Ich war überall - Kolja Spöri - E-Book

Ich war überall E-Book

Kolja Spöri

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Beschreibung

Kennen Sie Karakalpakastan? Transnistrien? Gagausien? Wissen Sie, welches Auto man nachts im Südsudan fahren sollte, was man im Kurdengebiet besser nicht sagt, warum illegale Einreisen nach Guyana nicht unüblich sind und wie man unbeschadet bei -62 °C zum sibirischen Kältepol reist? All das finden Sie in diesem Buch. Gentleman-Adventurer Kolja Spöri zeigt, wie man auch abseits der vom Massentourismus ausgetretenen Pfade stilvoll reisen, echte Abenteuer erleben und dennoch wohlbehalten nach Hause zurückkehren kann.

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KOLJA SPÖRI

MITGLIED IMCLUB OF MOST TRAVELED PEOPLE

TSCHETSCHENIEN,AFGHANISTAN, SÜDSUDAN …MIT EINEM GENTLEMANAN DIE ENTLEGENSTENUND GEFÄHRLICHSTEN ORTEDER WELT

Der Inhalt dieses Buches gibt die Meinung des Verfassers wieder.Er muss nicht zwangsläufig der Meinung des Verlags entsprechen.

Copyright 2014:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Covergestaltung: Holger Schiffelholz, Börsenmedien AG

Gestaltung und Herstellung: Johanna Wack, Börsenmedien AG

Lektorat: Wolfgang Seidel

Korrektorat: Hildegard Brendel, Egbert Neumüller

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

ISBN 978-3-86470-171-9eISBN 978-3-86470-189-4

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

www.plassen.de

www.facebook.com/plassenverlag

„Deine Zeit ist begrenzt.Verschwende sie nicht, indem dudas Leben von anderen lebst!“– Steve Jobs

WIRKLICH ÜBERALL?

MAN MUSS KEIN HIPPIE SEIN FÜR „LSD“-TRIPS: LUXUS, SPEED, DANGERZONE

WIE WÄR’S MAL MIT TSCHETSCHENIEN?

AUF DIE HARTE TOUR

Trip 1:

Zum Arabischen Frühling nach Bengasi, Libyen

Trip 2:

Zu den somalischen Flüchtlingscamps in Dadaab

Trip 3:

Die gefährlichste Stadt der Welt: Goma im Kongo

Trip 4:

Durchs wilde Kurdistan in den Irak

Trip 5:

Vom Ilemi-Dreieck in die neue Hauptstadt Südsudans

Trip 6:

Zur Amtseinführung der liberianischen Nobelpreisträgerin nach Monrovia

Trip 7:

Zwischen den Zeilen von Mauretanien nach Mali

Trip 8:

Auf der Kolyma-Knochenstraße bei -62°C über den Kältepol der Welt

TIPPS & TRIPS FÜR GELEGENTLICHE GRENZGÄNGE

Trip 1:

Nordirland – Die Friedenslinien von Belfast

Trip 2:

Zypern für Grenzgänger: Varosha, Lefkosa, Akrotiri, Dekeleia

Trip 3:

Propaganda bei 38°: Nordkoreas Panmunjeom und Mount Kumgang

Trip 4:

An der Klagemauer: Über Jericho und Bethlehem nach Jerusalem

Trip 5:

Exotik mitten in Europa: Transnistrien und Gagausien

Trip 6:

Harte Kombi: Bergkarabach und Nachitschewan

Trip 7:

Backtracking: Halblegal durch die drei Guayanas

Trip 8:

Haiti: Das twitternde Voodoo-Hotel Oloffson in Port-au-Prince

Trip 9:

Osttimor: Dili und Oecussi

Trip 10:

Abtrünniger Südkaukasus: Abchasien, Adscharien, Südossetien

Trip 11:

Am Meer der Chasaren: Astrachan, Karakalpakastan und der Gaskrater von Derweze

Trip 12:

Afghanistan/Usbekistan: Von Termez über Mazar-i-Sharif nach Kabul

Trip 13:

Somalia: Eine Tagesreise von Dschibuti nach Somaliland

WAS HEISST ÜBERALL? SYSTEMATISCH LÄNDER SAMMELN

DESOLATION & DESASTER TRAVEL

DANGER TRAVEL

SPEED TRAVEL

ZERO LUGGAGE TRAVEL: MINIMALES GEPÄCK – MAXIMALER GENTLEMAN

HOTEL-LOBBYISMUS

WELTANSCHAUUNG – DAS GESCHÄFT MIT DER ANGST

VOR REISEWARNUNGEN WIRD GEWARNT

IN KRISENGEBIETEN: EIN SICHERHEITSKONZEPT ZUM NACHAHMEN

SPEZIALREISEVERANSTALTER

WEITERE TIPPS & TRICKS

AUSGEWÄHLTE INTERNET-EMPFEHLUNGEN

LITERATUR-EMPFEHLUNGEN

ÜBER DEN AUTOR

WIRKLICH ÜBERALL?

„Kein Mensch war überall, und ich selbst schon gar nicht.“*

* Laut dem weltweit führenden Online-Portal Tripadvisor.com hat der Autor 99 Prozent der Welt bereist und wird dort als „Nr. 1 Explorer“ geführt, mit Aufenthalten in mehr Ländern als jeder andere.

Es gibt ein recht neues Phänomen unter Vielreisenden: systematisch alle Länder und Regionen des Planeten zu besuchen und auf einer vorgegebenen Erlebnisliste abzuhaken. Diese Entwicklung wurde durch das Internet begünstigt, wo sich Gleichgesinnte in virtuellen Foren wie zum Beispiel Flyertalk.com austauschen, mit ihren Reisetagebüchern (Travelblogs) selbst darstellen und gegenseitig zu immer neuen Reiseerlebnissen anspornen. Dabei half einerseits die enorme Ausweitung und Verbilligung des Luftverkehrs. Andererseits bleiben viele Brennpunkte der Welt gefährlich. Einige sind nur mühsam über Land oder per Schiff zu erreichen; exotische Inseln oder die Polkappen verlangen weiterhin nach einer prall gefüllten Reisekasse. Dennoch hat sich in der Generation der virtuellen Vielreisenden ein beinahe suchthaftes Verlangen nach dem realen Kick des Überall entwickelt. Um diese Gemeinschaft von gleichgesinnten Globetrottern geht es in diesem Buch. Früher traf man sich einmal im Jahr im Vereinsgebäude des ersten Vielreisevereins, dem Traveler’s Century Club in San Francisco. Heute begegnet man sich online in Internetgemeinden wie dem Club der Most Traveled People des Amerikaners Charles Veley oder im Club The Best Travelled des Griechen Harry Mitsidis.

Mit diesem Trend haben sich ganz neue touristische Kategorien entwickelt: das massenhafte Publizieren der eigenen Reiseerlebnisse bei Facebook, Twitter & Co., das Fotografieren von Flugzeugtypen (Planespotting) oder der Flughafenlounges oder des On-Board-Essens in vergleichenden Internet-Foren. Superschnelle Regionenrallyes im Auto overland oder gezieltes Meilensammeln in Flugstafetten um die Welt. Manchmal als sogenanntes Speed-Travelling just for fun, sowohl unter Weltenbummlern als auch unter voll Berufstätigen. Ferner das Reisen völlig ohne Gepäck. Oder tief hinein in Gegenden, die einfach nur desolat sind oder als Dangerzone gelten, sodass der Reiz eher intellektuell sein muss und nicht konventionell-ästhetisch im Sinne von Urlaub und Erholung. Innerhalb dieser neuen Kategorien des Reisens sind die klassischen Grenzen zwischen konsumierenden Vergnügungs- und Luxusreisenden, beflissenen Bildungsreisenden und den kommentierenden Berufsreisenden heute weitgehend aufgehoben. Die Menschen sind virtuell wie real viel näher beieinander. Das globale Dorf ist beinahe Wirklichkeit geworden. Wenn es da nicht weiterhin eine kleine Terra incognita gäbe, den Trip in die vermeintlichen und realen Gefahrenzonen. Die Trips der meistgereisten Menschen führen zwangsläufig an Hot Spots mit sogenannten Reisewarnungen oder in Länder, die es offiziell gar nicht gibt. Schenkt man Behörden wie dem Auswärtigen Amt, dem Kleingedruckten der Reiseversicherungen oder den vielen abschreckenden Medienberichten Glauben, dann gibt man an der Pforte zu diesen Fürstentümern der Finsternis seine bürgerliche Existenz auf und fährt auf eigene Gefahr direkt hinein in die Hölle.

„Ich war überall“ ist eine augenzwinkernde Anmaßung. Selbst der mit Abstand am weitesten gereiste Mann der Welt, mein amerikanischer Freund Charles Veley, der den Club der Most Traveled People gegründet hat und sogar sündhaft teure Schiffsexpeditionen auf die antarktiskalte, unbewohnte Bouvetinsel im Südatlantik oder zu den legendär heißblütigen Frauen auf der Südseeinsel Pukapuka unternahm, bezweifelt, dass Reisen nach überall überhaupt menschenmöglich ist. Dennoch haben er und andere Extremreisende ein systematisches Reisen entwickelt, bei dem man sich zuerst an den allseits anerkannten Ländern der Vereinten Nationen orientiert, dann die weiteren quasi-souveränen Staaten wie Abchasien oder Karabach zählt und später tief in kleinere geografische Unterteilungen wie Ambazonien oder Karakalpakastan vordringt. Diese tiefgängige Form des Reisens entwickelt ihren eigenen Magnetismus, fast wie eine monomanische Meditation im Pilgertempel des Planeten Erde.

MAN MUSS KEIN HIPPIE SEIN FÜR „LSD“-TRIPS: LUXUS, SPEED, DANGERZONE

„Es sind nicht die Lebensjahre die zählen, sondern das Leben in den Jahren.“

– Abraham Lincoln

In den Sechziger- und Siebzigerjahren war es Mode, auf dem sogenannten Hippie-Trail mit dem VW-Bus nach Indien zu fahren und dabei jede Form von Rauschzustand zu suchen. Reisesucht, Drogen- und Sexsucht haben bestimmt viele Gemeinsamkeiten. Ich bin zum Glück nur reisesüchtig. Das ist mein persönliches Rauschmittel zur Bewusstseinserweiterung. Mein Fetisch sind dunkle, unbekannte, gefährliche Winkel der Welt. Manche dieser Länder sind so exotisch, dass es sie offiziell gar nicht gibt. Das heißt, sie werden von den Vereinten Nationen nicht anerkannt, existieren aber dennoch in weitgehender Autonomie, mit eigener Sprache, Kultur, Staatsführung, Flagge, Hymne und manchmal sogar mit eigenem Reisepass. Obwohl abtrünnige Schönheiten wie Transnistrien und Gagausien praktisch mitten in Europa liegen, sind sie unerforschter als der G-Punkt oder ähnliche Feuchtgebiete, auch in der zeitgenössischen Literatur. Mein Freundeskreis vermutet bei diesen Destinationen masochistische Neigungen, was nicht ganz stimmt, weil ich mich selbst in Krisengebieten an der simplen Maxime von Oscar Wilde orientiere: „Nur das Beste ist gut genug!“ Ob im Fünf-Sterne-Hotel Grozny City in Tschetschenien oder im Mamba Point in Monrovia, Liberia. Der Kick, wenn abends im Hochsicherheitshotel der Schmerz einer brutalen Tagestour nachlässt, ist unbeschreiblich schön. Dabei denke ich gern an das wunderbare Almond Resort in Garissa im kenianisch-somalischen Grenzgebiet, wo sich nach unseren persönlichen Hilfslieferungen in die UNO-Flüchtlingscamps von Dadaab eine tiefe Befriedigung einstellte. Oder an das Tibesty Hotel in Bengasi, Libyen, wo ich, mitten im Arabischen Frühling, erstmalig mit Ganzkörperkondom, das heißt mit schusssicherer Weste anreiste. Nach tausend Kilometern overland im eigenen Geländewagen ist ein charmantes Hotel der Himmel auf Erden. Das Schönste aber an der Reisesucht ist, dass jede kleine Dosis Luxus, Speed und Dangerzone einen dauerhaften Kick vermittelt, tatsächlich der Bewusstseinserweiterung dient und die Gesundheit normalerweise nicht beeinträchtigt.

Psychologen bezeichnen diese angebliche Fehlfunktion als „Dromomanie“, den Zustand von Menschen mit einem starken emotionalen oder sogar physischen Bedürfnis, ständig zu reisen und neue Orte zu erleben, oft auf Kosten der eigenen Familie, der Arbeit oder des sozialen Zusammenlebens. Das Phänomen des wahnhaften Weglaufens war schon den alten Griechen nicht fremd. Odysseus und die Argonauten lassen grüßen. Da ich als Formel-1-Agent und internationaler Projektentwickler aber einem halbwegs ordentlichen Beruf nachgehe, ist sichergestellt, dass ich nach ein, zwei Wochen wieder in die Heimat zurückkehren muss. Von Rucksackreisenden, Aussteigern und berufsmäßigen Globetrottern ist bereits viel zum Thema Weltenbummeln geschrieben worden. Jedoch: Reisebekenntnisse der ganz normal arbeitenden Bevölkerung, die, wie ich, berufsbegleitend, mit wenig Zeit, vielleicht etwas mehr Anspruch und dem nötigen Kleingeld, konsequent durch alle Zeitzonen ziehen, gibt es dagegen so gut wie keine. Es überrascht mich selbst, dass es mir möglich war, ohne die bürgerlichen Zelte komplett abzubrechen, den gesamten prallen Planeten zu entdecken.

VON DER GRAND TOUR ZUM GENTLEMAN

Vorbild war dabei die Grand Tour des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Damals bildete sie den Abschluss der Erziehung des adeligen Nachwuchses und sollte der Bildung den letzten Schliff geben. Die jungen Reisenden suchten bedeutende europäische Kulturstädte auf und besichtigten Baudenkmäler und Kunstsammlungen. Die Fahrt in der Pferdekutsche führte durch malerische Landschaften, oft von Adelssitz zu Fürstenhof. Dabei wollte man neben der Kultur die Sitten fremder Länder kennenlernen, neue Eindrücke sammeln und für das weitere Leben nützliche Kontakte knüpfen. Hinzu kamen das Erleben von Genuss, der Erwerb von Sprachkenntnissen, die Verfeinerung der Manieren und ganz allgemein ein Gewinn an Weltläufigkeit, Status und Prestige. Am Ende der großen Reise war idealerweise ein Gentleman in Form gebracht, dessen Stil der deutsche Journalist Martin Scherer ganz allgemein und doch so treffend beschrieben hat: „Hinter dem Gentleman verbirgt sich – ausgesprochen oder nicht – eine bestimmte Lebenskunst, in der sich in besonderer Weise Reflexion und Erfahrung, stolze Einsamkeit und soziale Kultur verdichten.“

Unter den einschränkenden Bedingungen eines modernen Berufstätigen, der nicht in den Genuss adeliger Kontaktnetzwerke, eines väterlichen Vermögens oder eines vororganisierten Kutschbetriebs kam, empfand ich es als hilfreich, meine zahlreichen Geschäftsreisen durch kurze private Ausritte selbst verlängern zu können. Hierfür entwickelte ich eine höhere Reisegeschwindigkeit, optimierte Routenplanung, Sicherheitsvorkehrungen, Tricks bei der Visabeschaffung und Organisation von „One Way“-Autos sowie Techniken, mit wenig oder null Gepäck zu reisen. Von gleichgesinnten Reisebegleitern lernte ich, Extremdistanzen auch bei Nachtfahrten im Auto genussvoll zu bewältigen und mein Schlafbedürfnis auf ein Minimum zu reduzieren. Dadurch gelang es mir, maximale Bisse aus dem „großen Apfel“ zu nehmen, wobei dieser Begriff bekanntlich für die Welt an sich steht, aber auch für Wissen und Weisheit. In besonders begünstigten Momenten wurde ich von befreundeten Big Boys in deren privatem Flugzeug oder privater Jacht mitgenommen. Der endgültige Impuls, meine Erlebnisse in Buchform zu bringen, entstand in so einem glücklichen Augenblick: An Bord des Privatjets eines Formel-1-Piloten auf dem Weg zum Istanbul Grand Prix lauschte der mitreisende Nicolas Todt, Sohn des früheren Ferrari- und heutigen Weltautomobilverband-Chefs Jean Todt, überraschend aufmerksam meinen diversen Reiseerzählungen. Er empfahl mir dringend, sie zu Papier zu bringen.

WIE WÄR’S MAL MIT TSCHETSCHENIEN?

Erkenntnis: „Alles hat seine Zeit.“

Schwierige Erreichbarkeit: ***

Schwierigkeitsgrad vor Ort: **

Gefährdungsgrad: *

Bestes Hotel: Grozny City Hotel *****

Beste Anreise: Flug via Istanbul oder Moskaumit Grozny Avia oder Rusline

Es mag vielleicht absurd klingen, aber die positivste Überraschung auf allen meinen Erkundungen war Tschetschenien. Zweifellos hat sich diese kleine abtrünnige Kaukasus-Republik ihren schlechten Ruf über die Jahrhunderte redlich verdient. Schon die Übersetzung des Namens der Hauptstadt „Grozny“ aus dem Russischen bedeutet auf Deutsch „die Schreckliche“. So wie Iwan IV., der Schreckliche, zurückübersetzt „Ivan Grozny“ heißt. Der hatte diese unbeugsame Volksgruppe bereits im 16. Jahrhundert ins russische Imperium zwangseingegliedert. Die Tschetschenen sagen denn auch lieber Sölsch-Ghala zu ihrer Republikhauptstadt mit immerhin 300.000 Einwohnern. Grozny war nach den beiden verlorenen Unabhängigkeitskriegen 1994/1995 und 1999/2000 die zerstörteste Stadt, die man sich auf der Welt vorstellen kann, die absolute Hölle auf Erden. Im restlichen Russland ist die halbautonome Kaukasusrepublik Tschetschenien bis heute ein solches Reizthema, dass die meisten Russen grußlos aus dem Gespräch aussteigen, sobald es nur annähernd um diese spezielle Volksgruppe geht. Zu dem ohnehin schlechten Ruf beigetragen hat die früher starke tschetschenische Mafia, die nicht nur in Moskau mit brutalen Methoden die Kontrolle über ganze Wirtschaftszweige übernommen hatte oder Oligarchen den Weg zur Herrschaft ebnete und später absicherte. Darin waren allerdings auch andere Kaukasusminoritäten aus dem vormaligen Sowjetreich recht erfolgreich, wie die Georgier, Armenier und die „Tat“ genannten Bergjuden aus Aserbaidschan. Zugestehen muss man jedoch, dass die Tschetschenen in einer eigenen Liga spielen, wenn es um die Faszination von körperlicher Stärke und die Ausstrahlung von Männlichkeit und Macht geht. Das meine ich durchaus im Weltmaßstab. Wenn mir heute jemand – sagen wir mal – mit der sizilianischen oder der albanischen Mafia droht – nicht dass das so oft vorkommt –, dann muss ich eigentlich nur müde lächelnd mein Foto mit dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow zeigen und man lässt mich in Ruhe, beziehungsweise man zollt mir Respekt. Einen solchen Rambo- und Macho-Kult wie in der kleinen Bergrepublik habe ich noch nirgendwo erlebt.

Nach Grozny gelangte ich erstmals aus beruflichen Gründen kombiniert mit privaten Absichten, sprich Länderpunktesammeln. Für einen Vielreisenden ist das natürlich immer die günstigste Gemengelage. Mit meinem engsten Freund und Reise-Buddy Harald aus Österreich, der mein Faible für interessante Destinationen und interessante Persönlichkeiten teilt und von dem noch öfter die Rede sein wird, unterhielt ich mich über die noch offenen Ziele im Leben. Wir hatten uns zufällig bei einem Mittagessen im Privathaus des vielleicht berühmtesten Formel-1-Rennfahrers kennengelernt, mit dem uns beide eine langjährige geschäftliche wie private Freundschaft verbindet. Sowohl Harald als auch ich sind beruflich auf der ganzen Welt unterwegs und haben spannende Kunden und Kontakte. Bei mir durch die Tätigkeit als Formel-1-Agent und internationaler Geschäftsvermittler, bei Harald als überaus erfolgreicher Produzent von Uhren, Luxus-Safes und ganzen Sicherheitsräumen. Die Liste seiner Klientel liest sich wie ein Auszug aus dem Who is Who oder aus den Forbes-Listen. Seit wir uns angefreundet haben, sausen wir in einer besonderen Seelengemeinschaft durch die Welt. Das heißt, wir haken in Hochgeschwindigkeit die Listen mit den Ländern und Regionen der Welt ab. Meistens ergibt sich das als Nebenaspekt oder auf der Rückreise von Geschäftsterminen. Beide minimieren wir unseren Ballast auf kleines Handgepäck und tragen dennoch vorzugsweise geschäftsmäßiges Sakko mit Einstecktuch, auch wenn es in den Dschungel oder in die Wüste geht. Harald ist nicht nur ein fleißiger Geschäftsmann, sondern der Typ österreichischer Brachialbursche, der sich bei einer Operation nach dem Aufwachen selbst die Katheter und Kanülen aus dem Körper zieht und gegen den Protest der Ärzte auf eigenes Risiko sofort wieder beruflich Vollgas gibt. Harald hat definitiv vor nichts Angst, empfindet keinen Schmerz, braucht praktisch keinen Schlaf und liebt es, Tage und Nächte mit dem Auto durchzufahren. Wenn er sehr konzentriert Schriftliches bearbeiten muss, fliegt er schon mal nach Los Angeles und mit demselben Flieger zurück. Der tastaturhackende, fleißige Harald ist ein Horror für jeden nicht so wachen Sitznachbarn. Ich muss zugeben, dass ich von ihm einiges lernen konnte und meinen Leistungsgrad beim Ritt auf den Längengraden deutlich hochschrauben konnte. Harald wiederum profitiert vielleicht von meinem Hang zum Genuss und dementsprechenden Kenntnissen, wo man auf der Welt schön übernachten und essen und vor allem auch mal gemütlich eine Zigarre rauchen kann. Er Cohiba, ich Romeo y Julieta. Was ihm dann doch auch immer Spaß macht, auch wenn sein ewiges Motto bleibt „Wichtig ist, dass du tüchtig bist“. Wenn der kleine Mann auf der Straße, der gegen hohe Managergehälter und reiche Unternehmer wettert, wüsste, wie unglaublich hoch die geistige Leistungsfähigkeit, der Einsatzwille und die Risikobereitschaft mancher erfolgreicher Zeitgenossen im Vergleich zum Durchschnitt ist, er müsste sich direkt von seiner abendlichen Fernsehcouch für immer wegzappen.

Es war in Turkmenistan auf der Rückreise von Afghanistan. Harald und ich debattierten, wohin man jetzt noch reisen könnte, um auf das Hochrisikogebiet Hindukusch noch einen draufsetzen. Wir einigten uns auf Tschetschenien, das damals noch als die unzugänglichste aller Gefahrenzonen galt. Und weil uns die Person des angeblich etwas durchgeknallten dortigen Präsidenten Ramsan Kadyrow interessierte. Harald fand heraus, dass sein russischer Uhrenimporteur Sergej einen Draht nach Grozny hatte und das Thema Luxus dort im Palast durchaus auf offene Ohren stößt. Als der Anruf kam: „Wir fliegen nach Grozny“, war ich erst mal sprachlos. Das war 2009 und die harte Reisewarnung des Auswärtigen Amts war definitiv noch etwas begründeter als heute. Wir flogen also vom kleinsten der drei Moskauer Flughäfen, Wnukowo, mit einer altersschwachen Jak 40 der Grozny Avia, (da steigt man noch über eine steile Hecktreppe ein), in Richtung Dunkelheit und Ungewissheit. Bei späteren Reisen gab es zum Glück auch schon mal den Privatjet des Präsidenten, ein wesentlich moderneres Modell von Suchoi.

Unser Abholer in Grozny gehörte zur Leibgarde der berüchtigten Kadyrowtsys und hatte in seinem gepanzerten schwarzen Toyota-Landcruiser ganz locker die Kalaschnikow auf dem Beifahrersitz zurechtgelegt. Schon eine kleine Bremsung hätte zu einem größeren Kugelhagel führen können. Wo normalerweise der Sicherheitsgurt eingesteckt wird, befand sich die selbstgebaute Halterung für eine Makarow-Pistole. Nach ein paar Kilometern in der Abenddämmerung Richtung Stadtzentrum fuhren wir an einer Tankstelle vorbei, wo in der Mitte ein schwerer schwarzer Mercedes 600 betankt wurde, flankiert von zwei Brabus-getunten Mercedes G-Klasse-Geländewagen, natürlich alle gepanzert, und umgeben von acht mehr als filmreifen Bodyguards, die mit unbestechlich bösen Blicken, Maschinengewehr im Anschlag, granatengefüllten Kampfwesten und der in Russland beliebten Nacht-Camouflage-Uniform die Umgebung martialisch absicherten. In jedem Hollywoodfilm hätte man die Szene als kriegerisch-kitschig und völlig überzogen zurückgewiesen. Wir dachten, o Gott, worauf haben wir uns hier nur eingelassen? In einer Hochgeschwindigkeitsfahrt, selbst im Vergleich mit Formel-1-Rennen, ging es dann weiter auf der vierspurigen Ausfallstraße in Richtung Dagestan, wobei uns jede der zahlreichen Straßenkontrollen bereits von Ferne respektvoll salutierte. Die schwarzen Fahrzeuge mit dem K wie Kadyrow im Nummernschild genießen absolute Priorität.

Das damals schon ansatzweise wiederaufgebaute, aber immer noch russland-typisch triste Stadtbild wechselte rasch in die grüne ländliche Szenerie der Terek-Flussebene. Im Hintergrund die Silhouette der nördlichen Kaukasuskette. Nach einer halben Stunde erreichten wir den Privatpalast des Präsidenten in seinem Heimatort, dem Bergdorf Hosh-Yurt, auf russischen Landkarten Zentoroi genannt. Es war inzwischen dunkel. Selbst wenn man schon einiges an Glamour gesehen hat, ist dieser Ort beeindruckend. Hell erleuchtete, überlebensgroße Löwenfiguren vor hohen Marmormauern und verspielten Palastfassaden einerseits. Kolonnen schwarz gekleideter Sicherheitsleute vor brennenden Ölfässern andererseits. Es war bereits klirrend kalt im November im Kaukasus.

An diesem Abend hatte eine der vier Präsidentengattinnen Geburtstag und wir durften als Ehrengäste am Tisch des großen Meisters Platz nehmen. Selten habe ich so üppige Tischdekorationen und Obstschalen und Süßigkeiten gesehen. Vielleicht am ehesten in den arabischen Emiraten. Der Frauentisch stand etwas abseits, was mir recht war, denn ein unachtsamer Augenkontakt mit dem hier eindeutig schwächeren Geschlecht hätte sicher zu einem abrupten Ende der Gastfreundschaft führen können. Die uns direkt zugeordneten tschetschenischen Begleiter waren äußerst höflich und kultiviert und passten ganz und gar nicht zum Stereotyp des muskulösen Machos. Aber die anderen hochrangigen Gäste, alles einheimische Tschetschenen, vermieden jeden freundlichen Blick gegenüber uns Fremden, von der überall postierten Hundertschaft der schwarz gekleideten Kadyrowtsys mit Kalaschnikows ganz zu schweigen. Sie wirkten ausnahmslos wie eineiige Zwillinge der bösen Brüder von der Tankstelle, Klon-Vorlage Rambo.

Die Musik war ein unerwartet harmonischer Kontrast: Melodiöse, eingängige, gefühlvolle Liebesballaden, vorgetragen von wunderschönen Frauen mit Kopftuch und langen Gewändern. Meine Favoritin wurde Tamila Sagaipowa, die damals die lokalen Charts mit ihrer aktuellen Ballade „Yogu So“ anführte und deren Songs ich mir bis heute gern auf YouTube anhöre. Überhaupt hat der gesamte Kaukasus eine wunderbare Musikkultur, wie ich bereits früher in Georgien und Armenien feststellen konnte.

Harald bekam für seine Firma einen attraktiven Auftrag zum Bau eines islamischen Museums, wo hinter Panzerglas religiöse Artefakte ausgestellt sind, zum Beispiel ein Barthaar des Propheten oder unbezahlbare frühe Ausgaben des Korans. Glanzpunkt der Sammlung ist eine 1500 Jahre alte Trinkschale vom Religionsstifter Mohammed persönlich, die Ramsan Kadyrow für angeblich 200 Millionen Dollar aus Privatbesitz in London ersteigerte und die jetzt in einem österreichischen Hightech-Safe steht, der ähnlich wie die Kaaba in Mekka mit schwarzem Leder und massiv goldenen Lettern bespannt ist. In James-Bond-Manier wird die teure Preziose zu islamischer Musik automatisch ausgefahren. Die enorme Bedeutung dieses sakralen Gegenstands für die Muslime allgemein und die Tschetschenen im Besonderen kann man kaum ermessen. Nach der Ankunft im Privatjet wurde die Schale im offenen Rolls-Royce und einem gigantischen Autokorso mit mindestens zweihundert schwarzen Limousinen und Kennzeichen K durch die Stadt gefahren. Vor der großen Moschee durften Kadyrow und wenige ausgewählte Gefährten aus der heiligen Schale einen Schluck Wasser trinken. Sie weinten alle ausnahmslos, die sonst so harten Burschen.

Der Islam spielt im tschetschenischen Alltag eine wichtige Rolle, was man unschwer an den zahlreichen Gotteshäusern erkennt. Die angeblich größte Moschee Europas befindet sich in Grozny. Unsere lokalen Begleiter und Freunde sind ausnahmslos und von Herzen tief gläubig. Niemals fühlt man sich jedoch von deren Glaubensbekenntnis bedrängt. Die Tschetschenen zeigen deutlich mehr Toleranz gegenüber Nichtmuslimen als die Araber in Abu Dhabi oder gar in Saudi-Arabien. Für Ausländer lässt sich Alkohol finden. Frauen tragen nicht unbedingt Kopftuch und auch kürzere Röcke werden toleriert. Was die immer noch aktiven Rebellen in den Bergen zu gelegentlichen Terrorattacken für ein noch fundamentalistischeres System und eine Abspaltung der Republik motiviert. Vermutlich geht es dabei aber eher um ausländische Interessen gegen die Stabilität des russischen Kaukasus sowie die Macht von Putin und Kadyrow. Im Gegensatz zu unserer vorherrschenden Medienmeinung halte ich die gemeinsame Politik dieser beiden Staatschefs für gelungen und beiden Volksgruppen in hohem Masse dienlich. Obwohl ich mehrfach, selbst im Flugzeug aus Grozny kommend, von Europäern wie Tschetschenen kritisch auf die Sorgen der Untertanen mit ihrem kontroversen Führer angesprochen wurde, glaube ich, dass seine harte Disziplinierung in gewissem Maße unausweichlich war, um dieses äußerst stolze, eigensinnige und beinahe unregierbare Volk wieder in eine funktionierende Staatsform zu bringen. Hätte es wohl irgendein anderer Tschetschene besser hinbekommen?

Seit jener ersten überraschenden Reise nach Grozny war ich nun ein halbes Dutzend Mal in Tschetschenien, um Haralds Firma freundschaftlich beim Aufbau zu unterstützen. Zweimal reiste ich sogar die 4.000 Kilometer über Land von Deutschland über die Ukraine an, und einmal über den Gebirgspass von Georgien her. In dieser Gegend kommen mir meine türkischen Sprachkenntnisse zur Hilfe. Fast niemand spricht in Russland Englisch oder andere europäische Sprachen. Aber im Kaukasus gibt es insbesondere in der Oberschicht viele, die während der Kriegsjahre im ersten Tschetschenienkonflikt in Istanbul studiert haben und daher fließend Türkisch sprechen.

Teile der Entourage von Kadyrow, darunter sein engster Cousin Amrudi, der heutige Tourismusminister, – ja, das gibt es jetzt wirklich –, oder seine Manager Ziya und Yusuf sind zu meinen persönlichen und vertrauten Freunden geworden, die ich auch gerne im Gegenzug durch Deutschland geführt habe. Das sind bestens gekleidete, intelligente und kultivierte Menschen, die nur ganz selten mal ein wenig anders ticken als wir. Die Liebe zu meinem Hund ist ihnen vielleicht ein wenig unverständlich oder dass die Frauen bei uns so sehr die Hosen anhaben und dass die Toiletten in Deutschland ohne zusätzlichen Wasserhahn so unhygienisch sind. Auch die verbreitete Pornografie oder gar Swingerclubs stoßen bei diesen Männern auf wirklich tief empfundene, ja schockierte Ablehnung. Ein amüsanter Kulturschock der anderen Art ereignete sich bei einem Gegenbesuch meiner tschetschenischen Freunde in München: In einem großen Jagd- und Waffengeschäft, irgendwie doch immer ein zwingender Programmpunkt für die Tschetschenen, wollten meine Gäste urplötzlich zum islamischen Gebet schreiten. Einer hatte sich bereits hinter einem Tresen im Untergeschoss des größten deutschen Jagdhändlers zu seiner Andacht bereit gemacht, da teilte ich dem Verkäufer den ungewöhnlichen Gästewunsch mit, in der sicheren Erwartung, dieser würde die Polizei rufen und der Vorfall stünde am nächsten Tag in der BILD-Zeitung. Weit gefehlt. Das Waffengeschäft ist besonders erfolgreich bei russischen Gästen und an Kunden aus fremden Kulturkreisen gewöhnt. Wir bekamen einfach einen separaten Raum zugeteilt und das tschetschenische Korangebet in der Münchener Kanonenkammer war ein völlig unspektakulärer Vorgang ohne jedwede Irritation auf der einen wie auf der anderen Seite.

Für meine eigenen geschäftlichen Interessen konnte ich den Präsidenten Kadyrow einmal zum Formel-1-Grand Prix nach Abu Dhabi einladen. Ich würde „Visit Grozny“ gerne als Werbebanner in die Formel 1 bringen. Das wäre eine perfekte Plattform, um die positive Entwicklung seiner Republik nach außen zu kommunizieren. Außerdem ist der Präsident ein begeisterter Sammler schneller Autos, bis hin zu seltenen Sondermodellen wie dem Lamborghini Reventón, von dem es weltweit nur 22 Exemplare gibt. Leider war die Zeit für so einen Deal noch nicht reif. Nur ein einziges kleineres Formel-1-Team war bereit, die Delegation aus Tschetschenien zu empfangen. Das Image der früher so kriegerischen Kaukasusrepublik ist und bleibt einfach noch zu kontrovers. Ganz in Ordnung ist diese Sichtweise nicht, denn es handelt sich um eine einzigartige Aufbauleistung, die Kadyrow für sein Land gemeistert hat. Tschetschenien war vor Kadyrow ein von Warlords zerrissenes Kampfgebiet mit brutalster Kriminalität. Die Häuser zu Ruinen zerbombt. Die Bevölkerung von den Russen gehasst. Die tschetschenische Mafia im ganzen Riesenreich gefürchtet. Da Russland den nördlichen Kaukasus aus militärstrategischen Gründen niemals in die Unabhängigkeit entlassen kann, war der Schulterschluss zwischen Putin und Kadyrow die einzige sinnvolle und vor allem menschenschonende Lösung. Bei all meinen Gesprächen vor Ort hatte ich nie den Eindruck, dass dieser Burgfrieden brüchig sein könnte. Russlands starker Mann Putin genießt definitiv Respekt in seinem Riesenreich.

Die Tschetschenen mit ihrer besonders freiheitsliebenden und manchmal kompromisslosen Mentalität brauchen einen charismatischen Führer wie Kadyrow. Putin und Kadyrow brauchen sich gegenseitig. Der Westen mag über diese erfolgreiche Kooperation unglücklich sein und äußert sich dementsprechend gern abfällig. Wie in jedem System mag es intern Verlierer geben, die über ausländische Kanäle Unmut äußern. Angebliche menschenverachtende Züge dieser Staatsführer halte ich deshalb teilweise für schwarze Propaganda. Von Westlern, die selbst alles andere als blütenweiß sind. Zum heutigen Zeitpunkt, vier Jahre nach meinem Erstbesuch, gilt Grozny in russischen Statistiken als modernste und sicherste Stadt im ganzen Land. Die anfänglich waffenstrotzende Rambo-Atmosphäre wurde von Kadyrow bewusst auf null heruntergefahren. In London oder New York, mit seinen allgegenwärtigen „Sicherheitskräften“ mit Maschinenpistole und kugelsicherer Weste fühlt man sich jetzt eher in einem Kriegsgebiet als in Grozny. Inzwischen gibt es nagelneue Wolkenkratzer, modernste Wohngebäude und schicke Shopping-Center mit ordentlichen Restaurants. Im „Steakhouse“ hängen an den Wänden tatsächlich Porträtfotos von amerikanischen Präsidenten und Außenministerinnen. Kirchen und eine Synagoge gibt es sowieso. Tschetschenien ist eine wirklich außergewöhnliche Mischung aus Papua, Palermo, Abu Dhabi und Monte Carlo geworden. Der Reiz dieses kleinen Landes für den Reisenden ist von ganz besonderer Natur. Er geht nicht von Landschaften aus oder von Bauwerken, sondern von völlig ungewöhnlichen Menschen. Es ist vielleicht die brachiale Körperlichkeit, das Brüllen der Sprache, die Unberechenbarkeit, der Freiheitsdrang, gepaart – nicht wie so oft mit tumber Wildheit – sondern mit einer scharfsinnigen Kultiviertheit. Ich fühle mich dort wie ein kindlicher Superheld, der allein in ein Gebirgstal mit angeblich menschenfressenden Löwen gegangen ist und ausgerechnet hier Artgenossen gefunden hat, eine gemeinsame Sprache, Tiefgang, Respekt und Freundschaft.

Mit Präsident Ramsan Kadyrow und bestem Freund Harald in Grozny, Tschetschenien

Die neue, ultramoderne Skyline von Grozny

In Zeila, Somaliland/Somalia

Fahrzeugkontrolle nach Mitternacht in Sambia nahe der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo

„Das Ende der gefährlichen Zone“ – irgendwo mitten in Afrika

Traumstraßen tief im Inneren von Angola

Zwischen Minenfeldern und Panzerwracks im Südsudan

Auf der „Straße der Hoffnung“ im östlichen Mauretanien

Temporäre Winterstraße über den Aldan-Fluss auf der Kolyma-Knochenstraße in Ostsibirien, bei -50°C

In der Innenstadt von Magadan, Ostsibirien, nach 20.000 km Fahrt

Unmenschliche Entfernungen auf der Transsibirischen Fernstraße, hier nahe dem Baikalsee

Am Tor zur Hölle, dem Gaskrater von Derweze in der turkmenischen Karakumwüste, der seit 1971 unaufhörlich brennt

Der Autor mit seinem Idol Peter Scholl-Latour im Adlon Hotel Berlin

Mit dem vormals reichsten Mann der Welt, Adnan Kashoggi, in Rom

Während des Arabischen Frühlings (Mai 2011) mit Rebellen vor dem Tibesti Hotel in Bengasi, Libyen

Offroad durch das grandiose Okavango-Delta in Botswana

AUF DIE HARTE TOUR

„Der Durchschnittsmensch der mit seinem Leben nichts anzufangen weiß, hätte gerne ein anderes, das unendlich Ist.“

– Anatole France

Irgendwoher hatte ich bereits früh ein Faible für Kriegsund Krisengebiete. Dabei stand für mich immer der persönliche Erkenntnisgewinn im Vordergrund und keinesfalls irgendeine Lust auf Tod und Teufel. Ich bin definitiv kein Totenkopfschwärmer. Niemals motivierte mich eine billige oder gar makabre Sensationsgier. Die absolute Frontlinie, Kugelhagel oder Leichenbeschau waren für mich Tabuzonen. Vielmehr genoss ich die Hintergrundgespräche im besten Hotel am Ort, das fast immer ein sicherer Hafen ist, zum Beispiel für die internationalen Berichterstatter, einheimische Politiker und Geschäftsleute. Ich liebe diese ganz besonderen Herbergen, deren Wände Geschichten erzählen könnten. Der Journalist und Buchautor Erich Follath hat sie in seinem gleichnamigen Buch einmal eine Mischung aus „Himmelbett und Höllenangst“ genannt. Vermutlich stammt meine Faszination für diese ganz besondere Atmosphäre aus meiner Jugendzeit, als ich mit meinen Eltern, die im auswärtigen Dienst tätig waren, sechs Jahre in Istanbul verbrachte. In der schwierigsten Zeit des Militärregimes Anfang der Achtzigerjahre, mit abendlicher Ausgangssperre, Schießbefehl ab 22 Uhr und sogar einer Bombe in der deutschen Botschaftsschule. Meine größte Freude als Elfjähriger war es, mit Eltern und Schwester zum sonntäglichen Brunch in einem von nur zwei internationalen Hotels einzukehren, dem Hilton, bis heute mein Lieblingshotel in der Stadt am Bosporus, und dem Sheraton, das jetzt Ceylan Interconti heißt. Noch immer suche ich mit Vergnügen diese Mischung aus harter Umgebung und luxuriöser Oase. Auch wenn das alte Konstantinopel im positiven Sinne explodiert ist, wahrscheinlich dreimal so viele Einwohner hat wie noch vor 30 Jahren, und es mittlerweile deutlich renommiertere Adressen in Istanbul geben mag, so fühle ich mich insbesondere in dem großen Fünfzigerjahre-Bau des Hilton Istanbul bis heute gut aufgehoben. Durch die vielen nachfolgenden Auslandsaufenthalte, unter anderem mit längeren Stationen in Madrid, Alma-Ata, Martinique, Kuala Lumpur und Monaco, habe ich nirgendwo einen geografischen Heimatbezug entwickelt. Heimat ist für mich ein Nullpunkt. Mit der Bewegung beginnen die Temperatur und das Leben. Der Begriff Heimat mag manchen Menschen besonders wichtig sein. Mir tun diese Zeitgenossen eher leid. Was bestimmt auf Gegenseitigkeit beruht. Wenn ich mich eines Tages irgendwo heimisch fühlen werde, bin ich wahrscheinlich gerade gestorben. Mein Weg führte mich freiwillig in alle Krisenherde und Länder, die gemeinhin als gröbere Brocken gelten. Ein paar kleine Geschichten von der harten Tour habe ich mitgebracht.

Trip 1

ZUM ARABISCHEN FRÜHLING NACH BENGASI, LIBYEN

Erkenntnis: „Eine No-Fly-Zone bedeutet Fliegen für die einen – und Sterben wie die Fliegen für die anderen.“

Schwierige Erreichbarkeit: ***

Schwierigkeitsgrad vor Ort: ***

Gefährdungsgrad: ***

Bestes Hotel: Tibesty Hotel ****

Beste Anreise: Damals nur über Land von Kairoaus.

Das alte Libyen zu Zeiten Oberst Gaddafis hatte mich bereits einmal unfreundlich behandelt. An der Grenze von Ras Ajdir nahe dem tunesischen Touristenort Djerba wurde ich abgewiesen, trotz meines vorher eingeholten Visums, da sich mein Reisedatum um eine Woche nach hinten verschoben hatte. Man lehnte mich aufgrund meines „ungewöhnlichen Reiseverhaltens“ („unusual travel pattern“) eiskalt ab. In der brütenden Hitze dieses kleinen Küstenstädtchens versuchte ich cool zu bleiben und zog zwei Stunden lang alle Register. Ob Bakschisch oder wichtige Bekannte, es half kein Bitten und kein Betteln. Vorher war mir dies bereits einmal in Syrien passiert, wo ich fünf Stunden an der Grenze festhing und mir als bekennender Ländersammler die Grenzer immerhin gnädig den Länderpunkt gestatteten, indem ich um das Zollhaus herumwandern durfte, was die absolute Minimalbedingung in einem meiner Reiseclubs für Ländersammler darstellt. Oder in Angola, wo es zum Glück hundert Kilometer weiter noch einen anderen Grenzübergang gab, der mit einem etwas toleranteren Zöllner besetzt war. Und erstaunlicherweise auf dem Landweg ins zivilisierte Ghana, wo ich stattdessen umständlich per Flugzeug aus dem direkt benachbarten Togo reinhüpfen musste.