Ich will verstehen, was du wirklich brauchst - Frank Gaschler - E-Book
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Ich will verstehen, was du wirklich brauchst E-Book

Frank Gaschler

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Beschreibung

Für ein gestärktes Einfühlungsvermögen

Gewaltfreie Kommunikation in Familie, Kindergarten und Schule bedeutet: sagen, was mich stört, ohne dabei Vorwürfe zu machen, und dem anderen offen zuhören. Erwachsene und Kinder lernen damit, Entscheidungen zu treffen und sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. In diesem Buch finden Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen viele konkrete Ideen, wie sie ein harmonisches Verhältnis zu den Kindern entwickeln und Wege, in liebevoller Verbindung zu bleiben, auch wenn es mal anstrengend wird. Sie lernen zu verstehen, was Kinder mit ihrem Verhalten ausdrücken wollen und wie man Konflikte so löst, dass jeder bekommt, was er braucht. Mit dem Projekt »Giraffentraum«, um es in der Kita durchzuführen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 276

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Alle Menschen, auch kleine Kinder, können lernen zu sagen, was sie brauchen, und zu hören, was ihr Gegenüber braucht. Dann können alle Beteiligten gemeinsam nach Lösungen suchen, damit es allen gut geht.

In diesem Buch zeigen Frank und Gundi Gaschler, zertifizierte Trainer für Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg, wie ein achtsamer, klarer und Orientierung gebender Umgang mit Kindern erlernt und gelebt werden kann. Sie spannen einen Bogen vom wertschätzenden Umgang in der Familie über die Einführung der Gewaltfreien Kommunikation in der Kinderbetreuung durch das Projekt »Giraffentraum« bis hin zu den Anforderungen der Bildungspläne deutscher Länder.

Dabei geben sie zahlreiche Anregungen und Beispiele, wie Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen mit Kindern eine harmonische Beziehung aufbauen und sie auf dem Weg ins Leben einfühlsam begleiten.

Frank Gaschler, geb. 1967, ist Sozialpädagoge, zertifizierter Trainer für Gewaltfreie Kommunikation (CNVC), Assessor für den Zertifizierungsprozess des CNVC, Coach und systemischer Mediator in Unternehmen und Organisationen. Von 2004 bis 2014 war er als Sozialpädagogischer Begleiter an einem privaten Gymnasium tätig. Seit 2004 leitet er Kurse für Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg u.a. für Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen sowohl im deutschsprachigen als auch im internationalen Raum.

Gundi Gaschler, geb. 1967, ist Diplompsychologin, Coach, zertifizierte Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg (CNVC) und unter anderem Autorin des Buches »Herr Rosenberg und die Kaffeetasse«.

Beide haben langjährige Erfahrungen im Bereich der Eltern-Kind-Arbeit, in Kindergärten und an Schulen. Gemeinsam entwickelten sie das Projekt »Giraffentraum« zur Einführung der Gewaltfreien Kommunikation in Kindergärten. Sie wohnen zusammen in Hohenlinden bei München.

Frank Gaschler · Gundi Gaschler

Ich will verstehen, was du wirklich brauchst

Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern

Das Projekt Giraffentraum

Mit einem Vorwort von Marshall B. Rosenberg

Kösel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Im Buch ist an vielen Stellen von »Erzieherin«, »Lehrer« oder anderen Berufsgruppen die Rede, die zur besseren Lesbarkeit in nur jeweils einem Geschlecht genannt sind. Das andere Geschlecht ist dabei aber natürlich immer mitgemeint.

Copyright © 2020 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Cover: Weiss Werkstatt München

Coverillustration: © Hinterhaus Productions/gettyimages

Innenillustration: Fotos s. hier © Frank Gaschler / s. hier © Studioline.de; Giraffenillustration ® Frank Gaschler / Illustrationen s. hier / s. hier / s. hier / s. hier / s. hier / s. hier / s. hier / s. hier / s. hier / s. hier / s. hier / s. hier © Clipart / Gefühlskarten s. hier © Frank Gaschler

Redaktion: Sonia Gembus

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-25846-7V003

www.koesel.de

Inhalt

Vorwort von Marshall B. Rosenberg

Vorwort von Isolde Teschner

Einführung

Was Sie in diesem Buch finden

Zwölf Jahre später

Wie soll die Beziehung zu meinem Kind sein?

Verstehen und verstanden werden

Der Schritt in den Kindergarten

Wurzeln und Flügel

Gewaltfreie Kommunikation: In vier Schritten zum Verständnis

Die Symbole der Gewaltfreien Kommunikation

Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation

Über Konflikte und: »Wer trägt eigentlich die Verantwortung für meine Gefühle?«

Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation

Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern

Gibt es einen Unterschied zwischen GFK mit Kindern und mit Erwachsenen?

Ab welchem Alter funktioniert die GFK?

Ab welchem Alter der Kinder kann ich aufrichtig sein?

»Empathy first« oder »honesty first«?

Eltern als Lotsen und Spiegel

Versteht das Kind meine Worte überhaupt?

Muss man immer »gewaltfrei« sein – oder darf man auch mal Grenzen setzen?

Warum sagen Kinder (und andere Menschen) »Nein«?

Der tägliche Kampf ums Zähneputzen

Was mache ich mit einem »aggressiven Kind«?

Einsatz von schützender Gewalt

Muss immer alles diskutiert werden?

Gibt es mit GFK auch so etwas wie Disziplin?

Selbstdisziplin: Gut für mich selbst sorgen

Sind die Bedürfnisse der Kinder wichtiger als die der Erwachsenen?

Bedürfnisse verhandeln

Das Projekt Giraffentraum

Hintergrund

1. Einheit: Die Babygiraffe hat sich verlaufe

2. Einheit: Wie fühlt sich die Babygiraffe?

3. Einheit: Was braucht die Babygiraffe?

4. Einheit: Welche Bitte hat die kleine Giraffe an uns?

5. Einheit: Wir feiern ein Fest: Die Mamagiraffe kommt

Vertiefungsübungen zur Beobachtung

Vertiefungsübungen zu den Gefühlen

Vertiefungsübungen zu den Bedürfnissen

Vertiefungsübungen zu den Bitten

Vertiefungsübungen zu Prozessen der GFK

Projektelemente, Zeitrahmen und Ablauf

Gewaltfreie Kommunikation und die Bildungspläne der Länder

Maßnahmen für einen gewaltfreien Umgang im Kindergarten

Anhang

Danke…

Anmerkungen

Ein Gebet für Kinder

Wer wir sind: Über die Autoren

Giraffenträumer suchen Partner

Weiterführende Links

Vorwort von Marshall B. Rosenberg

Ich ging 21 Jahre lang zur Schule bzw. zur Universität, und ich kann mich nicht erinnern, dass mich jemals jemand gefragt hätte, wie ich mich fühle oder was ich brauche. Stattdessen lehrten sie mich Dinge wie »richtig« und »falsch«, »gut« und »schlecht«, um in ein System zu passen, das Menschen anhand dieser Standards bewertet.

Ich empfehle das Projekt »Giraffentraum« ErzieherInnen, Lehrkräften, Eltern und Kindern als einen Weg, um uns gegenseitig zu helfen, das eine zu tun, was wir alle am liebsten tun:

das Leben der Menschen zu bereichern!

Marshall B. Rosenberg starb am 7. Februar 2015.

Traurig, bewegt, in tiefer Dankbarkeit und voller Demut

über dein Lebenswerk.

In Freude, dich kennengelernt zu haben.

See you in the field beyond right and wrong doing!

Vorwort von Isolde Teschner

Wenn wir unseren Kindern vorleben,

wie sie für sich sorgen,

ohne andere zu verletzen,

lernen sie alles,

was sie zum Leben brauchen.

Dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch das Konzept »Giraffentraum«, das Frank und Gundi Gaschler entwickelt haben. Das heißt, wenn Kinder von klein auf in einem Umfeld aufwachsen, das auf den Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation aufbaut, dann wäre das ein großer Schritt zu mehr Mitgefühl, Gemeinsamkeit und Frieden auf der Welt.

Im Leben mit Kindern stehen wir immer wieder vor neuen Fragen und Herausforderungen. Auch wenn wir wissen, dass es keine Patentrezepte gibt, so brauchen wir dennoch etwas, an dem wir uns orientieren können.

Wie dieses Buch aufzeigt, liegt diese Orientierung in der inneren Verbindung zu den Kindern, die uns anvertraut sind. Wenn wir gegenwärtig und einfühlend in Kontakt mit ihnen sind, erwächst ihnen durch diese Beziehung die Kraft, in dieser Welt anzukommen und ihren eigenen Weg darin zu finden. Das Konzept »Giraffentraum« kann ErzieherInnen und Eltern dabei unterstützen, mit Kindern eine harmonische Beziehung aufzubauen und sie auf dem Weg ins Leben einfühlsam zu begleiten.

Isolde Teschner

Zertifizierungstrainerin für Gewaltfreie Kommunikation

Isolde Teschner starb am 30. Januar 2017.

Dein Wohnzimmer und dein Garten waren Orte der Gemeinschaft und Unterstützung, deine Sehnsucht, Kinder zu retten, ein Ort der Inspiration und Motivation.

Einführung

»Ich muss gar nix – ich kann mich entscheiden!

Und außerdem bin ich ein Mensch!«

Unsere Tochter Elia erwiderte diese zwei Sätze mit dreieinhalb Jahren ihrer Erzieherin im Kindergarten, nachdem diese sagte: »Du musst jetzt aufräumen.« Was folgte, waren lange Elterngespräche mit den ErzieherInnen und für uns eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage, wie »gewaltfrei« wir unsere Kinder erziehen wollen.

Meine Frau Gundi und ich beschäftigten uns schon seit einiger Zeit intensiv mit dem Thema Erziehung – nicht nur, weil wir Eltern sind, sondern auch, weil wir Elternkurse (»Starke Eltern – Starke Kinder®«) gaben. In den Kursen und auch zu Hause begegneten uns dabei immer wieder die Fragen, wie wir Grenzen setzen, wie wir Konsequenzen aufzeigen und auch selbst durchhalten können und vor allem die Frage: »Wie viel Orientierung braucht das Kind?«. Der Grundtenor der meisten Erziehungsseminare und Elternratgeber, die wir – vor allem Gundi – damals lasen, war: »Gib deinem Kind Orientierung, damit es sich später für das Richtige entscheiden kann.«

Das klang einfach und auch gut vermittelbar. In der Realität war es allerdings nicht so simpel. Das Orientierunggeben war nicht ganz so leicht, weil Marie (unsere ältere Tochter) und Elia es nicht immer annahmen. Dass die Kinder sich »später« richtig entscheiden würden, war etwas unbefriedigend, wenn »jetzt« das Zimmer immer noch unaufgeräumt war, und auf die Frage, was das »Richtige« sei, habe ich ja selbst für mein eigenes Leben bisher auch noch keine endgültige Antwort gefunden.

Im Zuge ihrer Tätigkeit als Elternkursleiterin stieß Gundi eines Tages auf Marshall B. Rosenbergs Buch Gewaltfreie Kommunikation1 und krempelte damit so einiges in unserer Familie um. In Windeseile verbreitete sie die Idee, es gäbe so etwas wie richtig und falsch nicht, niemand sei für die Gefühle anderer verantwortlich und man bräuchte sich nicht zu entschuldigen, noch dazu, weil es so etwas wie Schuld nicht gäbe. Außerdem: »Man muss gar nix!«

Mein Weltbild drohte einzustürzen! Ich hatte ja schon so einiges mitgemacht: Habe Ich-Botschaften gesendet, Familienkonferenzen abgehalten, positive Formulierungen gefunden und Doppelbotschaften vermieden. Aber jetzt das? Wenn es weder richtig noch falsch gibt, wo bleibt dann die Orientierung? Wenn jeder für seine Gefühle selbst verantwortlich ist, wo bleibt dann das Miteinander, und wenn es keine Schuld gibt, dann kann ja jede tun, was sie will. Was ich hingegen annehmen konnte, war, dass ich nichts muss – schon gar nicht das Buch über Gewaltfreie Kommunikation selbst lesen! Mein Bedürfnis nach Autonomie war damals sehr ausgeprägt. Trotz aller Gegenwehr blieb mir die Veränderung jedoch nicht verborgen. Im Gegensatz zu mir sogen die Kinder den Paradigmenwechsel in unserer Familie mit jeder Pore auf. Nicht, dass Gundis Erziehung plötzlich erfolgreicher wurde – die Kinderzimmer wurden durch den Einsatz der Gewaltfreien Kommunikation auch nicht selbstverständlicher aufgeräumt als durch meinen Belohnungs-, Bestrafungs- und Orientierungsansatz. Was sich veränderte, war vor allem die Beziehung untereinander. Sie erschien mir zunehmend entspannter und vertrauter. Die Lautstärke, mit der Auseinandersetzungen geführt wurden, nahm deutlich ab. Wutausbrüche, Tränen und Gewalt zwischen den Kindern kamen seltener vor, wenn Gundi sich um die Kinder kümmerte, als wenn ich das tat.

Seit mir klar geworden ist, dass ich nicht nur die Rolle »Papa« verkörpere, sondern auch ein Mensch bin, der Bedürfnisse haben darf – und diese auch sättige –, hat sich in unserer Familie sehr viel verändert. Es ist ein Miteinander anstatt ein aufopferndes Füreinander. Ich gebe, weil ich es tun will, und nicht, weil ich muss. Wenn ich nicht bereit bin, es zu geben, dann gibt es vielleicht jemand anderes. Wenn ich es tue, dann ist es ein Geschenk – ohne Gegenleistung, Verpflichtung oder Schuld. Es ist mir eine Freude zu schenken, und ich genieße es, sehen zu können, wie herrlich ich täglich von meinen beiden Mädchen genauso beschenkt werde.

Heute halte ich die Absicht, mit der wir miteinander kommunizieren, für den Schlüssel zur Haltung der Gewaltfreien Kommunikation schlechthin. Reden wir miteinander, um die eigenen Ziele zu erreichen, Recht zu bekommen, zu überzeugen, zu gewinnen? Oder wollen wir verstanden werden und den anderen verstehen? »Worum geht es mir eigentlich, wenn ich mit dir rede?«

Und dabei wirkte sie auf mich sogar noch wesentlich ausgeglichener und zufriedener. Bei den Kindern nahm ich auch wahr, dass sie an Stellen, an denen wir normalerweise in den üblichen Nein-doch-Spielchen endeten, eine Art Neugier entwickelten. Die gipfelte in einer Autofahrt, bei der ich Elia anmotzte, weil sie mit ihrer Brezel auf den Boden gebröselt hatte, und Marie mich fragte: »Papa, worum geht’s dir eigentlich?«

Langsam wurde ich neugierig und erkannte, dass die Gewaltfreie Kommunikation ein nützliches Mittel für die Kindererziehung ist. Allerdings ging Gundi weiter und fragte auch mich nach meinen Gefühlen und Bedürfnissen. Öl ins Feuer! Wollte sie mich jetzt auch erziehen oder vielleicht sogar therapieren? Hatte sie jetzt für unser altes Spielchen »Wer kommuniziert besser« ein neues Mittel – eine Geheimwaffe – entdeckt, mit der sie mich manipulieren und davon überzeugen wollte, dass sie recht hatte? Ich war ziemlich wütend. Einerseits, weil ich unsicher wurde, indem ich merkte, dass sie mich verstand, obwohl ich doch ganz andere Worte gesagt hatte, und andererseits, weil ich ohnmächtig war in der Idee, dass sich das Gleichgewicht zwischen uns verschieben könnte. Insgesamt hatte ich höllische Angst davor, sie könnte mit der Gewaltfreien Kommunikation unsere Beziehung kaputt machen. Es folgte eine Phase hochemotionaler, kontroverser Diskussion.

Die Wende kam, als mir Gundi erklärte, worin ihre Absicht lag. Für sie sei die Gewaltfreie Kommunikation das beste ihr im Moment zur Verfügung stehende Mittel, um uns miteinander in Kontakt zu bringen, um uns gegenseitig zu verstehen und um unsere Beziehung und Partnerschaft zu stärken. Ihre Intention läge darin, etwas für unsere Beziehung zu tun, nicht dagegen. Ihr Lernen und Wachsen mit mir zu teilen, war eine Einladung, den Weg gemeinsam zu gehen.

Ich beschloss daraufhin, das GFK-Buch zu lesen – erst einmal heimlich. Was mich ansprach, waren Marshalls Geschichten – der Humor und die Leichtigkeit und gleichzeitig die Tiefgründigkeit und Wärme, mit der er erzählt. Ich wollte mehr wissen, besuchte ein Einführungsseminar und Übungsgruppen. Wir integrierten die GFK in unsere Elternkurse und entschlossen uns, gemeinsam an einer GFK-Trainerausbildung teilzunehmen.

In diesem Zeitraum bekamen wir eine Anfrage von einer Elternbeirätin aus Elias Kindergarten, ob wir ein Gewaltpräventionsprogramm kennen oder durchführen können. Ihr Wunsch war, die Kinder stark zu machen für den kommenden Lebensabschnitt. Sie fühlte sich ohnmächtig angesichts der Instanz Schule und war besorgt um ihren Sohn. Um ihn vor schmerzlichen Erfahrungen zu schützen, wollte sie ihm etwas als Unterstützung und Kraftquelle mitgeben. Da wir gerade nach Wegen suchten, um unseren neuen und reichen Erfahrungsschatz nicht nur in Elternkursen, sondern auch gezielt an die Kinder weiterzugeben, entstand die Idee, das Projekt »Giraffentraum« zu entwickeln – mit dem Ziel, die Kinder zu stärken.

»Als ich den ›Giraffentraum‹ las, war ich tief berührt, weil er mich an das erinnert hat, warum ich irgendwann einmal die Ausbildung zur Erzieherin gemacht habe: Ich wollte Kinder so sehen, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten.«

Sabine, Erzieherin

Im Lauf der Konzeption zeigte sich anhand der neuen Bildungspläne, dass es in vielen Kindergärten einen Bedarf gibt nach empathischem Umgang, lebensdienlicher Kommunikation, Leichtigkeit und Aufrichtigkeit. Im April 2005 stellten Gundi und ich mit Hilfe von Sara Hartmann und Barbara Friedlein das Konzept »Giraffentraum« fertig und führten es in Kindergärten in Karlsfeld und Dürmentingen durch. Die Offenheit, das Engagement und die Begeisterung, mit der die ErzieherInnen über ihre Erfahrungen mit den Kindern, den Eltern und innerhalb der Teams berichteten, und all die Erkenntnisse und Veränderungen, die unsere Arbeit dort bewirkt hat, beflügelten uns, weiterzumachen und Projekte in vielen anderen Kindergärten durchzuführen. Diese Ergebnisse finden sich wieder in der Diplomarbeit »Gewaltfreie Kommunikation im Kindergarten – Eine empirische Untersuchung zur Umsetzung des Konzeptes ›Giraffentraum‹ an fünf Kindergärten« von Anne Jaschke (TU Dresden, 2007). Die im Rahmen dieser Untersuchung befragten ErzieherInnen benannten unterschiedliche, jedoch nur positive Auswirkungen auf die Kinder und die gesamte Einrichtung. (Einige ihrer Aussagen finden Sie im Buch zitiert.) Anne Jaschke kommt zu folgendem Schluss: »Es gibt zahlreiche Überschneidungen zwischen den untersuchten Bildungszielen der Bildungspläne von Sachsen und Bayern und den Intentionen des Projektes ›Giraffentraum‹. Viele Lernziele der Bildungspläne in den Bereichen Konfliktlösekompetenzen, soziale Kompetenzen und kommunikative Kompetenzen können mit dem Projekt ›Giraffentraum‹ erreicht werden. Damit stellt es ein geeignetes Handwerkszeug dar, um die Empfehlungen der Bildungspläne in die Praxis umzusetzen.« Gemeinsam mit anderen Trainerinnen und Trainern arbeiten wir daran, dass die Gewaltfreie Kommunikation immer mehr Kindergärten, Kindertagesstätten, Schulen und Familien erreicht, dass sie in die ErzieherInnen- und LehrerInnenausbildung integriert wird und dass Eltern in Seminaren Unterstützung und Anregungen bekommen.

Was Sie in diesem Buch finden

In dem vorliegenden Buch wollen wir darstellen, wie die Beziehungen innerhalb von Familien und Kindergärten auf einer wertschätzenden und lebendigen Basis stehen können. Danach beschreiben wir die Gewaltfreie Kommunikation als eine Möglichkeit, dies zu erreichen (zweites Kapitel), und zeigen, wie in dieser Haltung mit Kindern im Kindergartenalter kommuniziert werden kann (drittes Kapitel). Im vierten Kapitel stellen wir das Konzept »Giraffentraum« als Beispiel vor, wie Gewaltfreie Kommunikation in Kindergärten eingeführt werden kann, und verdeutlichen Bezüge zu den Anforderungen der aktuellen Bildungs- und Erziehungspläne.

Dieses Buch ist an vielen Stellen in der Ich-Form geschrieben, da der Prozess der Umwandlung von Erlebtem, Reflektiertem und Erlerntem in Geschriebenes hauptsächlich von mir (Frank) vollzogen wurde. Dennoch ist es mir sehr wichtig, dass wir gemeinsam, Gundi und Frank, als Autoren dieses Buches erscheinen. Ich sehe die weitaus aufwändigere und wichtigere Arbeit darin, gemeinsam diese Schritte gegangen zu sein und weiterhin zu gehen. Die zu Papier gebrachten Sätze sind nur das Ergebnis unseres Austausches, der vielen Gespräche, der gemeinsamen Prozesse und unseres Lebens in der Familie. Ich möchte Gundi damit meine Dankbarkeit dafür ausdrücken, dass sie die Gewaltfreie Kommunikation in unser Leben gebracht hat, meine Wertschätzung dafür, dass sie, trotz all meines Gegenwinds, drangeblieben ist, und zeigen, dass ihr Beitrag für dieses Buch für mich mindestens gleichwertig zu meinem ist.

Zudem schildert das Buch unsere Erfahrungen in der eigenen Familie und will unsere Dankbarkeit gegenüber der Gewaltfreien Kommunikation und damit Marshall B. Rosenberg ausdrücken. Wir beschreiben darin unsere Sichtweise der Gewaltfreien Kommunikation, wie wir sie heute haben. Die Gewaltfreie Kommunikation stellt sich für uns nicht als ein starres Modell dar, sondern als eine sehr solide Basis, auf der Leben und Beziehungen von Herz zu Herz gelingen können. Gleichzeitig ist sie auch flexibel und bereit zu wachsen. Mit diesem Buch möchten wir einen Beitrag zur Stärkung der Basis und zu weiterem Wachstum leisten.

Zwölf Jahre später

Die erste Auflage dieses Buches erschien 2007 und wurde bis Oktober 2019 fast 35.000-mal im deutschsprachigen Raum verkauft und ins Koreanische, Niederländische, Polnische und Englische übersetzt. Der »Giraffentraum« hat sich dabei wohl zum verbreitetsten GFK-Projekt im Vorschulbereich entwickelt und wird durch ca. 250 Multiplikatorinnen und viele weitere engagierte Menschen in Kinderkrippen, Kindergärten und Grundschulen getragen und belebt. Ich bin total stolz und von Herzen bewegt, weil meine Sehnsucht, zum Leben von Kindern beizutragen, sich dadurch so sehr erfüllt. Das Konzept wurde an die jeweiligen Anforderungen, sowohl der Altersgruppen, aber auch an diejenigen von Sprach-, Wald-, Montessori-, Reggio-, Waldorfkindergärten oder an offene, integrative, heilpädagogische Einrichtungen angepasst. Die Gewaltfreie Kommunikation selbst ist mittlerweile zum Standard vieler Ausbildungsstätten für Pädagogen geworden und in etlichen Konzepten pädagogischer Einrichtungen wiederzufinden und zusammen mit dem »Giraffentraum« in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten evaluiert.

Analog dazu habe ich mich und – auf Basis meiner Erfahrungen – meine Art, wie ich die Gewaltfreie Kommunikation im pädagogischen oder psychologischen Kontext lehre, weiterentwickelt. Anfangs bot ich sie als Möglichkeit an, wie wir mit Kindern umgehen können. Mittlerweile halte ich sie im professionellen Kontext für ein Muss (auch wenn das in GFK-Ohren wehtut), weil ich sie für das wesentliche Tool halte, das zwischenmenschlichen Umgang ausmacht. Empathie ist der Schlüssel zum Aufbau von Beziehungen und Aufrichtigkeit der kongruenteste Weg, Kindern Orientierung und soziales Feedback zu geben. Sprachförderung, Resilienz, Konfliktkompetenzen, Kooperationsfähigkeit usw. sind keine »nice-to-have«-Themen in kindorientierten Einrichtungen, sondern Auftrag der Professionen (siehe Bildungs-, Orientierungs- und Entwicklungspläne der Kitas oder Leitlinien der Kultusministerien)! Professionalität bedeutet für mich nicht Perfektion – mir ist völlig klar, wie schwierig pädagogische Arbeit heute ist, und ich ziehe den Hut vor allen, die sich in diesem Bereich engagieren – es bedeutet vielmehr die Bereitschaft zum Lernen, zur Selbstreflexion und zur Veränderung. Mit Aussagen wie »Das haben wir aber seit dreißig Jahren so gemacht!« oder »Das ist mir aber zu anstrengend, so zu reden!« entziehen sich PädagogInnen, LehrerInnen und TherapeutInnen meines Erachtens diesem professionellen Auftrag. Professionalität bedeutet allerdings für mich auch nicht zwangsläufig Veränderung und Erneuerung. Mit dem Herzen bei den Kindern zu sein, sie willkommen zu heißen und ihnen Raum zu geben, bedürfen keiner neuen Konzepte. Genau diese Hinwendung zum Kind ist es, was ich in der Arbeit mit Kitas immer wieder vorfinde und so schätze.

Europaweit habe ich Einblick in unterschiedlichste pädagogische Einrichtungen bekommen und dabei viel von deren alltäglichen Themen erfahren, die überall ähnlich sind: von Kindern, die sich gegenseitig beißen, schubsen, hauen, die traumarisiert sind, missbraucht, krank. Von Eltern, die mehr oder weniger bereit sind, zu kooperieren, die orientierungslos und hilfesuchend sind oder die den Kindern keine Orientierung geben, die ein eigenes Verständnis von Bring- und Holzeiten haben oder die die »gesundes-Essen-Regel« einfach mit Kindermilchschnitten übergehen. Von Teamkonflikten, Fachkräftemangel, fehlender Wertschätzung, mangelnder finanzieller und räumlicher Ausstattung usw.

Im Wesentlichen treffe ich in diesen Einrichtungen Menschen mit einem riesengroßen Herzen für Kinder. Die an ihnen dranbleiben, für sie da sind, ein offenes Ohr haben und mit dem Herzen zuhören. Dort fällt die Gewaltfreie Kommunikation auf so fruchtbaren Boden, und ich liebe es, wenn sie es am Ende des Seminars kaum erwarten können, das Gelernte sofort zu Hause in der Familie und am nächsten Tag mit den Kindern der Einrichtung auszuprobieren.

Auch die Themen, mit denen Eltern sich täglich auseinandersetzen sind recht ähnlich: Zweijährige wollen kein Gemüse essen, Vierjährige nicht Zähneputzen, Achtjährige nicht ins Bett, Zehnjähriger keine Hausaufgaben machen, Zwölfjährige Zimmer nicht aufräumen, Vierzehnjährige nur noch Computer spielen und Sechszehnjährige wollen ein Tattoo. Ich freu mich zu sehen, wie viele Eltern daran arbeiten, langfristig in die Beziehung zum Partner und zu den Kindern zu investieren. Eine gute Beziehung ist nicht Glück oder Zufall, sondern meines Erachtens Ergebnis einer intensiven Arbeit und Auseinandersetzung damit.

In den zwölf Jahren hat sich auch in unserer Familie einiges gewandelt. Unsere Töchter sind zwischenzeitlich erwachsen, und ich feiere in Demut und Dankbarkeit jeden Moment, in dem wir diese beiden wundervollen Menschen begleiten dürfen. Meine Frau hat sie vor ein paar Jahren gefragt, wie sie diese Zeit mit uns und der Gewaltfreien Kommunikation erlebten und dieses Interview in ihrem Buch »Herr Rosenberg und die Kaffeetasse« abgedruckt. Darin berichten unsere Töchter sehr ehrlich, wie sie diese Zeit erlebt haben und wie sie sich darin entwickelt haben. Erntezeit.

Sonia Gembus, Lektorin im Kösel-Verlag, gab den Ansporn zu dieser Erweiterung des Buches. Sie nahm an einem meiner Seminare teil und fand es kostbar, die Praxisbeispiele aus Familien, Kitas und Schulen weiterzugeben. Also habe ich das Buch überarbeitet und stellte fest, dass ich hinter allem, was ich damals geschrieben habe, nach wie vor stehe. Ergänzt habe ich viele Beispiele, Denkanstöße oder auch konkrete Handlungsvorschläge, habe an manchen Stellen klarer Position bezogen und manchmal meine eigene Sichtweise Gewaltfreier Kommunikation betont. Manches Mal versuche ich mit Humor, ernste Themen zu beschreiben und manches Mal könnte es sein, dass Sie sich im Spiegel wiedererkennen.

Grundsätzlich vertraue ich nach wie vor darauf, dass wir alle stets das Schönste und Beste tun, das uns in der jeweiligen Situation zur Verfügung steht, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen.

Wie soll die Beziehung zu meinem Kind sein?

Am Beginn unserer Elternkurse bitten wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Bild zu malen mit dem Thema: »Wie soll die Beziehung zu meinem Kind sein?«. Wir sehen auf den Gemälden dann Sonnen, Regenbögen, bunte Farben und Formen, Kreise, Herzen und vieles mehr. Aus den Erklärungen wird deutlich, was den Eltern wirklich wichtig ist: Die Beziehung soll geprägt sein von Liebe, Nähe, Verständnis, Wärme, Vertrauen, gegenseitiger Wertschätzung, Freiheit, Gemeinschaft, Spaß, Respekt, Verbindung …

Im Alltag gerät dies leider oft in den Hintergrund. Wichtiger scheint es, Kinder dazu zu erziehen, zu tun, was wir wollen oder was wir denken, was richtig ist. Wenn die Kinder vom Kleinkind- ins Kindergartenalter kommen, werden sich viele Eltern ihrer Erziehungsaufgaben bewusst und verwenden sehr viel Energie auf das Einüben bestimmter Verhaltensweisen: »regelmäßig die Zähne putzen«, »Schuhe richtig herum anziehen«, »sauber mit der Gabel essen«, »anständig am Tisch sitzen«, »die Mama nicht beim Telefonieren stören« usw. Dahinter steht oft der Wunsch, einen Beitrag zu leisten, damit es das Kind leichter hat im Umgang mit anderen und gesund bleibt. Sie wollen es schützen vor Spott, ihm Orientierung und Struktur geben und selbst Sicherheit und Ruhe bekommen. Und das alles als Ausdruck der Liebe und Sorge um das Wohl des Kindes und des eigenen Wohlergehens.

Und was macht das Kind? Warum sagt es nicht: »Danke, Mama, dass du mir anstatt Süßigkeiten lieber Obst und Gemüse gibst! Ich kann sehen, dass dir meine Gesundheit am Herzen liegt«? Warum wird es stattdessen wütend und bekommt einen Trotzanfall? Vielleicht weil es die Absicht der Eltern einfach nicht verstanden hat und denkt: »Die wollen ja nur über mich bestimmen.« Vielleicht aber auch, weil es selbst gerne verstanden werden würde und jetzt hilflos, ohnmächtig und frustriert ist, weil ihm die Möglichkeiten fehlen, sich verständlich zu machen. Kann sein, dass es gerne selbst entscheiden möchte, weil es schon sooo groß ist und seine Autonomie gerne ausleben möchte. Kann auch sein, dass es einfach nur gefragt werden möchte und miteinbezogen in Entscheidungsprozesse. Vielleicht schmeckt ihm Gemüse auch schlichtweg nicht.

Als Marie fünf Jahre alt war, kam sie eines Tages aus dem Kindergarten und sagte, sie wolle nicht mehr leben. Wer Marie kennt, weiß, dass sie eine Ernsthaftigkeit ausstrahlt, die einen nicht dazu verleitet, dies als kindlichen Scherz aufzufassen. Obwohl ich im ersten Moment vom Schock wie gelähmt war und sofort alle möglichen Filme in meinem Kopf abliefen, schaffte ich es, ihr zuzuhören: Was steckt dahinter? Es war ein langes Gespräch, in dem sie mir unter vielen Tränen erzählte, ihre Erzieherin habe jetzt ein anderes »Lieblingskind«. Nicht mehr leben zu wollen waren die stärksten Worte, die sie damals kannte, um auf ihren Schmerz aufmerksam zu machen. Sie war einfach unendlich traurig darüber und gleichzeitig jetzt so froh zu hören, dass ich sie verstehen konnte.

Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren haben nur selten die sprachlichen Fähigkeiten, sich klar auszudrücken im Sinne von: »Ich möchte mir in diesem Moment fünf Gummibärchen gönnen, da es mir augenblicklich weniger um Nahrungsaufnahme, sondern vielmehr um Genuss und Entspannung geht. Dabei möchte ich selbst entscheiden, welchen Weg ich dazu wähle.« Schade – es wäre so viel einfacher, darauf »beziehungsdienlich« zu reagieren.

Die Realität sieht aber meist anders aus: Wenn Kinder ihre Wut darüber, »abhängig zu sein«, ihren Frust darüber, »sich nicht verständlich machen zu können« und ihre Enttäuschung »nicht verstanden zu werden«, ausdrücken, wählen sie häufig Verhaltensweisen, die die Eltern als »bocken«, »trotzen«, »provozieren« oder »zicken« bewerten. Dafür bekommen sie alles Mögliche – jedoch nur selten das, was sie brauchen: Verständnis.

Wir tun immer das Schönste und Beste, das uns im Moment zur Verfügung steht, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen.

Der vorangegangene Satz ist für mich der wohl eindrücklichste der Gewaltfreien Kommunikation. Ein Augen- und Türöffner zum Verstehen (kindlichen) Verhaltens. Er zeigt uns, dass (kindliche) Handlungen zielorientiert sind – für sich, nicht gegen mich. Dass sie der Bedürfniserfüllung dienen und dass wir Kinder dabei unterstützen können, zukünftig anders zu handeln. Bevor wir das Verhalten und dann auch noch das Kind bewerten und in die »Bockig-« oder »Zickig-Schublade« legen, hilft er uns, am Kind dran zu bleiben, zu begleiten, zu fördern. Dies ist oft deutlich aufwendiger als zu bestrafen, gleichzeitig aber wesentlich effektiver, um Verhalten nachhaltig zu verändern, zur Entwicklung des Kindes beizutragen und dabei die Beziehung zum Kind zu fördern. Es lohnt sich!

Was also macht das Kind, dem die Mutter im Supermarkt gerade die Gummibärchen verwehrt und stattdessen einen Apfel angeboten hat? Es macht das Schönste und Beste, das ihm gerade zur Verfügung steht, um seine Bedürfnisse vermeintlich zu erfüllen: Es wirft sich auf den Boden und schreit.

Schönste und Beste? Was soll daran so toll sein, wenn sich mein Kind im Supermarkt auf den Boden schmeißt und so lange brüllt, bis jeder Anwesende weiß, dass wir einen kleinen Disput haben? Nichts ist daran toll! Weder erfüllt sich das Kind damit erfolgreich seine Bedürfnisse nach Autonomie, Genuss und Entspannung, noch die Mutter, die in diesem Moment wohl eher Ruhe, Leichtigkeit, Verständnis und Unterstützung bräuchte. Dennoch: Dem Kind steht im Moment nichts Schöneres und Besseres zur Verfügung, also wählt es – weder gezielt noch bewusst, schon gar nicht, um zu provozieren – das, was es kennt. Und je mehr es das tut, umso zorniger und verzweifelter wird es, weil es doch der beste Weg (meist der einzige, den es kennt) ist, der ihm zur Verfügung steht, und dieser dennoch nicht zum Erfolg führt. Also steigert es sein Tun in der Hoffnung, dann erfolgreicher zu sein. Je mehr es dies aber tut, umso weniger wird es sein Ziel erreichen. Ein tragischer Kreislauf, den es zu durchbrechen gilt.

Verstehen und verstanden werden

In der Gewaltfreien Kommunikation gehen wir davon aus, dass alles Verhalten zielgerichtet ist und im Dienste der Erfüllung unserer Bedürfnisse steht. Gegenseitiges Verständnis gelingt nach unserer Erfahrung auf der Ebene der Bedürfnisse wesentlich besser als auf der Verhaltensebene.

Was meint die Gewaltfreie Kommunikation mit gegenseitigem Verständnis?

In unseren Seminaren erklären wir die Gewaltfreie Kommunikation manchmal anhand des Modells zweier Häuser. Die Häuser sind sehr unterschiedlich in Form, Größe, Design, Einrichtung und Ausstattung. Das eine ist sehr konservativ, das andere sehr modern eingerichtet, das eine verspielt, das andere praktisch.

Die Häuser stehen als Symbol für uns selbst. Jeder von uns bewohnt ein eigenes Haus, dessen Gestaltung er selbst vornimmt und das er sich nach seinen Möglichkeiten, Werten, Vorlieben, Erfahrungen und seinem Geschmack richtet. Hierin unterscheiden wir uns. Die individuelle Gestaltung symbolisiert unsere Strategien, die wir wählen, um uns das zu erfüllen, was uns wichtig ist. Die Basis, das Fundament, auf dem unsere Häuser stehen, ist dagegen bei allen Menschen gleich. Dies sind unsere Bedürfnisse und die damit verbundenen Gefühle. Jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung. Der eine wählt ein Himmelbett, um sich dieses Bedürfnis zu erfüllen, der andere einen Futon.

Um uns gegenseitig zu verstehen, besuchen wir uns in unseren Häusern. Wir betrachten die Einrichtungsgegenstände und lassen uns erklären oder fragen nach, wozu sie dienen. Dabei vermeiden wir, nach unserem Geschmack zu bewerten oder etwas zu verändern. Wir sind hier als Gast und nicht als Eigentümer oder Hausbesetzer! Es geht nicht darum, ob wir die Einrichtung schön oder hässlich finden, sondern darum, ob der andere sich damit wohlfühlt. Gerne kann ich mir dabei etwas abschauen, um es in meinem Haus anzuwenden.

Konflikte entstehen – wie beim Nachbarschaftsstreit – immer dann, wenn die Art, wie ich leben möchte, die Möglichkeiten meines Nachbarn einschränkt. Wenn ich beispielsweise gerne laute Musik höre, weil mir in diesem Moment Entspannung wichtig ist, kann dies mit der Strategie des Nachbarn kollidieren, der in Ruhe ein Buch lesen möchte, weil auch ihm Entspannung wichtig ist. Das Bedürfnis nach Entspannung ist universell, nicht aber die Wege, die wir wählen, uns dies zu erfüllen. Verstehen heißt hier zu erkennen, welches Bedürfnis hinter dem jeweiligen Verhalten steht. Das bedeutet jedoch nicht, dieses Verhalten automatisch zu akzeptieren:

Verstehen heißt nicht einverstanden sein!

Wenn wir verstehen, worum es uns eigentlich geht, können wir wesentlich leichter Wege finden, die allen gerecht werden. Wie wär’s mit einer gemeinsamen Partie Schach für die Nachbarn und einem kühlen Bier auf der Terrasse? Zurück zu unserem Beispiel im Supermarkt. Verstehen – beginnen wir beim Elternteil: Was geht in der Mutter vor? Was fühlt sie und was braucht sie jetzt gerade? Vielleicht ist sie erschöpft und braucht Ruhe, vielleicht ist sie frustriert, weil sie gerne gesehen werden möchte in ihren Bemühungen als Mutter, vielleicht ist sie überfordert und braucht Unterstützung, vielleicht ist sie hilflos, weil sie im Kontakt, in Verbindung sein möchte. Und genau das könnte die Mutter ihrem Kind sagen: »Ich bin so kaputt und hätte es jetzt gerne leicht und dass wir miteinander Spaß haben. Und was ist mit dir?«

Kind: »Ich will Gummibärchen!« Was fühlt und braucht das Kind? Die Mutter könnte sich gemeinsam mit dem Kind auf die Suche machen und fragen: »Bist du sauer, weil du gerne selber entscheiden möchtest? Willst du gerne gefragt werden und magst du mitbestimmen? Hättest du gerne, dass jemand versteht, wie blöd das für dich ist, immer jemanden fragen zu müssen?«

Und jetzt – nachdem die Mutter erkannt hat, was das Kind braucht – was fühlt und braucht sie jetzt? Vermutlich ist sie erleichtert und freut sich darüber, wieder im Kontakt mit ihrem Kind zu sein und so zu verstehen, worum es ihm geht. Vielleicht kann sie auch gut nachvollziehen, wie schmerzhaft es ist, nicht mitentscheiden zu können. Und gleichzeitig ist da noch ihre Sorge um die gesunde Ernährung – sie möchte vielleicht ihr Bestes tun, damit es ihrem Kind gut geht. Und all das kann sie ihrem Kind sagen: »Mir ist das auch total wichtig, gefragt zu werden und mitentscheiden zu können, und deshalb will ich, dass du das auch kannst. Gleichzeitig ist mir auch noch wichtig, dass du viele gesunde Sachen isst, damit es dir gut geht und du hüpfen und spielen und Spaß haben kannst. Hast du eine Idee, was wir machen können, damit du mitentscheiden kannst und ich sicher sein kann, dass du genug gesunde Sachen isst?«

So oder ähnlich könnte ein Dialog lauten, in dem es in erster Linie darum geht verstanden zu werden – ich möchte wissen, worum es dir geht, und ich will dir sagen, worum es mir geht, damit wir dann einen Weg finden, mit dem es uns beiden gut geht. Das ist, kurz gesagt, die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation.

Ich verstehe das Bedürfnis, bin aber mit dem Verhalten nicht einverstanden