Ich glaube an Engel – manche fahren Bus - Frank Berzbach - E-Book

Ich glaube an Engel – manche fahren Bus E-Book

Frank Berzbach

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Beschreibung

»Was man auf dem Weg von einer Galerie in die nächste sieht, ist tatsächlich viel spannender als das, was dort ausgestellt wird« (Andy Warhol) Auf dem Weg zwischen den alltäglichen Welten begegnet uns die ganze Schöpfung, Musik dringt in unser Ohr, Bücher liegen am Straßenrand, die Erinnerung an die Großeltern huscht durch den Kopf, ein Brief kommt an, eine Sprachnachricht, das Telefon und der Paketbote klingeln. Manchmal glaube ich, meine Mission besteht in der Erkundung dieser Zwischenräume. Ich finde das Spirituelle vor allem im profanen Innehalten, in der Ästhetik des Alltags, der mir nur selten belanglos vorkommt. Ich habe daher versucht, über die Wege zwischen den Galerien meines Lebens in dieser unfertigen Art zu schreiben. Die Essays in diesem Buch sind in diesem Sinn erst zu Hause, wenn sie gelesen werden – ich hoffe, Sie entdecken auf dem Weg zwischen den Lektüren etwas, das Sie ebenso spannend finden wie das, was ausgestellt wird.

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Seitenzahl: 103

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Frank Berzbach

Ich glaube an Engel – manche fahren Bus

Essays in spiritueller Absicht

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022

ISBN 978-3-7365-0450-9

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022

ISBN 978-3-7365-xxxx-x

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: Finken und Bumiller, Stuttgart

Covermotiv: ludovica dri / unsplash.com

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Herz & Hand
Im Blaulicht der Einsamkeit
Menschen im Hotel
Todesarten
Großvaters Bahnhof
Das Ende eines Lebens
Kopf & Bauch
Bist du dir sicher?
Der Zeitgeist und die Fastenzeit
Nervensägen
Konzentration und Meditation
Kunst & Klang
Die Hauptstadt eiliger Gelassenheit
Das traurigste Rockkonzert der Welt
Träume von Räumen
Nick Caves heilige Konversationen
Patti Smiths heilige Wut
Danke
Quellen

Für Nina

»Ich schreibe, um durch mich hindurchzustreifen.« Henri Michaux

Vorwort

»Was man auf dem Weg von einer Galerie in die nächste sieht, ist tatsächlich viel spannender als das, was dort ausgestellt wird«, das sagte Andy Warhol einmal zu einer angehenden Kunsthistorikerin. Man schaut in Schaufensterauslagen oder aufs Smartphone; auf Menschen, die einem begegnen, fahrende Züge, zieht eine Schallplatte aus dem Regal und legt sie auf, geht zur Arbeit. Warhols These könnte man auch für den Weg zwischen den Orten des Glaubens, zwischen Arbeitsort und Museum, zwischen Supermarkt und Buchladen behaupten. Die vorliegenden Essays thematisieren mein »dazwischen sein«, »verschieden sein«, mein »Anteil nehmen« – und dies sind wörtliche Übersetzungen des Begriffs »Interesse«.

Meine Interessen sind überschaubar, aber intensiv: Ich spreche gern mit Menschen, sperre die Augen auf, verliere mich in Musik oder Texten, spaziere herum und arbeite. Jeder Tag kennt die Hausarbeit, auch dort existiert Gott, wie Teresa von Ávila meinte, zwischen »den Töpfen und Pfannen«, aber er findet sich schwerer als in Wundern und Großereignissen. Auf dem Weg zwischen den alltäglichen Welten begegnet uns die ganze Schöpfung, Musik dringt in unser Ohr, Bücher liegen am Straßenrand, die Erinnerung an die Großeltern huscht durch den Kopf, ein Brief kommt an, eine Sprachnachricht, das Telefon und der Paketbote klingeln.

Ich finde das Spirituelle vor allem im profanen Innehalten, in der Ästhetik des Alltags, der mir nur selten belanglos vorkommt. Warhols Aussage über die Galerien lässt sich, provozierend, als Frage variieren: Den Gott, den man auf dem Weg zwischen den Kirchen findet, ist er spannender als der des Abendmahls? Manchmal glaube ich, meine Mission besteht in der Erkundung der Zwischenräume.

Der Essay »reflektiert das Geliebte und Gehasste«, wie der Philosoph Theodor W. Adorno schrieb, er hält sich ans kindliche Staunen, »er fängt nicht mit Adam und Eva an, sondern mit dem, worüber er reden will; er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selbst am Ende sich fühlt und nicht dort, wo kein Rest mehr bliebe«. Ich habe versucht, über die Wege zwischen den Galerien meines Lebens in dieser unfertigen Art zu schreiben. Es gibt nur Details, wir werden mit dieser Existenz in keiner Weise fertig, sesshaft werden wir wahrscheinlich später. Die vorliegenden Texte sind in diesem Sinn erst zu Hause, wenn sie gelesen werden – ich hoffe, Sie entdecken auf dem Weg zwischen den Lektüren etwas, das Sie ebenso spannend finden wie das, was ausgestellt wird.

Herz & Hand

Im Blaulicht der Einsamkeit

Heute morgen erwacht mit dem Gefühl völliger Verlassenheit, völliger Einsamkeit. So wird es bleiben, niemand wird hier sein. An einer Decke, die einem auf den Kopf fällt, kann man sich nicht festhalten. Eine Bettdecke kann man über sich ziehen, aber dann wird die Luft dünn. Nach der Geburt soll man mich, wie mir erzählt wurde, wegen einer Komplikation sofort und für einige Tage von meiner Mutter getrennt haben. Manchmal denke ich, so habe ich es verpasst, Teil der Menschenwelt zu werden. Man hat mich zu früh getrennt. In mir ist viel Liebe, aber meist werde ich allein wach. Ich denke mir den Arm aus, der sich um mich legt, ich fühle eine warme Hand auf meiner Schulter. Ich sehe ins Blaulicht von Sprachnachrichten, die noch nicht abgehört sind. Es sind aber nur die, die ich versendet habe, bisher ungehört. Das Geben ist wichtiger als das Nehmen.

Dieses Blaulicht ist der Beweis für eine Gegenwart, in der zwischen meinem Herz und der Liebe nur ein Ladekabel baumelt. Die eine Seite steckt in der Steckdose, aber mir hat man den Stecker gezogen. Es sind vorübergehende Gefühle und sie haben vielleicht auch außerhalb meiner Seele keine Realität. Die Seele selbst hat keine Realität, da ist eine Leere, die sich anfühlt wie ein Ich. Das wird allein wach. Das wird allein geboren. Das wird allein sterben. Es begründet die Freiheit und beweist, dass man mich in dieser Existenz vergessen hat, dass die Geburt einer Entführung gleicht. Ich stecke das Kabel wieder in mein Telefon und langsam erwacht es zum Leben, das vertraute Blaulicht trifft mein Auge.

Der vertraute Signalton trifft mein Ohr. Ich bin allein, aber nicht einsam, da ist ja jemand, der an mich gedacht hat – oder doch nur an den Patti-Smith-Song, den ich gepostet hatte gestern Nacht. Jemand hat ihn am Morgen gesehen. Statt die Hand auf meine Schulter zu legen, legt er den Finger auf ein kleines Herz und ein Signalton ist bei mir zu hören. Er dringt in mein Ohr, aber von meinem Herz prallt er ab. Er beruhigt mich von außen, aber mein Herz bleibt taub. Hebt das die Einsamkeit auf? Es ist besser als nichts. Die Existenz insgesamt ist besser als nichts. Und sie wird im Nichts enden, denke ich.

Ich habe Alpträume, in denen ich allein bin. Und ich habe mir vorgenommen, die Bühne des Unbewussten kurzzeitig zu sperren. Auf ihr gibt es nicht nur Thanatos, wo ist Eros hin? Ich erträume mir eine zweite Bühne. »Dann bist du nicht gläubig«, sagt jemand, der mich in diesem neuen Traum liebt, es gibt keinen Zweifel. Das ist so ein Satz, der ist so wahr, dass er in mir einen Ton erzeugt. Mein Gegentraum klingt wie die Liebe. Es ist kein Signalton, sondern der einer alten Klangschale, die eine schöne Frau anschlägt. Ich steige nachts in den Bus meines Alptraums, bei Schneeregen. Er ist leer, niemand steigt ein. Ich komme nie wieder heraus aus diesem Bus, er rast durch den Regen, er ist nicht geheizt, so fühlt sich das leere, zu große Bett an. Aber nicht immer. Ich steige nachts in den Bus. Schneeregen, der Bus ist sauber und ich bin der einzige Gast. Der Fahrer wirkt einsam vorn in seiner kleinen Ecke, aber er lächelt.

Wir müssen an den Haltestellen einige Minuten warten, denn ohne Gäste ist man immer zu früh. Der große Scheibenwischer klärt die Sicht. Ich bin auch zu früh, noch im Traum, das gute Ende fehlt noch, ich darf nicht vorher erwachen. Ich drücke irgendwann auf den Knopf, ich bin auf dem Weg zu dem Geist, der mir gesagt hat, wenn ich mich verlassen fühlte und mich dem zu sehr hingäbe, sei ich nicht gläubig. Gott ist da. Und er verlässt mich nicht, nur ich verlasse ihn in diesem unterdunkelten Gefühl der Einsamkeit. Ich werde nicht eins mit ihm, wenn ich so fühle. Der Busfahrer bringt mich also zu ihr, und dann geschieht etwas, er dreht sich zu mir herum und sagt: »Wohin wollen Sie, ich verlasse die Strecke, dieses Wetter, ich setze Sie vor der Tür ab.« Er darf den Weg nicht verlassen, aber es stört ihn nicht, er setzt schon den Blinker und ich stoppe ihn, ich lege meinen Arm kurz auf seinen. Er nickt und öffnet die Tür.

Er hätte die Strecke für mich verlassen, der Schnee fällt seicht in die geöffnete Bustür. Der Fahrer hat die Einsamkeit einfach aufgehoben zwischen uns. Wir sind nicht zwei einsame Männer in einem nächtlichen Bus, wir sind zwei verbundene Geschöpfe. Er hat einen heiligen Moment erzeugt, an den ich mich erinnere, allein im Bett, nach meinem Alptraum. Es gibt diesen Mann irgendwo, der nachts seine Pflicht verletzen wollte, um mich bei jemandem abzusetzen, der mich liebt und mir sagt, dass ich geliebt bin, dass ich grundsätzlich geliebt bin. Ich glaube an Engel, manche fahren Bus. Die Tür ist auf, ich gehe einfach hinein. Kerzen brennen. Ich steige in eine warme Badewanne und bin nie wieder allein, ganz egal, wo ich bin.

Ich erhebe das Glas Wein, wir stoßen an, wir erheben den Augenblick, und der Winter in uns ist nicht mehr vorhanden. Man hat mich nach der Geburt getrennt von meiner Mutter, aber niemand mehr trennt mich von einem Engel, der in einem Bus mitgefahren ist, der seine Strecke für die unbedingte Liebe verlassen hätte. Ich richte mich auf, streiche die Bettdecke glatt, und hinter dem Blau der Sprachnachrichten höre ich gar nicht meine Stimme, sondern die eines Menschen, der mir einen guten Morgen wünscht. Das ist ein guter Morgen, es lag nur ein Abgrund dazwischen, eine Gletscherspalte im Gebirge der Alpträume meiner Seele, an der ich entlanggehen musste. Es gab diesen Wink, ich sollte hinabstürzen. Dazu hatte ich aber keine Zeit mehr, weil die richtige Erinnerung kam wie ein Gegengift, weil eine Stimme kam wie ein Anker, weil ich geliebt werde, selbst wenn niemand da ist.

»Dann glaubst du«, und zwischen den Zeilen der Stimme ist ein Lächeln zu hören. Ich lächle nach Alpträumen, aber ich fühle und sehe, wie die Sonne in mir aufgeht. Sie strahlt hell und warm. Für mich, den Busfahrer, den Engel – und den Menschen, der meinen Glauben auf die Probe gestellt hat. Heute morgen habe ich sie bestanden.

Menschen im Hotel

An der Straße finde ich ein Buch aus den 1950ern und denke darüber nach, was ich sehe. Beherrschen wir noch den »Umgang mit Menschen«? Im Frühstückssaal eines feinen Hotels begegnet einem der Zeitgeist des Formverfalls.

Der Saalengel ist ein freundlicher Mann in schwarzem T-Shirt. Immer da, guter Service – nicht selbstverständlich in Deutschland. Aber in meinem Hotel, der Fahrstuhl von 1912, das Interieur sexy und wohlgewählt, ist alles wunderbar. Der Frühstücksraum im Stil der 1920er-Jahre, meine Lieblingszeitung liegt aus. Ich blicke über sie hinweg auf hervorragenden Assam-Tee und auf das Szenario im wunderschönen, alten Saal. Ich lege die Zeitung zur Seite und stöbere in dem Buch, das ich mitgebracht habe, erschienen 1955, ein Jahr später schon in der elften Auflage: »Einmaleins des guten Tons« von Dr. Gertrud Oheim. »Der gute Ton – Spiegel des Ewigmenschlichen«, so ist das erste Kapitel überschrieben. Ich schlage es einfach auf, »zunächst der Gang«, ein Kapitel darüber, wie man anmutig geht. Ziemlich witzige Illustrationen zeigen »den aufrechten Gang«, den »vom Kummer gebeugten« Gang. Es wird empfohlen, die Hände in die Mantel- und nicht in die Hosentaschen zu stecken. Die Frauen der Naturvölker werden gelobt, weil sie durch ihre Fähigkeit, Lasten auf dem Kopf zu tragen, eine uns überlegene, grazile Körperhaltung kultivieren. Es geht um »zwangloses Stehen«, um korrektes Sitzen. Es wird sehr deutlich gesagt, was sich schickt und was unhöflich wirkt, was elegant und was plump ist. Vieles davon gilt, ästhetisch betrachtet, noch heute. Im Kapitel über Hotelbesuche lese ich: »Der wohlerzogene Reisende wird sich im Hotel immer so benehmen, wie er sich zu Hause seine Gäste wünscht: rücksichtsvoll, höflich und taktvoll.« Unsere Retromania – wir finden Altes oft schöner – bezieht sich leider nur auf die Dingwelt, maximal noch auf die Kleidung. Aber wohin sind die Stilregeln der Eleganz, das Formbewusstsein des Sozialen verschwunden?

Ein Endfünfziger rauscht herein, gebeugt, gehetzt und etwas zu laut; mit Peter-Handke-Frisur, er ist mit seiner Tochter »verabredet«. Die sitzt schon länger allein vor ihrem Frühstück, der Vater kommt zu spät und er telefoniert, stellt den Laptop auf den Tisch und beschwert sich über die Platzwahl der Tochter. Er säße eigentlich immer da, wo ich gerade sitze. Er schaut mich an, als habe ich meinen Platz zu räumen. Sie lächelt routiniert, er mosert so lange, bis sie den Platz wechseln. Der Vater will den Platz aussuchen, nicht die Tochter; Ältersein schützt nicht vor Unreife. Er telefoniert weiter, wie der ganze Saal erfährt, schon seit sieben Uhr heute morgen, also seit drei Stunden. Sie sitzt da, frühstückt, er telefoniert und schaut auf den Laptop, so bleibt es über eine halbe Stunde, aber schön, dass man sich gesehen hat. Irgendwann geht sie. Familienverhältnisse sind vielfältig, Umgangsformen auch.