Ich traf Hitler! - Dorothy Thompson - E-Book

Ich traf Hitler! E-Book

Dorothy Thompson

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Beschreibung

BEOBACHTUNGEN ZUR PSYCHOLOGIE DES FASCHISMUS Dorothy Thompson traf Adolf Hitler im Berliner Hotel Kaiserhof zum Interview. Ihr Buch „I Saw Hitler!“ erschien 1932, kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, und führte dazu, dass die Korrespondentin als erste ausländische Journalistin aus Nazi-Deutschland ausgewiesen wurde. »Ich traf Hitler!« ist Porträt und Psychogramm, Reportage und Essay in einem. Die amerikanische Beobachterin entwirft eine Theorie des Populismus, die heute von großer Aktualität ist. Sie analysiert Hitlers Propaganda und die Psychologie des »kleinen Mannes«, der sich in ihm wiedererkannte und seinen Aufstieg ermöglichte. Sie erfasst die Minderwertigkeitsgefühle eines »Mobs von Kleinbürgern« und seinen tiefverwurzelten Judenhass, aber auch die Beihilfe der Hohenzollern, die Verbindung mit den Konservativen und die Verantwortung des Auslands. Dorothy Thompson beschreibt eine Situation, in der Demokratien scheitern und Wahlen eine Diktatur herbeiführen können. Dorothy Thompsons »Ich traf Hitler!« erscheint nun erstmals in vollständiger deutscher Übersetzung, zusammen mit den 40 historischen Abbildungen der englischen Originalausgabe herausgegeben und mit einem umfangreichen Nachwort versehen von Prof. Oliver Lubrich (Universität Bern). „Eine beeindruckend weitsichtige Analyse der Aufstiegsgeschichte Hitlers…“ – ORF ZIB, 19. Juni 2023 „Sie gehörte zu den einflussreichsten Frauen Amerikas, zählte Sigmund Freud und Bertolt Brecht zu ihren Bekannten: Die große Journalistin und Exzentrikerin Dorothy Thompson wird wiederentdeckt. „Ich traf Hitler!“, ihr bekanntestes Buch, erscheint jetzt erstmals auf Deutsch.“ – Wolfgang Paterno, PROFIL „Sie bietet einen Einblick in das, was Ernst Bloch das ‚Dunkel des gelebten Augenblicks‘ nannte.“ – Felix Stephan, Süddeutsche Zeitung „Legendäres Buch“ – Alexander Sury, Bund und Tages-Anzeiger »Es ist beschämend und aufreizend, daß so dumme Frauenzimmer, deren Gehirn nur aus Stroh bestehen kann, das Recht haben, gegen eine geschichtliche Größe wie den Führer überhaupt das Wort zu ergreifen.« – Joseph Goebbels über Dorothy Thompson, Tagebucheintrag vom 5. April 1942

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Seitenzahl: 176

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Dorothy Thompson

»Ich traf Hitler!«

Der Reportage-Essay von 1932erstmals vollständig auf Deutschmit sämtlichen Original-Abbildungen

herausgegeben vonOliver Lubrich

Aus dem amerikanischen Englisch übersetztvon Johanna von Koppenfels

1. Auflage 2023

Das vergessene Buch | www.dvb-verlag.at

Copyright © by DVB Verlag GmbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Lukas Spreitzer

ISBN 978-3-903244-32-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

"Ich traf Hitler!"

Abschied von Deutschland (1934)

Das missverstandene Missverständnis Dorothy Thompson unterschätzt Adolf Hitler und durchschaut seine Anhänger Nachwort von Oliver Lubrich

Editorischer Bericht

Erläuterungen

Personen

Ereignisse

Literaturverzeichnis

Quellen

Dorothy Thompson (chronologisch)

Besprechungen und Zeugnisse zu Dorothy Thompson (chronologisch)

Weitere Primärquellen

Forschung zu Dorothy Thompson

Weitere Forschung und Theorie

Archivmaterial

Filme

Abbildungsverzeichnis

»I Saw Hitler!« Illustrated with Photographs

Abbildungen zum Nachwort

Zeittafel Dorothy Thompson

Kurzbiographien

Dank

Kolophon

»ICH TRAF HITLER!«(1932)

Vorwort

»Große Zeiten bringen große Führer hervor!«

Ist das wirklich so?

Ein kleiner Mann ist in Deutschland aufgestiegen. Er hat keine nennenswerten Waffen: ein paar Pistolen, einige davon mit Wasser oder Zündplättchen geladen; ein paar Gewehre, einige Schlagringe und Dolchringe, ein paar rostige Stahlhelme und als Uniform braune Hemden, die »offiziell verboten« sind.

Um die Massen in Bann zu schlagen, hat er eine Tenorstimme, beachtliche theatralische Fähigkeiten und einen hysterischen Glauben an seine Mission.

Unter dieser Mission versteht er die Auflösung der Deutschen Republik, die Durchsetzung einer Diktatur und die Einrichtung eines neuen - oder ist es das alte? - kriegerischen Deutschland.

Als Programm hat er eine Mischung aus Faschismus, einer rassistischen Philosophie, die lehrt, dass »Arier«, vor allem der »Nordische Typus«, dazu auserwählt seien, die Welt zu beherrschen, Antisemitismus und wirrem Sozialismus.

Doch er hat ein Publikum - ein breites Publikum, das nur auf ihn gewartet hat.

Es ist das Publikum des patriotischen, gekränkten, kleinbürgerlichen Mobs.

Dass es dieses Publikum gibt, und zwar millionenfach, ist teils die Schuld der Alliierten und teils die Schuld der Deutschen Republik.

Es ist die Schuld der Alliierten, weil sie Deutschland, zusätzlich zu einem Waffenstillstand, der in die schönsten Worte gehüllt wurde, einen törichten, unmenschlichen und nicht umsetzbaren Frieden aufzwangen, den keine Nation mit Selbstachtung auf dieser Welt länger hinnehmen würde, als es Zeit und Kraft braucht, ihn zu brechen.

Es ist die Schuld der Deutschen Republik, weil sie ihren eigenen Prinzipien nicht wirklich treu blieb ; weil sie ihren Gerichten, Universitäten und zahlreichen Schulen erlaubte, im alten Geist der Vorkriegszeit weiterzumachen; weil sie schwach war und nur halbherzig die paramilitärischen Banden verfolgte, welche die Republik seit ihrer Gründung terrorisierten.

Und so reitet der kleine Mann auf dem Wirbelsturm einer zwölf jährigen Misswirtschaft, für welche die ganze Welt verantwortlich ist.

Die Zeiten, in denen wir leben, verändern sich zu schnell, als dass sie ein angesehener Historiker für uns aufzeichnen könnte. Sie verändern sich zu schnell, als dass über kurzlebige Phasen lange Bücher geschrieben werden könnten. Unsere Zeit ist die Zeit des Reporters.

Hitler selbst ist ein großartiger Propagandist. Er sagte:

»So werden viele eher bereit sein, eine bildliche Darstellung aufzunehmen als ein längeres Schriftstück zu lesen. Das Bild bringt in viel kürzerer Zeit, fast möchte ich sagen, auf einen Schlag, dem Menschen eine Aufklärung, die er aus Geschriebenem erst durch langwieriges Lesen empfängt.«

Dieses Buch zu schreiben, ist also die Aufgabe einer Reporterin.

Und wie die meisten modernen Reportagen erzählt es seine Geschichte rasch, und mindestens die Hälfte davon erzählt es in Bildern.

I.

Als ich Adolf Hitlers Zimmer betrat, war ich der festen Überzeugung, dem künftigen Diktator von Deutschland zu begegnen. Keine fünfzig Sekunden später war ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall war. So lange dauerte es in etwa, um die verblüffende Bedeutungslosigkeit dieses Mannes zu ermessen, der die Welt in Atem hielt....

Sieben Jahre habe ich versucht, Adolf Hitler zu treffen. Das erste Mal wollte ich ihn im Haus einer Amerikanerin ausfindig machen, die in Deutschland verheiratet und eingebürgert war: Frau Hanfstaengl. Das war im Jahr 1923, und Hitler, dessen Militärputsch mit Ludendorff gegen die Republik gescheitert war, befand sich auf der Flucht. Frau Hanfstaengl, die ein Haus in Murnau im Allgäu besaß, einige Stunden von München entfernt, hatte ihm Zuflucht gewährt. Ich erinnerte mich an Frau Hanfstaengl. Vor Jahren war sie während einer Kampagne zum Frauenwahlrecht im Bundesstaat New York aus Deutschland gekommen, eingeladen von der Frauenrechtspartei, um sich als Sprecherin für das Frauenwahlrecht einzusetzen. Sie brachte uns eine Menge Ärger ein: »Meine Damen und Herren«, sagte sie, »ich hoffe, Sie werden alle für die Änderung des Frauenwahlrechts stimmen. Doch kommen wir jetzt zu einer Erörterung der Gründe, warum der Untergang der Lusitania keinen Kriegsgrund darstellen sollte.«

Sie sagte es nicht ganz so krass, aber fast. Wie sich herausstellte, war Frau Hanfstaengl eine deutsche Propagandistin. Als ich Hitler in ihrem Haus nicht antraf - er hatte anderswo Unterschlupf gefunden -, gestand sie mir das.

Danach »saß« Hitler für einige Monate ein. Soweit ich mich erinnere, wurde er zu fünfzehn Jahren verurteilt. Aber politische Verschwörung und Mord waren in den vergangenen zwölf Jahren in Deutschland billig zu haben. Nach kürzester Zeit war er wieder draußen.

Entlassen, aber doch ein veränderter Mann. Er wurde »legal«. Es war keine Rede mehr von einem Marsch auf Berlin. Die Menschen sollten »erwachen«, und Hitlers Bewegung sollte dafür sorgen, dass sie die Diktatur wählten! An sich eine faszinierende Idee. Man stelle sich einen Möchtegern-Diktator vor, der sich aufmacht, ein souveränes Volk dazu zu überreden, seine eigenen Rechte abzuwählen.

Wäre die Republik anders gegründet worden, wäre sie nicht unter dem unglücklichsten aller Sterne geboren worden - eine merkwürdig ungünstige Konstellation von Saturn und Mars würden die Astrologen wahrscheinlich im Meridian finden-, wäre ein solches Programm Irrsinn gewesen. Aber die Republik wurde aus einer Niederlage geboren, auf Betreiben von Ausländern; sie folgte ihrem Kurs unter einer Reihe von Erniedrigungen. Und Hitler und seine Leute ließen sogar Siege nach Demütigungen klingen. Vielleicht wird Stresemann wegen des Vertrags von Locarno eine große Rolle in der Geschichte spielen, aber Hitler schwärzte ihn bei den Massen einfach als Verräter an.

Und während dieser Jahre versuchte ich, immer wieder, ihn zu treffen.

Er war hochmütig und hielt sich von allen Ausländern fern. Deutschland den Deutschen! Verachtung für die Amerikaner, diese Dollar-Jäger, Geld-Schaufler, Profiteure. Die Amerikaner liehen einer »Regierung aus Erfüllungsgehilfen« Geld. Die Regierung lieh sich bei den Amerikanern Geld, um die Franzosen zu bezahlen. Hitler, der Reine, der Unbestechliche, hatte nur Zeit für seine eigenen Leute. Amerikanische Reporter konnten sich an der Türschwelle die Beine in den Bauch stehen.

Aber im Jahr unserer Krise, 1932, haben sich die Dinge geändert. Es gab Hinterzimmer-Konferenzen - mit Mussolini, mit Lord Rothermere. (Hitler nannte ihn einst einen »Jüdischen Zeitungs-Baron«, aber das war zu Zeiten, als er zwölf Anhänger hatte, nicht zwölf Millionen.) Hitler greift nach der Macht... jetzt ist er bereit, sich an die Welt zu wenden. Und deshalb gewährte er mir ein Interview.

Die Vorbereitungen gestalteten sich überaus umständlich. Nicht so, wie man es von einem Mann erwarten würde, für den »die Tat« alles bedeutet. Ich erwartete eher ein kurz angebundenes »Kommen Sie!« Stattdessen muss ich Fragen einreichen. Schriftlich und vierundzwanzig Stunden im Voraus. Keine Tricksereien erlaubt. Sie brauchen Zeit, um die Antworten abzuwägen. Später wurde mir dann mitgeteilt, dass ich mich auf drei Fragen beschränken soll.

Ich schrieb also drei Fragen:

(1) Wenn Sie an die Macht kommen, und ich gehe davon aus, dass es dazu kommen wird, was werden Sie für Deutschlands arbeitende Bevölkerung tun?

(2) Wenn Sie an die Macht kommen, werden Sie die Verfassung der Deutschen Republik außer Kraft setzen?

(3) Was werden Sie für die internationale Abrüstung tun, und wie werden Sie mit Frankreich umgehen?

Ich sagte, wie Sie sehen, »Wenn Sie an die Macht kommen - «

Denn es scheint eine allgemein verbreitete Überzeugung zu sein, dass Adolf Hitler in den kommenden Monaten in Deutschland, auf die eine oder andere Weise, »an die Macht kommen« wird.

II.

Bevor wir uns dem Interview zuwenden, einige Fakten über die sensationelle Karriere dieses Mannes.

Kapitel Eins: 1919: Bolschewismus in München. Ernst Toller, der Dramatiker, Autor von Masse Mensch (in New York aufgeführt von der Theater Guild) und Kurt Eisner haben in Bayern eine Räterepublik gegründet, mit Toller als ihrem ersten Präsidenten. Der Gefreite Adolf Hitler bekämpft diese Bewegung, zusammen mit anderen Männern aus der heimgekehrten Armee. Eisner wird ermordet; Toller inhaftiert. Hitler wird von der Armee angestellt, um zu den Truppen zu sprechen und die Moral hochzuhalten. Er entdeckt seine rhetorische Begabung und beschließt, Politiker zu werden.

Kapitel Zwei: 1919: Das Hinterzimmer eines Münchner Wirtshauses. Sechs Männer sitzen um einen Tisch herum und diskutieren über die Zukunft. Das Land ist voller politischer Parteien, und auch sie beschließen, eine zu gründen: die Deutsche Arbeiterpartei. Später sollte sich diese Gruppe mit einer anderen zusammenschließen und sich »Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei« nennen, was allgemein mit dem Wort Nazi abgekürzt wird. Sie sitzen da und haben weder Führung noch Programm. Hitler schließt sich ihnen an. Nummer 7. Er selbst verweist auf diese Nummer, betrachtet sie als ein Omen. Denn er fühlt sich bereits als Mann der Vorsehung. Und er hat Recht. Ohne ihn würden sie noch immer dort sitzen.

Kapitel Drei: 1923 : Der Putsch in Bayern. Ludendorff ist der Bewegung beigetreten. Hitler und Ludendorff verschwören sich mit dem bayerischen Premier, von Kahr, durch einen Putsch gegen die Weimarer Republik in Bayern die Macht zu ergreifen, um von Bayern aus das Reich zu erobern. Das Programm der Bewegung ist nicht ganz klar. Aber die Reichsmark fällt auf eine Milliarde gegenüber dem Dollar. Französische Panzer rollen durch das Ruhrgebiet, und an Ruhr und Rhein werden Deutsche erschossen. Die Republik scheint hilflos zu sein.

Hitler will eine unblutige Revolution, und dafür benötigt er die Unterstützung der Behörden. Kahr druckst herum. Er ist zugleich ein Monarchist und spielt mit dem Gedanken einer Restauration der Bayerischen Wittelsbacher. Also schreibt Hitler die Monarchie ins Parteiprogramm.

»Ja, in der Tat, Exzellenz, wir haben eine besondere Verpflichtung der Monarchie gegenüber, der schreckliches Unrecht geschehen ist. Wenn Exzellenz gestatten, werde ich zu Seiner Majestät gehen und Seine Majestät davon in Kenntnis setzen, dass die Ungerechtigkeit, die unserem gnädigsten Herrn, Seiner Majestät, widerfahren ist, durch die Deutsche Bewegung wiedergutgemacht wird.«

Dies sind Adolf Hitlers Worte, wie sie im Prozess zitiert wurden, der auf den Putsch folgte. Bitte bedenken Sie: Ob Hitler immer noch Monarchist ist, ist nicht sicher, aber ein Sohn des Kaisers spielt heute eine aktive Rolle in seiner Bewegung.

Doch als Kahr erkennt, dass die Republik nicht so hilflos ist, wie es schien, macht er einen Rückzieher. Die Nazifahnen mit dem arischen Hakenkreuz, die von Hitlers Truppen durch die Straßen getragen werden, treffen auf Maschinengewehrfeuer. Siebzehn Menschen werden getötet. Einige hundert, darunter Frauen und Kinder, werden verwundet. Hitler flieht und versucht vom Land aus, seine Gefolgsleute zu mobilisieren. Das Ergebnis ist ein vollständiges und schmähliches Scheitern. Hitler wird verhaftet. Die Partei wird offiziell aufgelöst.

Kapitel Vier: Die neue »legale« Bewegung. 1925-1930.

Es beginnt fast zwei Jahre nach der Niederschlagung des Putsches in München und ein Jahr, nachdem Hitler das Gefängnis verlassen hat. Die Wahlen im Oktober dieses Jahres bringen Hitler wenig Erfolg. Bei den Landtagswahlen in Baden erhält er lediglich zwei Prozent der Stimmen. In Lippe bekommt er nur 0,8 Prozent.

Bei den Wahlen in Lübeck im Jahr 1926 hielten es die Hitleristen nicht einmal für aussichtsreich, einen Kandidaten aufzustellen.

Auch 1927 war noch ein schlechtes Jahr. Doch die Prozentzahlen begannen zu steigen. Und Hitler hatte in der Zwischenzeit begonnen, eine politische Maschinerie aufzubauen, der man in rein organisatorischer Hinsicht nur die größte Hochachtung entgegenbringen kann. Bei den Wahlen in Thüringen 1927 erreichte er 4,6 Prozent der abgegebenen Stimmen; in Mecklenburg-Schwerin 7,5 Prozent; in Braunschweig 3,7 Prozent.

Bei den Wahlen zum Reichstag im Jahr 1928 findet sich die Partei noch unter den kleineren politischen Gruppierungen in diesem Land der vielen Parteien. Sie erreichte zwölf Mandate, aber nur 2,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Und im darauffolgenden Mai, bei den Wahlen zum Preußischen Landtag, erging es ihr nicht besser.

Doch 1929 kam es zu einer Veränderung, hervorgerufen zweifellos durch die Weltwirtschaftskrise und die damit einhergehende öffentliche Einsicht in die Krise der Staatsfinanzen. Bei den Landtagswahlen dieses Jahres erreichten die Nationalsozialisten in Thüringen 11,3 Prozent und einen Ministerposten in der Landesregierung. In Baden erzielten sie sieben Prozent, in Lübeck acht.

Kapitel Fünf: Die Zeichen des Sieges.

1930 ist es nicht mehr möglich, Hitler einfach nur zu belächeln. Das Land befindet sich in einer schlechten Verfassung. So wie alle anderen Länder. In den Vereinigten Staaten ist die Arbeitslosigkeit im Verhältnis zur Bevölkerungszahl zweifellos ebenso hoch wie in Deutschland. Doch Deutschland ist außerdem noch bis über beide Ohren verschuldet. Nicht nur wegen der Reparationszahlungen, sondern auch wegen des Geldes, das es sich von unseren äußerst freigiebigen (und rücksichtslosen) Geldgebern geliehen hat. Keine Partei hat die Mehrheit im Parlament. Gustav Stresemann, der große Außenminister und Vermittler des Friedens mit Frankreich, ist tot. Die Idee einer Diktatur geht um. Und in der Tat haben Präsident Hindenburg und Reichskanzler Brüning begonnen, von einem bestimmten Paragraphen der Verfassung Gebrauch zu machen, um damit diktatorisch zu regieren.

Und dennoch sind die Septemberwahlen eine Überraschung. Hitler gewinnt 18,3 Prozent der Stimmen. Im Juni erlangt er in Sachsen 15 Prozent, in Bremen 25 Prozent und in Braunschweig 22 Prozent.

Zugleich kommen überall in Deutschland hunderttausende Menschen zu Massendemonstrationen zusammen. Zweihunderttausend junge Männer, in »Sturmtrupps« organisierte, sportlich trainierte Schlägertypen in braunen Hemden, werden zu Hitlers privater Miliz, die mit den Kommunisten auf den Straßen um die Vorherrschaft kämpfen. Die Montagszeitungen berichten immer wieder von einem Dutzend Toten oder Verletzten, die es über das Wochenende gegeben hat. »Wir hatten in den vergangenen elf Monaten Verluste von 5 500 Toten und Verletzten«, sagte Hitler im Dezember 1931. Und die Kommunisten vermelden für den gleichen Zeitraum 9 500 Verletzte. 185 Männer wurden getötet. Es herrscht Bürgerkrieg!

Eine große Verlagsgruppe hat sich gebildet, um die Hitlerbewegung zu unterstützen. Hitler hat die Propaganda unter seiner Kontrolle, und die Geldmittel der Organisation werden auf 8 000 Dollar pro Tag geschätzt. Seine private Miliz wird bezahlt, soweit nötig, während tausende arbeitslose Jugendliche sich als Freiwillige melden, ohne Bezahlung oder nur für die Benutzung von Clubhäusern, kostenloses Essen und Uniformen. Seine Kämpfer sind gegen Unfälle und Tod versichert. Der Staat hat mittlerweile Angst vor der Bewegung. Es gibt offizielle Drohungen gegen die Nazis, aber es wird wenig getan.

Die Wahlen von 1931 zeigen, dass die Bewegung noch immer wächst. Bei der Wahl in Oldenburg erreichten sie 37,2 Prozent der Sitze, in Hessen 40 Prozent. Allen Erwartungen zum Trotz haben sie sich zur größten Einzelpartei des Reiches entwickelt. Sie sind reif für die Macht.

III.

Ich ging also hin, nicht um einen kleinen politischen Anführer zu treffen, sondern einen möglichen Diktator, der »so sicher an die Macht kommen wird, wie ich hier stehe«, wie er einem Zeitungsredakteur einige Tage zuvor erklärt hatte. Einen Mann, der eine Armee besitzt. Einen Mann, der die Straße terrorisiert. Einen Mann, der ein neues, gefährliches, erwachtes Deutschland vorhersagt.

Ich war ein wenig nervös. Ich überlegte, Riechsalz zu nehmen.

Und Hitler verspätete sich. Um eine Stunde. Während ich im oberen Foyer des Hotels Kaiserhof wartete, sah ich ihn vorbeistürmen, auf dem Weg zu seinen Zimmern, von einem Leibwächter begleitet, der fast wie Al Capone aussah. Minuten vergehen. Eine halbe Stunde. Ich gehe hinüber in das Zimmer des Pressechefs: Ernst Hanfstaengl, Sohn der Dame aus Murnau, Harvard-Absolvent, bei seinen Kommilitonen berühmt für sein Klavierspiel und seine Marotten. Penibel. Amüsant. Die merkwürdigste Wahl für den Pressechef eines Diktators, die man sich vorstellen konnte.

Ich wartete in Dr. Hanfstaengls Zimmer. Ein italienischer Journalist war vor mir dran. Kein Wunder. Hitler, der die Macht ergreifen will, hat schon ein außenpolitisches Ziel: eine Deutsch-Englisch-Italienische Allianz zu bilden, um die französische Vormacht auf dem Kontinent zu brechen. Ich warte. Amerika ist nur ein Kreditgeber, eine der schwächsten Positionen, in der sich eine Nation in der heutigen Welt befinden kann.

Als ich schließlich Adolf Hitlers Salon im Hotel Kaiserhof betrat, war ich der festen Überzeugung, dem künftigen Diktator von Deutschland zu begegnen. Keine fünfzig Sekunden später war ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall war.

Es brauchte nur ungefähr diese Zeit, um die verblüffende Bedeutungslosigkeit dieses Mannes zu ermessen, der die Welt in Atem hielt.

Er ist formlos, fast gesichtslos, ein Mann, dessen Miene einer Karikatur gleicht, ein Mann, dessen Körperbau knorpelig wirkt, ohne Knochen. Er ist belanglos und redselig, von schlechter Haltung und unsicher. Er ist die Verkörperung des kleinen Mannes.

Eine Strähne von schütterem Haar fällt über eine unbedeutende, leicht fliehende Stirn. Der Hinterkopf ist flach. Das Gesicht ist an den Backenknochen breit. Die Nase ist groß, aber unschön geformt und ohne Ausdruck. Seine Bewegungen sind linkisch, fast würdelos und äußerst unkriegerisch. In seinem Gesicht findet sich keine Spur von innerem Konflikt oder von Selbstdisziplin.

Dabei ist er nicht ohne einen gewissen Charme. Aber es ist der weiche, fast feminine Charme des Österreichers! Wenn er spricht, tut er dies mit einem breiten österreichischen Dialekt.

Nur die Augen sind bemerkenswert. Dunkelgrau und hervorquellend - sie haben diesen eigentümlichen Glanz, der oft bei Genies, Alkoholikern und Hysterikern auftritt.

Er hat etwas verblüffend Geziertes an sich. Ich wette, er krümmt seinen kleinen Finger, wenn er eine Tasse Tee trinkt.

Sein Gesicht ist das eines Schauspielers. Imstande, sich nach Belieben aufzublähen oder einzuziehen, auszudehnen oder zurückzunehmen, um einschlägige Gefühle auszudrücken.

Als ich ihn sah, dachte ich an andere deutsche Gesichter.

Der Präsident, von Hindenburg. Ein Gesicht, wie aus Stein gemeißelt. Darin keine Phantasie; kein Licht; kein Humor. Nicht gerade ein ansprechendes Gesicht. Aber eines, das den Charakter so klar offenlegt, als solle es das Schicksal seines Besitzers bestimmen.

Kanzler Brüning. Der Kopf eines hohen Staatsmanns aus dem 18. Jahrhundert. Eine empfindliche Nase mit hohem Rücken. Ein fein geschnittener Mund. Das konvexe Profil der Hartnäckigkeit. Spöttisch, klug, humorvoll. Ein Mann, der nie aufgeben wird. Etwas zu sensibel, vielleicht. Ablehnung erträgt er schlecht.

Ich stellte mir den Mann vor, den ich da vor mir hatte, wie er unter Gleichen zwischen Hindenburg und Brüning saß, und musste unwillkürlich lächeln. Oh, Adolf! Adolf! Dein Glück wird ein Ende haben!

Andere deutsche Gesichter tauchten vor meinem inneren Auge auf, während ich mit Hitler sprach. Der kürzlich verstorbene Gustav Stresemann. Ein fröhlicher, weiser Geist in einer dicken Maske aus Fleisch. Feine Hände und Augen, die scharfe kleine Verstandesfunken versprühten. Die Wissenschaftler - Planck, der Quantentheoretiker, lebendig und klar wie das Feuer. Einstein, wie ein großes, schrecklich begabtes Kind.

Die Schriftsteller : Hauptmann, mit seinem hohen Schädel und dem feinen Haarflaum; Thomas Mann, mit müden, vorausschauenden Augen; Wassermann, der ein bisschen wie ein jüdischer Shakespeare aussieht; Feuchtwanger, wie eine Maske für den Geist der Komödie; die Jüngeren - Remarque (sein nordisches Aussehen könnte Ihnen helfen, Herr Hitler), Zuckmayer, beständig wie das Rheinland, Leonhard Frank, sensibel, sanft -

Während ich Hitler betrachtete, sah ich ein ganzes Panorama deutscher Gesichter; Männer, die dieser Mann zu beherrschen gedenkt. Und ich dachte: Herr Hitler, Sie könnten bei den nächsten Wahlen die fünfzehn Millionen Stimmen erhalten, die Sie erwarten.

Doch fünfzehn Millionen Deutsche KÖNNEN irren.

Das Interview gestaltete sich schwierig, denn man kann mit Adolf Hitler kein Gespräch führen. Er redet die ganze Zeit so, als wäre er auf einer Massenveranstaltung. Im persönlichen Umgang ist er schüchtern, fast peinlich berührt. In jeder Frage sucht er nach einem Motiv, zu dem er loslegen kann. Sein Blick fixiert dann eine ferne Zimmerecke ; ein hysterischer Unterton schleicht sich in seine Stimme, die er bisweilen fast zu einem Schreien steigert. Er vermittelt den Eindruck eines Mannes in Trance. Er schlägt auf den Tisch.

»Noch ist nicht die gesamte Arbeiterklasse auf unserer Seite... wir brauchen einen neuen Geist... der Marxismus hat die Massen unterwandert... Wiedergeburt in einer neuen Ideologie. nicht Arbeiter, nicht Unternehmer, nicht Sozialisten, nicht Katholiken. sondern Deutsche!«

Dies als Antwort auf die Frage: Was werden Sie für die arbeitenden Massen tun, wenn Sie an die Macht kommen?

Es ist eine wichtige Frage. Millionen Deutsche folgen Hitler, weil er den Banken, den Trusts, dem »Kreditkapital« den Krieg erklärt hat. Er hat immer wieder bekräftigt, er werde die Herrschaft einer Klasse über eine andere abschaffen. Doch was bedeuten dieses Aussagen eigentlich in der politischen Praxis?

Ich konnte es nicht herausfinden, und jeder, der das schafft, ist ein besserer Interviewer als ich. Als ich es wagte, den eloquenten Redeschwall durch die stumpfe Wiederholung meiner Frage zu unterbrechen, erwiderte er (ziemlich spröde), er habe nicht die Absicht, den Feinden (dem Deutschen Kanzler) sein Programm auszuhändigen, damit sie es »stehlen« können. Etwas später bekam ich jedoch von einem seiner Adjutanten eine klare Antwort auf die Frage.

Hitler plant, so erzählte er mir, so viele Arbeitslose wie möglich in Baracken unterzubringen (getrennt von Ehefrauen und Kindern) und sie zum Soldatensold im Staatsdienst zu beschäftigen, also für ungefähr sechs Cent am Tag plus Kost und Logis. Das wird zwei Zielen dienen: dem Neubeginn einer allgemeinen militärischen Ausbildung und der Rekrutierung von Arbeitskräften für den Straßenbau, etc. Er plant, große Landgüter zu zerschlagen, die gerade nicht von ihren Eigentümern bewirtschaftet werden, und einen umfangreichen Kolonisierungsplan in die Tat umzusetzen. Dies tut allerdings bereits die derzeitige Regierung.