Ich muss gar nichts! - Tina Ruseva - E-Book

Ich muss gar nichts! E-Book

Tina Ruseva

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Beschreibung

Wirtschaftsflaute, Leistungsshaming, Dienst nach Vorschrift. Ist Anstrengung das neue Tabu? Oder braucht Deutschland eine neue Leistungskultur?  "Still gekündigte" Mitarbeitende kosten die deutsche Wirtschaft einen Produktivitätsverlust von jährlich 170 Mrd. €. Der Eindruck, Arbeit sei in Verruf geraten, wird durch Medienberichte und gesellschaftlichen Diskurs verstärkt. Gleichzeitig engagieren sich 30 Mio. Deutsche ehrenamtlich. Woran liegt das?  "Ich muss gar nichts!" bietet eine tiefgehende Analyse und Vision für eine moderne Unternehmenskultur. Dazu müssen wir uns von traditionellen Mustern abwenden und innovative, menschenzentrierte Gemeinschaften aufbauen. In zwei Worten: "SOFT WORK"! - Selbstbestimmtheit als Zukunfts- und Organisationskompetenz - SOFT Work: soziale Bindung und Autonomie, statt Bubbles und EgoSoft Work: Motivation treiben, Gemeinschaft fördern, Arbeit neu denken, Empowerment vorleben, Selbstbestimmung feiern, Unternehmenskultur neu ausrichten, Nachhaltigkeit umsetzen, Partizipation und Chancengerechtigkeit. Lasst uns Builder sein!  Soft Work statt Hard Work! Sinnvoll. Sozial. Selbstbewusst. "Selbstbestimmtheit als Zukunftskompetenz in einem "Soft Work" Kontext! Eine inspirierende Lektüre für Führungskräfte, die eine inklusive und zukunftsorientierte Arbeitsumgebung schaffen wollen." Annahita Esmailzadeh, Wirtschaftsinformatikerin, Bestsellerautorin und Tech-Managerin Microsoft "Heutzutage ist Eigeninitiative und proaktives Handeln wichtiger denn je. Wenn wir an unseren Stärken arbeiten, können wir gemeinsam mehr erreichen - sowohl im Business als auch privat. Es ist beeindruckend, wie Tina es geschafft hat, so viele wichtige Themen mit konkreten Handlungsempfehlungen zusammenzufassen - einfach, schnell nachschlagen. Wirklich toll!" Mona Ghazi, CEO und Gründerin von Optimo "Ein herausragendes Buch über die zentrale Rolle von Arbeitsbeziehungen in der modernen Unternehmenskultur. Es bietet praxisnahe Einblicke und wertvolle Strategien für eine selbstbestimmte Zusammenarbeit im Team. Ein Muss für jede Führungskraft." Inga Dransfeld-Haase , Präsidentin Bundesverband der Personalmanager "In einer KI getriebenen Arbeitswelt ist selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Arbeiten wichtiger denn je. Tina Ruseva zeigt den Weg zu neuen Arbeitsbeziehungen, Gemeinschaft und Empowerment. Ihr 'Soft Work'-Konzept ist visionär, wegweisend und trotzdem praxisnah. Ein wirklich empfehlenswertes Buch." Joerg Staff, HRM- Vordenker, Autor, Speaker & Executive Advisor, u.a. Vorstand Deutsche Gesellschaft für Personal (DGFP) "Mitten in der Dauererschöpfung ebnet "Ich muss gar nichts!" den Weg zur Versöhnung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern - Beziehungen, Gemeinschaft, Gemeinwohl. Ein schlaues und gutherziges Buch und Muss für alle, die sinnorientierte und nachhaltige Arbeitskulturen schaffen wollen." Elly Oldenbourg, Managerin, Autorin, Dozentin

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Seitenzahl: 277

Veröffentlichungsjahr: 2024

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[5]Inhalt

Hinweis zum UrheberrechtImpressumVorwort von Cawa YounosiVorwort der AutorinVon Müssen zu WollenWie es zu dem Satz »Ich muss gar nichts« kamVon der Muss-Kultur zur Will-KulturSanftmut – eine Zukunftskompetenz in der Will-KulturAlle guten Gründe gegen die Hierarchie sind falschAuf dem Weg zu SOFT WORK durch gute, produktive ArbeitsbeziehungenBestandsaufnahme: Zwischen New-Work-Trends und AlltagsfrustDer Sinn der Arbeit oder: was ich wirklich, wirklich willMotivation im Arbeitsalltag: wo Builder an ihre Grenzen stoßenAutonomie im Job: Zukunftskompetenz »Selbstbestimmung«Selbstwirksamkeit: mehr Sinn durch weniger KontrolleNew Work: warum es nicht nur um Wissensarbeit gehtPurpose-Prothesen: der Wunsch nach »Sinn« auf BestellungSich einbringen oder ausklinken: Das ist doch keine Frage!?Make Purpose Work: Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung in der PraxisCommunity is where the future worksDer Mensch ist »big & growing«Perspektiven: von New Work zu SOFT WORKWas müssen wir, wenn wir nichts müssen?Arbeit ist tot, es lebe die Arbeit!Das SOFT WORK FrameworkAusblick: Gemeinschaft mit begrenzter HaftungDanke!Anmerkungen
[1]

Hinweis zum Urheberrecht

Alle Inhalte dieses eBooks sind urheberrechtlich geschützt.

Bitte respektieren Sie die Rechte der Autorinnen und Autoren, indem sie keine ungenehmigten Kopien in Umlauf bringen.

Dafür vielen Dank!

[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Print:

ISBN 978-3-68951-012-1

Bestell-Nr. 12101-0002

ePub:

ISBN 978-3-68951-013-8

Bestell-Nr. 12101-0101

ePDF:

ISBN 978-3-68951-014-5

Bestell-Nr. 12101-0151

Tina Ruseva

Ich muss gar nichts

1. Auflage, September 2024

© 2024 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg

www.haufe.de

[email protected]

Bildnachweis Cover und Autorenfoto: © Enno Kapitza

Produktmanagement: Jürgen Fischer

Lektorat: Ursula Thum, Text + Design Jutta Cram

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

[7]Vorwortvon Cawa Younosi

Die Erkenntnisse sind da. Trotzdem ändert sich wenig und wenn, dann nur im Schneckentempo. Doch woran liegt das und was wären die passenden Lösungen?

Tina Ruseva nimmt uns mit auf eine Reise, die nicht nur die aktuellen Herausforderungen der Arbeitswelt beleuchtet, sondern auch mutige und visionäre Lösungen aufzeigt.

Ihre Botschaft ist klar: Es ist Zeit für eine neue Arbeitskultur, die auf Eigenverantwortung, Sinnstiftung und Gemeinschaft aufbaut.

Tina Rusevas eigene Erfahrungen als Unternehmerin und Innovationsmanagerin fließen dabei ebenso ein wie fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre persönliche Geschichte als Migrantin in der Arbeitswelt.

Sie zeigt, dass eine Kultur des »Müssens« ineffektiv ist und stattdessen eine Kultur des »Wollens« etabliert werden muss. An sich offensichtlich, denn man kann es niemandem verübeln, dass er oder sie Spaß bei der Arbeit hat.

Aber wie kommen wir da hin?

Der Weg erfordert mehr als nur flache Hierarchien und flexible Strukturen. Es geht darum, echte Beziehungen und Vertrauen innerhalb der Teams zu fördern, eine Umgebung zu schaffen, in der [8]Mitarbeitende aus innerer Überzeugung und nicht aus äußerem Zwang handeln. Es geht um einen Kulturwandel.

»Ich muss gar nichts!« ist nicht nur eine provokante Aussage, sondern ein Manifest für Selbstbestimmung und die Neudefinition von Arbeit und Wirtschaft.

Dieses Buch ist ein wertvoller Leitfaden für alle, die den Wandel der Arbeitswelt aktiv mitgestalten wollen – für Führungskräfte, Mitarbeitende und alle, die daran glauben, dass Arbeit mehr sein kann als nur Mittel zum Zweck. Es inspiriert dazu, die eigene Rolle in der Arbeitswelt zu überdenken und den Mut zu haben, neue Wege zu gehen.

Ich lade dich ein, dich auf diese Reise einzulassen, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen und dich von Tina Rusevas Vision einer besseren Arbeitswelt inspirieren zu lassen. Das lohnt sich, weil es dabei nur Gewinner gibt!

Viel Spaß und Freude beim Lesen und vor allem beim Umsetzen!

Cawa Younosi, im Juli 2024

[9]Vorwortder Autorin

Im Jahr 2023 haben laut dem Gallup Engagement Index Deutschland »still gekündigte« Mitarbeitende der deutschen Wirtschaft Produktivitätsverluste in Höhe von etwa 170 Mrd. Euro1 zugefügt. Der Begriff beschreibt Angestellte, die lediglich das Mindestmaß ihrer Aufgaben erfüllen, ohne eine offizielle Kündigung einzureichen. Begriffe wie »Dienst nach Vorschrift«, »Schlendrian2« und »Leistungs-Shaming« haben sich in der öffentlichen Wahrnehmung festgesetzt und prägen die Debatte um Arbeitsmoral und Leistungsbereitschaft. Der Eindruck, dass Arbeit in Verruf geraten ist, wird durch Medienberichte und gesellschaftliche Diskurse verstärkt.

Wenn man das freiwillige Engagement der Deutschen betrachtet, zeigt sich aber ein anderes Bild. Hierzulande engagieren sich rund 30 Millionen Menschen3 ehrenamtlich in Verbänden, Vereinen und anderen Organisationen. Diese Zahl spiegelt eine tief verwurzelte Bereitschaft wider, sich für das Gemeinwohl einzusetzen und Verantwortung zu übernehmen. Außerhalb ihrer beruflichen Tätigkeiten nehmen Menschen an Triathlons teil, absolvieren »Challenges« und widmen sich allerlei kreativen Hobbys oder wissenschaftlichen Projekten wie dem Schreiben von Büchern.

[10]Diese Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen Arbeitsunlust und dem tatsächlichen Engagement in der Freizeit wirft wichtige Fragen auf. Was treibt die Leistungsmotivation an und was hemmt sie im Berufsumfeld? Warum leidet die emotionale Bindung in bestimmten Organisationen? Wie können wir eine Brücke schlagen zwischen der scheinbaren Entfremdung von der Arbeit und dem offensichtlichen Antrieb, etwas zu leisten, sich aktiv zu engagieren?

Die Antwort könnte in der Art und Weise liegen, wie Arbeit organisiert wird, und welche Möglichkeiten zur persönlichen und beruflichen Selbstverwirklichung sie bietet. Dieses Buch zielt darauf ab, solche Fragen zu erörtern und neue Perspektiven auf die Leistungsdebatte sowie konkrete Lösungsansätze zu entwickeln.

Denn Dienst nach Vorschrift reicht nicht mehr aus: Meetings, die nur oberflächlich moderiert werden, Projekte, die schlecht organisiert sind, Ziele, die nur halbherzig kommuniziert werden, und Teams, die lückenhaft geführt werden – all dies wird in der heutigen und zukünftigen Wirtschaft nicht zum Erfolg führen. Außerdem sind wir heute mehr denn je auf Arbeit im Kollektiv angewiesen, vor allem angesichts der Klimakrise, einem Problem, das wir nicht allein durch Wissen oder durch Einzelne lösen können. Denn je komplexer ein Problem, desto mehr Menschen braucht es für seine Lösung. Dabei reicht die Menge der »Arbeitskräfte«, anders als bei der Summe der PS, allein nicht aus – auf die Zusammenarbeit kommt es an. Und das können wir nicht so gut. Denn wir wissen, bereits seit 200 Jahren vom Treibhauseffekt4 und das erste Patent für die Umwandlung von Sonnenenergie in Strom gab es schon vor 150 Jahren5. Auch das Weltwirtschaftsforum wurde vor mehr als 30 Jahren mit dem Ziel gegründet, über den sich durch Technologie ändernden Einfluss der Arbeit auf Umwelt, Gesellschaft und Mensch aufzuklären. Dennoch scheitern wir in der Arbeitswelt. Dort sind wir zu langsam, zu festgefahren, zu unkooperativ.

[11]Wer jetzt behauptet, er hätte keinen Einfluss, irrt sich. Auf der einen Seite zeigen geopolitische Krisen und Pandemien schonungslos unsere Abhängigkeit voneinander auf. Einbringen oder Ausklinken war gestern! Auf der anderen Seite streben auch Einzelgänger nach Glück und sinnstiftender Tätigkeit. Doch Glück entsteht durch Beziehungen und Sinn findet man nicht auf Bestellung, sondern durch das Gefühl, einer Gemeinschaft anzugehören und etwas beizutragen.

Ich schreibe dieses Buch, weil ich es satthabe, stillschweigend dem Kampf zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden zuzusehen. Arbeit ist mehr als Money, Macht und Müssen. Alles, was unsere Gesellschaft definiert – von der Demokratie bis zum Schloss Neuschwanstein, von Netflix bis zur Olympiade –, ist das Ergebnis von Arbeitsorganisation. Die Mondlandung, die Entwicklung der Corona-Impfung oder der Bau des Kölner Doms wären ohne das jahrelange, gemeinsame Streben von Menschen nach einem auf den ersten Blick unerreichbaren Ziel undenkbar. Dass wir heute so gut und so lange leben können wie nie zuvor, ist ebenfalls das Ergebnis menschlicher Arbeit. Und ich bin zutiefst überzeugt, dass uns auch die Bewältigung der Klimakrise gelingen wird, wenn wir unsere Kräfte bündeln.

Arbeit ist, wie wir gemeinsam die Welt gestalten.

Tina Ruseva

[13]Von Müssen zu Wollen

Wie es zu dem Satz »Ich muss gar nichts« kam

Kurz vor meinem 33. Geburtstag wurde mir klar, dass mich keiner brauchte. Ich hatte gerade meinen Job verloren und wusste nichts mit mir anzufangen. Ich hatte es tatsächlich geschafft, vom High Potential zum Niemand zu werden – einem Niemand mit zwei Kindern. Ich bekam keine Anrufe und keine E-Mails. Ich hatte keine Aufgabe, keiner klopfte an meine Tür. Schlimmer noch, ich hatte keinen Plan B – Ideen vielleicht, aber auf nichts Lust. Was heißt hier Lust?! Meine Gedanken wogten hin und her, mal mutig, mal niedergeschlagen, aber immer zerstreut, ohne Anhaltspunkte im Tagesablauf, ohne irgendeinen Ausweg aus der Situation. Dabei war ich selbst schuld, denn ich hatte diesen Satz gedroppt, der zu meiner Entlassung führte: »Ich muss gar nichts!«

Wenige Wochen davor stand ich noch da in meinem weißen, perfekt gebügelten Hemd, stolz auf meinen Traumjob im Innovationsmanagement, souverän von Meeting zu Meeting sausend. Ich hatte meine Gedanken meiner Arbeit gewidmet und schätzte mich so glücklich, sie machen zu dürfen. Ich habe die Stelle gleich nach Abschluss meiner Doktorarbeit angetreten und konnte mir keine [14]bessere Möglichkeit für meine berufliche Entwicklung vorstellen. Es handelte sich um die Ausgründung eines großen Konzern-Tankers, die als Schnellboot mit voller Fahrt voraus innovative Geschäftsideen – genau das war auch das Thema meiner Promotion – erproben sollte. In einem kleinen Team aus erfahrenen Gründerinnen und Gründern mit flachen Hierarchien – agil eben.

Ich war nämlich eine davon. Ich hatte mein erstes Start-up sechs Jahre zuvor6, gleich nachdem ich Mutter geworden war, gegründet. Allein mit dem Baby zu Hause konnte ich nämlich nicht mehr ins Fitnessstudio (man kann sich das heute kaum mehr vorstellen, aber 2009 gab es noch keine Online-Trainings, geschweige denn Fitness-Apps). Die Länge eines YouTube-Videos war zu dieser Zeit noch auf maximal vier Minuten beschränkt und das Streaming nicht nur teuer, sondern reserviert für Tech-Freaks mit Lust auf Kabelsalat und viel Wartezeit. Als Medieninformatikerin in Elternzeit aber war das genau mein Ding. Ich wusste, dass meine Oma Hör-Aerobic machte, meine Mama die VHS von Cindy Crawford besaß und ich die DVDs von Fit for Fun kaufte – alle aus dem gleichen Grund: um fit zu bleiben, ohne das Haus verlassen zu müssen. Online-Fitness war für mich als Medienexpertin keine großartige Innovation, sondern einfach nur der logische nächste Schritt in der technologischen Evolution. Schnelles Internet setzte sich langsam durch7 und das 2007 auf der Bildfläche erschienene iPhone8 tauchte immer häufiger auf. Ich beschloss, mein Problem zu lösen, und entwickelte die erste Fitness-App in Deutschland.

Diese praktische Erfahrung mit der Entwicklung einer technischen Innovation und einem Unternehmensaufbau, gepaart mit fundiertem theoretischem Wissen darüber, wie man Unternehmen dazu befähigt, mehr davon zu schaffen, war die perfekte Kombi für meinen Job. Das sah auch mein neuer Arbeitgeber so. Das Vorstellungsgespräch lief so gut, dass ich noch am selben Tag einen Anruf mit einem großzügigen Angebot bekam – die Firma war einverstanden, ganze fünf Monate auf meinen Job-Eintritt zu [15]warten, damit ich meine Doktorarbeit über innovative Geschäftsmodelle fertigschreiben konnte. Ich akzeptierte natürlich sofort und fokussierte mich auf den Abschluss.

Was so vielversprechend begonnen hatte, stellte sich jedoch bereits am ersten Arbeitstag als Fehleinschätzung heraus. Voller Eifer, Entschlossenheit und Optimismus machte ich mich an einem sonnigen Junivormittag auf ins Büro. Nichts konnte meine Laune trüben, ich war überzeugt, dass ich für den Job bestimmt war. Deswegen war ich am Anfang nichts weiter als etwas verwundert über die mir übertragenen Aufgaben, die darin bestanden, die E-Mail-Korrespondenz mit den Teilnehmenden eines bereits organisierten Seminars zu betreuen. Dann wurde ich im ersten Teammeeting wider Erwarten nicht dem Team vorgestellt. Es war so, als wüsste keiner, warum ich da bin. Fast sogar so, als würde man mich nicht sehen oder – schlimmer noch – nicht sehen wollen. Das Meeting hätte ein kurzes Stand-up sein sollen, aber es fand kein Austausch statt, niemand berichtete über seine Arbeit, es wurde nichts beschlossen. Stattdessen sprach der Teamleiter eine knappe Stunde ohne Unterbrechung zu uns. Danach gingen wir nicht gemeinsam Mittag essen, sondern teilten uns in kleine Grüppchen auf.

Die schlechten Zeichen häuften sich, zunächst aber machte mir das keine Angst oder Sorgen. Nicht, weil ich die Zeichen übersah, im Gegenteil – ich nahm sie damals ganz bewusst wahr. Ich erzählte zum Beispiel meinen Freund:innen und meiner Familie davon, und zwar so, dass sie sich bis heute daran erinnern. Ich war jedoch aufgrund meiner Kompetenzen so überzeugt davon, am richtigen Platz zu sein, dass ich bereit war, die Rahmenbedingungen zu akzeptieren – ich wollte nicht zu voreilig urteilen, ich war ja erst seit einigen Tagen dabei.

In den Wochen und Monaten darauf wurde es leider nicht besser. Hatte ich eine Frage, wusste ich nicht, an wen ich mich damit wenden konnte. Hatte ich Ideen, auch nicht. Anstatt mit [16]dem Team zu interagieren, war ich immer auf meinen Vorgesetzten angewiesen. Doch seine Vorstellung von dem, wer was tun muss, entsprach selten den Vorstellungen der Mitarbeitenden. Als ich zum Beispiel für eine Konferenz Visitenkarten brauchte, bekam ich von ihm die Info, dass sich unser Designer darum kümmern würde. Doch der Designer sah sich »für solche Aufgaben« nicht zuständig und wies mich zurück. Wenige Tage später fand ich die frisch gedruckten Karten auf meinem Schreibtisch ohne eine Notiz – doch meine Beziehung zum Designer konnte sich von diesem Vorkommnis nie so wirklich erholen. Was man tun musste, war irgendwie niemandem klar. Vielleicht gerade deswegen sprach man oft darüber, wer was tun musste, insbesondere dann, wenn die Person nicht im selben Raum war. Besonders mein Chef liebte diese Formulierung: »Du musst …«

Eigentlich störte mich das gar nicht so sehr, bis es mir irgendwann einfach rausrutschte:

»Ich muss gar nichts!«

Der Satz fiel wie ein Smartphone auf den Asphalt.

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, herrschte plötzlich Stille im Open Space. Meine Kolleg:innen hatten mich gehört und blieben wie angewurzelt stehen. Ihre Reaktion erinnerte mich an die eines Wanderers, der plötzlich einem Bären im Wald gegenübersteht. Ihre Gesichter erstarrten. Einer hatte überrascht die Augenbrauen hochgezogen, senkte sie aber wieder. Selbst ich brauchte einige Sekunden, um das Ausmaß dessen zu realisieren, was ich gerade gesagt hatte.

»Ich muss gar nichts!«

»Ich muss gar nichts!« Ein solcher Satz ist nicht das, was man erwartet, wenn jemand beabsichtigt, die eigene Position im Unternehmen zu behalten. Aber ich hatte ihn gesagt, und alle anderen hatten ihn gehört.

[17]Die Reaktion von meinem Chef verdient bis heute meinen allerhöchsten Respekt. Er blieb zumindest äußerlich locker, sprach ein unbeeindrucktes »Ach so!« und machte einfach weiter. Klar verlor ich innerhalb kürzester Zeit meinen Job. Er musste schließlich seine Autorität verteidigen. Ich hatte vollstes Verständnis.

Dabei hatte ich es ja gar nicht so gemeint.

»Ich muss gar nichts!« stand für mich weder für Rebellion noch für Anarchie. Es war kein Zeichen fehlenden Respekts oder mangelnder Wertschätzung. Ganz im Gegenteil: Für mich symbolisierte dieser Satz Commitment. Ich fügte mich nicht einfach irgendeiner Macht; ich hasste meinen Job nicht; ich war nicht dort, (allein) um meine Miete zu bezahlen. Ich verstellte mich nicht, um die Probezeit zu überstehen. Ich wollte wirklich, wirklich gern und sehr viel beitragen. Es war ein Satz des Einbringens, nicht des Ausklinkens.

Dazu noch entsprach der Satz dem Sinn meines Jobs. Als Innovation Lead sah ich meine Aufgabe nicht darin, nach Vorschrift irgendwelche Arbeitspakete abzuarbeiten, eine bestimmte Stundenzahl im Büro abzusitzen oder einen vordefinierten Satz an Unterlagen zu erstellen. Als erfahrene Unternehmerin wusste ich, dass es bei Innovationen auf etwas anderes ankommt: Turbo-Wissensaustausch und Lernen auf der Überholspur. Beides lässt sich aber nicht unter Zwang effektiv gestalten, sondern nur aus dem Wunsch heraus, wirklich eine Lösung zu finden.

Zugegebenermaßen gab es noch einen anderen Grund. Denn nach mittlerweile 15 Jahren in Deutschland kannte ich auch die Rolle, die mir die Gesellschaft zudachte. Als osteuropäische Migrantin und Frau, die jung Mutter geworden war, erwartete man ohnehin nichts von mir. Alles, was ich leistete, geschah aus eigenem Antrieb, aus der intrinsischen Motivation heraus, nützlich zu sein, dazuzugehören und mehr aus dem eigenen Leben zu machen.

»Ich muss gar nichts!« verstanden die anderen im Team offensichtlich anders. Es war ein Zusammenprall der Kulturen: der [18]Muss-Kultur und der Will-Kultur, der Regeln und der Motivation, des Sich-Fügens und des Empowerments. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Müssen und Wollen, zwischen Macht und Sinn also, ist so aktuell wie nie. Es lähmt ganze Organisationen, führt zu Unmut in Teams, zu Silos und zu Kündigungen – auf beiden Seiten des Zauns. Vor allem aber verschwendet es menschliches Potenzial, in einer Zeit, in der dieses dringend gebraucht würde.

Natürlich kannte ich die Muss-Kulturen schon aus anderen Arbeitsverhältnissen und sogar schon seit meiner Kindheit. Ich wollte sie nur nicht.

Von der Muss-Kultur zur Will-Kultur

Ich kam zur Welt, als meine Eltern als Erstsemester ins Unileben eintraten. Ja, sie waren jung und mit dem Studium beschäftigt, also verbrachte ich viel Zeit bei meinen Großeltern. Sie waren aber selbst noch jung und beschäftigt. In einer Familie von Vollzeitbeschäftigten verbrachte ich also einen Großteil meiner Kindheit damit, Erwachsene bei der Arbeit »zu besuchen«.

Mal malte ich in der Poliklinik bei Oma Patientenüberweisungen an, mal fuhr ich im Schulbus, den der eine Opa steuerte, in den Zoo oder besuchte den anderen Opa im Zeitungsverlag. Ich sah meine Großeltern vor der Arbeit, nach der Arbeit und währenddessen. Ich hörte Gesprächen unter Kolleginnen zu und bemerkte, wie sie leise wurden, wenn der Chef hereinkam, und welche Kommentare sie abgaben, wenn er den Raum wieder verlassen hatte. Und obwohl ich vom Hörsaal bis zum Betrieb die vielfältigsten Arbeitsrealitäten kennenlernte, verstand ich: Arbeit ist meist keine freiwillige Beschäftigung, sondern ein notwendiges Übel, dessen Macht man sich fügen muss.

[19]Die Muss-Kultur regiert mit Anweisungen, Abläufen und Autorität

Die Muss-Kultur regiert mit Anweisungen, Abläufen und Autorität. Es wird auf die Distanz zwischen Mitarbeitenden und Chef geachtet und man hält sich am besten an eine ritualisierte Kommunikation. Arbeit wird lediglich als Vertrag betrachtet, bei dem man Leistung gegen Geld tauscht. Man kann die Arbeitsleistung demnach vermessen und bewerten: Arbeitsstunden, Überstunden, Ziele. In einem Callcenter werden dann Telefonate gezählt oder die Dauer des Anrufs aufgezeichnet. In einem Krankenhaus werden die Privatpatient:innen gezählt oder die abgerechneten Krankenhaustage. In der Schule die richtigen Vokabeln im Test respektive die Fehler.

Aber zu einer Muss-Kultur, genau wie in der Schule, gehört es auch dazu, die Spielregeln zu kennen und diese für sich zu nutzen. Wenn Leistungen individuell bewertet werden und ein höheres Gehalt nur mit der Führungskarriere verbunden ist, dann verhält man sich auch entsprechend. Wer kennt nicht die Geschichten von Mitarbeitenden, die dabei clevere Strategien entwickeln, um die gewünschten Kennzahlen zu erreichen – oft auf Kosten der eigentlichen Qualität ihrer Arbeit.

Ein Bekannter, dessen Job in einer Bank es war, wöchentlich komplexe Berichte zu entwickeln, gründete nebenberuflich ein Start-up, in dem er die Berichterstellung vollständig automatisierte und so »freie Zeit« gewann für den Aufbau seiner Firma. Er musste schließlich die Berichte erledigen und nicht die Prozesse durch Automatisierung und Innovation verbessern. Er schuldete seiner Firma das Ergebnis, und das lieferte er auch. Ein anderes Beispiel: Eine Mitarbeiterin von mir präsentierte mir jede Woche die steigenden Views unserer Social-Media-Posts als Arbeitsergebnis, ließ aber vollständig außer Acht, dass kein Mensch damit mit einem Like oder Kommentar interagierte.

[20]Leerlauf, »Präsentismus« oder »Absentismus« sind nach den Regeln der Muss-Kultur korrekte Taktiken.

In einer Muss-Kultur wäre die steigende Anzahl der Posts und Views eine ausgezeichnete Leistung gewesen, doch bei Start-ups kommt es auf etwas anderes an. Innovationen sind kein Muss, sondern dürfen erst zum Markt und Kunden finden. Es sind optionale Zukunftsszenarien, die Aufmerksamkeit, Umdenken, sehr oft auch eine Verhaltensänderung erfordern – mit Müssen kommt man dabei nicht sehr weit. Stattdessen kommt es dabei auf ganz andere Faktoren an wie z. B. Begeisterung, Neugierde, Erlebnis. Deswegen lassen sich erfolgreiche Start-ups auch nicht einfach mithilfe eines Leitfadens bauen – es kommt eben nicht nur auf die Effizienz der Methodenanwendung, sondern auch auf ihren Effekt an. Als LinkedIn-Top-Voice weiß ich aus Erfahrung, dass es für die Reichweite eines Posts einen Unterschied macht, worin man seine Arbeitsleistung sieht. Was möchte man erreichen: Posts veröffentlichen oder mit Menschen ins Gespräch kommen? Das ist ein Unterschied!

Übrigens, auch in Jobs in anderen Bereichen kommt es darauf an, welchen Sinn man in seinem Job sieht, wie die Berichterstattung 2014 über einen schwedischen Busfahrer zeigte.9 Dieser hielt trotz Zeitdruck ungeplant, um einem kleinen Mädchen, das auf der Straße weinte, zu helfen. Durch seine Tat wurde der Fahrer zum Twitterhelden, doch er selbst meinte, nichts Besonderes getan zu haben, denn, »sein Job sei es zu helfen«. Ganz anders nimmt das jemand wahr, der seinen Job in der Erfüllung eines Zeitplans sieht.

Leerlauf, »Präsentismus« oder »Absentismus« sind nach den Regeln einer Muss-Kultur korrekt verwendete Taktiken. In der Schule führen die Regeln der Muss-Kultur dazu, dass Lehrkräfte [21]ihren Schüler:innen eher Prüfungstricks beibringen, als wirkliches Verständnis für das Fach zu wecken, oder dass die Schüler:innen abschreiben statt so zu lernen, dass sie den Stoff verinnerlichen. In Krankenhäusern führen die Regeln der Muss-Kultur dazu, dass das Personal seine Aufmerksamkeit eher auf lukrative Privatpatient:innen oder -behandlungen richtet, anstatt allen Patientinnen und Patienten gleichermaßen gerecht zu werden, geschweige denn nach der besten Behandlung zu suchen.

Diese Taktiken mögen auf kurze Sicht funktionieren und sogar Anerkennung bringen. Auf lange Sicht untergraben sie aber die Integrität und den Sinn der Arbeit und führen dazu, dass man nicht wirklich am gemeinsamen Ziel arbeitet, sondern immer nur versucht, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Das »Spielen« nach den Regeln des Systems mag Einzelnen helfen, ihre Ziele zu erreichen, aber es führt oft zu einer Entfremdung von der eigentlichen Berufung und kann in der heutigen Ökonomie das Wohl der gesamten Organisation gefährden. Denn die Antwort auf die Marktdynamik von heute ist unbekannt.

Simon Sinek fasst dieses Phänomen mit dem Begriff »Infinite Game«10. Damit bezeichnet er eine Denkweise, bei der der Fokus auf langfristigem Erfolg und kontinuierlicher Anpassung liegt, nicht auf kurzfristigen Zielen im Wettbewerb. Er stellt im gleichnamigen Buch neues Arbeiten dem Sport gegenüber und stellt dabei fest, dass wir weder immer in derselben Mannschaft noch immer in derselben Spieldauer spielen. In der Wirtschaft von morgen müssen wir uns darauf einstellen, dass sich die Spielregeln und die Mitspielenden ständig ändern.

Als Spielfeld erfordert ebendiese Wirtschaft von morgen Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft, die in einer rigiden Muss-Kultur als zweitrangig angesehen werden. Unternehmen, die im »unendlichen Spiel« bestehen wollen, müssen eine Kultur pflegen, die über die reine Fixierung auf Regeln hinausgeht. Tun sie dies nicht, greift ein allzu bekanntes Muster: Arbeit wird als [22]mühsame Pflicht empfunden, und echte Leidenschaft entfalten die meisten erst außerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit.

Der jährliche Gallup Engagement Index belegt dies immer wieder eindrucksvoll mit seinen Zahlen. Die Studie ist eine der größten Erhebungen zur Arbeitsstimmung weltweit und misst neben anderen Daten die Mitarbeiterbindung und die Wechselbereitschaft von Angestellten. Nach der Erhebung in Deutschland haben 2023 21 Prozent aller Beschäftigten, 7,3 Millionen Deutsche also, laut der Studie innerlich gekündigt.

21 Prozent der Angestellten erfüllen lediglich das Mindestmaß ihrer Aufgaben.

Dabei ist fast jeder Zweite (45 %) auf dem Sprung und entweder aktiv auf der Suche oder zumindest offen für einen Jobwechsel. Nur noch 14 Prozent der befragten Arbeitnehmer:innen fühlen sich stark mit ihrem Unternehmen verbunden. Gallup bewertet die volkswirtschaftlichen Kosten durch mangelnde emotionale Bindung und daraus resultierende Produktivitätsverluste auf 132,6 bis 167,2 Milliarden Euro und betont die Bedeutung guter Führung, da hohe emotionale Bindung nicht nur Fluktuation und Fehlzeiten reduziert, sondern auch die allgemeine Leistung und Kundenbewertungen verbessert.

Oder anders formuliert: 170 Milliarden Euro also für Bindung – jedes Jahr!11 Das ist der verlorene Wert guter, produktiver Arbeitsbeziehungen und der Grund, warum wir mehr darüber reden sollten. Doch wir tun es noch nicht und das Ergebnis ist da. »Arbeit mit angezogener Handbremse«12 nennt das Karina Becker, Professorin für Sozialpolitik und Soziale Arbeit, und erklärt damit die 193.000 neuen Mitglieder bei der Gewerkschaft ver.di, die auch »der Selbstsorge« wegen nur noch nach Vorschrift arbeiten.

[23]Es braucht ein neues Verständnis vom Stellenwert der Arbeit.

Mittlerweile spricht man von einer neuen Pandemie – der der fehlenden Bindung, des fehlenden Austauschs, der fehlenden Zugehörigkeit. Sich dem entgegenzustellen ist die größte Herausforderung für die Unternehmen der Zukunft, denn ohne Bindung, Austausch und Zugehörigkeit sind Unternehmen keine Organisationen, sondern einfach nur Gruppen von Menschen. Die Zeiten der Arbeitsteilung sind in der Wissensgesellschaft vorüber und damit auch die Möglichkeiten, solche Gruppen durch Kontrolle und Anweisungen zu führen.

Es braucht ein neues Paradigma, neue Strukturen und ein neues Verständnis vom Stellenwert der Arbeit. Erfolgreiche Unternehmen haben es schon immer verstanden, große Mengen von Menschen zu befähigen, zusammen auf ein gemeinsames Ziel hin zu arbeiten. Das erfolgte in der Vergangenheit eben durch Arbeitsteilung. Eine Organisation war früher im Prinzip wie eine sehr lange To-do-Liste, die man vorab kannte. Wie etwa bei McDonald’s: Das Menü steht fest. Alle wissen, welche Zutaten und Zubereitungsschritte für die Herstellung nötig sind, um dieses Menü den Kund:innen auf dem Tablett zu servieren. Da die Arbeitsschritte bekannt waren, hatte man die Möglichkeit, diese durch Analyse und Optimierung im Vorfeld so zu definieren, dass man mit möglichst wenig Input möglichst viel Output generieren kann. Das ist die Definition von Effizienz. In dieser Welt war es egal, wer die Burger zusammenstellt – Kathi oder Peter. Menschen waren ersetzbar – mit Absicht. Und man konnte ihren Output direkt messen: Kathi 320 Menüs, Peter 250.

Im Innovationsumfeld aber – und das ist das Umfeld für alle Unternehmen inkl. McDonald’s heute – ist es anders: Man weiß nicht, wer kommt und wann und worauf die Kund:innen dann [24]Hunger haben. Oder man öffnet den Kühlschrank und erfährt erst dann, welche Zutaten man hat – zum Beispiel dass heute kein Fleisch lieferbar ist und nur noch wenige Gurken da sind. In einem solchen Umfeld kommt es nicht auf Standardisierung, sondern auf Kreativität und Zusammenarbeit an. Denn während Peter nach neuen Fleischlieferanten sucht, erinnert sich Kathi an ein veganes Rezept und kann ihre Kund:innen trotzdem bedienen. Und Annika denkt sich Infused Water aus, um aus den wenigen übrig gebliebenen Gurken maximalen Profit zu schlagen, während sie zugleich einem neuen Megatrend gerecht wird und so fürs Restaurant ein zukünftiges Geschäftsfeld findet.

Community macht den Unterschied!

Auch in einem neuen Geschäftsfeld könnte kein Unternehmen ohne Standardisierung und Prozesse bestehen. Schließlich muss ein Restaurant gewisse Gesundheits- und Hygienevorschriften einhalten, pünktlich und korrekt Steuern und Gehälter bezahlen und immer dafür sorgen, dass ausreichend Personal da ist, damit alles läuft. Doch auf all das kommt es nicht mehr ausschließlich an. Und mit der Automatisierung durch Technologien auch immer weniger. Stattdessen kommt es in so einem Umfeld auf Eigeninitiative, Motivation und die Beziehungen im Kollektiv an. Wie man so schön sagt: »Wenn Technologie eine bessere Technologie wird, dann müssen Menschen bessere Menschen werden.« Denn durch das Befolgen von Anweisungen lassen sich nachweislich keine Innovationen entwickeln, sonst wäre nicht nur eines von zehn Start-ups erfolgreich.13 Doch, wie wir aus der Pandemie gelernt haben: Durch »guten Willen« und Zusammenhalt lassen sich Berge versetzen. Community macht den Unterschied!

Machtausübung über Hierarchien, formale Autorität oder Jobtitel haben in dieser Welt ausgedient. Wer als Arbeitgeber, Unternehmer:in oder Führungskraft erfolgreich Einfluss nehmen [25]will, muss Freiräume zur Verfügung stellen und ein sinnorientiertes, eigenverantwortliches Arbeiten ermöglichen. Und das – Achtung! – im Kollektiv.

Diese Erkenntnis führt zu einer tiefgreifenden Verschiebung in der Art und Weise, wie wir Arbeit organisieren und Menschen in Teams befähigen müssen. Dazu braucht es eine Kultur, in der Mitarbeitende nicht wegen des Drucks von oben handeln, sondern weil sie den wahren Sinn verstehen und sich für das »große Ganze« einsetzen wollen.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ging man bisher davon aus, dass eine moderne – also eine gute – Unternehmenskultur »agile Methoden« braucht, »Flexibilität« und »flache Hierarchien«. Unsere Annahmen darüber, was Menschen bei der Arbeit befähigt, drehen sich dabei immer wieder um Strukturen und Regeln, und so ist es nicht verwunderlich, dass wir in den letzten Jahrzehnten mit Dutzenden Alternativen zu Hierarchie experimentiert haben.14 Immer mit dem Ziel vor Augen, Unternehmenskulturen zu schaffen, in denen Menschen gemeinsam gern arbeiten und innovativ bleiben.

Trotzdem scheitert der Versuch, die Regeln umzuschreiben, im großen Stil.15 Die vielfältigen Gründe hierfür zeigen Judith Muster, Finn-Rasmus Bull und Jens Kapitzky in ihrem Buch »Postbürokratisches Organisieren«16. Obwohl immer mehr Unternehmen die Transformation wagen, stagniert die Produktivität seit 2018. Und obwohl wir seit der Pandemie einen noch nie da gewesenen Grad an Flexibilität in der Arbeitswelt wahrnehmen, leiden immer mehr Unternehmen unter einem Disconnect mit der Unternehmenskultur. Gleichzeitig bleiben die Zahlen der unmotivierten Angestellten konstant hoch bei satten 69 Prozent.17 Sogar »New Work« ist als Begriff in Ungnade gefallen, weil man damit immer häufiger nicht das gewünschte selbstbestimmte Arbeiten, sondern nur noch unendliche Diskussionen, fehlende Entscheidungen und eine verwöhnte Belegschaft assoziiert.

[26]Gerade seit der Pandemie spitzt sich die Situation immer mehr zu. Gegenseitige Vorwürfe bestimmen zunehmend die Diskussion. Arbeitgeber beschweren sich darüber, dass Beschäftigte »schon bei einer leichten Verstimmung«18 zu Hause blieben, dass die »junge Generation faul« sei. Und die Politik? Ruft nach »mehr Bock auf Arbeit«19. Neben den Anschuldigungen bedient man sich auf die Schnelle bei Purpose-Prothesen, die für mehr Motivation sorgen sollen. Und gegen den fehlenden Zusammenhalt ruft man alle zurück ins Büro.

Auf der anderen Seite sehen sich Arbeitnehmende zum ersten Mal in der Geschichte der Arbeit am längeren Hebel und nutzen die neu austarierten Machtverhältnisse, um auch mal den Ton anzugeben. Streiks, Kündigungen und das höchste Maß an Disengagement sind das Ergebnis. Waren es früher die Vorgesetzten, die sagten, was getan werden muss, so sind es heute die Beschäftigten, die den Ton angeben. Das Recht auf Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und eine Kombucha-Bar20 sind aus dem Druck eines Arbeitnehmermarkts heraus entstanden, in dem man hoch qualifizierten Fachkräften, besonders in der Tech-Branche, ja nichts an Perks verwehren wollte – um sie länger zu halten und nicht an die Konkurrenz zu verlieren. Neben einem »War for Talents«, womit man den Fachkräftemangel bezeichnet, spielt sich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden mittlerweile öffentlich ein regelrechter »War for Culture« (also ein Kulturkrieg) ab, wobei jede Seite darauf aus ist, der anderen vorzuschreiben, was sie muss.

Zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden spielt sich ein regelrechter »War for Culture« ab.

Woran liegt das? Warum ist die Stimmung so gekippt?

[27]Wir brauchen Freiheit in der Gruppe und Zusammenhalt trotz Individualität.

Gegenseitige »Muss«-Zurufe und Anschuldigungen bringen uns nicht weiter. Statt Machtverhältnisse neu zu verteilen und die alten Regeln durch neue zu ersetzen, brauchen wir vielmehr eine Versöhnung zwischen den Lagern. Wir brauchen Freiheit in der Gruppe und Zusammenhalt trotz Individualität. Es darf kein »Wir oder ihr«, kein »Macht oder Sinn« mehr geben. Es ist Zeit für eine neue Arbeitskultur des Müssens und des Wollens. Es ist Zeit für echte Zusammenarbeit. Es geht darum, eine Balance zwischen Wollen und Müssen zu finden.

Die Balance zwischen Müssen und Wollen

In diesem Buch widme ich mich dieser tektonischen Plattenverschiebung in der Geschichte der Arbeit und in unserer Gesellschaft. Und plädiere dafür, Arbeit wieder als das zu sehen, was sie schon immer war – die Art und Weise, wie wir zusammen die Welt gestalten. Dieses Buch ist ein Versuch, Lösungen zu finden. Und eine Lösung brauchen wir. Zum einen, weil wir es müssen (ich bin davon überzeugt, dass wir nur so eine Chance haben, die Probleme unserer Zeit zu lösen), zum anderen, weil wir es dürfen, denn (auch davon bin ich überzeugt) heute muss niemand mehr eine Arbeit machen, die sie oder ihn unglücklich macht. Wir haben alle viel mehr Arbeitsrechte und Gestaltungsfreiheit als jemals zuvor. Es gilt deswegen, diese auch zu nutzen.

[28]Das ist der Grund, warum ich Arbeit zu meinem Beruf gemacht habe und mich als Unternehmerin und Autorin für die Transformation der Arbeit engagiere. In meinen Augen ist dies unser größter Hebel für eine nachhaltige Wirtschaft. Seit 2019 habe ich hierfür das Technologie-Start-up Mentessa, die Big & Growing Community als New-Work-Festival und einen Verein – den Bundesverband New Work e. V. – mitgegründet. Nicht weil ich muss, sondern weil ich verstehe, dass ein systemischer Wandel auf vielen Ebenen vorangetrieben werden muss. Wir brauchen dafür die Tools, das Bewusstsein, aber auch den politischen Rahmen – die Faktoren also, die das berühmte »Miteinander« in der Arbeitswelt möglich machen.21

Arbeit ist die Art und Weise, wie wir gemeinsam die Welt gestalten.

Das Wort »Miteinander« oder Varianten davon kommen in Slogans häufig vor – wie z. B. »Gemeinsam vorwärts«, »Zusammen stark« oder »Wir macht’s möglich« – und hören sich abstrakt an. Doch in Unternehmen findet das Miteinander sehr konkret statt – oder eben nicht. Hilft man sich hier oder sucht man erst nach den Schuldigen? Wie treffen wir Entscheidungen und verteilen Gewinne? Was fördert man – individuelle Leistung oder gemeinsame Zielerreichung? Das sind nur ein paar Beispiele, die alle Beschäftigten in einem Unternehmen schnell und eindeutig beantworten können – unabhängig von den Werbesprüchen auf der Unternehmenswebsite. Und da Menschen immer aus gutem Grund handeln, gibt es für die Antworten auch konkrete Gründe. Diese gilt es zu finden und von »Müssen« in »Wollen« umzuwandeln. Denn Arbeit ist mehr als die Vertretung individueller und wirtschaftlicher Interessen – Arbeit ist unsere Chance, gemeinsam die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.

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