Xanthippe - Zacharias Amer - E-Book

Xanthippe E-Book

Zacharias Amer

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Beschreibung

Xanthippe, die Frau des griechischen Philosophen Sokrates, galt als der Inbegriff einer zänkischen Frau. Man hat ihr diese Rolle zugedacht, um das Bild des weisen, stoischen Philosophen, der alles geduldig erträgt, umso strahlender erscheinen zu lassen. Dabei war sie die Duldsame. Während ihr "Philosoph" in den Straßen und Gassen Athens herumlungerte, alles und jeden beschwatzend, sich weder um Haus, Kinder noch Frau kümmerte, hatte sie die ganze Last zu tragen. Unter dieser Vernachlässigung muss die aus gutem Haus stammende Frau, die als gebildet galt, sehr gelitten haben. Wäre sie zänkisch gewesen, so hätte sie allen Grund dazu gehabt. Denn in der hochentwickelten griechischen Kultur des 5. Jhdt. v.Chr. galt die Frau beinah als Unwesen und stand mit den Sklaven auf einer Stufe. So wie man dies heute in den islamischen Ländern tut, wurde die Frau aus dem öffentlichen Leben verbannt, man gewährte ihr keinerlei Rechte. Xanthippe musste sich dagegen gewehrt haben. Das Schauspiel versucht eine mögliche Abwehrreaktion nachzuzeichnen.

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Zacharias Amer

 

 

Xanthippe

 

Ein Schauspiel

 

 

epubli

 

 

Impressum

© 2015 Zacharias Amer

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

 

 

Personen:

 

Sokrates

Xanthippe

 

Kinder Sokrates und Xanthippe:

Lamprokles

Sophroniskos

Menexenos

 

Schüler und Freunde des Sokrates:

Kriton

Platon

Antisthenes

Aischines

Aristodemos

 

Bürger von Athen

 

Spielzeit: Athen im Jahre 399 v. Chr.

 

 

 

I

1.

Eine baufällige Häuserwand, davor ein kleiner Hof in dessen Mitte ein Baum steht. Um den Baum herum sind Steine aufgestapelt, sie dienen als Sitzfläche. Sokrates sitzt auf einem Stein, die Hände und das Kinn auf einen Stock gestützt. Zur Seite spielen die beiden Kinder Menexenos und Sophroniskos, der eine etwa 7 der andere 9 Jahre alt. Der Jüngere versucht, mit dem Fuß den Älteren zu Fall zu bringen; sie lärmen. Sokrates beachtet sie nicht. Er scheint in Gedanken vertieft zu sein. Erst als das Lärmen überhand nimmt, wacht er auf.

Sokrates: Was macht ihr denn da?

Sophroniskos und Menexenos (gleichzeitig): Wir spielen.

Sokrates: Was ist das für ein Spiel?

Sophroniskos: Wir haben noch keinen Namen dafür, vielleicht kannst du uns helfen.

Menexenos: Wir spielen Krieg und ich bin dabei, (strengt sich an), den Großen zu Fall zu bringen.

Sophroniskos: Das wird dir nie gelingen, du Frechdachs.

Sokrates: Krieg ist eine ernsthafte Angelegenheit und kein Spiel. Es gibt sicherlich interessantere Spiele als diese.

Sophroniskos: Und welche?

Menexenos: Du musst uns verraten, was ihr früher gespielt habt als Kinder. Ihr wart doch auch Kinder oder habt ihr nur die ganze Zeit philosophiert? (Sie lachen.)

Sokrates: Wir waren auch Kinder, aber nicht so verwöhnt und verzogen wie ihr es seid.

Sophroniskos: Es muss aber ein Spiel sein, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt, sonst macht es keinen Spaß.

Menexenos: Am besten zu viert, da kann Lamprokles mitspielen.

Sophroniskos: Der spielt doch nicht mehr mit. Der ist jetzt ein Großer. Er hat schon einen Liebhaber.

Menexenos: Solange er keinen Bart hat, ist er noch ein Kind, nicht wahr, Vater?

Sokrates: Da hast du mir aber eine schwere Frage gestellt, mein Sohn. Ich muss zuerst darüber nachdenken.

Sophroniskos: Musst du immer nachdenken?

Sokrates (lächelnd): Es wäre sehr angebracht.

Menexenos: Wenn wir einen Ball hätten, könnten wir "Esel sitzen" spielen.

Sokrates: "Esel sitzen"?

Menexenos: Ja, der Gewinner darf auf dem Rücken des Verlierers reiten.

Sokrates: Ihr sucht also einen Esel und glaubt, ihn in mir gefunden zu haben?

Sophroniskos: Wir haben ja gar keinen Ball.

Sokrates: Wie wäre es mit einem Ratespiel?

Sophroniskos: Ratespiel?

Sokrates: Ja, ich stelle euch eine Frage und ihr sucht die Antwort darauf und wer gewinnt, darf sich was wünschen.

Sophroniskos: Wie kannst du verlieren, wenn du nur Fragen stellst?

Sokrates: Auch ein Frager kann sich ordentlich blamieren.

Sophroniskos (zu Menexenos): Da schlummern wir schon...

Menexenos: ...noch bevor Vater die Frage zu Ende gestellt hat.

Sophroniskos: Vorm Schlafengehen darfst du mit deinen Fragen kommen, aber dann bist du ja nie da.

Menexenos (flüsternd): Mutter wird uns schon in den Schlaf wiegen.

Sophroniskos: Aber wir überrumpeln sie. Wir tun so, als ob wir schlafen, damit sie rausgeht und uns allein lässt.

Sokrates: So, so macht ihr das, ihr Rasselbande. Aber bleiben wir lieber beim Spiel. Ein Ratespiel wolltet ihr also nicht, schade drum. Das könnte euch nützlich sein. Nun gut. Ich erinnere mich an ein Würfelspiel...

Menexenos (unterbricht ihn): Du meinst das Scherbenspiel?

Sophroniskos: Ja, ja das Tag und Nacht Spiel. Das kennen wir.

Menexenos: Das ist aber sehr langweilig.

Sokrates: Es ist ähnlich, aber nicht gleich. Es geht so...

 

2.

Xanthippe tritt aus der Tür.

Xanthippe: Hier wird nicht gespielt. (zu den Kindern): Los ins Haus, wascht euch die Hände. Los, los...

Sophroniskos (verärgert): Oh, es ist noch zu früh und wir haben keinen Hunger.

Xanthippe (mit erhobener Hand): Hinein, sonst knallt es gleich. (Die Kinder verschwinden schnell ins Haus. Zu Sokrates): Du auch, erheb' den Allerwertesten.

Sokrates (lächelnd): Du verscheuchst uns, als wären wir Hühner.

Xanthippe: Schade, dass ihr keine seid, da hätte ich es mit euch leichter gehabt. (Beide gehen ins Haus.)

Sokrates (beim Hineingehen): Sind wir so anstrengend?

Xanthippe: Und ob.

 

3.

Sokrates sitzt vor der Haustür und spielt, etwas ungeschickt, die Leier, er murmelt dabei. Xanthippe tritt heraus und beobachtet ihn eine Weile.

Sokrates (singt):      

Der Mond ist untergegangen,

Versunken sind die Plejaden;

Schon Mitternacht ist’s, die Stunde

Verrinnt - und alleine schlaf ich.

Nein, so lieb du mir bist,

Wähl eine Jüngere zum Lager dir;

Nicht mehr such ich Vereinigung,

Seit ich älter an Jahren bin.

Xanthippe: Was murmelst du denn da?

Sokrates: Ich singe. Das ist Sappho.

Xanthippe: Wer ist das?

Sokrates: Sappho! Nie davon gehört?

Xanthippe: Das ist doch dieses liebestolle Weibsbild, das seine eigene Schamlosigkeit in Liedern besingt!

Sokrates: Von ihr habe ich den Eros gelernt.

Xanthippe: Dass du nie etwas Brauchbares lernst, hätte ich mir denken können.

Sokrates: Wo hätte ich ihn besser lernen können als aus dem göttlichen Mund dieser Muse der Liebesdichtung.

Xanthippe: Ist sie nicht die, die vom Felsen 'runtersprang aus Liebeskummer? So eine dumme Gans, als ob es auf der Welt einen Mann gäbe, der eine solche Tat wert ist.

Sokrates: Für einen Mann würde sie es nicht getan haben. (Verärgert): Wie kannst du eine Dichterin solchen Formats, auf die alle Griechen stolz sein dürfen, eine dumme Gans nennen? Wie kannst du unsere zehnte Muse so herabwürdigen? Bist du…

Xanthippe: Ob sie die zehnte oder die zwanzigste ist, ist mir gleich. Ich weiß nicht, was sie mit den jungen Mädchen angestellt hat.

Sokrates: Angestellt? Was soll sie mit ihnen angestellt haben? Sie hat sie ausgebildet in der Poesie, in der Philosophie, in der Musik... Von überallher eilten die reichen Mädels herbei, scheuten weder Strapazen noch Kosten, um einer solchen Erziehung teilhaftig zu werden.

Xanthippe: Man hört so einiges. Hat sie mit ihnen was gehabt oder nicht.

Sokrates: Was, mit wem?

Xanthippe: Sokrates, stell dich nicht dümmer als du ohnehin bist.

Sokrates: Sie hat die Schönheit besungen. Sie hat die Anmut und die Grazie, die die Mädchen ausstrahlten, verherrlicht. Das hat sie inspiriert, ihre Zunge gelöst.

Xanthippe: Und für diese Zunge hat sie gleich den passenden Ort gefunden.

Sokrates: Ständig stocherst du herum, bis du was Heimtückisches findest, weil das Schlechte in dir selber steckt. Dein loses Mundwerk ist das Spiegelbild deiner verdorbenen Seele.

Xanthippe: Stürzte sie sich vom Felsen oder nicht?

Sokrates: Natürlich nicht, du Plappermaul. Sie schrieb herrliche Gedichte: Liebeslieder, Götterhymnen, Hochzeitslieder… und sie gebrauchte den Felsensturz als Metapher für den Liebesschmerz, für das Liebesleiden, für...

Xanthippe: Wenn man ein bisschen leidet, muss man sich nicht gleich deswegen umbringen. Ich leide ja auch tagtäglich mit dir und trotzdem denke ich gar nicht daran, vom Felsen runterzuspringen.

Sokrates: Der Sprung war nur eine Fiktion. (Winkt mit Hand ab): Ach, du begreifst sowieso nichts. Warum beherzigst du nicht die Ratschläge des Euripides: für Frauen ist Schweigen und Bescheidenheit das Beste; und die beste Frau ist die, von der in Lob und Tadel unter Männern am wenigsten gesprochen wird.

Xanthippe: Das kann dir so passen. Willst mir einen Maulkorb verpassen!

Sokrates: Poesie ist kein Thema für Weiberklatsch. Das Ganze übersteigt ohnehin die Kapazität deines beschränkten Hirns.

Xanthippe: Sokrates, nimm dich in Acht. Wenn ich die Nerven verliere, kann ich für nichts garantieren.

Sokrates: Dir ist alles zuzutrauen. (Schwärmt): Sappho, Sappho, die Himmlische…, die erhabene Muse. (Xanthippe schaut ihn missfällig an): Es ist besser, wenn du gehst. Du siehst ja, ich spiele die Leier und ich singe. War nicht Apollon, Gott der Musik, ein Leierspieler?

Xanthippe: Ich hoffe, dass er wenigstens spielen konnte.

Sokrates: O ja, zum Bankett der Götter erfreute er die anderen mit seiner Musik und mit seinem Gesang.

Xanthippe: Und du stellst dich ihm gleich zur Seite?

Sokrates: Das gerade nicht, ich übe ja noch. Die Inspiration bekomme ich womöglich von ihm. Für Musizierende hat er viel übrig. Dem Orpheus schenkte er eine Leier, die Musen kamen und lehrten ihn, darauf zu spielen. Vielleicht sind sie so nachsichtig und erfreuen mich mit ihrem Besuch. Diese Mühe verdient doch belohnt zu werden, nicht wahr? Ja, ja der Orpheus, mit seinem Gesang zähmte er sogar die wildesten Tieren...

Xanthippe: Wenn das eine Anspielung sein soll...

Sokrates: Wie kommst du denn darauf?

Xanthippe: Deine Sticheleien sind mir hinlänglich bekannt.

Sokrates: Findest du nicht, dass ich große Fortschritte gemacht habe?

Xanthippe: Was für Fortschritte?

Sokrates: Im Spiel, meine ich. (Murmelt die zweite Strophe vor sich hin. Plötzlich): Ich bin ein Schwan.

Xanthippe: Und ich bin eine Eule.

Sokrates: Schwäne singen am schönsten, wenn sie den nahenden Tod spüren.

Xanthippe: Hoffentlich ist es bei dir bald soweit.

Sokrates: Was glaubst du, warum das so ist?

Xanthippe: Warum was?

Sokrates: Warum der Schwan am schönsten singt, wenn er den nahenden Tod spürt? Ich sage es dir: weil er sich freut, zu Gott zu gehen, dessen Diener er ist. Schwäne sind prophetisch, weil sie dem Apollon angehören. Sie sehen das Gute im Hades voraus.

Xanthippe: Verschlingen soll dich bald der Hades, bevor du meine Nerven restlos ruinierst.

Sokrates: Ein Mit-Diener der Schwäne bin ich, dem gleichen Gott, von dem ich ebenfalls die Sehergabe empfing, geweiht wie sie. Nun, schweig jetzt, du vertreibst sonst die Musen.

Xanthippe: Männer in deinem Alter denken an das Jenseits.

Sokrates: Es ist nie zu spät, Frau, etwas Neues zu erlernen.

Xanthippe: Schäm dich.

Sokrates: Man braucht sich nicht zu schämen, wenn man das erlernt, wessen man noch nicht kundig ist.

Xanthippe: Dann hör jetzt mit dem Lärmen auf. Es geht mir auf die Nerven.

Sokrates: Es hat auch keinen Sinn, deine Seele durch die Musik ein wenig zu veredeln, zu verschönen...

(legt entmutigt die Leier zur Seite. Kurze Pause. Sokrates streichelt vergnügt seinen Bauch): Meinst du nicht, dass dieses Bäuchlein...

Xanthippe (laut lachend): Bäuchlein sagtest du? Dieses Monstrum nennst du Bäuchlein? Wenn das ein Bäuchlein ist, dann weiß ich nicht, wie ein echter Bauch aussehen soll.

Sokrates: Zugegeben, er ist etwas zu rund geworden. Ich bin einverstanden, nennen wir es Bauch.

Xanthippe: Du wirst immer großzügiger.

Sokrates: Meinst du aber nicht, dass es doch sinnvoll wäre, ihm, dieses als Bauch bezeichnete runde Gefäß, einen Schrumpfungsprozess zu verordnen?

Xanthippe (betont): Ein Prozess? Bei diesem Moloch? Hahaha... zehn Prozesse Sokrates, ja zehn würden ihn auf eine erträgliche Größe reduzieren. Danach sähe er wie ein halbwegs normaler Bauch aus.

Sokrates: Ich dachte mir, ein wenig Bewegung kann manchmal Wunder bewirken.

Xanthippe: Die hast du auch bitter nötig.

Sokrates: Also ein paar gymnastische Übungen und ... (überlegt) tanzen, ja tanzen. Das ist die Idee.

Xanthippe (schaut ihn entsetzt an): Was willst du? Tanzen? So richtig tanzen oder ist das ein noch definierungsbedürftiger Begriff?

Sokrates: Ich meinte richtig tanzen.

Xanthippe: Willst du ernsthaft noch in deinem Alter herumhopsen wie ein Affe? Hast du dir vorgenommen, dich ganz und gar lächerlich zu machen?

Sokrates: Wieso lächerlich, Weib? Das ist die beste Sportart, die es gibt. Man hält sich jung und frisch. Ich erzähle dir, was mir neulich widerfahren ist: als ich beim Kallias zum Gastmahl war, da tanzte vor uns ein Mädchen. Es sprang in einen Ring, der mit aufgesteckten Schwertklingen bestückt war, und über die Klingen hinweg wieder hinaus, ohne dass ihm etwas geschah. Ist das nicht bravourös?

Xanthippe: Sehr bravourös.

Sokrates: Dann tanzte ein Knabe so herrlich, so graziös, kein Teil seines Körpers blieb dabei unbewegt, Hals, Beine und Arme wurden gleichzeitig beansprucht. Wer seinen Körper ertüchtigen will, muss also tanzen. Ich machte dem Syrakusier, der Führer der Truppe, die er gegen bares Geld auftreten ließ, den Vorschlag, bei ihm in die Lehre zu gehen. Da lachten alle genauso wie du jetzt. 'Warum lacht Ihr denn so?' fragte ich, 'etwa darüber, weil ich durch diese Körpergymnastik gesünder leben, mit größerem Appetit essen und besser schlafen will? Oder etwa weil ich meinem Bauch, der größer als nötig ist, einen maßvolleren Umfang geben will?'

Xanthippe: Was du brauchst, ist eine vernünftige Tätigkeit. Lass die Hopserei den Jüngeren.

Sokrates: Was verstehst du unter "vernünftige Tätigkeit"?

Xanthippe (mit dem Kopf gen Himmel): Oh, ihr Götter, helft. Ich möchte von dir nur einmal eine normale Antwort hören.

Sokrates: Die bekommst du ja auch, sobald du mir sagst, was du unter "normal" verstehst.

Xanthippe: Nein, das ist zu viel. Du bist wirklich eine Zumutung!

Sokrates: Das ist eben deine Art. Deine Unfähigkeit, einen Begriff richtig zu bestimmen, die du mit allen anderen teilst, versteckt hinter allen möglichen Schimpftiraden und Albernheiten. Aber lassen wir das. (Streicht mit der rechten Hand über seinen Bart): Weißt du denn, wen ich heute getroffen habe? Den Lysimachos, alt ist er geworden, er kannte meinen Vater, war mit ihm gut befreundet.

Xanthippe: Dein Vater war genauso wie du, mit aller Welt befreundet.

Sokrates: Mit ihm waren noch zwei Feldherren. Wir nutzten die Gelegenheit und verplauderten die Zeit über die Tapferkeit, ohne zu einer befriedigenden Antwort zu kommen.

Xanthippe: Ich kann dir sagen, was Tapferkeit ist. Wenn ich jetzt aufstehe, eine Axt hole und dir den Schädel zertrümmere, dann ist das Tapferkeit. Tapferkeit wird immer aus der Verzweiflung geboren.

Sokrates (schaut sie nachdenklich an): Das ist gut, Frau. Die Idee ist gut.

Xanthippe: Ist es gut, wenn ich dir den Schädel spalte?

Sokrates (nachdenklich): Ich bin noch gar nicht darauf gekommen.

Xanthippe: Ich schon lange.

Sokrates: Ich meine die Definition. Das heißt natürlich nicht, dass sie richtig ist, aber es lohnt sich, darüber nachzudenken.

Xanthippe: Ja, ja, mach' dir ruhig Gedanken, du hast ohnehin nichts zu tun.

Sokrates: Ich denke, Frau.

Xanthippe: Das nennst du Arbeit? Faul wie du bist, hast du dir die richtige Arbeit ausgesucht.

Sokrates: Erwartest du, dass ich einen Beruf ergreife? Ich bin kein Banausos, Frau. Davon abgesehen, die Arbeit schwächt den Körper, und wenn der Körper schwach wird, leidet auch die Seele. Wozu haben wir denn Sklaven, Metöken, Ausländer...

Xanthippe: Frauen?

Sokrates: Sollen wir Hellenen uns mit niederen Arbeit beschäftigen, unsere Zeit damit vergeuden, wer sollte denn das Denken übernehmen?

Xanthippe (zu sich): Ruhig Xanthippe, nicht die Nerven verlieren. (Sie schnaubt): mäßige dich, Sokrates, dein Vater war nur ein Steinmetz, der von seiner Hände Arbeit gelebt hat. Wäre auch er so ein Schwatzkopf wie du, hätten wir jetzt nicht einmal ein Dach überm Kopf. Aber wie solltest du dich mäßigen, wenn du schon deinen eigenen Gott hast.

Sokrates: Bring jetzt nicht alles durcheinander nach Weiberart. Das Dämonium ist nicht mein Privatgott, sondern die göttliche Stimme in mir, eine Stimme, die mich davor schützt, das Falsche zu tun.

Xanthippe: Warum rümpfst du die Nase so über jene, die arbeiten, du Hebammen-Sohn?

Sokrates: Soll ich meine Freiheit aufs Spiel setzen?

Xanthippe: So kann nur ein Fauler, Arbeitsscheuer reden.

Sokrates: Arbeitsscheu ist die Schwester der Freiheit. Das Nichtstun ist die vornehmste Lebensart. Sich um die Belange der Seele, um die Wahrheit zu kümmern, willst du das etwa als gering erachten oder mit der Arbeit eines Schreiners auf die gleiche Stufe stellen?

Xanthippe: Ja, ja rede nur. Du wirst alles zu deinen Gunsten verdrehen. Denken, denken! Pha... Ich denke ja auch. Ich denke den ganzen Tag. Ich denke, ob ich morgen für die Kinder etwas in den Topf kriege. Wenn der Magen knurrt, kann man sich nicht hinstellen und ihm eine Rede halten: sei tapfer, Hunger ist banal, unphilosophisch. Von mir aus kannst du verhungern. Um dich mache ich mir keine Sorgen. So ein anhänglicher Hund kriegt immer was.

Sokrates: Diese Art des Denkens meine ich nicht. Ich meine das Denken als den ersten Schritt zur Tugend. Das Denken, das zur Weisheit führt. Völlig vergebens war es nicht bei mir. Hat nicht das Orakel von Delphi, hat nicht die Pythia, die vortreffliche Pythia, verkündet, dass ich der weiseste Mann Griechenlands sei?

Xanthippe: Entweder hat sie deinen Namen mit einem anderen verwechselt oder das arme Mädel ist zu alt geworden für den Job. (Lächelt): Was würde sie wohl sagen, wenn sie mich sähe?

Sokrates (sieht sie bewunderungsvoll an): Der Spruch wird vermutlich so ausfallen, dass alle Geister sich an ihm scheiden würden. Als ich den Spruch über mich hörte, grübelte ich darüber nach, was Gott wohl damit meinen mag; denn von Weisheit konnte ich nicht die geringste Spur in mir entdecken.

Xanthippe (sehr erfreut): Da hast du endlich was Wahres gesagt. Damit hast du dein Mittagessen für morgen verdient. So gefällst du mir viel besser. Deine Selbsterkenntnis beruhigt meine arg strapazierten Nerven.

Sokrates: Ich war mir meiner Unwissenheit stets bewusst.

Xanthippe: Nicht nur du allein, mein Lieber, andere waren seit langem dieser Meinung.

Sokrates: Was ich nicht weiß, das bilde ich mir auch nicht ein, zu wissen. Ich habe mir viel Mühe gegeben, den Urteilspruch zu widerlegen...

Xanthippe: Der ließ sich aber nicht widerlegen, nicht wahr? Wem sagst du das, mein teurer Gemahl!

Sokrates: Beim Hunde. Meine Weisheit besteht darin, die schlechte Wahrheit zu sagen.

Xanthippe: Die Wahrheit sagen, das kann wirklich jeder, Sokrates. (Schweigt): Hat die Pythia dir das im Vertrauen erzählt?

Sokrates: Nein, meinem Freund Chairephon.

Xanthippe: Die Fledermaus?

Sokrates: Ja, der.

Xanthippe: Komm, erzähle es mir im Vertrauen. Du hast doch diesem Freund was gegeben, damit er solche Gerüchte in die Welt setzt, nicht wahr? So ein völlig verdrehter Mensch. Er wird es doch nicht von allein gewagt haben.

Sokrates: Willst du einen Orakelspruch in Zweifel ziehen?

Xanthippe: Das würde ich nicht tun, wenn er wahr wäre, aber ich traue dir nicht.