Ich dachte, wir sind gute Freunde - Iradj Taghi-Khani - E-Book

Ich dachte, wir sind gute Freunde E-Book

Iradj Taghi-Khani

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Beschreibung

Navid und Milan lernen sich Anfang der 1980er Jahre in München kennen. Die jungen Männer sind vor Krieg und Gewalt aus ihrem Heimatland Iran geflohen. Navid sucht die Freundschaft des älteren Milan. Die Not in der Fremde scheint sie zu verbinden. Als Navid sich in Rita verliebt, rät Milan ihm, über seine Flucht mit ihr nicht zu reden: „Wenn sie das hört, nimmt meilenweit Abstand von dir.“ Navid hält sich nicht an den Rat. Gelingt Navid und Milan Freundschaft fern der Heimat, in der unbekannten Kultur, in die sie das Leben hineingeworfen hat? Und wie reagiert Rita, als sie erfährt, dass Navid geflüchtet ist? Eine lebendig erzählte Geschichte über Freundschaft, Verrat und Schuld.

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Seitenzahl: 75

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Ich dachte, wir sind gute Freunde

Iradj Taghi-Khani

Hottenstein Buchverlag

An der Höhe 15

D-31079 Sibbesse

Tel. +49 5065 - 1781

Fax +49 5065 - 1824

www.hottenstein.de

[email protected]

ISBN 9 783-935928-69-4

Bearbeitung und Satz: Martin Hartmann und Andreas Hartmann

Umschlaggestaltung: Martin Hartmann

Titelgrafik: Taghi-Khani

Für meine Frau,

Sabine Palandt.

1. 5

2. 7

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4. 10

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6. 15

7. 16

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9. 20

10. 22

11. 23

12. 23

13. 24

14. 26

15. 27

Begriffe aus dem Persischen29

Anhang30

Biographie31

1

Es ist Dezember 2014, kurz vor Weihnachten. Ich sitze an meinem Computer und blicke auf die E-Mail, die ich gerade erhalten habe.

„Guten Tag,

mein Name ist Milan Nikuzad. Ich bin auf der Suche nach Herrn Navid Baharmanesch, der Anfang der achtziger Jahre mit mir das Studienkolleg in München besucht hat. Falls Sie Navid Baharmanesch sind oder ihn kennen, würde ich mich über eine Nachricht von Ihnen freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Milan Nikuzad“.

Das Schreiben versetzt mich dreißig Jahre zurück, in meine erste Zeit in Deutschland. Es war eine schwierige Zeit. Vor manchen Erinnerungen verstecke ich mich noch heute. Ich fürchte sie wie eine Antilope, die sich vor einem Rudel hungriger Löwen verbirgt.

Kennengelernt hatte ich Milan an einem Septembertag in München bei der Aufnahmeprüfung für das Studienkolleg der Universität. Ich saß in der letzten Reihe, als er den Prüfungssaal betrat. Er fiel mir auf, weil er, wie ich fand, sehr schick angezogen war. Sein kurzärmeliges kariertes Hemd passte zu seiner gelbbraun gestreiften Krawatte. Über seinen Schultern hing ein gelber Pullover. Einen Augenblick sah er sich um, nahm die Sonnenbrille ab, setzte sie auf seine kurzen, krausen Haare und kam langsam zu den hinteren Reihen.

An den kleinen, quadratischen Tischen, die im Abstand von etwa einem Meter nebeneinander aufgestellt worden waren, saßen mehr als vierzig junge Frauen und Männer. Sie warteten auf ihre Prüfungsaufgaben. Rechts neben mir befand sich eine große milchige Glasscheibe, die bis zum Boden reichte. Links kaute eine Frau nervös an ihren Fingernägeln.

Während ich mit Bleistift ein paar Sätze und Grammatikregeln von einem Spickzettel auf den Tisch kritzelte, setzte sich der Mann auf den freien Stuhl vor mir.

Ich wollte, oder besser gesagt, meine Eltern wünschten, dass ich studiere. Sie hatten mir unter größten Entbehrungen die Flucht aus meiner Heimat ermöglicht, in der der Krieg tobte. Ich hatte ihnen versprochen, im Ausland zu studieren und mir in der Fremde eine Existenz aufzubauen. Daher war diese Aufnahmeprüfung für mich sehr wichtig.

Das Studienkolleg bereitete uns auf das Studium in Deutschland vor. Wir sollten dort unsere Deutschkenntnisse verbessern, die Grundbegriffe der Mathematik, Physik und Chemie erlernen sowie ein paar weitere Fächer besuchen. Zum Abschluss des Kollegs, das in der Regel zwei Semester dauerte, gab es eine Prüfung. Nur wer sie bestand, war berechtigt, an einer deutschen Hochschule zu studieren. Als Teilnehmer des Studienkollegs hatten wir Studentenstatus. Wir konnten in den Studentenheimen wohnen, in der Mensa essen und alle Vorteile wie die Studenten in Anspruch nehmen.

Mit Gottes Hilfe und ein bisschen Schummeln hatte ich die bisherigen Prüfungen bestanden. Allerdings hatte ich dieses Mal das Gefühl, als würde es anders laufen. Ich hoffte auf ein Wunder. Könnte der junge Mann mir vielleicht irgendwie helfen? Ich war mir nicht sicher, wie gut er Deutsch verstand.

„Hallo“, flüsterte ich in seine Richtung.

Die Frau neben mir schielte herüber, sah mich irritiert an und wandte sich dann zur anderen Seite.

„Hallo! He, du, Kollege!“, rief ich ein wenig lauter.

Zögernd drehte er sich um, ließ seinen kräftigen Arm über die Stuhllehne hängen und betrachtete mich schweigend. Erst nach einer Weile fragte er barsch: „Was ist?“

Meine Hoffnung, mit ihm die Lösungen tauschen zu können, verschwand.

Ich schwieg.

„Was willst du von mir?“

„Viel Glück“, sagte ich nur, wandte meinen Kopf zur Seite und hoffte damit auf das Ende des Gespräches.

Er streckte seinen Arm zu meinem Tisch, zeigte zu der Stelle, auf die ich die Notizen geschrieben hatte, und fragte ziemlich laut: „Willst du etwa schummeln?“

Ich erschrak, fürchtete, dass jemand mithören oder die Aufsicht hereinkommen würde. Schnell beugte ich mich über die Bleistiftnotizen auf meinem Tisch, spuckte darauf und wischte sie mit dem Jackenärmel weg. Er grinste, klatschte in die Hände und schüttelte den Kopf.

Als die Prüfer, ein Mann und eine Frau, mit den Unterlagen in den Saal kamen, herrschte sofort angespannte Ruhe. Der Mann stellte sich ganz vorn hin, die Frau in meine Nähe.

Zuerst schrieben wir ein Diktat. Der Mann las mehrere Sätze aus einem Buch vor, die Frau wiederholte sie. Ich hatte nicht viel Zeit zum Überlegen und schrieb aus dem Bauch heraus, was ich für richtig hielt.

Ich hoffte, dass der anschließende Grammatiktest zu meinen Gunsten ausfallen würde. Jeder von uns bekam drei doppelseitige Fragebögen. Die beiden ersten Aufgaben waren mir zu schwer. Daher beschäftigte ich mich zunächst mit der Dritten. Doch so einfach war auch diese nicht. Es handelte sich um die Endungen von Adjektiven in Pluralsätzen. Ich überlegte kurz und entschied mich für die anderen Fragen mit den Antwortkästchen.

Ich holte meine Glücksmünze aus der Hosentasche, ein Geldstück aus meiner Heimat, das ich ständig bei mir trug. Ich wollte mit Hilfe von „Kopf oder Zahl“ das richtige Kästchen ankreuzen. Das war eine Methode, die mir schon oft geholfen hatte.

Die Prüferin merkte, dass ich etwas aus der Tasche herausgeholt hatte. Sie rückte ihre Brille zurecht und eilte zu mir. Zögernd zeigte ich ihr das Geldstück. Sie sah mich streng an, warnte mit erhobenem Zeigefinger und sagte: „Stecken Sie das sofort ein!“

Die Kandidatin links neben mir hatte sich tief über ihre Arbeitsblätter gebeugt, putzte sich hin und wieder die Nase und brachte nichts aufs Papier. Der junge Mann vor mir war bereits fertig. Er legte seine Unterlagen auf die rechte Seite seines Tisches, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte lässig die Beine aus.

Minuten später, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, löste die weibliche Aufsicht ihre Füße vom Boden und ging vorwärts.

In diesem Moment trieb mich meine innere Not zum Handeln. Ich bündelte all meine Kräfte, atmete tief ein und rüstete mich zum Angriff. Geduckt wie ein Tiger, der sich seiner Beute nähert, machte ich erst einen kurzen, dann einen größeren Schritt zum Tisch vor mir, beugte mich über den Kopf meines Vordermannes, streckte den Arm aus und riss seine Prüfungsunterlagen an mich.

So flink war ich in meinem ganzen Leben noch nicht gewesen. Erschrocken drehte er sich um und stand halb auf. Dabei rutschte sein Stuhl über den Fußboden und knarrte.

„Ruhe bitte!“ Die energische Stimme der Aufsicht kam mir unerwartet zu Hilfe.

Eilends setzte sich mein Vordermann wieder hin. Ich schielte zu ihm. Seine Halsadern schwollen an. Ich war froh, unter dem Schutz der Prüfungsaufsicht zu sein.

Ich musste diese Prüfung bestehen. Es war mir völlig egal, ob ich mich oder die anderen in Gefahr brachte. In diesem Augenblick dachte ich auch nicht darüber nach, ob sich der Mann später an mir rächen würde.

So machte ich mich an die Arbeit und schrieb seine Lösungen ab.

„Sie haben noch fünf Minuten Zeit“, unterbrach der Prüfer die Stille im Saal.

Inzwischen war ich mit dem Abschreiben fertig und wartete auf eine Gelegenheit, dem Mann seine Unterlagen zurückzugeben. Als er sich zu mir drehte, drückte ich ihm sofort seinen Test in die Hand. In letzter Minute warf ich einen schnellen Blick auf meine gelungene Arbeit. Doch dann stellte ich fest, dass ich vor lauter Eifer seinen Namen statt meinen auf den Fragebogen geschrieben hatte: „Milan Nikuzad“.

Ich strich ihn durch, so dass er nicht mehr zu lesen war, und schrieb meinen Namen darüber, „Navid Baharmanesch“.