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Nach der Trennung von ihrem Freund braucht Melanie einen Tapetenwechsel. Sie bucht einen Flug nach Barcelona, ohne einen Kopf dafür zu haben, was sie dort alleine überhaupt soll. Sie hat kaum Gepäck dabei, gerade das, was ihr so zu Hause im Weg steht, dafür reichlich seelischen Ballast – die Ängste vor dem Alleinsein, den Druck, es allen recht zu machen, das Gefühl, kein Gefühl fürs Leben zu haben. Völlig unerwartet wird sie in Barcelona aus ihren Grübeleien geweckt. Sie begegnet Menschen, die auf sie gewartet zu haben scheinen, einem kleinen Mädchen voller Weisheit, einem Schuster voller Klugheit und einem alten Paar voller Liebe. Und fast von allein, fast ohne ihr Zutun, beginnt sich alles in ihrem Leben zu verändern.
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Seitenzahl: 265
Veröffentlichungsjahr: 2025
SOPHIE LAUENROTH
Ich geh mal meine Gefühle fühlen
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1. Auflage
© 2025 NEXT LEVEL Verlag
NXT LVL GmbH, An der Dornwiese 2, 82166 Gräfelfing
www.next-level-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Redaktion: Ruth Kalmund
Schlusskorrektur: Christiane Otto
Cover- und Umschlagdesign: © Buxdesign, Ruth Botzenhardt 2025
Layout und Satz: inpunkt[w]o, Wilnsdorf
eBook: ePUBoo.com
ISBN druck: 978-3-68969-015-1
ISBN ebook (PDF): 978-3-68969-017-5
ISBN ebook (EPUB, Mobi): 978-3-68969-016-8
Danksagung
Widmung
Vorwort
Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn
Von Sorglosigkeit und verstecktem Mut
Was bleibt, wenn man sich selbst wiederfindet
Der Duft von Kaffee und gelebten Träumen
Schlusskapitel
Zusatzkapitel – Was sich geändert hat
Danke an meine Familie – Mama Lysette, Papa Gunter und meine liebste Schwester Linda. Ihr seid die beste Familie, die man sich wünschen kann.
Danke an mein treues Publikum, das es mir ermöglicht, meinen Traum zu leben.
Für meinen Sohn. Ich liebe dich.
Jedes Ende ist gleichzeitig der Anfang einer neuen Reise. In einem Abschied fand ich den Mut, mich neu zu erfinden und den Weg zu einem neuen Anfang zu ebnen.
Im Frühjahr 2024 verließ ich meine Komfortzone – und das nicht nur einmal, sondern mehrmals. Und dieser erste Schritt aus dem Netz der Gewohnheit öffnete mir Türen zu Begegnungen mit Menschen, die meine Wege sonst nie gekreuzt hätten. In ihren Geschichten fand ich nicht nur Inspiration, sondern auch wertvolle Weisheiten, die mir halfen, mein Leben neu auszurichten. Rückblickend kann ich sagen, dass all diese Schritte notwendig waren, um dorthin zu kommen, wo ich jetzt stehe.
Nach vielen Jahren in einer Beziehung, die geprägt war von unerfüllten Erwartungen, Verletzungen und zwei gebrochenen Herzen, befand ich mich am Tiefpunkt meines Lebens. Ich fühlte mich verloren, wusste nicht, wer ich eigentlich bin, warum ich mich so schlecht habe behandeln lassen und was ich verändern sollte, um wieder glücklich zu sein und meinem Leben einen Sinn zu geben. Ich fragte mich, wie andere es schafften, ihr Leben nach ihren Wünschen auszurichten. Um ehrlich zu sein, fragte ich mich das schon mein ganzes Leben lang. Ich war eine typische »People Pleaserin« – unfähig, Nein zu sagen. Ich stellte meine eigenen Bedürfnisse stets hinter die der anderen, und all das machte mich unglaublich wütend auf alle – aber vor allem auf mich selbst.
Nach meiner Trennung nahm ich mir zwei Wochen Urlaub von der Arbeit, um ganz allein meine erste Reise anzutreten und um einfach Abstand von allem zu gewinnen, was ich bisher mein Leben genannt hatte.
Ich fragte mich, ob ich jemals einen Menschen finden würde, bei dem ich nicht das Gefühl habe, mich anpassen zu müssen und jemand anderes sein zu müssen. Aber dafür musste ich zunächst einmal herausfinden, warum ich mein Leben lang meine eigenen Wünsche als nicht wichtig genug erachtete, um gelebt zu werden. So sehr ich mich auch nach der großen Liebe sehnte, so wusste ich doch tief in meinem Inneren, dass mich mein erster Schritt in Richtung zu mir selbst führen sollte. Und so begann die Reise.
Herz und Verstand
Verstand:
Was, wenn alles zerbricht?
Wenn das Verlangen nicht reicht?
Veränderung kann schmerzen,
und du verlierst die Kraft vielleicht.
Herz:
Ich weiß, es braucht den Mut zu springen,
loszulassen, was schon lang nicht mehr hält.
Denn nur im Neuen kann ich finden,
was mich erfüllt, was wirklich zählt.
Die Sonne färbt den Horizont in ein warmes Orange, während Alex und ich auf meinem Balkon sitzen, eingehüllt in die friedliche Abendstimmung. Der leichte Wind trägt den Duft von frisch geschnittenem Gras herüber, und das Rascheln der Blätter bildet die perfekte Hintergrundmelodie zu unserer Unterhaltung. Vor uns auf dem Tisch liegt ein Stapel Fotos, die ich nach meiner Rückkehr von der Reise habe entwickeln lassen. Erinnerungen und Begegnungen, eingefroren in kleinen rechteckigen Momentaufnahmen, die bald ihren besonderen Platz in meinem Fotoalbum finden werden. Daneben ruhen drei Gegenstände: ein buntes Freundschaftsarmband, ein handgefertigtes, hellblaues Notizbuch und eine kunstvoll bemalte Schale, die ich selbst getöpfert habe. Diese Souvenirs erzählen ihre eigene Geschichte, still, aber bedeutungsvoll.
Ich nehme eines der Fotos in die Hand, das erste von vielen, und zeige es Alex, der sich neugierig zu mir lehnt. »Das hier ist das erste Bild, das ich auf meiner Reise gemacht habe – ein Selfie, noch am Flughafen in Berlin, voller Vorfreude, aber auch Ungewissheit über das, was mich erwarten würde.«
Alex nimmt das Foto vorsichtig entgegen, als wäre es ein zerbrechlicher Schatz. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er es betrachtet. »Das klingt ja unglaublich spannend. Erzähl mir mehr von deiner Reise«, sagt er mit von echter Neugier erfüllter Stimme.
Ich lache leise und lehne mich zurück, während ich mein Glas Wasser auf dem Tisch abstelle. »Okay, aber ich warne dich – das könnte eine Weile dauern. Es gibt so viel zu erzählen.« In meinem Inneren fühle ich eine Mischung aus Aufregung und Melancholie, als all die Erinnerungen wieder lebendig werden.
Alex grinst, seine Augen leuchten in der sanften Dämmerung. »Das macht gar nichts. Ich habe alle Zeit der Welt«, versichert er mir mit ruhiger und geduldiger Stimme.
Er lässt seinen Blick über den Balkon schweifen, als suche er nach weiteren Hinweisen auf das, was ich erlebt habe. Schließlich bleiben seine Augen auf den drei Mitbringseln liegen, die ich sorgfältig arrangiert habe. »Und ich nehme an, diese Dinge hier haben auch ihre eigenen Geschichten?«, fragt er, während er behutsam das Notizbuch aufhebt.
Ich nicke und spüre, wie ein Gefühl der Zufriedenheit mich durchströmt. »Ganz genau«, antworte ich. »Aber das Beste ist, wenn ich von Anfang an erzähle. Nur so wirst du verstehen, warum diese Reise so besonders für mich war.«
Der Flug von Berlin nach Barcelona dauerte knapp zweieinhalb Stunden, doch diese kurze Zeitspanne fühlte sich für mich wie eine Ewigkeit an. Ich saß am Fenster, mein Blick schweifte über die Wolken, während meine Gedanken tief in mir selbst versanken. Ich fragte mich, wie es so weit kommen konnte, dass ich mich in meinem eigenen Leben verloren fühlte. In den Handgepäckfächern über mir ruhte mein kleiner Reisekoffer, hastig gepackt, als hätte ich Angst gehabt, es mir anders zu überlegen. Ein paar Sommerkleider, Sonnencreme, meine Kosmetiktasche, ein Buch und ein paar Hundert Euro – das war alles, was ich mitnahm, um mich einer unbekannten Zukunft zu stellen.
Als wir das nächste Foto betrachten, das mein schlichtes, aber sauberes Hotelzimmer zeigt, halte ich einen Moment inne. Der Balkon, von dem man direkt auf die belebte La-Rambla-Straße blickt, ist eindeutig das Herzstück dieses Zimmers. Das schmiedeeiserne Geländer, kunstvoll geschwungen, verleiht ihm eine klassische Eleganz, die in scharfem Kontrast zu der lebhaften, modernen Stadt steht. Ich verbrachte unzählige Stunden auf diesem Balkon, beobachtete die Touristenströme und ließ meine Gedanken schweifen, als würde der Wind meine Sorgen davontragen. Dieser Balkon wurde mein persönlicher Zufluchtsort, ein Ort, an dem ich abends die Gespräche des Tages Revue passieren ließ und versuchte, den Faden meines Lebens neu zu knüpfen.
Nach der schmerzhaften Trennung entschied ich mich, eine Woche Urlaub von der Arbeit zu nehmen und allein auf Reisen zu gehen – etwas, das ich schon lange geplant, aber nie gewagt hatte. Ich kann bis heute nicht genau sagen, was mich dazu bewogen hat, aber tief in mir wusste ich, dass diese Reise mehr als nur eine Flucht sein würde. Sie sollte eine Suche werden – eine Suche nach mir selbst.
Wenn andere das können, kannst du das auch!, wiederholte ich mir unablässig, während ich das Ticket buchte. Doch die Zweifel ließen mich nicht los. War es die Angst vor der Einsamkeit, die mich zögern ließ? Oder die Unsicherheit, was mich in dieser fremden Stadt erwarten würde? Vielleicht war es die Furcht vor den stillen Momenten, in denen ich gezwungen wäre, mich meinen eigenen Gedanken zu stellen. Ich war es gewohnt, die Bedürfnisse anderer über meine eigenen zu stellen, konnte nicht Nein sagen und ließ zu, dass man meine Grenzen immer wieder überschritt. Dass ich selbst einen Teil dieses Leids verursacht hatte, erkannte ich erst viel später. Oft fragte ich mich, wie es andere schafften, ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen zu gestalten. Dieser Gedanke verfolgte mich, seit ich denken konnte, doch ich hatte nie den Mut, nach der Antwort zu suchen.
»Warum verfolgst du nicht deine Träume?« Diese Frage stellte ich mir erst an dem Tag, als ich entschied, nach Barcelona zu fliegen.
Während ich erzähle, denke ich an all die Male, in denen ich mich fragte, ob ich jemals jemanden finden würde, bei dem ich »ich selbst« sein konnte. Doch bevor ich diese Person finden konnte, musste ich herausfinden, warum ich mein Leben lang die Bedürfnisse anderer über meine eigenen stellte. Es war ein schwieriger, aber notwendiger Schritt.
Und nun sitze ich hier, als eine attraktive, sportliche 30-jährige Frau, die zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl hat, die Kontrolle zurückzugewinnen. Natürlich gibt es immer noch Momente, in denen ich in alte Muster verfalle, doch das Wissen, was ich ändern muss, gibt mir die Kraft, mein Leben neu auszurichten. Die Worte, die ich auf meiner Reise hörte, haben sich tief in mein Herz eingeprägt und sind zu einem Teil von mir geworden.
Jedes Ende ist der Beginn einer neuen Reise. In einem Abschied fand ich den Mut, mich neu zu erfinden und den Weg für einen Neuanfang zu ebnen.
In diesem Frühling habe ich meine Komfortzone mehrmals verlassen, und jeder dieser Schritte hat mir Türen zu Begegnungen geöffnet, die ich sonst nie erlebt hätte. Die Geschichten der Menschen, die meinen Weg kreuzten, inspirierten mich und gaben mir die Weisheit, mein Leben neu zu gestalten. Wenn ich zurückblicke, sehe ich, dass jeder dieser Schritte notwendig war, um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt stehe.
Eine lange, eindrucksvolle Reise liegt hinter mir, und obwohl ich allein nach Barcelona geflogen bin, habe ich dort die meiste Zeit nicht allein verbracht. Jedes Mal, wenn ich an diese Reise zurückdenke, fühle ich mich, als wäre ich wieder dort – bei den Menschen, die mein Leben verändert haben. Mit einem Lächeln denke ich an die Begegnungen mit Juan, Lola, Miguel, Ana und Luis zurück. Als ich diese Reise antrat, wusste ich noch nicht, dass diese Menschen mein Leben tiefgreifend verändern würden. Doch nun verstehe ich, wie wertvoll sie und ihre Botschaften für mich waren.
Es war meine erste Reise alleine und auch das erste Mal, dass ich überhaupt nach Barcelona reiste. Du fragst dich vielleicht, warum ich ganz allein reiste? Nun, es war einfach an der Zeit, etwas nur für mich zu tun. Mein ganzes Leben lang lebte ich nach den Vorstellungen, Erwartungen und Wünschen anderer und vergaß dabei völlig, wer ich selbst bin. Ich wusste nur eines: Ich wollte endlich wieder frei sein. Also buchte ich nach meiner Trennung ein Ticket für den nächsten Flug nach Barcelona – bereit, einen Neuanfang zu wagen.
Ich schlenderte eine Weile durch den Park, als mein Blick auf einen malerischen See fiel, der von zahlreichen Booten durchzogen war. Paare und Familien, die lachend und plaudernd in kleinen Ruderbooten saßen, glitten sanft über das Wasser. Es war ein friedlicher Anblick, der mich kurz innehalten ließ, um die Ruhe und das lebendige Treiben gleichzeitig zu genießen.
»Das ist mein Lieblingspark in ganz Barcelona!« Eine helle, klare Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Erschrocken drehte ich mich zur Seite und erblickte ein kleines Mädchen mit langen, dunkelblonden Haaren, die wie ein seidiger Vorhang über ihre Schultern fielen. Sie trug ein T-Shirt, auf dem bunte Schmetterlinge tanzten, und ihre Schuhe glitzerten bei jedem Schritt im Sonnenlicht.
»Wo kommst du denn auf einmal her? Du hast mich ganz schön erschreckt!«, entfuhr es mir, während mein Herz noch ein wenig schneller schlug.
Das Mädchen lachte, ein unbeschwertes, keckes Lachen, das ihre Freude daran verriet, mich erschreckt zu haben. »Erschrecken konnte ich schon immer gut!«, sagte sie mit einem schelmischen Grinsen, das ihre Augen hinter der leicht zu großen, eckigen Brille aufblitzen ließ. »Ich bin Lola. Und wie heißt du?«
»Melanie«, antwortete ich, noch immer ein wenig perplex. »Ich heiße Melanie.« Während ich das sagte, ließ ich meinen Blick über den Park schweifen, auf der Suche nach einer Erklärung, woher Lola so plötzlich aufgetaucht war. Ich war doch die ganze Zeit hier gewesen und hatte sie nicht kommen sehen. Wie konnte mir so ein quirliges Kind bloß entgangen sein?
»Was machst du denn hier so allein?«, fragte Lola unvermittelt und sah sich mit einem kurzen Rundblick um.
»Ich bin hier im Urlaub und wollte mir den Park ansehen«, erklärte ich, während ich versuchte, meinen Gedanken nachzukommen. »Aber das sollte ich wohl eher dich fragen. Wo sind denn deine Eltern?«
»Die sind zu Hause. Ich wohne gleich hier neben dem Park«, sagte sie stolz, als ob diese Nähe ihr ein gewisses Recht auf den Park verlieh. »Ich komme jeden Tag nach der Schule her und quatsche mit den Leuten. Aber nicht alle wollen mit mir reden. Das ist aber okay.«
»Wie alt bist du denn?«, fragte ich, während ich versuchte, die Situation besser zu verstehen.
»Ich bin schon sieben«, erklärte Lola mit einem breiten Lächeln, das Stolz und eine gewisse Reife verriet, die man bei einem siebenjährigen Mädchen nicht unbedingt erwarten würde.
Ein siebenjähriges Mädchen spaziert allein durch den Park … Das kommt mir seltsam vor, dachte ich mir und fühlte mich dabei etwas unwohl. Aber vielleicht war das hier tatsächlich üblich? »Als ich sieben war, habe ich die meiste Zeit zu Hause verbracht. Ich hätte mir niemals vorstellen können, einfach so fremde Menschen anzusprechen«, fügte ich in einem leicht spöttischen Tonfall hinzu, halb zu mir selbst sprechend.
»Warum denn nicht?«, fragte Lola mit einem ehrlichen Staunen, das mich kurz innehalten ließ.
»Na ja … Du weißt ja nicht, wer da vor dir steht. Menschen können böse sein«, antwortete ich, während ich mich daran erinnerte, wie vorsichtig ich als Kind gewesen war – oder besser gesagt, wie vorsichtig man mich erzogen hatte.
Lola zuckte nur mit den Schultern und sagte: »Ja, das stimmt. Aber meistens sind sie nett, richtig nett sogar. So wie du.« Ihr Lächeln war ehrlich und unbeschwert, als hätte sie die ganze Welt in ihrer naiven Unschuld verstanden. Sie wirkte auf mich lebensfroh, aber auch etwas blauäugig, doch ich hielt mich zurück. Es stand mir nicht zu, sie zu belehren. Schließlich war sie nicht meine Tochter.
»Soll ich dir den Park zeigen? Ich kenne mich hier bestens aus!« Lola strahlte mich an, ihre Augen funkelten vor Aufregung, und ich konnte nicht anders, als zu nicken.
»Na klar«, erwiderte ich, bevor ich richtig nachgedacht hatte, ob ich das wirklich wollte. Warte mal, was machst du da eigentlich?, tadelte ich mich innerlich und ärgerte mich ein wenig über meine Unfähigkeit, »Nein« zu sagen.
Doch lange konnte ich mich nicht ärgern, denn Lola griff schon freudig nach meiner Hand und zog mich mit sich. »Komm mit, ich zeig dir unseren Park!«, rief sie, und ihr Enthusiasmus war ansteckend.
Während wir durch den Park schlenderten, fühlte sich das Wetter wie eine zärtliche Umarmung an – nicht zu warm, nicht zu kühl, einfach perfekt für einen langen Spaziergang. Die Bäume, die uns überragten, wirkten majestätisch, und die sanft plätschernden Fontänen schienen Geschichten vergangener Zeiten zu erzählen. Lola sprudelte förmlich über vor Wissen über den Park und die Geschichte Barcelonas, was mich insgeheim beeindruckte.
Ich habe sie völlig falsch eingeschätzt, dachte ich mir. Lola ist alles andere als naiv. Sie ist unglaublich klug für ihr Alter. Ihre Vorurteilslosigkeit und Sorglosigkeit, die so anders waren als alles, was ich kannte oder selbst jemals empfunden hatte, brachten mich zum Nachdenken. Vielleicht war es an der Zeit, mein eigenes Herz zu öffnen und die Welt mit weniger Zynismus zu betrachten.
»Komm, ich zeig dir meinen Geheimweg!«, rief Lola begeistert und winkte mir mit einer solch lebhaften Energie zu, dass es fast unmöglich war, ihr nicht zu folgen.
»Geheimweg? Wohin führt der denn?«, fragte ich neugierig, doch kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, war Lola bereits zwischen den Büschen verschwunden. Einen Moment lang zögerte ich. Ich war eigentlich hier, um meinen Urlaub in Ruhe zu genießen, um die Schönheit des Parks in meinem eigenen Tempo auf mich wirken zu lassen. Doch da war etwas in mir, eine leise Stimme, die mich drängte, ihr zu folgen. Es fühlte sich an, als würde etwas Unbekanntes und Wichtiges auf mich warten, verborgen hinter den dicht gewachsenen Sträuchern.
»Warte! Nicht so schnell!«, rief ich schließlich und setzte mich in Bewegung, meinen Schritt beschleunigend, um das quirlige Mädchen einzuholen.
Es dauerte eine Weile, bis ich mit Lola Schritt halten konnte. Während wir uns durch das dichte Laubwerk schlugen, stieg mir ein vertrauter Duft in die Nase – ein Duft, der mich augenblicklich in meine Kindheit zurückversetzte. Der Geruch von Pilzen und den Blüten, die den Waldboden bedeckten, erinnerte mich an die Tage, als ich mit meiner besten Freundin durch den Wald in unserem Dorf gestreift war. Damals waren wir unbesorgt gewesen, nur getrieben von unserer Neugier und dem Abenteuergeist.
»Aua!«, schrie ich plötzlich auf, als ein scharfer Schmerz mein Bein durchzuckte. Ich hatte es an den Dornen eines Rosenbuschs aufgekratzt. »So ein Mist! Das passiert auch immer nur mir!«, murrte ich leise und wurde abrupt aus meinen nostalgischen Gedanken gerissen, zurück ins Hier und Jetzt.
Lola drehte sich um, warf einen kurzen Blick auf mein Bein und sagte unbeeindruckt: »Das ist doch nur halb so schlimm.« Ihr Tonfall war gelassen, als ob sie es nicht weiter der Rede wert fand.
Ich blickte zu dem Rosenbusch, dessen Äste von unzähligen Dornen gespickt waren. »Schau mal, wie viele Dornen hier sind!«, sagte ich verärgert und deutete mit dem Finger auf die stachelige Pflanze.
Lola schaute mich mit einem leicht verwunderten Ausdruck an. »Ja, und weiter?«
»Wie und weiter?« Meine Stimme klang genervt. »Na ja, es ist doch gefährlich!«, sagte ich.
Lola schmunzelte. »Ist doch ganz normal, dass ein Rosenbusch Dornen hat. Sonst wäre es ja kein Rosenbusch, oder?«
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Haha, sehr lustig!«, entgegnete ich ihr sarkastisch und machte einen Schritt nach vorn. Doch Lola blieb stehen, sah mir mit einem unerwartet ernsten Blick in die Augen und sagte mit ruhiger Stimme: »Du kannst dich darüber ärgern, dass die Rose sticht, oder dich freuen, dass sie so schön blüht.«
Ich hielt inne und wusste im ersten Moment nicht, was ich darauf erwidern sollte. Ihre Worte trafen mich unerwartet tief, als hätte Lola in kürzester Zeit einen blinden Fleck in meiner Sicht auf die Welt aufgedeckt. Ein siebenjähriges Mädchen zeigte mir, wie sehr ich mich auf das Negative fokussierte, anstatt die Schönheit zu sehen, die direkt vor mir lag. Ich lächelte Lola zu und legte dankbar meine Hand auf ihre kleine Schulter. »Du hast recht«, gab ich zu und wandte meinen Blick erneut dem Rosenbusch zu. Tatsächlich war er über und über mit wunderschönen, weißen Rosen bedeckt, so rein und makellos, dass es den Anschein hatte, als wären sie gerade erst erblüht.
»Die Rosen sind wirklich schön«, sagte ich leise, während ich mich vorbeugte, um an einer der Blüten zu riechen.
Lola grinste breit. »Das habe ich mir gedacht. Deswegen habe ich es dir noch mal gesagt, damit du nicht vergisst, was wirklich wichtig ist. Es ist doch viel schöner, sich über die Rosen zu freuen, als sich über die Dornen zu ärgern, oder?« Sie drehte sich um, lief weiter und rief mir über die Schulter zu: »Komm schneller!«
Ich schüttelte leicht den Kopf über ihre weise, und doch kindliche Einfachheit und bemühte mich, mit ihrem Tempo Schritt zu halten. Wir kämpften uns weiter durch das Gestrüpp, während es für mich so aussah, als liefen wir einfach nur irgendwohin. Doch Lola bewegte sich mit einer Sicherheit, die keinen Zweifel daran ließ, dass sie genau wusste, wohin sie wollte. Schließlich erreichten wir eine große Korkeiche, deren massiver Stamm auf ein beeindruckend hohes Alter schließen ließ – sie musste hier schon seit Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten, stehen.
»Da ist es!«, sagte Lola stolz und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf die Baumkrone.
»Da ist was?«, fragte ich verwirrt, während ich versuchte, irgendetwas Besonderes zu entdecken. »Ich sehe nur einen Baum.«
»Das ist mehr als nur ein Baum. Das ist mein Geheimversteck. Hier komme ich immer her, wenn ich allein sein will und einfach das machen möchte, worauf ich Lust habe.« Ihre Stimme wurde leiser, fast flüsternd, als ob sie mir ein großes Geheimnis anvertraute. »Komm, ich zeig dir noch was!« Mit diesen Worten rannte sie los und begann, den Baum hochzuklettern.
Ich sah ihr einen Moment lang nach und fragte mich, was ich hier eigentlich machte. War ich nicht hier, um meinen Urlaub nach meinen eigenen Vorstellungen zu verbringen? Doch nun ließ ich mich von einer Siebenjährigen durch einen Park scheuchen. »Ach, weißt du … Ich habe nicht die richtigen Schuhe an, um den Baum hochzuklettern«, rief ich ihr mit leicht unsicherer Stimme hinterher.
Lola schien mein Einwand nicht im Geringsten zu interessieren. Sie kletterte weiter, als hätte sie mich gar nicht gehört. »Komm schon!«, rief sie aus den Ästen des Baumes, während ihr Kopf bereits hinter den Blättern verschwand.
Ich stand einen Moment lang unschlüssig da und überlegte, einfach umzukehren. Doch dann spürte ich plötzlich einen kühlen Luftzug, der über meine Schulter strich und mir ein unerklärliches Gefühl von Stimmigkeit gab. Es war, als ob eine innere Stimme mir sagte, dass ich genau hier und jetzt am richtigen Ort war. Ich zog meine Schuhe aus und begann, den Baum hochzuklettern.
»Na schön. Aber wehe, du hast keine Snacks in deinem Versteck. Ich bin am Verhungern!«, rief ich Lola halb im Scherz zu, während ich mich Schritt für Schritt nach oben arbeitete. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Baum hochgeklettert war, doch es fühlte sich überraschend gut an. In meiner Kindheit hatte ich es geliebt. Warum hören wir irgendwann damit auf, Dinge zu tun, die uns als Kind so viel Freude bereitet haben?, dachte ich nachdenklich, während ich mich von Ast zu Ast zog.
»Schau mal, das ist mein Geheimversteck!«, sagte Lola stolz, als ich sie endlich einholte. Ich blickte mich um und war überwältigt von dem, was ich sah. Ein kleines Baumhaus schwebte in den Ästen wie eine Oase inmitten des Grüns. Sonnenstrahlen fluteten durch die großen, absichtlich freigelassenen Öffnungen in den Wänden, die einen atemberaubenden Blick auf den Park boten, einen Blick, den man von keinem anderen Ort im Park genießen konnte.
»Und hier gehst du also hin, wenn du allein sein willst?«, fragte ich, während ich durch eine der Öffnungen nach draußen blickte.
»Ja … auch. Und wenn ich einfach mal das machen will, worauf ich Lust habe. Auf die Schule habe ich nämlich meistens keine Lust«, antwortete Lola mit einem schelmischen Grinsen.
»Das kann ich gut verstehen«, sagte ich mit einem Lächeln. »Worauf hast du denn Lust, wenn du nicht in der Schule bist?«, fragte ich neugierig und ließ meinen Blick weiter durch ihr kleines Reich schweifen.
»Malen, mit meinen Puppen spielen, Zaubertränke mischen, klettern, mit den Leuten im Park quatschen … oder einfach nur träumen.« Während sie sprach, sammelte Lola sorgfältig die Blätter und Zweige ein, die sich in den Ecken des Baumhauses angesammelt hatten, als wollte sie sicherstellen, dass alles perfekt war, jetzt, wo sie Besuch hatte.
Ich beobachtete sie dabei und spürte eine Welle von Traurigkeit in mir aufsteigen. Wie glücklich und frei sie doch war, so unbeschwert, wie ich es seit Jahren nicht mehr war. »Es ist schön, wenn man Dinge tun kann, die einem Spaß machen, ohne sich dabei schuldig zu fühlen«, sagte ich leise, meine Stimme voller Wehmut, die die unterdrückte Sehnsucht nach einem Leben verriet, das ich längst verloren glaubte. Was für ein Mensch wäre ich wohl geworden, wenn ich nicht ständig das Gefühl gehabt hätte, zu viel zu sein?, fragte ich mich in Gedanken.
Lola sah mich mit ihren großen, unschuldigen Augen an, legte ihre kleine Hand auf mein Bein und sagte mit ernstem Ton: »Also ein Mädchen zu sein, das immer das tut, was die Erwachsenen von ihr erwarten, stelle ich mir nicht schön vor. Du warst bestimmt ein trauriges Mädchen, stimmt’s?«
Ich konnte nicht antworten, spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte, während ich versuchte, die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Vor einer Siebenjährigen zu weinen, das wollte ich nun wirklich nicht. Doch die Erinnerungen an meine eigene Kindheit, besonders an den letzten Moment mit meinem Vater, drängten sich unaufhaltsam in mein Bewusstsein.
»Hallo? Erde an Melanie!«, rief Lola plötzlich und rüttelte sanft an meinem Bein. »Bist du noch da?«
Ich blinzelte und merkte, dass ich eine Weile gedankenverloren ins Leere gestarrt hatte. »Oh, Entschuldigung … Ich war gerade so in Gedanken versunken«, erwiderte ich und versuchte, mich wieder auf den Moment zu konzentrieren.
Lola sah mich mit ernstem Blick an. »War bestimmt schwer, ohne Vater aufzuwachsen«, sagte sie leise.
Ihre Worte trafen mich wie ein Blitzschlag. »Ja, das war es … warte … woher weißt du das?« Mein Herz setzte für einen Moment aus, und ich starrte sie mit großen Augen an. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, und ich spürte die Gänsehaut auf meinen Armen und Beinen. Wie konnte sie wissen, dass ich ohne Vater aufgewachsen bin?
Lola zuckte nur leicht mit den Schultern, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. »Hm … hab’s einfach gewusst«, antwortete sie trocken, als ob sie es nicht weiter erklären müsste. Dann fügte sie hinzu, fast beiläufig: »Hast du vielleicht vergessen, du selbst zu sein, weil du immer dachtest, du darfst das nicht?«
Diese Worte hallten in mir nach, und ich war plötzlich gezwungen, mich selbst zu hinterfragen. Hatte ich wirklich geglaubt, ich dürfe nicht ich selbst sein? Es fühlte sich an, als ob ich jahrelang durch Nebel gewandert wäre, ohne zu erkennen, dass ich den Kontakt zu mir selbst verloren hatte. Ich suchte in meinem Inneren nach einer Antwort, versuchte mich daran zu erinnern, wer ich eigentlich war und was mich ausmachte. Doch da war nichts. Keine klare Erinnerung, nur eine vage Vorstellung davon, dass ich tatsächlich irgendwann aufgehört hatte, ich selbst zu sein.
»Ja, ich denke schon«, sagte ich schließlich leise, fast als hätte ich die Worte nur für mich selbst gedacht. »Ich habe vergessen, ich selbst zu sein. Ich war so sehr damit beschäftigt, mir Gedanken darüber zu machen, wie andere mich haben möchten oder was sie von mir erwarten könnten, dass ich mich selbst aus den Augen verloren habe.«
Lola nickte verständnisvoll. »Was macht dich eigentlich aus? Wie bist du denn so?«
Ich zögerte, überlegte einen Moment. »Weißt du, Lola, ich bin eigentlich ein sehr hilfsbereiter Mensch. Das war immer eine Eigenschaft, die andere an mir geschätzt haben. Für andere da zu sein, mich selbst nicht so wichtig zu nehmen … das hat mich oft ausgemacht. Aber irgendwann habe ich verlernt, auf mein eigenes Bauchgefühl zu hören. Deswegen bin ich auch hier. Ich wollte endlich mal etwas für mich tun.« Während ich sprach, merkte ich, wie meine Hände sich unbewusst zu Fäusten ballten, als ob ich die Worte damit unterstreichen wollte. Lola hörte aufmerksam zu. Ich erinnerte mich an die Worte meiner Mutter. »Weißt du, was meine Mama immer zu mir sagt?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr ich fort: »Nimm dich nicht so wichtig! Das sagt sie ständig zu mir. Diese Worte haben sich so tief in mir eingegraben, dass ich sie heute noch in meinem Kopf höre.«
Während ich sprach, fiel es mir immer schwerer, zu atmen. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, und ich kämpfte gegen die Tränen an. »Und so habe ich gehandelt. Ich habe mich nie für wichtig genommen. Alle anderen waren immer wichtiger als ich.« Eine einzelne Träne löste sich und kullerte meine Wange hinab.
Lola beobachtete mich mitfühlend und wischte die Träne von meiner Wange. »Es tut mir leid, dass deine Mama das zu dir gesagt hat. Aber es war die richtige Entscheidung, hierher zu kommen. Wärst du nicht nach Barcelona geflogen, hätten wir uns wahrscheinlich nie kennengelernt«, sagte sie und sah mich mit einem freundlichen Lächeln an.
»Da hast du recht, Lola. Ich bin wirklich froh, hier zu sein.« Es tat gut, endlich mal über mich zu sprechen – richtig gut sogar. Es war, als hätte jemand einen schweren Stein von meiner Brust genommen. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich verstanden – und das ausgerechnet von einem siebenjährigen Mädchen, das ich erst vor einer Stunde kennengelernt hatte.
Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander und schauten durch die Öffnungen im Baumhaus auf den Park. Die Stille zwischen uns war nicht unangenehm, sondern tröstlich, fast beruhigend. Ich dachte darüber nach, wie viel Energie ich bisher darauf verwendet hatte, anderen zu gefallen und deren Erwartungen zu erfüllen. Lolas Worte hallten immer noch in mir nach. Ich habe vergessen, ich selbst zu sein. Wer bin ich eigentlich?, fragte ich mich, während ich die Bäume beobachtete, die sich sanft im Wind wiegten. Mich immer für andere aufzuopfern, gab mir zwar das Gefühl, gebraucht zu werden und eine bestimmte Rolle im Leben zu spielen, aber war das wirklich der Sinn meines Lebens? Sollte es mein einziger Zweck sein, immer und überall für andere da zu sein? Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte mich besonders fühlen und dafür geliebt werden, wer ich bin, und nicht dafür, was ich für andere leiste. Aber warum fiel mir das so schwer?
Ich spürte die Last, die all die Jahre auf meinen Schultern gelegen hatte, eine Last, die sich durch das Gespräch mit Lola etwas leichter anfühlte. Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht sollte ich wirklich mehr auf mich achten und mir darüber klar werden, was mich ausmacht.
Lola sah mich mit einem nachdenklichen Blick an. »Weißt du, Melanie, mir fällt da noch was ein, das dir vielleicht helfen könnte«, sagte sie plötzlich und brach damit das Schweigen.
»Was denn?«, fragte ich neugierig, gespannt darauf, was als Nächstes aus ihrem weisen Mund kommen würde.
»Was sagen die Flugbegleiterinnen im Flugzeug immer, bevor es losgeht?«, fragte sie, während sie ihren Blick durch das Fenster zum Himmel richtete und ein paar Blätter und Zweige hinauswarf, die sich im Baumhaus angesammelt hatten.
»Ähm …«, überlegte ich laut. »Herzlich willkommen …?« Ich zuckte mit den Schultern, unsicher, worauf sie hinauswollte.
Lola verdrehte die Augen. »Ja, aber das meine ich nicht. Ich meine das, was die Passagiere tun sollen, wenn mal etwas nicht so läuft wie geplant«, erklärte sie geduldig und klopfte den Schmutz von ihren Händen.
»Ach so, du meinst, dass man bei Druckverlust die Sauerstoffmasken aufsetzen soll«, antwortete ich nun leicht beschämt.
»Genau, und dann?«
»Was meinst du?«, fragte ich, immer noch unsicher, worauf sie hinauswollte.
»Na ja, was soll man danach machen?«
»Den Kindern und Menschen in Not helfen, ihre Maske aufzusetzen?«, antwortete ich fragend, immer noch etwas verwirrt.
Lola grinste breit. »Genau! Und weißt du, warum man erst sich selbst die Maske aufsetzen soll, bevor man anderen hilft?«
Langsam begann ich zu verstehen, worauf sie hinauswollte. »Weil ich anderen nicht helfen könnte, wenn ich ohnmächtig wäre«, sagte ich mit dem Gefühl, dass Lola die Antwort längst wusste und mich nur testen wollte.