Hypatia von Alexandria - Zacharias Amer - E-Book

Hypatia von Alexandria E-Book

Zacharias Amer

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Beschreibung

Hypatia (370-415) ist eine neuplatonische Philosophin, die im ägyptischen Alexandria gelebt und Philosophie, Mathematik und Astronomie gelehrt hat. In Hypatia verbanden sich Geist und Schönheit, Anmut und Würde, deswegen wurde sie von ihren Verehrern als göttliche Erscheinung angehimmelt, von ihren Gegnern hingegen als Zauberin, die mit ihren satanischen Künsten viele Menschen behexte, verleumdet. Die Tochter des Mathematikers Theon war eine herausragende Persönlichkeit, die als gerecht und besonnen galt. Zu ihr pilgerten die Schüler von überall her. Im Jahre 415 wurde sie vom fanatischen Mob auf bestialische Weise ermordet. Alles, was an sie erinnerte wurde getilgt, doch ihr Name überlebte und regt die Fantasien nach wie vor. Voltaire sah sie als Vorläuferin der Aufklärung an und Schiller spielte mit dem Gedanken, ein Drama über sie zu schreiben. Die IS-Horden, die zurzeit in vielen Gegenden der Welt ihr Unwesen treiben, sind vom fanatischen Mob des 5. Jhdt. in nichts zu unterscheiden: beide zeichnen sich durch Engstirnigkeit, Intoleranz und Fanatismus aus. Sie zerstören Kulturgüter und hinterlassen überall, wo sie hinkommen, eine Spur der Verwüstung, beiden war und ist die Frau das beliebteste Hassobjekt. So gesehen hat sich in 1600 Jahren nicht viel verändert. Nach Hypatias Tod verlor das hellenistische Alexandria seine Bedeutung als geistiges Zentrum der antiken Welt und versank in die Bedeutungslosigkeit, in dem es bis zum heutigen Tag verharrt.

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Seitenzahl: 140

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Zacharias Amer

 

Hypatia von Alexandria

 

Drama

 

 

epubli

 

 

 

 

Impressum

 

© 2015 Zacharias Amer

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN: 978-3-7375-3966-1

 

 

 

 

 

 

 

Wenn ich Dich seh', Dein Wort vernehm', bet ich Dich an,

Der hehren Jungfrau sternbedecktes Haus erblickend;

Denn auf den Himmel nur erstreckt sich all Dein Tun,

Du jeder Rede Zier und Schmuck Hypatia,

Der höchsten Weisheit reiner, unbefleckter Stern.      

Palladas – um 400      

P e r s o n e n :

 

 

Hypatia

 

TheonIhr Vater

 

CyrillPatriarch von Alexandria

 

OrestesRömischer Statthalter von Ägypten

 

SynesiosPhilosoph, Bischof, Schüler

und Freund der Hypatia

 

Petrus (der Vorleser) Diakon

 

Zwei Freunde, Schüler der Hypatia:

Lysander

Ophelion

 

Mönche, Bürger, Trabanten

 

Spielzeit: Alexandria zwischen 390 u. 415

 

 

*******

I.

 

1

Synesios / Hypatia

Hypatia ist in ein leichtes jonisches Gewand gekleidet, das die Konturen ihres Körpers erkennen lässt. Die großen braunen Augen, das lange dunkle Haar lassen die schönen Gesichtszüge majestätisch wirken. Nach der herzlichen Begrüßung schaut Synesios sie bewundernd an, streichelt mit der rechten Hand seinen kahlen Kopf.

Synesios: Du bringst meine Theorie völlig durcheinander.

Hypatia: Welche Theorie denn, lieber Synesios?

Synesios: Die Theorie der Kahlköpfigkeit. Ich bin nämlich der Ansicht, dass Verstand nur dort zu finden ist, wo keine Haare vorhanden sind, und du widersprichst dieser Theorie so gänzlich, dass ich darüber noch einmal nachdenken muss.

Hypatia: Danke für das Kompliment, wird der einfältige Satz: Ausnahmen bestätigen die Regeln dich ein wenig beruhigen?

Synesios: Ich muss mich damit abfinden; denn prachtvollere Haare und noch prachtvolleren Verstand habe ich bis dato bei keinem Menschen gesehen wie bei dir. Es ist so: die Natur hat uns mit Haaren gesegnet und diese tragen zur Schönheit wesentlich bei. Was macht aber einer wie ich, den die Haare so früh verlassen haben? Als ich bemerkte, wie sie meine Gegenwart verschmähen, fühlte ich mich dermaßen unglücklich und wünschte mir gar den Tod. Der Anblick meines geplünderten Kopfes betrübte mich zusehends (Hypatia lacht). Ich fragte mich, welches Unrecht habe ich begangen, dass ich den Frauen immer weniger attraktiv erscheine? Wie kann eine von denen einen solchen kahlen Kopf lieben? Trotz meines Nachsinnens oder vielleicht gerade deswegen, beeilten sich die Haare und zogen noch schneller von dannen. Auf so einem trübsinnigen Kopf hielt es keines von denen länger aus. Ich hatte keine andere Wahl als mich mit dem Unglück abzufinden und es, so gut es geht, mit Würde zu tragen. So schrieb ich ein Klagelied auf mein Haupthaar.

Hypatia: Du machst mich sehr neugierig.

Synesios: Die Quintessenz meiner Theorie besagt: dort, wo der Verstand einzieht, müssen die Haare weichen, und wo kein Verstand ist, machen sie sich breit; denn Verstand und Haarwuchs warten nicht aufeinander, sondern gehen wie Licht und Dunkelheit einander aus dem Weg. Wo der Verstand am wenigsten zu Hause ist, etwa beim Kind, ist die Haarpracht am schönsten, im Alter hingegen, wo der Mensch seine geistige Reife erlangt, ist der Kopf häufig kahl. Etwas Totes sind die Haare. Gerade die Lebewesen mit dem wenigsten Verstand sind am ganzen Körper damit bedeckt. Es ist unbestritten, dass von all dem Vieh das Schaf das einfältigste ist und bei ihm wachsen die Haare bekanntlich nicht einzeln, sondern in dichten Büscheln.

Hypatia: Was vollendet ist, braucht keinen Schmuck mehr. Alle großen Köpfe waren kahl, Diogenes, Sokrates... Und galt nicht der Silen mit seinem starken Bart- und Haarwuchs in der Bildenden Kunst grundsätzlich als hässlicher Gesell?

Synesios: Das tröstet mich sehr.

Hypatia: Bei deiner amüsanten Theorie stehe ich ganz auf deiner Seite; denn nur die Kahlköpfe sind den Göttern ähnlich. Als der heimkehrende Odysseus sich daran machte, die Fackeln anzuzünden und die Dunkelheit zu verbannen, da lachten ihn die Freier aus und sagten, er solle es doch lieber sein lassen, denn sein kahler Kopf genügt schon, das ganze Haus zu erleuchten. Damit machten sie ihm ungewollt das schönste Kompliment und erhoben ihn in die Nähe der Göttlichkeit. Denn er sei wie jene fähig, Licht zu haben und es zu erzeugen.

Synesios: Herrlich, besser hätte ich es auch gar nicht schreiben können.

Hypatia: Ach, Synesios, ich bewundere wirklich deinen Scharfsinn und ich kaufe es dir nicht ab, dass du über deinen kahlen Kopf besorgt bist. Hingegen machtest du beim heutigen Vortrag auf mich einen ziemlich zerstreuten Eindruck oder irre ich mich?

Synesios: Das Problem ist, wer zu deinen Füßen sitzt, der kann sich schlecht konzentrieren. Deinem Vortrag zu lauschen, ist das Höchste, was mir bis jetzt widerfahren ist. Ich sehe vor mir eine Göttin, die nicht um Aufmerksamkeit bittet, sondern eine, die angebetet werden sollte. Immer wieder erwische ich mich bei meiner Zerstreutheit. Meine Gedanken schweben dahin und dorthin und ich ermahne mich, aufmerksamer zu sein, um keines deiner Worte zu verpassen. Als ob der himmlische Vater mit mir spräche, lausche ich und versinke im Gebet. Wer deinem Vortrag lauschen darf, kann sich getrost zu den Auserwählten zählen.

Hypatia: Liebster Synesios, ich fürchte, ich habe dich völlig verhext.

Synesios: Ach, wenn dem so wäre! Kann es denn überhaupt was Besseres geben? Meine Tage in Alexandria, zu deinen Füßen sind die schönsten Tage meines Lebens und wenn ich in die Kyrenaike zurückkehre, werde ich nur noch von dir träumen, denn dein Bild trage ich in mir und es wird mich nie wieder verlassen, komme, was wolle.

Hypatia: Eine andere an meiner Stelle würde sich bei all den schönen Worten darauf etwas einbilden.

Synesios: Wenn ich alles sagen könnte, was ich empfinde, würde ich nie ein Ende finden und doch ist jedes Wort wahr empfunden. Bevor ich dich sah, hörte ich andere von dir reden und von deinem Vortrag schwärmen und dachte, dass die Menschen immer so übertreiben müssen! Nun erkenne ich, es war alles untertrieben. Denen fehlten die Worte, um ihren Empfindungen Ausdruck zu verleihen, um deine himmlische Erscheinung zu beschreiben.

Hypatia (etwas verlegen): Deine Schrift über die Kahlköpfigkeit wird mich sehr interessieren.      

Synesios: Ich hatte ohnehin vor, es dir zu widmen und werde sehnsüchtig auf dein vernichtendes Urteil warten. (Er erhebt sich und reicht ihr ehrerbietig die Hand).       

2

Lysander und Ophelion, zwei Hypatia-Schüler, in weiße Philosophenmäntel gekleidet, laufen an einer Gruppe Mönche vorbei. Die Mönche, in ihren schwarzen Kutten, hocken auf dem Boden und beäugen die beiden missfällig.

Lysander (weist mit dem Auge auf die Mönche): Riechst du den widerlichen Geruch, der herüberströmt.

Ophelion: Es sind Gottesmänner und sie riechen nicht eklig, sie duften.

Lysander: Hör mit dem Unsinn auf. Sie stinken erbärmlich. Ich wundere mich, dass noch keiner von denen am eigenen Gestank gestorben ist. Als Todesursache steht dann geschrieben: „erstunken“ (er lächelt).Wenn ich die sehe, wird mir übel. Sie bevölkern inzwischen die Stadt und werden tagtäglich immer mehr.

Ophelion: In der Tat. Wie schäbig muss eine Religion sein, deren Verteidiger derart beschaffen sind. Letztendlich werden diese Elenden den Sieg davontragen, einfach weil sie zahlenmäßig überlegen sind.

Lysander: Mit anderen Worten, der Sieg der Kirche ist eine rein mathematische Angelegenheit.

Ophelion: So sehe ich das. Doch sie werden bleiben, was sie sind: verkrüppelte Geister, sie werden lügen und betrügen, rauben und morden, nach Reichtum schielen. Gott schieben sie nur vor, er hat nur eine Alibifunktion. Er ist gewissermaßen der Steuermann eines Piratenschiffs. Der Patriarch ist wahrlich ein guter Psychologe. Er weiß, wo er seine Leute rekrutiert. Sie sind seine Schutztruppe und wie ich ihn kenne, heckt er etwas aus und wartet auf den richtigen Zeitpunkt.

Lysander: Du machst mir Angst.

Ophelion: Sie ist auch berechtigt. Ich sehe dunkle Wolken heraufziehen. Alexandria ist auf dem besten Weg, völlig vermöncht zu werden. Ich bin wütend, ich bin total wütend. Allein der Anblick dieser Menschen ekelt mich an, mit ihren Bärten, ungepflegtem Äußeren, diese hohlen Gesichtsausdrücke, die raubtierartigen Blicke ihrer bestialischen Augen, ihrer nach Blut riechenden Atemzüge!

Lysander: Blut riecht nicht, du Lümmel.

Ophelion: Halt deinen Schnabel. Es hat zu riechen. Wenn der Mensch ein Abbild Gottes sein soll, wie sie behaupten, dann muss dieser Gott ein asozialer Landstreicher sein.

Lysander (ruhig, beinah ängstlich):Was wird aus uns?

Ophelion: Sie werden uns hinausjagen. Für sie sind wir der Stein des Anstoßes.

Lysander: Und was ist mit dem Präfekten, mit der Philosophin? Warum unternehmen sie nichts?

Ophelion: Der Präfekt ist eine schäbige Kreatur und ist bis über die Ohren in die Philosophin verliebt. Sie weiß aber nichts mit ihm anzufangen.

Lysander: Aber er ist doch Stellvertreter des Kaisers. Er kann in die Hauptstadt schreiben und um Hilfe bitten.

Ophelion: Ach, Freundchen. Du bist noch geistloser als ich dachte.

Lysander (Mit Drohgebärde): Nimm dich ja in Acht.

Ophelion: Der ganze Kaiserhof ist ein einziger Sumpf, dort herrschen Weiber, Eunuchen und Sklaven. Wer etwas erreichen will, muss erst einmal die ganze Meute bestechen und genau das tut der Patriarch. Abgesehen davon, in Konstantinopel hat man andere Sorgen. Dort wimmelt es nämlich von Theologen. (Er bleibt stehen ... lacht): Neulich las ich, was einer über diese Stadt geschrieben hat: „diese Stadt“, schreibt er „ist voll von Handwerkern und Sklaven, die alle tiefgründige Theologen sind und in den Läden und auf den Straßen predigen. Wenn du von einem Mann ein Geldstück gewechselt haben willst, wird er dich zunächst darüber belehren, worin der Unterschied zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn besteht; und wenn du nach dem Preis von einem Laib Brot fragst, wird man dir an Stelle einer Antwort erklären, dass der Sohn dem Vater untergeordnet ist; und wenn du wissen willst, ob dein Bad fertig ist, wird der Bademeister dir antworten, der Sohn sei aus dem Nichts erschaffen worden“. Ist das nicht lustig?

Lysander: Ich weiß nicht, ob das lustig ist, schließlich muss ja die Frage entschieden werden, irgendwie! Ist der Herr nun eine Person, zwei Personen, drei Personen? Einer in zweien, zwei in dreien oder einer in dreien, drei in einem? Ist er ein Mensch, ein Gott oder beide zusammen, von jedem etwas? Ist er Vater oder Sohn oder Vater und Sohn zugleich? Hat er sich selbst gezeugt? Du siehst, es sind äußerst komplizierte Vorgänge, die ein scharfes Nachdenken erfordern; und der Herr Patriarch denkt Tag und Nacht darüber nach.

Ophelion: Ja, das tut er. Er will unbedingt sein Mariendogma durchsetzen.

Lysander: Was ist denn das schon wieder?

Ophelion: Er sieht Maria als Gottesgebärerin an.

Lysander: Ach, wenn weiter nichts ist, als dass Gott aus dem Schoß einer Sterblichen hervorgekrochen kommt!

Ophelion: Der Sohn dieser Sterblichen, mein Kind, ist aber nicht Gottessohn, sondern Gott und Mensch zugleich, wie du es vorhin unwissentlich geplappert hast. Das Leiden nahm er freiwillig auf sich, obwohl er, dank seiner Göttlichkeit, dem leicht aus dem Weg hätte gehen können.

Lysander: Wirklich sehr anständig. Welcher Gott tut dergleichen und lässt sich sogar kreuzigen, weil er seine Schafe so lieb hat.

Ophelion: Lästere nicht, du Bock. Eine Marienverehrung allein ließe sich gewöhnlich interpretieren, indem man etwa sagt: die Menschen rufen nicht nach Maria, sondern nach dem, was sie vermissen. Sie rufen nach der Mutter Gottes und haben doch ihre eigene im Sinne. Es sind ewige Kinder, die nach der Mutterbrust schmachten. Das sagt mir mein philosophischer Schädel.

Lysander: Wenn ich dich und deinen philosophischen Schädel nicht hätte!

Ophelion: Wärst du völlig verloren, Kindchen.

Lysander: Ich merke, du hast dich mit diesem Kram befasst.

Ophelion: Nur so am Rande. Eigentlich interessiert mich der Blödsinn überhaupt nicht, deswegen verfluche ich tagtäglich den Konkubinensohn.

Lysander: Wen verfluchst du? Wer ist denn das?

Ophelion: Der verfluchte Konkubinensohn ist kein anderer als Kaiser Konstantin, er hat dieser Sklavenreligion zum Sieg verholfen.

Lysander: Jeder weiß, dass es ein Machtkalkül von ihm war. Er war ein Machtpolitiker, der es verstanden hat, sich die neue Lehre nutzbar zu machen, So stützte er sich nicht auf die Philosophen, sondern auf die Bischöfe, und diese Armleuchter fingen damit an, zu predigen, dass jede Auflehnung gegen den Kaiser eine Sünde sei.

Ophelion: In der Tat kann bei ihm von einer tiefen Religiosität keine Rede sein. Er verchristlichte das Reich aus Eigennutz, der Barbar. Die Lehre vom Leben als ein Jammertal kam ihm sehr gelegen. Diese demütige Hinnahme der Ungleichheiten des Lebens, diese gefügigen Untertanen, die nur an ihr Seelenheil dachten und den Tyrannen als Gottgesandten sahen. Mit diesem genialen Schritt gewann er sogar die Soldaten des Gegners, obwohl bei ihm die Selbstsucht an oberster Stelle stand. Alles was seinen Plänen hinderlich war, schaffte er beiseite. Kaltblütig ließ er sogar seinen Schwiegersohn erhängen, seine Schwäger Licinius und Bassianus erwürgen, seine Frau Fausta im Bade ersticken und seinem Sohn die Kehle durchschneiden.

Lysander: Wahrlich ein sehr christlicher Kaiser.

Ophelion: Diesem Bluthund haben wir unsere Misere zu verdanken. Der Patriarch stützt sich auf dieses Lumpengesindel. Er holt sie hierher als eine Art Armee, auf die er im Notfall zurückgreifen wird. Nun will er diesen Notfall herbeireden, deswegen wirbelt er in der letzten Zeit viel Staub auf, der Bandit.

Lysander: Kann die verehrte Philosophin gar nichts unternehmen?

Ophelion: Hypatia, die reine Seele, schwebt in höheren Regionen und will ihre Seele nicht mit Politik beflecken. Sie erteilt zwar ab und an einen guten Rat, aber man hat das Gefühl, sie tut es eher unwillig oder nur, damit man sie in Ruhe lässt. Von ihr ist keine Hilfe zu erwarten. Dem Patriarchen ist sie in der Kunst der Intrigen hoffnungslos unterlegen. Ränke schmieden kann sie nicht. Sie will ihre Messinstrumente haben und über Platon und Plotin reden. Ich habe sogar das Gefühl, sie nimmt diese Mönche gar nicht wahr. Nur in ihre Lehre ist sie vertieft. Ich kann mir sogar gut vorstellen, dass sie in ihren schneeweißen Philosophenmantel gehüllt in der Stadt herumgeht und die reine Lehre vor jedem zum Besten gibt. Ob der Zuhörer in einen Philosophenmantel oder in eine Mönchskutte gehüllt ist, wird sie vermutlich gar nicht wahrnehmen.

Lysander: Ein Philosoph hat doch die Pflicht, in die Tagespolitik einzugreifen. Das hat sie selber, glaube ich, gesagt.

Ophelion: Eigentlich ist Kyrill ein ganz Dummer, denn er überschätzt den politischen Einfluss der Philosophin. Indem er den Orest bei ihr ein- und ausgehen sieht, denkt er, der bekommt seine Instruktionen von ihr, das ist nicht der Fall.

Lysander: Wie willst du das wissen? Du tust ja so, als ob du die beiden bei ihrer Unterhaltung belauscht hast.

Ophelion: Ich bin nun mal klüger als du.

Lysander: Ich hau dir gleich eine.

Ophelion: Ein Philosoph redet mit dem Mund, nicht mit den Händen, du Flegel. Sie kann dem Präfekten gar keine Ratschläge geben, weil sie die ganze Politik anwidert. Sie kann ihm Plotin`s drei Hypostasen erklären und jeden platonischen Dialog bestens interpretieren, fängt er aber mit Politik an, schläft sie garantiert gleich ein. Vom „gefräßigen Gebell der Materie“, wie es so schön heißt, hält sie sich fern. Dem Patriarchen geht es hingegen einzig und allein um Macht. Um sie zu erreichen, um seinen Einfluss zu vergrößern ist ihm jedes Mittel recht. Theophilos und Kyrill sind mit demselben - schmutzigen - Wasser gewaschen.

Lysander: Du machst mir ja Hoffnung.

Ophelion: Komm, lass uns ins Bad gehen und über etwas anders reden. (beide ab).

 

3

Arbeitszimmer von auffälliger Schlichtheit, die Wände sind kahl, nur ein Kreuz ist hinten an der Wand zu sehen. Links und rechts jeweils eine Tür; die linke führt ins Kircheninnere, die rechte zur Bibliothek und zu den Privaträumen. In der Mitte ein Schreibtisch, auf dem einige Papiere zerstreut liegen. Kyrill, ein etwa fünfzigjähriger Mann, das Gesicht schmal, die Augen tief, der Rücken ein wenig nach vorn gebeugt, sitzt am Schreibtisch und ist mit seinen Papieren beschäftigt. Dann erscheint Petrus links, bleibt an der Tür stehen bis er die Erlaubnis erhält, einzutreten...

Petrus: Ich hoffe, ich störe Euer Heiligkeit nicht.

Kyrill: Nein, du störst nicht, setz dich. Ich denke daran, der Philosophin einen Besuch abzustatten. Was hältst du davon?

Petrus (völlig überrascht): Euer Heiligkeit denkt ernsthaft daran, sich mit dieser verruchten Person zu treffen? Hoffentlich weiß sie, diese große Ehre zu schätzen.

Kyrill: Diese verruchte Person, wie du sie nennst, ist sehr mächtig, Petrus. Alle Persönlichkeiten, die in Alexandria Rang und Namen haben, pilgern zu ihr, bitten sie um Rat und hören auf ihre Meinung, vor allem diese Pfeife von einem Stadtpräfekten. Sie bezaubert nicht durch ihre Reize, sondern durch geistige Brillanz. Sie ist eine hochgelehrte Person, zu der man mit Bewunderung aufblickt. Nun muss uns gelingen, diesen starken Einfluss Schritt für Schritt zurückzudrängen, notfalls gehen wir bis zum Äußersten, um unsere Lehre und unsere Überzeugungen zu verteidigen.

Petrus: Haben Euer Heiligkeit konkrete Pläne.

Kyrill: Nein, ich habe keine Pläne und entwerfe auch keine. Ich werde in diesem Gespräch versuchen, sie zu bekehren.

Petrus: Na ja, wenn man ihre verdorbene Seele dadurch retten könnte, warum eigentlich nicht.