Ich mach das jetzt! - Ulla Lohmann - E-Book

Ich mach das jetzt! E-Book

Ulla Lohmann

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Beschreibung

Schon als kleines Mädchen verliebt sich Ulla Lohmann in die Vulkane der Welt und nimmt sich vor, sie alle zu sehen, zu erforschen, zu fotografieren, zu verstehen. Bis dorthin ist es ein weiter Weg, doch Rückschläge und persönliche Niederlagen können sie nicht daran hindern, ihr Ziel zu erreichen. Ein Buch über die ganz großen Träume und darüber, dass es manchmal nur einen Gedanken braucht, um sie wahrzumachen: »Ich mach das jetzt!«

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Ulla Lohmann

Ich machdas jetzt!

Meine Reise zumMittelpunkt der Erde

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2017 Benevento Publishing,

eine Marke der Red Bull Media House GmbH,

Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesetzt aus der Palatino, Gotham

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Fotos: © Ulla Lohmann

Printed in Slovakia

ISBN 978-3-7109-0023-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Das Herz der Erde

Mein Kindheitstraum

Der Wendepunkt

Die Forscherin

Die Weltreise

Kapitel 2

Erste Expedition nach Vanuatu

Der erste Aufstieg

Das Zuhause in der Ascheebene

Die erste Nacht

Der erste Blick

Gemeinsame Nächte im Vulkan

Gefangenschaft

Kapitel 3

Ambryms schwarze Magie

Studium zwischen Dschungel und Korallenriff

Kapitel 4

Acht Jahre später

Die rosa Unterhose

Hokus Pokus und die Männerrunde

Erwachsensein

Vergängliche Kunst

Kapitel 5

Die Entscheidung

Leben im Puff

Eine folgenreiche Telefonkonferenz

Vielmännerei

Das Männerhaus

Ein Moment für die Ewigkeit

Kapitel 6

Das Scheitern

Sehnsüchte

Magie

Ein weiterer Wendepunkt

Der letzte Kuss

Am dünnen Faden

Die zweite Terrasse, Teil 1

Eiseskälte

Zwei für Pech und Schwefel

Wir geben auf

Kapitel 7

Der Traum

Der Zyklon

Der Vulkanausbruch

Der Vulkanflüsterer

Der Aufstieg

Lagerleben

Die dritte Woche

Der große Augenblick

Die Nacht im Vulkan

Die zweite Terrasse, Teil 2

Die dritte Terrasse

Himmel und Hölle

Epilog

Danke

Für die Liebe meines Lebens und für meine Mama.

Don’t dream it – do it!

Vorwort

Als Film- und Fotojournalistin bin ich auf der ganzen Welt unterwegs, erlebe viele spannende Abenteuer, treffe außergewöhnliche Menschen und lerne jeden Tag etwas Neues. Ich lebe meinen Traum, weil ich meinem Herzen folge und dadurch meine Erfüllung finde. Natürlich ist es nicht immer einfach und erfordert auch Mut und Durchsetzungsvermögen. Aber wenn man wirklich will, schafft man es. Es dauert nur manchmal etwas.

Bei mir dauerte es 20 Jahre, bis ich von der Expeditionsköchin zur Expeditionsleiterin und Fotografin wurde. Ein langer und schwerer, aber auch lustiger Weg über Stock und Stein, mit vielen Begegnungen, ein paar gebrochenen Herzen, viel Leidenschaft und noch mehr Durchhaltevermögen und Dickköpfigkeit.

Dies ist meine Geschichte. Sie ist nicht exemplarisch und auch nicht idealtypisch, aber sie zeigt etwas, woran ich mit ganzem Herzen glaube: Träume müssen nicht Träume bleiben. Denn wenn man an sie glaubt, werden sie wahr. Für jeden.

Kapitel 1

Das Herz der Erde

Es war ein einziger Schritt, der meine Sicht auf die Welt veränderte: ein Schritt zum Abgrund, zum Rand des Vulkans. Fast verlor ich das Gleichgewicht, denn auf diesen Anblick war ich nicht vorbereitet. Weit unter mir brodelte die Lava und ein riesiger Lavasee warf seine Schlacken nach oben. Seine Hitze traf mich wie eine Wand. Die Gase brachten meine Augen zum Tränen. Vor mir lag das offene Herz der Erde. Und ich stand davor. Vor dieser Urkraft, die alles Leben auf der Welt geschaffen hat und gleichzeitig alles zerstören kann.

600 Meter unter mir brodelte der Lavasee. Es hörte sich an, als würde man einen Kessel voller Wasser zum Kochen bringen – nur tausendmal lauter. Die Luft roch nach Schwefel und stach in der Nase. Ich ahnte, dass das nicht wirklich gut für mich war, aber es war mir egal, meine Gasmaske baumelte unbeachtet um meinen Hals. Ich war einfach zu gebannt von dem Anblick vor mir. Unaufhörlich stiegen orange-gelbe Gaswolken nach oben. So, als würde der Vulkan seinen heißen Atem aus der Hölle zu mir schicken. Jedes Mal, wenn mich ein Schwall heißer Luft erreichte, schauderte ich und bekam Gänsehaut. Ich war 19 Jahre alt. Für mich verwirklichte sich gerade ein Kindheitstraum.

Schon mit acht Jahren habe ich davon geträumt, einmal glühende Lava zu sehen. Damals hatte mich mein Vater mit nach Italien genommen, um mir die unter Asche begrabene Stadt Pompeji und die zerstörerische Kraft des Vulkans Vesuv zu zeigen.

Jetzt war ich in Vanuatu in der Südsee. Vier Tage reiste ich von Deutschland über Amerika und Neuseeland auf die Südpazifik-Insel. Unzählige Flugstunden, mehrere Stunden Autofahrt, viele Stunden Fußmarsch und einige Übernachtungen lagen hinter mir. Nun stand ich endlich am Ziel meiner Träume: vor der rot glühenden Lava. Aber anstatt mich zu freuen, brodelte eine merkwürdige Unruhe in mir auf.

Der Lavasee lag über einen halben Kilometer unter mir. Wie wäre es erst, noch näher dran zu sein? Die Fontänen über meinen Kopf spritzen zu sehen, die Geräusche noch intensiver zu hören, und die Strahlungswärme der 1200 °C der Lava am ganzen Körper zu spüren? Da unten war noch nie ein Mensch gewesen. Wie wäre es wohl, der erste Mensch auf der Welt zu sein, der seinen Fuß dort hinsetzt?

Und schon fühlte ich einen Wunsch in mir aufsteigen, der wie ein heranrasender Zug immer stärker und lauter wurde: Ich wollte in diesen Schlot hinein, ich wollte mich abseilen und ganz nah am Lavasee stehen, um die Elemente noch mehr zu spüren. Da unten wartete ein riesengroßes Abenteuer auf mich. Da wollte ich hin!

Mir war allerdings nicht klar, wie ich das anstellen sollte. Es galt, sich 600 Meter in den Krater abzuseilen und anschließend wieder aufzusteigen. Man musste klettern können. Man musste die Seile gut verankern. Man musste mit Gasmaske arbeiten. Man musste Bohrhaken setzen. Ich konnte nichts von alldem. Aber ich konnte träumen.

Mein Kindheitstraum

Träumen tat ich schon als Kind am liebsten. Ich las sehr viel und weinte oft, wenn die Geschichten vorbei waren. Der Abschied von meinen Helden fiel mir unsagbar schwer. Irgendwann begann ich, die Geschichten weiterzudenken, sie weiter zu erfinden.

Besonders gerne träumte ich von Axel und dem schrulligen Professor Lidenbrock aus Jules Vernes Die Reise zum Mittelpunkt der Erde. Die beiden steigen durch ein Kraterloch ins Erdinnere und erleben dabei allerlei Abenteuer. In meinen Gedanken waren der ängstliche Neffe und der wirklichkeitsfremde Professor nicht alleine, sie hatten noch eine praktisch veranlagte und geschickte Gehilfin dabei, die die Reise dokumentierte: mich! Ich erlebte viel mit den beiden und entdeckte Plätze, an denen noch nie ein Mensch gewesen war. Diese Geschichten erzählte ich meiner Schwester Rita. Im Sommer saßen wir stundenlang unter dem Zwetschgenbaum im heimischen Garten in Enkenbach-Alsenborn in der Pfalz und sie hörte mir zu. Manchmal nahmen wir meine erfundenen Geschichten mit einem Kassettenrekorder auf. Meine Eltern wollten, dass ich selbst las und deswegen durfte ich keine Hörspielkassetten besitzen. Also machte ich meine eigenen! Geschäftstüchtig verkaufte ich sie auch an meine Mitschüler.

Sehr zum Leidwesen meiner Eltern vermischten sich Realität und Traumgeschichten des Öfteren. Ich war Meisterin darin, Ausreden zu erfinden und mir Dinge auszudenken, die in Wirklichkeit nicht stimmten. Doch für mich waren auch meine Träume lebendig und wahr.

Von Vulkanen träumte ich schon sehr früh. Daran war mein Vater schuld: Als ich acht war, nahm er mich zum Vesuv mit und zeigte mir Pompeji – die verschüttete Stadt aus der Antike. Wir liefen eine weite, gerade Straße mit großen Pflastersteinen entlang. Sie erschien mir endlos, bis zum Horizont. Rechts und links der Straßen waren Ruinen. Mein Papa erklärte mir, dass die Häuser schon vor tausenden von Jahren von den Römern gebaut worden waren. Mir gefielen besonders die erhöhten Fußgängerüberwege, antike Zebrastreifen sozusagen, die in einem Abstand gemacht waren, dass Pferdefuhrwerke damals gerade so durchgepasst haben. Ich sprang von Stein zu Stein und verfolgte meinen Schatten, der über das Kopfsteinpflaster hüpfte. Doch ich sah keine lange, leere Gasse vor mir, sondern eine Straße, auf der Pferdefuhrwerke ratterten, vollbeladen, und Menschen, die auf den Markt eilten, um ihre Waren zu verkaufen. Ich war mittendrin im Leben der Menschen im alten Pompeji 79 nach Christus. Ein kleines Mädchen in meinem Alter entwischte gerade der Hand ihrer Mutter, um ihren jungen Hund einzufangen, der auf die Straße laufen wollte. Gerade noch rechtzeitig vor dem herannahenden Pferdekarren konnte sie ihr hellbraunes Hündchen mit den Puschelohren einfangen, aber das Pferd scheute, und der Fahrer schimpfte fürchterlich. Ein anderes Pferd wieherte und ließ Pferdeäpfel fallen, mitten auf die Straße.

Mein Vater unterbrach meine Fantasien und nahm mich an der Hand: »Komm, ich will dir zeigen, warum keiner mehr in dieser Stadt lebt. Ein großer Vulkan hat die Menschen hier getötet.« Wir liefen durch die sonnige Ruinenstraße in eine Art Kammer. Hier war es dunkel und viel kälter. Ich fröstelte. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich sie: Menschen in der letzten Sekunde ihres Lebens, festgehalten für die Ewigkeit. Sie lagen auf dem Boden, zusammengekauert, manche hielten die Hände schützend über sich. Ein paar kleine Kinder waren auch dabei, daneben die Eltern, für immer erstarrt beim vergeblichen Versuch, sie zu beschützen. Einer war gerade dabei, aufzustehen, als ob er fliehen wollte. Manche lagen friedlich da, als würden sie nur schlafen.

Plötzlich überfiel mich eine unbändige Neugierde. Auf einen Schlag wurde ich endgültig aus meiner Träumerei von vergangenen Welten gerissen und war hellwach. Ich wollte wissen, wie die Menschen umgekommen waren. Mein Vater erzählte, dass im alten Pompeji schon seit mehreren Wochen tagtäglich die Erde gebebt hatte. Heute wissen wir, dass das die Anzeichen eines bevorstehenden Ausbruchs des Vulkans Vesuv waren. Aber damals hatten die Menschen noch nie einen Vulkan ausbrechen sehen und wussten nicht, dass sich die Katastrophe direkt unter ihnen anbahnte. Am 24. August 79 nach Christus war es soweit: Der Berg explodierte. Gas- und Aschewolken wurden aus dem Vulkan geschleudert, der Himmel verdunkelte sich. Die Bewohner von Pompeji wurden vom Ausbruch überrascht. Kaum jemand konnte fliehen, alles ging viel zu schnell. Eine Gas-Aschewolke zog mit einer Temperatur von bis zu 500 °C mit über 100 Stundenkilometern über die Gegend hinweg. Die Glutlawine fegte über die Stadt, welche bereits unter einer meterdicken Ascheschicht lag. Viele Häuser waren eingestürzt, andere vollständig verschüttet. Die Luft war unsagbar heiß, trocken, und von feinem Staub erfüllt. Die Menschen starben an Ort und Stelle, bei dem, was sie gerade taten.

Mein Papa erklärte mir, dass der Vulkan Fluch und Segen zugleich sei: Wegen der fruchtbaren Asche wachse hier alles so üppig: Weintrauben, Feigen, Obst und Gemüse.

Wieder zu Hause angekommen, war meine Leidenschaft für Vulkane vollends entfacht. Ich saugte alles in mich auf, das ich zu dem Thema ausfindig machen konnte, und las, was mir diesbezüglich in die Hände fiel. Für mich war ganz klar, dass nur ein Beruf infrage kam: Ich musste Vulkanforscherin werden.

Meine Eltern waren amüsiert, denn das war nicht mein erster ernsthaft vorgetragener Berufswunsch. Davor wollte ich schon Lehrerin, Turnerin und Autorin werden. Meine Eltern waren beide Lehrer und hielten es für sinnvoll, mich in jedem meiner Wünsche zu bestärken, und mich zu fördern. Sie haben mir beigebracht, dass ein Forscher immer genau über alles Buch führen muss.

Ich setzte es sofort in die Tat um: Auf dem Speicher unseres Nachbarn fand ich einen jungen Mauersegler, den ich von Hand aufziehen konnte. Ich dokumentierte akribisch, was Hansje, so taufte ich ihn, fraß, wie viel er wog, und wie ich ihm das Fliegen von meinem Kopf als Startplattform beibrachte. Nach knapp drei Monaten konnte ich ihn wieder in die Freiheit entlassen. Er kehrte in den Folgejahren immer wieder zurück und versuchte stets, auf meinem Kopf zu landen. Alles wurde von mir dokumentiert. Meine wesentliche Erkenntnis war, dass Hansje durch die falsche Prägung in seiner Kindheit nie ein Weibchen fand. Er half einem anderen Pärchen bei der Aufzucht ihrer Jungen, brütete aber nie selbst.

Der Mauersegler half mir, meinen ersten Jugend-forscht-Wettbewerb zu gewinnen. Ich wurde Regionalsieger und belegte den zweiten Platz auf Landesebene. Ein Erfolg, den ich nie zu träumen gewagt hätte, der mich aber noch mehr in meinem Wunsch bestärkte, Forscherin zu werden. Ein Nachteil blieb allerdings: Vulkane gab es in Enkenbach-Alsenborn einfach nicht und die Wahrscheinlichkeit, dass sich einer aus der Erde erheben würde, tendierte gen null.

Der Wendepunkt

Dafür gab es aber jede Menge Probleme beim Älterwerden. In der Schule war ich immer die Außenseiterin, da ich mich nicht für Jungs interessierte. Die anderen Mädchen hatten ihren ersten Freund und redeten über nichts anderes als den ersten Kuss, das neueste Bravo-Magazin oder die beste Mascara. Ich wusste noch nicht einmal, was das war und es interessierte mich auch nicht. Bis auf meinen ersten Schultag hatte ich noch nie ein Kleid angehabt. Ich wollte nie ein Mädchen sein und mein Kurzhaarschnitt zeigte dies jedem. Zudem war er viel praktischer beim Schwimmen und Leistungsturnen. Nur meine Koteletten waren lang und führten zu allerlei Hänseleien.

Der erniedrigendste Moment meines Schullebens begab sich im Januar 1992. Ich war 14, als mich zwei Mädchen auf der Toilette einsperrten und versuchten, mir die Koteletten abzuschneiden. Ich wehrte mich, kratzte, trat um mich und biss zu wie ein wildes Tier.

Natürlich musste ich deshalb wieder einmal zum Direktor. Aber wir kannten uns ohnehin gut. Zum einen weil ich die Schülerpolitik mit ihm besprach. Zum anderen weil ich regelmäßig meine Ratte – ich hatte sie Woodstock getauft – mit in die Schule brachte. Sehr zum Ärger meiner Sitznachbarin in Mathematik, denn sie konnte Woodstock nicht ausstehen. Jedes Mal, wenn ich mit einem weiten Pulli auftauchte, bekam sie einen Schreikrampf, weil sie glaubte, dass sich Woodstock darin versteckte. Und damit lag sie nicht ganz falsch. Die Ratte lebte mit und quasi auf mir. Wenn sie aufs Klo musste, kroch sie aus meinem Ärmel, verrichtete ihr Geschäft, und krabbelte in den Pulli zurück. Wenn ihr langweilig wurde, setzte sie sich auf meine Schulter. Ich fand das toll und es war für mich selbstverständlich. Dieses arme Tier zu Hause im Käfig zurückzulassen, erschien mir wie die reinste Tierquälerei. Und schließlich gab es an unserer Schule keinen Satz in der Hausordnung, der besagte, Ratten wären nicht erlaubt. Nach meinem Abitur sollte sich das ändern und es wurde ausdrücklich in die Hausordnung aufgenommen: »Ratten sind im Unterricht und in der Schule verboten!« Für mich war es aber auch eine willkommene Ausrede, nicht dem Mathematikunterricht beiwohnen zu müssen. Unsere Lehrerin, die wir wegen ihrer ausgeprägten Stupsnase heimlich »Miss Piggy« nannten, warf mich nämlich sofort aus dem Unterricht, wenn meine Sitznachbarin nur den kleinsten Schrei ausstieß. »Miss Piggy« wollte gar nicht erst nachschauen, ob an dem Gerücht, dass in meinem Ärmel eine Ratte wohnte, etwas dran sein könnte. Trotzdem wurde ich einmal deswegen zum Direktor zitiert, der Woodstock allerdings nicht finden konnte. Praktischerweise war meine um zwei Jahre jüngere Schwester auch auf der gleichen Schule und übernahm vor jedem Rendezvous beim Direktor schnell die Ratte.

Ich war in der Schülerpolitik aktiv, war mehrere Jahre Stufensprecherin, und später auch Schülersprecherin. Nur richtige Freunde hatte ich nicht. Dafür fand ich mein Umfeld außerhalb der Schule, in meiner Turngruppe. Ich trainierte fünfmal die Woche im TPSV, dem Turn- und Polizeisportverein von Enkenbach. Seitdem ich drei war, seit meiner ersten Rolle vorwärts im Mutter-Kind-Turnen war ich vom Turnen begeistert. Der Geruch der gummierten Turnmatten, der Staub des Magnesiums, das Gewicht der Medizinbälle und die stützenden Hände meines strengen Trainers, der mir immer ein Vorbild bleiben sollte, bedeuteten mir alles. Riesenfelge am Barren, Salto am Boden, Rad auf dem Barren, aber auch Schwimmen, Kunstspringen und Leichtathletik standen auf dem Trainingsplan. Der Erfolg blieb nicht aus: Mit der Mannschaft gewannen wir zweimal die deutsche Meisterschaft. Das Gefühl war unbeschreiblich: oben auf dem Podest zu stehen, die Goldmedaille umgehängt zu bekommen, von allen bejubelt zu werden.

Als ich mich beim Probetraining für die Aufnahme in den deutschen Kader beim »Freien Rad«, dem Rad ohne Hände, so schlimm am Knie verletzte, dass ich operiert werden musste, brach für mich eine Welt zusammen. Ich musste mit dem Turnen pausieren und schnell wurde mir klar, dass ich den Anschluss an meine frühere Leistung nie wieder schaffen würde. Ich fiel in ein Loch und schlug nur noch Zeit tot. Statt zu turnen, hing ich nun nach der Schule an der Bushaltestelle ab und philosophierte mit jedem, der es hören wollte, über Gott und die Welt. Ich fand Anschluss an eine Gruppe älterer Studenten, die gemeinsam in einer Wohngemeinschaft lebten, einen bunt angemalten VW-Bus besaßen, und auch im Winter nur barfuß liefen. Gemeinsam mit meinen neuen Freunden organisierte ich regelmäßig Suppenküchen für die Armen oder Demos gegen alles und nichts. Bei meiner ersten Demo gegen Politikverdrossenheit war ich 15 und durfte das erste Mal vor einer Menschenmenge durch das Mikrofon sprechen. Ich hatte schweißnasse Hände und zitterte, aber der Applaus gab mir die Bestätigung, die ich brauchte. Ich kam mir nicht mehr wie ein Außenseiter vor. Oft übernachtete ich auch bei meinen Freunden in deren WG. In den Zimmern lagen große Matratzen auf dem Boden und wer mochte, konnte dort übernachten. Man musste nur rechtzeitig schauen, dass man ein Plätzchen bekam und keinen Schlafgenossen neben sich hatte, der schnarchte oder einem die Bettdecke klaute. Zu essen gab es auch immer: Für unsere Suppenküche für Bedürftige bekamen wir abgelaufene Produkte von Supermärkten; die Reste verwendeten wir selbst. Das gebrauchte Geschirr wurde in die Badewanne gestellt. Wer als Nächster duschte, machte gleichzeitig dabei den Abwasch. So wurde Wasser gespart. Für meine Eltern war das keine leichte Zeit. Unser Kontakt war eher sporadisch und wenn ich doch einmal zu Hause war, hatte ich an allem etwas auszusetzen.

Während ich zumindest wieder etwas Halt gefunden hatte, starb ein halbes Jahr nach meinem Turnunfall plötzlich und unerwartet der Patenonkel meiner Schwester, der unserer Familie sehr nahestand. Es war ein weiterer Schlag für mich und es sollte in dieser Zeit nicht der letzte sein. Nur wenige Wochen später verunglückte mein Schulkamerad und Sitznachbar Hannes tödlich. Er war einer der wenigen, der mich nie gehänselt oder sich über mich lustig gemacht hatte. Ich war am Boden zerstört. Auch heute noch treibt mir das Lesen seiner Todesanzeige die Tränen in die Augen: »Hannes, du fehlst uns. Deine Freunde.« Sein Kreuz auf dem Friedhof ist ein simples Abbild eines Windsurf-Brettes. Hannes liebte Windsurfen, Snowboarden und das Leben. Sein ansteckendes Lachen habe ich heute, nach so vielen Jahren, immer noch im Ohr.

Es war kein gutes Jahr für mich, aber es sollte noch schlimmer kommen: Eines Tages kam unser Schuldirektor in den Unterricht geplatzt und sprach mich an: »Ulla, du bist beurlaubt, du sollst sofort nach Hause kommen.« Er war kreidebleich und ich erschrak. Anscheinend hatte ich etwas Schlimmes angestellt. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Zitternd packte ich meine Sachen zusammen und stieg gemeinsam mit meiner Schwester Rita, die ebenfalls nach Hause geschickt worden war, in den Bus. Nach 20 endlosen Minuten stiegen wir an unserer Haltestelle in Enkenbach aus, wo wir immer mit dem Auto abgeholt wurden. Aber niemand erwartete uns dort. Erst gefühlte Stunden später kam meine Mutter mit dem Wagen um die Ecke gefahren. Ich riss die Autotür auf und schimpfte: »Wo bleibst du denn? Wir müssen aus dem Unterricht weg und du, du kommst nicht?« Wütend stieg ich ein, aber meine Mutter sah mich nicht an. Leichenblass umklammerte sie das Lenkrad und sagte leise: »Euer Papa ist tot.« Ich konnte es nicht fassen. Im Auto war es totenstill. Ich blickte in den Himmel hinauf und sah, wie die Sonne durch die Wolken brach. »Da oben ist er jetzt«, dachte ich, aber die Tragweite dieser Worte war mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst. Rita schluchzte leise auf der Rückbank, meine Mama brach in Tränen aus. Ich weinte nicht.

Es war der 11. Februar 1992 und der Fasching stand vor der Tür. Unpassender ging es nicht. Gemeinsam mit meiner ehemaligen Turngruppe sollte ich beim Fasching als Gardemädchen tanzen. Ich erklärte meiner Mama, dass sich alle auf mich verlassen würden, dass ich das nicht ausfallen lassen konnte. Drei Tage später tanzte ich also auf dem Faschingsfest. Ich erinnere mich noch, dass sie irgendwann das Lied »Runaway Train« spielten und meine Turnfreundin Anne mich in den Arm nahm. In dem Moment war es greifbar: Mein Vater lebte nicht mehr. Er war tot. Erst jetzt kam die Nachricht in ihrer ganzen Tragweite bei mir an. Zum ersten Mal weinte ich, denn es war nicht irgendein Tod: Er hatte Selbstmord begangen.

Die Beerdigung war das Schlimmste, das ich in meinem bisherigen Leben durchgemacht hatte, denn ich gab mir die Schuld am Tod meines Vaters. Drei Tage vor seinem Tod hatte ich mich heftig mit ihm gestritten und ihn zum ersten Mal in meinem Leben richtig angeschrien. Versöhnt haben wir uns hinterher nicht mehr. Dafür war es jetzt zu spät. Ich würde ihm nie mehr sagen können, dass es mir leidtat. Und gleichzeitig war ich enttäuscht, ja, fast wütend, dass er uns im Stich gelassen und sich aus dem Staub gemacht hatte. Er hatte die einfache Alternative gewählt.

Mein Vater hatte mir immer von den Helden aus den Büchern vorgelesen, die sich allen Schwierigkeiten stellten, die nie aufgaben und allen Widrigkeiten zum Trotz am Ende immer siegten. Auch Professor Lidenbrock hat bei seiner Reise zum Mittelpunkt der Erde nicht aufgegeben! Bei allen Abenteuern gibt es doch immer wieder einen Ausweg! Nur mein Vater hatte beschlossen, einen Weg ohne Ausweg zu gehen. Dieser Widerspruch zwischen seinen Worten und seinem Handeln löste sich für mich nicht auf. Selbst die Erklärungen für seine Tat, zum Beispiel endogene Psychose, Depression, Schizophrenie oder Psychopharmaka, waren für mich nur Ausflüchte. Jahrelang habe ich Angst gehabt, meine Mami und meine Schwester würden mir die Schuld für sein Handeln geben: Schließlich hatte ich ja solchen Krach mit ihm gehabt, dass er drei Tage später von einer Brücke gesprungen war.

Für mich war dies ein Wendepunkt und konnte nur eines bedeuten: Ich musste weg. Weit weg. Trampen schien mir die richtige Antwort in dieser Situation zu sein. Sehr zum Leidwesen meiner Mama streckte ich meinen Daumen aus und malte Schilder: »Irgendwohin«, »Nirgendwohin«, »Süden«, »Norden«. Egal wohin, Hauptsache möglichst weit weg von zu Hause, wo mich auch in der Schule jeder nur mitleidig betrachtete und die, die vorher kein gutes Haar an mir gelassen hatten, plötzlich vorgaben, meine besten Freunde zu sein. Alle wollten mir helfen, aber für mich fühlte es sich an wie Mitleid. Und das wollte und konnte ich nicht ertragen. Für mich war die Welt aus den Fugen geraten und ich fühlte mich unendlich allein. Mein bester Freund Heiko sagte mir, in anderen Ländern würde gefeiert, wenn jemand sterbe. Man feiere, dass derjenige gelebt habe. Aber mich machte das nur noch wütender und erst viele Jahre später verstand ich, was er mir in dem Moment sagen wollte.

Die Forscherin

Eine paläontologische Grabung half mir, mit der Situation umzugehen. 1993 hatte das Naturkundemuseum POLLICHIA 29 Kilometer von meinem Heimatort entfernt begonnen, nach Fossilien zu graben. Der Präparator und Freund meines Vaters, Bernd Graumann, lud mich ein, dabei zu sein. Er wusste genau, wie gerne ich im Matsch wühlte und wie gerne ich forschte und Dinge entdeckte. Es tat mir unglaublich gut, mit meinen 15 Jahren von den Forschern ernst genommen zu werden. Vor allem Bernd hatte immer eine Antwort auf all meine Fragen.

Ich war fast jeden Tag dabei, nur an den Wochenenden trampte ich durch die Republik. Ich war schlichtweg neugierig auf die Menschen und ihre Beweggründe zum Leben. Ich stellte jedem, bei dem ich ins Auto einstieg, die gleiche Frage: »Für was lebst du?« Die Antworten, die ich bekam, waren so unterschiedlich wie die Reaktionen auf die Frage. Es passierte oft, dass meine Fahrer am Ende einer intensiven Unterhaltung mit mir zu weinen begannen, weil sie realisierten, dass ihr Leben so nicht lebenswert war, sie aber nicht den Mut hatten, es zu ändern.

Zu dieser Zeit schlief ich kaum noch zu Hause, sondern in der WG. Ich ließ mir meine Haare wachsen, trug Stirnbänder, ausrangierte Secondhand-Kleidung – am liebsten Schlaghosen – und ich rauchte Joints, die mir beim Vergessen helfen sollten. In der Schule arbeitete ich nur noch bei den Fächern mit, die mir Spaß machten oder wo ich die Lehrer mochte. Alles andere lehnte ich konsequent ab. Vor allem bei den Lehrern, die sich keine Mühe mit dem Unterricht gaben, war ich sehr frech. Nur bei der Ausgrabung strengte ich mich richtig an.

Es war ein ganz normaler Sommertag. Die Mauersegler zogen schreiend ihre Kreise über uns. Die Sonne schien warm und ließ die Erde duften. Vorsichtig grub ich Schicht für Schicht des Lehmbodens ab. Plötzlich entdeckte ich einen schwarzen Abdruck an der Bruchkante einer Steinplatte, der mich stutzig machte. In diesem Moment wusste ich noch nicht, dass es sich um ein fast zwei Meter großes Uramphib handelte, das noch nie beschrieben worden war. Bisher gab es nur Schädelfunde und ein komplettes Skelett war eine wissenschaftliche Sensation.

Das Uramphib Sclerocephalus haeuseri ist 280 Millionen Jahre alt. Und ich hatte es entdeckt! Bernd Graumann war es, der mich in die Verantwortung zog: »Ulla, du musst es auch beschreiben und veröffentlichen. Das ist sehr wichtig für die Wissenschaft.« An meinem Berufswunsch, Forscherin zu werden, hatte sich nichts geändert und mein Forschungsdrang war nach wie vor ungebrochen. Meine WG-Freunde waren mir ab dem Moment nicht mehr ganz so wichtig, aber immerhin fanden sie meine Entdeckung auch cool und verstanden, dass ich daran arbeiten musste. Von nun an widmete ich meine freie Zeit den fossilen Knochen. Während andere Mädchen in die Disco gingen und Jungs abschleppten, puzzelte ich Skelettteile zusammen und fertigte wissenschaftliche Zeichnungen an, die aus Millionen und Abermillionen von Pünktchen bestanden, um die Dreidimensionalität der Knochen darzustellen. Nur an den Wochenenden trampte ich noch immer umher oder verbrachte Zeit mit meinen WG-Freunden.

In drei Jahren harter Arbeit gelang es mir, insgesamt 42 Skelette zu untersuchen, abzuzeichnen und schematisch zu rekonstruieren. Ich teilte vier Entwicklungsstufen des Amphibes ein und konnte anhand der Fossilienfunde anderer Tiere auch Rückschlüsse auf den Lebensraum »meines« Amphibes ziehen. Mir gelang sogar der Nachweis, dass dieses Tier Kannibale war. Ich finde es auch heute noch ungemein spannend, was man anhand von Knochenfunden aus der Vergangenheit erzählen kann.

Immer wieder musste ich bei meiner Arbeit an Pompeji denken, an die Zerstörung durch den Vulkanausbruch, und an meinen Wunsch, einmal einen aktiven Vulkan zu sehen.

Mit meiner Erstrekonstruktion von Sclerocephalus haeuseri gelangen mir nicht nur der Regional- und der Landessieg bei Jugend forscht, sondern ich gewann auch auf Bundesebene. Sogar der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl schüttelte meine Hand und die Bilder meiner Siegerehrung – ich war die einzige weibliche Bundessiegerin in diesem Jahr – flimmerten durch sämtliche Nachrichten. Meine Siegprämie waren stolze 1.500 Euro.

Meine Jugend-forscht-Arbeit half mir sehr dabei, meinen Notendurchschnitt zu verbessern, wenn auch erst im zweiten Anlauf. Ich reichte sie als Facharbeit ein und bekam mit nur acht von fünfzehn Punkten eine Note im unteren Mittelmaß. Wer hätte gedacht, dass man mit dieser Abhandlung Jugend-forscht-Bundessiegerin werden konnte, aber in der Schule nur eine Benotung im unteren Mittelmaß bekam? Für mich war das weder nachvollziehbar noch zufriedenstellend. Ich marschierte zum Direktor und bat darum, dass die Arbeit noch einmal begutachtet werden sollte. Daraufhin zitierte der Direktor den verantwortlichen Lehrer zu sich. In meinem Beisein erklärte er ihm: »Ich glaube, Sie haben die Arbeit nicht ganz verstanden und die Tragweite der wissenschaftlichen Ausführungen nicht begriffen.« Das war definitiv einer der schönsten Momente meiner Schulzeit! Am Ende wurde es eine glatte Eins. Und mein Durchhaltevermögen wurde belohnt, wie das so oft der Fall ist, wenn man an etwas glaubt und es durchzieht.

Kurz darauf bestand ich auch das Abitur. Irgendwie hatte ich es geschafft: trotz meiner Ratte, trotz meines Fehlens, trotz der Zeit, die ich, anstatt zu lernen, für Jugend forscht opferte. Trotz meiner Wut auf schlechte Lehrer, die mich ebenso wenig mochten wie ich sie.

Ich wartete noch nicht einmal unsere Abschlussfeier und die Überreichung der Zeugnisse ab, sondern packte gleich meinen Rucksack. Nach dem Kauf meines Around-the-World-Tickets blieben mir 800 Euro für die Reisekasse. Ich hatte Geld und ich hatte genügend Zeit, denn bis zum Studienanfang waren es noch sechs Monate und ich wollte die Welt entdecken!

Die Weltreise

Die erste Station meiner Weltreise führte mich nach Nepal. Ein Filmemacher, dem ich durch meinen Jugend-forscht-Sieg aufgefallen war, hatte mich eingeladen, bei der Produktion seines Dokumentarfilmes im Himalaya mitzuhelfen. Doch kurz vor Drehbeginn erkrankte seine Mutter und er musste die Filmarbeiten verschieben. Für mich stand fest, dass ich meine geplante Abreise nicht ändern würde, zu sehr freute ich mich auf das unbekannte Land. Durch das Trampen in Europa hatte ich gelernt, dass es immer irgendwie geht, wenn man den Menschen offen begegnet. Gleich im Flugzeug kam ich mit meinem Sitznachbarn ins Gespräch: ein schwarzhaariger Nepalese mit tiefbraunen strahlenden Augen, der mir von seinem Land vorschwärmte. Rubin war ein wenig älter als ich und auf dem Weg zu der Hochzeit seiner Schwester Sabu. Wie spannend! Ich wollte genau wissen, wie man in dem für mich unbekannten Land heiratete und fragte Rubin den ganzen Flug über aus.

Als die ersten Bergspitzen des Himalayas durch die Wolkendecke blitzten, machte mir Rubin den Vorschlag, dass ich seine Eltern, die ihn abholten, kennenlernen sollte. Vielleicht könnte ich auch bei der Hochzeit in sechs Wochen dabei sein. Vorher sollte ich mir eine Trekkingtour durch den Himalaya nicht entgehen lassen. Die ersten Schritte im fremden Land wurden einfacher als geglaubt. Rubins Vater, ein rundlicher Nepalese mit einem breiten Grinsen, schloss mich gleich bei der Ankunft in seine Arme. Sein Englisch war in etwa so gut wie mein Nepali, aber wir lachten uns einfach an und ich spürte sofort, dass ich Mr. Ramudamu vertrauen konnte. Beim Trampen durch Europa hatte ich gelernt, diesem Bauchgefühl zu vertrauen und warum sollte es hier in Nepal anders sein als zu Hause? Selbstverständlich war ich nach meiner Trekkingtour herzlichst zur Hochzeit willkommen. Rubin und sein Vater kritzelten mir die Adresse eines Verwandten in Pokhara auf einen Zettel, der mir bei der dreiwöchigen Tour um das Anna-purna-Massiv helfen sollte, umarmten mich nochmals, und verschwanden mit ihrem kleinen, klapprigen Auto in einer großen Staubwolke.