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Die Biografie von Alexander T. Müller ist untrennbar mit der Welt des Gaming verbunden. Als er sich Ende der 1990er-Jahre mit vier Freunden in einem Kölner Vorort auf ein Bier traf, ahnte noch niemand, dass dieses Treffen nicht nur den Urknall des europäischen Esports auslösen sollte, sondern dass in diesem Moment in Köln der Grundstein für eine völlig neue Branche gelegt wurde, die heute ein Milliardengeschäft ist. Alexander Müllers Geschichte ist eine Reise in das Herz des Esports. Ob als CEO von SK Gaming, einer der bedeutendsten Esport-Organisationen der Welt, oder als Mitbegründer der Electronic Sports League (ESL), mit mehreren Millionen Spielern Deutschlands größte Sportorganisation nach dem DFB: Wenn im Esport Geschichte geschrieben wurde, war Müller mittendrin. Es ist seine Geschichte.
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Seitenzahl: 211
Veröffentlichungsjahr: 2025
Prolog
Kapitel 1E-Sport in den Kinderschuhen
Kapitel 2Strategische und wirtschaftliche Ausrichtung
Kapitel 3Unser Weg
Kapitel 4Alles auf MOBA: SK Gaming, League of Legends und die LCS
Kapitel 5Die Ära Counter-Strike: Global Offensive
Kapitel 6Weltklasse, seriös, nachhaltig
Epilog
Anmerkungen
Die Lanxess-Arena in Deutz, vom Kölner Dom aus direkt hinter der Rheinbrücke, ist seit Monaten ausverkauft. Wer noch an Karten kommen will, muss sein Glück auf dem Schwarzmarkt suchen. Auf dem Platz vor der Arena versammeln sich die Fans Stunden vor dem Einlass, die Vorfreude ist mit Händen zu greifen.
In Kölns größter Eventhalle, wo sonst 20 000 Zuschauer bei Eishockey-, Handball- und Basketballspielen mitfiebern, steht an diesem Samstag das WM-Halbfinale in Global Offensive1, der 2016 gespielten Version von Counter-Strike, der Mutter des E-Sports, auf dem Programm. Und wir von SK Gaming sind dabei. Die Vorrunde hat unser Team überstanden und das Viertelfinale gegen ein ukrainisches Team gewonnen, nun also das Halbfinale.
Unser Gegner ist Virtus.pro, ein Schwergewicht der CS:GO-Welt. Das Team besteht aus Legenden der Counter-Strike-Geschichte wie Neo und paszaBiceps sowie erfolgshungrigen Nachwuchstalenten. E-Sports-Insider und die Medien sehen in diesem Halbfinale das vorgezogene Endspiel, den Clash der Turnierfavoriten. Für uns ist das eine Ehre. Es bedeutet aber auch immensen Druck. Die Erwartungshaltung von Fans, Sponsoren und der Community wollen wir nicht enttäuschen.
Zwölf Uhr mittags, es herrscht die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Die Arena wirkt wie ein Ufo im Häusermeer, die Kölner nennen sie Henkelmännchen, wegen des sie überspannenden Bogens, der die Dachkonstruktion trägt. Drinnen erledigen die Mitarbeiter der Electronic Sports League (ESL)2 letzte Arbeiten, verlegen Kabel, richten Kameras aus und testen die Beleuchtung. Die Spieler sind noch nicht da, sie ruhen sich noch im Hotel aus.
Es ist ein Moment des Innehaltens. Mit all den Bildern der vergangenen Jahre im Kopf und dem Blick auf das anstehende Großspektakel ist das angebracht. Seit den Anfängen des E-Sports3 hat sich so viel verändert, alles ist wesentlich professioneller geworden. Dass Turnierveranstalter Hotels und Anreisen der Spieler und Verantwortlichen bezahlen, war früher undenkbar. Der internationale Erfolg bringt es mit sich, dass die Spieler fast mehr auf Flughäfen und in Hotellobbys herumhängen als vor dem Computer, ihrem Arbeitsplatz. Sie führen ein wahres Jetset-Leben, sind global-digitale Nomaden.
Auch wir sind weit gekommen. Für uns steht seit langer Zeit das erste Halbfinale bei einer offiziellen, durch den Publisher4 Valve ausgerufenen Weltmeisterschaft an. Ich bin entsprechend nervös. Köln, der Veranstaltungsort, ist meine emotionale Heimat, ist unsere Stadt. Es ist die Heimat und der Dreh- und Angelpunkt von SK Gaming. 1997 hatten die Reichert-Brüder und einige Freunde unseren Zusammenschluss als „Schröt Kommando“ in Oberhausen gegründet. Inzwischen ist es längst ein Unternehmen mit Sitz in Köln. Dieses Halbfinale ist also gleich doppelt besonders. Es ist das „Halbfinale dahoam“, auf Kölsch: das „Halbfinale zo Huss“. Und die ganze E-Sport-Szene in Deutschland schaut auf uns. Grund genug, alles zu geben.
Ich bin nun auf der Logen-Ebene der Arena, total nervös, und suche nach einer Beschäftigung. Der Tag soll besonders begangen werden. Deshalb haben wir eine Extraloge gemietet und bereits vor einer Woche die Familienmitglieder unseres Teams aus Brasilien einfliegen lassen. In Köln treten wir schließlich unter deutsch-brasilianischer Flagge an. Wir als SK Gaming haben ein brasilianisches Team unter Vertrag, das für uns bei diesem Turnier antritt. E-Sport ist international, der Globus ein großes Dorf.
Ich laufe also wie ein Tiger im Käfig hin und her. In solchen Situationen bin ich ein bisschen wie Monica Geller aus der 1990er-Jahre-Sitcom „Friends“: Ich beruhige mich mit Aufräumen und Saubermachen. Beim Aufräumen habe ich die Situation unter Kontrolle und kann mich abreagieren. Eine aufgeräumte Welt ist eine kontrollierbare Welt. Und so rücke ich Stühle zurecht, arrangiere Besteck, Teller, Gläser und Salzstreuer auf den Tischen neu, poliere zum dritten Mal den Tresen. Am Ende sieht die Loge genauso aus wie vorher – und an meiner Nervosität hat sich nichts geändert.
Dann endlich öffnen sich die Türen und die Fans fluten die Halle. Das hier ist selbst für unser globales Business etwas ganz Besonderes. Derartige Dimensionen, gepaart mit der einzigartigen Stimmung, sind auch in unserem Sport nicht selbstverständlich. Tausende Fans, die sich auf E-Sport der Extraklasse freuen, tausende Augen, die auf uns gerichtet sind – und dazu Millionen vor den Bildschirmen zu Hause.
Gegen 14 Uhr beginnt das Warm-up, das Einspielen auf der großen Bühne. In dieser Phase machen sich die Spieler mit der Atmosphäre und den Bedingungen am Veranstaltungsort vertraut. Bei jedem Turnier haben die Lichtverhältnisse, die Akustik und die Zuschauerreaktionen, die immer anders sind, Einfluss aufs Geschehen. Auch die Hardware5 ist immer wieder anders.
Nach dem Check geht es über einen Fahrstuhl in den Backstage-Bereich. Unser Spieler mit dem Nickname6 Taco, nicht nur ein hervorragender E-Sport-Athlet, sondern auch eine lebende Beatbox, gibt jetzt den Rhythmus vor, die anderen Spieler freestylen und singen.
Ich versorge die Spieler mit Getränken und Snacks. Die Anspannung ist für mich unerträglich. Und dann geht es endlich los: der Augenblick des großen Auftritts, das Einlaufen in die Arena. Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn das Licht erlischt und der Countdown beginnt: 10, 9, 8, 7 … 15 000 Kehlen zählen laut runter, bei 0 wird die Arena schlagartig erleuchtet, Pyrotechnik, dröhnende Musik, Lightshow – es ist der Wahnsinn.
Als die Protagonisten im grellen Scheinwerferlicht die Bühne betreten, geben die Fans alles. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Unsere Spieler hüllen sich in brasilianische und deutsche Flaggen. Sie haben Köln ein wenig als Heimat angenommen. Auch wenn wir im E-Sport ein globales Dorf sind, gehört ein bisschen Nationalstolz zur Inszenierung eines Sportevents dieser Größe dazu.
Und da haben wir es nicht leicht. Die Arena ist mehrheitlich auf der Seite der Helden von Virtus.pro, die in ihren Sportlerleben schon alles gewonnen haben und längst ein Teil der E-Sport-Geschichte sind.7 Kaum jemand hat im Spiel CS:GO Größeres erreicht als diese fünf Jungs. Aber unsere Geheimwaffe ist die brasilianische Leidenschaft, die auch gut an den Rhein passt. Unsere 25 Fans aus Südamerika sind wild entschlossen, den rund 12 000 Virtus.pro-Fans im Rund der Lanxess-Arena die Stirn zu bieten und das tun sie auf beeindruckende Weise.
Bei all diesem Spektakel und Lärm kommt dann der Moment der Wahrheit. Die Spieler nehmen Platz. Es geht los. Da tritt plötzlich in der Loge ein älterer Herr auf mich zu, der Vater unseres besten Spielers Coldzera, trotz seines Alters ein riesiger Counter-Strike-Fan. Er spricht mich auf Portugiesisch an: „Não se preocupe, Alex. Relaxe. Vamos vencer isto. Hoje é um belo dia“ – „Keine Sorge, Alex. Entspann dich. Das gewinnen wir! Heute ist ein schöner Tag.“
Er hat Recht, es ist ein schöner Tag. Nur manchmal verliert man eben auch an schönen Tagen.
Wir haben schon eine lange Reise hinter uns – eine Reise mit vielen Erfahrungen, Erlebnissen und Highlights. Und sie ist sicher noch nicht vorbei. Aber wir sind weit genug gekommen, dass es sich lohnt, kurz innezuhalten und auf die bisher zurückgelegte Strecke zurückzublicken.
Wo fängt man am besten an, diese Geschichte zu erzählen? Springen wir in die Zeit Mitte bis Ende der 1990er-Jahre. Im Februar 1995 machte ich mein Abi. Und dann? Damals mussten Männer noch entscheiden, ob sie ein Jahr Bundeswehr oder etwas länger Zivildienst machen. Ich entschied mich für die Wehrpflicht und anschließend fing ich an zu studieren, 1996 war das. Wie damals gang und gäbe, überlegte ich, was ich neben dem Studium noch so machen könnte. Ein Job schien eine spannende Ergänzung zum Studium zu sein. Also schaute ich mich um und fand bei der Firma Dendrite eine Stelle. Das war in Sindorf, draußen bei Kerpen, westlich von Köln, Heimatort des insgesamt siebenmaligen Formel-1-Weltmeisters Michael Schumacher.
Dendrite entwickelte Software, um die Außendienste von Pharmakonzernen zu steuern, zu vereinfachen und teilweise zu automatisieren. Das ist eine streng reglementierte Branche. Die Außendienstler durften zum Beispiel nur in bestimmten Intervallen Ärzte besuchen und hatten hier verbindliche Vorgaben, etwa nur einmal pro Halbjahr Arzt X anzurufen. Mit der Software wurde der Arbeitsalltag der Pharmareferenten dokumentiert und transparent nachgehalten. Auf diese Weise entstand eine große Datenbank, sodass die Ärzte und auch die Pharmakonzerne immer auf der rechtlich sicheren Seite standen. Betreut haben wir zwei der führenden Pharmariesen mit mehreren Hundert Mitarbeitern im Außendienst.
Was macht man als Werkstudent in so einem Unternehmen? Genau, man sitzt an der Hotline und beantwortet Kundenanfragen und Anrufe von den Außendienstlern. Die Außendienstmitarbeiter hatten für die damalige Zeit absolute Highend-Notebooks. Im Prinzip hatten sie ihre Software darauf, insbesondere Windows, und darüber hinaus vor allem Datenbanken. Alles war dort direkt personalisiert. Für eine Zeit, in der noch kaum jemand Internet oder leistungsstarke Privatrechner hatte, war das also schon richtig gut.
Wenn die Kollegen Problemchen mit den Notebooks hatten, dann haben wir Studenten geholfen. Schließlich waren Computer genau unser Ding. Tagsüber haben sich die normalen Mitarbeiter bei Dendrite damit beschäftigt und abends waren dann wir, die Studenten, dran. Wie man sich vorstellen kann, ist in den Abendstunden in Sachen Außendienst- und Kundenbetreuung eher wenig los. Und nun standen da diese Highend-Computer vor uns. Niemand würde abends damit arbeiten. Was macht eine Gruppe technikaffiner Jungs damit? Etwas Spannendes würde uns schon einfallen.
Jens Hilgers war ein Teil unserer Truppe von der abendlichen Hotline, mit der ich damals in meinem Job Zeit verbrachte. Gemeinsam fingen wir an, auf den Notebooks Spiele zu installieren. Schließlich wollten wir die Hardware ordentlich ausreizen – und nicht nur, um Datenbanken für Pharmariesen zu verwalten. Neben guten Notebooks verfügte das Unternehmen auch über ein blitzschnelles Netzwerk. Also konnten wir nun in den Abendstunden kleine private LAN8-Partys veranstalten und wurden dafür sogar bezahlt. Das waren meine ersten Berührungspunkte mit einem Multiplayer9-Modus.
Das war etwas anderes als das, was wir noch wenige Jahre davor gemacht hatten, etwa auf einem C6410Summer Games zu spielen oder später auf einem Amiga zu zocken. Früher hatte man ja eher gemeinsam vor demselben Gerät gesessen und wild Tasten gedrückt. Der Multiplayer, den wir nun hatten, war eine ganz andere Hausnummer. Jeder hatte eine Highend-Station nur für sich. Darauf konnten wir voll konzentriert gegeneinander spielen, mit eigenem Setup. Das war bahnbrechend, etwas völlig Neues für uns.
In dieser Zeit fingen wir auch an, uns privat zu treffen. Das galt vor allem für Jens und mich. Wir verbrachten damals viel Zeit miteinander und wurden echt gute Freunde. Er erzählte mir bald mehr über Hardcore-Gaming. Begriffe wie „Pro Gaming“ oder „E-Sport“ gab es damals noch gar nicht. Für mich war total spannend und interessant, was er erzählte. Jens hatte Ahnung vom Thema, von der Szene und dem ganzen Drumherum. Mein VWL-Studium dagegen war eher trocken und akademisch. Die Welt des Hardcore-Gamings war für mich eine willkommene Abwechslung. Allerdings hatte ich schon das passende Studium gewählt, denn ich verstand wirtschaftliche Zusammenhänge äußerst gut. Jens war eher der Techniker, der sich für Hardware, Software und Netzwerke interessierte. Später habe ich dann festgestellt, dass wir im Team sogar noch Menschen um uns hatten, die deutlich mehr Ahnung hatten als er, obwohl Jens da schon echt gut gewesen ist. Im Vergleich zu mir war er ein PC-Guru, der tiefe Kenntnisse von der Materie hatte.
Damals erzählte er mir von einer Webseite, an der er baute. Es ging um Gaming-News und aktuelle Meldungen zu Videospielen. Schließlich fragte mich Jens, ob ich nicht Lust hätte, bei dieser Seite mitzumachen. Damals ahnte ich nicht, dass dies der Grundstein für etwas Großes werden würde.
Ich musste nicht lange überlegen: Natürlich wollte ich mitmachen. Gaming war immer mehr zu einer Leidenschaft für mich geworden. Es war mehr als ein bloßes Hobby. Hardcore-Gaming, also das, was wir heute E-Sport nennen würden, nahm immer mehr von meiner Aufmerksamkeit und Lebenszeit in Anspruch. Aber was könnte ich bei diesem redaktionellen Projekt genau an Aufgaben übernehmen?
Als angehender Volkswirt konnte ich mich gut in wirtschaftliche Zusammenhänge hineindenken. Das fiel mir nicht nur leicht, sondern hatte mir auch schon vor meinem Studium richtig Spaß gemacht. Also könnte ich ja dafür sorgen, dass wir mit dem Projekt irgendwie Geld verdienten. Zuerst wusste ich noch nicht so recht wie, aber wenn Gaming11 wirklich bedeutsam in meinem Leben werden sollte, dann musste es eben auch etwas Greifbares abwerfen.
Den wirtschaftlichen Aspekt hinter dem Gaming fand ich spannend, seit ich mich mit den Spielen beschäftigte. Doch die Welt drumherum sah das ganz anders. Unsere ersten Gespräche und das Vorfühlen mit Blick auf Sponsoring bei potenziellen Partnern brachte eher enttäuschende Reaktionen: „Hey, die kaspern mit ihrem Gaming bestimmt nur rum. Die wollen wir nicht“, war wohl die vorherrschende Meinung.
Wir wollten es aber professionell aufziehen. Also haben wir uns hingesetzt und einen One-Pager für unser Projekt, unsere Webseite, geschrieben. Das ist ein kurzes, prägnantes Dokument, mit dem die wichtigsten Fakten und das Potenzial eines Business beschrieben werden. Unsere Seite hieß damals übrigens gamers.de. Wahrscheinlich war das nicht sehr kreativ, aber dafür äußerst einprägsam und eindeutig. In Sachen Views, also Seitenaufrufe, hatten wir damals noch nicht sehr aussagekräftige Zahlen. Sollten wir die eher rudimentären Daten also in den One-Pager reinnehmen, mit dem wir ja mögliche Partner von uns überzeugen wollten? Wir überlegten hin und her und stellten das Blatt schließlich fertig. Mit diesem handgestrickten Dokument sind wir, ein Haufen leidenschaftlicher Gamer, dann zur damals größten IT-Messe der Welt gefahren, der Cebit in Hannover.
Dort angekommen, gingen wir direkt auf alle möglichen Hersteller von Hardware zu. Man muss sich das mal vorstellen. Wir waren zu dieser Zeit mit wenig mehr als Leidenschaft, einem durchaus überschaubaren Konzept und ersten Ideen ausgestattet. Aber wir besaßen Selbstvertrauen, wussten um das Potenzial unserer Vorstellungen und wollten direkt den großen Wurf wagen.
All unseren Gesprächspartnern auf der Cebit erklärten wir, dass wir das nächste große, coole Ding seien. Gaming war in unserer Vorstellung der Entertainment-Markt der Zukunft und wir waren nicht nur mittendrin, wir waren das Epizentrum. Wir sprachen mit den Herstellern über Werbung und Geld. Wir forderten sie auf zu schauen, wo sie sich in unserer Welt einbringen konnten. Hinter den großen Zielen hatten wir noch ein paar kleinere Wünsche: Natürlich wollten wir zumindest ein bisschen Hardware erhalten, um die nötige Infrastruktur für unser Projekt zu haben. Außerdem würden wir mit Sponsoren über unsere Webseite auch mal eine Grafikkarte, ein Mainboard oder eine CPU12 an unsere Leserschaft verlosen.
Diese Initiative war die Basis für alles, was danach kam. Es war der Anfang einer langen beruflichen Reise, einer prägenden Zeit im E-Sport. Mit dem damaligen Projekt, mit unseren Cebit-Gesprächen und den entstandenen Kontakten haben wir angefangen, uns ein Netzwerk aufzubauen. Wir sprachen mit vielen Menschen über unsere Idee und unsere Leidenschaft. Was wir damals spürten: Die Leute fanden uns cool, aber so richtig viel konnten sie mit Gaming-Punks wie uns eigentlich nicht anfangen. Bei uns kam das positiv an. Wir waren Überzeugungstäter und wenn Leute uns cool fanden, war das doch was. Es bestärkte uns darin, mit unserer Idee fortzufahren.
Wenn ich jetzt an jene Zeit zurückdenke, glaube ich: Wir lagen falsch. So richtig cool fand uns damals eigentlich niemand. Ich glaube eher, dass wir unfassbar penetrant waren. Die Gesprächspartner kamen gar nicht drumherum, mit uns zu sprechen, weil wir nicht lockergelassen haben. Vielleicht war ihr Einlenken, das Geld, die Unterstützung eher eine Art Schweigegeld, damit wir endlich Ruhe gaben. Oder sie hatten irgendwann einfach Erbarmen mit diesen schrägen Gaming-Enthusiasten, die da ein komisches Ding machten.
Es war eine wilde Zeit. So etwas wie Customer-Relationship-Systeme, also Programme zum Verwalten geschäftlicher Kontakte, gab es da noch gar nicht oder sie waren unerschwinglich, wahrscheinlich eher Letzteres. Ich habe alles mit Zettel, Stift und später einem Moleskine-Planer notiert. Wenn jemand telefonisch nicht zu erreichen war, notierte ich mir das und versuchte es drei Tage später einfach wieder. Das war ein Pen-and-Paper-Vertrieb.
Nach dem eher ungeordneten und enthusiastischen Start haben wir irgendwann über die Leute nachgedacht, an die wir uns überhaupt richten sollten. Für wen waren wir eigentlich interessant? Heute würde man das Zielgruppenanalyse nennen. Für welche unserer Partner hatten wir eigentlich eine Zielgruppe im Publikum? Wer könnte unser Kunde sein? Wer könnte eine mögliche Marke sein, die zu uns passte: große Chiphersteller wie AMD und Intel oder eher deutsche Unternehmen aus der IT-Welt?
Vor drei Jahrzehnten sah die Computerwelt ganz anders als heute aus. Damals gab es einen Grafikkartenhersteller, den heute kaum noch jemand kennt. Der hieß Elsa und saß in Aachen. Außerdem gab es auch damals schon Nvidia, inzwischen einer der wichtigsten Technikkonzerne der Welt. Für Gamer war die Grafikkarte im Computer besonders wichtig, mit ihr stieg und fiel das Spielerlebnis. Und so waren diese beiden Firmen auch die ersten Marken, mit denen wir sprachen. Auf diese Weise fingen wir langsam, aber stetig an, uns ein Netzwerk aus Partnern zu knüpfen.
Früh stand auch der Peripherie13-Hersteller Cherry auf meine Liste der Partner, die wir dringend brauchten. Damals stellte Cherry einfach die geilsten Tastaturen her. Daher war das Unternehmen für uns nicht nur ein passender Partner, sondern auch aus technischer Sicht sehr relevant. Denn Cherry-Tastaturen hatten schon damals die mit Abstand besten Switches.14 Diese Keyboards waren das Nonplusultra. Im Grunde besaßen alle Gamer, die etwas auf sich hielten, eine Cherry-Tastatur.
Beim Blick zurück fühle ich auch eine gewisse Nostalgie. Es gibt Partner, bei denen ich schon ganz am Anfang meines Werdegangs in der Gaming-Welt vorstellig wurde, so auch bei Cherry. Leider erfolglos. Sehr viel später konnte ich dann den folgenden Satz sagen: „Hey, hat mich ja nur 23 Jahre gekostet, euch als Partner zu gewinnen.“ Aber ich glaube, das zeigt ganz gut, wie wir damals drauf waren und was uns bis heute ausmacht. „Nein“ ist keine Option. Du akzeptierst ein „Nein“ einfach nicht als Antwort. So überzeugt waren wir schon damals von dem, was wir machten – und das hat sich bis heute nicht geändert.
Es gibt jedoch einen großen Unterschied zwischen der Anfangszeit und heute: Damals waren wir zwar schon genauso überzeugt von uns, aber wir wussten nicht, wo der Weg hinführen sollte. Jens war bei uns immer der Typ, der sich um das Business-Development und die Visionen kümmerte. Ich kenne kaum jemanden, der das stärker macht als er. Deswegen wundert es mich auch nicht, dass er 25 Jahre später mit BITKRAFT ein Unternehmen aufgebaut hat, das die Visionen anderer Menschen bewertet und entsprechend Geld und Know-how zur Verfügung stellt, wenn diese Visionen Wirklichkeit werden könnten. Jens‘ Unternehmen stellt heute Risikokapital für aufstrebende Gaming- und Web-Start-ups zur Verfügung. Es ist in diesem Bereich absoluter Marktführer.
Go-to-Market war wiederum nicht so der Fokus von Jens. In unserem Team stand ich von Anfang dafür, dass man echtes Geschäft in die Praxis umsetzt. Meine Stärke lag darin zu erkennen, was Partner haben wollten und was für sie sinnvoll war, um dann zu prüfen, was davon auch kommerziell nutzbar sein konnte.
Neben Jens und mir gab es noch Marco Dohmen für redaktionelle Inhalte, Jan Philipp Reining, der wie kein anderer Website-Programmierung und Website-Design miteinander in Einklang bringen konnte, sowie Björn Metzdorf, ein Mastermind im Bereich Website-Programmierung und Servernetzwerke.
Ralf Reichert, bis vor kurzem Chef der ESL15, stieß erst im März 2000 zu uns. Er war in unserem Fünfer-Team ein Nachrücker für Marco, der damals ausgestiegen ist. Ralf brachte viele Fähigkeiten mit, die für uns wichtig waren. Über Ralf werde ich später noch mehr schreiben. Im Moment ist jedoch folgender Punkt entscheidend: Unser Anfangsteam setzte sich aus Menschen zusammen, die unterschiedliche Stärken mitbrachten. Ralf stand bei uns für die Strategie und ihre stringente Umsetzung. Bis heute sind wir drei – Ralf, Jens und ich – wahrscheinlich die wichtigsten Köpfe im europäischen E-Sport. Vor allem, weil wir den E-Sport im europäischen Raum etabliert haben.
Natürlich gab noch andere Wegbegleiter, Leute, die gut und relevant waren. Aber Jens, Ralf und ich waren eine Kombo, die sich unfassbar gut ergänzt hat. Ich glaube sogar, dass diese persönliche Chemie ein bisschen das Geheimnis des E-Sports in Europa ist. Wir haben einfach gut zusammen funktioniert.
Jens hat das Projekt hinter gamers.de nie ruhen lassen. Es war von Anfang sein Ding, sich da hineinzudenken. Die Idee war, um die bereits bestehende Community herum weitere Bereiche aufzubauen. Heute würde man das Business Development nennen. Damals haben wir einfach losgelegt, ohne wohlklingende Namen für alles zu haben.
Wir haben uns dann auch in der Community umgeschaut, um Menschen zu finden, die Bock darauf hatten, speziellere Seiten zu erstellen und Content zu schreiben. Da gab es tatsächlich einige, die Lust auf Half-Life und die darauf basierende Modifikation der Community, Counter-Strike, hatten, Jens wiederum war mehr auf dem Quake-Zug aufgesprungen. Wieder ein anderer hat cheaters.de gestartet und mit Inhalten gefüllt. Halt alles, was man sich so vorstellen kann, was Gamer so brauchen, wenn sie auf einer LAN-Party unterwegs sind und sich inhaltlich mit ihrem Hobby befassen möchten.
Diese Menschen aus der Community konnten Webseiten bauen, sie konnten Content erstellen. Aber was ihnen allen fehlte: Sie wussten nicht, wie man Geld damit verdienen sollte. Das Hobby zum Beruf zu machen, war damals enorm schwierig. Keiner von denen konnte die eigene Idee und das eigene Handeln in Geld umwandeln. Dazu waren die Einzelprojekte auch schlicht zu klein. Als Marketingverantwortlicher eines Brands wie Intel kannst du dich nicht mit vielen kleinen Websites und deren Ansprechpartnern beschäftigen.
Das war der Anknüpfungspunkt für Jens. Er meinte, dass er für diese fehlende Verbindung von Wissen, Content und Geld eine Lösung habe – nämlich mich. Ich sollte es schaffen, aus den Inhalten ein sinnvolles Gebilde zu bauen, das kommerziell funktionierte. Denn je mehr Webseiten wir im Netzwerk hatten, desto weiter strahlte unser Angebot. Außerdem konnten die Webseiten sich untereinander ergänzen. Nehmen wir ein Gewinnspiel. Klar konnten wir eine Grafikkarte auf einer Webseite verlosen. Cooler wäre es aber, drei Grafikkarten auf drei unterschiedlichen Webseiten zu verlosen, während die Webseiten miteinander verlinkt waren. So ist schließlich das Gamers Network entstanden.
Das war in seiner ursprünglichen Form einfach ein loser Zusammenschluss. Wahrscheinlich war es – dem Gesetz nach – bereits eine GbR.16 Juristen würden auf Risiken hinweisen, gegenseitige Haftung und so weiter. Aber ganz ehrlich, das wussten wir damals nicht. Und es war uns auch egal. Wir hatten einfach Bock auf Sachen mit Gaming.
Wir alle hatten Studentenjobs und dabei häufig wenig zu tun. Also haben wir einen großen Teil der Zeit in unser privates Projekt gesteckt. Wir haben Tag für Tag geguckt, dass es immer ein Stück weiter vorankommt. Mit der Zeit wuchs das Gamers Network. Wir haben immer häufiger Treffen im Netzwerk organisiert. Offline, im echten Leben – meistens bei Jens, östlich von Köln, in Bergisch Gladbach.
Bei diesen Treffen kamen die Webseitenbetreiber unseres Netzwerks zusammen, um zu fachsimpeln und sich auszutauschen. Es ging aber nicht nur um Ideen und den Austausch, sondern auch darum, als Gleichgesinnte eine gute Zeit miteinander zu verbringen. Es war gesellig. Wir waren jung und lebenslustig.
Über diese Aktivitäten wuchs ein Team heran, das wiederum unsere Fortschritte beschleunigte. Jens hatte immer diesen Drang, das Ganze weiterzudenken und anzutreiben. Er gab neue Impulse und es lief immer weiter in die richtige Richtung.
Schröt Kommando, das wir heute als SK Gaming kennen, war damals noch kein Thema. Ich kannte Ralf und die Jungs und dachte, dass es ganz cool sei, was SK da so machte. Aber einen direkten Kontakt gab es vor Februar 2000 noch nicht.
Die Idee des Gamers Network war zuallererst noch ein Konstrukt von Idealisten, nun war es aber an der Zeit, dieses in Verträgen zu verankern. Jedes Projekt hatte sein eigenes Redaktionsteam. Wenn es um Vermarktung oder technische Weiterentwicklung ging, dann gab es zentrale Anlaufstellen im Netzwerk.
Jens hat sich im Jahr 1999 zusammen mit der Net Brain AG aus Trier hingesetzt, um eine Zusammenarbeit auszuloten. Net Brain hatte eine große Gaming-Webseite, das würde gut zu unserem Projekt passen. In Trier hatten sie großes Interesse daran, mit uns einen gemeinsamen Weg zu gehen. Sie waren vor allem richtig gut in klassischer Werbevermarktung, verkauften zum Beispiel Werbebanner auf ihrer Webseite und verdienten damit gutes Geld. Mit uns wollten sie zusätzliches Inventar in ihr Portfolio aufnehmen, also Reichweite gewinnen. In unseren Augen war das eine Win-Win-Situation.
Also haben wir uns als Team hingesetzt und das besprochen – und kamen zu dem Ergebnis, dass wir mit der Net Brain AG zusammenarbeiten wollen. Ziel war es, unter das Dach des Unternehmens zu schlüpfen und so ein noch größeres Netzwerk zu schaffen. Es sollte ein Deal sein, bei dem wir alle unsere Rechte ins Netzwerk einbringen.
Wir setzten die Gamers Network GmbH auf, in der nun alle Projekte, die wir bis dahin bereits zusammengeführt hatten, aufgingen, und beteiligten die Net Brain AG dann an dieser Gesellschaft.