If You Stay Too Long - Tine Nell - E-Book

If You Stay Too Long E-Book

Tine Nell

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Beschreibung

Um das Angebot im Luxus-Resort Pureza zu erweitern, ist Sunny auf der Suche nach einer geeigneten Surfschule. Das La Ola wäre ideal, doch der Inhaber Luca hat nicht den besten Ruf. Um seine Surfschule vor dem Aus zu retten, macht er Sunny einen Vorschlag: Sie werden vorgeben, ein Paar zu sein. Denn Sunny hat schon lange Gefühle für einen Mann, der in ihr aber nur eine gute Freundin zu sehen scheint – dennoch reagiert er eifersüchtig, als er sie mit Luca sieht. Doch je mehr Zeit Luca und Sunny miteinander verbringen, desto echter fühlen sich die vorgetäuschten Gefühle plötzlich an …

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Seitenzahl: 446

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Tine Nell

If You Stay Too Long

Roman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Um das Angebot im Luxus-Resort Pureza zu erweitern, ist Sunny auf der Suche nach einer geeigneten Surfschule. Das La Ola wäre ideal, doch der Inhaber Luca hat nicht den besten Ruf. Um seine Surfschule vor dem Aus zu retten, macht er Sunny einen Vorschlag: Sie werden vorgeben, ein Paar zu sein. Denn Sunny hat schon lange Gefühle für einen Mann, der in ihr aber nur eine gute Freundin zu sehen scheint – dennoch reagiert er eifersüchtig, als er sie mit Luca sieht. Doch je mehr Zeit Luca und Sunny miteinander verbringen, desto echter fühlen sich die vorgetäuschten Gefühle plötzlich an …

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Tine Nell schreibt über große Gefühle und die Suche nach dem eigenen Weg. Ihre Geschichten spielen an Orten, die Fernweh wecken und mitten ins Herz treffen. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Siegen und findet ihre Ideen meistens, wenn sie unterwegs ist – sei es auf Reisen oder bei neuen Erlebnissen. Nach drei Monaten auf Fuerteventura verliebte sie sich in die Insel und beschloss, einen Roman zu schreiben, der dort spielt.

Impressum

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2025 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main

Dieses Buch wurde vermittelt durch die Literaturagentur Langenbuch & Weiß.

Redaktion: Michelle Stöger

Coverabbildung und -gestaltung: www.buerosued.de

ISBN 978-3-10-492235-5

 

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Inhalt

[Widmung]

Playlist

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Epilog

Danksagung

Für alle, die an ihren Entscheidungen zweifeln.

Manchmal sind es gerade die vermeintlich falschen Abzweigungen, die uns den richtigen Weg weisen.

Playlist

Jordy Maxwell – Blue Eyes

SAILR – The Well

Salt Tree – Out Of The Water

Kina, yaeow – Wish I Was Better

Salt Tree – Feeling High

Adam Port, Stryv, Camila Cabello – Move

Gracie Abrams – I know it won’t work

Hazlett – Oh Downhill

Gracie Abrams – I Love You, I’m sorry

Hazlett, OSKA – Hesitate

Gracie Abrams – Normal Thing

Rosé – toxic till the end

Hazlett – Please Don’t Be

Timbaland, OneRepublic – Apologize

Billie Eilish – Ocean Eyes

Kapitel 1

»Ich habe mit Fernando gesprochen und ihm zugesichert, dass genug Chlor im Poolwasser ist und es regelmäßig überprüft wird.« Dario trat zu mir hinter den Empfang, nahm sein Headset ab und lächelte mich aufmunternd an. »Darum musst du dich nicht mehr kümmern.«

»Du hast mir gerade den Morgen gerettet.« Ich seufzte. »Dieser Typ ist total anstrengend.«

»Dieser Typ ist ein millionenschwerer Immobilienmakler aus L.A., der von unserem Skandal gehört hat und sich absichern will, dass auch wirklich alles okay ist.«

»Der Enthüllungsbericht wurde widerlegt. Es wurde klargestellt, dass Aleksej die Falschaussagen über das Resort gemacht hat, um sich an uns zu rächen.«

»Tja, aber manche Gäste sind trotzdem skeptisch. Und es ist unsere Aufgabe, ihnen zu beweisen, dass dieses Resort das beste ist, das es auf der Insel gibt.«

»Ja, ja.« Ich seufzte wieder und scrollte weiter durch die Buchungen. »Genau deshalb hast du den Job als Leiter des Empfangs bekommen. Du liebst, was du machst.«

Ich blickte zu ihm und bei der Art, wie er lächelte, machte mein Herz einen Hüpfer. Ich sah schnell wieder auf den Bildschirm und verdrängte das kribbelige Gefühl in meinem Magen, das ein fester Bestandteil meines Alltags geworden war, seit ich kapiert hatte, dass er nicht nur ein Kumpel war. Wir hatten uns auf Anhieb gut verstanden, als uns Estella, die Resortmanagerin, vor knapp drei Jahren einander vorgestellt hatte, und ich hatte wirklich lange die Schmetterlinge in meinem Bauch nicht wahrhaben wollen. Aber es wurde mit jedem Tag schlimmer, und langsam drehte ich deshalb durch. Dario war mittlerweile so viel mehr für mich geworden, und ich fühlte viel zu viel, wenn wir uns ansahen, wenn er mich beiläufig berührte. Ich ertappte mich dabei, dass ich die Blicke zu analysieren versuchte, mit denen er mich ansah. Wenn er auf freundschaftliche Weise einen Arm um mich legte, stellte ich mir manchmal vor, wie es wäre, mit ihm zusammen zu sein.

Dario fuhr sich durch das kurze dunkelblonde Haar und rückte den Kragen der weißen Uniform zurecht, die alle Angestellten trugen. Auf Höhe der Brust prangte das goldene Logo des Resorts – eine abstrakte Muschel mit dem Schriftzug Pureza. Das Muschelsymbol fand sich im Resort überall wieder, auf dem Marmorboden in der Mitte der Lobby, eingestickt in die Handtücher und Bademäntel, sogar auf den Tassen im Frühstücksraum. Überall im Resort standen Muschelskulpturen auf Podesten, Gemälde in Sandfarben, die ein luxuriöses Strandfeeling vermittelten. Hier war alles perfekt aufeinander abgestimmt.

»Bon diá!«, begrüßte uns Benny, der Concierge, der einen vollbeladenen Kofferwagen durch die Lobby schob. Darauf lagen nur Designerstücke. Über ihm glitzerten Sonnenstrahlen durch die Glaskuppel. Vor der Eingangstür stand neben dem Springbrunnen das Taxi, das ich für den Gast bestellt hatte und das ihn zum Flughafen bringen würde. Er hatte beim Check-out telefoniert und mich keines Blickes gewürdigt. Aber das war ich gewohnt. Nicht alle Gäste waren ignorant gegenüber dem Personal. Aber, na ja, die meisten schon. Früher, zu Beginn meiner Arbeit im Pureza hatte mich das nicht gestört. Ich war viel zu fasziniert von dem edlen Ambiente des Luxusresorts gewesen und zu beeindruckt von den steinreichen Menschen, die hier ein und aus gingen. Über die Jahre war es Normalität geworden, und ich sah längst nicht mehr durch meine rosarote Brille. Der einstige Traumjob war zu einer Arbeit geworden, die ich nüchtern betrachtete. Dario wusste das. Aber er redete mir seit Wochen gut zu, versuchte, mich zu entlasten, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass ich meine Meinung änderte und wieder mehr Spaß an meinen Aufgaben hatte. Er wusste alles von mir, außer, dass ich ihn mehr als nur nett fand und dass sich seit einiger Zeit eine Worddatei eines Kündigungsschreibens auf meinem Laptop befand.

»Nach Feierabend gehen wir runter zum Strand. Ich bringe was zu essen aus dem Speisesaal mit. Wie klingt das? Oder wir gucken bei mir einen Film. Ich habe im Kühlschrank zufällig noch dein Lieblingseis.«

»Strand klingt gut«, sagte ich schnell. »Elana und Adrian kommen bestimmt auch.« Seit Dario wegen seiner neuen Stelle ins Pureza gezogen war, fiel es mir noch schwerer, meine Gefühle für ihn zu unterdrücken. Zu meinem Leidwesen lag sein Apartment auf derselben Etage wie meins – immerhin nicht direkt daneben, sondern hinter Elanas, aber das machte es nicht besser und ich vermied es, alleine mit ihm auf seiner Couch zu sitzen. Ich wollte die Sache nicht noch komplizierter machen.

In der Mittagspause lief ich zum Speiseraum für die Angestellten, der gleich neben dem exklusiven Restaurant für die Gäste lag. Ich entdeckte Elana auf der Terrasse, von der aus man einen herrlichen Blick auf die Poollandschaft und den Außenbereich hatte. Fuerteventura war eine karge Insel, aber im Pureza fühlte man sich wie in einer grünen Oase. Palmen, Aloe vera und hübsche Blüten an Büschen säumten den riesigen Pool. Gemütliche Außenbetten mit weißem Baldachin standen in großen Abständen und von Bambusgras geschützt neben anderen Liegemöglichkeiten auf der Fläche. Eine Treppe führte zum Fitnessbereich und dem Sportpool – Elanas Reich mit Blick auf den Ozean. Die Lage des Pureza war abgelegen, was die superreichen Gäste zu schätzen wussten.

Ich lud mir ein Stück Pizza und ein bisschen Salat auf einen Teller und steuerte Elanas Tisch an. Neben uns saß Silvie, die im Pureza-Shop arbeitete, in dem es edlen Schmuck und Klamotten zu kaufen gab, die ich mir niemals leisten könnte. Sie lächelte mir zu und vertiefte sich wieder in das Gespräch mit Mika, dem neuen Barkeeper an der Poolbar. Bei seinem Anblick schossen Erinnerungen an die letzten Monate an die Oberfläche. An Aleksej, meinen Ausraster vor den Kollegen, an seine Kündigung, weil ihn irgendjemand bei Estella verpfiffen hatte, an die Sabotagen im Resort, die beinahe den Ruf des Hotels zerstört hätten.

»Sunny, hey«, begrüßte mich Elana. Sie trug ein babyblaues Sportoutfit, natürlich mit dem Pureza-Logo, das blonde lange Haar hatte sie wie immer zu einem hohen Zopf gebunden. Sie war neben ihrem Freund und meinem Chef Adrian die einzige Person, mit der ich Deutsch sprach, bis auf meinen Vater natürlich.

»Hey. Na, wie geht’s?«

Ich setzte mich ihr gegenüber.

»Die Sonne scheint, ich hatte nur nette Gäste beim Training und habe die Nacht bei Adrian verbracht.« Sie grinste. »Ja, ich würde sagen, mir geht es super.«

»Wieso frag ich überhaupt? Seit du mit Adrian zusammen bist, geht’s dir immer gut. Liegt wohl am tollen Sex, hm?« Ich grinste und biss in das Stück Pizza.

Elana wurde ein bisschen rot und verdrehte die Augen. »Und wie geht es dir?«

»Ich hatte keinen Sex, falls du das wissen willst«, gab ich kauend zurück, was Silvie am Nebentisch kurz zu mir herübersehen ließ. »Ansonsten war mein Morgen unspektakulär. Fernando wollte nicht glauben, dass das Poolwasser keimfrei ist, und ein anderer Gast hat sich bei mir am Telefon beschwert, dass der Massagestrahl in der Dusche zu hart ist. Ein ganz normaler Vormittag eben.«

Elana musterte mich mitfühlend. Sie wusste, wie sehr ich momentan unter der Arbeitsbelastung litt. Sie hatte mich in den letzten Wochen nicht nur einmal getröstet, wenn ich mich mal wieder bei ihr ausgeheult hatte.

»Es muss toll sein, auf einer Insel aufzuwachsen«, war meistens die Reaktion der Menschen, die erfuhren, dass ich im Alter von sechs Jahren mit meinem Papa von Deutschland nach Fuerteventura ausgewandert war. Ich war hier auf der Insel zur Schule gegangen, hatte innerhalb eines halben Jahres eine neue Sprache gelernt und für meinen Vater ein Lächeln einstudiert, das ihm zumindest kurzzeitig sein eigenes zurückgebracht hat. Doch über die Jahre fiel es mir zunehmend schwerer, es aufzulegen. Ich war müde. Müde von den Sorgen um meinen Papa, müde von meinem Job an der Rezeption des Pureza, dem luxuriösesten Hotel auf der Insel, müde von den Gästen, die mich mit ihren Sonderwünschen in den Wahnsinn trieben. Wieder sah ich zu Mika und Silvie und verbiss mir die nächsten Worte über meinen Job. Fakt war, dass man im Pureza höllisch aufpassen musste, was man wem anvertraute. Dario und Elana vertraute ich hingegen blind. Ich war heilfroh, die beiden zu haben.

»Dario hat übrigens gefragt, ob wir heute Abend zum Strand gehen. Er bringt was zu essen mit. Seid ihr dabei?«

Elana nickte und spießte eine Kartoffel auf ihre Gabel. »Ich frage Adrian, aber er kommt bestimmt mit.«

»Ist seine Wohnung eigentlich fertig eingerichtet?«, fragte ich.

»Es wird langsam. Wir waren am Wochenende shoppen, aber viel Auswahl an Geschäften gibt es hier ja nicht. Es ist seine erste Wohnung, die er einrichtet, und er hat überhaupt keine Vorstellung davon, wie sie aussehen soll.«

»Heißt, du suchst alles aus und er bezahlt?«

Sie grinste. »Ja, so ungefähr.«

»Mach es dir nicht zu gemütlich bei ihm, sonst hast du bald keine Lust mehr, im Pureza neben mir zu wohnen.«

»Keine Sorge, fürs Zusammenziehen sind wir noch nicht lange genug zusammen. Den Fehler mache ich nicht noch mal.« Sie runzelte die Stirn. »Obwohl ich das auch schon über die Chef-Angestellten-Beziehung gesagt habe, nachdem mich Leo abserviert hat und ich neben meinem Job auch meine Wohnung verloren habe, aber gut, shit happens.«

»Adrian wird dir so etwas nicht antun, das weißt du.«

Sie lächelte selig. »Ja, wahrscheinlich nicht.«

»Streich das wahrscheinlich«, schaltete sich plötzlich jemand ein. Elana und ich sahen auf. Adrian stand hinter meinem Stuhl und lächelte sie auf eine Art an, bei der ich absolut nachvollziehen konnte, dass Elana jedes Mal dahinschmolz. Dann sah er zu mir. »Hey, Sunny. Qué tal?«

»Fantástico«, antwortete ich und wollte überzeugend wirken. Adrian zog die Augenbrauen hoch, beugte sich zu Elana, küsste sie und setzte sich zu uns. In seinem weißen, lockeren T-Shirt und der dunkelblauen Leinenhose wirkte er kein bisschen wie jemand, der ein Luxusresort führte. Ich war ihm jedenfalls verdammt dankbar dafür, dass er Elana nicht zurück nach Berlin hatte gehen lassen. Ohne sie würde mir etwas Wichtiges fehlen. So wie Dario, den ich aus meinem Leben nicht mehr wegdenken wollte. Aber genau das war das Problem und hielt mich weiter am Pureza fest. Ich wollte ihn nicht verlieren.

 

»Heute sind die Wellen perfekt.« Dario legte die Arme lässig über seine Knie und schaute aufs Meer hinaus. Zwei Surfer liefen mit ihren Brettern ins Wasser. Einer von ihnen hatte braunes Haar und war an den Armen tätowiert – zumindest konnte man es vage erkennen. »Das da unten könnte Luca sein. Der Dunkelhaarige.« Er nickte in Richtung der Surfer.

»Welcher Luca?«, fragte ich.

»Ihm gehört doch das La Ola, die Surfschule, einen Strandabschnitt weiter. Mann, ich hab auch Bock aufs Surfen.«

»Na, dann schnapp dir ein Surfbrett und mach mit.« Ich grinste ihn an und schob mir dann eine Weintraube in den Mund. Elana, Adrian, Dario und ich saßen in Badesachen an unserem Stammplatz, neben den Vulkanfelsen, die sich am Strand auftürmten. Über uns, auf einer dieser Anhöhen, lag das Pureza mit seinem schlossähnlichen und altehrwürdigen weißen Hauptgebäude und den danebenliegenden neueren Flachdachbauten, in denen sich die privaten Suiten der Gäste befanden. Ich hatte meinen Vater oft zu überreden versucht, sich im Pureza zu bewerben, damit er nicht weiter als Küchenhilfe ausgebeutet wurde. Aber er wollte nicht, weil er dann vom Norden der Insel wegziehen müsste.

»Seit Wochen redest du vom Surfen, aber wir haben dich kein einziges Mal auf dem Board gesehen«, sagte Elana. Sie lehnte rücklings an Adrians Brust, der sie mit Käse fütterte. Die beiden klebten jede Sekunde aneinander. Sie waren wirklich zu süß.

»Ich hab keine Zeit mehr.« Dario zuckte mit den Schultern. »Aber ich will es unbedingt wieder regelmäßig machen.«

»Keine Zeit mehr, weil du so viel arbeiten musst?«, hakte Adrian nach. Seine dunklen Augen hatten exakt dieselbe Farbe wie seine Haare. Jetzt, in der tiefstehenden Sonne schimmerten sie leicht rostfarben. Dario war mit seinen blonden kurzgeschorenen Haaren und den blauen Augen, die mich an das türkisfarbene Wasser des Ozeans erinnerten, das komplette Gegenteil. Ich mochte seine Augen.

»Du weißt, wenn dir irgendwas zu viel wird …«

»Alles okay«, versicherte Dario ihm. »Ich mag meinen Job, und ich hab ja auch Freizeit, aber na ja, meistens fehlt mir dann die Motivation, um mich dann noch in die Fluten zu stürzen.«

»Die fehlt mir den ganzen Tag«, rutschte es mir heraus.

Alle Augenpaare richteten sich auf mich. »Ups, hab ich das laut gesagt?« Ich grinste, aber es kam mir gekünstelt vor.

»Laut und deutlich.« Adrian musterte mich eindringlich. Ständig vergaß ich, dass er jetzt der Chef des Resorts war, dass ich meinen Mund halten sollte, wenn es um meinen Job und die Gäste ging. Es fiel mir schwer, weil Adrian zu unserem Freundeskreis dazugehörte. Ich mochte ihn, aber er war eben mein Vorgesetzter.

»Das heißt nicht, dass ich meine Arbeit nicht gewissenhaft erledige«, schob ich schnell hinterher. Aber es war zu spät. Elana rückte etwas von Adrian ab und warf mir einen Blick zu, der so viel sagte wie: Mensch, Sunny, das hast du dir jetzt selbst eingebrockt. Elana wusste, dass das Thema um meinen Job nicht zur Sprache kommen sollte, wenn Adrian dabei war. Es war meine Regel, die ich aufgestellt und die ich gerade selbst gebrochen hatte.

»Ich weiß, dass du deinen Job gut machst, Sunny«, begann Adrian, und sein Gesichtsausdruck wurde weicher. »Und ich weiß auch, dass du seit einiger Zeit unglücklich damit bist.«

»Ach ja?« Ich sah zu Elana, die die Arme vor der Brust verschränkte.

»Ich hatte ihm damals nur angedeutet, dass es dir nicht gutgeht und du dich ausgebrannt fühlst. Das war alles. Da wusste ich nicht mal, dass dieser Typ hier der neue Chef wird.« Sie stieß ihren Freund leicht gegen den Arm.

»Ich habe mir auf jeden Fall was überlegt. Oder eher, Estella und ich. Darüber wollte ich morgen mit dir sprechen.«

»Estella weiß, dass ich keine Lust mehr auf meinen Job habe?«, krächzte ich.

Adrian schmunzelte. »Ganz so habe ich es nicht ausgedrückt, aber ja, sie weiß Bescheid.«

»Und jetzt will sie mich entlassen?« Das war die naheliegendste Schlussfolgerung nach dem ganzen Mist, der in den letzten Wochen passiert ist.

»Natürlich will sie das nicht. Und selbst wenn, ich bin auch noch da und ich weiß, dass du eine super Mitarbeiterin bist. Wir haben eher Sorge, dass du das Handtuch wirfst. Und das wollen wir alle nicht.«

»Sunny kündigt doch nicht.« Dario zog mich leicht an sich, so dass mein Arm seine nackte Brust streifte und mein Herz stolperte. »Oder?«

Ich blickte zu ihm, schürzte die Lippen und wusste nicht, was ich sagen sollte. Vor meinem geistigen Auge erschien das Kündigungsschreiben auf meinem Laptop. »Äh.«

»Sorry, das ist der falsche Zeitpunkt für so ein Gespräch«, sagte Adrian. »Komm morgen früh in mein Büro und wir reden da weiter, okay?«

Ich nickte, mein Blick traf wieder auf Elanas, die ratlos mit den Achseln zuckte, als wüsste sie selbst nicht mehr.

Adrian lenkte die Unterhaltung auf ein anderes Thema, aber ich hing gedanklich zwischen Darios Nähe und Adrians Worten fest. Erst als wir uns ins Meer stürzten, gerade als die Sonne auf den Horizont traf und das kristallklare Wasser mit einem goldenen Licht überzog, schob ich meine wirren Gefühle beiseite. Denn eins war klar: Ich liebte vielleicht meinen Job nicht, aber die Insel umso mehr. Da waren das Meer, die Strände mit dem türkisblauen Wasser. Es gab nicht viel Grün, weil der Großteil der Insel aus trockenem Lavagestein bestand. Aber für mich war sie über die Jahre, die ich hier lebte, meine Heimat geworden. Seitdem war ich nie wieder in Deutschland gewesen, nie wieder in meiner Geburtsstadt München. Ich war hier glücklich. Und doch hatte ich das Gefühl, mich in letzter Zeit verloren zu haben.

 

»Ich schwöre dir, dass ich keine Ahnung habe, was Adrian mit dir besprechen will.« Elana und ich liefen mit unseren Handtüchern um den Körper geschlungen zu den Aufzügen im Pureza und fuhren auf unsere Etage. Dario war noch am Strand geblieben und Adrian in seine Wohnung gefahren. Elana würde später nachkommen und die Nacht bei ihm verbringen.

»Wieso hast du ihm überhaupt davon erzählt?«

Sie seufzte und lehnte sich gegen die Kabinenwand. Auf dem Spiegel hinter ihr war das goldene Muschellogo eingraviert.

»Das ist Wochen her. Als hier alles wegen Aleksejs Sabotage drunter und drüber ging und du total am Anschlag warst, hab ich ihm davon erzählt. Er weiß nur, dass du manchmal zweifelst, ob der Job langfristig das Richtige für dich ist, und dass du dich ausgelaugt fühlst. Es tut mir leid, wenn ich dich damit in eine blöde Situation gebracht habe.«

»Nein, schon okay. Ich war auch echt anstrengend zu dem Zeitpunkt.«

»Warst du nicht«, erwiderte sie sofort. »Ich habe mir einfach Sorgen gemacht und das Thema bei Adrian angerissen. Wenn ich geahnt hätte, dass er …«, sie seufzte wieder, »du weißt schon.«

»Morgen werden wir ja erfahren, was er sich überlegt hat. Falls er noch irgendwas andeutet, gib mir bitte Bescheid. Ich verlass mich drauf, okay?«

Wir stiegen aus dem Aufzug und liefen zusammen über den Flur. Vor meiner Tür blieben wir stehen. Sie lächelte aufmunternd. »Mach dir nicht so viele Sorgen. Adrian wird nicht zulassen, dass du rausgeschmissen wirst. Jeder weiß, was er an dir hat. Ich wünsche mir von Herzen, dass es eine Lösung gibt und du endlich wieder glücklich bist.«

»Ja, ich mir auch. Es ist momentan alles ziemlich … kompliziert.« Ich dachte an Dario und daran, dass ich Elana so gern von meinem Gefühlschaos erzählen würde. Aber ich hatte Angst davor, weil es dann, wenn ich es laut aussprach, noch mehr an Bedeutung gewinnen würde. Außerdem stieg die Gefahr mit jedem, der davon wusste, dass Dario es erfuhr – wenn auch nur aus Versehen. Ich selbst wusste, dass einem aus der Emotion heraus Dinge herausrutschten, die man besser für sich behalten hätte, so wie bei Aleksej und seinen Affären.

Elana und ich umarmten uns, dann ging ich in mein Apartment. Die Wohnungen für die Angestellten waren alle gleich geschnitten. Ein breiter Flur, ein offener Wohn- und Essbereich mit moderner Küche und Zugang zu einem Balkon mit Blick auf den Atlantischen Ozean. Manchmal kam es mir undankbar vor, dass ich meinen Job nicht mehr wertschätzte, weil ich das Pureza eigentlich liebte und es Jammern auf hohem Niveau war. Ich wusste durch meinen Papa, wie schlimm es in anderen Hotels zuging. Trotzdem war da diese Leere in mir, wenn ich mich morgens fertig machte und zur Rezeption lief. Es fühlte sich nicht so an, wie ich es mir wünschte. Nicht erfüllend, nicht nach mehr.

Ich ging zu der Fotoleinwand, die neben meinem Sofa hing, betrachtete das Bild meiner Mutter. Ihr langes braunes Haar, das ich von ihr geerbt hatte, lag in leichten Wellen und wehte im Wind, während sie im Sand auf ihrem Surfboard saß und in die Kamera strahlte. Automatisch lächelte ich mit. Ich vermisste sie und wünschte, wir hätten mehr Zeit miteinander gehabt. Ich hatte nicht viele Erinnerungen an sie. Nur Fetzen von Momenten, in denen sie mir das Surfen beigebracht hatte, wie sie im Auto jeden Song schief und lauthals mitsang, was meinen Vater zum Lachen brachte. Aber eine Erinnerung war bis heute, sechzehn Jahre später, geblieben: Es war ihr Lächeln. Ich kannte niemanden, der so breit und ehrlich gelächelt hatte wie sie, und ich war dankbar, dass ich Fotos von ihr hatte, auf denen es für immer bewahrt wurde. Als ich ins Bett ging und wegen des morgigen Gesprächs nicht einschlafen konnte, nahm ich mein Handy und grinste, als ich Darios Nachricht las, die er mir geschrieben hatte. Er war noch online.

Dario:

Ich weiß, dass du vor Aufregung nicht schlafen kannst. Wird schon alles gutgehen morgen, okay?

Ich schickte einen Smiley und bekam den Umarmungs-Emoji zurück. Dann ging er offline, und ich stellte mir vor, wie er sich ein paar Wände weiter in seinem Bett herumdrehte. Nur in Boxershorts … Ich kniff die Augen zusammen und zog mir die dünne Decke über den Kopf. Ich konzentrierte mich auf das Meeresrauschen, das durch das geöffnete Fenster ins Zimmer drang, auf das regelmäßige Auf und Ab der Wellen. Der Klang des Meeres war mir so vertraut wie mein eigener Herzschlag, und irgendwann schlief ich ein.

Kapitel 2

Meine Hände waren schwitzig, als ich mit dem Aufzug in die Lobby fuhr, wo die Büros von Estella und Adrian lagen. Ich vermied es, bei Dario an der Rezeption vorbeizuschauen, und hatte sogar das Frühstück ausfallen lassen, damit ich nicht vorher noch mit jemandem sprechen musste. Ich hätte vermutlich sowieso keinen Bissen hinunterbekommen. Mit Knien weich wie Pudding klopfte ich an Adrians Bürotür. Wenn wir zusammen unsere freie Zeit verbrachten, war er für mich einfach der Freund meiner besten Freundin und nicht Adrian Pureza. Aber jetzt wurden mir seine Stellung und seine Macht mehr als bewusst. Ich hatte mir ausgemalt, was wäre, wenn sie mir einen Job anbieten würden, den ich genauso wenig machen wollte. Die Alternative wäre, dass ich gehen müsste, gehen würde. Sie würden mir damit die Entscheidung abnehmen, ob ich im Pureza blieb. Vielleicht sollte es so sein.

Adrian rief mich herein, und ich lächelte schüchtern, als ich ihn hinter dem Schreibtisch sitzen sah. Ihn und Estella, die in einem der Sessel am Fenster saß und aufstand, als ich die Tür hinter mir schloss.

»Sina, guten Morgen«, begrüßte sie mich. Sie lächelte, was ein gutes Zeichen war – oder auch nicht. Estella war in höchstem Maße professionell.

»Guten Morgen«, gab ich zurück und ließ mir nicht anmerken, dass mir mein Herz in die Hose rutschte. Estella trug einen enganliegenden Hosenanzug mit kurzen Ärmeln in einem hellen Braunton, dazu eine Perlenkette und passende Ohrstecker. Ihr schwarzes, schulterlanges Haar schimmerte im Deckenlicht. Allein ihr stets makelloses Äußeres, die Art, wie sie sich artikulierte, schüchterte einen schon ein. Estella schien nie Fehler zu machen, dementsprechend hoch war auch ihr Anspruch an andere. Insbesondere an die Mitarbeitenden des Resorts.

Adrian wirkte in seinem Shirt nicht anders als gestern am Strand in Badehose, und doch war er in diesem Raum ein anderer Mensch für mich. Ein Mann mit Einfluss, einem Haufen Geld und der Macht, mich von jetzt auf gleich rauszuschmeißen.

»Setz dich doch.« Estella deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Ich nahm Platz und knetete meine Finger.

»Also, Sina«, begann Estella. »Du bist also unzufrieden mit deiner Arbeit am Empfang. Ich muss zugeben, dass mich die Information überrascht hat. Ich hatte nie den Eindruck, dass es dir nicht gutgeht.«

Ich schluckte, blickte kurz auf meine Hände. »Ich habe es lange Zeit verdrängt.«

»Wieso bist du nicht zu mir gekommen? Wir hätten darüber sprechen können.«

»Ich weiß nicht. Ich musste erst mal selbst herausfinden, was das Problem ist, schätze ich.«

»Und was ist das Problem?« Ihre Miene blieb neutral, nicht wertend, was mich mutiger werden ließ, und ich beschloss, endlich die Wahrheit zu sagen. Was hatte ich noch zu verlieren?

»Die Arbeit am Empfang erfüllt mich nicht. Nicht mehr. Ich bin nur noch gestresst. Die Gäste sind … sehr anspruchsvoll, und ich glaube, dass ich nicht mehr die nötige Geduld habe, das auszuhalten. Ich liebe das Pureza, ehrlich, aber dieser Job, er …« Ich atmete aus. »Er macht mich kaputt.«

Estella und Adrian sahen mich schweigend an. Mein Puls raste mittlerweile, und meine Wangen fühlten sich warm an.

»Es ist viel schiefgelaufen in den letzten Wochen, es war eine anstrengende Zeit für dich«, sagte Estella schließlich. »Aber du hast mit Dario immer einen super Job gemacht. Ihr beiden seid ein gutes Team.«

Ja, das waren wir, und ich hasste den Gedanken, dass ich Dario als meinen Kollegen verlieren würde. Auch wenn mir manchmal lieber wäre, mehr Abstand zu ihm zu haben und ihn nicht mehr so sehr zu wollen.

»Aber wir sehen auch, dass du leidest«, klinkte sich Adrian ein. »Du hast dein Strahlen verloren.«

Estella nickte. »Deine positive Art hat dich immer ausgezeichnet. Das haben die Gäste sehr geschätzt …«

Ich spürte einen Kloß im Hals, weil Adrian und Estella einen wunden Punkt getroffen hatten. Du hast das Lächeln deiner Mutter, Sina. Deshalb bist du meine kleine Sunny. Ich würgte die Tränen hinunter, als ich an meinen Papa dachte und wie er darauf reagieren würde, wenn ich ihm erzählte, dass ich nicht mehr im Pureza arbeitete. Wahrscheinlich wäre es besser, es ihm erst zu sagen, wenn ich etwas Neues gefunden hatte, damit er sich keine unnötigen Sorgen machte. Ich müsste mir schnell einen neuen Job suchen, schon allein deswegen, um ihn weiter unterstützen zu können. Die Arztrechnungen und Kosten für Medikamente wegen seines kaputten Rückens blieben nicht aus, nur weil ich keine Arbeit mehr hatte. Er brauchte meine Hilfe.

»… deshalb möchten wir dir etwas anbieten.«

Ich sah zu Estella, die jetzt lächelte. »Adrian hatte eine Idee, die wir gerne umsetzen würden. Das ist besonders für unsere jüngeren Gäste interessant, die sich ein wenig Abwechslung während ihres Aufenthalts wünschen.«

Adrian war aufgestanden, hatte den wuchtigen Holztisch umrundet und lehnte sich gegen die Tischkante. »Wir haben viele sportlichen Aktivitäten im Angebot. Der Fitnessbereich ist gut ausgestattet. Aber eine Sache fehlt. Als ich undercover hier war, habe ich mit ein paar Gästen gesprochen und herausgehört, dass einige gerne einen Surfkurs machen würden. Wir sind schließlich auf einer Insel, zu der Surfen dazugehört wie die Ziegen.« Er grinste. »Deshalb haben wir beschlossen, mit einer Surfschule zu kooperieren, die unseren Gästen Kurse geben wird. Es soll auch ein gemeinsames Event geben, ein Surfwettkampf und eine anschließende Party. Das ist aufwendig und wir brauchen jemanden, der das übernimmt. Einen Network Coordinator.«

In meinem Kopf ratterte es, während ich die Informationen verarbeitete. Surfschule? Kooperation?

»Und da dachten wir an dich.« Estella senkte das Kinn und fixierte mich. »Du bist eine offene und kommunikative Person. Wir könnten uns den Job gut für dich vorstellen. Du hättest eine völlig neue Aufgabe, würdest zwischen der Surfschule und dem Resort pendeln. Es wäre auch für dich eine komplette Veränderung.«

Ich blinzelte, überrascht und überfordert von der Richtung, die das Gespräch eingeschlagen hatte. Ich hatte mit allen Vorschlägen gerechnet. Damit, dass ich vielleicht in einen anderen Bereich im Resort wechseln sollte, wie den Service, den Wellnessbereich, oder die Bar – was für mich nicht in Frage gekommen wäre. Niemals hätte ich an eine neue Stelle gedacht. Aber ich fand die Idee toll, beinahe perfekt für mich, wäre da nicht das flaue Gefühl im Magen, was mich beim Gedanken an das Surfen überkam – die Erinnerung an meine Mama, die das Wellenreiten so sehr geliebt hatte. Ich selbst hatte seit ihrem Tod erst einmal auf dem Brett gestanden. Allein der Anblick von anderen Surfern riss an meinem Herzen, weshalb ich selbst das Board mied.

»Was sagst du dazu?« Adrian musterte mich.

Stille entstand, und für einen Moment glaubte ich, dass mich die Situation überforderte, dass ich jetzt gerade kein Wort herausbringen würde. Doch dann sickerte die Erkenntnis durch, was Estellas und Adrians Angebot bedeutete. Ich könnte im Pureza bleiben, aber eine vollkommen andere Aufgabe übernehmen. Eine Aufgabe, für die ich alleine verantwortlich war und die etwas mit dem Meer zu tun hatte, das ich so sehr liebte. Meine Gefühle schwankten zwischen dem Respekt vor der Herausforderung und der Dankbarkeit für diese Möglichkeit. Gegen meinen Willen traten Tränen in meine Augen.

»Ich finde, das klingt toll«, presste ich mühsam hervor.

Adrians Lächeln wurde breiter, und auch Estella nickte zufrieden.

»Sehr schön. Wir hatten gehofft, dass du zusagst.« Estella beugte sich ein Stück vor. »Wir sind froh, dich im Team zu haben, Sina, und auch wenn die letzten Wochen schwierig waren, habe ich nie an dir als kompetente Mitarbeiterin gezweifelt. Ich würde es persönlich wirklich sehr schade finden, wenn du uns verlässt.«

Es war das erste Mal, dass Estella so offen mit mir sprach. Unsere Beziehung war bisher distanziert gewesen, jetzt sah ich sie zum ersten Mal als Person, für die wir nicht nur eine Nummer waren.

»Und wann soll das Ganze losgehen?«

»Am liebsten sofort«, antwortete sie. »Allerdings brauchen wir noch einen Ersatz für den Empfang. Wir müssen mit Dario sprechen und jemand Neuen einstellen. Ich habe noch ein paar Initiativbewerbungen, die ich schon durchgegangen bin, und hoffe, dass jemand dabei ist, der zu uns passt.«

Adrian nickte zustimmend. »Wir kümmern uns um Ersatz, und wenn alles nach Plan läuft, kannst du ab nächster Woche in deiner neuen Position beginnen. Du bekommst einen Firmenlaptop, ein Diensthandy hast du ja schon. Wir haben überlegt, ob wir den kleineren Besprechungsraum neben dem Wellnessbereich als dein Büro umfunktionieren. Du wirst wahrscheinlich viel unterwegs sein, aber ein fester Platz wäre trotzdem von Vorteil.«

»Ich bekomme ein eigenes Büro?«

Adrian lachte. »Du wirst als Network Coordinator einiges organisieren müssen, und wenn es mit der Surfschule gut läuft, überlegen wir, ob wir dasselbe mit Padel und Tennis anbieten, um bei den Gästen ein bisschen für Abwechslung zu sorgen. Ich habe da noch einige Ideen.« Er zwinkerte. »Aber keine Panik, erst mal fangen wir mit der Surfschule an. Wir vertrauen dir und deinem Können und sind uns sicher, dass du eine geeignete Surfschule finden wirst, die zu uns passt.«

»Das wäre der erste und wichtigste Schritt«, fügte Estella ernster hinzu. »Es gibt unzählige Angebote auf der Insel. Aber eine Surfschule zu finden, die zu einhundert Prozent zum Pureza passt und den hohen Anforderungen unserer Gäste entspricht, wird schwierig. Du weiß ja, wie wichtig uns Qualität ist und vor allem Professionalität. Nach dem Sabotageakt können wir uns keine weiteren Skandale leisten.«

Ich nickte, überfordert von den ganzen Informationen, die auf mich einprasselten. Als ich kurz darauf Adrians Büro verließ, glühten meine Ohren, aber ein Lächeln lag auf meinen Lippen. Das waren seit langem die besten Neuigkeiten, die mir zugetragen wurden.

»Wow, so entspannt habe ich dich ewig nicht mehr gesehen.« Dario, der am Empfang stand, nahm sein Headset vom Kopf und musterte mich. »Also, gute News von der Chefetage?«

»Du wirst es gleich erfahren. Estella und Adrian wollen dich sprechen. Ich übernehme hier.« Ich umrundete den Tresen, und mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ich nur noch ein paar Tage mit Dario zusammenarbeiten würde, zumindest so eng. Ich wäre dann nicht wirklich weg, aber es würde definitiv anders zwischen uns. Noch wusste ich nicht, ob ich das gut oder schlecht fand. Als Dario vor einem Jahr eine feste Freundin hatte, schämte ich mich für meine Gefühle ihm gegenüber. Ich hatte versucht, meine Gefühle abzustellen, weil ich keine Frau sein wollte, die einen vergebenen Mann anhimmelt. Immer wenn ich bei meinem Papa zu Besuch gewesen war, hatte ich mich mit einem alten Schulfreund getroffen. Wir hatten ein paarmal miteinander geschlafen, und ich glaube, dass er eine Weile davon ausging, wir wären zusammen. Ich hatte es mir ebenfalls eingeredet, ohne irgendjemandem davon zu erzählen. Wir schrieben uns Nachrichten, telefonierten, und wenn ich nicht zu erschöpft von der Arbeit war, trafen wir uns in der Mitte der Insel am Strand, gingen spazieren oder schwimmen und machten in seinem Auto ein bisschen miteinander rum. Als er mir dann seine Liebe gestand, wurde mir schmerzlich bewusst, dass mein Herz nach wie vor Dario gehörte. Er war immer an meiner Seite gewesen, und das buchstäblich, weshalb der Gedanke, dass unsere Zeit am Empfang bald vorbei sein würde, ein wenig schmerzte. Wie würde es werden, wenn wir nicht mehr so viel zusammen waren? Würde es dann leichter für mich? Oder würde ich mich nur noch mehr nach ihm sehnen?

Kapitel 3

Ich räumte gerade meine Unterlagen in meine Tasche, als Elana ihren Kopf zur Tür hereinsteckte.

»Hola!« Sie musterte erst mich und dann den kleinen Raum. »Ich muss mich noch an den Anblick gewöhnen. Du in deinem eigenen Büro.«

»Geht mir auch so«, gab ich grinsend zu. »Aber es hätte schlechter kommen können.« Ich blickte zum Fenster hinter mir, das zwar keine Sicht auf das Meer bot, dafür aber auf die Vulkangebirge. Das Büro lag gleich neben dem Wellnessbereich, was dafür sorgte, dass es den ganzen Tag nach verschiedenen Duftölen roch. Es war mit seinen beigen Wänden, dem Schreibtisch und Bürostuhl etwas steril eingerichtet, aber das war okay. Ich war mehr als glücklich mit meinem neuen Arbeitsplatz und konnte immer noch nicht glauben, dass ich ab heute als Network Coordinator im Pureza arbeitete und schon einen ganzen Schritt weitergekommen war. Auf meiner Liste standen fünf Surfschulen, die ich nach ersten Recherchen und Telefonaten in die engere Auswahl genommen hatte. Kriterien, wie zum Beispiel die Lage, die Internetpräsenz und die Bereitschaft, überhaupt mit uns zu kooperieren, hatten die riesige Auswahl eingegrenzt. Aber fünf waren eine gute Zahl, und ich hoffte, dass eine der Schulen das perfekte Match mit dem Resort war. Mein Favorit war das La Ola, weil es nur einen Strandabschnitt vom Resort entfernt lag, gute Bewertungen hatte und Dario Luca Moreno, den Besitzer der Surfschule, persönlich kannte. Er hatte mir versichert, dass Luca ein hervorragender Surflehrer und die Surfschule gut in Schuss war.

Ich hatte ihm eine Mail geschrieben und versucht anzurufen, aber bisher niemanden erreicht, weshalb ich beschloss, mich auf den Weg zu machen und vor Ort mit Luca zu sprechen.

»Und, wie waren die ersten Stunden in deinem neuen Job?«, fragte Elana.

»Gut. Ich habe schon eine Vorauswahl an Surfschulen getroffen. Ich wollte jetzt zum La Ola und mir die Surfschule genauer ansehen. Bisher kenne ich sie nur von außen.« Ich hatte Dario vor vielen Monaten mal zu dem Strandabschnitt begleitet und mich dazu überreden lassen, mit ihm surfen zu gehen, aber nach wenigen Anläufen wieder gekniffen. Ich konnte surfen, aber als ich auf dem Brett gestanden hatte und mich von der Welle hatte treiben lassen, waren Erinnerungen an meine Mutter über mich hereingebrochen, an ihr Lächeln, an die Fotos, die ich kannte, auf denen sie strahlte, wann immer sie auf dem Wasser war. Ich war vom Board gefallen und hatte mich so elend gefühlt, dass ich den Rest des Nachmittags am Strand gesessen und Dario beim Wellenreiten zugesehen hatte. Er wusste das von meiner Mutter, aber ich hatte das Gefühl, dass er nicht wirklich verstand, warum es für mich so schmerzhaft war, auf dem Surfbrett zu stehen – mit dem Bild vor Augen, wie sie meine Hände hielt und sagte, ich solle es noch einmal versuchen. Für mich war das Surfen etwas, was mich immer an sie erinnerte, egal, wann oder wo ich ein Surfbrett sah. Das war okay, und ich hatte mich seit dem Jobangebot mit dem Gedanken angefreundet, dass ich mich die nächsten Wochen mit dem Thema Surfen intensiv beschäftigen würde. Aber das hieß nicht, dass ich selbst jemals wieder eine Welle reiten musste.

»Du willst jetzt los? Aber wir haben Mittagspause. Willst du nicht erst mal was Essen?«

Ich schaute auf meine Armbanduhr, überrascht darüber, wie schnell die Zeit vergangen war.

»Dario wartet schon auf dich. Ich glaube er vermisst dich.« Sie lachte, aber in mir breitete sich bei ihren Worten ein warmes Gefühl aus. Ich vermisste ihn auch. »Seine neue Kollegin, Sofia, scheint echt nett zu sein. Gut, dass sie so schnell Ersatz gefunden haben.«

Die letzte Woche war verrückt gewesen. Nach der Nachricht, dass ich einen neuen Job bekommen würde, hatte sich die Arbeit am Empfang seltsam angefühlt. Dario hatte sich für mich gefreut, aber er hatte auch nicht damit hinterm Berg gehalten, dass er mich vermissen würde und keine große Lust auf einen neuen Kollegen oder eine Kollegin hatte, weil wir beiden ein eingespieltes Team waren. Vielleicht wäre er froh über meinen Wechsel gewesen, wenn er gewusst hätte, dass ich nachts heimlich von ihm träumte. Als er mich am Freitag, an unserem letzten gemeinsamen Arbeitstag, fest an sich gedrückt hatte, hatte ich mich einen Moment lang in dem Gefühl, ihm so nah zu sein, verloren. Vielleicht war es gut, ihn nur noch in den Pausen und in der Freizeit zu sehen, vielleicht würde ich ihn dann weniger anziehend finden.

 

Am Strand war kaum etwas los, was für Ende November normal war. Die Urlaubssaison war vorbei, aber die Kanaren blieben auch über den Winter ein beliebtes Reiseziel, weil es immer noch warm genug war, um schwimmen zu gehen und in der Sonne zu liegen. Besonders Surfer zog es jetzt her, da der Wind ab September zunahm, das Meer rauer und die Wellen höher wurden. Ich lief am Strand entlang, genoss das Gefühl des nassen Sandes zwischen meinen Zehen und des Meerwassers, das meine Knöchel mit jeder Welle umspülte. Der Wind blies durch mein offenes Haar, und ohne Vorwarnung schossen mir Tränen in die Augen. Tränen der Erleichterung, weil ich einen neuen Job hatte, ohne das Pureza und meine Freunde verlassen zu müssen. Tränen der Freude, weil ich an die Reaktion meines Papas dachte, dem ich am Telefon von den Neuigkeiten erzählt hatte, und wie er sich für mich gefreut hatte. Aber es waren auch Tränen der Trauer, weil ich mehr denn je meine Mama vermisste. Ich blickte zum Ozean, zum unendlichen Blau, das ihr so viel bedeutet hatte.

Ich erreichte die freiliegenden Felsen, über die ich kletterte, und musste Elana und Dario recht geben, dass das nicht der einfachste Weg war, um zum La Ola zu kommen. Die Steine waren von der Flut glitschig und scharfkantig, aber irgendwie schaffte ich es rüber. Schon von weitem sah ich die Surfschule, die oberhalb des Strandes lag. Ein Surfbrett mit dem Namen der Surfschule hing quer am Balkongeländer. Zwei Dropflags mit der Aufschrift Surfschool standen links und rechts von dem Häuschen. In einem Holzgestell davor waren bunte Surfbretter aufgereiht. Ich lief auf das zweistöckige weiß getünchte Holzgebäude zu und stieg die Holzstufen auf die überdachte Veranda. Sandfarbene Sitzsäcke und niedrige Bänke aus Bambusholz und wasserblauen Polstern standen um abgeschliffene Holztische herum. Eine Muschelkette hing wie ein Vorhang in der geöffneten Flügeltür, aus der Musik drang. Ich schob den Vorhang zur Seite und trat in den Raum. Er war auch innen mit Holz vertäfelt, Surfbretter und Fotografien von Surfern, die Wellen bezwangen, pflasterten die Wände. Eine Wendeltreppe mitten im Raum führte in die zweite Etage. Es roch nach einem frischen Männerduft und Sonnencreme. Hinter einer Art Theke, deren Platte ein blankpoliertes Surfbrett war, stand ein Typ, der auf seinen Laptop konzentriert war. Er hatte hellbraunes Haar, das an den Spitzen leicht ausgeblichen war und ihm in die Stirn fiel. Unter seinem lockeren grauen Shirt zeichneten sich breite Schultern ab. Seine Unterarme waren mit kleinen Tattoos übersät. Aus der Entfernung erkannte ich eine Welle und eine Muschel.

»Hola«, sagte ich, um auf mich aufmerksam zu machen, und trat näher.

Der Typ hob den Kopf, und ich hielt automatisch den Atem an, als mich sein Blick traf. Denn dieser Mann war verdammt attraktiv. Er hatte stechend grüne Augen, dichte Augenbrauen und ein markantes Kinn.

»Hey.« Sein Blick glitt über mich, blieb an meinem Shirt und dem Pureza-Logo hängen. »Wie kann ich dir helfen?«

Er richtete sich auf und stand in voller Größe vor mir. O ja, dieser Typ war wirklich eine Augenweide.

»Ich bin Sunny, äh, Sina Neuhaus und arbeite im Resort Pureza, einen Abschnitt weiter.« Ich deutete mit dem Finger in die Richtung, wo das Resort lag.

»Ich weiß, wo das Pureza ist«, gab er unbeeindruckt zurück, ohne die Miene zu verziehen.

»Ah, gut. Okay, ich arbeite als Network Coordinator, und wir suchen nach einer Surfschule für eine Kooperation. Ich habe ein paar Schulen in der Auswahl und wollte mit Luca, dem Besitzer sprechen. Ich hatte auch eine Mail geschrieben, aber …«

»Ich bin Luca. Luca Moreno.« Er umrundete die Theke, lehnte sich dagegen. Der frische Geruch, den ich schon beim Hereinkommen gerochen hatte, schwappte mir entgegen. »Ich wollte gerade die Mails checken.«

»Ich hatte auch versucht anzurufen.«

Luca zuckte mit den Schultern. »Ich bin meistens am Strand mit den Surfschülern unterwegs.«

»Na ja, wie auch immer.« Ich spürte, wie mich seine gleichgültige Art nervte, aber ich versuchte, entspannt zu bleiben. »Ich dachte, ich komme einfach direkt vorbei und schaue mir die Surfschule an.«

»Okay.« Luca musterte mich aufmerksam, während ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ.

»Schön hier. Ist oben noch eine Etage?«

»Die ist privat. Da wohne ich.«

»Ah.«

»Eine Kooperation also?« Luca verschränkte die tätowierten Arme vor der Brust. »Was genau bedeutet das?«

»Unsere Gäste können Surfkurse buchen, die wir mit der Surfschule abstimmen. Außerdem würden wir gerne eine Art Surfevent planen mit anschließender Party im Resort.«

»Und die Kooperation ist langfristig?«

»Wenn es von den Gästen gut angenommen wird, ja. Das ist der Plan. Steht auch alles in der Mail, die ich geschrieben habe. Auch der finanzielle Aspekt.«

Zwei, drei Sekunden lang schwieg er nachdenklich. Ich konnte nicht sagen, warum ich seinem Blick nicht auswich. Vielleicht, um ihm zu beweisen, dass er mich nicht einschüchterte. Vielleicht aber auch, weil er trotz seiner kühlen Art etwas Anziehendes an sich hatte. Diese grünen Augen und der arrogante Gesichtsausdruck waren ziemlich sexy. Nicht so sexy wie blaue Augen – hallte es in meinem Kopf, und Darios lächelndes Gesicht blitzte vor meinem geistigen Auge auf.

»Hättest du denn Kapazitäten für eine solche Kooperation?«, fragte ich in die angespannte Stille hinein.

»Das kommt drauf an.«

»Worauf?«

»Was für mich dabei rausspringt. Ich muss die Mail erst mal in Ruhe lesen.«

Ich nickte. »Gut. Ich habe trotzdem schon mal ein paar Fragen, wenn das okay ist?« Ich holte das Tablet aus meiner Tasche, auf dem ich mir eine Tabelle mit den potenziellen Surfschulen erstellt hatte sowie ein paar Fragen, die ich abarbeiten wollte. »Wie viele Surflehrer arbeiten hier?«

»Einer. Nur ich.«

»Du alleine?«

»Ja. Ist das ein Problem?«

»Nein, aber wer ist hier, wenn du mit den Schülern am Strand bist?«

»Niemand. Ich habe einen Kumpel, der mir manchmal hilft, wenn viel los ist.«

Ich notierte mir etwas in meine Tabelle.

Er schnaubte. »Gibt das jetzt Punktabzug?« Sein süffisanter Tonfall nervte mich, und gerade als ich etwas Schlagfertiges erwidern wollte, wurde meine Aufmerksamkeit auf die Wendeltreppe im Raum gelenkt und auf eine junge blonde Frau, die Stufe um Stufe herunterstieg – sie trug nichts als einen winzigen Bikini. Während sie ihr blondes langes Haar zurückwarf, musterte sie mich missbilligend.

»Hi«, begrüßte sie mich halbherzig, ging zu Luca und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, was er mehr oder weniger ignorierte.

»Bis dann, Luca«, säuselte sie auf Englisch. »Danke für die intensive Surfstunde.«

»Guten Flug.« Er sah sie kurz an und widmete seine Aufmerksamkeit wieder mir. Die Frau verschwand zur Tür hinaus, und ich starrte ihr nach.

»War das etwa eine Schülerin von dir?«, fragte ich.

»Und wenn?« Luca zuckte mit einer Schulter. »Oder gibt das auch Punktabzug?«

Ich zog die Brauen nach oben, ließ mein Tablet sinken. »Wie auch immer. Du kennst meinen Kollegen Dario Forsström? Er kommt manchmal zum Surfen her.«

»Klar. Netter Typ.«

»Er meinte, dass du ein sehr guter Surfer und Lehrer bist. Kannst du mir was zum Ablauf eines Kurses erzählen? Damit ich eine Vorstellung habe, wie du arbeitest?«

Luca schlug vor, nach draußen zu gehen, und als er begann, über das Surfen zu reden, veränderte sich seine kühle Art schlagartig. Er erzählte ausführlich davon, wie eine Stunde ablief, und ich kam mit meinen Notizen kaum hinterher. Was ich allerdings auch bemerkte, waren die beiden Frauen, die an der Surfschule vorbeiliefen, Luca musterten und ihm vertraut »Hey Luca« zuriefen, worauf er mit einem knappen Lächeln reagierte. Ihr Grinsen und Tuscheln sprachen Bände, und so langsam schwante mir, dass Luca in Sachen Frauen offensichtlich nichts anbrennen ließ.

Ich kannte mich mit dem Surfen aus, wollte aber herausfinden, wie kompetent Luca war, und ließ mir von ihm die verschiedenen Surfboards erklären. Sein Fachwissen überzeugte mich und obwohl ich Luca nicht besonders sympathisch fand, spürte man, dass das Surfen sein Leben war.

Noch am selben Abend bekam ich von Luca eine Antwort auf meine Mail, dass er sich die Zusammenarbeit gut vorstellen könnte. Wenn ich ehrlich war, hatte ich keine besonders große Lust darauf, ihn von nun an öfter zu sehen, aber es sprach ziemlich viel dafür, dass die Kooperation mit dem La Ola sinnvoll war.

 

Die nächsten Tage klapperte ich auch die anderen Schulen ab, und auch wenn die Besitzer und Surflehrer wesentlich freundlicher als Luca waren, überzeugte mich keine Schule so wie das La Ola. Ein entscheidender Punkt war die Nähe zum Pureza, was nicht nur die An- und Abreise erleichtern würde, sondern auch die Verpflegung, für die wir sorgen müssten. Die anderen Surfschulen boten an, Sandwiches und Obst für die Teilnehmenden bereitzustellen, aber das kam nicht in Frage. Wer im Pureza Urlaub machte und einen Surfkurs buchte, der erwartete keine labbrigen Käsesandwiches und Äpfel, sondern ein Mittagsbuffet, das auf der Veranda am Strand serviert wurde. Je näher die Surfschule lag, desto einfacher wäre es, das Hotelessen zu organisieren.

»Du hast dich also für das La Ola entschieden?«, hakte Dario nach, der mir einen Besuch in meinem Büro abstattete. Wir hatten uns die letzten Tage immer nur kurz während des Essens gesehen, weil ich von Surfschule zu Surfschule gefahren war. Es war seltsam, ihn so wenig um mich zu haben, und ich vermisste ihn. Aber mein neuer Job brachte so viele neue Herausforderungen mit sich, dass ich erst nachts, wenn ich im Bett lag, Zeit hatte, mir über andere Dinge Gedanken zu machen. Elana war gestern Abend in mein Apartment gekommen, um einen Film zu schauen, bei dem ich bei der Hälfte eingeschlafen war. Sie hatte zum Glück darüber gelacht. Unsere Abende am Strand, die eigentlich zu einer Routine geworden waren, hatten diese Woche auch nicht stattgefunden. Dario war mit der Einarbeitung von Sofia zu beschäftigt und ich zu erledigt, um noch irgendwas anderes zu tun, außer zu duschen und auf meine Couch zu fallen. Anders als bei meinem alten Job, fühlte ich mich deshalb aber nicht ausgebrannt, sondern erfüllt. Ich war so viel am Meer gewesen wie schon seit Jahren nicht mehr, hatte nette neue Leute kennengelernt und tolle Gespräche geführt (bis auf das mit Luca) – das machte mich glücklich.

»Das La Ola ist die perfekte Surfschule. Allerdings bin ich vom Surflehrer noch nicht überzeugt.«

»Von Luca? Wieso nicht?«

»Er ist nicht besonders nett.«

Dario hob die Brauen. »Echt? Er ist eigentlich echt locker.«

»Er ist arrogant, und ich weiß nicht, ob er zum Pureza passt. Als ich dort war, kam eine halbnackte Frau aus der oberen Etage, wo er wohnt, und hat sich für die intensive Surfstunde bedankt.«

»Oh.« Dario unterdrückte ein Schmunzeln.

»Und als er mir was zu seinem Kurs erzählt hat, kamen Frauen vorbei, die ihm Blicke zugeworfen haben, die so zweideutig waren, dass ich rot geworden bin.«

»Na ja, er kommt bei den Frauen offensichtlich gut an.«

»Ist ja schön für ihn, aber du weißt, dass Estella eine Surfschule haben will, die ein sauberes Image hat und professionell arbeitet. Nach der Sache mit Aleksej können wir nicht den nächsten Skandal gebrauchen, weil der Surflehrer die Gäste des Pureza aufreißt.«

»Denkst du, dass Luca die Kooperation deshalb aufs Spiel setzt? Glaub ich nicht.«

»Und wenn doch? Dann fällt es auf mich zurück, und ich bin meinen Job direkt wieder los. Danach werden mir Estella und Adrian höchstens noch einen Job als Tellerwäscherin anbieten.«

Dario lachte, und einen Moment lang starrte ich auf die Grübchen in seinen Wangen, die sich manchmal zeigten.

»Es ist deine Entscheidung, Sunny, und wenn du kein gutes Bauchgefühl hast, dann hör darauf. Es gibt bestimmt auch andere Surfschulen, die in Frage kommen, oder?«

»Jein. Wie gesagt, das La Ola wäre in vielen Punkten perfekt. Aber … ich denke, dass ich das Risiko nicht eingehen kann.«

Als Dario sich ein paar Minuten später wieder von mir verabschiedete, hielt ich an meinem Gefühl fest und schrieb Luca eine Mail, in dem ich ihm für die Kooperation absagte, ohne zu wissen, für welche Surfschule ich mich stattdessen entscheiden sollte. Aber ich wollte nicht Gefahr laufen, dass ich meine Meinung wieder änderte. Nachdem die Mail raus war, graste ich das Internet noch einmal nach Surfschulen ab, um jemand Neuen mit ins Rennen zu schicken. Das Fenster meines Postfachs ploppte auf, und ich sah Lucas Antwort:

Pech für euch, würde ich sagen. Ihr verpasst was.

Ich schnaubte und konnte nicht fassen, wie selbstverliebt dieser Typ war. Gleichzeitig war ich mehr als froh, dass die Zusammenarbeit nicht zustande gekommen war. Niemals hätte ich es auch nur einen Tag mit diesem arroganten und unausstehlichen Kerl ausgehalten.

Kapitel 4

»Er hat ernsthaft Pech für euch geschrieben?« Elana starrte mich an. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen von ihrer morgendlichen Joggingrunde, und ihre Wangen waren gerötet. Ich hatte mir schon so oft vorgenommen, früher aufzustehen und vor der Arbeit mit Elana zusammen am Strand laufen zu gehen. Bisher war es jedoch bei einer Idee geblieben, weil ich nicht aus dem Bett kam und ich wusste, dass ich meine Freundin in ihrem Lauftempo nur bremsen würde. Meine Fitness ließ zu wünschen übrig. Ich war noch nie der sportliche Typ gewesen, hatte mich, bis auf das Surfen, für keine Sportart wirklich interessiert. Dafür fotografierte ich gerne, oder hatte es früher mal getan, bevor mich die Arbeit im Pureza voll und ganz eingenommen hatte. Vielleicht würde ich in Zukunft wieder mehr Zeit dafür finden.

Ich nickte und lehnte mich gegen den Kühlschrank im Fitnessraum. Noch war niemand hier, weshalb ich ihr einen kurzen Besuch abgestattet hatte, um meinem Ärger über Luca Luft zu machen.

»Nach der Antwort bin ich froh, dass nichts aus der Kooperation geworden ist. Der Typ ist ein arroganter Arsch.«

»Scheint so.« Elana tupfte sich die Stirn mit einem Handtuch ab. »Und was machst du jetzt?«

»Weitersuchen. Ich habe noch zwei Surfschulen in der engeren Wahl. Aber die liegen eine halbe Stunde von hier entfernt. Das ist der Nachteil.«

»Mist. Das La Ola wäre echt perfekt gewesen.«

»Ja.« Ich seufzte. »Ich werde schon eine andere Lösung finden. Das wird schon.«

Elana lächelte mich an. »Ich find’s gut, dass du so optimistisch bleibst. Das ist … neu?«

»Eigentlich bin ich ein positiver Mensch, auch wenn du mich anders kennengelernt hast.«

»Also denkst du, dass dein neuer Job das Richtige für dich ist?«

»Ich glaube schon. Zumindest geht es mir seit meinem ersten Arbeitstag tausendmal besser als vorher. Ich vermisse nichts.« Ich zögerte. »Bis auf Dario. Wir haben drei Jahre zusammengearbeitet, das ist schon komisch.«

»Klar.« Elana musterte mich, und ich hoffte, dass sie die Röte auf meinen Wangen nicht bemerkte. Ich hatte ihr schon kurz nach ihrer Ankunft im Pureza