Ich heirate mich selbst - Claudia Wuttke - E-Book

Ich heirate mich selbst E-Book

Claudia Wuttke

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Beschreibung

Wir alle suchen das Glück und Leichtigkeit – und verharren dennoch oft in toxischen Beziehungen und freudlosen Jobs. So ging es auch der Autorin, bis sie vor zwei Jahren zeitgleich alles verlor: den Partner, den Arbeitsplatz, das Haus. Plötzlich war sie eine alleinerziehende Mutter in einer kleinen Hamburger Wohnung und stand mit 52 wieder bei null. Sie nutzte die Zäsur für eine radikale Bestandsaufnahme und begriff, dass sie ihr Leben lang nur ein Bild von sich selbst gelebt hatte. Also machte sie sich auf den Weg und räumte radikal auf: mit alten Glaubenssätzen und dem Wunsch nach Anerkennung, um das Eine zu finden, was ihr bislang immer gefehlt hat: Liebe und Wertschätzung sich selbst gegenüber. Life-Coach Claudia Wuttke zeigt, wie es auch dir gelingt, der Selbstabwertungsspirale zu entkommen und stattdessen erfüllt und glücklich mit dir im Einklang zu leben. Jedes Kapitel enthält eine Übung oder praktische Tipps, die du mühelos anwenden kannst, um erfolgreich deinen ganz persönlichen Weg in die Selbstliebe zu gehen. Erst wenn du dich wirklich zuinnerst annehmen kannst, wirst du anziehen, was dein Herz braucht und dir in deiner Einzigartigkeit guttut.

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CLAUDIA WUTTKE

Ich heirate MICH SELBST

Der Weg zu Selbstliebe und Erfüllung

Die Informationen und Ratschläge in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt von Autorin und Verlag erarbeitet und geprüft. Alle Leserinnen und Leser sind jedoch aufgefordert, selbst zu entscheiden, ob und inwieweit sie die Anregungen in diesem Buch umsetzen wollen. Eine Haftung der Autorin bzw. des Verlags für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Liebe Leserin und lieber Leser, ich habe in diesem Buch nicht konsequent gegendert, um den Lesefluss nicht zu stören – selbstverständlich sind immer alle Geschlechter gemeint.

1. eBook-Ausgabe 2022

© 2022 Scorpio Verlag in Europa Verlage GmbH, München

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Lektorat: Ulla Rahn-Huber

Layout und Satz: Margarita Maiseyeva

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 9-783-95803-497-6

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.

www.scorpio-verlag.de

Glück ist Selbstgenügsamkeit.

ARISTOTELES

INHALT

Warum dieses Buch?

Eine kurze Gebrauchsanweisung

Kapitel 1 – Die traumatisierte Seele

Der Mensch im Dauerstress

Das Erziehungstrauma

Glaubenssätze

Konditionierungen

Die Bestätigungsfalle – die Macht des Außen

Die Bedingungsfalle – wenn, dann …

Kapitel 2 – Der Weg in die Selbsterkenntnis

Warum der Verstand ein Verhinderer ist

Den Schmerz durcharbeiten

Die ersten Schritte in Richtung Heilung

Kapitel 3 – Die Kraft der Spiritualität

Einatmen, ausatmen

Deine Superpower: die Meditation

Die Einheit von Körper, Seele und Geist – Yoga

Reiki und Theta-Healing

Tarot – Spiegel deiner Seele

Heilsteine deine energetischen Begleiter

Kapitel 4 – Von der Leere zur Fülle

Einsamkeit – die Last des Unverbundenseins

Die Raunächte – dein Zugang zu anderen Welten

Erfolgreich manifestieren

Entspannt loslassen

Was dein Körper dir zeigt

Kapitel 5 – Von der Selbsterkenntnis zur Transformation

Das Human Design

Transformation von Glaubenssätzen

Du glaubst, was du denkst …

Byron Katie: »The Work«

Welcher Fluchttyp bist du?

Die innere Bewusstheit

Ein praktisches Beispiel

Kapitel 6 – Selbstfürsorge – weil ich mich liebe!

Motion Creates Emotion – Sport und Bewegung

Psychotherapie – ja oder nein?

Coaching – Chancen und Grenzen

Du bist, was du isst

Heilfasten

Welche »Diät« passt zu mir?

Kapitel 7 – It must be love, love, love

Nicht nur du veränderst dich

Erfolge und Rückschläge

Der Weg in dein neues Selbst

Danksagung

Quellen / Weiterführende Links

WARUM DIESES BUCH?

Der Tag meiner Neugeburt war gleichzeitig der Tag meiner größten Niederlage. Es war der 10. Januar 2019. Ich war damals noch Programmverlagsleitung eines großen Hamburger Publikumsverlages, und schon am Morgen wurde mir angekündigt, dass Jasmin, die HR-Dame aus London mit den feinen arabischen Gesichtszügen, noch einmal nach Hamburg kommen würde.

Ich hatte Jasmin drei Wochen zuvor kennenlernen dürfen, als sie sich als Mediatorin und Human Resources Managerin vorstellte und mir in einem dreieinhalbstündigen Interview immer wieder wohlfeile Textbausteine aus der Personalentwicklung um die Ohren haute: »Ich bin hier, um zu unterstützen.« »Konflikte gehören dazu, aber wichtig ist, dass wir darüber sprechen.« »Lass mich wiederholen, ob ich auch wirklich richtig gehört habe, was du sagen möchtest.«

Das hatte sie regelmäßig nicht, denn was der Dame komplett fehlte, war Empathie. Insofern schwante mir an jenem Morgen des 10. Januar nichts wirklich Gutes.

Tatsächlich saß ich dann um halb zehn im kleinen Konferenzraum dem Geschäftsführer und der Personalerin gegenüber, und als ich den ersten Satz hörte, war mir klar, dass eine Ära von zwölf Jahren zu Ende ging: »Es hat wirklich nichts mit dir persönlich zu tun. Und so ein Ende kann ja auch eine Riesenchance sein, oder?«

Ich kann nicht sagen, dass ich wirklich überrascht war. Ich hatte im Hintergrund bereits seit drei Monaten intensiven Kontakt mit meinem Anwalt gehabt und wusste – und wollte auch –, dass dieser Krieg endlich vorbei wäre.

Aber für mich als alleinerziehende Mutter einer damals dreizehnjährigen Tochter, und selbst stattliche 52, war so ein Rausschmiss natürlich nichts anderes als etwas kolossal Persönliches. Und existenziell Bedrohliches! Speziell wenn man wie ich ein eher ängstlicher Mensch ist, zumindest was die Grundversorgung angeht. Also war mir mitnichten nach Feiern und Jubilieren zumute. Mir war zum Heulen, und das tat ich auch ausgiebig.

Ich darf ergänzen, dass der Verlust meines Arbeitsplatzes nicht das Einzige war, was mich seit einem halben Jahr beschäftigt hatte. Denn parallel zum Job ging im Sommer 2018 auch die fünfzehnjährige Beziehung zum Vater meiner Tochter final in die Brüche. Das Final ist hier wichtig, weil wir uns über die Zeit bereits x-Mal »ganz sicher« getrennt hatten und dann doch nicht voneinander lassen konnten. Keine Paartherapie, keine Gesprächstherapie der Welt hatte verhindern können, dass ich emotional gnadenlos abhängig von diesem für mich toxischen Mann war.

Nun hatte der Ex seit dem Sommer also eine neue Partnerin, und ich malte mir in den glühendsten Farben aus, wie glücklich und harmonisch und einfach angekommen sie die Welt eroberten, während ich ein kleines, elendes, einsames und unwertes Häufchen Elend war.

So viel dazu.

Und selbst wenn du jetzt womöglich erst mal über mich den Kopf schüttelst und nicht begreifen kannst, wie ich mich so zum Opfer machen konnte, wirst du vielleicht doch nachvollziehen können, dass es mir gelinde gesagt nicht besonders gut ging.

Wenn alles auf einmal wegbricht: Job, soziale Beziehungen, der Partner – dann steckt das wohl niemand so ganz easy weg.

Und trotzdem sage ich ja, dass der Tag meiner größten Niederlage auch der meiner Neugeburt war. Heute, gut drei Jahre später, bin ich für diesen 10. Januar unendlich dankbar. Ich habe – endlich! – begriffen, was mir wirklich fehlte. Ich habe mich auf einen Weg gemacht, der mich immer weiter von meinem Kopf, meinen Glaubenssätzen und meinen Konditionierungen weg und hin zu mir geführt hat. Ich habe begriffen, dass mir eines kolossal fehlte: die Liebe und die Wertschätzung mir selbst gegenüber.

Jahrelang hatte ich mich zugekleistert mit Werten wie Status, Anerkennung, Erfolg. Meine Gefühle drückte ich weg, lebendig fühlte ich mich, wenn mir applaudiert wurde. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wer ich wirklich war. Ich fand es noch nicht einmal nötig, es herauszufinden, denn ich war ja niemand.

Was für ein trauriger Irrtum!

Nun, ich bin sicher, dass du zu diesem Buch gegriffen hast, weil du dich in Teilen in dem wiedererkennst, was mir widerfahren ist. Mangelnde Selbstliebe ist meiner Meinung nach die größte gesellschaftliche Sollbruchstelle, unter der wir Menschen leiden. Gefühl, Intuition und Empathie sind keine Kernkategorien der Leistungsgesellschaft. Oder wenn, nur als Mittel der Produktivitätssteigerung.

Ich möchte dir mit diesem Buch Mut machen, unbedingt selbst deinen Weg zu beschreiten. Es kostet Überwindung, das weiß ich, und er ist von größter Verunsicherung begleitet. Mir kommt es so vor, als hätte ich in den vergangenen drei Jahren das Laufen neu gelernt. Und das geht niemals ohne stolpern, hinfallen, aufstehen, weitergehen.

Ich finde es absolut unverzichtbar, dass wir Menschen wenigstens versuchen, in unser Gefühl, unsere Souveränität und die Anerkennung von uns selbst zu kommen. Nur so finden wir unser privates Glück, unsere Zufriedenheit in der Fülle und nicht unsere Kleinheit im Mangel. Und nur so können wir dazu beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Mein Weg war ein langsamer und stetiger, der mich immer tiefer in die Spiritualität geführt hat. Achtsamkeit, Meditation und Yoga sind für mich heute unverzichtbar, um mich immer wieder neu zu ankern und bei mir zu bleiben. Aber allein damit ist es nicht getan.

Dein Mindset verändert sich nicht, indem du zehn Minuten am Tag still auf einem Kissen sitzt. Ein bisschen tiefgreifender ist es schon! Ich habe mich von Lebensgewohnheiten verabschiedet wie etwa dem Alkohol. Er hat mir einfach nicht gutgetan und mich aus meiner Kraft gebracht. Aber darauf zu verzichten war schwer. Denn wann immer die Leere wiederkam, war er als Seelentröster allzeit bereit.

Ich habe mich von Beziehungen verabschiedet, die mir nicht mehr guttaten. Ich habe mir neue Hobbys gesucht und mich beruflich komplett neu ausgerichtet. Und das alles während der Pandemie, die unser soziales Leben bekanntermaßen fast auf null heruntergefahren hat. Ich habe mich mit Heilsteinen beschäftigt und das Human Design für mich entdeckt. Allesamt unglaublich gute Helfer, die auch dich auf der Entdeckungsreise zu dir selbst bestens unterstützen können.

Ich bin durch entsetzlichen Schmerz gegangen, durch ein tiefes Tal der Einsamkeit, durch Zweifel und Rückfälle.

Heute aber sage ich eines aus tiefer Überzeugung, dankbar und lächelnd: Ich brauche keinen Partner mehr, um mich ganz und eins mit mir zu fühlen. Ich brauche keinen Dienstwagen mehr, um zu zeigen, dass ich jemand bin. Auch keinen dicken Gehaltsscheck.

Heute suche ich jeden Tag nach dem, was mich antreibt und mir Energie gibt: innere Freude, Spaß, gute Begegnungen. Ich habe 2019 in den USA eine Ausbildung zum Gateless Writing Teachergemacht und arbeite nun unter anderem als Lektorin und Autorencoach, um Menschen auf ihrem Weg in die Selbstverantwortung zu begleiten. Ich probiere Dinge aus und wurde mit den unglaublichsten Sachen beschenkt, zum Beispiel einer Reise nach Ruanda im Januar 2022, aus der nun ebenfalls ein Buch entsteht.

Ich habe mir noch keinen Heiratsantrag gemacht, aber ich könnte.

Ich bin mir selbst genug und glücklich, wenn ich mit meiner Geschichte auch dir etwas geben kann, etwas, das dich motiviert, ebenfalls loszulaufen und das wunderbare Geschenk anzunehmen, das das Leben dir gemacht hat: dich selbst!

EINE KURZE GEBRAUCHSANWEISUNG

Mein Weg in die Selbstliebe war ein recht langer und spät im Leben begonnener, geprägt von außerordentlich schönen und ebenso schmerzhaften Momenten. Ich habe viel ausprobiert, bis ich die für mich richtige Mischung aus Angeboten und Methoden finden konnte, die sich für mich bewährt haben.

Sowohl das eine als auch das andere zeichne ich im Einzelnen für dich nach, und ich wünsche mir, dass du dieses Buch auch als ein Workbook begreifst, als einen Korb voller Möglichkeiten, aus dem du dir genau das herauspickst, was sich für dich gut anfühlt. Meine größte Freude wäre, wenn du während der Lektüre Ideen und Impulse für dich mitnimmst, die Übungen durchgehst und erspürst, was das mit dir macht.

Und damit du das alles nicht vergisst, bitte ich dich aufrichtig, dir die folgenden Utensilien bereitzulegen:

Ein hübsches Notizheft, in das du deine Gedanken und Gefühle zu den einzelnen Kapiteln notierst;

Einen Lieblingsstift oder auch zwei.

Vielleicht richtest du dir auch einen schönen Ort in deiner Wohnung/deinem Haus ein, an dem du die Übungen machst oder wo du sogar liest.

Und ich ermuntere dich, dich bei Fragen wirklich an mich zu wenden. Eine Kontaktmöglichkeit findest du am Ende dieses Buches. Ich möchte dir helfen, auf deinen Weg und in deine Selbstliebe zu kommen. Und wenn ich neben diesem Buch etwas dafür tun kann, dann mache ich das sehr, sehr gerne.

Kapitel 1

DIE TRAUMATISIERTE SEELE

Wir alle, ausnahmslos, leben in einer zutiefst traumatisierten Gesellschaft. Ich selbst gehöre noch der Generation der Kriegsenkel an. Meine Eltern mussten mit meinen Großeltern während des Zweiten Weltkrieges aus Schlesien fliehen. Nach nunmehr fast achtzig Jahren Frieden machen sich die meisten von uns keinen Begriff davon, was es heißt, nur mit ein paar Taschen und dem Nötigsten versehen Heim und Hof zu verlassen, um in eine völlig unbekannte Zukunft aufzubrechen. Die Angst zu verhungern, die Angst, erschossen zu werden, durch Krankheit Kinder oder Eltern zu verlieren, sich keine neue Existenz aufbauen zu können und so weiter, war ganz sicher omnipräsent in einer Generation, die über Jahre nur damit beschäftigt war, das nackte Überleben zu sichern.

Und gerade heute scheint unser Frieden erneut so bedroht wie nie. Ganz in unserer Nähe findet ein Völkermord statt. Erneut verlassen viele Menschen Heim und Hof, weil sie um ihr Leben fürchten müssen. Mitten in Europa sind wir umgeben von Gewalt und Krieg. Wieder mal. Und das macht etwas mit uns.

Der Mensch im Dauerstress

Die Amygdala ist der Teil unseres limbischen Systems im Gehirn, der für die Gefahrenanalyse zuständig ist. Und im Grunde befand oder befindet sie sich ununterbrochen im »Fight or Flight«-Modus, ist also auf Kampf oder Flucht geschaltet. Um Körperkräfte zu mobilisieren, sorgt sie dafür, dass jede Menge Adrenalin, das sogenannte Stresshormon, ausgeschüttet wird. Die Pulsfrequenz erhöht sich, der Atem wird flacher. Dauert die Situation länger an, unterstützt die Nebennierenrinde diesen Prozess mit der Ausschüttung von Cortisol, das punktuell ebenfalls die körpereigenen Abwehrkräfte steigert.

Das Problem daran ist: Fokussieren wir uns nicht bewusst und achtsam darauf, dem Gehirn zu signalisieren, wenn die Gefahr, zumindest temporär, vorbei ist, hängen sich Körper und Geist irgendwann im Dauerstressmodus auf – oft ohne dass wir es überhaupt merken.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaflosigkeit und die Schwächung des Immunsystems können die Folge sein, aber was in unserem Zusammenhang noch viel wichtiger ist: Es kommt zu einer kompletten Konzentration auf das Außen. Wer sich daran gewöhnt hat, ständig nach Gefahrenquellen Ausschau zu halten, um im Zweifelsfall zu flüchten oder zu kämpfen, der wird ganz sicher nicht auf die Idee kommen, die Augen zu schließen und in der Innenschau Entspannung und heilende Verbindung mit sich selbst zu suchen. Und so nimmt das Drama seinen Lauf …

Ein Mensch im Dauerstress rennt wie ein kopfloses Huhn durch die Gegend – von einer vermeintlichen Gefahrenquelle zur nächsten, unfähig, sich oder andere wirklich zu spüren und entsprechend die eigenen Bedürfnisse oder die von anderen überhaupt wahrzunehmen.

Nun kannst du – solltest du ein jüngerer Mensch sein – natürlich sagen, du hast mit dieser Kriegsgeneration nichts zu tun, in deiner Familie gab es diese offensichtlichen Traumata nicht und bei dir ist das alles weniger »krass«. Das mag so sein und das ist an sich ja auch ganz wunderbar. Trotzdem hältst du dieses Buch in der Hand.

Die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie definiert den Begriff Trauma, griechisch »Wunde«, als eine »seelische Verletzung«, ausgelöst von »einer Überforderung der psychischen Schutzmechanismen durch ein traumatisierendes Erlebnis«. Damit sind in erster Linie gemeint: »Unfälle, Erkrankungen und Naturkatastrophen, aber auch Erfahrungen erheblicher psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt sowie schwere Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen«.

Laut international geltenden Klassifikationen von Krankheiten, kurz ICD (von englisch »International Classification of Disease«), finden unter dem Begriff aber in Wirklichkeit nur Erlebnisse ihren Niederschlag, die mit »außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß« einhergehen. Oder, auf der subjektiven Ebene, die bei »fast jedem eine große Verzweiflung hervorrufen würden«.

Sprich: Unter Trauma verstand die Wissenschaft bis vor wenigen Jahren wirklich »nur« für jedermann nachvollziehbare, massive Bedrohungen und Angriffe auf Leib und Seele. Diese enge Sichtweise hat sich zum Glück inzwischen geändert und vor allem spirituelle oder ganzheitlich orientierte Lehrer, aber auch Psychotraumatologen wie etwa Luise Reddemann haben dazu beigetragen, das Verständnis für eine traumatisierte Persönlichkeitsentwicklung deutlich weiter zu fassen.

Eckpfeiler einer solch schleichenden oder subtileren Form der Traumatisierung können etwa Konditionierungen sein, die dir in deiner Kindheit in Form von so simplen Erziehungssätzen wie diesen begegnet sind:

Sei lieb!

Sei leise!

Gib Tante XY ein Küsschen!

Sei nicht so vorlaut!

Hör auf zu zappeln!

Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?

Ganz einfache Sätze, wie wir sie in der einen oder anderen Form sicher alle gehört haben, die aber dennoch dazu führen, dass wir uns irgendwie »falsch« fühlen, nicht angenommen, nicht gesehen oder sogar auf eine Art körperlich dominiert.

In der Regel, und weil diese Dinge eben in den ersten Lebensjahren passieren, ziehst du dich in dich zurück, spaltest Bedürfnisse oder Wünsche ab, versuchst dich anzupassen oder wirst erst recht laut. Wie auch immer du reagierst – du wirst versuchen, dein Verhalten so zu korrigieren, dass du das bekommst, was du dir wirklich wünschst: Liebe, Aufmerksamkeit, Wärme, Geborgenheit, Vertrauen.

Dabei bist du auf dem besten Weg, genau das zu verlieren, nur, um dich noch mehr anzustrengen, es irgendwie doch zu erhalten.

Ein Teufelskreis.

Weitere Konditionierungen, die ein solches Entwicklungstrauma hervorrufen können, finden auf der emotionalen Ebene statt, und wir reden hier wieder von vermeintlich unbedeutenden Situationen:

Du hast schlecht geträumt, wachst auf, und niemand ist da, der dich tröstet.

Du hast etwas Tolles gebastelt, wirst aber nicht beachtet.

Du erlebst, dass die Arbeit deiner Eltern immer Vorrang hat.

Deine Mutter schickt dich in dein Zimmer, weil sie noch so viel zu erledigen hat.

Auch dies sind komplett »normale« Ereignisse im Leben eines Kindes, aber wenn die Mutter das Kind am Abend nicht zum Beispiel zur Seite nimmt und ihm erklärt, warum sie einfach mal zwei Stunden für sich brauchte, und wenn der Papa sich nicht mal mit dem Kind hinsetzt und Fußball spielt oder mit ihm zum Ballett fährt, dann lernt es, dass es nicht wirklich wichtig ist.

Und noch mal: Auch unsere Eltern hatten schon Eltern und sind genau so groß geworden. Und in welcher Familie wurde und wird denn wirklich über Gefühle und Bedürfnisse gesprochen? Wer kann das überhaupt? Es kostet Jahre mühevoller Arbeit zu lernen, in sich hineinzuspüren und hinzuhören. Warum wohl ist ein Buch wie das von Stefanie Stahl, Das Kind in dir muss Heimat finden?1, so gigantisch erfolgreich? Doch wohl, weil wir alle mehr oder weniger ausgeprägt unter unseren Traumata leiden und sie gern heilen möchten.

Das heißt nun nicht, dass wir, wie oben beschrieben, alle auch kontinuierlich im Flight-oder-Fight-Modus wären; dass wir ständig völlig gestresst und mit hochgepeitschtem Puls durch unser Leben hetzen. Aber es heißt schon, dass wir dauernd dabei sind, unser Verhalten anzupassen und dem Erwartungsdruck von außen nachzugeben, obwohl es uns nicht guttut, über unsere Grenzen zu gehen; obwohl wir keine Bindungsmuster entwickeln wollen, die definitiv nicht gesund für uns sind; und obwohl es definitiv keine gute Idee ist, in Jobs auszuharren, die uns unglücklich machen.

In den unzähligen Workshops, die ich gegeben oder an denen ich teilgenommen habe, gab es bislang wirklich nur eine Teilnehmerin, eine von gefühlt fünfhundert(!), die glaubhaft versichern konnte, dass sie dankbar und glücklich sei und mit sich und ihrem Leben voll und ganz im Reinen. Eine! Bei allen anderen flossen ziemlich schnell die Tränen, weil sie mal wieder an die Grenze ihrer Selbstliebe gestoßen waren.

Übung: Selbstreflexion

Ich bitte dich, ab jetzt eine Woche lang Tagebuch zu führen und folgende Punkte zu notieren:

Trage jede Situation ein, in der du dich gestresst gefühlt hast, egal welche, ob du zur Haltestelle gerannt bist, um den Bus noch zu kriegen, du dir Sorgen machst, ob du ein Projekt im Job noch rechtzeitig fertigbekommst, oder dir ein Blick deines Partners nicht aus dem Kopf geht, den du als geringschätzend erlebt hast. Schreib das alles einmal auf.

Notiere, welche Gefühle dabei hochkamen.

Schreib auf, wie lange die Stresssituation dauerte und was du aktiv getan hast, um sie zu meistern.

Das Erziehungstrauma

Um es noch einmal klarzustellen: Wenn ich im Folgenden über die unterschiedlichen »Erziehungstraumata« spreche, meine ich damit nicht die Form von Verletzungen, die durch lebensbedrohliche Gewalt, Kriegserfahrung oder jahrelangen Missbrauch verursacht werden. Ich habe weder den medizinischen noch psychoanalytischen Background, um mich auf dieses Feld zu wagen.

Mir geht es darum, den Weg zu Selbstheilung und Selbstliebe aufzuzeigen, der aus einer vermeintlich behüteten Kindheit hervorgeht. Ich rede hier von den 95 Prozent aller Frauen und Männer, denen es nach außen hin zunächst einmal an nichts zu mangeln scheint und die trotzdem und bei manchen aus für sie selbst erst einmal vollkommen unverständlichen Gründen in den Burnout, die Depression, selbstverletzendes Verhalten oder Schlimmeres gehen. Genauso war es auch bei mir.

Ich war die zweite von zwei Kindern (ich habe eine vier Jahre ältere Schwester) und wuchs in einem Einfamilienhaus in einer Kleinstadt in Niedersachsen auf. Mein Vater war Handwerker, Schlachter, Schlachtermeister, um genau zu sein, meine Mutter Hausfrau, die ab und an im Geschäft mit aushalf. Wir hatten einen Hund und einen schönen Garten, ich konnte zu Fuß zur Schule gehen. Bei uns zu Hause gab es weder Gewaltprobleme noch Alkoholexzesse oder dergleichen. Man könnte also sagen, ich wuchs genauso behütet und friedlich auf wie all die anderen Nachbarskinder in der Siedlung. Was vermutlich auch genauso war.

Und trotzdem empfand ich mich von klein auf als irgendwie »falsch«. Ich fühlte mich nicht gemocht, nicht gesehen, nicht geliebt. Ich verbrachte viel Zeit allein, verschanzte mich ab einem gewissen Alter hinter Büchern, neigte zu Melancholie und Traurigkeit. Was mir übrigens, wenn ich es später einmal erwähnte, niemand glaubte, denn ich war und bin ein äußerst kommunikativer Mensch, lache gern, bin gern in Gesellschaft, kann gut zuhören. Irgendwas passte da also nicht zusammen. Es war wie ein Riss in mir selbst oder ein Graben, den ich weder überspringen noch schließen konnte.

Ich bin mir sicher, dass du für dich eine ganz ähnliche Geschichte erzählen kannst und immer wieder im Nebel herumstocherst, was um Himmels willen der Grund dafür ist, dass du dich so unglücklich oder undankbar fühlst. Denn es war doch alles in Ordnung!

Nein, war es eben nicht.

Glaubenssätze

Je nach Konstellation sind die Rahmenbedingungen in jeder Familie anders. Bei mir war es so, dass ich im kleinbürgerlichen Mittelstand groß wurde. Sowohl mein Vater als auch meine Mutter waren ebenfalls Zweitgeborene, meine Mutter überstrahlt von ihrem charmanten älteren Bruder, für den sie als Kind – und noch dazu auf der Flucht – dennoch sorgen musste. Mein Vater überstrahlt von einem geliebten Bruder, der an den Folgen des Krieges früh gestorben ist.

Während mein Vater sich emotional verschloss, autoritäre Züge annahm und sich hinter seiner Arbeit verschanzte, war meine Mutter emotional bedürftig und litt im Grunde unter einer echten Lebens-, anders ausgedrückt: dauerhaften Todesangst.

Das war mir als Kind natürlich so nicht klar, denn gewiss umarmte mich meine Mutter, machte uns das Frühstück oder die Lieblingsnudeln, und mein Vater fuhr mit uns am Sonntag in den Vogelpark Walsrode.

Und dennoch waren emotionale Isolation, das Gefühl des Alleingelassenwerdens (was ja auch teilweise real passierte) und mangelnde Herzensbindung in jeder Form omnipräsent.

Wie gesagt: So oder so ähnlich sind die meisten von uns groß geworden. Es ist die schleichende Vernachlässigung von Grundbedürfnissen wie Liebe, Geborgenheit, Zuwendung, die wie ein steter Tropfen den Stein des Selbstwertgefühls, der Resilienz, der Selbstachtung und Selbstliebe unterhöhlt. Und das ganz sicher nicht aus böser Absicht, sondern weil unsere Eltern es eben auch nie besser gelernt haben oder ähnlich depraviert groß geworden sind. Die Gesellschaft, in der wir leben, erzieht uns zudem auch nicht gerade dazu, immer und gerne frei aus dem Herzen sprechen und handeln zu dürfen.

So kommt es, dass wir in frühen Jahren (sogar schon pränatal im Mutterleib) Glaubenssätze ausbilden, nach deren Mustern wir dann später im Erwachsenenalter handeln und uns wundern, dass wir doch nicht so recht glücklich werden. Die »Klassiker« darunter sind etwa:

Ich werde nicht gesehen.

Ich bin nicht gut genug.

Ich bin nicht liebenswert.

Ich bin allein oder auch: Allein bin ich ja niemand.

Nur wenn ich etwas leiste, bin ich liebenswert.

Ich bin nicht wertvoll.

Ich muss mich mehr anpassen.

Ich bin zu laut / zu aufdringlich.

Ich bin nicht schön.

Ich verdiene es nicht, XYZ …

Ich darf meine Bedürfnisse nicht zeigen.

Ich habe nichts zu geben.

Ich darf nicht Nein sagen.

Wir können unterscheiden, ob es Glaubenssätze sind, die wir schlicht von unseren Eltern übernommen oder aus einer Angst heraus beziehungsweise zum Schutz vor bestimmten Situationen kreiert haben – so gut man das als Kind eben kann. Aber letztlich laufen sie alle auf das Gleiche hinaus.

Übung: Selbstreflexion

Kommt dir der eine oder andere Glaubenssatz bekannt vor? Welcher davon trifft am ehesten auch auf dich zu?

Schreib sie einmal auf, am besten direkt unter die bereits notierten Stresssituationen.

Siehst du Verbindungen?

Konditionierungen

Wir alle haben also Glaubenssätze, die uns konditionieren und entsprechende Verhaltensmuster ausbilden lassen.

Ich gebe mal ein Beispiel: Ich hatte vor einer Weile ein Gateless-Writing-Einzelcoaching mit einer meiner Autorinnen. Seit Monaten schon laborierte Beate an einer Schreibblockade herum. Sie kam in ihren neuen Roman einfach nicht rein. Alles, was sie ablieferte, war irgendwie dröge und blutleer. Es flutschte einfach nicht. Während der Sitzung hatte sie ganz schnell das Gefühl, dass ihr die Luft zum Atmen fehlte. Als läge ein Stein auf ihrer Brust. Sie spürte dem nach und erzählte, dass im Prinzip gar nichts mehr lief, seitdem sie acht Monate zuvor einen Zehn-Stunden-Job in einer kleinen Bücherei in ihrem Dorf angenommen hatte. Der Grund: Sie arbeiteten dort nur zu zweit, und ihre Kollegin war dauernd krank. Aus den zehn Stunden wurden dann also meistens zwanzig oder mehr. Neben den zwei Kindern, die sie zu versorgen hat, hatte sie einfach nicht mehr die Ruhe zum Schreiben.

Ich fragte Beate, warum sie überhaupt immer für die Kollegin einsprang, das sei doch nicht ihr Job. Daraufhin meinte sie, dass sie sich der Inhaberin der Bücherei verpflichtet fühle und einfach nicht in der Lage sei, sie mit dem Problem allein zu lassen.

Beates Glaubenssatz war also: Ich darf nicht Nein sagen. Das Ergebnis: Sie ließ sich vor einen fremden Karren spannen, der andere zufrieden zurückließ, nur nicht sie selbst.

Tatsächlich änderte sie ihr Verhalten umgehend, sprach mit ihrer Chefin und setzte fortan die nötigen Grenzen. Das Ergebnis: Sie hat mir inzwischen zwei fantastische Exposés geschickt.

Dieses Beispiel illustriert, wie uns unsere Glaubenssätze steuern und dies eben meist leider, ohne dass es uns bewusst ist.

Ganz sicher, und das wird in der modernen Coachingtheorie auch immer mehr betont, hat jeder Glaubenssatz (egal ob positiv oder negativ) auch seine andere Seite, getreu dem Motto, wo Licht ist, da ist auch Schatten. Soll heißen, wenn du den Glaubenssatz »Ich bin nichts wert« verinnerlicht hast, hast du vielleicht alles dafür getan, diesen vermeintlichen Mangel über Leistung und Erfolg zu kompensieren. Womöglich bist du deswegen heute die total anerkannte Projektmanagerin oder Geschäftsführerin eines Unternehmens.

Oder der Satz »Ich bin nicht liebenswert« hat dafür gesorgt, dass du dich sozial intensiv engagierst, in der Nachbarschaft oder in Verbänden unglaublich gern gesehen wirst und vielleicht schon selbst eine gut funktionierende Non-Profit-Organisation gegründet hast. Ich kenne sogar ein recht erfolgreiches Model, das sich selbst total hässlich findet.

Diese Beispiele gibt es rauf und runter, denn wie oben schon erwähnt, sind wir Menschen mit »Entwicklungstraumata« mehr als lebens- und gesellschaftsfähig. Aber genau deswegen brauchen wir auch so lange, um uns überhaupt einzugestehen, dass da etwas schiefgelaufen ist mit der Selbstliebe und gesunden Selbstakzeptanz. Denn eins ist leider auch klar: All diese Kompensationsmechanismen heilen ja nicht unsere eigentliche Bedürftigkeit. Wenn ich ein gebrochenes rechtes Bein habe, hilft es ja auf Dauer auch nicht, das linke durch Muskeltraining zu stärken. Oder, noch plastischer, mir jemanden zu suchen, der mich beim Gehen mit seinem rechten Bein unterstützt.