Ihr seid so peinlich! - Georg Weindl - E-Book

Ihr seid so peinlich! E-Book

Georg Weindl

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Beschreibung

Es war immer die schönste Zeit des Jahres. Und jetzt ist es das Grauen schlechthin: Ferien mit pubertierendem Nachwuchs. Was dabei droht, wie man sich helfen kann und wie die innerfamiliären Kontrahenten dabei sogar glücklich werden können, das verrät dieses amüsante Buch. Ein neuer Aspekt des beinahe unerschöpflichen Themas, was man mit Teenagern so alles erlebt!

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Chiemgauer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2015

© 2015 Chiemgauer Verlagshaus, Breitbrunn

www.chiemgauerverlagshaus.de

Covergestaltung: Grafikdesign Storch, Ulrike Vohla, Rosenheim

Sprechblase: shutterstock/Sablegear

Titelfoto: © Martin Emmerichs

Satz: Bernhard Edlmann Verlagsdienstleistungen, Raubling

Zu diesem Buch

(Über)Lebenshilfe für die härtesten Tage des Jahres!

Wenn der pubertierende Nachwuchs damit beschäftigt ist, sein Leben neu zu erfinden, dann werden Eltern nostalgisch und vor allem ratlos. Warum sind sie nicht mehr so lieb wie früher? Und wie können wir die gemeinsamen Ferien heil überstehen? Bis sie endlich ganz alleine reisen dürfen und können, warten auf Eltern schwere Aufgaben. Dazu braucht es viel Geduld und Humor. Und vor allem nützliche Tipps, wo und wie der gemeinsame Urlaub stattfinden kann. Dann schafft man auch das vermeintlich Unmögliche – glückliche Ferien mit Teenagern.

Mit Urlaubsadressen für gelungene Ferien mit Teenagern

Inhalt

Wer ist dieser fremde Mensch bei uns zu Hause?

Früher war alles anders

Ein Leben ohne Handy ist kein Leben

Vorfreude auf die Ferien. Welche Vorfreude?

Ist sie schon 15? Oder noch?

Die Eltern meiner Freundin sind ja auch dabei. Ein Klassiker

Es hat sich ausgewandert. Wo geht’s hier zum Pool?

Warum Fliegen ein Problem und die ­Autoreise zum Gardasee besser sein kann

Mallorca, Ibiza oder doch Türkei? Hauptsache groß und bunt und im Club

Wer zahlt, schafft an. Aber nicht immer

Im Familienhotel: Wo kleine Kinder sind, kriegen Teenies schlechte Laune

Alle zusammen in einem Zimmer? Ein Fall für Masochisten

Zwei Dinge braucht der Mensch im ­Urlaub: Chillen und Shoppen

Wer ist hier nun wirklich peinlich? Wenn unterwegs die Triebe ausschlagen

Es lebe die Döner-Nutella-Diät!

Wer sind denn jetzt die Spießer? Wie schnell sich alles ändern kann

Solide Planung: Klingt spießig, macht aber Sinn

Von der Theorie zur Praxis: Spezielle Angebote für den Teenager-Urlaub

Urlaubsadressen für gelungene Ferien mit Teenagern

Wer ist dieser fremde Mensch bei uns zu Hause?

Irgendwann fallen dir diese Geschichten ein, die du im Vorübergehen gehört, aber nicht wirklich wahrgenommen hast. Es sind Geschichten, die den Menschen, die sie erzählen, wichtig sind, deren ­Botschaft du aber nicht erkennst. Du verstehst sie erst dann, wenn du selbst die gleiche Erfahrung machen musst.

Da war der Bankberater, der erzählt hat, wie er und seine Frau von einem Tag auf den anderen alleine waren. Es klang Wehmut durch in dieser Geschichte. Und Unverständnis. Plötzlich waren sie für ihre Söhne nicht mehr existent. Gemeinsame Freizeitbeschäftigungen, vorher lieb gewordene Normalität, waren verpönt. „Da standen meine Frau und ich da und kamen uns ziemlich einsam vor“, hatte er gesagt. Das ist einige Jahre her, und es sieht ganz so aus, als ob sie die Einsamkeit überwunden hätten. Er hat jetzt eine jüngere Freundin und reist sehr viel. Die Söhne sind erwachsen.

Eltern haben die nachvollziehbare Angewohnheit, dass sie alle halbwegs nennenswerten Veränderungen ihres geliebten Nachwuchses haargenau dokumentieren. Der erste Zahn, das erste gesprochene Wort, der erste Schultag, alles wird irgendwie fotografiert, gefilmt, aufgeschrieben und für die Ewigkeit konserviert. Nur diese eine dramatische Veränderung wollen sie am liebsten totschweigen. Irgendwann fängt es an, dass sich dein Elternleben verändert. Dass du nicht mehr der bist, der du vorher für viele Jahre warst, was dich auch glücklich gemacht hat. Die meiste Zeit zumindest.

Doch das ist jetzt vorbei. Es kommt der Nachwuchs abends nach Hause, begrüßt dich mit einem kurzen Hallo, eilt in die Küche, reißt den Kühlschrank auf, räumt ihn halb leer und verschwindet wortlos in seinem Zimmer. Du bist erstaunt und fragst dich, wer und was das eben war. Eigentlich bist du es gewohnt, dass man sich unterhält, fragt, wie der Tag war, was sonst so los ist. Auch das ist Vergangenheit.

Du spürst, dass du im Leben deiner Kinder eine neue Rolle zugewiesen bekommen hast. Du spielst keine Hauptrolle mehr, sondern eine Nebenrolle. Du bist ein Versorgungsfunktionär auf Abruf mit eingeschränkter Reichweite. Ausflüge in die Privatgemächer des Nachwuchses sind extrem verpönt, und wenn, dann nur mit vorherigem Anklopfen erwünscht. Dass es dort duftet wie in einer alten Kantine und Essensreste den Boden verdecken, hat dich ebenso wenig zu interessieren wie die leeren Flaschen auf den Fensterbrettern und die locker verstreute Lingerie unter dem Bett.

Das Leben hat jetzt andere Prioritäten, und du wirst nicht mehr geliebt, bewundert oder wenigstens respektiert. Du wirst geduldet und manchmal gebraucht. Natürlich fragst du dich, woher das auf einmal kommt, was der Grund für diese ­Ausgrenzung und für den offensichtlichen Liebes­entzug ist. Du suchst nach konkreten Ursachen und wirst keine finden. Denn das ist der Lauf der Dinge.

Andererseits muss man auch die Teenies ver­stehen lernen. Die Pubertät beschert ihnen viele neue Dinge, die ihnen bislang unbekannt waren und die ihr Leben plötzlich verkomplizieren. Die ersten nachhaltigen Begegnungen mit dem anderen Geschlecht sind die wahrscheinlich schwerste Herausforderung, aber nicht die einzige.

So geht es auch Stella. Sie ist 15 Jahre alt, hat schöne lange blonde Locken und ist für ihr Alter ziemlich groß und gertenschlank. Früher war sie ein liebenswertes, umgängliches Kind, das kaum Probleme machte. Sie liebte gutes Essen und neigte damals dazu, manchmal ein wenig pummelig zu sein. Ihr strahlendes Lächeln, ihre gute Laune und ihre gutmütig Art machten sie zum Liebling aller Onkel, Tanten und sonstiger Verwandten und Nachbarn. Heute ist sie bildhübsch, weiß, was modisch im Trend ist, und hat endlos viele Verehrer. Ihr Leben abseits der Schule verbringt sie mit Chillen und damit, Stunden in die Auswahl der gerade angesagten Garderobe zu investieren. Die nächstgelegene H & M-Filiale ist der inoffizielle Zweitwohnsitz. Ein ganz normaler Teenager also.

Eltern und Therapeuten reden gerne davon, dass es wichtig sei, Kinder vernünftig zu sozialisieren. Die Kinder selbst machen genau das Gegenteil. Stella hat es früher geliebt, mit den anderen Familienmitgliedern, vor allem mit den beiden Brüdern, auf dem großen Sofa zu sitzen und Filme anzuschauen. Sie fand es auch schön, mit allen anderen zusammen am Tisch zu essen und einander Geschichten zu erzählen. Dass sie sich heute im Wohnzimmer niederlässt, das geht eigentlich nur, wenn die anderen außer Haus sind. Fernsehabende finden sonst nur in ihrem Zimmer statt, und sie können an Wochenenden bis in die frühen Morgenstunden dauern, was dann auch die exzessiven Schlafgewohnheiten erklärt.

Die Nahrungsaufnahme hat sich von jeglicher Regelmäßigkeit und Sinnhaftigkeit entfernt. Gemeinsame Essrituale beschränken sich auf Feiertage und spezielle Familienanlässe. Wenn Stella um neun Uhr abends vor dem Spiegel steht und mit depressiver Stimme und entsprechenden Gesichtszügen verkündet, dass sie zugenommen habe und der Bauch dringend wieder weg müsse – was sich so anhört, als ob gerade der Dritte Weltkrieg ausgebrochen sei –, dann aber eine halbe Stunde später mit einem gut gefüllten Teller Rigatoni in ihr Zimmer entfleucht, dann ist das einfach so. Das kann man als erwachsener Mensch nicht verstehen. Muss man auch nicht. Oder doch?

Verzweifelte Eltern fangen an, sich in das Thema Pubertät einzulesen. Das Angebot ist entsprechend üppig. Rund 2000 Bücher dazu sind bei Amazon gelistet. Reichlich Lektüre, die allerdings auch nachhaltig verwirren kann. Was hilft es einem zu wissen, dass die Launen des Nachwuchses auf ­vermehrte Hormonausschüttung ­zurückzuführen sind? Dass die Hirnanhangdrüse hinter diesem Komplott steckt und die Jungs mit Testosteron und die Mädels mit Östrogen versorgt? Dass es eigene Pubertätsgene gibt, die wie Taliban den häuslichen Frieden sabotieren?

Was aber im technischen Sinne dann doch wieder interessant ist, das ist der Umstand, dass Fettzellen bei Mädchen die Produktion von Geschlechtshormonen anregen. Besonders sportliche Mädchen erleben die Pubertät mit ihren eindrucksvollen Nebenwirkungen eher verzögert. Die mehr trägen und wohlgenährten dafür umso intensiver, und bei denen, die nichts tun, macht sich der Geschlechtstrieb auch stärker bemerkbar. Ein Umstand, den sich Eltern im Alltag durchaus bewusst machen sollten, was die eine oder andere Irritation zwar nicht verhindert, aber wenigstens erklären hilft.

Du bist hin und her gerissen, ob du weiterhin der Kumpel sein willst oder ob du, was in etlichen Büchern empfohlen wird, Regeln einführen sollst und Grenzen, die der revoltierende Nachwuchs nicht überschreiten darf – was er aber längst tut. Die Kumpelnummer entpuppt sich bald als Lotteriespiel. Manchmal klappt sie, manchmal nicht. Zuweilen fängt die freundschaftliche Tour gut an, dreht sich aber aus vermeintlich nichtigen Anlässen ins Gegenteil. Oft verstehst du überhaupt nicht, was jetzt gerade wieder gelaufen ist.

So ist es auch bei Stella. Sie hat einen Freund, einen lieben, netten, der ihr jeden Wunsch von den Augen abliest. An einem regnerischen Winterabend chauffiert sie ihr Vater zu besagtem Freund, besorgt ihr vorher eine Pizza und holt sie abends um halb zehn wieder ab. Zu Hause erklärt sie ihm ziemlich gelassen, dass es doch viel schöner wäre, wenn sie jetzt alleine sein könnte in der Wohnung. Mutter ist mit der Freundin beim Italiener, und er könne sich doch in sein Büro zurückziehen. Sie brauche das einfach mal, die beiden Etagen für sich zu haben, meint sie trotzig und verkriecht sich schmollend, als ihr Wunsch nicht erfüllt wird. Den Vater lässt das ratlos zurück, hatte er sich doch für seine Dienste ein wenig Dankbarkeit oder zumindest einen Anflug von Freundlichkeit erhofft.

Aber Teenager, das müssen auch Eltern lernen, sind eine Art von Triebtätern. Sie handeln meistens spontan aus dem Bauch heraus und ohne Strategie. Das Ergebnis mag sich innerhalb von Minuten widersprechen, was aber grundsätzlich keine Rolle spielt.

Eine Familie im Pubertätszustand ist eine Art soziales Versuchslabor, in dem Dinge zusammenkommen, die man zum Teil vorher noch nicht kannte.

Manche Reaktionen vonseiten des Nachwuchses verblüffen einfach nur. Die Palette reicht von sympathisch und unterhaltsam über skurril und befremdlich bis absolut nervtötend. Du lernst deine heranwachsenden Mitbewohner als Lebewesen kennen, bei denen ein kindliches Gemüt in einem ausgewachsenen und offensichtlich sehr geschlechtsreifen Körper steckt. Aber dann, wenn sie zum Beispiel finanzielle Unterstützung brauchen, können sie eine erstaunliche Intelligenz und Hartnäckigkeit entwickeln, womit sie den Erwachsenen oft deutlich überlegen sind.

Wissenschaftler haben dafür einen passenden Fachterminus. Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann spricht im Rahmen einer Studie von den Egotaktikern.

Sie erfassen erstaunlich rasch Situationen und wissen genau, wo die für sie wichtigen Vorzüge liegen. Sie kombinieren das oft mit einer erstaunlichen Schlagfertigkeit, mit der sie ihre gutmütigen erwachsenen Mitbewohner rasch überrumpeln, die dann oft gar nicht wissen, wozu und warum sie jetzt ihr Okay gegeben beziehungsweise den einen oder anderen Geldschein abgeliefert haben.

Woher haben die Jugendlichen das nur? Ist das instinktives Handeln oder einfach antrainiert? Oder eine Mischung aus beidem? Und dann die unvermeidliche Frage: Waren wir früher auch so? Garantiert waren wir so. Nur die Klamotten, die Musik und die Filme waren andere.

Es ist ja gar nicht so verkehrt, sich einige Dinge aus grauer Vorzeit zurückzuholen und zu ver­stehen, dass damals für einen selbst die Eltern als Autoritätspersonen immer unwichtiger wurden und deren Lebensstil immer unattraktiver. Es ist eigentlich ein uraltes Spiel, das uns aber trotzdem überrascht und verwirrt. Weil wir Erwachsene an den Dingen hängen, die uns lieb geworden sind, an den kleinen, süßen Kindern, die unsere Nähe suchen, die morgens zu den Eltern ins Bett kriechen, sich auf gemeinsame Ausflüge freuen und denen wir so gerne ihre Schwächen und Launen verzeihen. Nur die Vorstellung, dass sie das mit 25 oder 30 Jahren immer noch tun, die ist so un­realistisch und weltfremd wie ein Sommer ohne Regentage.

Du musst dich einfach damit abfinden, dass du immer häufiger eine Nebenrolle spielst. Was in der Schule läuft, wie die Sprösslinge ihre Freizeit verbringen, mit wem sie sich treffen – das wird zunehmend zu einem Mysterium, weil die Antworten auf deine Fragen immer nebulöser werden. Weil sie sich dank Internet und Smartphone gut abschotten können, hast du auch kaum eine Chance, ihr soziales Netzwerk kennenzulernen. Dass Kinder ihre Eltern auf Facebook als Freunde akzeptieren, das dürften recht seltene Ausnahmen sein.

Du wirst dir viele Fragen stellen, auf die du keine befriedigenden Antworten bekommst. Warum sich Geschwister, die sich jahrelang innig geliebt haben, plötzlich hassen und bekämpfen. Warum der Nachwuchs vor allem dir gegenüber so forsch auftritt, dabei aber draußen bei anderen Menschen so gar kein Selbstbewusstsein mehr zeigt. Das Leben wird abwechslungsreicher und beschert dir viele Überraschungen.

Früher war alles anders

Vielleicht ist es ja normal, dass man die Vergangenheit verklärt. Aber vermutlich ist doch etwas dran, dass Eltern kleiner, vorpubertärer Kinder glück­licher sind. Sie alle denken später irgendwann sehr oft an diese Zeit, bekommen heftige nostalgische Anwandlungen und erinnern sich mit feuchten Augen daran, wie schön es doch früher war.

Ach ja, damals. Als die Kinder noch so lieb und nett waren und als der gemeinsame Urlaub etwas ganz Besonderes war, die schönste Zeit des Jahres. Als sie abends nach dem Essen zusammen mit den Eltern Reiseprospekte durchgeblättert und sich über die Bilder von den schönen großen Sandstränden, den blitzsauberen Hotelpools und den end­losen Büfetts gefreut hatten. Die Kinder waren schnell euphorisch. Sie glaubten alles, was in den Prospekten stand, und die Eltern mussten sie da etwas einbremsen. Mit Mutter und Vater in den Sommerferien ans Meer fahren oder wenigstens an den Gardasee. Familienhotels, in denen sie andere Kinder kennenlernen und mit ihnen spielen konnten, während sich die Eltern am Strand gesonnt haben. Das war der absolute Höhepunkt des Jahres.

Vor der Abreise hat sich die Mutter um das Gepäck gekümmert, die Kleidung für die Kinder ausgesucht und eingepackt. Das Spielzeug und die Kuscheltiere kamen in extragroße Taschen, da gab es kaum Diskussionen, und alles lief ziemlich reibungslos ab. Nur zwischen Mutter und Vater kam hie und da ein wenig Stress auf, weil die Koffer und Taschen, die sie auswählte, die Kapazität des Autos heftigst überforderten.

Im Auto gab es wenig Ärger. Die Kids bekamen Kopfhörer und Audiogeschichten, und dann saßen sie ruhig hinten im Auto und hörten die „Fünf Freunde“ von Enid Blyton, „Das kleine Gespenst“ von Otfried Preußler und „Peterchens Mondfahrt“. Sie haben zusammen Kinderlieder gesungen, sich Witze erzählt und die Wolken am Himmel gezählt. So haben sie auch manchen Stau einigermaßen gut überstanden, sofern sie vorher noch eine Pipipause einlegen konnten.

Und dann waren sie angekommen. Jeden Tag waren sie stundenlang am Strand, es wurde gemeinsam zu Abend gegessen und dann noch über die Strandpromenade gebummelt, ein Eis gekauft, Vater hat sich noch einen Espresso gegönnt, worauf Mutter geschimpft hat, weil er dann so schlecht einschlafen konnte. In den Souvenirläden haben sie billigen Modeschmuck gekauft und Baseballkappen für die Kids. Zwischendurch gab es Pizza und Spaghetti und viele andere Dinge, die kleine Kinder glücklich machen. Eltern und Kinder haben gemeinsame Ausflüge unternommen. Mal war das Ziel eine alte Ritterburg, mal ein Erlebnisbad mit ­Riesenwasserrutschen. Alles Sachen, die Kinder toll finden. Abends im Hotel haben sie dann irgendwann alle gemeinsam im Bett gelegen und zusammen ferngesehen. Diskussionen gab es kaum. Die wenigen deutschen TV-Sender ließen eh keine große Auswahl zu. So waren sie, die guten alten Zeiten.

Auch Stella hat mit ihren Eltern viele schöne Ferien erlebt. Beim Camping am Gardasee, in Milano Marittima an der Adria in einem tollen Hotel direkt am Strand. Da war auch ihr Bruder noch dabei, der dann später mit achtzehn ausgezogen ist. Aber damals haben sie sich noch gut vertragen und in den gemeinsamen Stunden am Strand viel Spaß gehabt. Stella war zwölf, ihr Bruder Felix fünfzehn und der kleine Vinzenz sieben Jahre alt.

Felix hatte eigentlich immer gut auf die kleine Schwester aufgepasst, aber dann fand er kleine Mädels doof und interessierte sich mehr für Teenies in seinem Alter. Auch der Umgangston änderte sich und wurde weniger liebevoll. Halbstarke Sprüche sorgten für Unmut zwischen den Geschwistern. Wenn Felix seine Ruhe haben wollte, dann fauchte er seine kleine Schwester an: „Verschwinde, du Opfer!“ Stella war irritiert über die merkwürdige Wandlung ihres großen Bruders und Vorbilds.

Ein Jahr später sind sie dann in die Türkei geflogen und blieben eine Woche in einem Clubhotel an der Südküste. Es war eine riesige Betonburg mit vielen Hundert Zimmern, mehreren Restaurants und Pools wie in einem öffentlichen Schwimmbad zu Hause. Von der Umgebung haben sie nicht viel gesehen außer bei den Fahrten zwischen Flughafen und Hotel, und die waren entweder ganz früh am Morgen oder kurz vor Mitternacht. Aber für Teenies spielt das eine Nebenrolle. Es gab in Side eine Menge Geschäfte, in denen man modische Fummel spottbillig kaufen konnte. Hello-Kitty-Spielzeug war nun nicht mehr so gefragt. Dafür gab es tonnenweise Louis-Vuitton-Taschen und Teile mit dem Dolce & Gabbana-Logo. Vater meckerte zwar, dass das alles Fälschungen seien, aber was machte das schon? Zu Hause in der Schule würde das eh keiner checken. Oder doch?

Felix hatte in dieser Woche Geburtstag. Die Eltern wollten ihn überraschen und organisierten nach dem Abendessen eine Geburtstagstorte mit 16 Kerzen. Eine Kellnerin servierte die Torte, dazu gab’s „Happy Birthday“ aus der Audiokonserve. Felix verdrehte die Augen, wurde ganz klein am Tisch und murmelte: „Voll peinlich. Jetzt wissen alle im Hotel, wie alt ich bin.“ Die nächsten Tage war er dann eher schlecht drauf, zog sich zurück und wollte auch nicht mit zum gemeinsamen Bootsausflug.

Felix bekam Pubertätspickel auf der Backe, was sein dünner Bartflaum nicht kaschieren konnte, und das machte seine Laune auch nicht besser. „Voll uncool“, nörgelte er später, „mit Eltern Urlaub machen, das geht gar nicht.“ Die Eltern haben darauf gar nicht reagiert. Stella fand ihn einfach doof.

Doch die Eltern schauten ernst und bekamen eine Vorahnung, dass das nicht nur eine Laune der Natur war und dass sich ihr Leben nun ändern würde. Die Pubertät kannten sie eigentlich nur aus den Schilderungen von Verwandten und Kollegen, die entsprechende Horrorgeschichten erzählten. Sie handelten von Kindern, die sich innerhalb weniger Wochen in kleine launische Monster verwandelten, die sich nur noch von Fast Food ernährten und deren einziges sportliches Engagement die gymnastischen Verrenkungen in den Umkleidekabinen von H & M waren. Vater schüttelte entspannt den Kopf und sagte siegesgewiss: „Unsere Kinder sind nicht so. Das haben wir gut im Griff.“ Er ahnte damals nicht, wie er sich täuschen sollte.

Dabei sind die Anzeichen unübersehbar. Im Nachhinein zumindest. Es fängt zum Beispiel damit an, dass der Nachwuchs sich immer mehr zurückzieht. Plötzlich gibt es so etwas wie Scham vor der eigenen Familie. Kinder wollen sich nicht mehr spärlich oder gar unbekleidet vor Eltern und Geschwistern zeigen und brauchen ihre Privatsphäre. Was zu Hause einigermaßen gut organisierbar ist, wird im Urlaub zu einem echten Problem, weil sich nur die wenigsten eine üppige Suite oder ein großzügiges Ferienhaus leisten können. Im Familienzimmer mit einem oder zwei Zusatzbetten und einem einzigen Badezimmer, in dem dann auch noch die Toilette ist, wird es ziemlich eng in Sachen Intimsphäre. Wer geht morgens zuerst ins Bad, und warum brauchen Frauen so ewig lange? Wer hat wieder seine alten Unterhosen am Boden liegen lassen und nach dem Geschäft nicht richtig runtergespült? Da kann der Start in den Urlaubstag schon mal in die Hose gehen und für nachhaltig schlechte Laune sorgen.

Urlaub mit kleineren Kindern und dasselbe mit Teenagern ist im Prinzip wie der Vergleich von Diktatur oder Monarchie auf der einen und Demokratie auf der anderen Seite. Im ersten Fall haben die Eltern das Sagen, was meistens problemlos und manchmal etwas mühsam ist. Aber die Machtverhältnisse sind weitgehend geklärt, zumindest was die Organisation des Urlaubs angeht. Doch dann folgt dank des aufmüpfigen Nachwuchses der zwangsweise Wechsel zur Demokratie. Und das schafft viele neue Herausforderungen und Probleme. Erschwerend kommt der Umstand hinzu, dass sich alle einen Bruchteil der Wohnfläche von zu Hause teilen müssen. Ein derart frustrierter Teenager wie zum Beispiel Felix hat da wenig Optionen, wenn er seinen Groll irgendwie abreagieren will. Da bleiben nur die kleineren Geschwister, mit denen man sich über die Jahre ­eigentlich gut ­verstanden hat. Doch das wird bald anders. Sie fangen an, sich jeden Tag zu necken und zu nerven. Das läuft oft so ab, dass der oder die Ältere meist überlegen ist und der benachteiligte Jüngere dann die Eltern zu Hilfe ruft. Und schließlich streiten alle.