Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Meerschweinbock Manfred hat ein ereignisreiches Leben, das er im Plauderton schildert. Natürlich wundert er sich dabei auch so manches Mal über Verhaltensweisen seines Zweibeiners, den er selbstverständlich als Teil seines Rudels betrachtet. Im Grunde ist Manfred ganz zufrieden mit seinem Menschen, doch gibt es natürlich auch Kritikpunkte... Dieses Buch soll auf amüsante Weise Tipps und Tricks zur artgerechten Haltung weitergeben, wobei die Welt durch Meerschweinaugen betrachtet wird. Ein "Nachschlagewerk" zur artgerechten Haltung von Meerschweinchen findet sich im zweiten Teil des Buches.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2015
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Buch
Meerschweinbock Manfred hat ein ereignisreiches Leben, das er im Plauderton schildert. Natürlich wundert er sich dabei auch so manches Mal über Verhaltensweisen seines Zweibeiners, den er selbstverständlich als Teil seines Rudels betrachtet. Im Grunde ist Manfred ganz zufrieden mit seinem Menschen, doch gibt es natürlich auch Kritikpunkte...
Dieses Buch soll auf amüsante Weise Tipps und Tricks zur artgerechten Haltung weitergeben, wobei die Welt durch Meerschweinaugen betrachtet wird.
Ein "Nachschlagewerk" zur artgerechten Haltung von Meerschweinchen findet sich im zweiten Teil des Buches.
Autorin
Britta Hager, geboren 1967, lebt in Frankfurt am Main. Sie konnte nicht nur privat das Verhalten von Meerschweinchen jahrelang beobachten, sondern hatte auch die Gelegenheit, durch Kontakte zu privaten und offiziellen Tierheimen, Pflege- und Vermittlungsstationen sowie Züchtern Wissen über die artgerechte Haltung von Meerschweinchen zu sammeln.
Guten Tag. Mein Name ist Manfred, gerufen werde ich meistens Manni oder Fredi. Manfred nur, wenn ich etwas angestellt habe. Ich bin ein waschechtes Cavia aperea porcellus, besser bekannt als Hausmeerschweinchen. Mein Mensch behauptet regelmäßig, ich sei das „coolste Meerschwein der Welt“. Ich persönlich halte mich schlicht und ergreifend für einen Superbock, schließlich bin ich Rudelführer von Beruf, in Glanzzeiten sogar Herr über fünf Weiber! Zu meinem derzeitigen Rudel gehören drei prachtvolle Damen: Zerlina, Merlin und Britta. Die Letztgenannte ist mein Mensch, dessen Erziehung mir am meisten Spaß macht, weil sie so gut funktioniert.
Glücklicherweise erleide ich nicht das Schicksal vieler Verwandter, die allein und einsam ihr Leben fristen müssen.
Meerschweinchen fühlen sich nun mal nur in Gesellschaft von Artgenossen richtig wohl und ich bin da keine Ausnahme. Obwohl ich in meinem langen Leben (ich habe vor kurzem meinen sechsten Geburtstag gefeiert) nicht immer für den gleichen Zweibeiner zuständig war, hatte ich doch das Glück, dass ich immer einen Homo Sapiens erwischte, der sich einsichtig zeigte und mich in einem Rudel Meerschweinchen unterbrachte. Aber nun mal langsam, ich will der Reihe nach erzählen.
Ich muss zugeben, dass ich mich kaum noch daran erinnere, da es schon so lange her ist. Doch weiß ich noch genau, dass es ein eiskalter Februartag war, an dem ich zum ersten Mal die Welt mit meiner Anwesenheit beglückte. So viel ist klar: Von Anfang an war ich ein echter Glückspilz. Eigentlich hätte ich nämlich in einem Tierheim geboren werden sollen. Aber es kam ganz anders, und seitdem glaube ich an göttliche Fügung, wie mein Mensch es ausdrückt. In den Erzählungen darüber ist die Rede von einem Wasserschaden – was ich mir gut vorstellen kann, denn ich halte Wasser in größeren Mengen grundsätzlich für schädlich. Irgendein Rohr war gebrochen und sorgte dafür, dass alle Bewohner umquartiert werden mussten. Schließlich sitzt niemand gern im Nassen, oder?
Katharina und Stefan, die beiden Tierheimleute, packten kurz entschlossen meine hochträchtige Mama ein und nahmen sie mit zu sich in ihre private Höhle. Menschen leben unbegreiflicherweise in sehr hohen und weitläufigen Höhlen, die von ihnen Wohnungen genannt werden. Warum sie das tun, habe ich nie verstanden, denn in eine solche „Wohnung“ kann jeder Feind ganz schnell eindringen. Unsere kleinen, kuscheligen Höhlen sind da viel sicherer. Manchmal glaube ich, dass Menschen nicht so richtig über das nachdenken, was sie tun.
Am allerliebsten mag ich übrigens Versteckmöglichkeiten aus Holz oder Kork, weil ich an denen auch gleich nagen kann und mir damit nicht langweilig wird. Häuser aus Plastik finde ich dagegen überhaupt nicht toll, weil die ganz komisch schmecken und wir hin und wieder sogar Bauchschmerzen davon bekommen. Außerdem wird es in denen im Sommer manchmal fürchterlich heiß.
He, Leute, dabei gibt es da doch einen echten Knüller: Kuschelrollen, Säcke und Hängematten aus Fleece, extra für Nager. Gibt’s bei Iehbäj oder wie der Internetladen heißt.
OK, Ihr habt Recht, ich schweife ab! Also nochmals zurück:
Natürlich haben Katharina und Stefan nicht nur unsere Mutter umquartiert, denn mein Bruder und ich waren bequem in ihrer Gebärmutter untergebracht und deswegen selbstverständlich mit von der Partie. So war für uns Buben die Welt eigentlich in Ordnung und wir haben von dem Ereignis gar nicht viel mitbekommen.
Stressig wurde es für uns erst in den frühen Morgenstunden des besagten Februartages. Urplötzlich kam es zu Turbulenzen, die Wände unserer urgemütlichen Behausung zogen sich zusammen und wir wurden gestoßen und getreten – so fühlte es sich zumindest an. Wir wehrten uns eine ganze Weile und pressten unsere Beinchen entschlossen gegen die Wände, die unbegreiflicherweise keinen Halt mehr boten. Leider erfolglos! Ziemlich entkräftet konnten wir dem Sog nicht mehr standhalten, rutschten ins Helle und landeten wider Erwarten sanft im Stroh.
Mein Bruder und ich waren geboren – und wurden mit einem lauten: „Stefan, guck mal, der ist behindert!“ begrüßt. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, da wurde ich bereits von unbefellten Händen hochgehoben: „Quatsch, das ist doch nur die Plazenta, die noch an den Beinen klebt!“
Aha, offensichtlich hielt mich irgendjemand für behindert! Wieso das denn? Stefan tupfte und rieb meine Beine mit einem Handtuch ab. Wow, das war ein tolles Gefühl! Ich hopste von den Geburtsresten befreit umgehend zurück ins Stroh. Gott sei Dank, hatte schon ’nen Schreck bekommen!
Nachdem sowohl mein Bruder als auch ich aus der menschlichen Willkommensuntersuchung entlassen waren, erhielten wir Namen. Mich nannten sie damals „Murdock“, bei meinem Bruder entschieden sie sich für „Faceman“.
Wir Meerschweinchen sind das, was Menschen als Nestflüchter bezeichnen, wobei ich diesen Namen ein wenig ehrenrührig finde. Irgendwie klingt es nach Flüchtling, dabei heißt es doch in Wirklichkeit, dass wir bei der Geburt schon vollständig behaart sind und mit offenen Augen in die Welt schauen. Wir können sofort laufen (wenn auch in den ersten Stunden etwas wackelig, aber auf jeden Fall viel besser als Menschenkinder!) und fressen sogar schon alles mit, was unsere Verwandtschaft uns als essbar zeigt. Was wir nicht in frühester Kindheit kennenlernen, fressen wir später als Erwachsene auch nur selten. Eine der Ausnahmen ist der leckere Löwenzahn, denn bei dem kann kein richtiges Meerschwein widerstehen – egal, wann es ihn zum ersten Mal probiert!
Katharina und Stefan legten deshalb auch besonderen Wert darauf, dass wir während unserer Kindheit viele verschiedene Frischfuttersorten probieren durften.
Natürlich trinken wir in den ersten drei bis vier Wochen in erster Linie Muttermilch, aber, wie gesagt, in Miniportionen fressen wir bereits in den ersten Stunden nach der Geburt auch Grünfutter und Heu.
Faceman und ich wunderten uns zwar hin und wieder, warum sich Menschen um uns kümmerten, doch stellten sich die beiden Zweibeiner gar nicht so dumm dabei an, weshalb wir uns nicht weiter beschwerten. Doch eigentlich hätten wir von unserer leiblichen Mutter erwartet, dass sie uns sauber leckt und beruhigt. Den Grund für dieses Arrangement erfuhren wir erst später, sie war bei unserer Geburt gestorben und deshalb nicht mehr für uns da.
Wären wir in einer größeren Herde zur Welt gekommen, dann hätten sich andere Mütter um uns gekümmert, denn der Nachwuchs wird im Normalfall von der kompletten Herde aufgezogen. Jede Meerschweinmutter säugt ausnahmslos jedes gesunde Baby der Gruppe. Wer gerade Durst oder Hunger hat, sucht sich einfach eine Zitze und bedient sich. Das ist sehr praktisch, denn man sitzt halt nicht immer direkt neben der eigenen Mama, wenn es im Magen kneift.
So gesehen war es in unserem Fall eigentlich gar nicht so viel anders, auch wenn es sich bei unserem Rudel nicht um Artgenossen handelte. Die Chefs waren Katharina und Stefan, die uns in Ermangelung von Muttermilch mit Katzenaufzuchtmilch aus der Spritze versorgten. (Dass es solche Spritzen auch mit einer fürchterlich spitzen Nadel vorne dran gibt, haben wir erst später schmerzhaft rausgefunden. Zum Füttern verzichten die Menschen zum Glück auf so eine Nadel.) Alle zwei Stunden, auch nachts, haben sie uns versorgt. Am Service gab es also nichts zu meckern!
Dann gehörte noch Luna, eine quirlige Malteserdame, zu unserem Rudel. Sie putzte uns ständig und wir durften an ihren Bauch gekuschelt liegen, das war wunderbar warm und weich und viel natürlicher, als wenn wir auf einer Wärmflasche hätten schlafen müssen.
Je älter wir wurden, desto mehr lernten wir die Gesellschaft der fünf Katzen zu schätzen, die auch zu unserer Bande gehörten. Mit denen konnte man pausenlos durch die Gegend rennen und hüpfen. Chinchillas und Hasen gab es auch, aber die waren nicht so lustig. Falls Ihr irgendwo gehört habt, wir würden glücklich mit so einem zusammen leben, lasst Euch da bloß nichts erzählen.
Wir Meerschweinchen sprechen einfach nicht die gleiche Sprache wie Kaninchen. In der Regel tun wir uns nichts, aber das ist auch schon alles! Wer unsereins also unbedingt mit den Langohren zusammensperren will, der sollte das nur tun, wenn mehrere Kaninchen mit mehreren Meerschweinchen zusammenleben können und ein entsprechend großes Gehege zur Verfügung steht. Vor allem brauchen wir anständige Rückzugs-möglichkeiten, in die uns kein Kaninchen folgen kann.
Aber zurück zum Thema.
Wann immer mich meine Menschen-Ziehmutter fürsorglich in einen Frottewaschhandschuh steckte und dann auf ihren Arm nahm, damit ich bei der Fütterung warm und bequem saß, quiekte ich vor lauter Begeisterung in den höchsten Tönen. Wahrscheinlich hatte die gute Seele Angst, ich könnte durch ihre glatte Hand rutschen und den Sturz nicht überleben. Menschen sind diesbezüglich wirklich arm dran, sie haben kein Fell und behelfen sich notdürftig mit Stofffetzen - damit sie nicht frieren, glaube ich. Aber für die Hände und ihr Gesicht haben sie bislang keine Lösung gefunden. Wie auch immer, ich fühlte mich in meinem Frottesack pudelwohl und geborgen.
Ein wenig lästig war die unangebrachte Eile, die Katharina bei der nächtlichen Fütterungssession an den Tag, bzw. die Nacht legte. Kaum war ich mit dem Trinken fertig, hatte sie unverständlicherweise bereits keine Lust mehr, mit mir zu schmusen oder mich zu unterhalten. Ruckzuck wurde ich aus meinem Waschlappen zurück in meine Kiste befördert. Unerhört, dabei habe ich gerade nachts einen ungeheuren Unterhaltungsbedarf!
Doch bin ich ja nicht blöd und habe das System rasch durchschaut: Hastiges Fressen bedeutet, schnell wieder im Käfig zu sitzen. Also habe ich mich am Riemen gerissen und so getan, als sei ich gar nicht hungrig. Mal ein bisschen an der Spritze genuckelt, wieder zurückgehalten und immer wieder meine Nase in die Luft gehoben und mich dabei in Ruhe umgesehen. War ja auch sehr interessant aus dieser Perspektive. Wann sieht man die Welt schon mal von oben? Außerdem hatte die Verzögerungstaktik den gewünschten Nebeneffekt, dass meine Pflegemama lange bei mir saß und mich unterhielt, bis die Spritze leer war. Mein Bruder hat das System nie kapiert. Er war immer so gierig, dass er sich einfach nicht beherrschen wollte – und so saß er jedes Mal nach kürzester Zeit wieder allein im Stroh. Bin halt eindeutig der Intelligentere von uns beiden!
Faceman und ich sind ziemlich schnell gewachsen und hatten viele lustige Einfälle, wie wir unsere Crew beschäftigen konnten. Über die Details will ich an dieser Stelle den Mantel des Vergessens decken, aber wir waren ein echt tolles Team!
Oder nein! - eine Geschichte muss ich unbedingt erzählen. Das war ein Zwischenfall mit Highway, dem Kater mit krimineller Laufbahn. Eines Nachmittags tollten und hüpften wir herum (bis wir Meerschweinchen ausgewachsen sind, hüpfen wir sehr gerne und animieren damit auch ältere Artgenossen).
Highway tat so, als würde er mit uns spielen wollen. Scheinheilig duckte er sich und wedelte mit seinem Schwanz. „Aha“, dachte ich mir, „er duckt sich, damit ich auf Augenhöhe mit ihm toben kann.“
Wäre nie auf die Idee gekommen, dass der niederträchtige Kerl ganz andere Pläne hatte! Ich lief ihm freudig entgegen – aua, das waren Schmerzen! Mir wurde schwarz vor Augen, ich schrie wie am Spieß und rannte um mein Leben, aber es kam mir niemand zur Hilfe. Ganz alleine musste ich bis zum Abend ausharren. Erst dann wurde meine üble Wunde versorgt.
Man konnte mein Blut überall auf der frisch getünchten Wand verspritzt sehen, aber ehrlich, Leute, das war mir so was von egal, auch wenn Katharina und Stefan es nicht so entspannt sahen. Selbst Schuld, die hätten den Meuchelmörder auch wegsperren können!
Aber weil ich eine hessische Frohnatur bin, habe ich Highway später verziehen, obwohl ich zunächst richtig Respekt hatte. Wenn ich ihn heute hin und wieder besuche, lecke ich ihm sogar über die Nase… natürlich nur mit dem schützenden Käfiggitter dazwischen, schließlich bin ich lernfähig.
In diesem Zusammenhang möchte ich mit einem hartnäckigen und weitverbreiteten Gerücht aufräumen:
Wir Meerschweinchen haben mehr als nur ein Kurzzeitgedächtnis. Auch nach Monaten oder Jahren erkennen wir alte Freunde und Feinde, ehemalige Reviere oder unsere Menschen wieder.
Wenn der eine oder andere von uns manchmal etwas „fremdelt“, bedeutet das nicht, dass wir Euch nicht wiedererkannt hätten, wir wollen Euch lediglich demonstrieren, dass wir mit Eurem Verhalten (z.B. einfach in den Urlaub zu fahren) nicht einverstanden sind. Persönlich bin ich eher der verständnisvolle Typ, eben ein „Menschenversteher“. Wenn mein Mensch länger weg war, zeige ich ihm unmissverständlich, dass er mir gefehlt hat. Meine Frauen sehen das anders, die spielen beleidigt. So sind Sauen eben.
Doch für den Augenblick genossen Faceman und ich unser Leben in vollen Zügen und waren im Großen und Ganzen mit unseren beiden Zweibeinern zufrieden. So hätte es gerne immer weitergehen dürfen, doch dann kam unerwartet die große Wende.
Nicht nur der Meerschwein-, auch der Zahn der Zeit nagt an allem. Mein Bruder und ich waren nach gut vier Monaten schon fast so groß und kräftig wie ein erwachsenes Meerschwein. Statt zu balgen, hatten wir uns jetzt immer häufiger ernsthaft in den Haaren. Faceman bildete sich mitunter ein, er könne der Boss sein. Wie an früherer Stelle schon erwähnt, bin ich aber der Superbock in unserer Familie und wusste schon damals, dass ich ein Anrecht auf die Alphaposition habe, zumindest wenn es ums Futtern ging, meiner Lieblingsbeschäftigung. Meistens harmonierten wir beide jedoch bis zu diesem Zeitpunkt noch sehr gut.
Eines Tages hatte Katharina eine Überraschung für uns: Wir bekamen ein neues Häuschen, mit eigenen Gitterstäben und Henkel, wie bei einer Tasche. Stefan nannte es „Transporter“. War eine ziemlich aufregende Sache. Nachdem wir eingestiegen waren, machte Stefan hinter uns einfach die Tür zu. Wir hatten keine Chance wieder hinauszuschlüpfen. Das war aber weiter nicht schlimm, schließlich hatte er uns aus Versehen zusammen mit Möhrenkraut und Gurke eingesperrt. Außerdem schaukelte der Transporter immer hin und her, das war spaßig.
Aber das war erst der Anfang, denn an diesem Tag feierten wir mehrere Premieren. Zugegeben, auf die letzte hätten wir zwei gerne verzichtet, aber davon ahnten wir in jenem Augenblick noch nichts. Vermutlich war das ganz gut so, denn auf diese Weise konnten wir die erste Autofahrt unseres Lebens richtig genießen. Es ruckelte und zuckelte so herrlich, und zwischendurch hatte ich Gelegenheit Faceman ins Ohr zu zwicken, er konnte schließlich nicht weglaufen. Doch auch der lustigste Zeitvertreib wird irgendwann langweilig, deshalb sind wir dann wohl doch eingeschlafen.
Die Fahrt hat angeblich nicht lange gedauert, uns kam es jedoch endlos vor. Als wir aus dem Auto gehoben wurden, freuten wir uns darauf, wieder in unseren Käfig zurückzudürfen. Wäre eigentlich an der Zeit, fanden wir, und zuhause ist es doch immer am schönsten. Doch weit gefehlt! Immer noch im Transporter trug uns Stefan in einen Raum, in dem es stark nach Hunden, Katzen, Karnickeln und Artgenossen roch. Das war im Grunde nichts Ungewöhnliches, und doch war es irgendwie fremd und machte uns Angst.
Zu recht! Man kann sich doch immer auf seine Intuition verlassen: Wir wurden von einem fremden Menschen aus dem Transporter gehoben und abgetastet. Nicht liebevoll gestreichelt, oh nein, rumgedreht und gedrückt wurde ich, ein glattes Gesicht beugte sich über mich, während zwei Finger meine Augenlider nach oben zogen. Als Krönung der Unverschämtheit stierten zwei riesige Menschenaugen in die meinen – was für eine unwürdige Behandlung! Zu guter Letzt stach man mir mit einer Spritze in den Rücken! Auf das Gerät, aus dem ich früher immer die leckere Milch bekommen hatte, hatte jemand vorne eine spitze Nadel gesteckt.
Ich wollte mich gerade darüber aufregen und der Dame kräftig die Meinung quieken, als ich plötzlich müde wurde, immer müder und müder ... und schon nickte ich ein. War wohl doch nicht nur ein kleines Nickerchen, offensichtlich bin ich richtig weggeknackt. Denn als ich aufwachte, fand ich mich in meinem vertrauten Umfeld wieder. Zunächst war ich noch stark benommen, doch zwei Dinge drangen selbst in diesem benebelten Zustand zu mir durch: Erstens ein heftiges Stechen an meiner unteren Bauchhälfte und zweitens eine Stimme, die von oben kam: „Murdock, Murdock, alles in Ordnung, Bub?“ Ob das mit dem Bub überhaupt noch zutraf? Heftige Zweifel plagten mich! Jedoch nicht nur in Bezug auf meine Männlichkeit, sondern zum ersten - und bei weitem nicht zum letzten - Mal an der Berechenbarkeit des Homo Sapiens. Was hatten die sich dabei bloß gedacht?
Meine Befürchtungen erwiesen sich später als grundlos. Nur weil man Kastrat ist, heißt das noch lange nicht, dass man keinen Spaß mehr mit Meerschweindamen haben kann. Im Laufe meines Lebens hatte ich davon jede Menge, oij joi joi! Nur das mit dem eigenen Nachwuchs klappt nach so einem Eingriff nicht mehr, aber das hat mich nie gestört.
Als ich aufwachte, wusste ich das alles jedoch noch nicht, deshalb war ich schwer besorgt. Außerdem stach und brannte es an der empfindlichsten Stelle meines Körpers. Meinem Bruder erging es auch nicht besser. Aber immerhin hatten Katharina und Stefan es uns in unserem Käfig sehr bequem eingerichtet. Statt auf gepressten Strohpellets und Stroh, was normalerweise die ideale Einstreu ist, hatten sie den Käfigboden mit weichen Handtüchern gepolstert. Darüber lag eine dicke Schicht Küchenpapier. Weil die Operationswunde natürlich noch nässte und Faceman und ich hin und wieder die Blase erleichtern mussten, wechselten die beiden in den ersten beiden Tagen stündlich die Küchentücher.
So saßen wir die ganze Zeit schön trocken und der Schnitt konnte problemlos und schnell heilen. Ab dem dritten Tag nach der Kastration ließen sie nur noch die weiche Handtuchunterlage im Käfig, die sie morgens und abends wechselten. War eine sehr pfiffige Idee von den beiden, denn sonst hätten uns am Ende noch die Strohhalme in die Unterseite gepiekst. Die Schmerzen gingen relativ flott vorbei, und bereits nach einer Woche schenkten wir dem Ganzen gar keine Beachtung mehr.
Beim Fädenziehen habe ich Faceman mal wieder bewiesen, wer von uns beiden der Superbock ist. Ich habe kein einziges Mal gezuckt oder protestiert, sogar die Tierärztin war beeindruckt. Das Erlebnis der Kastration habe ich vorsichtshalber verdrängt und nie wieder darüber gesprochen, denn es ist mir ein wenig peinlich. An diesem Punkt der Geschichte mache ich jedoch eine Ausnahme, weil es einerseits zu meinem Lebenslauf gehört und ich nichts auslassen möchte, anderseits möchte ich den nachfolgenden Generationen Mut machen: „Kopf hoch Jungs, ist halb so schlimm!“. Und Mitspracherecht habt Ihr sowieso keins.
Übrigens sollten wir Meerschweinchen, im Gegensatz zu Hunden und Katzen, auf jeden Fall auch noch kurz vor einer Operation ausreichend zu fressen bekommen. Das liegt daran, dass wir einen Stopfmagen haben, genauso wie auch Hasen und Karnickel.
Das bedeutet, dass der Nahrungsbrei, der gerade im Magen verdaut wird, nur dadurch in den Darm gelangt, dass er durch das nächste Futter weitergeschoben wird. Sollte ein Artgenosse von mir aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sein, selbst zu fressen, verbleibt der vorverdaute Inhalt zu lange im Magen und beginnt zu gären. Die entstehenden Gase im Verdauungstrakt verursachen unerträgliche Schmerzen und Koliken und können im schlimmsten Fall zum Tod führen.
Deshalb brauchen wir immer ausreichend Heu und frisches Wasser, damit wir uns rund um die Uhr selbst bedienen können. Für den Notfall gehört unbedingt eine Packung „Critical Care“ oder ähnliches in die Hausapotheke. Wenn es gar nicht anders geht, muss der Mensch alle zwei Stunden eine „Zwangsfütterung“ per Spritze (selbstverständlich ohne Nadel!) durchführen. Dazu spritzt man am besten den mit Wasser angerührten Brei langsam in kleinen, mundgerechten Portionen in unser Maul. Hinter den Nagezähnen haben wir eine große Zahnlücke, die eignet sich besonders gut, um die Spritze hineinzustecken, damit der Brei nicht danebengeht.
Aber bitte achtet darauf, den Meerschwein-Kopf dabei nicht nach oben zu überstrecken und uns genügend Zeit zum Schlucken lassen!
Doch nun zurück zu meiner Geschichte.
Der etwas unerfreuliche Zwischenfall war schon fast vergessen, als Katharina eines Tages etwas bedrückt in unser Zimmer kam. Sie hob mich hoch, streichelte mich und legte ihre Wange an mein Fell. Merkwürdig, an ihrer Haut war was, was sonst nicht da war, das war ganz nass! Hatte sie gerade etwas getrunken? Und wenn ja, dann wollte ich natürlich unbedingt wissen, ob es wohl schmeckte.
Also habe ich nicht lange gefackelt, am Ende verschwindet es noch! Hab’s schnell abgeleckt, denn ausprobieren schadet nicht: Igitt, das war salzig! Gerade wollte ich ein zweites Mal testen, nur um sicher zu gehen, dass ich mich beim ersten Mal nicht geirrt hatte, da sah ich aus dem Augenwinkel Stefan nahen. Oh, oh, er hatte den Transporter in der Hand! Hilfe, das verhieß nichts Gutes! „Faceman, versteck dich, Gefahr in Verzug!“
Ihr ahnt es sicher schon, genützt hat es uns nichts. Faceman wurde trotz blitzschnellen Fluchtversuchs gefangen, wir wurden im Transporter verstaut, und ab ging es auf große Reise. Von Frankfurt-Rödelheim bis nach Frankfurt-Preungesheim sind wir gefahren.
Dort hieß uns ein Pärchen willkommen. Sie stellten sich als Emma und Karl-Heinz vor und gehörten der Gattung Homo Sapiens an, obwohl sie durchaus ein wenig nach Cavia rochen. Trotz großer Aufregung habe ich schnell die Ursache geortet. Ein wunderbarer Geruch stieg in meine Nase – Meerschweinchen, ganz viele und, oh Gott, wie wundervoll: alles Damen!