Hundsvieh - Daniel Badraun - E-Book

Hundsvieh E-Book

Daniel Badraun

4,4

Beschreibung

Claudio Mettler ist ein sympathischer Superloser. Er kriegt nichts auf die Reihe - aber das mit wachsendem Erfolg. Und er leistet sich eine Freundin, die nicht annähernd seine Kragenweite ist. Doch Mettler bemüht sich. Mettler kämpft. Er will ihr zeigen, dass er ein ganzer Kerl ist und kein Verlierer. Bei seinen verzweifelten Bemühungen etwas Geld zu scheffeln, gerät er als Spielfigur in die Machenschaften von skrupellosen Kunstdieben und Viehhändlern. Doch Mettler wäre nicht Mettler, wenn er nicht einen Weg fände, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen!

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Daniel Badraun

Hundsvieh

Ein Fall für Müller & Himmel

Zum Buch

Auf den Hund gekommen Claudio Mettler ist blank. Um seine Finanzen ins Lot zu bringen, nimmt er jede Arbeit an. Wie die im Kunstmuseum in Chur oder die bei der Post in St. Moritz. Mona, Claudios anspruchsvolle Freundin, macht ihm mächtig Dampf. Und so schlittert Mettler in Chur ungewollt in einen Fall hinein, der ihn um ein Haar ins Gefängnis bringt: Die Giacometti-Skulptur Le chien, auf die Mettler hätte aufpassen müssen, wird bei einer Vernissage gestohlen. Doch Polizei, Museumsleitung und die Strippenzieher im Hintergrund haben den starrköpfigen Bergler unterschätzt. Eine wilde Jagd quer durch den Kanton Graubünden beginnt. Natürlich muss sich einer wie Mettler von solchen Strapazen erholen. Im heruntergekommenen Bad Innerpers sucht er seine Ruhe. Doch Mettler wäre nicht Mettler, wenn er nicht auch hier Probleme anziehen würde. Politiker, Tourismuspromoter, Kühe und Leichen machen ihm das Leben schwer, sodass er sogar überlegt, seine verdiente Badekur abzubrechen …

Daniel Badraun, geboren 1960 im Engadiner Dorf Samedan, schreibt für Erwachsene und Kinder. Seit 1989 arbeitet er als Kleinklassenlehrer in Diessenhofen. Darüber hinaus war er einige Jahre Abgeordneter im Thurgauer Kantonsparlament. Seit 2006 schreibt der Autor für das Leseförderprojekt »Geschichtendock«. Daniel Badraun wohnt mit seiner Frau in der Nähe des Bodensees, hat vier erwachsene Kinder und eine wachsende Enkelschar. Neben dem Schreiben ist er auch oft draußen anzutreffen, auf dem Rad oder auf Wanderwegen. 2018 wurde sein Theaterstück »Schnee von gestern« in Chur uraufgeführt. www.badrauntexte.ch

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: René Stein

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © nivoa / photocase.de

ISBN 978-3-8392-4136-3

Widmung

Für Daniela

Teil 1 Von Hunden Der Köter von Alberto

Gedicht

Da qualche parte c’è una terra che brucia, lo sai,

che mi riscalda il cuore e non mi abbandona mai

e le sue pioggie sono lagrime di primavera

voglie d’aprile sulle ombre di questa sera.

Dimmi cos’è,

che mi sorprende a vegliare la notte, dimmi perchè!

Bevor die Sterne verblassen und der Mond erlischt,

Dunkle Vertrautheit in der ersten Sonne zerbricht,

Zieh’ ich tastend mich in die Nacht zurück

Singende Lichter mich weckender Augenblick.

Milchstraßenlang

Bis meine schlafende Erde sich aufmacht, zu blühendem Gang.

Pippo Pollina und Linard Bardill

1.

April 1996

Der Eisenbahnwaggon kommt aus der Dunkelheit des Tunnels heraus, ein Blinzeln, schon sind wir in schwindelerregender Höhe auf dem Landwasserviadukt. Der Zug, ein Geländer, darunter die gähnende Leere. Irgendwo im Nichts Felsbrocken, Wasser, Büsche und Wiesen. Ich sitze da und starre hinunter in den Abgrund. Tiefer als in solch ein Loch hier könnte ich kaum fallen.

Vor einer Stunde bin ich in St. Moritz losgefahren. Schnellzug nach Chur mit Halt in Celerina, Samedan, Bergün, Filisur, Tiefencastel, Thusis und Reichenau. In jedem dieser Orte würde ich liebend gerne aussteigen, einen Tee trinken und dann gemütlich zurückfahren. Doch ich kann und darf nicht.

Wie gelähmt starre ich in die Tiefe, zwischen den Pfeilern des mächtigen Bauwerks fließt weit unten der tosende Fluss. Einige japanische Touristen hinter mir lehnen sich mit ihren Fotoapparaten und Filmkameras weit aus dem Fenster. Aufregung macht sich breit. Das Viadukt muss abgelichtet werden, möglichst aus der nächsten Kurve heraus, damit zu Hause einige der roten Wagen auf dem Bild erscheinen. Könner bringen auch noch den Tunnelausgang mit aufs Bild. Die Rhätische Bahn, die ›Kleine Rote‹, wie die Schmalspurbahn von den Werbern liebe- und effektvoll genannt wird, ist ein Tourismusmagnet für Eisenbahnfreunde aus der ganzen Welt. Diese Strecke mit den imposanten Bauwerken müsste eigentlich UNESCO-Weltkulturerbe werden. Für mich ist dieser Zug das einzig mögliche Verkehrsmittel, das mich von A nach B bringt, von St. Moritz nach Chur, die Straße kommt für mich nicht infrage, denn ich kann und will mir keinen Wagen leisten. Und mit dem Fahrrad überqueren nur gestählte Fitnessapostel in einer Sinnkrise die Pässe, die aus meinem Tal herausführen.

Knapp zwei Stunden Zugfahrt trennen St. Moritz von der Kantonshauptstadt Chur, in der mich das Unvermeidliche erwartet.

Die Tür des Abteils geht auf. Der Imbisswagen.

»Kaffee, Gipfel, Mineral, Sandwich!«

Langsam rollt der Wagen auf mich zu. Professionelle Freundlichkeit in einem dunklen Gesicht. »Sie wünschen, Chef?«

»Einen Tee bitte.«

»Creme, Zucker, Lemon?«

»Creme und Zucker.«

Breitbeinig schenkt der Hochgebirgszugkellner ein. »Gipfel auch, Chef?« Lächelnd stellt er den Becher auf das Tischchen unter dem Fenster mit der fantastischen Landschaft und schaut mich erwartungsvoll an.

»Kein Gipfel.«

»Sandwich?« Der gibt wohl nie auf! »Käse, Schinken, Salami?«

Genervt schüttle ich den Kopf.

»Zigaretten?«

Ein müdes Kopfschütteln. Irgendwann in einer fernen Vergangenheit, als alles noch so leicht schien, das Leben weit und verheißungsvoll vor mir lag, da rauchte ich. Nicht viel, eine Zigarette da, eine dort zu einem guten Kaffee oder einem Glas Wein. Mit einem Freund am Fluss, wir schauten dem Wasser nach und zogen den Rauch tief in uns hinein. Das Wasser trug unsere Träume und Wünsche in die Welt hinaus. Irgendwie glaubte ich, das Leben zu spüren.

Unterdessen bin ich fast dreißig, das Leben hat mich manchmal leicht gestreift, doch richtig fassen konnte ich es nie. Ein Hauch von Ewigkeit flog vorbei, damals am Ganges in Indien, an den Ghats, den Treppen, die hinunter zum Wasser führten. In ihren langen Saris die Frauen, mit einem schlichten Tuch um den Bauch die Männer, so gingen sie langsam hinunter zum Fluss, übergaben ihre Opfergaben dem Wasser, führten dann die vorgeschriebenen rituellen Waschungen durch.

In Indien, da spürte ich etwas, das sich wie ein Sinn anfühlte, eine tiefe Intensität. Seither ziehen die Tage und Wochen an mir vorbei, ziellos streife ich durch dieses Leben, in dem ich nicht wirklich angekommen bin und keine echte Herausforderung spüre.

Der Mann zieht eine Schublade aus seinem kleinen Wagen.

»Fisherman’s Friend vielleicht?«

»Nein, danke.«

Im Moment habe ich nicht sehr viel Geld, der Hunderter in meiner Tasche gehört nicht mal mir, er ist bloß geliehen, Mona wird ihn zu gegebener Zeit von mir zurückverlangen.

Langsam lasse ich den Teebeutel kreisen, ziehe ihn, als ich glaube, die Brühe sei dunkel genug, aus dem Becher, Zucker, Creme, ein erster Schluck – eigentlich hätte ich es wissen müssen.

»Ach, Mona, musste das wirklich sein?«

Gedankenverloren schaue ich dem Mann nach, wie er mit seinem schwankenden Wagen im nächsten Abteil verschwindet.

Einfach rausgeschmissen hat mich Mona heute Morgen, mir blieb gerade noch Zeit, um meine Reisetasche zu packen, schon standen wir beide an der Tür unserer Wohnung, die in Wirklichkeit ihre Wohnung ist, weil sie den Vertrag unterschrieben hat und meistens die Miete alleine bezahlt. Mit ihrem Lohn, den sie sich hart verdient auf der Bank, wie sie bei jeder möglichen und auch jeder unmöglichen Gelegenheit immer wieder betont.

»Weißt du, Claudio, ein regelmäßiges Einkommen ist die Basis für ein geregeltes Leben!« Monas Grundsätze und ihre Sturheit sind in gewissen Situationen kaum auszuhalten, vor allem regen sie mich nicht zur Nachahmung an, ganz im Gegenteil, aber das will und kann meine Freundin einfach nicht verstehen.

Ein geregeltes Leben heißt für Mona eine gut eingerichtete und geheizte Wohnung, ein Wagen, alle nötigen und unnötigen Versicherungen, diverse Anschaffungen nach dem Lustprinzip, immer mal wieder neue Kleider, Schuhe natürlich, auswärts essen und Kino. Zudem leistet sie sich einen ganz speziellen Luxus, wie sie manchmal erklärt, begleitet von einem gekünstelten Hüsteln, das mir das Blut in den Gefäßen erstarren lässt. Dieser Luxus bin in ihren Augen ich.

Natürlich steuere ich immer mal wieder etwas zum gemeinsamen Haushalt bei, kaufe ein, wenn ich Geld habe, übernehme alle möglichen Hausarbeiten, die sie nicht mag, sauge, mache den Abwasch, putze das Klo, gieße die Blumen, wasche ihre Blusen und bügle sie ordentlich. Wenn ich keinen Job habe, was öfters der Fall ist, sieht Monas Wohnung immer sauber und akkurat aus.

Und wie gesagt, zwischendurch verdiene ich einiges. Sogar ziemlich viel, wenn ich für meinen Freund Reto Müller einen Auftrag erledige, im Winter als Aushilfs-Skilehrer arbeite oder im Sommer als Wanderleiter eine Gästegruppe durch ein romantisches Seitental führe.

Doch was macht sie? Hartherzig und stur, wie sie nun einmal ist, setzt sie alles daran, mich wieder in die richtige Arbeitswelt zu integrieren. Eine richtige Arbeit bedeutet für sie Ordnung und Sicherheit, für mich aber Sklaverei und Enge. Zweiundvierzigstundenwoche, fünf Wochen Ferien, dreizehnter Monatslohn. Chef und Telefon und Computer und Sitzungen und der tägliche Stau vor der Kaffeemaschine. Wie ich das hasse! Mona sollte doch wissen, wie wenig ich mich zu geregelter Arbeit eigne.

»Hier, Claudio!« Schnell streckte sie mir eine Fahrkarte nach Chur zu, einen Hunderter Startkapital und ein Stelleninserat. »Melde dich um zwei bei dieser Adresse, ich habe angerufen, die haben einen richtigen Job für dich.«

Und schon war ich draußen. Vielleicht hätte ich mich nach der Wintersaison etwas intensiver um Arbeit bemühen sollen, dann wäre ich jetzt noch bei Mona. Doch nachdem die Pisten weggetaut und die letzten Gäste Ende März abgereist waren, wollte ich zuerst etwas ausspannen. Mona hatte endlich Ferien, wir fuhren nach Italien, denn es gibt nichts Öderes, als die Zwischensaison in einem Tourismusgebiet zu verbringen. Geschlossene Lokale, ausgeräumte Boutiquen, leere Straßen, überall Baustellen. Die Wiesen braun und staubig, alle Farben aus dem Tal verschwunden, der Schnee auf den Bergen noch ziemlich nah. Kein Kino, kein Hallenbad, keine Freunde, mit denen man sich die Nächte um die Ohren schlagen könnte. Keinerlei Frühlingsgefühle.

Mit Mona nach Italien zu fahren ist dagegen ein Fest! Da wird in guten Hotels übernachtet, ausgiebig getafelt, genossen und wieder richtig aufgetankt. Nach der harten Wintersaison ging es mir mit jedem Tag Müßiggang besser.

Mein Kontostand bewegte sich allerdings in die entgegengesetzte Richtung, als wir zurückkamen, war nicht mehr viel übrig von meinem Winterverdienst. Wie ich für Mona ein Luxus bin, den sie sich leistet, ist auch Mona ein Luxus für mich. Ein Luxus aber, den ich mir eigentlich nicht leisten kann.

Einige unnötige Anschaffungen wie diverse Lampen, ein Teppich, Vorhänge für Monas Wohnung gaben meinem Vermögen endgültig den Rest. Und irgendwann letzte Woche war ich bei Null angelangt.

»Hier, deine Zahnbürste, hast du die absichtlich liegen lassen? Komm zurück, wenn du dich selber ernähren kannst, klar?« Dann war die Tür endgültig zu und Mona weg.

Die Japaner hängen wieder am Fenster. Gleich werden wir das Solisviadukt überqueren, das höchste Bauwerk der Albula-Strecke. Es wird weiterhin ausgiebig fotografiert, auch der Bahnhof Solis, bewohnt von einem Geranien-Fetischisten, wird abgelichtet und Pixel für Pixel nach Japan transferiert. Dann folgt der nächste Tunnel, eine Möglichkeit, auf den diversen Displays die Ernte der letzten Minuten zu begutachten.

Ich ziehe das zerknitterte Inserat hervor. ›Das Kunsthaus Chur sucht einen initiativen Mitarbeiter oder eine initiative Mitarbeiterin für diverse Aufgaben. Bei Fragen steht Ihnen Paul Fritschi gerne zur Verfügung.‹

Mona hatte angerufen und mich angemeldet. So weit bin ich gesunken.

Sils im Domleschg, Kreuzungspunkt. Auf dem anderen Geleise setzt sich ein entgegenkommender Zug in Bewegung. Rote Wagen, gefüllt mit lächelnden und winkenden Touristen, ziehen vorbei. Dieser Zug würde mich auf dem direkten Weg zurück nach St. Moritz, zurück zu Mona bringen. Ich schüttle trotzig den Kopf. Nein. Mona, ich komme nicht angekrochen! Sie wird mich erst wieder sehen, wenn ich zu Geld gekommen bin, wenn ich sie zum Abendessen ausführen kann.

Thusis. Ich schaue zu den hellgrünen Wiesen hinauf, sehe zwei Biker am Hang, einen Gleitschirmflieger im tiefblauen Himmel kreisen, einige Wanderer. Da müsste man sein, denke ich wehmütig und schlürfe den bitteren Tee, der mittlerweile kalt geworden ist. Schlimmer kann man sich ein Leben kaum mehr vorstellen.

Ein Ruck weckt mich auf. Chur, mein Rücken ist steif, ich bin zu lang, um bequem im Zug schlafen zu können, langsam steige ich aus und durchquere die Unterführung. Eine Treppe bringt mich hinauf, vor mir ein abgestellter Zug der Arosabahn, der noch zu umgehen ist. Es ist warm, die Sonne wirft ein mildes Licht auf den Bahnhofsplatz, ich kaufe Brot, ein Stück Käse, setze mich auf eine Bank und esse.

Eigentlich ist es ganz angenehm, hier zu sein. Die Luft ist mild, es riecht nach Frühling, dagegen werden im Engadin die Wiesen erst jetzt langsam grün. In Chur dagegen sind die Straßencafés bereits gut gefüllt, die Leute sind leichter angezogen, ein Lachen liegt in der Luft.

Ein streunender Hund setzt sich vor mich auf den Asphalt und schaut mich mit großen Augen an.

»Na du?«, frage ich, er winselt leise.

Also teile ich den Rest des Brotes und den Käse mit ihm.

»Ah, un amico dei cani, ein Hundefreund, das gefällt mir!« Ein elegant gekleideter Mann im dunklen Anzug mit Aktentasche und Hut setzt sich zu mir auf die Bank. Umständlich nimmt er die Sonnenbrille ab und reibt sich die Augen.

»Allora? Wie läuft es so?«

»Nicht besonders«, brumme ich und werfe dem Hund einen letzten Bissen Brot zu. Geschickt fängt mein neuer Freund den Happen auf und verzieht sich damit unter die Bank.

»Wollen Sie etwas verdienen? Un piccolo lavoro, nichts Großes, eine Gefälligkeit für einen Freund.«

»Lavoro? Arbeit?« Dieses Wort verursacht mir immer wieder Übelkeit, da kann ich einfach nichts dagegen tun.

Der Fremde hebt beruhigend die Hände. »No, no, keine Angst, es ist nichts Anstrengendes, eher etwas für einen amico dei cani, für einen Hundefreund.« Und er lacht, dass seine Goldzähne blitzen.

»Können wir vielleicht später nochmals darüber reden?« Ich zeige auf die Uhr beim Bahnhof. »Ich habe um zwei eine Verabredung.«

»Kein Problem, dann treffen wir uns più tardi, später. Ich warte im Café auf dem Arcas.« Er steht auf und klopft mir freundlich auf die Schultern. »Ciao!«

Einen Moment noch schaue ich ihm nach. Was will der Mann von mir? Sehe ich aus wie einer, der dringend auf Arbeit angewiesen ist? Wie jemand, der hungert? Der Hund winselt, er bekommt noch eine Portion Streicheleinheiten, mehr kann ich im Moment nicht bieten. Dann nehme ich meine Reisetasche und gehe die Bahnhofstrasse hinauf Richtung Kunsthaus.

2.

Wenn ich es mir recht überlege, ist das mit der Kunst keine schlechte Idee. Ich sehe mich bereits in der Uniform eines Museumswächters mit blinkendem Namensschild. Unbeweglich würde ich neben einer modernen Skulptur stehen und mir amüsiert die Kommentare der ratlosen Museumsbesucher anhören. Es gibt anstrengendere Methoden, um an Geld zu kommen.

Die Bahnhofstrasse führt leicht ansteigend hinauf zum Postplatz, dem Tor zur Altstadt von Chur. Rechts stehen mächtig und etwas angestaubt die traditionsreichen Warenhäuser Globus und Manor, links davon befinden sich in den Überbleibseln eines vormals stattlichen Parks zwei Villen. In der größeren ist die Verwaltung der Rhätischen Bahn beheimatet. Rechts davon steht die Villa Planta, ein protziger Bau von zurückhaltender Schönheit, der das obere Ende der Bahnhofstrasse markiert.

Ehrfürchtig betrete ich das Kunsthaus. Hier würde ich in Zukunft arbeiten. Einen Moment bleibe ich in der verglasten Veranda stehen, ziehe die Luft ein, schaue mich um. Links ein Raum mit Schließfächern, rechts die bescheidene Cafeteria.

Die Frau im cremefarbenen Wollkleid will mich aufhalten an der Kasse, es sei nicht erlaubt, mit einer Tasche das Museum zu betreten. Ich stelle mich vor, zeige ihr das Inserat aus der Zeitung.

Sie lächelt reserviert, führt mich dann vorbei an einigen großformatigen Bildern, »Angelika Kaufmann«, sagt sie beiläufig. Marmorboden, Säulen, hohe Räume, links ein Lichthof. »Nicht einfach, hier Kunst zu präsentieren, vor allem nicht moderne Werke!«, erklärt sie, klopft dann an einer Tür und öffnet.

»Herr Fritschi, Claudio Mettler aus St. Moritz ist da.« Dann macht sie Platz und lässt mich vorbei.

Paul Fritschi, der Direktor des Bündner Kunsthauses, empfängt mich in seinem kleinen Büro. Braun gebrannt, sportliches Hemd, Jeans. Kein Anzug, keine Krawatte. Er bietet mir den Besucherstuhl an und setzt sich mit verschränkten Armen auf die Kante seines mit Papieren überladenen Schreibtisches.

»Willkommen in der Villa Planta! Kennen Sie die Geschichte des Hauses?«

Ich schüttle den Kopf.

»Die Familie von Planta machte ihr Geld mit dem Baumwollhandel und dem Eisenbahnbau in Ägypten. Die letzten weiblichen Nachkommen der Familie schenkten die Villa dem Kanton mit der Auflage, ein Kunsthaus einzurichten. Außerdem bescherten sie Chur eine Frauen- und Geburtsklinik.«

»Interessant«, sage ich und versuche, ein Gähnen zu unterdrücken.

Fritschi räuspert sich. »Mögen Sie Kunst, Mettler?«

Ich höre den spöttischen Unterton in seiner Stimme. Daher lasse ich mich nicht auf eine Diskussion über die toten Helden und lebenden Hungerleider der Bündner Kunstgeschichte ein. Zurückhaltung und Bescheidenheit, besser, ich versuche gar nicht erst, mit meinem lückenhaften Halbwissen über die gezeigten Bilder und Statuen zu glänzen und mich dabei lächerlich zu machen.

So reagiere ich mit einer Gegenfrage: »Sie haben Arbeit für mich?«

Er mustert mich schweigend, nickt dann. »Können Sie mit einem Rasenmäher umgehen?«

»Was hat das mit Kunst zu tun?«

»Morgen Abend, Herr Mettler, werden wir einige ausgesuchte Statuen hier im Park präsentieren, ein gepflegter Rasen gehört dazu.«

»Ich verstehe nicht ganz …«

»Melden Sie sich bitte morgen um acht beim Empfang, dann werden wir weitersehen.« Fritschi steht auf.

»Hat nicht Joseph Beuys gesagt, dass jeder Mensch ein Künstler ist?«, werfe ich ein. »In diesem Bereich kann ich mich sicher nützlich machen!«

»Beuys hätte sicher nichts gegen die Kunst des Rasenmähens einzuwenden«, sagt der Direktor und lächelt kühl. Die Audienz ist beendet.

Die Dame am Empfang entlässt mich mit einem distanzierten Kopfnicken.

Dann stehe ich draußen auf der Straße mit meiner Reisetasche. Mein Freund Reto Müller kommt mir in den Sinn.

»Besuch mich, wenn du mal in Chur bist, Claudio. Meine Tür steht immer für dich offen!«

Reto ist ein Macher, einer, der überall ein Geschäft wittert, der Bedürfnisse erkennt und entsprechende Angebote entwickelt, bevor die Konkurrenz zur Stelle ist, auch bevor die Kundschaft selbst weiß, was sie wirklich braucht. Seine Karriere begann Müller als Mitarbeiter beim Kurverein St. Moritz. Er bediente Gäste am Telefon und am Schalter, buchte Zimmer und organisierte Ausflüge. Oft musste er Leute abweisen, denn in den klaren Strukturen des Tourismusbüros gab es keine Möglichkeiten, um sehr spezielle Wünsche zu erfüllen. Schnell merkte er, dass in der Tourismusbranche jenseits der öffentlichen Organisation viel Geld zu verdienen ist, vorausgesetzt, man hatte keine Skrupel und wusste, wie man es anpackte.

So machte sich Müller selbstständig, er betrieb einen Limousinenservice, brachte die reichen Gäste vom Flugplatz in Samedan zu ihren Villen in St. Moritz und von den Villen zum Shopping, zu den Restaurants und Clubs. Auch sonst organisierte er dies und das für seine illustren Kunden, ihre Wünsche konnten noch so ausgefallen sein. Er besorgte alles für die kleinen und großen Räusche der Sinne, kannte Anwälte und Notare, Richter und Clubbesitzer, kassierte und verteilte.

Dabei bewegte er sich des Öfteren mal am Rand der Legalität, er verstand es aber immer, mit sauberen Händen dazustehen. Bei heiklen Aufgaben standen ihm stets Leute zur Seite, die bereit waren, für ein paar Hunderter Nebenverdienst einiges zu riskieren; Leute wie ich eben.

»Meine Gäste«, sagte Müller, wenn er etwas zu viel getrunken hatte, »sind stinkreich, darum können sie sich den Luxus erlauben, ohne Moral zu leben. Ich hingegen kann mir nur Luxus leisten, weil ich ohne Moral lebe.«

Mit seinem Bierbauch unter der Lederweste, den dunklen, öligen Haaren, die hinter dem Kopf zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden sind, dem Dreitagebart im breiten Gesicht ist er eine eindrückliche Erscheinung, nichts bringt ihn aus der Ruhe – außer vielleicht ein Anruf seiner Mutter, bei der er bis vor Kurzem immer noch lebte.

Im Februar verkaufte Müller überstürzt seinen Limousinenservice, gab seine Geschäftsräume auf und zog Hals über Kopf nach Chur. Irgendetwas war bei einem Deal schiefgelaufen, er war wohl einigen einflussreichen Leuten zu sehr auf die Zehen getreten. Es erschien ihm ratsam, eine Weile aus dem Engadin zu verschwinden. Selbst seine Mutter hätte ihn nicht zurückhalten können.

Müllers Wohnung muss irgendwo hinter dem Postplatz sein. Bei der nächsten Telefonkabine rufe ich die Auskunft an und bekomme für einige Münzen die gesuchte Adresse, schleppe die Reisetasche zwei Straßen weiter und dann noch hinauf bis ins dritte Stockwerk.

›Müller Enterprises‹ steht auf einem protzigen Türschild. Typisch Reto.

Trotz mehrmaligem Klingeln öffnet niemand. Schade, er ist nicht zu Hause. Weil ich nicht weiß, wohin ich sonst gehen soll, lasse ich die Reisetasche vor der Tür stehen und schreibe ihm einen Zettel.

Hoffentlich ist Reto nicht irgendwohin in die Ferien gefahren.

Ohne die schwere Reisetasche fühle ich mich gleich viel besser. Der Mann von heute Mittag kommt mir in den Sinn, der Mann, der einen Auftrag für einen Hundefreund hat. Ein Auftrag bedeutet Geld, bedeutet Essen, bedeutet eine schnelle Rückkehr nach St. Moritz. Da ich nichts anderes zu tun habe, beschließe ich, ihn zu treffen. Ich schlendere durch die Altstadt, vorbei an der reformierten Martinskirche, die eingeklemmt zwischen den Häusern unterhalb des Hofes steht. Hier die stolze, reformierte Pfarrkirche, oben die pompöse Kathedrale, Sitz des Bischofs von Chur, abgehobener und reichlich konservativer Herrscher über weit verstreute und doch widerspenstige Gläubige. Gleich hinter dem Martinsplatz führt ein schmaler Durchgang hinaus auf den Arcas. Lange konnten die Churer wenig mit diesem Platz anfangen, er war zu groß, zu leer, lag nicht im Zentrum, hatte keine Tradition. Da die Verkehrsplaner nun einmal die Fläche zwischen den Häusern von den Autos befreit hatten, begann eine zögerliche Inbesitznahme des Arcas. Markttreiben an Samstagen, im Sommer eine Freilichtbühne, spielende Kinder und kaffeetrinkende Mütter sowie in die Sonne blinzelnde Müßiggänger.

Die Tische vor den Restaurants sind auch heute gut besetzt, ich brauche eine Weile, bis ich den Italiener hinter einer Zeitung entdecke.

»Fame? Haben Sie Hunger? Ich würde Sie gerne einladen.« Er schaut sich die Speisekarte an und bestellt uns Wein und etwas zu essen.

»Salute, zum Wohl. Io sono Marco Morandi.« Er hebt sein Glas.

»Ich bin Claudio Mettler, freut mich. Um was geht es bei dieser Arbeit?«

»Ma no, Signore Mettler, erst das Essen, dann il lavoro.«

Wir schauen auf den Platz hinaus, Kinder spielen am Brunnen, junge Leute mit Schultaschen gehen vorbei, Frauen bummeln schwatzend über das Pflaster.

Es wird aufgetragen, mir wird bewusst, dass ich heute noch nichts Ordentliches im Magen hatte, wir essen, prosten uns zu, unterhalten uns über Hunde, dann über Kunst.

»Kennen Sie Giacometti?«

»Alberto Giacometti? Ich bin sozusagen Experte für Moderne Kunst, ich arbeite hier im Kunsthaus.« Eine meiner Schwächen – und da gibt es laut Mona einige – ist die der Übertreibung. Aber den Bergeller Künstler, der in Paris zu Weltruhm kam, kennt wirklich fast jedes Kind, er ist auf der Hunderternote abgebildet, seine dünnen Skulpturen stehen in vielen bedeutenden Sammlungen und werden bei Auktionen zu Rekordpreisen gehandelt.

»Che fortuna! Was für ein Glück für mich, sehen Sie, ich habe einen Freund, dieser Freund liebt Hunde, und er liebt Giacometti und …« Morandi erstarrt mitten im Satz, springt dann eine Entschuldigung murmelnd auf und hastet hinüber zu einem Japaner, der am Rand des Platzes steht, dem Italiener zuwinkt und Häuser fotografiert.

Gemächlich leere ich meinen Teller und sehe, wie Morandi mit dem Japaner intensiv diskutiert, denn Morandi gestikuliert wild mit den Händen, er zeigt auch immer wieder zu mir herüber. Ein Radfahrer quert den Arcas, er weicht einem hinkenden Rentner aus und verschwindet am unteren Ende des Platzes. Dann schaue ich zwei Kindern zu, die sich am Brunnen nass spritzen, eine Mutter schimpft, und als ich mich wieder umdrehe, sind Morandi und der Japaner verschwunden.

»Kann ich abräumen? Oder kommt der Herr noch?« Die freundliche Bedienung deutet auf Morandis halb vollen Teller, ich schüttle den Kopf, sie stellt die Teller zusammen.

»Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«

Wieder schüttle ich den Kopf. Da habe ich mich ganz schön reinlegen lassen. Von wegen Einladung. Nun sitze ich da und muss wohl die ganze Rechnung begleichen, dabei habe ich selbst nur noch knapp neunzig Franken in der Tasche.

Gleich kommt der peinliche Moment, gleich wird man mir mit einem professionellen Lächeln und in Erwartung eines ordentlichen Trinkgeldes die Rechnung präsentieren. Schnell habe ich unsere Ausgaben zusammengerechnet, meine neunzig Franken würden knapp ausreichen, hätte Morandi nur einen billigeren Wein gewählt. Nebst den Schulden hat mir Morandi nichts anderes zurückgelassen außer einer Streichholzschachtel, die ich einstecke.

Die Schatten wandern über die Fassaden, ich trinke langsam den teuren Wein und sehe zu, wie der Platz sich allmählich leert. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie die Serviertochter rundherum einkassiert.

»Bringen Sie mir bitte einen Espresso und die Rechnung, ich muss noch schnell …«

»Aber …«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, gehe ich zum Haus hinüber, die Jacke lasse ich hängen, das macht einen besseren Eindruck, wirkt weniger verdächtig. Ein Zechpreller lässt seine Jacke nicht hängen, er rennt einfach so davon.

Die Klos sind im Untergeschoss, ein mittelalterlich anmutendes Treppenhaus führt mich hinunter in die Tiefen Churs. Dunkle Holztüren, Schieferplatten, moderne Sanitärinstallationen. Die Fenster hier unten sind klein, nur ein enger Lichtschacht führt nach oben. Da komme ich unmöglich raus. Verzweifelt betrete ich eine der Kabinen, reiße so viel Papier wie möglich von der Rolle und mache einen kleinen Haufen am Boden. Dann ziehe ich Morandis Streichholzschachtel aus der Tasche und zünde den Haufen an. Im allgemeinen Durcheinander eines Feuers würde ich verschwinden können.

Draußen geht die Wasserspülung, ein Handy spielt die Elise von Beethoven.

»Ja? … Nein, Mama, nicht jetzt …. Aber Mama, ich bin in einer wichtigen Besprechung! … Sicher, Mama, ich rufe zurück, kein Problem Mama, ich vergesse es nicht.«

Mein Feuer qualmt immer mehr, der Kerl da draußen soll mit seiner Mutter endlich verschwinden, damit ich »Feuer, Feuer!« schreien und abhauen kann. Beißender Rauch breitet sich aus, ich beginne zu husten.

»He, was machst du da drin, bist du verrückt geworden!« Der Mann mit dem Beethoven-Handy hämmert gegen meine Klotüre. »Lebst du noch?«

Ich sehe kaum noch etwas, meine Augen tränen, atmen kann ich auch nicht mehr, so gebe ich auf, entriegle die Türe und beginne, das Feuer auszutreten. Der Mann hilft mir, reißt dann alle Fenster auf, damit der Rauch abziehen kann, bevor die Brandmelder Alarm auslösen. Nach wenigen Minuten ist meine kümmerliche Brandstiftung Geschichte, eine lahme Erinnerung. Ich stehe da und starre verlegen auf meine Schuhe.

»Wolltest du dich mit WC-Papier verbrennen?« Er lacht, während ich mir kaltes Wasser über das Gesicht laufen lasse. »Mettler, Mettler, etwas mehr Stil hätte ich dir schon zugetraut.«

Langsam trockne ich mir das Gesicht ab. Vor mir steht in voller Körperfülle inklusive Lederweste und Dreitagebart … Reto Müller.

»Hör auf zu lachen, Reto, ich stecke in der Klemme, oben wartet das Personal mit einer astronomischen Rechnung auf mich, und ich habe kein Geld.«

»Das ist doch kein Grund, die ganze Churer Altstadt einzuäschern, oder?« Müller zieht eine fette Brieftasche hervor und gibt mir zwei Hunderter. »Reicht das? Oder brauchst du meine Hilfe sonst noch?«

»Vor deiner Wohnung steht meine Reisetasche, wenn es geht, würde ich gerne ein paar Nächte bei dir schlafen.«

»Mettler, du bist doch mein Freund, und du weißt, dass ich dir keinen Wunsch abschlagen kann.« Müller streicht sich über seine eingeölten Haare und prüft nach, ob sein Schwänzchen richtig sitzt.

»Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.« Langsam steigen wir die Treppe hinauf.

»Das, mein Freund, werde ich dir heute Abend genau erklären!« Müller klopft mir auf die Schulter. »Um sieben bei mir in der Wohnung. Pünktlich!«

Drüben am Tisch steht mein kalter Espresso. »Kann ich bitte zahlen?«

»Das wollte ich Ihnen schon vorher sagen«, flötet die Bedienung zuckersüß, »ihre Konsumation wurde bereits beglichen!«

»Und wer, bitte schön, hat bezahlt?«

»Ein Japaner, er hat auf Sie und den anderen Mann gezeigt und gesagt, das gehe alles auf seine Rechnung.«

»Und wo finde ich diesen Wohltäter? Schließlich will man sich doch bedanken.«

»Er hat gesagt, er warte vor der Martinskirche auf Sie!« Die junge Frau zuckt mit den Schultern und beginnt dann, die Tischtücher einzusammeln.

3.

Es ist kühl geworden, die spielenden Kinder und ihre Mütter sind verschwunden, der Platz liegt im Schatten. Ich ziehe meine Jacke an, durchquere den schmalen Durchgang zwischen den Häusern und komme auf den Martinsplatz.

Vor der Martinskirche steht ein Japaner und fotografiert das Portal. Lächelnd dreht er sich zu mir um und schaut mich irgendwie dankbar an, als hätte ich ihm höchstpersönlich dieses schöne Fotosujet hingestellt. Schauen wir mal, was der Mann von mir will. Aus purer Menschlichkeit wird er mir wohl kaum ein Essen spendiert haben.

»Hallo, Mister Mettler, wie geht es?«

»Kennen wir uns?«, knurre ich unfreundlich, denn für heute ist mein Bedarf an neuen Bekannten bereits ausreichend gedeckt.

»Aber sicher, sicher, Mister Mettler, Sie sind ein Freund meines Freundes Marco Morandi. Die Freunde meiner Freunde sind auch meine Freunde!« Dazu lächelt er wieder breit und zeigt mir alle seine Zähne.

»Aha!« Dass Morandi, der mich auf dem Arcas versetzt hat, ohne mir zu sagen, um was es bei diesem Treffen wirklich ging, dass er also mein Freund sein soll, ist mir nun wirklich neu. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«

»Sie haben mit Morandi gesprochen, er sagte mir vorhin, dass Sie ein guter Mensch sind!«

»Natürlich bin ich das!«, fahre ich ihn etwas zu grob an. Ein guter Mensch vielleicht, mehr aber auch nicht, denke ich, nicht mal eine ordentliche Zechprellerei bringe ich zustande.

»Da bin ich ja beruhigt!« Wieder lächelt mich der Japaner freundlich an und zeigt auf die Häuser ringsherum. »Ich liebe die Schweiz!«

»Schön«, brumme ich immer noch ziemlich irritiert. Diese asiatische Unergründlichkeit macht mich einfach fertig. »Dann gehe ich jetzt mal.«

Der Japaner hält mich am Arm fest und schaut mir in die Augen, diesmal mit einem ernsten Gesicht. »Und? Machen Sie es?«

»Was fragen Sie mich, fragen Sie Morandi.«

»Er hat gesagt, ich soll Sie fragen!«

Die ganze Geschichte ist mir doch etwas zu kompliziert. Wie war das noch? Morandi sollte mich fragen, ob ich etwas für den Japaner erledige. Oder ist es gerade umgekehrt?

»Und was, bitte schön, soll ich machen?«

»Das mit dem Hund, mit dem Hund von Giacometti, Morandi hat mir gesagt, dass Sie ihn mir besorgen können.«

Ich kapiere überhaupt nichts, aber höflich wie ich bin, nicke ich. »Wie viel ist Ihnen dieses Tier wert?«

»Es gibt 8.000 Franken in bar für Sie. Morandi hat gesagt, dass Sie ein Hundefreund sind.« Er zieht ein paar Hunderter hervor und steckt sie mir in die Tasche. »Spesenentschädigung!« Er grinst, dann gibt er mir noch ein eng beschriebenes Blatt. »Hier haben Sie noch die Liste meiner Hotelunterkünfte in Graubünden. Morandi wird Sie im Auge behalten. Wenn Sie den Hund haben, dann rufen Sie mich an. Auf Wiedersehen, Mister Mettler, enttäuschen Sie mich nicht.«

›Tashi Kubashi‹ steht oben auf der Liste, dazu ein paar Hoteladressen. Ich schaue ihm nach, wie er noch einige Fotos macht, dann einen Laden betritt. Langsam schlendere ich weiter auf den Postplatz zu. Endlich habe ich eigenes Geld in der Tasche, zwar ist es noch nicht richtig verdient, aber immerhin. Und der Japaner Kubashi hat mir noch mehr versprochen. 8.000 Franken sind viel Geld, was der Japaner wirklich dafür will, ist mir aber nicht ganz klar.

Als ich gegen sechs den Postplatz erreiche, sehe ich Marco Morandi in der Storchengasse verschwinden. Zufall? In Chur gibt es keine Zufälle. Die Bündner Kapitale ist eben eine kleine Stadt, wenn man jemanden sucht, wird man ihn früher oder später hier auf dem Postplatz vor dem Restaurant Calanda treffen. Mit Morandi habe ich Glück, den sehe ich, ohne ihn gesucht zu haben, ich hetze hinterher, will ihn fragen, was es mit diesem Hund und dem Japaner auf sich hat.

Morandi scheint es eilig zu haben, er hastet über den Platz vor dem Grauen Haus, dem Sitz der Bündner Regierung, und verschwindet dann um eine Ecke. Als ich dort bin, habe ich ihn verloren. Ich schaue in den Karlihof, einen Innenhof, der in ein Gewirr von Gassen, Höfen und Gärten mündet. Nichts. Nun nehme ich mir als Nächstes die Schaufenster der Geschäfte am Platz vor. Ich will schon aufgeben, da entdecke ich einen Mann in einem dunklen Anzug, der in der Kunsthandlung Giovanelli steht. Das könnte Morandi sein, ich bücke mich, um besser sehen zu können. Und wirklich, Morandi steht im Laden und spricht wild gestikulierend mit jemandem, den ich nicht sehen kann. Vorsichtig schleiche ich um die Ecke, komme zum nächsten Schaufenster und schaue unauffällig hinein. Nun sehe ich den zweiten Mann. Neben Morandi steht zu meinem Erstaunen Fritschi, mein neuer Vorgesetzter aus dem Kunsthaus Chur.

Es ist vielleicht besser, wenn sie mich nicht sehen. Sie sollen nicht denken, dass ich ihnen hinterherspioniere, sonst bin ich morgen bereits wieder arbeitslos. Unauffällig schlendere ich weiter und versuche, mir einen Reim auf dieses Treffen zu machen. Was haben Morandi und Fritschi zusammen zu schaffen? Was Morandi und der Japaner?