saß ich am Tisch, kam sie auch schon herein. Die Begrüßung erfolgte mit einer leichten Umarmung und Küsschen auf beide Wangen, so, als würden wir uns schon lange kennen.
Es gab keinen Moment der Peinlichkeit. Wir unterhielten uns über alle möglichen Themen. Und zu allem, was ich anschnitt, hatte sie etwas zu sagen und eine eigene Meinung. Fand ich sensationell, und ich verliebte mich immer mehr in sie.
Der Ober musste drei Mal kommen, weil wir intensiv plauderten, statt unsere Speisenwahl aus der Karte zu treffen. Schließlich bat ich ihn um eine Empfehlung aus der Küche, wonach wir auch prompt bestellten.
Nach Seeteufel mit Salbei und Parma-Schinken, Panna Cotta con Frutti und Espresso kam Koch und Eigentümer Nino, den ich seit Jahren durch meine regelmäßigen Besuche inzwischen recht gut kennen gelernt hatte, mit drei Grappa an unseren Tisch.
Grinsend nahm er bei uns Platz: „Madonna, meine beiden Lieblingskunden haben sich endlich gefunden. Eigentlich hättet Ihr Euch schon mal viel früher begegnen müssen, so oft, wie jeder von Euch hierher kommt.“
Stolz berichtete ich vom gestrigen Auftritt im Summa Summarum und dem dazugehörigen Kennenlernen. Er wünschte uns viel Glück und verabschiedete uns in die laue Nacht.
Wir aber mochten uns noch nicht trennen. Meine Svenja war für heute gut untergebracht, und so genoss ich es, noch gemeinsam schwatzend durch die nächtlichen Gassen zu spazieren und in einer Äbblwoi-Kneipe einzukehren.
Im Laufe des Abends erfuhr ich, dass sie ebenfalls bei der Frankfurter Treu&Glauben-Bank als Investment-Bankerin arbeitete, bei der ich in einer anderen Filiale im IT-Bereich tätig war. So viele Überschneidungen in unserem Leben – und erst jetzt waren wir uns begegnet.
Wir saßen dicht beieinander, so dass ich ihren wunderbaren Duft immer wieder genießerisch einatmen konnte. Und laufend begegneten sich spielerisch unsere neugierigen Hände.
Als ich sie dann viel später zu ihrem Auto brachte, hätte ich mich gerne mit einem Kuss von ihr verabschiedet. Sie lächelte mich an, drehte aber im letzten Moment ihr Gesicht zur Seite, so dass meine Lippen auf ihrer zarten Wange landeten.
„Vielen Dank für den schönen Abend, lieber Jan. Ich freue mich schon jetzt auf ein Wiedersehen.“ Also sprach Marlene, versank im Sitz hinter dem Steuer ihres Wagens, schloss die Tür und startete den Motor zu einem sonoren Brummen.
Ein wenig verdattert sah ich ihr hinterher, wie sie in ihrem kleinen Sportflitzer davonbrauste. Einerseits fand ich ihren Schnellstart doof. Aber andererseits beeindruckte mich ihr kleiner Widerstand auch. Wie auch immer – ich würde sie wiedersehen.
Mein breites Grinsen war von einem Ohr zum anderen festgetackert und hielt während des gesamten Heimweges bis ins Haus und ins Bad, wo mir das Zähneputzen schwerfiel, weil ich immer noch grinste …
Durch diesen Frühling schwebten Lenchen und ich auf Rosenwölkchen. Mann! Hört sich das kitschig an! War aber so. Echt jetzt.
Da wir alles an Daten ausgetauscht hatten, was man heutzutage so braucht, um in Kontakt bleiben zu können, flogen Mails und SMS nur so zwischen uns hin und her. Getoppt wurden die elektronischen Flirts und Plänkeleien nur noch von unseren zu den unmöglichsten Zeiten geführten Telefonaten.
Meine süße Prinzessin Svenja mutierte mit ihren 12 Jahren endlich auch zur Teenie-Zicke. Machte mir aber erst mal so gar nix in meinem neuen Herzensglück. Ihre kleinen Allüren lockten auf meiner Stirn höchstens ein leichtes Runzeln hervor, das bald darauf in ein heimliches Grinsen mündete.
Einmal sprach sie mich auf die kleinen Zettel an, die jetzt mehr und mehr den Kühlschrank bevölkerten. „Sag mal, Papilein, wer is’n das ‚M‘ auf den Zetteln?“
O-oh, Obacht. Papilein sagt sie nur in absoluten Ausnahmesituationen. Also eigentlich nie. „Das steht für Marlene“, machte ich ganz lässig, während ich meinen damals nigelnagelneuen und hammermäßigen Kaffeevollautomaten für einen Espresso auf Touren brachte.
„Soso. Ist die Deine Freundin?“
„Naja, also – äh – wir gehen manchmal zusammen essen oder ins Kino.“
„Bring uns bloß keine fremde Frau ins Haus“, verbat sie mir in strengem Ton eine Vertiefung unseres Bekanntheitsgrades und führte weiter in der Logik ihrer jugendlichen Lebenserfahrung aus: „Ich brauch keine Ersatzmutter. Für Notfälle hab ich ja immer noch die Godi.“
Mir war und ist das Herzens- und Seelenheil meiner Tochter hochwichtig. Nachdem Lilly fort war und ich allein für unsere Svenja sorgen musste, habe ich das getan, was Lilly sich so oft gewünscht hatte: Ich habe meine Arbeit anders eingeteilt. Das meiste, was ich inzwischen zu tun hatte, waren organisatorische Abläufe im Koordinationsprozess. Sowas managte ich seitdem mehr und mehr von daheim aus. Das hatte ich nicht zuletzt auch meinen eigenen technischen Neuerungen und Vernetzungen im IT-Bereich der Frankfurter Treu&Glauben-Bank zu verdanken.
Svenjas Babyzimmer wurde mein Büro. Svenjalein durfte auf den Dachboden ins Elfenreich, das Lilly einst so voller Phantasie und Begeisterung gestaltet hatte. Kurz darauf hatte auch das Babybett ausgedient. Gerald von der Möbelmanufaktur lieferte ein schönes, großes Einzelbett mit zartgrünem Himmel aus dem Wildholz-Programm, das Lilly noch mit entworfen hatte.
Jedenfalls konnte ich so die „Fremdhilfe“ durch meine Eltern, Omma Anna und Patentante Herta, von Svenja kindlich-liebevoll Godi genannt, erfolgreich minimieren. Also gingen Marlene und ich weiterhin gemeinsam aus, und manchmal blieb ich auch über Nacht bei ihr. Natürlich nur dann, wenn Svenja entweder ihre Patentante heimsuchte oder bei ihren Großeltern weilte.
Doch zu uns ins Haus bat ich Marlene lange nicht.
Im Sommer feierten die Kronberger ihr Erdbeerfest. Das tun sie schon seit über 100 Jahren. Svenjalein ging lieber zu ihrer Freundin Fine – die beiden fanden inzwischen, dass das Erdbeerfest nur was für kleine Kinder und alte Leute wäre. Außerdem hatte sie: „keinen Bock auf die Frau, die sicher auch in Deinem Kielwasser schwimmt.“ Naja, ich nahm’s mit Papa-Humor.
Aber Lenchen und ich freuten uns schon auf Kaffee und Erdbeerkuchen und Erdbeerbowle und die Kronberger Erdbeerchen und – hach, gemeinsames Erdbeerkönig knabbern …
Wir fanden einen prima Parkplatz und machten uns auf den Weg ins Getümmel. Plötzlich bückte sich Lenchen und hob eine Brieftasche auf: „Huch, fast wär ich drauf getreten.“
Sie schaute hinein und entdeckte einen Ausweis. Dann ging ihr Blick hoffnungsvoll über die Menge, ob sich dort ein suchender Mann befände. Natürlich war das nicht der Fall. Sicherheitshalber steckte sie die Börse erst mal in ihre Umhängetasche. Ich versprach ihr, dass wir den Mann, der im Ausweis stand, später aufsuchen würden, um ihm sein Eigentum zurück zu bringen. Zum Glück hatte er eine Adresse in Frankfurt.
Kaum waren wir ein paar Schritte gegangen, kam ein aufgeregter Mensch den Gehweg entlang, die Augen huschten stetig von links nach rechts, er schaute sogar in die Gosse am Rand.
Lenchen grinste und sprach ihn an: „Haben Sie was verloren?“
„Ja“, bestätigte er verzweifelt, „meine Brieftasche! Es muss irgendwo hier gewesen sein. Hoffentlich konnte die nicht schon wer brauchen.“
„Sind Sie Walter Körner?“
„Ja, das bin ich – woher kennen Sie denn meinen Namen?“
„Er steht in Ihrem Ausweis. Ich habe eben Ihre Brieftasche gefunden.“ Mit diesen Worten überreichte sie dem völlig Überraschten seine Geldbörse.
Der freute sich so sehr über ihre Ehrlichkeit, dass er ihr einen Finderlohn anbot. Aber Lenchen lehnte dankend ab. Ich war ja so stolz auf sie.
Wir bummelten über den Schirnplatz und aßen Erdbeer-Crêpes. Danach gönnten wir uns eine Erdbeerbowle, von der ich aber nur die alkoholfreie Autofahrerversion bekam. Sie schmeckte trotzdem lecker.
Als wir verliebt den Erdbeerkönig knabberten, fiel mir auf, dass sie nur einen Ohrring trug. „Sag mal, Lenchen, trägst Du heute Deinen Schmuck asymmetrisch?“
„Wieso? Hab ich zwei verschiedene Ohrhänger?“
„Nö, nur einen im linken Ohr. Rechts ist frei.“
„WAAAS!?“ Entsetzt fuhr sie mit den Händen an ihre Ohren. „Ich muss einen verloren haben! Verdammt!“
Das Erdbeerfest war gelaufen.
In schweigendem Einverständnis traten wir den Rückweg an.
Beim Einsteigen ins Auto stutzte Lenchen, bückte sich zum zweiten Mal an diesem Nachmittag zur Erde und hob etwas auf. Dann wandte sie sich mir mit strahlendem Lächeln zu – und hielt tatsächlich ihren verlorenen Ohrring hoch.
„Schau mal, was ich hier, direkt am Auto, wiedergefunden habe!“
„Na, das ist ja wohl mal ne Belohnung“, freute ich mich mit ihr.
Das Erdbeerfest war gerettet. Fröhlich untergehakt machten wir uns erneut auf den Weg Richtung Kronberger Burg, um weiter ausgiebig Erdbeeren, Umzüge und Musik zu genießen.
Im August stand mein Geburtstag vor der Tür. Und es war nicht irgendein Geburtstag. Ich rundete in dem Jahr mit der fünften Null. Und nicht nur ich sondern auch alle anderen Toffifees. Wir vier kennen uns ja seit der gemeinsamen Schulzeit und sind alle ein Jahrgang.
Rolf beginnt den Reigen im Februar. Darum, und weil er im Santärgeschäft unterwegs ist, hat er den schönen Spitznamen Wassermann.
Darauf folgen unsere beiden Käfer – Wolfgang im Mai, der Maikäfer und Harald im Juni, der Junikäfer.
Ich bilde den furiosen Schlusspunkt im August und bin somit der Jüngste im Quartett. Darum haben mich die albernen Kerle auch früher immer Calimero gerufen …
Jedenfalls – 50 Jahre, ein halbes Jahrhundert, gefüllt mit jeder Menge prallem Leben von uns allen Vieren. Das wollten wir feiern. Natürlich mit vielen Gästen und vor allem mit Musigg.
Rolf besitzt einen schönen, alten Hof im Taunus. Zu dem Hofgebäude, das er mit seiner Familie bewohnt, gehören auch einige Nebengebäude. In einem davon hat er einen Raum eingerichtet, wo sich unsere Band ungestört jeden Mittwochabend austoben kann. Dort steht uns ein umfangreiches Equipment zur Verfügung: AMPs, eine PA mit Mixer (alles vom Feinsten!) sowie unsere Instrumente und – ganz wichtig! – ein Kühlschrank für unsere Kehlproben.
Jedenfalls wollten wir unsere Jubel-Fünfzig dort im Hof so richtig krachen lassen. Wir mit der Band und alle Gäste, die sich berufen fühlten, ebenfalls eine Darbietung ihrer Kunst zu geben. Die Gäste waren geladen, und die meisten hatten zugesagt, so dass wir uns auf mehr als 200 Leute freuen konnten.
Es gab nur ein Problem – Svenja kannte die neue Frau in meinem Leben bisher nur vom Erzählen. Die erste gemeinsame Begegnung hatte ich immer noch so vor mir hergeschoben, zumal mein Töchterlein wenig Interesse hatte, „die Frau in Papas Kielwasser“ kennen zu lernen. Woher sie bloß diesen Ausdruck hatte? Kielwasser. Naja, auf jeden Fall wurde es nun aber höchste Zeit für ein erstes Treffen der beiden.
An einem Samstag opferte ich mich und ging mit Svenja zum Shopping auf die Zeil. Svenja freute sich, denn sie lag mir schon lange in den Ohren, dass ihr Sommer-Outfit unbedingt einer Erneuerung bedürfe.
Während unseres Einkaufbummels kamen wir an einer Zoo-Handlung vorbei. Damals hatten die eine große Voliere im Eingangsbereich, in der sich ein Beo tummelte. Er hatte einen Stamm mit Ästen in seinem Käfig, auf denen er lustig herumhüpfte.
Der Beo war gut drauf. Er pfiff und rief: „Hallo, meine Schöne!“ als Svenja an das Gitter herantrat.
Die grinste und antwortete dem Vogel. „Hallo, selber schön. Magst Du was fressen?“
„Eeerdnuss! Gib Mynha eine Eeerdnuss!“, verlangte der Schreihals prompt.
Svenja kicherte und griff in die Schale neben dem Vogelbauer, nahm eine Nuss zwischen zwei Finger und reichte sie ihm durch die Gitterstäbe.
Der Vogel legte seinen Kopf schief und nahm mit seinem starken Schnabel ganz vorsichtig die Erdnuss aus Svenjas Fingern.
Kaum hatte Mynha die Gabe verzehrt, näherte sich ein dicker, alter Mann mit Stock. Er schob Svenja rüde beiseite und klopfte mit dem Knauf ans Gitter, dass die Voliere bebte und der Beo fast vom Ast kippte. In dem Gekreisch, das der Vogel um Balance ringend ausstieß, steckte eine gute Portion Wut.
Der Dicke lachte keckernd und rief: „He, Du bleedes Vieh! Saach: ‚Ei Guude, wie.‘ Ei Guude, wie. Ei Guude, wie. Saach: ‚Ei Guude, wie.‘“
Der Beo war noch ganz benommen von dem Angriff auf sein Zuhause und richtete erst mal sein Gefieder.
„Bis doch nur’n doofe Fladderer! Nu saach schon: ‚Ei Guude, wie.‘ Ei Guude, wie. Ei Guude, wie. Saach: ‚Ei Guude, wie.‘“
Inzwischen scharten sich einige Leute um uns. Svenja und ich hielten gehörig Abstand zu dem unverschämten Sack. Der machte immer weiter mit seinen Beschimpfungen und Forderungen. Irgendwann ging ihm die Puste aus.
Diese Gelegenheit ergriff der Beo, drehte das Köpfchen hin und her, öffnete seinen schönen, goldorange schimmernden Schnabel und entließ laut und deutlich ein ärgerliches: „Aaarschloch!!!“
Der Typ lief puterrot an und hob seinen Stock.
„Hiiilfe!“, kreische Mynha. „Hiiilfe!“
In diesem Moment kam der Besitzer der Zoo-Handlung und des klugen Vogels herbeigestürmt, hielt den Stock fest und schob den dicken, frechen Kerl gleichzeitig von der Voliere und vom Laden weg.
„Lass de Beo in Ruh! Verschwind und lass Disch ja net noch emol hier bligge, Du Labbeduddel!“
Unter schadenfreudigem Gelächter machte der Dicke, dass er fortkam.
Wir bummelten weiter und hatten viel Spaß beim Aussuchen und Probieren von Kleidchen, Blüschen, Schuhen, Taschen und Hüten. Mein Herz zog sich zusammen, als Svenja sich mit verschiedenen Strohhutkreationen amüsierte. Eine halb verwischte Erinnerung an eine lachende Lilly mit Hüten und Mützen wehte durch meine Gedanken.
„Papa? Hallo? Erde an Papa. Bist Du noch da?“ Svenja wedelte vor meinem Gesicht herum. „Sag doch mal – wie findst’n so’n Hütchen? Die sind grad echt mega angesagt.“
Na, mit dem fetten Fingerzeig war meine Antwort schon vorgegeben. Breit grinsend hob ich beide Daumen: „Jou. Mega.“
Die angesagte Kopfbedeckung wurde erstanden. Ich zahlte, Svenja nahm strahlend das Hütchen in Empfang und setzte es auch gleich auf. Wieder schob sich das Bild von Lilly mit Strohhut in mein Bewusstsein. Ich musste schlucken. Aber während ich tapfer weiter lächelte, überlegte ich, ob es wirklich eine gute Idee war, Lenchen meinem Töchterchen vorzustellen.
Egal, das musste ich jetzt durchziehen. Ich schaute auf die Uhr. „Sag mal, ich hab langsam Plattfüße von der Shopperei. Was hältst Du von einem Besuch in der Eisdiele?“
„Cool. Yes, das machen wir.“
Klar, war Svenja begeistert. Svenja war ein kleines Eismonster. Für Eis hätte ich sie sogar mitten in der Nacht wecken dürfen. Ich baute darauf, dass Eis es möglich machte, dass Lenchen einigermaßen freundlich angenommen wurde.
Wir hatten uns für 15 Uhr in der Eisdiele verabredet. Lenchen würde „zufällig“ ebenfalls dort auftauchen, sodass Svenja sie in lockerer Umgebung kennen lernen konnte.
Ein paar Minuten vorher saßen Svenja, die ihre Einkauftüten um sich herum gestapelt hatte und ich unterm Sonnenschirm und studierten die Eiskarte.
Svenja musste nicht lange überlegen: „Ich nehm ein Spaghetti-Eis mit Bananenscheiben und Schoko-Soße.“
Unsere Bestellung kam auch flott, und wir löffelten genüsslich und entspannt drauflos. Wie aufs Stichwort erschien Lenchen.
„Ach, hallo, das ist aber eine Überraschung“, begrüßte sie uns lächelnd.
Ich erhob mich, lächelte ebenfalls und begrüßte sie erfreut mit Küsschen links und rechts auf die Wangen.
Svenja blieb sitzen, kaute an ihrer Eis-Waffel und schaute interessiert zwischen uns beiden hin und her.
Ich ging direkt in die Offensive: „Bist Du auch auf Shopping-Tour und brauchst ne Pause?“
Lenchen griff den Ball auf und hob ihre Tüten an: „Ja, Sommerkleid und Sandaletten mussten mal wieder sein.“
„Magst Du Dich zu uns setzen?“ Manchmal kann meine Tochter auch nett sein.
„Gerne.“
Ich drehte mich zu Svenja und legte ihr leicht die Hand auf die Schulter: „Svenja, das ist Marlene, von der ich Dir schon öfter mal erzählt habe. Sie arbeitet auch bei der Frankfurter Treu&Glauben-Bank. - Marlene, das ist meine Tochter Svenja.“
„Tach auch, bist Du auch so’n Pixel-Crack wie mein Vater?“
„Nein, ich bin im Investment tätig.“
„Was machst Du da?“
„Ich bin dafür zuständig, unsere Kunden bei ihren Investitionen zu beraten, also wie sie aus ihrem Geld mehr Geld machen können.“
„Ahso, könnt ich Dir auch mein Sparschwein bringen?“
Lenchen schmunzelte: „Ja, könntest Du auch. Ich investiere Dein Geld, also ich lege es in einem gewinnbringenden Geschäft an, und dann könntest Du zum Beispiel ein Jahr später über einen höheren Betrag verfügen, ohne dass Du weiter etwas dafür tun musst.“
„Cool. Das mach ich. Ich komm aber persönlich zu Dir in die Bank. Ich geb mein Schweinchen nicht meinem Vater mit.“
„Das würde auch gar nicht funktionieren. Ich arbeite in einer anderen Filiale. Aber Deinen Vater solltest Du auf jeden Fall mitbringen.“
„Warum?“
„Weil Du noch seine Unterschrift brauchst, wenn Du ein Geschäft abschließen willst.“
„Ach so, ich dachte, weil Du ihn dann wiedersehen könntest.“
Ich verschluckte mich fast an meinem Eis, aber Lenchen lachte locker. „Klar, das auch. Er ist ja auch ein richtig Netter, Dein Vater.“
„Hm, joa, Papa ist in Ordnung.“
Nach diesem grandiosen Lob lief die Unterhaltung weiter, ging über Schule und Hobbys, und langsam, aber sicher und vorsichtig lenkte Lenchen das Gespräch in die allgemeine Richtung zum Thema Feiern. Über Feuerwerk kamen sie dann zu Geburtstagen.
„Ich hab erst im Oktober Geburtstag. Aber Papa hat bald schon einen Riesengeburtstag. Er wird 50. Das wird ein cooles Kracherfest, weil auch seine Freunde, mit denen er in einer Band spielt, alle in diesem Jahr ein halbes Jahrhundert werden. Da kommen voll viele people und jede Menge Musiker. Papa spielt Bass. Manchmal singt er auch.“
„Wow, super! Das würd ich gern mal hören.“
„Lässt sich machen“, bot Svenja lässig an und drehte sich zu mir: „Papa? Lad die Marlene doch einfach auch zu Eurer Feier ein.“
Ich war so baff, dass ich nur verdattert stammeln konnte. „Ja – äh – klar. Gute Idee. Ich lass Dir eine Einladung zukommen, Marlene.“
Die gab mir breit grinsend ihre Visitenkarte mit den mir bestens bekannten Kontaktdaten: „Hier steht meine Mail-Adresse drauf. Schick mir einfach eine Mail mit der Einladung.“
Die beiden Mädels waren heute einfach zu viel für mich.
Ja, und dann war er da, der große Tag. Er fing auch gleich grandios an. Svenja weckte mich mit einer absolut schrägen Happy-Birthday-Hymne. Lautstark gesungen und gequiekt und mit nicht einem einzigen richtigen Ton. Mir klingelten meine zarten Musiker-Öhrchen, doch ich ertrug es mannhaft.
Mit dem letzten Quietscher fiel sie mir um den Hals und flüsterte mir ins Ohr: „Lieber Papa, hoffentlich war mein Gesang das Schlimmste, was Dir in Deinem neuen Lebensjahrzehnt passiert ist.“
Naja, schiefe Töne für ein schiefes Lebensjahrzehnt … Svenjas schauerlicher Gesang scheint mir jetzt fast noch das Beste daran gewesen zu sein. Fast.
Nach so viel Guten-Morgen-Geburtstagsglück zog ich mich erst mal an. Kaum war das geschehen, schallte der Türgong durchs Haus.
Ich öffnete und sah mich mit einer Riesentorte konfrontiert, auf der jede Menge Kerzen brannten. Hinter dem Flammenmeer kommandierte die Stimme von Herta: „Ei Guuude! Auspuste! Abbä alle uff aamol!“
Ich holte tief Luft und pustete. Holte erneut Luft und pustete. Und musste noch ein drittes Mal Luft holen, um weiter pusten zu können. Schließlich hatte ich es geschafft. Fünfzig Kerzen ausgepustet. Meiner Seel’ – hab ich mich gefühlt. Schlapp und heroisch zugleich. Alter Sack und Feuerwehrrecke.
Herta deponierte die Monstertorte in der Küche. Dann konnte sie es sich nicht verkneifen und schmiss sich mit tausend guten Wünschen an meine breite Brust. Ich hielt sie fest und ihre Umarmung aus. War ich ihr wohl auch schuldig. Schließlich war sie in den vergangenen Jahren immer für Svenja und mich da gewesen.
Lilly, ach Lilly, Du fehlst …
Ehe ich weiter in düstere Gedanken und Sehnsüchte sinken konnte, pries Herta ihre tolle Torte an: „Habbisch extra mit solsche Zudade gebagge, dasse übbä mehrere Tage hin schmegge dut. Kaan Fitzelsche Sahne drin oddä druff. Die sollste nämlisch hier im Haus behalde un nich zu derer Feier mitnemme.“
Ich freute mich. Ehrlich. Zum Frühstück gab es heute für Herta und mich Kaffee aus meinem hammermäßigen Kaffeevollautomaten, für Svenja Tee und wir alle drei machten uns über die Torte her. Ja, und die war wirklich lecker. Nach einer hauchdünnen Schicht Marzipan schmeckte sie sehr nussig, total saftig und auch etwas schokoladig.
„Wasch isch’n da scho Schaftisches drin?“ Mit vollem Mund bin ich leider meist ein wenig undeutlich in meiner Aussprache. Aber das war meiner Neugier geschuldet, die nicht warten konnte, bis der erste Bissen völlig zerkaut und runtergeschluckt war.
„Feine Raspel von zahde Karrode“, verkündete Herta stolz.
Svenja und ich hörten gleichzeitig auf zu kauen, sahen uns mit großen Augen und dicken Backen an. Herta war wohl wieder mal auf einem ihrer Diät-Trips. Aber musste sie sich damit ausgerechnet an meiner Jubelfünfzigjahretorte austoben?
Meine tapfere Tochter schluckte den Bissen und meinte dann: „Gar nicht mal so schlecht.“
Sie schob sich ein weiteres Stück in den Mund und grunzte leise beim Kauen, wie sie es immer tat, wenn ihr etwas besonders gut mundete. So ermutigt aß auch ich weiter. Tja, was soll ich sagen? Diese Torte war so lecker, dass es sogar noch ein weiteres Stück sein musste.
Und Herta strahlte über ihr ganzes, rundes Vollmondgesicht.
Am frühen Nachmittag zogen Svenja und ich schon los. Wir holten ihre Freundin Fine ab, ihre Eltern waren ebenfalls eingeladen, kamen aber erst später mit den anderen Gästen. Oberursel, wo Rolf auf seinem schönen Resthof residierte und unsere Band ihren Proberaum hatte, war zwar mit dem Auto nur eine gute Viertelstunde entfernt, aber wir wollten ja auch noch die Bühne mit unserem Equipment bestücken und Soundcheck machen.
Um Bänke, Tische, Getränke, Kühlung und Buffet brauchte ich mich zum Glück nicht zu kümmern. Diese Organisation hatten meine Bandkollegen übernommen. Und die Wettergötter bescherten uns strahlenden Sonnenschein und einen knallblauen Himmel.
Kaum waren wir mit dem Soundcheck durch, trudelten auch schon die ersten Gäste ein – befreundete Musiker, die sich auf einen gemeinsamen Gig mit uns freuten, dann tauchten auch schon Verwandte und Freunde von uns Vieren auf, natürlich mit entsprechendem Anhang. Sie alle tummelten sich um Getränke, Eis und Kuchen.
Lenchen kam und wurde von meinem Töchterchen freundlich begrüßt.
Herta sah ich auch, sie winkte mir zu. Svenja liebte ihre Patentante sehr, lief gleich zu ihr und zog sie mit in die fan base direkt vor die Bühne zu Lenchen und Fine. Als sie auf Lenchen traf, fiel Herta das fröhliche Lächeln schlagartig aus dem Gesicht.
Zum Glück spielten wir gerade, und so konnte ich mich an meiner Gitarre festhalten. Leyla, eine damals ziemlich bekannte Soulsängerin, die auch manchmal mit uns auftrat, sang ein supersexy gehauchtes Happy Birthday an uns Vier durchs Mikrofon.
Da konnten Marylin und John F. aber einpacken!
Es wurde getanzt, gelacht, mächtig viel getrunken und den Speisen kräftig zugesprochen. Auf dem mit Blumen geschmückten Buffet tummelten sich lauter Leckereien, die man prima mit den Händen essen konnte. Von Fischhäppchen über Hackbällchen, Hähnchenbollen, gebratene Gemüsestreifen, Taccos, Chips und Dips reichte die Palette bis hin zu Scheiben von Ananas und Melone, Weintrauben und Heidelbeeren. Kleine Gläschen mit Quark und Joghurtcreme gefüllt standen mit winzigen Löffelchen bereit zum Schlemmen.
Abends leuchteten farbige Lichterketten mit winzigen LED-Birnchen rund um das Buffet, jede Menge Windlichter spendeten sanftes Kerzenlicht, und die Hardcorefans hielten Sternchen sprühende Wunderkerzen zu unserer Musik in die Höhe.
Auf jeden Fall war das Fest gelungen. Und es wurde der Auftakt zu unseren regelmäßigen Sommerkonzerten mit der Band und Freunden.
Dann flog Lenchen in ihren bereits lang geplanten Urlaub nach Kanada, während Svenjalein und ich in unsere Finca auf Madeira düsten.
Über drei Wochen blieb sie fort, gondelte mit ihrer Freundin Jutta in einem Wohnmobil durch die enormen Weiten der kanadischen Landschaft, begegnete Lachse fangenden Bären, flog mit dem Heli über die Niagara-Fälle und stand in Toronto hoch oben auf dem Glasboden vom Canadian National Tower, damals der höchste Fernsehturm der Welt, mit direkter Sicht nach unten in die Tiefe – 553 Meter senkrecht bis zum Erdboden.
Als sie endlich wieder in Frankfurt landeten, holte ich sie am Flughafen ab. Mit großem Willkommenschild, Luftballons und Blümchen. Das volle Programm.
Über mein überschwängliches Begrüßungstheater lachten die beiden Mädels lauthals. Gentlemanlike nahm ich selbstverständlich auch die seltsame Jutta mitsamt ihren Koffern und baumelnden Riesenohrhängern mit. War ja kein großer Umweg, sie wohnte nur ums Eck von Lenchen, auch in einer schönen Altbauwohnung in Sachsenhausen.
Und da ich tochterfrei hatte, blieb ich einfach da. Lenchen litt ein wenig unter Jetlag, so wurde es ein gemütlicher Spätsommertag auf dem Balkon. Ich werkelte sogar in ihrer Küche herum und buk Pfannekuchen. Lenchen steuerte original kanadischen Ahornsirup bei, den sie gleich doppelt als Souvenir mitgebracht hatte. Auch ich Süßmaul erhielt eine Flasche.
„Sag mal, Deine Tochter hat doch jetzt bald Geburtstag, nicht wahr?“
„Ja, sie wird 13.“ Ich seufzte.
„Oha, jetzt beginnt der gemütliche Teil als Vater …“ Sie grinste.
„Nicht wirklich“, ich seufzte erneut. „Aber irgendwie kriegen wir beide das schon hin. Wir haben schon ganz andere Sachen geschafft.“
„So? Was denn?“, hakte Malle nach.
„Ach, nur so, nix Bestimmtes, wie man das halt so sagt“, stotterte ich herum.
Doch Malle hatte die Chance erkannt und bohrte weiter. „Was ist eigentlich mit Svenjas Mutter? In all den Monaten, die wir uns kennen, hast Du sie bis jetzt noch nicht erwähnt.“
„Sie ist von uns gegangen als Svenja ein Jahr alt war.“
„Was? Du bist Witwer?“
„Nicht so ganz. Lilly ist halt weg.“
„Wie – weg?“
„Naja, sie ist Künstlerin, lebt in ihrer eigenen Welt.“
„Und hat keinen Kontakt zu Dir oder Eurer Tochter?“
„Kaum.“ Ich wollte dieses Thema sofort beenden, ohne unhöflich zu werden. „Magst Du uns mal einen Tee machen? Du hast doch so tolle Sorten zum Aufbrühen. Und vielleicht einen Keks dazu?“
„Du lenkst ab.“
„Und Du insistierst. Lass es lieber. Du hast auch Deine vergangenen Geschichten, an die ich nicht rühre. Bleiben wir in der Gegenwart. Da haben wir genügend andere Themen, über die wir uns unterhalten können.“
Malle lenkte ein, aber ihr Blick sagte deutlich, dass sie diese Frage zu einem späteren Zeitpunkt ganz bestimmt wieder aufgreifen würde. Damals bekam ich einen ersten Eindruck ihrer Bull-Terrier-Manier. Sie machte tatsächlich Tee, den wir dann im Wohnzimmer tranken, denn es dämmerte bereits, und die Luft wurde langsam frisch. Aber auch die Stimmung zwischen uns war ein wenig kühler geworden.
Sie stellte Kerzen und Windlichter auf den Tisch, zündete sie an, nahm ihren Teebecher, nippte leicht an dem dampfenden Inhalt, und dann fing sie leise an zu erzählen. Dass sie geschieden war, wusste ich bereits, hatte aber bisher noch nichts Näheres erfahren. War ja auch ihre Sache. Doch nun sprudelte es aus ihr heraus. Sie sprach von ihrem Ex-Mann und von ihrem Sohn Benjamin. Und sie erzählte vom Familienhund Apollo, einem wunderschönen Königspudel, von dem Benjamin nicht zu trennen war.
Es waren Osterferien, und sie war mit Benjamin und Apollo unterwegs, um noch Gemüse und andere Zutaten für das Mittagessen zu besorgen, als von irgendwoher ein Ball auf die Straße rollte.
Apollo liebte Ballspiele. Er bellte freudig und sauste blindlings hinter dem fremden Ball her, die Leine hinter sich her schleifend. Benjamin riss sich ebenfalls von ihrer Hand los und rannte hinter Apollo her.
Im selben Augenblick war der Laster da.
So ein schwerer 25-Tonner, der einen sehr langen Bremsweg hat.
Viel zu lang für Überraschungsmomente wie plötzlich auftauchender Ball oder Hund oder Kind.
Das Folgende erlebte Lenchen wie durch einen roten Schleier.
Die Schreie, das Bremsen, helfende Menschen, der LKW-Fahrer – kalkweiß im Gesicht und am ganzen Körper zitternd, die Sirenen von Polizei und Krankenwagen, das bedauernde Kopfschütteln des intensiv, aber vergeblich bemühten Notfallteams.
Lenchens Mann gab ihr die Schuld daran, dass Junge und Hund nur deshalb auf die Straße hätten rennen können, weil sie nicht gut genug aufgepasst hätte. Und überhaupt war es unverantwortlich von ihr, mitsamt Hund und 9-jährigem Sohn einkaufen gehen zu wollen. Dabei wohnten sie damals in einer ruhigen Gegend mit einem kleinen Tante-Emma-Laden. Ein Einkaufspaziergang, den sie schon oft gemeinsam unternommen hatten.
Die Ehe zerbrach. Lenchen begab sich in Therapie und vergrub sich in der Arbeit in „ihrer“ Bank, machte Karriere. Jahrelang ging das so, bis sie vor Kurzem begonnen hatte, auch mal wieder auszugehen.
Inzwischen war es dunkel geworden, nur die Kerzen spendeten noch ihr warmes Licht. Lenchen hockte klein und mit in der Weite der Zeit verlorenem Blick in den Polstern und Kissen ihres Sofas. Eine einzelne Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und rann über ihre Wange. Alle anderen waren längst geweint.
Tja, was soll ich sagen? Eine Weile hab ich sie stumm im Arm gehalten, etwas hilflos über ihren Arm streichelnd.
Ich hab es dann aber auch nicht weiter bei ihr aushalten können. Zum einen, weil ich sehr betroffen war von ihrer Geschichte. Und die musste ich erst mal verarbeiten. Zum anderen, weil ich selber in Erinnerungen rutschte, mit denen ich aber keinesfalls erzählenderweise gegen ihr traumatisches Erlebnis anstinken wollte.
Also habe ich mich nach einer Weile verabschiedet und bin nach Hause gefahren. Ich fand, dass ich mich sehr taktvoll verhalten hatte. Aber da hatte ich mich wohl getäuscht.
Inzwischen weiß ich – Frauen gehen mit Erlebtem und Erlittenem anders um als Männer. Männer nehmen hin, schweigen und verdrängen gerne. Frauen tauschen sich aus. So nach dem Motto: Geteilte Freude, doppelte Freude und geteiltes Leid, halbes Leid. Vor allem ist Frauen teilen und mitteilen wohl sehr wichtig. Wichtiger als Erklärungen oder schnelle Lösungsvorschläge.
Aber zunächst hatte ich andere Sorgen.
Das mit den Frauensachen ereilte mein Töchterchen erst jetzt so richtig, so mit Pickeln im Gesicht, Busenwachsen und so. Bei ihrer Freundin Fine hatte es schon früher eingesetzt, daher hatte ich so eine ungefähre Ahnung, was da so alles auf uns zurollte. Dachte ich.
Eines Morgens gellte ein Schrei durchs Haus: „Aaaah! Ich steeerbe!“
Schwapp! Heißer Kaffee auf Hand und Hemd. Ich hatte mir gerade erst meinen Morgenkaffee aus meinem hammermäßigen Kaffeevollautomaten gezapft und mit drei ordentlichen Löffeln Zucker und aufgeschäumter Milch verfeinert. Nun fiel mir der Becher aus der Hand, polterte auf den Küchenboden, zerbrach in jede Menge Einzelteile, und die gesamte, braune Brühe verteilte sich in einer fetten Lache darum herum, färbte nässend meine weißen Socken und spritzte auch die helle Hose hinauf.
„Verdammt!“, entfleuchte es mir, aber sofort, als der Schrei oben in ein Wimmern überging, fluteten Sorge und Angst durch meine Hirnwindungen und mein pochend Papaherz. Die Reste meines Lieblingsbechers und der Kaffeesee waren nicht mehr wichtig. Ich hastete die Treppe hinauf und stand vor der verschlossenen Badezimmertür, hinter der es heulte und jammerte.
Da die Klinke nicht nachgab, versuchte ich es mit klopfen und rufen: „Svenjalein, Süße, mach doch bitte die Tür auf.“
Doch es kam nur unverständliches Gemurmel gemischt mit Schluchzern.
Ich versuchte es erneut: „Svenja! Was ist denn los? Bist Du verletzt?“
Endlich Geraschel, das Schloss der Tür wurde entriegelt. Eine verheulte Svenja sank in meine Arme und an meine breite Papaheldenbrust. Vorsichtig atmete ich auf. Erst mal.
„Ich verblute, Papa“, nuschelte sie in mein Hemd.
Soweit ich erkennen konnte, war sie in Ordnung – nix kaputt, nix gebrochen, kein Schnitt irgendwo. Wieso sollte sie verbluten?
Ach, herrjeh!
Jetzt begriff ich, was los war.
Ach, meine kleine, große Svenja.
Puh, wie mir Lilly fehlte …
Ich schlug einen sanften, beruhigenden Ton an: „Schätzelein, Du musst doch nicht weinen. Du weißt doch, dass das eines Tages einsetzen würde. Und vorbereitet bist Du ja schon eine ganze Weile darauf.“
„Jaha“, schluchzte sie weiter, „aber gleich sooo …“
Ääh – mir fiel erst mal kein wirklicher Trost ein. Ach, Lilly, für sowas braucht ein Mädel seine Mama! Ich fühlte mich da ziemlich hilflos. Also hielt ich sie weiter in meinen Armen und streichelte ihr übers Haar.
„Was hältst Du von Heißer Schokolade mit Sahne und Kuscheln auf dem Sofa?“, versuchte ich es mit der alten Tröstungsweise ihrer Kindheit.
Svenja schniefte nur kurz.
„Und für heute ausnahmsweise schulfrei?“
Svenjalein wurde still.
„Und ich melde mich im Büro ab für home office?“
Meine kleine Elfe schloss ihre zarten Arme enger um mich, begleitet von einem leichten Nicken und sanften Aufatmen.
Auch ich atmete erleichtert auf. Noch funktionierten die alten Papatricks …
Zuerst brachte ich Svenja im Wohnzimmer auf dem Sofa unter und sorgte dafür, dass sie es weich und gemütlich hatte. So mit vielen Kissen und flauschiger Decke und so.
Nachdem ich die Küche wieder zum Blitzen gebracht sowie die Scherben meines Lieblingsbechers mit einem bedauernden Lächeln im Müll entsorgt hatte, konnte ich mich um weitere Maßnahmen kümmern.
Zwei Anrufe und einen Kleidungswechsel später kochte ich Milch und Sahne in einem Topf auf, tat jede Menge Kakaopulver dazu und verfolgte den Farbwechsel beim Einrühren.
Schließlich wanderte ich mit zwei Bechern voll dampfender Heißer Schokolade, gekrönt mit einer ordentlichen Sahnehaube, ins Wohnzimmer. So saßen wir dann gemeinsam unter Svenjas Kuscheldecke gemütlich auf dem Sofa, pusteten in den heißen Inhalt unserer Becher und schlürften laut das süße, heiße Gebräu.
Erste Hürde zum Frausein gemeistert, Lilly. Auch ohne Dich.
Eine Woche nach dem großen Frauwerdungsereignis feierten wir Svenjas „Wilde 13“. Fünf Mädels trippelten jungdamenhaft am Geburtstagnachmittag heran. Es gab viel Gekicher und Geraschel und „Hachs!“ und „Huchs!“ beim Auspacken der Geschenke, dann fuhr kurz darauf auch schon mein Freund Rolf mit seinem Drummer-Transporter vor.
Heute transportierte er statt seines Schlagzeuges oder anderer Instrumente mich mitsamt den aufgeregt plappernden jungen „Damen“.
Los ging’s zum Frankfurter Reit- und Fahr-Verein. Dort hatte ich für die kleine Damenriege sechs Pferde und den entsprechenden Unterricht gebucht. Alle Mädels erhielten Reiterhelme, sie durften beim Satteln helfen und die Pferde eigenhändig in die Reithalle führen. Das Aufsteigen war gar nicht so einfach zu bewältigen, aber schließlich saßen sie dann alle mächtig stolz auf den großen, sanftmütigen Tieren.
Die Reitlehrerin gab sich auch sehr viel Mühe mit der unerfahrenen Truppe und konnte ihnen so einige Grundsätzlichkeiten vermitteln – wie man die Zügel hält, wie man richtig im Sattel sitzt, die Schenkel anlegt und so was alles. Die Mädels hatten rote Wangen vor Konzentration und waren mit Begeisterung bei der Sache. Zum Abschluss der Stunde waren sie soweit, dass sie sogar traben konnten.
Nach der Reitstunde durften die Mädchen die Pferde wieder zu den Boxen führen und auch noch beim Absatteln und Striegeln helfen.
Schließlich saßen alle wieder im Musik-Transporter, schnatterten wild und begeistert durcheinander, berichteten sich gegenseitig euphorisch von den Eigenarten ihrer Tiere und auch von ihren Empfindungen so hoch zu Ross.
Zu Hause hatte Herta sowohl meine Eltern und Omma Anna in Empfang genommen als auch drei Bleche Pizza vorbereitet, die ratzfatz bis auf den letzten Krümel verspeist wurden. Auch die großen Kannen mit Eistee wurden bis auf den letzten Tropfen ausgeschlürft. Und tatsächlich hatten die Mädels in ihren Bäuchen noch Platz für Eis mit Schokosoße.
Wir Erwachsenen saßen mit Bier und Pizza gemütlich im Wohnzimmer und beobachteten das Gekicher und Gegacker der nun wieder sehr kindlichen Fräulein im Garten, die zu lauter Musik von Sunrise Avenue tanzten und die Texte zu Samu Habers Songs mitjodelten.
In jenem ersten gemeinsamen Herbst schleppte Lenchen mich manchmal in Ausstellungen, die ich dann auch brav mit ihr absolvierte, wofür ich dann in einer der vielen Sachsenhäuser Altstadtkneipen mit einem oder auch mehreren feinen Bierchen belohnt wurde.
Außerdem waren Lenchen und ich sehr kinophil. Meistens gingen wir in das kleine, feine Harmonie in der Dreieichstraße in Sachsenhausen. Die gemütlichen Polstersessel luden geradezu dazu ein, dem Geschehen auf der Leinwand weniger Beachtung zu schenken, dafür aber umso heftiger zu knutschen wie die Teenies. Und Lenchens Wohnung war nur ein paar Minuten zu Fuß vom Kino entfernt …
Eines Abends stand ich im Wohnzimmer vor dem Kamin, in dem ein munteres Feuerchen loderte und schaute mir das Bild darüber genauer an. Bisher hatte ich dem Bild in ihrer Wohnung kaum Aufmerksamkeit geschenkt, doch jetzt stutzte ich. Irgendwie kam es mir bekannt vor.
Es zeigt eine Gestalt von hinten, die auf einem Gipfel vor einer weiten, von Herbstlicht durchfluteten Berglandschaft steht und die Arme hochhält. Ein Wind greift in die Jacke, die sich aufbläht wie Flügel. Neben ihr auf dem Gipfel gibt es einen scheinbar toten Baum, doch an einem Ast entfaltet sich ein Blatt. Die Gestalt scheint fast abzuheben, um über die Landschaft zu segeln.
Den Malstil kannte ich doch!
Und da entdeckte ich auch die Signatur unten rechts – ein geschwungenes „L“ innerhalb eines Herzchens. Ich hielt den Atem an und hatte Mühe, mich nicht wieder mal fast in meinen Erinnerungen zu verlieren. Vor vielen Jahren hatte Lilly das Bild gemalt und ihm den Titel: Yes, I Can! gegeben. Es war während einer Ausstellung verkauft worden …
Als Lenchen dann mit dem Tee ins Zimmer kam, saß ich bereits wieder auf dem Sofa. Über das Bild und seine Künstlerin sprach ich nicht. Doch an jenem Abend verabschiedete ich mich ein bisschen früher als geplant.
So groß die Sehnsucht nach gemeinsam verbrachter Zeit mit Lenchen auch war, auf jeden Fall hielt ich die Mittwochabende für unsere Bandproben frei. An den Abenden kam immer Herta, um bei Svenja zu sein. Aber zu jedem Gig, egal wo, erschien Lenchen als unser persönliches Band-Groupie. Manchmal brachte sie auch ihre Freundin Jutta mit. Die mit den raspelkurzen Haaren und baumelnden Ohrgehängen, mit der sie in Kanada gewesen war.
Dann nahte Weihnachten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt verabschiedete ich meine Gespielinnen in den letzten Jahren, weil sie keinen Zutritt zu meinen familiären Feierlichkeiten bekamen. Meistens schon vorher, weil ich ja niemals eine der Damen in mein Haus einlud. Irgendwelche fremde Frauen konnte ich ja schließlich meinem Töchterchen nicht zumuten.
Lenchen war da aus anderem Holz geschnitzt. Sie war so eigenständig und hatte außerdem schon das besondere Privileg genossen, Svenja kennen gelernt zu haben und zu meinem Geburtstag im Sommer auch noch alle meine Freunde. Und dann waren da ja auch noch unsere sensationellen Zettelbotschaften, die wir uns immer wieder mal zusteckten und gegenseitig an unsere Kühlschränke pinnten.
Eines kühlen Dezemberabends schlenderten wir über den Sachsenhäuser Weihnachtsmarkt und blieben am Glühbierstand hängen. Ja, in Sachsenhausen gibt es nicht nur Glühwein sondern auch Glühbier. Und von erhitztem, ordentlich gewürztem und mit reichlich Kirschsaft und Honig angereichertem Starkbier kann man schon ziemlich schnell Sternchen sehen. Is’ aber saulecker!
Wir schlürften also unser heißes Würzbier und plauderten über dies, das, jenes und wie unser Jahr bisher so verlaufen war. Und natürlich kamen wir auch auf die Weihnachtsfeiertage zu sprechen.
„Ich hab Urlaub über Weihnachten und Neujahr“, fing Lenchen an.
„Mein letzter Arbeitstag ist Freitag, der 21. Und im neuen Jahr fang ich erst am Montag, dem 06. wieder an“, verkündete ich.
„Dann haben wir ja beide volle zwei Wochen frei“, strahlte Lenchen über beide rote Glühbierbacken.
„Jou“, machte ich und preschte wagemutig weiter. „Dann könnten wir Silvester zusammen ins Neue Jahr feiern.“
„Das könnten wir“, nickte Lenchen. „Und wie sieht’s an Weihnachten aus?“
Ich nahm erst mal einen dicken Schluck und hielt mich geschmacklich und gedanklich an den Gewürzen und speziell visuell an dem Sternanis fest.
Lenchen schaute mich erwartungsvoll schweigend an.
Ich zog leicht die Nase hoch, räusperte mich und beschied dann: „Am zweiten Feiertag kommen die Großeltern von Svenja, also meine Eltern und Svenjas Patentante Herta.“ Dass dann auch immer Omma Anna, Lillys Mutter, mit von der Partie war, behielt ich für mich. „Und am ersten Feiertag haben Svenja und ich traditionell Schlafanzuggammeltag mit Märchen im Fernsehen gucken und so.“
„Hm, und an Heilig Abend?“
„Da machen wir Beide immer unseren Weihnachtsausflug“, umschmeichelte ich Svenjas und meine regelmäßige Unternehmung an diesem Tag. Das war Lilly-Tag. Aber das ging Malle nix an. Noch nicht, jedenfalls.
„So? Weihnachtsausflug? Wo geht’s denn da hin?“
„Nach Thüringen“, entfleuchte es mir etwas unvorsichtig.
Malle riss die Augen auf. „Was? Nach Thüringen? Was macht ihr denn da?“
„Och, diesmal ist es halt Thüringen. Svenjalein darf sich immer ein Ziel im Umkreis von höchstens zwei Stunden Erreichbarkeit für unsern Heilig-Abend-Ausflug aussuchen. Alte Papa-Tochter-Tradition.“
„Na, die zwei Stunden braucht Ihr dann aber bis Thüringen mindestens.“
„Hm, tja, ist wohl so.“ Das war’s aber mit meiner Auskunftsfreude. Lenchen kannte das bereits, und die schlaue Frau insistierte auch nicht weiter.
Im Gegenteil – nun breitete sie ihre weihnachtlichen Feierpläne genüsslich verbal vor mir aus: „An Heilig Abend treffe ich mich mit Jutta. Wir gehen dann immer ins Kellertheater, essen dort Kartoffelsalat mit Würstchen und amüsieren uns in der Vorstellung. Am ersten Feiertag ist ausschlafen angesagt, denn dann hab auch ich meinen Schlafanzuggammeltag. Am zweiten Feiertag ist wie bei Euch Familientag. Den verbringen meine Brüder samt Anhang und ich bei meinen Eltern im Taunus.“
Sie strahlte mich an, und zum ersten Mal in all den Jahren hatte ich das Gefühl, dass nicht ich es war, der eine Grenzmauer um Weihnachten zog.
Am 24. hockten Svenja und ich morgens in der Küche an dem kleinen Essplatz und frühstückten ausgiebig. Dafür war Svenjalein extra zum Bäcker gelaufen und hatte frische Brötchen besorgt. Ich hatte am Vorabend bereits das bestellte, weihnachtliche Blumengebinde in der Gärtnerei abgeholt. Svenja packte, wie jedes Jahr, ein Foto von uns beiden in einem selbst bemalten Rahmen in Weihnachtspapier. Diesmal tummelten sich dort grafisch irgendwelche Häschen und Rehchen mit roten Zipfelmützen schlittschuhlaufend und schlittenfahrend auf hellblauem Grund.
Dann waren wir soweit fertig zum Aufbruch.
„Was meinst Du, wie’s diesmal wird?“, fragte Svenja ein wenig bang.
„Ganz bestimmt gut“, antwortete ich mit einer Sicherheit, von der ich im Inneren wenig überzeugt war. Ich drückte mein Töchterchen an mich. „Auf jeden Fall machen wir beide uns einen schönen Tag, ja?“
„Ja, Papa, das machen wir“, bestätigte Svenja mit einem kleinen Lächeln und schon wieder ein bisschen fröhlicher.
Während der Fahrt plauderte sie über die Schule, über ihre Freundinnen und vor allem und ausgiebig über ihren Superschwarm und Leadsänger der Band Sunrise Avenue – Samu Haber. Natürlich hatte sie seine Musik dabei, und so hörten wir On the way to wonderland rauf und runter. Naja, ich fand, das passte zu unserer kleinen Reise. Wir waren schließlich auch auf dem Weg zu einer Art Wunderland.
Ungefähr zwei Stunden später rollten wir auf den Parkplatz vor der Rhönland-Klinik, atmeten noch einmal tief durch, stiegen aus, zogen unsere dicken Jacken an und schnappten unsere Mitbringsel. Svenja suchte meine Hand, als wir auf den Eingang des romantischen Gebäudetraktes zugingen.
Dieses Mal wies man uns im Empfangsbereich zu den Kreativräumen. Wir fanden Lilly im Malraum vor dem großen Skizzentisch, wo sie mit Pastellkreiden in beiden Händen auf einem riesigen weißen Bogen Papier einen Entwurf fertigte.
Als wir zu ihr traten, sah sie uns lächelnd, doch mit leicht umwölktem Blick an. „Ihr seid aber zwei schöne Menschen“, begrüßte sie uns freundlich.
Naja, hätte schlimmer kommen können. Ich atmete vorsichtig auf, lächelte, brachte aber selbst kein Wort hervor. Ich starrte sie an wie damals, als ich ihr das erste Mal begegnete. Lilly trug ihre goldblonde Lockenmähne gebändigt in einen dicken Zopf, der ihr locker um den Nacken lag und vorne herab fiel. Um das Flechtende war ein blaues Band geschlungen. Himmelblau. Wie ihre Augen.
Ich spürte Svenjas Hand in meiner, die sich langsam entkrampfte. „Du bist auch schön, Mama“, kam es leise aus ihrem Mund.
Lillys Augen gewannen an Klarheit, ihr Lächeln wurde breiter. Sie legte die Pastellkreiden beiseite und wischte ihre bunten Hände und Finger an ihrem Malerkittel ab. So, wie sie es auch früher immer getan hatte. Auch diesen Kittel hatte sie bereits in ein eigenes kleines Kunstwerk verwandelt. Zum Glück zog sie ihn aus und hängte ihn über den Stuhl.
Geschmeidig und grazil kam Lilly auf uns zu und umarmte uns beide liebevoll. Ich sog den süßen Duft ihres Haares ein, der immer ein bisschen was von einer Sommerwiese an sich hatte. Auch jetzt noch. Nach all den Jahren.
Lilly wollte ihre Tochter, die fast schon so groß war, wie sie selbst, gar nicht mehr loslassen. Eng umschlungen marschierten die beiden los, und ich dackelte hinterher zu ihrem Zimmer, das sie dort seit Jahren bewohnte.
Sie packte Svenjas Geschenk aus, gab ihr einen dicken Schmatz auf die Wange und reihte das neue Jahresfoto von uns beiden zu den anderen ein, die sie auf einem Sims sammelte.
Für mein weihnachtliches Blumengebinde erhielt ich ebenfalls einen dicken Schmatz auf die Wange. Dann arrangierte sie es in eine bereit stehende Vase, die auch schon mit Wasser gefüllt war.
Weiter ging es mit dem gegenseitigen Beschenkungsritual. Lilly überreichte Svenja einen dunkelblauen, mit Sternchen verzierten kleinen Karton, etwa schuhschachtelgroß. Obwohl wir bereits wussten, was darin war und auch eine Ahnung vom Motiv hatten, waren wir beide doch wieder überrascht, als Svenja das kleine Diorama aus der Schachtel hob.
Es zeigte eine Szene von Svenjas Geburtstag. Die Reithalle, die Pferde mit ihren Freundinnen, die Reitlehrerin in der Mitte und sogar Rolf und mich, wie wir als Zuschauer an der Bande lehnten.
„Wie machst Du das nur immer, Mama? Du weißt doch gar nicht, was wir an meinem Geburtstag unternommen haben.“
„Aber ich bin doch immer bei Dir, mein Schatz. Schau genau hin, findest Du die kleine Elfe?“
Svenja und ich reckten die Köpfe vor, und tatsächlich entdeckten wir ein winziges, lichtvolles Wesen mit zarten Flügelchen.
„Da ist sie, auf der Schulter der Reitlehrerin!“ Svenja war ganz aufgeregt.
Das war jedes Jahr so. Jedes Jahr suchte sie die kleine Elfe.
Und jedes Mal war sie irgendwo im Diorama versteckt.
Sie sammelte diese kleinen Kunstwerke ihrer Mutter in einem besonderen Regal in ihrem kleinen Elfenreich oben auf dem Dachboden unseres Häuschens. Denn Svenja bekam jedes Jahr ein Diorama ihres Geburtstages, von dem Lilly niemand berichtet hatte.
Dieses Geburtstagsdiorama und dieser Tag, der 24. Dezember eines jeden Jahres, waren Svenjas Verbindung zu ihrer Mama. Und auch meine.
Lilly lächelte fein. „Ja, und so, wie die kleine Elfe dort, bin auch ich immer in irgendeiner Form bei Dir und passe auf Dich auf.“