Hyperraum nicht zugänglich - Ben B. Black - E-Book

Hyperraum nicht zugänglich E-Book

Ben B. Black

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Beschreibung

Nach der Vernichtung des Planeten Kraat macht sich Colonel Huxley mit seinem Forschungsraumer CHARR auf den Weg ins Weltall, um die Urheber dieses unfaßbaren Verbrechens aufzuspüren. Zur gleichen Zeit sitzen Ren Dhark und seine Gefährten in einer Asteroidenstation weit draußen in der Einsamkeit fest, denn für sie gilt ab sofort: Hyperraum nicht zugänglich ...

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Seitenzahl: 355

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 38

Hyperraum nicht zugänglich

 

von

 

Uwe Helmut Grave

(Kapitel 1 bis 5)

 

Jan Gardemann

(Kapitel 6 bis 9)

 

Ben B. Black

(Kapitel 10 bis 15)

 

und

 

Hajo F. Breuer

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

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Impressum

Prolog

Im Herbst des Jahres 2067 scheint sich das Schicksal endlich einmal zugunsten der Menschheit entwickelt zu haben. Deren Hauptwelt heißt längst nicht mehr Terra, sondern Babylon. 36 Milliarden Menschen siedelten auf diese ehemalige Wohnwelt der Worgun um, als die irdische Sonne durch einen heimtückischen Angriff zu erlöschen und die Erde zu vereisen drohte. Mittlerweile konnte die Gefahr beseitigt werden, und das befreundete Weltallvolk der Synties hat den Masseverlust der Sonne durch die Zuführung interstellaren Wasserstoffgases fast wieder ausgeglichen.

Die Erde ist erneut ein lebenswerter Ort, auf dem allerdings nur noch rund 120 Millionen Unbeugsame ausgeharrt haben. Die neue Regierung Terras unter der Führung des »Kurators« Bruder Lambert hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erde nach dem Vorbild Edens in eine Welt mit geringer Bevölkerungsdichte, aber hoher wirtschaftlicher Leistungskraft zu verwandeln und ist deshalb nicht bereit, die nach Babylon Ausgewanderten wieder auf die Erde zurückkehren zu lassen.

Allerdings haben auch die wenigsten der Umsiedler konkrete Pläne für einen neuerlichen Umzug innerhalb so kurzer Zeit. Es kommt die katastrophale Entwicklung hinzu, die Babylon seit dem Umzug der Menschheit nahm: Durch eine geschickt eingefädelte Aktion war es dem höchst menschenähnlichen Fremdvolk der Kalamiten gelungen, den Regierungschef Henner Trawisheim, einen Cyborg auf geistiger Basis, derart zu manipulieren, daß er zu ihrem willenlosen Helfer und Vollstrecker bei der geplanten Übernahme der Macht über die Menschheit wurde. Erst in allerletzter Sekunde gelang die Revolution gegen die zur Diktatur verkommene Regierung von Babylon und damit gegen die heimlichen Herren der Menschheit, die Kalamiten. Während den meisten der Fremden die Flucht gelang, wurde Trawisheim aus dem Amt entfernt und in ein spezielles Sanatorium für Cyborgs gebracht.

Daniel Appeldoorn, der schon zu den Zeiten, als Babylon noch eine Kolonie Terras war, als Präsident dieser Welt fungiert hatte, bildete mit seinen Getreuen eine Übergangsregierung, deren wichtigste Aufgaben es sind, das Unrecht der Diktatur wiedergutzumachen und neue, freie Wahlen vorzubereiten.

Gleichzeitig ist es Ren Dhark und seinen Getreuen gelungen, die geheimnisvolle Schranke um Orn abzuschalten – und mit ihr auch die verhängnisvolle Strahlung, die die Worgun, das bedeutendste Volk dieser Sterneninsel, in Depressionen, Dummheit und Dekadenz trieb.

Nach seiner Rückkehr in die Milchstraße kann Ren Dhark dem Angebot des industriellen Terence Wallis nicht länger ausweichen und läßt seinen Körper mit Nanorobotern behandeln, die ihn und sieben von ihm Auserwählte unsterblich machen sollen. Doch anstatt sich mit seiner nun vollständig veränderten Lebensperspektive beschäftigen zu können, muß sich Ren Dhark einer neuen Herausforderung stellen: Eine unbekannte Macht vernichtet Kraat, die Begegnungswelt von Menschen und Nogk. Und noch bevor man weiß, wer wirklich hinter dieser schrecklichen Aktion steckt, erweist sich der Hyperraum als nicht länger zugänglich: Transmitter, Hyperfunk und Transitionstriebwerke funktionieren nicht mehr…

1.

»Aufgepaßt, Clinton, gleich wird es echt spannend! Ich komme jetzt zum letzten Kapitel:

Leroy tastete nach dem Aktenkoffer, den er neben sich auf den Sitz gestellt hatte. Es beruhigte ihn, das silberfarbene Metall mit seinen Fingern zu berühren. Solange sich der Koffer in seiner Nähe befand, konnte ihn nichts erschüttern – der Inhalt vermittelte ihm ein Gefühl der Sicherheit; das viele Geld war gewissermaßen sein Garant für eine sorgenfreie Zukunft.

Mißtrauisch beäugte er die Mitreisenden im Abteil. Sie wirkten erschöpft und entnervt. Nein, von denen ahnte wohl keiner, was für ein Vermögen er bei sich hatte, geschweige denn, daß er auf der Flucht vor dem Gesetz war.

In der Bank hatte man den dreisten Diebstahl sicherlich längst bemerkt, und bestimmt hatte die Polizei bereits ihre Ermittlungen aufgenommen. Doch noch stand Leroy nicht unter Verdacht und somit auch auf keiner Fahndungsliste. Die Mühlen der Justiz mahlten bekanntlich langsam. Wenn man ihm auf die Schliche kam, würde er sich schon im Ausland aufhalten, in einem Staat ohne Auslieferungsabkommen mit England.

›Voraussetzung dafür ist natürlich, daß es den drecksverfluchten Eisenbahnern endlich gelingt, diese verdammte Oberleitung zu reparieren!‹ knurrte er leise. ›Sonst hebt der verdammte Flieger ohne mich ab!‹

Niemand beachtete ihn sonderlich. In den vergangenen Stunden waren im Zug weitaus üblere Flüche zu hören gewesen, so daß seine vergleichsweise harmlose Beschimpfung irgendwo im Ohrenschmalz der übrigen Reisenden versickerte.

Inzwischen stand der Hochgeschwindigkeitszug bereits dreieinhalb Stunden auf den Gleisen. Die unzulängliche Technik hatte mitten auf der Strecke den Geist aufgegeben. Mit schneller Hilfe war nicht zu rechnen, statt dessen wurden die Passagiere mit sporadischen Lautsprecherdurchsagen und kühlen Erfrischungen abgespeist.

Letztere halfen einem wenigstens ein bißchen, die drückende Hitze im Waggon zu ertragen. Die stereotypen Durchsagen hingegen waren zu rein gar nichts nutze: ›Es ist nur eine minimale Störung, sonst nichts, es gibt also keinen Anlaß zu übertriebener Sorge.‹

Ein junger Bahnangestellter mit durchgeschwitzter Uniform verteilte Beschwerdeformulare. Leroy fluchte erneut, diesmal etwas lauter. Er benötigte keinen Papierkram, sondern ein funktionstüchtiges Transportmittel, das ihn rechtzeitig zum Flughafen brachte!

›Dabei können wir noch froh sein, daß wir nicht in einem Tunnel feststecken‹, bemerkte ein fettleibiger Mitreisender schweratmend. ›Vor ein paar Jahren sind zehn Menschen bei einem Technikausfall im Tunnel erstickt.‹

Eine ältere Dame hatte ebenfalls eine Story parat: ›Bei einem Bahnstillstand drei Kilometer hinter London schickte man uns eine Diesellok mit mehreren Waggons, um alle Passagiere zu evakuieren. Die Helfer waren schlechtgelaunt, weil sie bereits Feierabend hatten, und das ließen sie die Reisenden spüren. Danach dauerte es noch über eine Stunde, bevor sich der Rettungszug zurück in die Hauptstadt in Bewegung setzte. Den Grund für die erneute Verzögerung erklärte man uns nicht, wir wurden behandelt wie lästige Insekten.‹

Leroy reichte es jetzt! Er mußte hier raus, denn noch mehr solcher Schauergeschichten ertrug er nicht. Hastig ergriff er den Geldkoffer und verließ das Abteil. Damit die Luft besser zirkulierte, hatte das Bahnpersonal alle Waggontüren geöffnet, was sofort zu einem Run auf die Ausgänge geführt hatte. Mittels rücksichtsloser Ellbogentechnik bahnte sich Leroy seinen Weg durch die schwitzenden Leiber und sprang nach draußen.

Beim Überqueren der Nebengleise schaute er weder nach rechts noch links – was sich als Fehler erwies, denn eine herannahende Diesellok…

Sag mal, Clinton, hörst du mir überhaupt zu?«

»Schon lange nicht mehr, Brewster. Ab der Textstelle mit den Lautsprecherdurchsagen habe ich geistig abgeschaltet. ›Es ist nur eine minimale Störung, sonst nichts, es gibt also keinen Anlaß zu übertriebener Sorge.‹ Mal ehrlich, so affektiert redet doch kein normaler Mensch, schon gar kein gestandener englischer Eisenbahner.«

»Doch, die Engländer sprechen so«, behauptete sein Freund – obwohl er in Amerika das Licht der Welt erblickt und England noch nie besucht hatte.

»Im Land unserer Vorväter wurde der Bahnverkehr quasi erfunden«, fuhr Clinton unbeirrt fort. »Dort gab es meines Wissens nach nur selten irgendwelche Zugpannen. In welchem Jahrhundert spielt der Roman überhaupt?«

»Laut Klappentext um 2010 herum. Ich finde die Schilderung überaus realistisch. Die Technik war damals halt noch nicht so weit fortgeschritten wie heute. Seinerzeit benötigte man Stunden, um von Wales nach Schottland zu reisen. Heutzutage dauert es von hier bis Eden nur knapp 90 Minuten.«

Damit spielte Brewster auf den neuen Streckenabschnitt an, der die galaktische Transmitterstraße seit kurzem mit Mesopotamia verband.

Transmitterreisen waren im Jahre 2067 längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Mit einem Transmitter wurden Materialmengen in den Hyperraum abgestrahlt und an einem anderen Ort zeitverlustfrei wieder rematerialisiert. Für Reisen durch den Weltraum verwendete man üblicherweise Module, in denen mehrere Personen Platz hatten. Von leichten unangenehmen Begleiterscheinungen, wie sie die Benutzer von planetenbegrenzten Anlagen bei Direktdurchgängen manchmal verspürten, blieb der in dem Modul Reisende völlig verschont.

Natürlich konnten derart riesige Strecken nicht in einem einzigen Durchgang bewältigt werden. Zu diesem Zweck hatte man quer durch das All Transmitterstationen errichtet, ausgehöhlte Asteroiden, die sich in einem Abstand von etwa fünftausend Lichtjahren entlang der jeweiligen Reiseroute befanden.

Drinnen wurden die Module mit ihren Passagieren von Antigravfeldern auf einer rot markierten Stellfläche abgesetzt. Ein zwanzig Meter breiter und acht Meter hoher mattleuchtender Bogen spannte sich dann über das Modul, das nunmehr einen weiteren Transmitter durchquerte, auf dem Weg zum nächsten Asteroiden.

Dieser Vorgang, der im Gegensatz zum eigentlichen Durchgang jeweils etwas Zeit kostete, wiederholte sich mehrfach, bis man am Ziel angelangt war. Je länger die Strecke war, desto mehr Zeit mußte man logischerweise aufwenden – daran hatte sich seit dem »urzeitlichen Bahnverkehr« nichts geändert; allerdings gingen Transmitterreisen wesentlich schneller vonstatten, und man konnte sehr viel weiter reisen als nur einmal um den Erdball.

Hauptstrecke war die von Terence Wallis 2059 erbaute Transmitterstraße zwischen Eden und dem zentralen Transmitterbahnhof in Alamo Gordo auf der Erde. Inzwischen gab es noch ein paar weitere Anschlüsse – neuerdings sogar einen, der Mesopotamia mit dem Rest der Transmitterwelt verband.

Mesopotamia war eine menschliche Bezeichnung. Der ursprüngliche Name für den dritten Planeten dieses Sonnensystems lautete Wahla.

Wahlas Kontinente, die fast die gesamte Oberfläche der Welt einnahmen, waren nahezu vollständig bewaldet. Es gab keine mächtigen Gebirge und auch keine riesigen Meere, was bei den Wissenschaftlern die Frage aufwarf, aus welcher Wasserquelle die vielen Pflanzen gespeist wurden. Konnte der nötige Kreislauf von Verdunstung und Regen ohne Ozeane überhaupt stattfinden, oder regelten die immens vielen Bäume dieses Problem völlig anders? Damit würden sich vermutlich Generationen von Forschern beschäftigen.

Im Inneren von Mesopotamia lag unter einem Berg eine Station der Worgun – mit einer großen Ringraumerwerft. Dort hatte vor nicht allzu langer Zeit die geheime Gründungsversammlung der »Schutzflotte der unabhängigen Planeten« stattgefunden. Dieser nützlichen Institution hatten sich unter anderem auch Konteradmiral Dan Riker sowie die komplett desertierte Mannschaft der ANZIO angeschlossen.

Die Schutzflotte sollte von Menschen bewohnte kleinere Planeten schützen, die der Regierung des größten menschlichen Siedlungsplaneten Babylon nicht wichtig genug gewesen waren, weil sie außerhalb der kugelförmigen Region von 1500 Lichtjahren Durchmesser lagen, den der inzwischen abgesetzte Commander der Planeten, Henner Trawisheim, rund um Babylon willkürlich als seinen Machtbereich festgelegt hatte.

Rikers Verband wollte auch nach dem Regierungswechsel noch eine Zeitlang bei Bedarf für den nötigen Schutz dieser Planeten sorgen – in Absprache mit Marschall Bulton, der nach dem Umsturz wieder wie früher Dans direkter Vorgesetzter war. Langfristig geplant war, die in der Werft von Mesopotamia hergestellten neuen Ringraumer mit Siedlern der betreffenden Planeten zu besetzen. Bevor man sie aufs Weltall losließ, sollten die künftigen Flottenangehörigen auf Mesopotamia und in einem Schulschiff gründlich ausgebildet werden.

Zu jenen Auszubildenden zählten die beiden 22jährigen Neuankömmlinge Brewster und Clinton. Noch lief das Ausbildungsprogramm nicht auf Hochtouren; die ersten Freiwilligen verfügten somit über viel Freizeit, welche die zwei Freunde überwiegend in der Wohnsiedlung für Flottenanwärter verbrachten, wo sie sich unter anderem damit beschäftigten, sich gegenseitig Kurzgeschichten oder Romanparts vorzulesen. Clinton las seine Texte gern vom Bildschirm ab, während Brewster das nicht totzukriegende »Auslaufmodell Buch« bevorzugte.

Für heute hatten sie die Lust an ihrer literarischen Freizeitbeschäftigung verloren. Beide begaben sich zum Transmitterbahnhof, einem provisorischen, überhastet errichteten Bau, an dem es noch vieles zu verbessern gab.

»Ich liebe es, in einem Jahrzehnt zu leben, in dem sämtliche hochmoderne Technik reibungslos funktioniert – und es keine zickigen Oberleitungen mehr gibt!« spöttelte Brewster in Bezug auf den zuletzt vorgelesenen Roman.

In der Bahnhofshalle, falls man die schmucklose Baustelle überhaupt so nennen konnte, machte ihn Clinton auf zwei bekannte Personen aufmerksam: Roy Vegas und Chester McGraves. Sie diskutierten mit einem kleineren Mann, der nervös von einem Bein aufs andere tänzelte. Seiner Kleidung nach gehörte er zum technischen Personal.

Der Techniker beendete das Gespräch und eilte zu einer Tür, die in einen Nebenraum führte. Dabei kam er an Clinton und Brewster vorbei. Sein Gesichtsausdruck wirkte besorgt.

»Ist etwas passiert?« erkundigte sich Clinton neugierig.

Die von unterdrückter Unruhe geprägte Antwort lautete: »Nein, nein, es ist nur eine minimale Störung, sonst nichts, es gibt also keinen Anlaß zu übertriebener Sorge.«

Brewster fragte ihn verblüfft: »Sie sind nicht zufällig Engländer, oder?«

»Natürlich nicht«, kam es entrüstet zurück. »Mein Name ist Luan, und ich bin Chinese – das sieht man doch!«

*

In einem Zeitalter, in dem die Menschen durchschnittlich 140 Jahre alt wurden, war man mit 82 Jahren zwar kein junger Spund mehr, doch die moderne Medizin trug dazu bei, daß die Senioren weit über die Hundert hinaus topfit und arbeitsfähig blieben – so wie Oberst Roy Vegas, der aus der Babylonischen Flotte desertiert war. Der 1,86 Meter große Mann hatte volles graues Haar, einen brettharten Bauch und war recht muskulös und sehnig.

2011 war er als erster Mensch auf dem Mars gelandet und auf einem Forschungsausflug zu dessen Südpol spurlos verschwunden. Damals hatten die Zeitungen, Fernsehen und das weltweite Netz (seinerzeit noch Internet genannt) ausgiebig über diesen Vorfall berichtet – bis »wichtigere« Schlagzeilen die Marsberichterstattung abgelöst hatten, zum Beispiel die Sexaffäre des Chefs einer internationalen Finanzinstitution, die Trennung einer Schauspielerin von ihrem sechzehn Jahre jüngeren Ehemann oder der Rücktritt eines Verteidigungsministers, der Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben hatte.

Im August 2012 rückte Vegas noch einmal kurz ins Licht der Öffentlichkeit. Erfinderische Wissenschaftler schossen das Spezialsuchgerät »Curiosity« auf den Mars, um Spuren des vermißten Raumfahrers zu finden. Die Aktion verlief jedoch ergebnislos im roten Sand des Planeten und lieferte der NASA nur massenhaft langweilige Einöd-Bilder.

Erst 2058 gelang es einem besser ausstaffierten Hochleistungsgerät, Vegas aufzustöbern und aus der Gefangenschaft eines intelligenten, aber einsamen Rechners zu befreien: Artus, der einzig wahre lebende Roboter, der mehr war als nur eine künstliche Intelligenz, erlöste Vegas aus seiner Not – sehr zum Leidwesen der Flottenobrigkeit, die dem Astronauten nun sämtliche Ausstände für 47 »Dienstjahre« auf dem Mars nachzahlen mußte, und zwar mit Zins und Zinseszins – was ihn über Nacht zum Millionär machte.

Mit dem 48jährigen Schotten Chester McGraves verband Roy inzwischen eine enge Freundschaft. Der Major, der stets ein wenig traurig guckte und deshalb insgeheim »Don Quichote« genannt wurde, hatte schon in dem Fünfzigmeterkugelraumer SPECTRAL unter Vegas’ Kommando gedient, als Navigator und Erster Offizier.

Ihre erfolgreiche Zusammenarbeit hatte sich später im Flottenschulschiff ANZIO fortgesetzt. Dort war Chester McGraves vor allem für die Ausbildung des Rauminfanterienachwuchses zuständig gewesen, eine Tätigkeit, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war.

Augenblicklich stand ihm jedoch nicht der Sinn nach Arbeit. Genau wie Roy Vegas wollte er heim zu seiner Lebenspartnerin. Beide freuten sich auf das gemeinsame Wochenende mit ihren Frauen.

Leider kam es zu einer unerwarteten Verzögerung.

Ein Transmitter, der keine Verbindung zum nächstgelegenen Asteroiden aufbaute, war 2067 mindestens genauso lästig wie einige Jahrzehnte zuvor eine defekte Bahnoberleitung. Glücklicherweise kamen derlei technische Störungen nur selten vor und konnten meist schnell behoben werden.

Vegas’ dunkelblaue Augen hatten die Eigenschaft, fast schwarz zu wirken, sobald er zornig wurde. Momentan war er jedoch weit entfernt davon, sich maßlos aufzuregen, schließlich hatte ihm der zuständige chinesische Techniker versichert, es würde sich nur um eine minimale Störung handeln, weshalb es keinen Anlaß zu übertriebener Sorge gäbe.

»Die bekommen das Problem bestimmt rasch in den Griff, Chester«, sagte Vegas, als er sah, wie McGraves’ traurige Miene noch eine Spur trauriger wurde.

In ihrer Freizeit gingen die beiden Männer weniger förmlich miteinander um als im Dienst an Bord. Sie duzten sich sogar, allerdings nur, wenn kein Untergebener in ihrer Nähe war – schließlich waren sie militärische Vorbilder, insbesondere für den Nachwuchs.

»Unser freies Wochenende wird davon freilich nicht länger«, entgegnete der Angesprochene. »Ich hatte gehofft, Carla in eineinhalb Stunden auf dem Transmitterbahnhof von Eden in die Arme schließen zu dürfen, und nun scheitert alles an diesem gottverfluchten Breua!«

Damit war die Asteroidenstation gemeint, an die der Transmitter auf Mesopotamia angeschlossen war. Sie trug die offizielle Bezeichnung 777-B-555-REU-666-A-444, doch im Sprachgebrauch wurden der Einfachheit halber lediglich die Buchstaben aneinandergereiht.

»Der Asteroid kann nichts dafür«, erwiderte Roy Vegas lachend, »höchstens das unzulängliche Personal in seinen ›Eingeweiden‹. Wahrscheinlich versehen dort lauter neue Leute ihren Dienst, so wie hier bei uns auf dem Bahnhof. Tja, wenn eine Dilettantentruppe auf die andere trifft…«

»Pst, Luan kommt zurück!« schnitt Chester ihm rasch das Wort ab. »Wir sollten ihn nicht unnötig kränken.«

Wortreich erklärte ihnen der Chinese, was er wußte: eigentlich nichts. »Wir konnten keinen Fehler finden, der Transmitter ist völlig in Ordnung.«

»Und wieso funktioniert er dann nicht?« fragte ihn Vegas streng. »Eben noch haben Sie behauptet, es sei nur eine minimale Störung.«

»So etwas habe ich nie behauptet!« regte sich der Asiate auf. »Sie haben vorhin mit Luan gesprochen, nicht mit mir! Das sieht man doch!«

Mit diesen Worten rauschte der zweite Techniker ärgerlich ab und verschwand hinter der Tür, die nach nebenan in die Steuerzentrale führte.

»Upps, das war gar nicht Luan«, flüsterte Roy. »Ist mir wirklich peinlich, aber Chinesen sehen für mich alle gleich aus.«

»Tröste dich, Skipper, denen ergeht es mit uns bestimmt ebenso«, meinte McGraves.

Das wiederum konnte sich Vegas überhaupt nicht vorstellen. Allein der Gedanke, jemand könnte ihn mit Chester verwechseln, reizte ihn zum Schmunzeln.

Die Offiziere begaben sich nun ebenfalls in die Steuerzentrale, wo insgesamt vier Männer ihren Schichtdienst versahen, darunter die beiden Techniker chinesischer Abstammung. Vegas ordnete an, den Asteroiden anzufunken, was ihm eine eingeschnappte Erwiderung von »Nicht-Luan« einbrachte.

»Halten Sie uns für Dummköpfe? Das haben wir doch längst versucht. Breua antwortet nicht.«

»Es kostet mich jedesmal Geduld und Nerven, mich mit solchen Leuten auseinanderzusetzen«, raunte Vegas seinem Freund zu; er war es nicht gewohnt, daß man derart respektlos mit ihm sprach.

»Solche Leute?« flüsterte McGraves irritiert. »Hast du etwas gegen Asiaten?«

»Absolut nicht – nur gegen Zivilisten.«

Chester grinste. »Mesopotamia ist nun einmal kein reiner Flottenstützpunkt, daran werden wir uns wohl gewöhnen müssen. Laut unserer Vereinbarung mit Terence Wallis müssen wir am Boden auch ziviles Personal beschäftigen. Soweit mir bekannt ist, gehören die zwei zu seinen fähigsten Mitarbeitern.«

»Dann möchte ich bitte schön nicht die unfähigsten kennenlernen«, entgegnete Vegas kaum hörbar – was nicht wirklich ernst gemeint war, denn ihm war durchaus bewußt, daß der Boß von Wallis Industries, der gleichzeitig das Staatsoberhaupt von Eden war, bei der Auswahl seiner Mitarbeiter strenge Maßstäbe setzte.

»Möglicherweise ist unser Hyperfunkgerät defekt«, ergänzte Luan die Ausführungen seines Landsmannes. »Wir empfangen auch sonst keinen einzigen Hyperfunkspruch.«

»Ein defektes Funkgerät ist keine Erklärung für den funktionsuntüchtigen Transmitter«, erwiderte Chester McGraves. »Wahrscheinlich haben wir es mit zwei unabhängig voneinander eingetretenen Schadensfällen zu tun.«

»Oder auch nicht«, überlegte Roy Vegas laut. »Vielleicht hängt ja das eine mit dem anderen zusammen – immerhin erfolgen sowohl die Transmitterdurchgänge als auch die Funkabstrahlungen über den Hyperraum. Am besten, wir sehen uns das Ganze einmal selbst an.«

*

Nach einer oberflächlichen Inspektion stand für Vegas und McGraves fest: Der Hyperraum war aus unbekannten Gründen nicht zugänglich.

Um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen, ordnete der Oberst eine gründliche Analyse der gesamten technischen Einrichtung an.

»Das kann dauern«, befürchtete Luan. »Unser Personal ist noch nicht komplett, wir müssen jede kleinste Handreichung selbst erledigen.«

»Dem Manne kann geholfen werden«, sagte Roy beim Hinausgehen zu Chester. »Vorhin sah ich zwei unserer Raumfahrtanwärter in der Bahnhofshalle herumlungern, die können sich gleich ein wenig nützlich machen.«

»Brewster und Clinton«, entgegnete Chester, »die sind mir auch aufgefallen. Es wird höchste Zeit, daß das Ausbildungsprogramm richtig auf Touren kommt. Die Siedlerkandidaten der ersten Stunde langweilen sich bereits. Einige vertreiben sich die Eintönigkeit sogar mit dem Lesen von Romanen.«

»Schrecklich, wie tief manche Menschen sinken können«, scherzte Vegas.

Er trat aus der Tür und winkte die beiden jungen Männer heran. Sie näherten sich eifrig im Laufschritt.

»Aus unserem freien Wochenende wird sowieso nichts, also könnten wir den Technikern ebenfalls ein wenig zur Hand gehen«, schlug McGraves vor.

Vegas seufzte. »Meinethalben. Während der Arbeit denke ich wenigstens nicht ständig an Jenna. Unsere Frauen sind unerreichbar für uns, wir können sie nicht einmal per Funk kontaktieren. So hatten wir uns das nicht vorgestellt, als wir seinerzeit auf Eden gemeinsam beim Essen saßen und über unsere berufliche Zukunft diskutierten, nicht wahr?«

*

Ein paar Wochen zuvor

 

Roy Vegas und Chester McGraves verließen im Transmitterbahnhof von Eden ihr Reisemodul – in voller Offiziersmontur. Der ehemalige Kommandant der ANZIO setzte eine feierliche Miene auf und sagte: »Hiermit erkläre ich die Transmitterverbindung Mesopotamia-Eden offiziell für eröffnet!«

Ein paar Wartende schauten desinteressiert zu ihnen herüber, wahrscheinlich hatten sie noch nie etwas von Mesopotamia gehört.

»Die offizielle Eröffnung ist längst vorüber«, entgegnete Chester amüsiert. »Vor unserem Durchgang gab es bereits zahlreiche Probeläufe.«

»Aber nicht mit so illustren Personen wie uns«, erklärte Vegas humorvoll. »Übrigens kommen soeben zwei bezaubernde Wesen auf uns zu.«

Seine launige Bemerkung bezog sich auf seine Lebenspartnerin Jenna Ferrari und Chesters Freundin Carla Sesti.

Carla war seit 2062 Ressortleiterin bei Terra-Press Babylon. Auch während des mehrmonatigen Abtauchens ihres Chefs Henry Jefferson Boss, kurz HJB genannt, hatte die gebürtige Italienerin journalistisch weitergemacht. Bei einer Reportageserie an Bord der ANZIO hatten Chester und sie sich kennen- und lieben gelernt.

Carla ging zwar scharf auf die Fünfzig zu, sah aber aus wie eine Fünfunddreißigjährige. Ihre Figur war nahezu atemberaubend. Sie hatte eine erotisch vibrierende Altstimme und war stets umweht von einem Hauch teuren Parfüms. Wer ihr begegnete, so erzählte man sich, war auf ewig für alle anderen Frauen verdorben – ein Gerücht, das sie vermutlich selber in die Welt gesetzt hatte, dem aber kein Mann widersprach.

Das mit der Altstimme hatte sie mit Jenna Ferrari gemeinsam, allerdings war selbige um einiges jünger. Die sechsunddreißigjährige blonde Anwältin hatte weiche, volle Lippen und üppige Formen.

Anfang dieses Jahres war Jenna mitsamt ihrer Kanzlei von Babylon nach Eden umgesiedelt.

Mittlerweile bewohnte sie dort eine luxuriöse Villa im Grünen – zur langfristigen Miete, denn Eigentum an Grund und Boden konnte man auf dieser Welt nicht erwerben. Zweieinhalb Prozent des Planeten gehörten Art und Jane Hooker, die ihn einst entdeckt hatten – die restlichen 97,5 Prozent nahm der Staatsgründer Terence Wallis für sich in Anspruch, in dessen Auftrag und Bezahlung die Hookers damals unterwegs gewesen waren.

Auf der anderen Seite des grünen Tals sah man in der Ferne eine weitere Villa.

Dort wohnte Carla Sesti.

Jenna und Carla verstanden sich sehr gut, dennoch fanden es beide unnötig, dicht an dicht auf ihrem nächsten Nachbarn draufzuhocken. Ein gewisser Abstand war angebracht, zumal sich dieser mit einem schnellen Schweber oder Gleiter innerhalb kürzester Zeit überwinden ließ. Anno 2067 gehörten lange Fußmärsche längst der Vergangenheit an – es sei denn, man brach zu einer Wanderung auf.

Der Gleiter, mit dem die Frauen ihre beiden von Mesopotamia angereisten Männer abholten, landete vor Jennas Villa. Für diesen ganz besonderen Abend hatten sie und Carla einen Koch engagiert, der ihnen in der Küche ein gleichermaßen wohlschmeckendes und gesundes Menü zubereiten sollte.

Roy staunte nicht schlecht, als er den Koch am Herd erblickte. Vorsichtshalber faßte er ihn erst einmal an.

»Das ist ja tatsächlich ein echter Mensch«, stellte er lachend fest.

Üblicherweise zog man sein Essen aus Automaten, oder man ließ es sich bei Festivitäten von einem Roboter zubereiten. Menschliche Köche hatten fast schon Seltenheitswert – und genau deshalb waren sie inzwischen nahezu unbezahlbar.

»Was kostet er?« erkundigte sich Chester ungeniert.

»Keine Ahnung«, antwortete Carla. »Der stattliche Bursche ist ein Geschenk unseres Überraschungsgastes.«

»Entschuldigung, aber ich bin nicht taub«, warf der Koch ein, der von der Statur her ebensogut ein Gladiator hätte sein können. »Also reden Sie bitte nicht über mich, als sei ich nicht anwesend. Falls Sie etwas über mich wissen wollen, meine Herren, fragen Sie mich ruhig direkt.«

»Nicht nötig«, meinte Vegas, »wir sind ja nicht neugierig. Nun ja, eine Frage hätte ich doch: Schmeckt Ihnen eigentlich das, was Sie zubereiten?«

»Selbstverständlich.«

»Und warum sind Sie dann nicht fett?«

Der Gefragte machte eine drohende Bewegung mit dem Kochlöffel, die es allen angeraten erscheinen ließ, die Küche schleunigst zu verlassen.

»Ist unser Überraschungsgast auch so ein rabiater Kerl?« fragte Vegas schmunzelnd, als die vier im Eßzimmer Platz nahmen.

»Mit dem würde ich mich an eurer Stelle lieber nicht anlegen«, erwiderte Jenna geheimnisvoll. »Er ist zwar recht umgänglich, doch es ist besser, ihm nicht in die Quere zu kommen.«

»Angesichts des hohen Besuches kann es nichts schaden, wenn ihr euch etwas in Schale werft«, meinte Carla.

Vegas und McGraves musterten sich kurz gegenseitig von Kopf bis Fuß und nickten dann zufrieden.

»An unserem Outfit gibt es nichts auszusetzen«, sagte Roy. »Mit einer Flottenuniform ist man zu jeder Gelegenheit passend gekleidet.«

»Dürft ihr diese Kleidungsstücke überhaupt noch tragen?« entgegnete Jenna. »Seit ihr mitsamt der kompletten Besatzung desertiert seid…«

»Desertiert – was für ein böses Wort!« echauffierte sich McGraves. »Das klingt ja so anrüchig wie ›Fahnenflucht‹. Roy und ich bevorzugen den Ausdruck ›Meuterei‹, wenn es recht ist.«

»Genau«, bestätigte Vegas. »Eine Meuterei wird umrankt von Wildheit und Abenteuer. Man denke nur an die spannende Geschichte über Kapitän William Bligh. Hingegen werden Deserteure stets als Feiglinge dargestellt, die sich vor ihrer Verantwortung drücken. Ebendeshalb legte Trawisheim ja so viel Wert darauf, festzustellen, die Besatzung der ANZIO sei komplett desertiert. Aber in Wahrheit haben wir alle fristlos gekündigt.«

Eine fristlose Kündigung beim Militär – das war eigentlich ein Widerspruch in sich. Keinem Offizier oder Soldaten war so etwas möglich. Umgekehrt konnte auch niemand fristlos entlassen werden, es sei denn, er hatte sich etwas Unehrenhaftes zuschulden kommen lassen, und selbst dann hatte derjenige Anspruch auf ein reguläres Verfahren vor dem Militärgericht.

Roy Vegas hatte jedoch einen verstaubten Flottenparagraphen angewendet, demzufolge man legal aus dem Dienst in der Truppe aussteigen durfte, falls man gezwungen werden sollte, einen unzulässigen Befehl auszuführen, der gegen geltende Gesetze verstieß und den man nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Voraussetzung für das fristlose Ausscheiden war, daß der ranghöchste Offizier an Bord die Zwangslage mit seiner Unterschrift bestätigte. Daraufhin hatte Vegas als Kommandant des Schiffes sich selbst mit seiner eigenen Unterschrift seine Zwangslage bestätigt – ein paradoxes, aber vom Flottengesetz abgedecktes Unterfangen.

Außerdem hatte er seiner Besatzung angeboten, ebenfalls den Gewissensparagraphen geltend zu machen. Alle hatten sich einverstanden erklärt, sogar die neuen Kadetten und Rekruten, die man zur Ausbildung an Bord genommen hatte.

Um sich nicht des Diebstahls von Staatseigentum schuldig zu machen, hatte Roy Vegas die ANZIO leer nach Babylon zurückgeschickt, gesteuert von Robotern.

Mittlerweile hatte der neue Regierungspräsident von Babylon, Daniel Appeldoorn, die von seinem Vorgänger ausgestellten Haftbefehle für null und nichtig erklärt und die Kündigung offiziell legalisiert. Mehr noch: Er hatte allen »Meuterern« angeboten, sie wieder in die Babylonische Flotte aufzunehmen, ohne daß sieRepressalien befürchten mußten; es waren sogar Auszeichnungen für den Mut und die Unerschrockenheit der Besatzungsmitglieder geplant.

Etliche Kadetten und Rekruten, die eine Flottenkarriere anstrebten, konnten es kaum erwarten, in allen Ehren »an den heimischen Herd« zurückzukehren. Andere zögerten noch, insbesondere die Offiziere.

Auch Roy Vegas konnte sich nicht zu einer Rückkehr durchringen – obwohl er sich an seine Flottenuniform so sehr gewöhnt hatte, daß er sie nicht einmal in seiner Freizeit missen mochte. Appeldoorn hatte ihm zwar angeboten, die ANZIO wieder zu übernehmen und in allen Punkten den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, aber genau das bereitete Vegas Kopfzerbrechen. Er wollte nicht noch einmal solche starken Gewissenskonflikte aushalten müssen.

Dank der erfolgreich eingeforderten horrenden Nachzahlungen aufgrund seines Marsabenteuers war er vermögend genug, um sich zur Ruhe zu setzen, doch dafür fühlte er sich mit 82 Jahren noch zu jung. Zog man davon die 47 Jahre ab, die er auf dem Mars hilf- und tatenlos in einer Nährlösungskammer gelegen hatte, wodurch sein kontinuierliches Altern erheblich verzögert worden war, war er genaugenommen sowieso erst 35. Laut ärztlichem Befund bestand sogar die Chance, daß Vegas die Durchschnittsalterszahl von 140 einst erheblich überschreiten würde. Was sollte er bis dahin mit seinem Leben anfangen ohne die Flotte?

»… sind es zwei…« vernahm er gedankenversunken einen Satzfetzen.

Roy zuckte leicht zusammen. »Wie bitte?«

»Wo bist du nur mit deinen Gedanken?« fragte ihn Jenna leicht vorwurfsvoll. »Ich sagte gerade, es seien eigentlich zwei Überraschungsgäste, die wir erwarten – denn die betreffende Person bringt noch eine Freundin mit.«

»Demzufolge ist der Gast männlich«, entgegnete Vegas gespielt nachdenklich, so als säße er in der Quizsendung Was bin ich? »Listen wir einmal auf: Man legt sich besser nicht mit ihm an, er legt großen Wert auf gutes Essen, so sehr, daß er seinen Gastgebern sogar einen menschlichen Koch spendiert… hm. Gehe ich fehl in der Annahme, daß es sich bei seiner Begleiterin um eine schöne Frau handelt?«

»Eine sehr schöne Frau«, bestätigte Jenna.

»Demzufolge ist der Mann ein Frauenschwarm«, schlußfolgerte Roy Vegas.

Carla nickte. »Überaus attraktiv und überaus vermögend.«

»Das trifft auch auf mich zu«, behauptetet Vegas, »aber da ich bereits hier bin, kommt eigentlich nur er in Frage.«

»Er?« McGraves stand noch immer auf der Leitung. »Wer?«

»Ich schätze, wir bekommen gleich Besuch vom ranghöchsten Mann dieses paradiesischen Staates«, erklärte sein Freund, »dem fast die ganze Frauenwelt zu Füßen liegt, einschließlich unserer beiden anwesenden Schönheiten.«

»Art Hooker?« erwiderte Chester lachend. »Halt, halt, das war nur ein Scherz! Du willst auf Terence Wallis hinaus, richtig, Skipper?«

Perfekt wie aufs Bühnenstichwort landete draußen der Gleiter des Staatsoberhauptes von Eden.

*

Der vierundfünfzigjährige Terence Wallis war groß, schlank, sportlich und stets konservativ-elegant gekleidet, wenn man mal von seinem Hang zu grellbunten Westen absah, welche quasi die nach außen hin sichtbaren Farbtupfer seiner schillernden Persönlichkeit bildeten. Sein schon etwas schütteres dunkelblondes Haar trug er meist zu einem Pferdeschwanz gebunden; andere Männer seines Alters hätten dies auch gern getan, doch wenn nichts mehr zum Binden vorhanden war…

Als Gourmet hatte er ein Faible für guten schottischen Whisky und gute kubanische Zigarren. Als Gentleman zündete er letztere in Jennas Eßzimmer erst an, nachdem die mehrgängige Mahlzeit vollständig verzehrt war, einschließlich der Nachspeise.

»Der Koch ist wirklich sein Geld wert«, lobte Wallis den Maitre d’cuisine, nachdem selbiger hinausgegangen war. »Soweit zum gemütlichen Teil des Abends.« Er ließ sein Streichholz aufflammen. »Kommen wir nunmehr zum Geschäft.«

»Wir haben etwas Geschäftliches miteinander zu besprechen?« wunderte sich Roy Vegas.

»Das ganze Leben besteht aus geschäftlichen Vereinbarungen«, erwiderte Wallis. »Freundschaft mag ja eine feine Sache sein, doch von Freunden wird man viel zu oft enttäuscht. Geschäftliche Vereinbarung sind wesentlich reeller – weil man die Gegenseite verklagen kann, falls sie sich nicht an die getroffenen Abmachungen hält.«

Die bezaubernde Frau an seiner Seite verdrehte leicht die Augen. Sie kannte die ganze Palette der Lebens- und Geschäftsphilosophien ihres Partner mittlerweile in- und auswendig.

Die 32jährige schlanke, goldblonde Terra-Press-Reporterin Heather Sheridan, eine durchtrainierte Langstreckenläuferin, war seit fünf Jahren die Dauergefährtin von Terence Wallis – so lange war es inzwischen her, seit sie nach einem romantischen Abend auf Terra in der Botschaft von Eden seiner Ausstrahlung erlegen war.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihm als Journalistin das Leben nicht gerade leicht gemacht.

Böse Zungen behaupteten, er habe sich vor allem deshalb mit ihr eingelassen, weil er sie ständig unter Kontrolle haben wollte.

Am Smalltalk hatte sie sich beteiligt, nun tat sie das, was eine gute Journalistin auszeichnete: zuhören und wachsam jedes Wort registrieren. Ohne Zustimmung der Anwesenden würde sie allerdings keine Gesprächsdetails veröffentlichen, das war Ehrensache.

»Daniel Appeldoorn hat Ihnen, Oberst Vegas, angeboten, wieder in die Babylonische Flotte einzutreten und erneut das Kommando über das Flottenschulschiff ANZIO zu übernehmen«, begann Wallis. »Wie ich von ihm persönlich erfuhr, haben Sie de facto abgelehnt.«

»Damit erzählen Sie mir nichts Neues«, erwiderte Vegas lax.

»Wie wäre es dann mit einer echten Neuigkeit? Nach Ihrer Zurückweisung musterte der gute Daniel die ANZIO kurzerhand aus. Das Schiff gehört jetzt nicht mehr zur Babylonischen Flotte und ging in private Hände über.«

»Was?« Vegas war genauso entsetzt wie McGraves. »Das kann er doch nicht machen!«

»Selbstverständlich kann er das, denn er ist der Präsident.«

»Aber die alte Lady war doch noch bestens in Schuß«, protestierte Chester. »Was wird nun aus den Rückkehrern?«

Terence mußte unwillkürlich schmunzeln. »Um die muß sich niemand sorgen. Gerüchten zufolge besitzt die BF mehr als nur einen einzigen Ringraumer.«

McGraves konnte es noch immer nicht fassen. Das, was er so respektlos »alte Lady« nannte, war ein Ovoid-Ringraumer der Rom-Klasse, der erst im Mai 2062 in den Dienst der Flotte gestellt worden war. In so wenigen Jahren wies ein stabiles Schiff wie die ANZIO nicht einmal dann irreparable Verschleißerscheinungen auf, wenn bei jedem Einsatz darauf geschossen wurde.

»Für diejenigen, die gern wieder in die Flotte eintreten wollen, wird gesorgt«, fuhr Terence Wallis fort, »niemand wird ihnen Steine in den Weg legen. Aber was wird aus denen, die Ihrem Beispiel folgen, Herr Oberst, und sich gegen eine Rückkehr entscheiden? Manch ein gestandener Offizier dürfte mit dem Zivilleben nicht mehr klarkommen. Einmal Soldat, immer Soldat.«

»Wollen Sie damit andeuten, daß wir nur deshalb beim Militär sind, weil wir nichts anderes können?« knurrte Vegas. »Da irren Sie sich gewaltig.«

»Ich habe keinen Zweifel, daß eine erfahrene, in vielen Arbeitsbereichen kompetente Persönlichkeit wie Sie in der freien Wirtschaft schnell eine neue Karriere machen würde«, stellte Wallis richtig. »Das trifft sicherlich auch auf die meisten Ihrer Männer zu. Aber ist es wirklich das, was Sie wollen, Herr Oberst? Schüttelt es Sie nicht jedesmal, wenn Sie das Wort ›Zivilist‹ auch nur aussprechen müssen? Ihre heißgeliebte Uniform tragen Sie sogar hier und jetzt beim Abendessen.«

»Lassen Sie ihn bitte weiterreden, Oberst«, sagte Chester ebenso rasch wie förmlich, als Vegas zu einer passenden Erwiderung ansetzen wollte. »Ich denke, er wird uns gleich ein lukratives Angebot unterbreiten.« Er wandte sich dem Staatschef zu. »Habe ich recht, Mister Wallis?«

»Aus diesem Grund bin ich hier«, gab der Gefragte offen zu. »Ich möchte Ihnen, Oberst Vegas, und Ihnen, Major McGraves, anbieten, künftig als Raumschiffskommandant beziehungsweise Ausbilder für die Flotte von Eden tätig zu werden. Natürlich hoffe ich, daß Sie möglichst viele Ihrer ehemaligen Besatzungsmitglieder mitbringen. Vor allem die kampferprobten Offiziere sind mir wichtig, doch ich verschmähe auch die Mannschaftsdienstgrade nicht.

Ich denke, die meisten von denen warten nur auf ein Wort von Ihnen beiden, um erneut gemeinsam mit Ihnen ins Weltall aufzubrechen. Eden braucht Männer wie Sie, gerade jetzt, wo zahlreiche neue Ringraumer mit Frischlingen von den Siedlerplaneten bestückt werden sollen.«

Vegas wurde hellhörig. »Und wie genau stellen Sie sich das vor?«

»Es gibt kaum Veränderungen zu Ihrer bisherigen Tätigkeit. Eden stellt Ihnen ein Schulschiff zur Verfügung – und schon können Sie loslegen.«

»Keine Veränderungen«, wiederholte Vegas. »Genau das ist es, was mir nicht behagt. Komme ich denn nicht vom Regen in die Traufe? Bieten Sie mir nicht dasselbe Hemd an, nur in einer anderen Farbe? Was ist, wenn ich irgendwann erneut vor der Entscheidung stehe, meinem Gewissen oder dem Befehl meines höchsten Vorgesetzten zu folgen?«

»Dann tun Sie exakt das, was Sie für richtig halten«, antwortete Wallis. »Ich brauche selbständig denkende Menschen, keine tumben Roboter. Im übrigen haben Sie mich falsch zitiert. Ich sagte nicht ›keine Veränderungen‹, sondern ›kaum Veränderungen‹. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.«

»Oder Haarspalterei.«

»In diesem Fall nicht. Lassen Sie mich Ihnen das Ganze bitte genauestens erläutern, und unterbrechen Sie mich möglichst nicht, bevor ich vollständig fertig bin. Ich habe mir das so gedacht: Zunächst einmal ziehen alle ehemaligen Besatzungsmitglieder – mit Ausnahme von Ihnen, Herr Oberst – Ihre Kündigung zurück und treten wieder in die Babylonische Flotte ein…«

Vegas runzelte die Stirn, sagte aber nichts.

»… wobei selbstverständlich niemand gezwungen wird, seinen Dienst wieder aufzunehmen, aber vermutlich werden wir uns vor Freiwilligen kaum retten können. Die Regierung von Babylon bezahlt den Sold der ganzen Besatzung, die somit erneut in Lohn und Brot der BF steht.«

Jetzt war es Chester McGraves, der nicht länger an sich halten konnte. »Augenblick mal! Eben noch hieß es, wir sollen als Ausbilder für die Flotte von Eden tätig werden.«

»So ist es. Sie, Herr Major, wären zwar wie früher Offizier der Babylonischen Flotte, bilden aber Kadetten und Rekruten für die Flotte von Eden aus – nach gemeinsam mit Ihrem Kommandanten erörterten Entwicklungsplänen, in die Ihnen niemand hineinredet.«

Wallis’ Blick richtete sich auf Vegas.

»Auch sonst können Sie laut Absprache unserer beiden Regierungen Ihre eigenen Entscheidungen treffen, Herr Oberst. Sowohl Appeldoorn als auch ich erkennen Sie als unabhängigen Offizier an, der weder der einen noch der anderen Flotte angehört – und Ihre Besatzung bekommt den ausdrücklichen Befehl, sich in erster Linie Ihnen gegenüber verantworten zu müssen.«

Vegas machte eine skeptische Miene. »Was für eine merkwürdige Vereinbarung. Um einmal den italienischen Dramatiker Carlo Goldoni zu zitieren: Wie kann ich der Diener zweier Herren sein?«

»Sie sind niemandes Diener«, machte ihm Terence Wallis nochmals nachdrücklich deutlich. »Im Arbeitsleben gibt es eine klare Regel: Wer zahlt, befiehlt. Weil Sie aber keiner bezahlt, weder Appeldoorn noch ich, gibt Ihnen auch keiner Befehle. Eine Spitzenkapazität wie Sie könnten wir uns sowieso nicht leisten.«

Diese Behauptung war maßlos überzogen, denn der Staatschef von Eden besaß Geld wie Heu, mehr als er in zehn normalen Menschenleben hätte ausgeben können.

»Wir entlohnen Sie einzig und allein mit Ihrer Unabhängigkeit, mehr liegt nicht drin. Da es Ihnen finanziell an nichts mangelt, Sie sind ja fast schon so reich wie ich…« – auch das war maßlos übertrieben – »… können Sie es sich leisten, diese Aufgabe gewissermaßen ehrenamtlich auszuüben. Für all Ihre Spesen komme ich natürlich auf.«

»Wie großzügig«, erwiderte Vegas ironisch. »Und ich hatte schon befürchtet, noch Geld mitbringen zu müssen für die Betriebskosten des Schiffes.«

Wallis grinste. »Aber nein, die übernehme selbstverständlich ebenfalls ich. Das ist mein finanzieller Anteil an dem Pakt, den ich mit Präsident Appeldoorn geschlossen habe. Die eine Hälfte der Auszubildenden stellt Babylon, allerdings in Absprache mit Eden – sprich: Meine Militärführung nimmt sich das Recht heraus, besonders begabte Nachwuchskräfte in das Babylon-Kontingent zu entsenden. General Jackson trifft bereits eine erlesene Auswahl.«

»Und die andere Hälfte bilden Siedler aus jenen Welten, die von Rikers Verband, der TERENCE und der THOMAS betreut werden«, äußerte McGraves eine Vermutung.

»Übergangsweise betreut werden«, ergänzte Wallis. »Seit dem Regierungswechsel gelten Dan Riker und seine schlagkräftige Mannschaft nicht mehr als vogelfrei und stehen wieder im Dienst der Babylonischen Flotte. Um so wichtiger ist es, diese Welten in die Lage zu versetzen, sich selbst verteidigen zu können. Die auf Ihrem Schulschiff ausgebildeten Raumfahrer sollen später jene Ringschiffe fliegen, die derzeit in der unterirdischen Werft auf Mesopotamia gebaut werden.«

»Wem genau gehören eigentlich die Carborit-Ringraumer, die von Bulam, dem Zentralrechner, in der Werft hergestellt werden?« fragte ihn Vegas.

»Wer liefert das teure Tofirit alias Ala-Metall, um die Anlage zu betreiben?« stellte Wallis die rhetorische Gegenfrage und setzte die Antwort gleich hinterher: »Eden. Die Bewohner der Siedlerwelten bekommen die Schiffe geradezu zu einem Spottpreis, vorerst auf Kredit, zinslos, denn es ist mir nicht daran gelegen, sie durch überzogene Forderungen auszupressen – schließlich will ich später, wenn ihre Wirtschaft aufblüht, Handel mit ihnen betreiben. Aus diesem Grund muß der lernhungrige Raumfahrernachwuchs auch nichts für die Ausbildung abdrücken. Ich betrachte mein Engagement als eine Art Entwicklungshilfe.«

»Demnach haben Sie die Werft bereits vereinnahmt«, stellte Carla Sesti lakonisch fest.

Wallis hielt seine gespreizten Finger in die Höhe. »Ein guter Geschäftsmann hat diese hier überall mit drin.«

»Aber ganz Mesopotamia gehört Ihnen noch nicht, oder?« warf Jenna Ferrari mit leicht spöttelndem Unterton ein.

»Ganz recht: noch nicht«, antwortete der findige Unternehmer – und niemand am Tisch vermochte einzuschätzen, ob er das nun ernst meinte oder nicht. »Zunächst einmal richten Babylon und Eden auf Mesopotamia den gemeinsamen Stützpunkt des neuen Schulschiffs ein. Der kürzlich erfolgte Anschluß ans galaktische Transmitternetz sorgt für eine reibungslose Verbindung mit dem Rest der Welt. Außerdem wurde inzwischen mit dem Siedlungsbau begonnen, wie Ihnen nicht entgangen sein dürfte. Die Siedlung wird der Kristallisationspunkt für die noch aufzubauende neue Flotte der unabhängigen Siedlerwelten.

Es treffen sogar schon die ersten Ausbildungskandidaten ein. Ich möchte Sie bitten, meine Herren, sich dieser Leute anzunehmen und die Ausbildung bis zur Ankunft des Schulschiffs entsprechend vorzubereiten. Derzeit kümmern sich überwiegend zivile Fachkräfte um die Organisation; eine gute Zusammenarbeit mit dem Militär wäre uns allen von großem Nutzen.«

»Warum ist das neue Schulschiff noch nicht auf Mesopotamia gelandet?« wollte Vegas wissen. »Wo befindet es sich momentan?«

»In einer Werft auf Babylon, wo es gründlich überholt wird. Falls Sie zusätzliche Einbauten wünschen, wird das natürlich berücksichtigt. Außerdem habe ich gefordert, Ihnen ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Uniformen einzuräumen.«

»Wir bekommen neue Uniformen?« staunte McGraves.

Wallis nickte. »Ihre Kleidung soll sich von der der BF und der der Flotte von Eden grundlegend unterscheiden, schließlich sind Sie gewissermaßen eine neutrale Truppe, die zu beiden Flotten gehört, ohne einer von beiden zugehörig zu sein.«

Bei solchen Sätzen schwirrte seinen Zuhörern nicht selten der Kopf.

»Habe ich auch ein Mitspracherecht bei der Schiffstaufe?« erkundigte sich Vegas. »Den Namen für ein neues Schiff auszuwählen ist mitunter schwieriger als ein neugeborenes Kind zu benennen.«

Terence Wallis schaute ihn verschmitzt an. »Sie dürfen jeden Namen auswählen, den Sie möchten. Allerdings würde ich es so nennen, wie es bereits seit über fünf Jahren heißt: ANZIO.«

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McGraves und Vegas mußten erst einmal schlucken.

»Die ANZIO?« sagte Vegas nach einer Weile. »Sagten Sie nicht, das Schiff sei in private Hände… oh, ja, natürlich – es ging in Ihre Hände über, Mister Wallis. Mußten Sie sehr tief dafür in die Tasche greifen?«

»Die ANZIO war Bestandteil meiner Verhandlungen mit Präsident Appeldoorn«, antwortete der Staatschef ausweichend. »Schließlich komme ich für die Betriebskosten des Schiffes auf, also ist es nur recht und billig, wenn es mir auch gehört. Von heute an wird Ihnen die ANZIO persönlich unterstellt, Herr Oberst – vorausgesetzt, Sie akzeptieren die damit verbundenen Bedingungen, die ja eigentlich gar keine richtigen Bedingungen sind, weil Sie an Bord bedingungslos schalten und walten dürfen.«

»Noch ein paar solcher Schwurbelsätze, und ich drehe durch«, erwiderte Vegas. »Allmählich begreife ich das Geheimnis Ihres geschäftlichen Erfolges: Sie formulieren Ihre Ausführungen stets so gekonnt wie der Gewinner eines galaxisweiten Rhetorikwettbewerbs.«

»Die Formulierungen spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle, es kommt vor allem auf die richtigen Argumente an. Also, sind wir im Geschäft?«

»Augenblick mal!« kam Jenna Ferrari einer Antwort zuvor. »Was bedeutet das für uns, also für Carla und mich? Wir haben uns gerade auf Eden häuslich eingerichtet.«

»Genau, und deshalb wollen wir hier auch nicht weg«, pflichtete Carla Sesti ihr bei. »Mesopotamia wird sich bestimmt einmal zu einem sehr schönen Wohnplaneten entwickeln – in ein paar Jahren. Aber bis es soweit ist, bleiben wir lieber auf Eden. Und das sage ich nicht nur, weil Mr. Wallis anwesend ist: Mir gefällt es hier!«

»Ja und?« meinte Wallis. »Wo liegt das Problem? Zu früheren Zeiten, als die Erde noch von Eisenbahnschienen überzogen war, mußte die arbeitende Bevölkerung lange Wege in Kauf nehmen. Noch heute gibt es Pendler, die in Schweberbussen oder Liniengleitern täglich unterwegs sind, morgens und abends.«

»Aber doch keine eineinhalb Stunden pro Strecke«, widersprach ihm McGraves. »Das sind drei nutzlos verstrichene Stunden an jedem Tag!«

Carla und Chester gehörten noch zu den Frischverliebten, während im Liebeslied von Roy und Jenna schon ein paar Takte Gewohnheit mitklangen.

»Ich weiß gar nicht, ob ich drei Stunden täglich überhaupt von meiner Arbeit abzwacken kann«, sagte Vegas. »Praktischer wär’s schon, wenn man am Abend gleich ins Bett fallen und bei Problemen sofort eingreifen kann. Major McGraves und ich werden daher auf Mesopotamia wohnen.«

»Dann führen wir halt eine Wochenendbeziehung«, schlug Jenna vor. »Frauen von Raum- und Seefahrern sind es schließlich gewohnt, daheim auf ihre Männer zu warten.«